HOFFNUNG UND TOD (The End 4)

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Aus der Reihe: The End #4
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»Ich danke Ihnen allen dafür, dass ich mich an Ihren Feuern wärmen durfte«, sagte Conner und stand auf. »Gott behüte Sie.«

Die Familie bedankte sich ebenfalls.

Während sie sich von der Wärme und Helligkeit des Feuers entfernten, sagte Pat: »Sie tun etwas Gutes hier.«

Conner antwortete nicht. Er schlug einen schnelleren Schritt an, als sie zu ihrem Wagen gingen.

»Alles in Ordnung?«, fragte Pat.

Nun blieb der Präsident stehen und schaute ihn an. »Nein, nichts ist in Ordnung.«

So hatte Pat ihn noch nie erlebt. Conners sanftes Gemüt war verschwunden, stattdessen wirkte er angespannt und aufgewühlt.

»Worum geht es?«

»Diese Menschen erwarten, dass ich sie beschütze, und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob wir uns gegen die panamerikanische Armee durchsetzen können. Wir greifen sie zwar unentwegt an, doch das scheint sie nicht zu beeindrucken. Dieser Imperator nimmt eine Stadt nach der anderen ein. Das Einzige, was mich jetzt noch davon abhält, Atombomben einzusetzen, sind die unzähligen weiteren Opfer, die das nach sich ziehen würde.«

»Dann tun Sie es doch, immerhin ist es dann vorbei«, riet ihm Pat unumwunden.

»So einfach ist das nicht, wenn man selbst derjenige ist, der den Knopf drückt. Ich habe vor Monaten Millionen getötet, indem ich Atomschläge gegen all unsere Feinde – alte und neue – veranlasst habe. Ohne an die Konsequenzen zu denken, habe ich so vielen Leben ein Ende gesetzt. Dieser Entschluss führte dazu, dass unsere Verbündeten die Vereinigten Staaten mit anderen Augen sahen, bis ich sie davon überzeugen konnte, dass so etwas nie wieder geschehen werde. Wie viele Menschen sind hier gestorben, weil wir die Hilfe, die wir dringend benötigt haben, nicht früher erhalten haben? Ich habe mir selbst das Versprechen abgenommen, dies nicht noch einmal zu tun. Glauben Sie mir, dann wäre die ganze Sache vorbei, das weiß ich – und ich weiß auch, es mag merkwürdig klingen, doch jetzt, wo ich alles Recht der Welt dazu hätte, bringe ich es einfach nicht mehr fertig.«

»Hören Sie auf, sich selbst zu geißeln.«

»Das sagt sich so leicht, wenn man nicht derjenige ist, zu dem alle aufblicken«, gab Conner zu bedenken.

»Gewiss, ich wollte Ihre Verantwortlichkeiten auch nicht herunterspielen.«

»Was täten Sie? Würde Pat in meiner Haut stecken, wie sähen seine Ideen aus?«

Pat blieb still.

»Sehen Sie? Doch nicht so einfach, wenn man anfangen muss, sich all die Verstrickungen durch den Kopf gehen zu lassen.«

»Im Ernst, fragen Sie mich jetzt wirklich um Rat?«

»Nein, ich frage nur: Was würden Sie tun? Ich will keinen Rat von Ihnen, mein Gott, den erhalte ich täglich von unzähligen Personen. Nein, ich möchte nur, dass Sie sich kurz in meine Lage versetzen und einen Entschluss fassen.«

Nun da Pat verstand, worauf Conner hinauswollte, schwieg er wieder, um nachzudenken. »Ich, äh … ich kann Ihnen nicht sagen, was ich tun würde.« Er holte tief Luft. »Wäre ich Sie, müsste ich alles wissen. Ich könnte keine Entscheidung von solcher Tragweite treffen, ohne das Problem von allen Seiten betrachtet zu haben.«

»Welche Informationen bräuchten Sie denn?«

»Also, ich weiß nicht genau … würde eine Bombe genügen oder müssten es mehrere sein? Was geschähe hinterher? Gäbe es einen Fallout?«

»Begreifen Sie nun, was ich meine? Ist kein Zuckerschlecken. Wenn das volle Gewicht eines Beschlusses auf Ihren Schultern lastet, überlegen Sie es sich zweimal.«

»Tut mir leid, das war mir nicht bewusst.«

»Ach, was Sie nicht sagen.«

»Es tut mir leid, dass ich die Antwort, die Sie suchen, nicht kenne. Doch ich denke, Sie müssen abwägen, was schlimmer ist, die Verseuchung Ihres Landes durch diesen Gegner oder durch Atomstaub.«

»Verzeihen Sie mir, ich musste ein wenig Dampf ablassen«, sagte Conner leicht niedergeschlagen.

»Wie wär’s, fahren wir zum Shop und trinken etwas?«, schlug Pat vor.

Gerade als Conner zustimmen wollte, schaltete sich einer seiner Leibwächter ein. »Entschuldigung, Sir, General Baxter sucht nach Ihnen. Er hat wichtige Informationen.«

Conner nahm die Nachricht zur Kenntnis, ehe er sich wieder Pat zuwandte. »Ein anderes Mal vielleicht«, sagte er. »Die Pflicht ruft. Tun Sie mir einen Gefallen und steigen Sie in den Wagen unserer Eskorte. Man wird Sie nach Hause bringen. Ich muss zurück ins Büro.«

Als Conner später allein in seinem Wagen saß, versank er in stillem Grübeln. Er wünschte sich nichts lieber, als die panamerikanische Armee zu zerstören, konnte aber nicht so handeln, wie er wollte, ohne Gefahr zu laufen, wieder Verbündete zu verärgern. Er wurde in so viele unterschiedliche Richtungen gezogen, weil er versuchte, verschiedenste Gedanken und Parteien miteinander zu versöhnen. Die eine Seite setzte ihn unter Druck, die Regierung noch weiter auszubauen, die nächsten wollten, dass er sich für den Frieden starkmachte oder den Kampf bis zum bitteren Ende austrug, und wiederum andere verlangten, dass er sich auf offene Verhandlungen mit radikalen Gruppen einließ … er konnte ja kaum Frieden innerhalb seines eigenen Stabes stiften, wo ein jeder laut und flammend für seine jeweilige Sache eintrat.

Kürzlich hatte Conner die Historie herangezogen, um Beispiele zu finden, an denen er sich orientieren konnte, und hatte eines gefunden: Lincoln! Vor der Katastrophe hatten gewisse akademische Kreise ihn als Tyrannen beschimpft, weil er Methoden angewandt hatte, die verfassungswidrig gewesen seien. Mancher hatte wissen wollen: »Wie kann ein Präsident die Verfassung wahren, wenn er gleichzeitig dagegen verstößt?« Das war eine berechtigte Frage, doch die Geschichte hatte gezeigt, dass Lincolns Handeln stimmig gewesen war. Um einen Krieg zu gewinnen, musste man seine Feinde nicht nur bezwingen, sondern vernichten. Mit jedem weiteren Tag ohne Plan, wie die panamerikanische Armee zu besiegen war, hinterfragte Conner seine eigene Methode der maßvollen Kampfhandlungen – wie er sie nannte. Vielleicht, nur vielleicht, musste er seine Seidenhandschuhe abstreifen und ignorieren, was alle anderen dachten.

Baxter wartete geduldig vor Conners Büro. Da er den Präsidenten jetzt sprechen wollte, wurde es heute Abend wohl länger.

Als Baxter ihn sah, sprang er auf und kam gleich zur Sache: »Mr. President, möchten Sie zuerst die gute oder die schlechte Nachricht hören?«

»Ich bevorzuge stets zuerst die schlechte«, entgegnete Conner, »doch ehe Sie anfangen, lassen Sie uns hineingehen.«

Baxter folgte ihm ins Exekutivbüro und nahm seinen angestammten Platz ein.

»Diese Sache ist offensichtlich von Bedeutung und konnte nicht warten, also was ist es?«, fragte Conner.

»Die Australier wollen uns keine Kampftruppen zur Verfügung stellen.«

Nachdem er die Hiobsbotschaft geschluckt hatte, sagte er: »Und wie lautet die gute Nachricht?«

»Sie geben uns mehr Waffen, Flugzeuge und Panzer.«

»Das klingt in der Tat gut, aber verfügen wir über genügend Soldaten, die diese Einsatzmittel nutzen zu können?«

»Das war nur ein Teil der guten Nachricht. Wir erhalten außerdem Ausbilder, um unser Personal einzuweisen. Die Posten aller Militärbasen zu unserer Unterstützung herkommen zu lassen, war klug. Sie besaßen keine Truppenstärke mehr, doch sie bei uns zu haben, wird nützlich sein.«

»Das ist in der Tat eine gute Nachricht. Wie lange wird es dauern, bis geliefert wird? Uns bleibt nicht mehr viel Zeit; die panamerikanische Armee sitzt uns bald im Genick.«

»Ich habe wohl den Rest der schlechten Nachricht vergessen.« Baxter grinste betreten.

»Will ich das erfahren?«

»Die Schiffe sollen bis Ende Juli in Houston einlaufen.«

»Ende Juli? Verdammt!«

»Wohl wahr. Ich hasse es, darauf herumzureiten, aber das zeigt einmal mehr, dass wir dringend eine neue Strategie verfolgen müssen. Unsere letzte Besprechung endete damit, dass Sie abwarten wollten, was unsere Verbündeten bezüglich zusätzlicher Truppen zu sagen haben. Tja, es wird keine geben. Sie haben gesehen, wo sich die panamerikanische Armee gegenwärtig befindet. Sie wird immer schneller. Falls wir zuschlagen wollen, verfügen wir über zwei Fenster, welche die Auswirkungen eines Atomschlags einschränken werden.«

Conner hob die Hand. »Ihr Wort in meinem Ohr, General, aber ich halte nichts von der Entscheidung, Kernwaffen einzusetzen.«

»Ich möchte mich ja nicht als Advocatus Diaboli aufspielen, aber diese Entscheidung sollte leicht fallen. Mir ist klar, dass wir aus politischen Gründen sensibel vorgehen müssen, doch dies ist nun wirklich ein Fall von Selbstverteidigung – im Gegensatz zu früheren Schlägen.«

»Ich weiß, es ist dringend, und die Zeit wird knapp. Ich bete bloß darum, dass sich noch eine andere Möglichkeit auftut.«

Baxter hörte auf zu reden, wohl wissend, dass dies nicht der geeignete Zeitpunkt war, um zu versuchen, den Präsidenten umzustimmen. Wie man dem panamerikanischen Imperium beikommen könnte, war ausgiebig diskutiert worden und hatte erst heute Nachmittag für erhitzte Gemüter gesorgt. In Conners Stab herrschten drei verschiedene Meinungen vor: Ein Teil befürwortete einen Atomschlag, der Nächste tat es nur dann, wenn die Staaten grünes Licht von ihren Verbündeten erhielten, und der Letzte war kategorisch dagegen. Seine drei ranghöchsten Mitarbeiter gehörten jeweils einem Lager an – Baxter dem Ersten, Cruz dem Zweiten und Wilbur dem Dritten.

»Colonel Barone hat uns ordentlich gelinkt«, meinte Conner. »Seine Leute hätten sich schon vor Wochen in Bewegung setzen müssen. Ich wusste, wir können ihm nicht trauen, ich wusste es einfach!« Er rieb sich sichtlich erschöpft die Augen. »General, ich brauche keine weiteren Bemerkungen mehr über Atombomben. Mir ist klar, was auf dem Spiel steht. Lassen Sie uns morgen früh eine Sitzung mit dem gesamten Stab einberufen. Ich möchte über die beiden für einen Angriff geeigneten Gebiete sprechen, die wir gefunden haben.«

 

»Sehr wohl, Sir. Ich gebe allen Bescheid und setze eine Uhrzeit an«, erwiderte Baxter.

»Was Barone drüben in Oregon betrifft, so will ich genau wissen, was dort vor sich geht. Diese uneinheitlichen Berichte von einem Aufstand sind eine interessante Entwicklung. Ich weiß, uns stehen nicht die Mittel zur Verfügung, um uns mit ihm anzulegen, aber ich würde trotzdem gerne erfahren, was er im Schilde führt.« Conner schwirrte der Kopf vor lauter Ideen.

»Ich wüsste nicht, wie das funktionieren könnte. Wir haben schon mehrere Teams dorthin geschickt, doch niemand kommt an Barones Kontrollpunkten vorbei. Seine Grenzen sind sicher. Er hat diese Stadt zu einem Gefängnis gemacht, und wir wollen keine Unruhe verursachen, indem wir mit Gewalt dort eindringen. Das ist nicht unbedingt eine Idealsituation, doch wir können davon ausgehen, dass er unter Kontrolle bleibt.«

»Ja, aber wie lange noch? Wir haben niemanden eingeschleust, den er kannte und dem er traute. Wer war der Mann, der den Vizepräsidenten eskortiert hat?«

»Ach, den Kerl meinen Sie? Ich kann mich nicht genau erinnern, bin mir aber sicher, dass der Vizepräsident selbst oder Staatssekretärin Wilbur es wissen.«

»Fragen wir sie morgen. Von diesem Mann bekommen wir bestimmt Informationen über Barone.«

»Warum glauben Sie, der Typ hätte mehr Glück gehabt? Gibt es nicht schon genug Ärger, mit dem wir uns herumschlagen müssen?«

»Wir können das doch nebenher laufen lassen. Außerdem, falls ihm etwas passiert … wen kümmert es schon?«

»Stimmt auch wieder«, räumte Baxter ein. »Und wenn wir wissen, womit wir es dort zu tun haben, fällt es uns auch leichter, langfristige Strategien zu planen.«

»Ganz genau, also finden Sie den Mann und sehen Sie zu, dass diese Operation bald beginnt.«

McCall, Idaho

Auf seinem Weg in die Stadt war Gordon bei Sebastian vorbeigefahren, um ihn mitzunehmen. Dafür hatte er zwei Gründe: Erstens wusste er, dass sein Bruder sich freuen würde, Gunny zu sehen, und zweitens liebte Gordon peinliche Wiederbegegnungen.

»Danke, dass du mich begleitest«, sagte er zu Sebastian. Die beiden standen vor der Tür des Verhörzimmers.

»Kein Problem, Bruder.«

»Wie geht es eigentlich Annaliese, fühlt sie sich mittlerweile wieder besser?«

»Sie ist noch nicht ganz fit, leidet unter Bauchschmerzen und starkem Durchfall«, gab Sebastian zur Antwort. Ihre Krankheit machte auch ihm schwer zu schaffen.

»Ist sie schwanger?«

»Nein, das Ergebnis war negativ.«

Gordon sah, wie besorgt Sebastian war, und wünschte sich, ihm helfen zu können. »Fahr sie doch morgen zu einem Arzt in die Stadt, der soll sie mal gründlich untersuchen.« Eine der Hauptinstitutionen, die in McCall funktionsfähig und am Laufen gehalten wurde, war das städtische Krankenhaus. Es war auch ohne Strom geöffnet.

»Das hatten wir vor, aber jetzt bringen wir erst einmal das hinter uns, okay?« Sebastian wollte das Thema Annaliese klar umgehen.

»Sicher«, erwiderte Gordon. Er öffnete die Tür und betrat das kleine Zimmer.

»Um Himmels willen, Smitty!«, rief Gordon. »Als wir vor Monaten auseinandergegangen sind, hätte ich nie im Leben geglaubt, dich wiederzusehen.«

Die beiden umarmten einander und Gunny sagte: »Einen alten Hund wie mich wirst du nicht so schnell los.«

»Sieht ganz so aus«, entgegnete Gordon lächelnd. »Ich habe einen Freund von dir mitgebracht.«

Sebastian trat breit grinsend ein.

»Halleluja, Corporal Van Zandt!«, rief Gunny, als er ihn sah. Er schaute Gordon an, ehe er fortfuhr: »Ich bin so froh darüber, dass ihr zwei euch wiedergefunden habt. Es gibt nichts, was ich mehr liebe als Happy Ends.«

Die Männer tauschten noch ein paar Nettigkeiten aus, bevor sie sich hinsetzten, um über Gunnys unerwarteten Besuch in McCall zu sprechen.

»Also, ich weiß, dass du weißt, was ich fragen werde, also schieß los«, meinte Gordon.

»In Coos Bay ist der Teufel los, das kann ich dir sagen. Der Colonel hat alles total vermasselt.«

Mit dieser Aussage zerstörte Gunny augenblicklich die entspannte Stimmung. »Was meinst du damit?«, hakte Gordon nach.

»Keine Woche, nachdem du aufgebrochen warst, schlachtete er Hunderte von unbewaffneten Zivilisten auf den Straßen ab. Ich rede von Männern, Frauen und Kindern. Jawohl, sogar die ließ dieses kranke Schwein einfach erschießen.«

»Oh mein Gott«, flüsterte Gordon.

»Ich hab’s dir gesagt, Gordon, der alte Sack ist durchgeknallt«, warf Sebastian ein.

»Dein Bruder hat leider recht. Wir zwei waren uns nicht immer einig. Mit der Meuterei hätte ich leben können, aber diese Aktion? Sie will mir weder einleuchten, noch werde ich mich einfach damit abfinden.«

»Und deshalb bist du hergekommen?«, schlussfolgerte Gordon.

»Nicht sofort. Viele Marines schlossen sich den Zivilisten an, die aufbegehrten, um Barone loszuwerden. Wir wehrten uns, doch der Colonel ist ein zäher Brocken. Nach jedem Schritt vorwärts, den wir uns erkämpften, schlug er uns so heftig, dass wir zwei zurückgehen mussten.«

Gordon war fassungslos angesichts dieser Neuigkeit. Er lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten, als müsse er sich plötzlich ausruhen. In diesem Moment fielen ihm Brittany und Tyler ein.

»Was ist mit der Frau und ihrem Sohn?«, fragte er beklommen.

»Ich weiß es nicht. Ich habe sie vor über einem Monat das letzte Mal gesehen. Sie hatte sich dem Widerstand angeschlossen, doch ich verlor sie aus den Augen, tut mir leid.«

»Brittany hat sich gegen Barone gestellt?«

»Wer ist Brittany?«, fragte Sebastian neugierig.

»Die Frau, die ich gerettet habe, weißt du das nicht mehr?«

»An ihrem Aussehen kann es nicht gelegen haben«, frotzelte Gunny.

Gordon ging nicht auf diese Bemerkung ein, sondern fuhr ungeduldig fort: »Sonst noch etwas?«

»Der Colonel hält Coos Bay fest in seiner Hand. Niemand schafft es hinein, und es ist verflucht schwierig, von dort zu entkommen …«

»Das meinte ich nicht, sondern Brittany«, unterbrach ihn Gordon.

»Ich fürchte, mehr weiß ich nicht über sie. Ich habe sie das letzte Mal bei einem Treffen gesehen. Nachdem sie von dort verschwunden war, bin ich ihr nicht mehr begegnet. Es tut mir leid, Van Zandt, ich wünschte, es gäbe mehr, was ich dir erzählen könnte.«

Gordons Gedanken rasten. In gewisser Hinsicht kam er nicht umhin, sich für Brittanys Schicksal verantwortlich zu fühlen. Wäre ihm klar gewesen, dass Barone zu solcher Grausamkeit fähig ist, hätte er sie überredet, mit ihm zu kommen. Sie war in Coos Bay geblieben, weil sie sich dort einen sicheren Unterschlupf erhofft hatte. Dank Barone war nun alles im Handumdrehen über den Haufen geworfen worden. Gordon konnte sich allerdings nicht vorstellen, warum sie sich an den Widerständen beteiligte.

»Hey, Van Zandt!«, rief Gunny.

»Was?«

»Sorry, wenn ich dich beim Nachdenken störe, aber kannst du dem Polizeichef sagen, er soll uns freilassen?«

»Ja, natürlich. Wie viele Leute hast du denn bei dir?«

»Es grenzte schon an ein verdammtes Wunder, aber wir konnten vier Hummer aus Coos Bay schleusen, dazu eine ganze Menge Waffen und ein Dutzend Leute.«

»Sollte nicht schwierig sein, hier irgendwo eine Gruppe Infanteristen unterzubringen. Ich werde ihn davon überzeugen, dass es eine gute Sache ist, Marines bei uns zu haben.«

»Es sind sieben Marines, zwei Soldaten und drei Zivilisten.«

»Das wird schon klappen, versprochen«, beteuerte Gordon, in dessen Kopf immer noch Bilder von Brittany und Tyler umherschwirrten. Er musste versuchen, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, aber er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Dann kam ihm eine Idee. »Gunny, ihr habt nicht zufällig ein Satellitentelefon?«

»Selbstverständlich. Wenn ich eines bin, dann auf alles vorbereitet«, antwortete Smith grinsend.

»Perfekt, ich bräuchte es kurz.«

»Wen in aller Welt willst du denn damit anrufen? Ich glaube nicht, dass Colonel Barone Zeit hat, Gespräche entgegenzunehmen«, bemerkte Sebastian halb ernst.

»Nicht ihn, sondern jemanden, der nicht zögern wird, mir zu helfen«, erklärte Gordon.

Sebastian verschränkte die Arme. »Wen meinst du denn?«

»Den Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten.«

Coos Bay, Oregon, Pazifische Staaten von Amerika

Die internen Spannungen und gewaltsamen Aufstände, mit denen sich Barone seit dem Tag herumschlug, an dem er die Hinrichtung von Zivilisten veranlasst hatte, zehrten sowohl seine Streitkräfte als auch ihn selbst aus. Laut dem Report vom heutigen Morgen waren jetzt ein Drittel seiner Männer gegen ihn. Die Kämpfe waren brutal gewesen: Marines gegen Marines, Soldat gegen Soldat. Seit den Exekutionen hatte es keinen Tag gegeben, an dem man keine Schüsse auf den Straßen hörte. Direkt nach dem Massaker war die Stadt abgeriegelt und der Ausnahmezustand verhängt worden. Niemand durfte sie nun verlassen oder betreten. Barone nahm sich vor, diejenigen aufzuspüren, die ihm in die Quere kommen wollten, und ihnen das Handwerk zu legen. Obwohl er die Kontrolle über North Bend verloren hatte, befand sich Coos Bay fest in seiner Gewalt. Nach einigen Wochen voller erbitterter Gefechte hatte er einen Waffenstillstand angeboten, doch die Widerständler waren nicht bereit gewesen, sich mit ihm an einen Tisch zu setzen. Da es keine Möglichkeit gab, die Spannungen diplomatisch aus der Welt zu schaffen, blieb ihm nichts weiter übrig, als es militärisch zu versuchen.

Außerdem hatte ihn die Rebellion in Coos Bay dazu genötigt, seinen Vertrag mit Conner und den Vereinigten Staaten zu brechen. Da er fürchtete, sie würden seine Zwangslage zu ihrem Vorteil nutzen, wenn er es dem Präsidenten erzählte, hatte er jegliche Kommunikation zum Erliegen gebracht. Doch darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen – er musste diesen Kampf gewinnen oder aufgeben.

Gegen besseres Wissen hatte er damit begonnen, viel Alkohol zu trinken. War es früher nur gelegentlich mal mit ihm durchgegangen, soff er jetzt fast jeden Abend, so auch heute. Während er unruhig in seinem Büro im Rathaus auf und ab schritt, murmelte er laut vor sich hin und wetterte gegen »die Verräter«. Seine nahezu unzusammenhängende Wutrede richtete sich gegen jene Marines und Soldaten, die seiner Ansicht nach die Früchte der Entscheidung zur Meuterei eingestrichen hatten, jetzt aber mit ihren Waffen gegen ihn aufbegehrten. Ohne sich auch nur eines eigenen Fehltritts bewusst zu sein, hasste er sie, und diese Verachtung offenbarte sich damit, wie er die Betreffenden behandelte, nachdem man sie festgenommen hatte. Die Regeln der Kriegsführung, denen er Zeit seines Lebens gefolgt war, galten nun nicht mehr. Simpson hätte an jenem Tag vor vielen Monaten nicht richtiger liegen können, als er ihm gesagt hatte, es gebe kein Zurück mehr. Barone mochte seine Taten vielleicht früher bereut haben, aber nun war er völlig von seiner Sache überzeugt, Moral hin oder her.

Müde und betrunken ließ er sich auf die Couch fallen, die an der hinteren Wand stand. Nachts schlief er meistens hier. Die Beziehung zu seiner Frau und Tochter spiegelte auch alles andere in seinem Leben wider; die beiden distanzierten sich von ihm, und er war außerstande, dies irgendwie zu ändern. Also saß er da und starrte die Wand voller Karten an. Sein Blick folgte den roten Linien, welche die sicheren Grenzen von Coos Bay kennzeichneten. Währenddessen wurden seine Lider immer schwerer und er ließ sich tiefer in die bequemen Polster sinken. Als er seinen matten Kopf zur Seite drehte, fiel ihm ein gerahmtes Foto seines Sohnes ins Auge. Barone hatte sich noch nicht von Billys Tod erholt, obwohl schon viele Monate vergangen waren. Er schob seinen Feinden die Schuld dafür zu, bloß nicht in Nächten wie dieser, denn da lag sie direkt vor seinen Füßen. Nur vor sich selbst bereute er seinen Entschluss in Afghanistan damals. Hätte er nicht gemeutert, wäre Billy jetzt noch am Leben.

Er driftete in einen unruhigen Schlaf ab, wurde aber schon nach wenigen Augenblicken – so kam es ihm jedenfalls vor – von einer lauten Explosion aufgeschreckt. Er fuhr in die Höhe, immer noch mit einem Glas in der Hand. Innerhalb von Sekunden brach draußen auf der Straße Maschinengewehrfeuer los. Er stürzte zum Fenster seines Büros, von dem er die flammende Szenerie überblicken konnte. Große Flutlichter strahlten die gesamte Front des Gebäudes an und erhellten das abgezäunte Gelände ringsherum. Er sah, wie Marines zu einem Kontrollpunkt in weniger als hundert Yards Entfernung eilten, wo gerade eine qualmende Feuersäule aufstieg.

 

»Gottverdammte Bastarde!«, brüllte Barone und warf das halb leere Whiskeyglas gegen eine Wand. Genau in dem Moment, als er sich von der Scheibe wegdrehte, schlugen mehrere Kugeln durch das Glas. Er warf sich auf die Knie, um in Deckung zu gehen. »Scheiße!«

Barone kroch vom Fenster zum Couchtisch, auf dem sein Pistolenhalfter lag. Nachdem er ihn genommen hatte, eilte er zur Tür. Die beiden Marines, die sie normalerweise bewachten, waren verschwunden – auf seinen Befehl hin wohlgemerkt, eine weitere schlechte Entscheidung im Alkoholrausch. Auf dem Flur schaute er sich erst einmal um, sah aber niemanden. Er war schutzlos und das wusste er. Sollte das Rathaus angegriffen werden und die Rebellen es schaffen, die Verteidigung zu durchbrechen, würde er keine Chance haben, sie aufzuhalten. Er lief hinunter ins Erdgeschoss, wo seine Männer gerade den Angreifern entgegentraten. In der Dunkelheit hinter dem Zaun blitzte Mündungsfeuer auf, doch von den Aufrührern selbst fehlte jede Spur.

Barone öffnete vorsichtig die Tür und ging hinaus. Als er die Kugeln der Widerstandskämpfer vom Gebäude abprallen hörte, bekam er einen Adrenalinschub. Furchtlos zog er seine Pistole aus dem Halfter und ging zügigen Schrittes auf den lodernden Checkpoint zu.

Plötzlich ließ eine weitere Explosion die Erde erzittern. Eine heiße Fontäne aus schwarzem Rauch und Flammen züngelte gen Himmel. Das gleißende Licht unmittelbar nach dem Knall blendete ihn kurzzeitig. Als er sich wieder umdrehte, erblickte er einen brennenden Humvee mit einer Bordkanone, dessen Schütze tot über der Waffe hing. Barone begann, vor Wut zu kochen. Er wollte nichts mehr, als der Gegenwehr ein Ende zu bereiten, indem er ihr einen einzigen fatalen Schlag versetzte. Heute Nacht würde dies nicht geschehen, doch er wollte wenigstens so viele töten wie nur möglich. Als er weiterging, packte ihn plötzlich jemand von hinten. Barone wirbelte herum, doch der Mann, auf den er seine Waffe richtete, war Simpson.

»Colonel, wir müssen von hier verschwinden, sofort!«, drängte er.

»Nein!«

»Sir, die sind in der Überzahl. Verstärkung ist unterwegs, aber wir müssen Sie erst einmal in Sicherheit bringen!«

»Ich lasse diese Männer nicht im Stich!«, rief Barone mit donnernder Stimme und riss sich von Simpson los.

»Sir, bitte – kommen Sie mit! Kämpfen können Sie später immer noch.«

Barone entzog sich ihm und ging weiter auf das Chaos zu.

Während Simpson ihm hinterherschaute, drängte sich ihm der Gedanke auf, Barone sei ein Mann, dem es mittlerweile egal war, ob er am Leben blieb oder starb. Da er wusste, dass sein eigenes Schicksal dauerhaft an den Colonel gebunden war, folgte er ihm stöhnend mit einem M-16 ins Höllenfeuer.