HOFFNUNG UND TOD (The End 4)

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Aus der Reihe: The End #4
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»Dann hoffen wir mal, dass das so bleiben wird«, erwiderte Conner.

»Im Nordwesten wären da Washington und Idaho, wo sich die sogenannte Kaskadische Unabhängigkeitsbewegung gebildet hat, die aus zwei verschiedenen Fraktionen besteht. Die eine in West-Washington möchte sich gerne abkapseln und ist militanter, scheint in ihren Mitteln allerdings sehr beschränkt zu sein. Die andere ist im Osten des Staates und in Idaho angesiedelt. Auch sie strebt die Trennung an, hat sich aber ausdrücklich für eine friedliche Entscheidung starkgemacht, zum Beispiel in Form einer losen Angliederung. Die Gouverneure beider Gebiete berichten, solche Symbole sehe man überall.« Wilbur kehrte zum Tisch zurück und zeigte das Bild einer Fahne, die für die Kaskadische Bewegung stand. Sie war durchaus schön anzusehen. Drei Querstreifen mit einer Douglasfichte in der Mitte, die Farben von oben nach unten Blau, Weiß und Grün. Von dem Baum leitete sich auch ihr Name ab: Die ›Doug‹-Flagge.

Conner schnappte sich das Bild und schüttelte verärgert den Kopf. »Verfluchte Idioten, begreifen die denn nicht, dass wir unser Bestes geben, um ihnen zu helfen?«

Wilbur ignorierte sein Fluchen und fuhr fort: »Und nur zwanzig Meilen von hier entfernt erstreckt sich die Westgrenze der Republik von Lakotah. Auch sie besteht aus einem straff organisierten Kern, erfreut sich aber noch keiner breiteren Unterstützung. Aussagen zufolge hielten sich schon mehrere von ihnen hier in der Stadt auf. Wie es scheint, versuchen Sie, einen Marsch hierher in die Wege zu leiten, um uns von einer gewaltfreien Trennung zu überzeugen. Sie haben vor, Teile von Wyoming, Nord- und Süddakota sowie Nebraska abzuspalten.«

»Sie stehen bei uns vor der Tür und ich erfahre erst jetzt davon?«, echauffierte sich Conner.

»Sir, die panamerikanische Armee hat uns komplett in Beschlag genommen«, entschuldigte sich Baxter beiläufig. Der Präsident schaute ihn verdrossen an.

»Zuletzt bleibt noch ein Staatenbund zu erwähnen, der sich im Zuge unserer Bemühungen um den Osten formiert hat. Dazu gehören Georgia, Florida, Alabama, Mississippi und South Carolina, die sogenannte Dixie-Föderation. Ich erwähne sie nur, weil im Osten gerade etwas im Gange ist. Nachdem wir von dort abgerückt waren, ist ein gewaltiges Machtvakuum entstanden, das sie nun ausfüllen. Sie stellen keine Bedrohung für uns dar, doch ich dachte, sie sollten trotzdem darüber Bescheid wissen.«

Conner setzte sich wieder und betrachtete die Karte eingehend. Dabei fiel ihm auf, dass Wilbur auf zwei Bundesstaaten nicht eingegangen war. »Was ist in Oklahoma und Arkansas geschehen?«

»Ach so, Verzeihung, der südliche Teil von Oklahoma und fast ganz Arkansas möchte sich der Republik Texas anschließen.«

»Sie alle warten bestimmt darauf, dass ich einen Beschluss fasse, doch ich muss all das zuerst einmal sacken lassen, ehe ich entscheiden kann, ob wir etwas gegen diese Splittergruppen unternehmen müssen. Hat noch jemand irgendetwas hinzuzufügen?«

»Ich frage mich, ob Sekretärin Wilbur zu einer eigenen Einschätzung gelangt ist, seit sie diesen Bericht zusammengestellt hat«, bemerkte Baxter.

»Ja, das bin ich in der Tat. Ich finde, wir müssen intensiv zu diplomatischen Verhandlungen mit diesen Gruppen übergehen, damit wir verstehen, was genau sie suchen. Wie ich festgestellt habe, wollen die Menschen manchmal nichts weiter, als dass man ihnen zuhört …«

»Oder Geiseln nehmen!«, scherzte Baxter in Bezug auf den vereitelten Versuch vonseiten der Separatisten der Unabhängigkeitspartei Montana einige Wochen zuvor, Wilbur zu entführen. Man hatte Conner und die Vereinigten Staaten darum gebeten, sich im Guten zu trennen. Aber bei ihrer Anreise unter Major Schmidts Schutz war sofort alles hinfällig geworden, weil es sich in Wirklichkeit um einen Hinterhalt gehandelt hatte. Sie war gekidnappt worden, um sie gegen ein Abkommen mit dem Präsidenten einzutauschen, doch Major Schmidt hatte nicht mit sich verhandeln lassen, sondern angegriffen.

»Ernsthaft«, bat sie. »Wir sollten mit diesen Menschen sprechen, um herauszufinden, ob sich die Sache nicht vielleicht friedlich klären lässt.« Kurz darauf fügte sie hinzu: »Und das sage ich trotz gegenteiliger Erfahrungen.«

Conner nickte und löste dann die Versammlung auf. »Wilbur, vielen Dank. Geben Sie mir Zeit zum Nachdenken. Wir werden bereits hin- und hergerissen. Teilweise würde ich diesen Gruppen am liebsten die Pistole auf die Brust setzen und diesem Elend ein für alle Mal ein Ende bereiten.«

»Das wäre nicht meine Empfehlung, Sir. Wir können nicht einfach jeden Widerstand mit militärischer Gewalt brechen. So weit wie in Montana hätte es nie kommen dürfen«, entgegnete Wilbur.

»Ich weiß ja nicht, wie es Ihrer Ansicht nach dort hätte laufen sollen, doch diesen Menschen war nicht nach Verhandeln zumute«, hielt Conner dagegen. »Was passiert ist, ist passiert, und ich kann nachts ruhig schlafen in der Gewissheit, dass die Gefahr, die von ihnen ausging, nun gebannt ist, und Sie wieder in Sicherheit sind. Machen wir eine kurze Pause und treffen uns in zehn Minuten hier wieder.«

Alle im Raum standen auf. Einige gingen nach draußen, während andere anfingen, sich miteinander zu unterhalten. Conner brütete über Wilburs Karte. Ihm gefiel nicht, was er dort sah. Wenn nicht bald etwas geschah, würde er kein Land mehr haben, das er als Präsident regieren konnte.

McCall, Idaho

Das Gelächter der Kinder riss Gordon aus seinen widersprüchlichen Gedanken. Als er sich umdrehte, sah er Haley, die hinter Austin herjagte. Als er ihr strahlendes Gesicht erblickte, war ihm klar, dass er es nicht riskieren durfte, erneut zu verschwinden. Er konnte sein Versprechen gegenüber Samantha nicht einfach brechen. Brittany bedeutete ihm zwar etwas, aber nicht genug, um seiner Frau und Tochter abermals wehzutun.

Gordon ertappte sich dabei, dass er versucht war zuzusagen, weil sie die Vorräte brauchten. Er hatte eine ›apokalyptische Zwangsneurose‹ entwickelt, wie Samantha es gerne nannte. Ständig versuchte er, alles Notwendige zum Erhalt seiner Familie zu ergattern. Er wusste, mit seinem außerordentlichen Abstecher nach Oregon hatte er sich auf dünnes Eis begeben, war aber dankbar für die Geräte, Nahrungs- und Arzneimittel, die ihm dieses Abenteuer beschert hatte, nicht zu vergessen den Hummer. Diese Reise kam ihm aber nun selbst mit dem Anreiz von Versorgungsgütern zu gewagt vor.

»Möchtest du etwas essen?«, fragte er Michael.

»Gegen einen Happen hätte ich nichts einzuwenden.«

Sie gingen zum Haus. »Sam? Michael ist hier!«, rief Gordon, als sie eintraten.

Während er durch das große Wohnzimmer ging, sah er hinten auf der Terrasse Gunny und seine Männer, aber nicht Samantha. Also ging er weiter, weil er sie im Elternschlafzimmer vermutete. Und er hatte recht: Als er eintrat, saß sie in einem rustikalen Schaukelstuhl in der Ecke.

»Hey, Liebes, Michael ist da. Er hat das Holz gebracht und ich mache ihm etwas zu essen. Bist du auch hungrig?«

Sam hatte sich in ein Buch vertieft. Sie legte es frustriert nieder, als Gordon sie ansprach. »Diese Ratgeber kommen mir vor wie die Medizinseiten im Internet. Glaubt man diesem Buch, wird sie bald sterben.«

»Was?«

»Das sollte ein Scherz sein, kam aber wohl nicht richtig rüber. Ihre Symptome treffen auf so viele Krankheiten zu, die größtenteils sehr ernst sind.« Sie unterbrach sich, um nachzudenken. »Ich habe Angst um sie. Ihr geht es jetzt schon fast eine ganze Woche schlecht. Da stimmt etwas nicht. Ich hatte gehofft, dieses Buch würde mich schlauer machen, aber die Anzeichen, die sie an den Tag legt, decken sich mit Symptomen angefangen von Krebs bis hin zu Gicht. Es ist verrückt.«

»Ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass Sebastian sie heute zu einem Arzt bringt.«

»Na endlich, wo lag denn sein Problem? Das hätte er schon viel früher tun sollen.« Samantha war ihrer Schwägerin während der letzten Monate sehr nahegekommen.

»Ich finde nicht, dass fünf Tage Warten gleich über Leben oder Tod entscheiden. Sie hat sich wahrscheinlich einen Virus oder etwas Ähnliches eingefangen. Ihr wird es bestimmt bald wieder besser gehen.« Gordon ging zu ihr und ließ sich auf einem Knie nieder. Als er ihre Hand nahm, fuhr er fort: »Zerbrich dir nicht zu sehr den Kopf.«

Samantha drückte seine Hand und lächelte. »Du hast recht. Ich bin mir sicher, sie kommt wieder in Ordnung. Mir ist nur unwohl dabei. Was früher mal Kleinigkeiten waren, kann jetzt eine große Rolle spielen, so ist es halt.«

»Ich weiß, aber jetzt sag: Soll ich dir etwas zum Essen machen?«

»Nein, ich habe keinen Hunger, lass nur.«

»Okay.« Gordon erhob sich und ließ sie wieder allein.

Vor dem Zimmer war es mit seiner gerade zur Schau gestellten Gelassenheit allerdings vorbei, denn er verzehrte sich vor Sorge, dachte an die »Bedenken und Zweifel«, die ihn vor der Katastrophe geplagt hatten. All diese Dinge kamen ihm nun so weit weg und nichtig vor. Wer krank gewesen war, hatte einen Arzt aufgesucht, sich abklopfen und ein paar Tests machen lassen, daraufhin Medikamente bekommen und nach ein paar Tagen normalerweise keine Probleme mehr gehabt. Zu erkranken war damals eher eine Unpässlichkeit gewesen, während es nun wirklich oftmals um Leben oder Tod ging. Er schüttelte sich bei der Vorstellung daran und ging in die Küche.

Coos Bay, Oregon, Pazifische Staaten von Amerika

Die heftigen Kämpfe der vergangenen Nacht hatten Barone bestärkt. Sein letztes »Schlachtgetümmel« war lange her gewesen. Zwischendurch schienen seine Männer zu unterliegen, doch das Blatt hatte sich gewendet, als die Verstärkung der Makin Island eingetroffen war. Gemeinsam mit seinen Sicherheitskräften hatten sie den Ansturm zerschlagen und Dutzende von Widerständlern gefangen genommen.

 

Jetzt stand er vor dem Spiegel und betrachtete sein blutiges, angeschwollenes Gesicht. So erbittert hatte er lange nicht gekämpft, doch gestern war er es leid gewesen, sich im Hintergrund zu halten. Er hatte es von Mann zu Mann austragen wollen, selbst wenn er dabei umgekommen wäre.

Mit dem Waschlappen, der im Becken lag, begann er langsam und behutsam das Blut und den Schmutz zu entfernen. Mit jeder Handbewegung kam ein Stück seines Gesichts zum Vorschein, doch es sah nicht mehr so aus wie am Vortag. Etwas an ihm hatte sich verändert. Seine Männer hatten es auch bemerkt. Diejenigen, die ihm treu geblieben waren, kannten seine Tatkraft, hatten aber nie zuvor erlebt, wie sich der Kommandant selbst in die Schlacht stürzte. Letzte Nacht aber hatte er Auge in Auge mit dem Gegner gekämpft.

Nun sah er eine öffentliche Gerichtsverhandlung für die Gefangenen vor, wollte jedoch vorher noch Informationen aus ihnen herauspressen.

Es klopfte an der geschlossenen Badezimmertür, dann erklang die Stimme von Simpson: »Sir, Mr. Timms ist hier. Er wartet im Vorraum ihres Büros.«

Barone trocknete seine Hände ab und öffnete die Tür. Simpson hatte sich nach der Auseinandersetzung noch nicht gewaschen. »Was will er? Wir haben ihn schon seit Wochen nicht gesehen«, meinte der Colonel. »Wie geht es Ihnen?«

»Gut Sir, es zwickt bloß hier und dort«, antwortete Simpson grinsend. »Einen solchen Kampf hatte ich zuletzt vor anno dazumal.«

»Ach was, Sie waren großartig gestern Nacht, ein echter Krieger.« Barone schenkte ihm ein Lächeln.

»Danke, Sir. Wir tun, was wir können, um die Verteidigung wiederaufzubauen. Außerdem reagieren wir bereits darauf, was wir von unseren Gefangenen in Erfahrung gebracht haben, und heben gerade einige Rebellennester aus.«

»Gut, sehr gut. Und wenn Sie die Zeit finden, waschen Sie sich bitte.«

»Natürlich, Sir. Außerdem dachte ich, Sie würden vielleicht gerne wissen, dass sich unter den gefangenen Aufständischen auch Major Ashley befand«, meinte Simpson.

Barone machte große Augen, als er das hörte. »Was Sie nicht sagen. Haben wir unseren Verräter also endlich! Hat der Kerl schon gesungen?«

»Nein, seine Lippen sind nach wie vor versiegelt.«

»Sie wissen ja, was zu tun ist«, erwiderte der Colonel.

»Jawohl, ich mache mich sofort an die Arbeit«, antwortete Simpson, drehte sich um und ging.

Barone betrat den Vorraum, wo der Wartende saß und nervös mit den Fingern auf seinem Bein herumtrommelte.

»Mr. Timms, Sie sehen aus wie jemand, dem der Arzt gerade gesagt hat, er habe Analkrebs. Alles in Ordnung mit Ihnen?«

»Ja, es geht mir gut. Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben«, entgegnete Timms, stand auf und streckte einen Arm aus, um Barone die Hand entgegenzustrecken.

Dieser ging nicht auf die Geste ein, sondern marschierte einfach an ihm vorbei in sein Büro.

»Kommen Sie mit!«, drängte er.

Timms gehorchte und setzte sich sofort in einen Sessel, der vor dem Schreibtisch stand. Als er das zerbrochene Glas darauf sah und bemerkte, dass einige der Möbel verrückt waren, war er sichtlich verwundert.

»Machen Sie gefälligst die Tür zu!«, befahl Barone unwirsch.

Augenblicklich sprang Timms auf, kehrte zum Eingang zurück und schloss die Tür. »Was für eine Nacht gestern …«

»Oh ja, aber wir haben gesiegt, und das ist das Einzige, was zählt«, erwiderte Barone, während er Scherben von seinem Stuhl fegte, um sich darauf niederzulassen.

»Davon hörte …«

»Mr. Timms, ich habe zu tun«, fuhr Barone dazwischen. »Für Geplänkel fehlt mir die Zeit. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

Schweiß brach auf Timms’ Stirn aus. »Verzeihung, Colonel. Mittlerweile geht es hier wirklich drunter und drüber. Mir ist klar, dass Sie sich wünschen, dass das alles ein Ende nimmt, und ich glaube, ich habe einen Plan.«

Barone entspannte sich in seinem Sessel. Nach einer ganzen Nacht auf den Beinen tat es gut, sich hinzusetzen. »Ich bin ganz Ohr, außer es läuft darauf hinaus, dass wir aus Coos Bay verschwinden sollen.«

»Es handelt sich sozusagen um einen großen Kompromiss. Sie müssen nicht verschwinden, aber unbedingt abtreten. Sie dürfen weiter hier leben, müssen jedoch die Befehlsgewalt über Ihre Truppen abgeben.«

»Das ist keine Lösung. Wenn das also alles ist, was Sie vorzubringen haben, wissen Sie ja, wo die Tür ist.«

»Bitte, Colonel, hören Sie mir zu«, flehte Timms. »Die Rebellen werden keine Ruhe geben. Sie haben vielleicht die gestrige Schlacht gewonnen, aber vorbei ist es damit nicht.«

»Seien Sie sich Ihrer Vorhersagen mal nicht so sicher. Unser Sieg gestern war bedeutsam, besonders weil wir ihren Anführer schnappen konnten«, ließ ihn Barone wissen.

»Sie haben Major Ashley?«, fragte Timms entsetzt.

»Ja, und er wird gerade in die Mangel genommen. Wir haben Dutzende Rebellen festgenommen, die nun alle verhört werden. Sie irren sich also, falls Sie denken, ich wäre hier nicht im Vorteil.«

»Colonel, ich glaube nicht, dass der Widerstand enden wird, nur weil Sie Major Ashley gefangen haben. Sie müssen begreifen, dass mittlerweile Tausende gegen Sie und Ihre Militärgewalt stehen. Sehen Sie ein, dass die einzige Möglichkeit zur Schlichtung darin besteht, dass Sie Ihren Posten niederlegen und die Kontrolle an einen neu gewählten, bürgerlichen Befugten …«

»Das reicht, ich höre mir das nicht länger an«, knurrte Barone. »Also: Sie kennen den Weg hinaus!« Er zeigte auf die Tür.

Timms ließ nicht locker. »Bitte, Colonel. Ich habe nichts gegen Sie, doch mein Plan wird aufgehen, davon bin ich überzeugt.«

»Warum?«, fragte Barone wütend. Die lange Nacht und der ausgiebige Alkoholkonsum machten sich bemerkbar. Kopfschmerzen bahnten sich an und er fühlte sich am ganzen Körper wund und zerschlagen.

Timms blieb ruhig sitzen. Er wusste nicht, wie er vorgehen konnte, ohne Barone zu erzürnen.

Schließlich stand der Colonel auf und ging auf die Bürotür zu. »Mr. Timms, wenn Sie diese Frage nicht beantworten können, muss ich Sie bitten, zu verschwinden. Ich bin müde und habe heute noch viel vor mir.« Nachdem er sie geöffnet hatte, wies er einen Marine, der davor wachte, an, ihm Kaffee zu besorgen. Als er sich wieder umdrehte, saß Timms immer noch vor dem Schreibtisch.

»Colonel, ich habe mich mit den Rebellen getroffen, und sie spielen mit dem Gedanken, einen Waffenstillstand …«

»Sie haben heimlich mit denen verhandelt?«

»Colonel, jemand muss eine diplomatische Lösung für diese Situation finden. Sie ist längst außer Kontrolle geraten und es wurde schon zu viel Blut vergossen. Ich weiß, tief in Ihrem Herzen wünschen Sie nichts anderes als einen Platz, den Sie Ihr Zuhause nennen können. Doch das ist unser aller Wunsch. Wir suchen einen Ort, an dem wir nicht mehr in ständiger Angst leben müssen.«

»Der Frieden ist mit der Bürgermeisterin zu Ende gegangen!«

»Nein, Colonel, mit Ihnen! Ich bin vom ersten Tag an auf Ihrer Seite gewesen. Natürlich gab es auch Vorbehalte meinerseits, doch ich sah über Ihre vergangenen Fehltritte hinweg, weil wir Sie brauchten – und Sie brauchten uns. Schauen Sie sich um, Colonel, das kann doch nicht ewig so weitergehen!« Timms brüllte jetzt fast.

Barone neigte den Kopf verwundert zur Seite. Er hatte noch nie erlebt, dass sich der Mann dermaßen in Rage redete. Nachdem er das eine Weile auf sich hatte wirken lassen, kehrte er zu seinem Sessel zurück und nahm erneut Platz. »Im Augenblick halten wir den Anführer der Aufständischen fest. Gestern Nacht haben wir über hundert von ihnen umgebracht sowie Dutzende festgenommen, und Sie glauben, ich sollte jetzt aufhören? Ich entscheide das hier, und ich werde die Waffen nicht niederlegen!«

Timms atmete lange aus. Die Frustration stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Zu hören, dass Sie nicht verhandlungsbereit sind, betrübt mich.«

»Die Verhandlungen waren zu Ende, als mir die Bürgermeisterin zu verstehen gab, sie werde keine Ruhe geben, bis ich verschwunden wäre. Sie kündigte an, man werde bis zum bitteren Ende kämpfen. Ich reagierte darauf mit aller Härte und werde dies auch mit ihren Nachfolgern tun.«

»Colonel, wir könnten das Ganze auch klären, ohne dass Sie von hier verschwinden müssten. Alles, was Sie tun müssen, ist lediglich zurückzutreten und Ihren Vertreter übernehmen lassen, eine Wahl anberaumen und zulassen, dass hier alles wieder so wird, wie es zuvor gewesen ist«, zählte Timms auf.

Ein Klopfen an der Tür lenkte Barone ab. »Herein!«

Einer der Gefreiten, die Wache standen, trat mit zwei Tassen Kaffee ein. Er kam herüber und stellte sie auf dem Tisch ab.

Gerade als Timms eine Tasse nehmen wollte, sagte der Colonel: »Die Zweite wäre nicht nötig gewesen, Mr. Timms wollte gerade gehen.«

Nun stand dieser endlich auf. »Bitte denken Sie über meinen Vorschlag nach, Colonel.«

Der Wachmann folgte ihm hinaus und schloss die Tür.

Barone zog seinen Kaffee zu sich und nahm einen kräftigen Schluck. Dann lehnte er sich im Sessel zurück und begann, sich das Angebot durch den Kopf gehen zu lassen, das ihm Timms unterbreitet hatte. Insgeheim war er das Kämpfen leid und sehnte sich tatsächlich nach einem sicheren Ort, an dem er für den Rest seines Lebens bleiben konnte. Als er in Coos Bay eingetroffen war, hatte er geglaubt, diesen Platz gefunden zu haben, doch dann war alles in einen verbissenen Machtkampf ausgeartet. Jetzt wanderten seine Gedanken zu einem Fleckchen, wo er sich niederlassen konnte, wenn er das Angebot annehmen würde. In seinem Kopf nahm langsam eine Hütte an einer abgeschiedenen Stelle Gestalt an, wo er bis ans Ende seiner Tage die Beine hochlegen könnte. Sein Siegesdrang zerschlug diese Vision jedoch schnell. Im Herzen haderte er mit zwei widersprüchlichen Bedürfnissen: Den Plan zu akzeptieren bedeutete, dass er das Gefühl haben würde, gescheitert zu sein, ja sogar aufgegeben hatte. Er richtete sich rasch im Sitz auf und verdrängte den Gedanken, seinen Schwanz einzuziehen. Nein, er war noch nicht fertig mit dem Kämpfen, und wenn ihm das Gefecht in der vergangenen Nacht eines gezeigt hatte, dann, dass er möglicherweise kurz vor dem endgültigen Sieg stand.

Elko, Nevada

Pablo nippte an seinem brühend heißen Espresso und sah sich den jüngsten Kartenriss von Cheyenne an. Dort endete sein Eroberungsfeldzug durch die Vereinigten Staaten. Alles Weitere würde sich auf das Verjagen von bunt gemischten und zivilen Widerstandsgruppen belaufen. Nahm er Cheyenne ein und vernichtete die übrigen Elemente der US-Regierung, konnte er der Welt endlich offiziell verkünden, dass er die einst so große Supermacht im Alleingang unterworfen hatte. Dies würde ihn in die Lage versetzen, die Anfänge einer neuen Instanz auf der Welt – die des panamerikanischen Imperiums – in den Geschichtsbüchern zu verewigen.

Er weidete sich an seiner eigenen Genialität. Wäre jemand anderes mit diesem Plan zu ihm gekommen, hätte er ihn verspottet. Im Laufe der Zeit hatte er die wesentlichen Macher und die Logistik organisiert, während die Vereinigten Staaten durch eine ununterbrochene Folge kleinerer Angriffe beschäftigt gewesen waren. Pablo dachte an die Tage kurz nach dem 11. September 2001 zurück und fragte sich, weshalb die Akteure hinter den Anschlägen damals nicht weitergegangen waren. Sie hatten sich die Gelegenheit entgehen lassen, die USA mithilfe fortwährender Gefechtshandlungen im kleinen Rahmen wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Terrorismus war ein geeignetes Mittel, um Chaos zu verursachen, diente aber auch als Vorspiel eines Angriffs, der das Land vernichtend traf, um den Weg für eine Eroberung zu ebnen, das wusste er.

Er lachte, als er sich daran erinnerte, wie die Russen versucht hatten, ihm Atomsprengköpfe anzudrehen, ohne daran zu denken, dass sich diese zu ihnen oder den Nordkoreanern zurückverfolgen ließen, mit denen er zusammengearbeitet hatte, um die Supermagnetimpulswaffen zu entwickeln. Genau die, an deren Entstehung sie beteiligt gewesen waren, würden ihr Regime schlussendlich vernichten. Wer die Vorherrschaft erlangen wollte, würde einen hohen Preis dafür zahlen.

Er stand kurz davor, Ziele zu erreichen, die er sich vor fast drei Jahren gesteckt hatte. Nur noch 669 Meilen trennten ihn davon. Pablo wusste, dies war nur die erste vieler weiterer Phasen des Aufbaus seines panamerikanischen Imperiums, allerdings auch die wichtigste. Sobald er die USA gestürzt hatte, würde er sich der Absetzung der mexikanischen Regierung widmen. Von den Magnetimpulsen waren die zwar die Vereinigten Staaten betroffen gewesen, nicht aber die Südhälfte seines Heimatlandes mitsamt der Hauptstadt. Da man die Bombe über Kansas gezündet hatte, beschränkte sich der Wirkungskreis auf Nordamerika und den Norden Mexikos.

 

Die Gedanken an seine Landesregierung erinnerten ihn auch wieder an seine Eltern, und zwar auf unangenehme Weise. Er hatte seit Monaten nicht mehr mit ihnen gesprochen und ahnte, dass sie sich sogar weigern würden, wenn er versuchte, sie zu erreichen. Dies enttäuschte ihn einerseits, spornte ihn aber zugleich auch an, noch größer und mächtiger zu werden. Er wusste instinktiv, dass sein Vater ihn zu guter Letzt respektieren würde für das, was er zu erreichen imstande gewesen war. Als er sich nun vergegenwärtigte, dass sein alter Herr ihn wegen seines Plans an jenem Tag vor Tijuana gescholten hatte, kam es ihm lächerlich vor in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Mann selbst an die Spitze seines Kartells gemeuchelt hatte. Es war seine Mutter, wegen der Pablo Bedenken hatte, denn dass sie nicht mehr mit ihm reden wollte, setzte ihm zu. Bevor er zu seinem Vorhaben aufgebrochen war, hatte er versucht, sich mit ihr zu unterhalten, doch sie war die immer treue Gattin seines Vaters geblieben. Seine Eltern lebten nun beschützt von seinen Streitkräften in Mexiko. Er hatte ihnen die luxuriöse Unterkunft überlassen, ihnen aber verboten, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen, denn das konnte er nicht riskieren. Da er es geschafft hatte, den Patriarchen zu stürzen, was würde diesen nun davon abhalten, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen?

Ein flüchtiger Blick auf seine Uhr zeigte Pablo, dass er zu spät zur Besprechung mit seinen Befehlshabern kommen würde. Also stellte er seine Tasse Espresso hin, wischte sich den Mund mit einer Serviette aus Leinen ab und verließ dann das Haus, in dem er während der Besetzung von Elko untergekommen war.

Auf der kurzen Fahrt zu seiner vorübergehenden Militärbasis nahm er sich Zeit, die Ergebnisse seines Tuns zu begutachten. In jeder Straße standen nun verlassene Fahrzeuge, lag Müll und gelegentlich auch eine Leiche. Ab und zu ertönten Gewehrsalven. Seine Männer stürmten zurzeit alle Wohnhäuser, in denen sie Widerstandskämpfer vermuteten. Sein Kommandoelement verfügte über die Daten aktiver und ehemaliger Militärs, die sie in Sacramento gefunden hatten, sowie über Listen registrierter Waffenbesitzer und beantragter Waffenscheine aus den Akten des Sheriffs. Damit die Villistas ungehindert operieren konnten, war als eines der ersten Gesetze kategorisches Waffenverbot verhängt worden. Niemand durfte aus welchem Grund auch immer eine Waffe bei sich tragen oder besitzen. Erwischte man jemanden damit, tötete man ihn sofort, ohne Fragen zu stellen.

Nachdem Pablo zwei Kontrollpunkte passiert hatte, kam er am alten Rathaus an. Im Besprechungsraum platzte er überraschend in eine hitzige Debatte einer seiner rangniederen Offiziere mit General Alejandro. Die beiden Männer schrien einander mit roten Gesichtern an, während das restliche Dutzend Personen dem heftigen Wortgefecht erstaunt zuschaute.

»Was ist hier los?«, wollte Pablo wissen.

Als die zwei Streithähne seine Stimme hörten, hielten sie schlagartig inne und standen still. Auch die anderen nahmen rasch Haltung an.

»Rührt euch! General Alejandro, was geht hier vor sich?«, fragte der Imperator.

Niemand unter den Anwesenden setzte sich, sie alle blieben stumm stehen.

»Rührt euch!«, rief Pablo erneut. »Setzen!«

Die Offiziere gehorchten und ließen sich auf ihren Stühlen nieder, nur General Alejandro nicht.

»Sir, es tut mir leid, dass Sie sich das gerade anhören mussten, Colonel Ramos und ich …«

»Sie haben sich nicht wie Amtsträger verhalten, ganz richtig. Nun, was hat eine solche Auseinandersetzung zwischen Ihnen beiden ausgelöst?«

Colonel Ramos stand wieder auf und begann: »Imperator, ich bitte um …«

»Schweigen Sie, ich habe Sie nicht gefragt!«, blaffte Pablo.

Ramos setzte sich schnell wieder.

»Imperator, der Colonel und ich, wir sind uns nicht darüber einig, wie wir – die Armee – fortfahren sollen. Er plädiert gegen unseren Joker, wenn Sie mir den amerikanischen Ausdruck bitte verzeihen würden.«

Pablo lächelte. »Ich mag das Wort, das muss ich gestehen. Sagen Sie, Colonel Ramos, wenn Sie meinen, wir sollten die Überreste der US-Regierung nicht mit unserem Joker schlagen: Was dann?«

Ramos sah seinen Gebieter nervös an. Er wusste genauso gut wie alle anderen, wie skrupellos Pablo vorging. »Imperator, mit jeder weiteren Stadt, die wir erobern, verlieren wir Männer und wertvolle Ausrüstung. Was ich meine: Wenn wir den ganzen Weg bis nach Cheyenne zurücklegen, wird keine starke Armee mehr hinter uns stehen. Und muss klar sein, dass die amerikanische Regierung nicht einfach weichen wird, also ist es wichtig, dass wir uns auf einen harten Kampf gefasst machen.«

»Ganz recht, ein harter Kampf ist genau das, was ich will!«, posaunte Pablo.

»Imperator, bei allem gebührenden Respekt, indem wir …«

»Wir werden die Amerikaner niederringen«, stellte er klar. »Ich möchte Präsident Conner in die Augen schauen, bevor ich sein Leben nehme. Ich möchte, dass er weiß, wer ihn besiegt hat. Alles andere wäre feige.«

»Aber Sir, war die Atombombe auf Hiroshima feige?«, fragte Ramos provokant. »Dadurch gewannen sie den Krieg. War der Einsatz von Elektromagnetimpulsen zu ihrer Bezwingung feige?«

Im Raum wurde es nach diesen Worten unheimlich ruhig.

Pablo antwortete ihm nicht. Stattdessen lächelte er einen Augenblick lang, bevor er aufstand. Er ging um den Tisch herum und blieb hinter dem Stuhl des anderen stehen. »Colonel Ramos, ich weiß zu schätzen, dass Sie sich so freimütig äußern. Mir ist klar, dass meine generelle Strategie nicht dem entspricht, was Sie tun würden, doch hier habe ich das Sagen! Meine Offiziere sollen sehr gerne offen über Taktiken und Vorgehensweisen diskutieren, aber dass wir unseren Joker benutzen, wie Sie es nannten, ist beschlossene Sache. Das Ding steht bereit, das Team ebenfalls, und falls wir es müssen, werde ich es verwenden. Erst wenn sich abzeichnen sollte, dass wir die Amerikaner nicht am Boden schlagen können, werde ich auf diese Waffe zurückgreifen.«

Ramos war leichenblass geworden. Er warf jetzt über die Schulter einen Blick zu Pablo. Der Imperator hatte riesige Angst, das wusste er, und diese Angst könnte ihm jeden Moment einen Todesstoß versetzen.

»Ich will nichts mehr davon hören, habe ich mich klar ausgedrückt, Colonel?«, fragte Pablo ihn ganz direkt.

Ramos schluckte und antwortete: »Jawohl, Imperator.«

»Gut, und das gilt auch für alle anderen hier«, betonte Pablo streng. »Sobald wir ein Thema abgehakt haben, bleibt es abgehakt. Heute möchte ich mit Ihnen über die Aufstellung unserer Villistas und den weiteren Zeitrahmen sprechen.«

»Imperator, ich würde vorschlagen, dass wir uns auch über unser nächstes größeres Ziel austauschen«, warf Alejandro ein.

»Genau, reden wir über Salt Lake City«, erwiderte Pablo grinsend.

Cheyenne, Wyoming

Hinter Conner lag ein anstrengender Tag. Es hatte ihn schon immer fasziniert, dass man sich körperlich auspowern konnte, indem man nur dasaß und redete. Was er während seiner Arbeit in Washington, D.C. stets für selbstverständlich gehalten hatte, waren die vielen Mittel, mit denen sich jeder Kongressabgeordnete oder Senator hatte behelfen können – Bedienstete, Gehilfen und weiteres Personal. Erst jetzt gewann er Hochachtung gegenüber den politischen Führern aus der Pionierzeit: den Männern, welche die Verfassung selbst geschrieben hatten. Während der Jahrzehnte vor dem Zusammenbruch hatte man nicht einmal welche finden können, die richtig mit dem Gesetzeskanon vertraut gewesen waren, auf den sie geschworen hatten. Ein Großteil der Politik beschränkte sich nur noch auf List und Tücke, Führungsqualitäten und staatsmännische Fähigkeiten waren schon vor vielen Jahren ausgestorben.

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