Die Seepferdchen-Siedlung

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Mit einem fröhlich-frechen “Viel Spaß Ihr Zwei! Tschüß, bis heute abend!” klopft sie − natürlich ohne zu öffnen oder gar ein “Herein!” zu erwarten, das eher ein deutliches “Raus!” geworden wäre − am Zimmer ihrer Eltern an und verläßt eiligst die Ferienwohnung, ehe ihr Vater ihr folgen und doch noch ein Auskitzeln über ihre hochempfindlichen Fußsohlen durchführen könnte.

Am Haus begegnet sie Luise Reimerson, die, wie jeden Tag, fleißig in ihrem Garten arbeitet.

“Moin, Frau Reimerson!”, grüßt sie sie fröhlich.

“Morjen, Sandrine!”, richtet die alte Dame sich auf. “Mejn Jott, hast Du Dech aber schick jemacht! Arjan wird ja janz damlich im Kopf, wenn er Dech so zu sehen bekommt”, lächelt sie der süßen Schönheit zu.

Sandrine, die die ostpreußische Sprechweise inzwischen gut versteht, kommt ein paar Schritte näher. Luise bemerkt, daß das Mädchen leicht errötet ist.

“Hab doch jlejch jesehn, wie aufjeregt Arjan jekuckt hat, und wie sehr er ihr jefiel.”

“Arjan?”, gibt Sandrine sich ahnungslos. “Ach so! Der Junge von gestern. Na ja, ganz nett”, spielt sie die Begegnung herunter. “Es gibt ja noch mehr Jungs am Strand. Und warum sollte ich ihm denn gefallen und er mir?”

“Denn jeh Dech mal em Spiejel anschaun, Marjallchen, denn siehste, warum!”, stützt Luise sich auf ihre Hacke. “Un so, wie Ihr zwej Euch jestern anjesehn habt …”, zwinkert sie Sandrine zu, die nun richtig rot wird und sich, bei kurz gesenktem Blick, mit einem verlegenen Lächeln auf die Unterlippe beißt.

“So deutlich?”, fragt sie leise.

“So deutlich, mejn Süßes!”, nickt die alte, erfahrene Frau. “Un ech kenn das Jungchen sejt sejner Jeburt. Du jefällst ehm sehr, nur weiß ech nech, ob un wann er Dir das jestehen wird. Das mußt Du selber hinkriejen”, schmunzelt sie und streicht dem nun vor ihr stehenden Mädchen liebevoll über die Wange.

“Wissen Sie denn, wo ich ihn finden kann?”

“Na, mejstens is er mit sejnem Freund Frerk unterwegens, jetzt auch met Enno, der neu zujezogen is. Bej schönem Wetter send de Jungens mejst in Nakedunien …”

“Wo sind sie?”, lacht Sandrine auf.

“Na, in Nakedunien”, grient Luise. “Am Nacktbadestrand.”

“Oh, ach so”, freut Sandrine sich innerlich. “Wo ist denn das hier?”

“Na, wenn Du Dech am Brückenvorplatz rechts hältst un etwa 20 Minuten auf dem Landesdejch läufst, kommst Du zu ejnem links abjehenden schmalen Zujang un kannst über de Düne zum Strand abstejjen. Irjendwo dort wird er sejn”, beschreibt Luise ihr den Weg.

“Dankeschön”, knickst Sandrine vor ihr. “Sie haben übrigens sehr schöne Blumen. Vor allem die Margariten finde ich hübsch”, sieht sie sich um, ehe sie sich verabschieden will.

“Magst mal einen Blumenkranz für Dejn Haar haben?”

“Können Sie das denn machen?”, fragt Sandrine etwas ungläubig, denn sie kennt das nur aus Plastik vorgefertigt.

“Na, was glaubst Du, Klejnes, wie wir uns früher für die Verehrer hübsch jemacht haben! Wer hatte denn schon Jeld für joldenes Schmuckwerk übrig? De Blumens am Feldrand waren kostenlos.”

“Gern. Da freue ich mich drauf! Dankeschön! Einen schönen Tag, Frau Reimerson”, winkt ihr Sandrine zu und macht sich auf den Weg.

“So jung sollte man noch mal sejn”, denkt Luise sich. “Aber nej, lieber nech. Da kamen de Russen und spielten uns mit ihren Kalaschnikows ne janz andere Tanzmusik.”

Einen Augenblick sieht sie Sandrine nach und wendet sich wieder ihrer Gartenarbeit zu.

“Guten Morgen, Frau Reimerson!”, ruft ihnen ein junges Paar zu, das gerade das Haus verläßt.

Luise sieht wieder hoch. “Juten Morjen”, winkt sie ihren Gästen zu. Der hochgewachsene Mann löst sich von seiner Frau und kommt auf ihre Vermieterin zu.

“Sagen Sie, Frau Reimerson”, setzt er mit gedämpfter Stimme an, “wohnt neben uns nicht ein älteres Ehepaar mit seiner Tochter?”

“Ja, warum?”, sieht sie ihn verwundert an.

“Ich will ja nicht indiskret sein, aber es hörte sich gerade an, als sei da noch ein Pärchen auf Hochzeitsreise in der Wohnung!”

“Tja, Herr Tummelmann. Der klejne Amor schießt sejne Pfejle auch Leuten zwischen vierzig und fünfzig in den Hintern und nech nur solch jungem Volk wie Ihnen un Ihrer süßen Frau”, lächelt Luise ihn an.

“Oh, tatsächlich”, räuspert sich der 28jährige. “Das läßt ja hoffen für die Zukunft”, grient er. “Einen schönen Tag, Frau Reimerson.”

“Danke jlejchfalls”, erwidert sie und hofft, nun nicht mehr von der Arbeit abgehalten zu werden.

Lohengrin sitzt derweil auf seinem Komposthaufen und hat dem Treiben interessiert zugesehen.

*

Ellen Dollwitz bringt Martha Bökensen das übliche reichhaltige Frühstück, einschließlich des stets gewünschten Neun-Minuten-Eis. Sich selbst hat sie einen Kaffee gemacht und setzt sich zu ihrem Schützling an den Tisch.

“Laß es Dir schmecken, Martha.”

“Danke, meine Liebe”, lächelt sie ihrer unentbehrlichen Hilfe zu. Sohn und Tochter sind weit weg, da war keine Assistenz zu erwarten.

“Was möchtest Du heute zum Mittagessen haben?”, wird nachgefragt, da es tags zuvor nicht besprochen worden war.

“Ein Hähnchenfilet und drei Pellkartoffeln mit Kräuterbutter. Haben wir das noch im Haus?”, kommt die Bestellung, bevor am Tee genippt und das erste Stück Salamibrot abgeschnitten und aufgegabelt wird.

“Alles noch vorhanden, Martha, und soll ich für morgen oder erst übermorgen den Matjestopf ansetzen?”

Frau Bökensen schluckt erst herunter, ehe sie antwortet.

“Bitte erst für übermorgen. Morgen hätte ich gern Königsberger Klopse.”

Da meldet Ellen Dollwitz’ Handy einen eingehenden Anruf.

“Entschuldige bitte”, nimmt Ellen ihn an. “Dollwitz.” Am anderen Ende hat sie eine ihr nicht unbekannte Frau, worauf sie Martha Bökensen andeutet, sie ginge mal eben nach nebenan und zieht sich in die Küche zurück.

“So, Kathrin, jetzt können wir ungestört reden.”

Und dann erfährt sie, daß es bei den Eltern der Anruferin nicht mehr ohne dauerhafte Alltagshilfe weitergehen könne, das Abschieben ins Altersheim aber keinesfalls in Frage komme. Da sie berufstätig sei und ihre Brüder weit weg, äußert sie die dringende Bitte, Ellen möge es auf 450-€uro-Basis angemeldet übernehmen.

Sie erhält die beruhigende Antwort, daß die Versorgung zeitmäßig von Montag bis Freitag am Nachmittag möglich sei und man solle sich doch am nächsten Tag zur näheren Besprechung treffen. Das wird so vereinbart und man verabschiedet sich, worauf Ellen Dollwitz ins Wohnzimmer zurückkehrt.

“Hoffentlich nichts unangenehmes”, erkündigt Frau Bökensen sich zwischen einem Schluck Tee und dem nächsten Brotbissen. Und da in der Siedlung wie im Dorf ohnehin alles schnell die Runde macht …

“Gerlind Trondmanns Tochter braucht Hilfe für ihre Eltern”, setzt Ellen sich wieder an den Tisch.

“Oh je. Wird Gerlind nun tüdelig?”, vermutet Frau Bökensen.

“Sieht leider so aus. Sie vergißt immer mehr und Hans-Georg kommt damit nicht zurecht”, nippt Ellen an ihrem Kaffee.

“Ach herrje! Und das, wo Hans-Georg so ungeschickt im Haushalt ist! Und was nützen einem die gesündesten Knochen, wenn der Kopf nicht mehr mitmacht! Hoffentlich bleibt mir das erspart und ich falle vorher tot um!”

“Du wirst Dich bremsen, meine Liebe!”, ermahnt Ellen sie. “So klar, wie Du im Kopf bist, und mit Deinen phantastischen Blutwerten überlebst Du uns alle noch”, schmunzelt sie.

“Na, bloß nicht 100 Jahre alt werden! Du hast wohl gar kein Mitleid mit mir, hm?”

“Mit wem soll ich dann Mühle und Dame spielen? Aber jetzt mach‘ ich erst einmal klar Schiff. Möchtest Du Dein Bett frisch bezogen haben?”

“Ja, bitte.”

Und damit geht Ellen Dollwitz erst einmal ins Schlafzimmer.

*

“Und was machen wir, wenn wir bei Svea durch sind?”, fragt Arjan, während er sich ein weißes T-Shirt überstreift, das so eng ist, daß seine gerade erst durch das Training bei Enno aufgepumpten Brust- und Bauchmuskeln sich überdeutlich abzeichnen. Und Frerk sieht ähnlich aus, der sich ein hellblaues von Arjan geliehen hat und nun vorschlägt …

“Dann gehen wir feiern.”

“Was wollen wir denn feiern?”, sieht Arjan ihn leicht verwundert an. Niemand von ihnen hat Geburtstag.

“Na, unseren Model-Erfolg”, grient Frerk zuversichtlich.

Arjan tritt nah an seinen besten Freund heran und sieht im intensiv in die Augen.

“Du, komm mal ans Fenster”, schiebt er ihn sanft dorthin und kommandiert, “Mach die Augen mal weit auf!”

“Was ist denn?”, wundert Frerk sich, tut aber, wie ihm geheißen. “Hab ich ’was im Auge?”

“Hast Du, Alter! In beiden. Riesige €uro-Zeichen”, lacht Arjan und klopft ihm auf die Brust.

Frerks Antwort ist ein freundschaftliches Boxen gegen Arjans Waschbrettbauch, den der sofort anspannt und zurückknufft.

“Ja, ich liebe Dich auch, Du Affe”, streckt Frerk ihm die Zunge heraus − und wird prompt übermütig auf den Mund geküßt. Im nächsten Moment wird ein “Schwitzkasten” versucht, dem Arjan sich aber lachend entwinden kann und auf Sicherheitsabstand geht.

Enno steht schmunzelnd daneben; sein mentales Auge hat die Szene unterhaltsam “übersetzt”.

“Wenn, dann küß mich richtig, Du Blödmann!”, protestiert Frerk, grient dabei aber von einem Ohr zum anderen.

“Einverstanden, Alter, wenn wir den Job haben. Aber erst dann, sonst nicht”, stimmt Arjan zu − und dabei zieht es ihm durch die Magengrube. “Begeisterung ist gut, aber erstmal sinnig draufzu. Svea ist cool, aber sie hat auch nichts zu verschenken.”

“Und was machen wir, wenn unsere Idee bei ihr nicht ankommt?”, zweifelt Frerk nun doch ein wenig.

 

“Dann läufst Du im Handstand über die Seebrücke … nackt … morgens um 7 Uhr”, legt Arjan grienend fest.

“Waaas? Sooo früh aufstehen?”, verzieht Frerk sein Gesicht − und lacht auf.

Hohe Fünf − die Wette ist besiegelt.

“Da will ich auch dabei sein”, lächelt Enno.

“Klar! Du gehörst doch zu uns”, kommt es im Duett mit beidseitigem Schulterklopfen − und Enno strahlt.

*

“Mama … wer ist der Mann im Haus von Onkel Gustavsson?”, fragt die siebenjährige Kaja Marquardtson beim Frühstück ihre Mutter.

“Das ist ein Künstler, und er heißt Aidan Alfsson”, bekommt sie zur Antwort. “Aber mit vollem Mund spricht man nicht”, wird die Kleine ermahnt, die nur nickt und weiterkaut.

“Mama, was ist ein Künstler?”, fragt Kajas um 14 Minuten jüngere Zwillingsschwester Alke. “Ich hab’ den Mund übrigens nicht voll”, läßt sie wissen.

“Hhm, das ist jemand, der etwas besonders gut kann”, beginnt Jorinde ihre Erklärung.

“Ich kann richtig gut Seilhüpfen, Mama. Bin ich auch ein Künstler?”, fragt Alke weiter.

“Du bist dadurch schon recht sportlich, mein Kleines, aber Künstler kommt nicht nur von Können, sondern hat auch etwas damit zu tun, auf welchem Gebiet man etwas kann. Also zum Beispiel Singen, Zeichnen, Malen, Schnitzen, Geschichten und Musik schreiben und vieles andere mehr.”

Kaja hat inzwischen heruntergeschluckt und noch nicht wieder von ihrem Brötchen abgebissen.

“Ich kann Blumen malen”, verkündet sie stolz.

“Und was für hübsche”, bestätigt ihre Mutter.

“Meine Sterne sind aber auch schön”, meldet Alke ihren Wunsch auf Anerkennung an.

“Das kann man sagen”, bestätigt ihre Mutter ihre Selbsteinschätzung. “Dein letztes Bild mit dem Mond war richtig gut”, streicht Jorinde ihr über die Haare und vergißt auch Kaja nicht. “Ihr seid beide schon richtig kleine Künstlerinnen”, lächelt sie die Zwillinge an.

“Aber dann ist Ankea auch ein Künstler”, stellt Alke über ihre bisher schweigsame große Schwester fest, ehe sie wieder krachend in ihr Brötchen beißt.

“Da Ankea ein Mädchen ist, ist sie eine Künstlerin”, korrigiert ihre Mutter die Geschlechtsform. “Und das ist sie tatsächlich, so gut, wie sie bereits Klavier spielt und welch hübsche Musikstücke sie bereits geschrieben hat”, sieht sie mit liebevollem Blick ihre Große an. “Hast Du bald wieder etwas fertig, mein Süßes?”

“Mein zweites Schmetterlingsstück, Mama”, teilt die Neunjährige mit.

“Oh, wie schön!”, freut sich ihre Mutter. “Und wann dürfen wir es hören?”

“Wenn es fertig ist, Mama”, schmunzelt das hübsche Mädchen, das seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist.

“Natürlich, mein Kind”, sieht Jorinde ihre mütterlich stolze Voreiligkeit ein.

“Und was macht der neue Nachbar genau?”, will Ankea wissen. Ihr Bruder Thees hat, wie üblich, nichts erzählt.

“Oh, Aidan ist Zeichner, Maler und Bildhauer. Es würde mich gar nicht wundern, wenn er uns alle einmal portraitierte.”

“Mama”, schluckt Kaja schnell ihren Bissen herunter, “warum haut Aidan denn die Bilder? Haben die ihm ’was getan? Bilder können doch nicht böse sein, oder?”

“Nein, natürlich nicht, mein Schatz. Das hat etwas damit zu tun, wie er sie herstellt, denn das sind keine Bilder, wie mit dem Handy oder Großvaters altem Photoapparat, weißt Du. Da nimmt er zum Beispiel ein kleines oder großes Stück Marmor und fängt an, es mit Hammer und Meißel zu bearbeiten. Und wenn er fertig ist, dann steht da kein Marmorblock mehr, sondern irgendeine schöne Figur, weißt Du. Oder er modelliert etwas aus Ton und das wird dann in Bronze gegossen.”

Für den Moment sind die Mädchen damit zufrieden, aber Ankea will noch etwas wissen.

“Warum nennst Du unseren neuen Nachbarn beim Vornamen? Kennst Du ihn?”

Ihre Mutter errötet leicht.

“Von früher. Bevor ich Euren Vater getroffen habe ...”

“Mama hatte einen Freu-heund, Mama hatte einen Freu-heund”, rufen die Zwillinge lachend auf ihren Stühlen hüpfend.

“Ein Freund, ja, aber nicht mein Liebhaber”, rutscht es Jorinde heraus. “Er ist Ragnars Zwillingsbruder.”

Ankea nickt verstehend, und auch ihre Schwestern können ihn nun zuordnen, aber Alke will noch etwas wissen.

“Mama, was ist ein Liebhaber?”

“Später”, räuspert sich ihre Mutter. “Jetzt wird erst einmal zu Ende gegessen und abgeräumt und dann gehen wir an den Strand”, weicht sie vorerst der Erklärung aus.

*

“Komm endlich unter der Dusche vor, Du selbstverliebter Nachwuchsgockel”, hämmert Beke gegen die Badezimmertür, und dies so heftig, daß das umgeschlagene große Frotteetuch sich von ihrem Körper löst und zu Boden fällt. Ohne es aufzuheben, hämmert sie erneut − keine Reaktion. Das Duschwasser rauscht weiter.

“Mama!”, ruft sie laut vom Treppenabsatz hinunter ins Erdgeschoß, wo ihre Mutter gerade das andere Bad putzt. “Heye läßt mich schon wieder nicht aufs Klo, und ich will mich endlich duschen! Ich bin ganz verschwitzt von der Nacht!” Keine Reaktion.

“Mann, Du Vollpfosten! Hör endlich auf, Deine paar Zentimeter zu massieren! Das lohnt sowieso nicht! Und mach das gefälligst auf Deinem Zimmer!”

Beke hämmert nochmals gehen die Tür, glühend vor Zorn, ehe sie sich zum Warten in ihren Privatbereich verzieht und die Tür heftig zuwirft.

Ihre Mutter hat natürlich alles gehört, aber bewußt die Auseinandersetzung den Geschwistern überlassen. Auch ihre Tochter soll es lernen, sich durchzusetzen.

Etwa zehn Minuten später wird, ohne Anklopfen, Bekes Zimmertür geöffnet.

Sie liegt grollend bäuchlings auf ihrem Bett und schreit nur “Raus!”, als ihr das große Badetuch zugeworfen wird.

Wütend springt sie auf, nimmt es und pfeffert es ihrem grinsend im Türrahmen stehenden Bruder entgegen, der es auffängt und ihr wieder zuwirft.

“Das Bad wäre jetzt frei”, teilt er gönnerhaft mit.

“Ach nee! Hat Dein Sahnespender endlich abgeliefert?”, keift sie ihn an und ihre Augen funkeln dabei.

“Ja, hat er”, antwortet Heye erstaunlich selbstbewußt.

“Na, viel wird’s ja nich’ gewesen sein! Warum dauert das so lange?”, versucht sie, ihr Badetuch umzulegen, was ihr, wütend, wie sie ist, nicht recht gelingen will, und so “knallt” sie es auf ihr Bett.

“Ich genieße eben, und Du könntest froh sein, einen Freund zu haben, der Dir mein Quantum bieten kann. Du bist ja bloß neidisch!”, grient er sie kess an. “Aber was versteht eine übriggebliebene Jungfrau wie Du schon davon?”, verpaßt er ihr eine heftige Bemerkung und kann nur noch schnell den Rückzug antreten.

Hinter ihm schlägt Beke mit beiden flachen Händen gegen die Tür, die ihr Bruder gerade noch vor ihr zuziehen kann, sonst hätte er sie an der Gurgel gehabt.

“Du Wichser!”, schreit sie ihm nach.

“Eben”, geht er grinsend auf sein Zimmer. “Boie Rahm und ich sind eben ein geiles Team”, nimmt er sein Badetuch ab und läßt seinen treuesten Freund frei wedeln.

*

Deeraj wacht langsam auf. Er reckt und streckt sich mit einem Löwengähnen.

“Mann, war das eine Nacht! Und das diese scharfe Sandra mich nach dem Jungfernritt gleich auch noch ausprobieren wollte − wer rechnet denn mit so etwas?”, spielen sich laszive Szenen in seinem Kopfkino ab. “Und was Arnish und Jolanda dabei abgezogen haben! Heilige Scheiße! Mein großer Bruder ist schon ein heißer Hengst. Er ist ja geil ausgestattet, aber das er so hemmungslos sein kann, hätte ich nie erwartet.”

Deeraj ist voller Bewunderung für seinen Bruder. Er liebt ihn sehr, auch wenn er ihm das nicht immer sagt, aber seine Bewunderung für ihn als Mann ist in der letzten Nacht gewaltig gestiegen.

“Ob wir die Mädchen je wiedersehen werden?”, denkt er noch, als sein neben dem Bett auf dem Nachtschränkchen liegendes Smartphone das Signal einer eingehenden Nachricht gibt − und gleich darauf noch eines.

Deeraj nimmt es und sieht nach.

Die erste ist von Arnish.

“Guten Morgen, Kleiner! Gut geschlafen? Wie geht es Dir und Deeraj dem Großen? Hast Du überhaupt noch gemerkt, wie ich Dich ins Haus getragen und ins Bett gebracht habe? Du warst fix und alle, aber ich bin stolz auf Dich! Arnish”

Ein warmes Gefühl durchströmt Deeraj. Ein ums andere Mal ist er glücklich, Arnish als Bruder zu haben.

Und die zweite Nachricht ist − von Jolanda!

“Hi! Lebst Du noch? ☺ Die Nacht mit Dir war so geil! Hast Du schon viele Mädchen vor mir gehabt? Natürlich hast Du. So viele O’s habe ich noch nie erlebt! Ich würde Dich gern wiedersehen. Und Dein zweites Ich auch. Der absolute Wahnsinn! Kuß, Jo”

Deeraj ist schlagartig wach, auch ohne kalte Dusche. Das hat er nicht erwartet. Er wirft seine dünne Sommerdecke zur Seite und wird sogleich von seinem ebenfalls erwachten zweiten Ich begrüßt, denn Arnish hat ihn nackt schlafen gelegt.

Mit einem unbeschreiblichen Gefühl in der Brust schwingt Deeraj sich auf die Bettkante, legt das Smartphone bis zu einer Antwort an beide erst einmal beiseite und steht auf.

Nachdem er die dunkelblauen Vorhänge beiseite gezogen und sich nochmals wohlig gestreckt hat, will er sein Zimmer Richtung Bad verlassen … und bleibt grienend stehen.

Innen an der Tür hängt ein Blatt Papier auf dem in großen Buchstaben zu lesen ist:

“HERZLICH WILLKOMMEN IN DER WELT DER MÄNNER!”

Und darunter ist, sehr gekonnt, ein großer Phallus gezeichnet − im Augenblick des Erfolges.

Mit einem breiten Lächeln geht Deeraj hinaus und freut sich des Lebens wie nie zuvor.

*

Und es geht weiter mit beglückenden Mitteilungen, doch zunächst muß Eske eine Nachricht von Björn Nassehnen löschen, über die sie sich nur ärgert, und daraufhin beschließt, ihn zu sperren.

“Der Blödmann kann mich mal bei Ebbe besuchen”, und schon ist er auf ihrem Handy Vergangenheit.

Sie sitzt in ihrem süßen, teilschulterfreien und halbdurchsichtigen Nachthemdchen auf der Bettkante und ruft ganz hibbelig die Nachricht auf, deren Absender sie geradezu elektrisiert.

Eskes Herz klopft stürmisch … und etwa anderes puckert auch … wo es ihr ganz besonders gefällt.

Christian!

Er denkt an sie! Und wie schön und intensiv sie bereits von ihm geträumt hat! Als hätte er es geahnt …

“Moin Eske! Hast Du gut geschlafen? Sehen wir uns heute am Strand? Ich würde mein Holz-Pingpong und Bocciakugeln mitbringen, wenn Du mit mir spielen magst. Wir könnten auch zu Svea gehen, uns ‘was Neues aussuchen. LG, Christian”

Eske wird es total warm.

“Ob ich mit ihm spielen mag? Nur zu gern. Er ist sooo niedlich”, schwärmt sie innerlich. “Hoffentlich kann er küssen und ist nicht so verklemmt wie

Björn Blöd!”, brandet die Hoffnung in ihr auf, und sie entschließt sich, ihm sofort zu antworten, aber erst muß sie mal “für kleine Mädchen” …

*

Isi hat sich in aufgeregter Erwartung, seinen heimlichen Schwarm zu treffen, früher auf den Weg zur Seebrücke gemacht als es nötig gewesen wäre, um pünktlich zu sein. Als Bekleidung hat er sich für eine blütenweiße schmale Badeseide mit einem Regenbogen-Schmetterling auf der Vorderseite entschieden, darüber hellblaue Shorts mit einem gelben Seestern auf der linken Gesäßhälfte und einem neonroten bauchfreien T-Shirt, darüber eine vorn offen getragene hellblaue Weste. Dazu eine goldene Halskette mit einem Seepferdchen aus Lapislazuli als Anhänger, weiße Leinenhalbschuhe und einen breitrandigen Strohhut. In seiner Strandtasche trägt er genug zu essen für den ganzen Tag mit sich, dazu seine Badetücher, etwas zu lesen − und eine halbe Rolle Klopapier.

Nun sitzt er auf einer der Bänke, hält den Brückenvorplatz und die Promenade Richtung DLRG-Station im Blick − und wartet.

Schmunzelnd registriert Isi, daß weibliche Teenager ihn sehr wohl wahrnehmen und ihm zugelächelt wird, was er ebenso freundlich erwidert, aber auch ein recht hübscher Junge schenkt ihm einen verstohlenen Blick, dem er einem Moment lang nachsieht und feststellt, daß er nicht nur einiges in seiner Badehose zu bieten hat, sondern auch einen interessanten Knackarsch. Und dann dreht er sich auch noch einmal kurz um!

“Wow! Der muß einen kalifornischen Vater haben.”

Schließlich richtet Isi sich aus seiner lässigen Sitzhaltung auf und sein Herz beginnt, stärker zu klopfen. Er hat Thomas entdeckt. Der beschleunigt seinen Schritt und winkt Isi breit lächelnd zu, der bereits aufsteht.

 

“Moin! … Moin!”, begrüßen sie sich, schlagen seitwärts die Hände ein und freuen sich sichtlich, einander zu sehen.

Thomas stellt seine Strandtasche und den Beutel mit dem frisch gekauften Obst ab.

“Wartest Du schon lange?”, erkundigt er sich. “Coole Klamotten”, betrachtet er Isi mit Wohlgefallen und “Daumen hoch“.

“Nö, nicht wirklich, und danke! Magst es?”

“Klar! Du siehst geil aus!”, bekräftigt Thomas seine Meinung.

“Du aber auch”, läßt Isi seinen Blick mit in Anerkennung verzogenem Mund über Thomas wandern, der ein von der Mode her zwar altmodisches weißes Netzhemd trägt, was an ihm aber sehr erotisch wirkt, zumal es seinen Bauchnabel frei und seine Brustwarzen durchscheinen läßt, darüber ein offen getragenes, lachsfarbenes, kurzärmeliges Stoffhemd und lachsfarbene, knallenge Shorts, die seine beachtliche Männlichkeit deutlich abbilden.

Seine nackten Füße stecken in hellbraunen Sandalen und um den Hals trägt er eine enge Kette aus kleinen weißen Kugeln.

“Hast Du genug zu trinken dabei?”, will Isi wissen.

“Klar!”, zeigt Thomas seinen Vorrat vor. “Für’n geilen Pinkelwettbewerb wird’s reichen”, scherzt er mit einem verschmitzten Lächeln und macht die Tasche wieder zu.

“Er hat so schöne weiße Zähne”, schwärmt Isi im Stillen. “Und wenn bloß seine Shorts nicht so stramm säßen! Für Viktor wird es bald eng …”

Hinter den beiden gehen zwei Bikinischönheiten vorbei, vielleicht 17, 18 Jahre alt, die die Jungs genau im Auge haben, als wollten sie sich deren Erscheinungsbild genau einprägen, und sich lächelnd hinter vorgehaltenen Händen etwas zuflüstern, aber nicht stehenbleiben.

Isi winkt ihnen lächelnd zu, einfach mal so, und auch Thomas dreht sich zu ihnen um, denn er hat sie im Augenwinkel bemerkt.

“Hübsche Küken”, sagt er halblaut vor sich hin und kratzt sich am Hinterkopf. Er ist für weibliche Reize sehr wohl empfänglich, trotz seiner nicht stimmigen Beziehung mit Isa.

“Ganz niedlich, wenn man ein Hühnerhahn ist”, meint Isi achselzuckend. “Aber man kann sich wenigstens sehr nett mit ihnen unterhalten”, sieht er den beiden noch kurz nach. “Gehen wir jetzt?”

“Klar!”, nimmt Thomas seine Sachen auf. “Holen wir uns noch eine Portion Eis für den Weg?”

“Gebongt”, stimmt Isi zu und sie steuern den nicht weit entfernten Eisverkauf in der “Klause” an.

*

“Moin, Christian! Ich habe super geschlafen. Und Du? Hast Du ’was Schönes geträumt? Kannst Du mir nachher vielleicht erzählen. Klar spiele ich gern mit Dir! Strand-Ping-Pong und Boccia sind zwei meiner Lieblingsspiele! Treffen wir uns in 45 Minuten an der Seebrücke? Falls Du mich nicht mehr erkennst: Ich werde einen türkisfarbenen Wickelrock und ein pinkfarbenes T-Shirt tragen und eine knallbunte Strandtasche bei mir haben. LG Eske. Übrigens, ich habe schwedenblonde kurze Haare.”

Während sie auf Christians Antwort wartet, huscht Eske schnell ins Bad und macht sich nach einer lauwarmen Dusche zurecht.

Zurück in ihrem Zimmer sucht sie flugs die angekündigten Kleidungsstücke heraus und betrachtet sich nackt noch einmal genau im bodenlangen Spiegel.

“Hoffentlich findet er meine Brüste nicht zu klein”, überlegt sie einen Moment, aber dann bewertet sie sich doch für “obercool” in Ordnung, ehe sie sich strandfein macht.

Dann bemerkt Eske, daß sie vor Aufregung vergessen hat, nachzusehen, ob und was Christian geantwortet hat …

“Ich werde da sein, aber schicke mir doch bitte ein Bild von Dir, damit ich nicht aus Versehen mit dem falschen Mädchen losziehe und zum Spielen meine Kugeln auspacke! Bei der Wärme will mein Gedächtnis nicht so recht mitspielen. LG Christian”.

Eskes ahnt nicht, wie sehr er bei der Antwort vor sich hin gegrient hat und wie sehr er lacht, als er ihre Erwiderung zu sehen bekommt.

In der Küche hat ihre Mutter ein Frühstück hingestellt, von dem Eske nur eine Scheibe Toast mit Margarine ißt und ein Glas Milch trinkt, ehe sie auf einen Zettel “Danke Mama. Bin am Strand. Tschüß, Eske” schreibt, den sie auf dem Tisch zurückläßt, zurück ins Bad flitzt, um ihre Zähne zu putzen − knutschen mit Krümeln im Mund stellt sie sich widerlich vor − und schließlich eilig das Haus verläßt.

Daß ihre Mutter, die aus den Ferienwohnungen zurückkommt, ihr etwas nachruft, hört sie schon nicht mehr.

*

“… aber wie ich unser Glück kenne, Moni, sind die beiden schwul.”

“Und wenn!”, erwidert ihre Freundin. “Dann wollen sie uns wenigstens nicht gleich an die Wäsche. Schwule Jungs sollen doch ganz nette Typen sein.”

Damit bezahlen die Mädchen, nehmen bei ihre Eisbecher und wollen ihren Weg fortsetzen, als …

“Das können wir nur bestätigen”, hören sie hinter sich eine angenehme männliche Stimme sagen und drehen sich überrascht um. Es war Isi, der ihnen geantwortet hat, und sie nun kess anlächelt. “Oder was sagst Du, Tommy?”

“Ganz Deiner Meinung, Isi. Du bist der lebende Beweis”, schmunzelt Thomas.

Die Mädchen wechseln schnelle Blicke.

“Du bist schwul?”, ist die sichtlich baff, die die andere mit Moni angesprochen hat.

“Vorhin war ich es noch. Ich kann es nicht leugnen, und ich will es auch gar nicht”, bekundet Isi selbstbewußt seine sexuelle Orientierung.

“Wow! Sieht man gar nicht”, sagt die hübsche Schwarzhaarige, die nicht recht weiß, was sie sagen soll.

“Na ja, tuntig bin ich nicht, und ich trage auch keine rosa Leuchtreklame auf der Stirn”, kommentiert Isi die etwas ungeschickte Aussage. “Und mein Viktor leuchtet auch nicht rosa im Dunkeln, Stablampe und so”, lächelt er.

“Dein Viktor?”, steht die Schwarzhaarige einen Moment auf der Leitung.

“Na, sein Viktor!”, stupft ihre Freundin sie mit erhobenen Augenbrauen und eindeutiger Blickrichtung. “Seine ,Sonnenuhr’, sein Schwulometer!”

“Ach so! Natürlich! Wer oder was auch sonst”, lacht sie leise und legt dabei etwas Farbe zu.

“Und Du?”, sieht die Dunkelbraune nun Thomas an. “Seid Ihr Brüder, Freunde oder ein Pärchen?”

“Wir sind Freunde und noch habe ich eine Freundin”, antwortet er wahrheitsgemäß auf die etwas indiskrete Frage. Er hat nicht die Absicht, den zwar sehr nett wirkenden, aber noch fremden Schönheiten auf die Nase zu binden, daß er Isi nicht von der Bettkante schubsen würde − oder einen anderen hübschen Jungen. Er staunt auch ein wenig über Isis freimütige Aussage.

“Dürfte ich mal …”, unterbricht ein Mann mit einem kleinen Mädchen an der Hand die Unterhaltung, der offensichtlich eine Portion Eis für seine Tochter kaufen will.

“Oh, Entschuldigung”, sagt Moni und alle vier treten beiseite.

“Und Ihr?”, will Thomas im Gegenzug wissen. “Seid Ihr Schwestern, Freundinnen oder ein Pärchen? Und wie heißt Ihr?”

“Das ist meine Freundin Saskia und ich heiße Monique”, antwortet die Dunkelbraune.

“Isidor, genannt Isi, und Thomas”, deutet Thomas auf Isi und sich. “Seid Ihr auf Urlaub hier oder aus dem Achterland?”

“Wir sind hier in den Ferien. Unsere Eltern besitzen hinten im alten Dorf Ferienwohnungen, und jetzt sind wir ein paar Wochen hier“, antwortet Saskia. “Und Ihr?”

“Wir leben hier in der Seepferdchen-Siedlung”, erklärt Thomas mit einer richtungweisenden Hand-Arm-Bewegung als könne man über das Gebäude der “Klause” springen.

“Habt Ihr ein Glück”, beneidet Monique die beiden. “Da könnt Ihr ja immer an den Strand gehen!”

“Können wir”, nickt Thomas. “Machen wir auch.”

“Und wo wollt Ihr jetzt hin?”, fragt Saskia neugierig, während beide beginnen, ihr Eis zu löffeln.

“Rüber nach Nakedunien”, deutet Thomas die Richtung an.

“Zum Nacktbadestrand? Da waren wir noch nicht. Dürfen wir mitkommen?”, will Monique spontan wissen − und Saskia nickt zustimmend.

Die Jungs sehen sich an.

“Warum nicht”, meint Thomas. “Klar, warum nicht”, stimmt auch Isi zu, obwohl das fürs erste seinen gewünschten Tagesablauf umwirft.

“Aber wir sind dort natürlich nackt”, macht Thomas deutlich und sieht die Mädchen prüfend an.

“Ja und?”, zuckt Monique mit den Achseln. “Wir doch auch. Und wir haben schon nackte Jungs gesehen.”

“Wir haben beide Brüder”, ergänzt Saskia, aber die gehen uns im Moment gerade etwas auf die Nerven.”

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