HOFFNUNG UND TOD (The End 4)

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Aus der Reihe: The End #4
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25. Juni 2015

»Menschen sind wie Erde. Sie können dich nähren und dein Wachstum fördern, oder sie hindern dich daran, lassen dich welk werden und sterben.«

Angeblich Pato

McCall, Idaho

Gordon hatte Gunnys Gruppe aufgeteilt. Eine Hälfte kam bei ihm unter, die andere bei Sebastian. Nun da Rainey bestätigt hatte, dass sie bleiben konnten, bestand ihr nächster Schritt darin, eine permanente Bleibe für sie zu finden. Gordon tat die ganze Nacht lang kein Auge zu, weil ihn die instabile Lage in Coos Bay nicht losließ. Er machte sich Sorgen um Brittany und Tyler. Warum hatte sie alles aufs Spiel gesetzt, um sich den Aufständischen anzuschließen? Nichts von alledem ergab seiner Ansicht nach Sinn, doch andererseits traf dies auf die ganze Welt zu.

Am Morgen war er zeitig auf den Beinen, um den Anruf mit Gunnys Satellitentelefon zu tätigen. Da Cruz versprochen hatte, ihm in Zukunft zu helfen, erhoffte er sich durch ihn Informationen über Brittany, ohne selbst viel Aufwand betreiben zu müssen.

»Dir ist schon klar, dass ich das auf meiner Fahrt mit dem Vizepräsidenten gut hätte gebrauchen können?«, fragte er Gunny.

Die beiden standen draußen und genossen den Sommermorgen, der typisch frisch für Idaho war.

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Ich habe ausdrücklich befohlen, den Wagen mit einem Gerät zu bestücken, bevor du in Coos Bay aufgebrochen bist«, sagte Gunny zu seiner Verteidigung.

»Tja, mein Freund, es gab weder dort noch im Anhänger eines.« Gordon zeigte auf den Humvee, den er für die Reise verwendet hatte.

»Sorry, Van Zandt. Ich schwöre, dass ich das angeordnet hatte.«

»Schon gut. Ich weiß, du konntest nicht alles kontrollieren.«

»Hier.« Smith reichte ihm das Telefon. »Die Verbindung könnte schlecht sein. Durch den EMP haben wir mehrere Kommunikationssatelliten verloren.«

Gordon nahm das Gerät, griff in seine Tasche und zog ein kleines Notizbuch heraus. Er blätterte darin herum, bis er die Seite fand, auf der Cruz seine Nummer hinterlassen hatte. Gordon wusste nicht, wo er genau anrief, doch der Vizepräsident hatte ihm versichert, falls er je etwas brauche, solle er sich dort melden. Nachdem er die neunstellige Nummer sorgfältig eingetippt hatte, hielt er das Telefon ans Ohr. Die Leitung blieb mehrere Sekunden lang tot, doch dann klickte es wiederholt, gefolgt von einem gedämpften Tuten. Gordon zog die Augenbrauen hoch und zwinkerte Gunny zu, als die Verbindung endlich hergestellt war. Smith deutete dies als Zeichen, sich zurückzuziehen, klopfte ihm auf die Schulter und ging nach drinnen.

Beim achten Läuten fing Gordon an zu zweifeln, ob tatsächlich jemand abheben würde. Seine Aufregung, die er zu Anfang verspürt hatte, als er hörte, dass die Verbindung stand, und das erste Klingeln ertönt war, schwand rasch. Beim zwölften Mal wurde er ungeduldig. Während er auf der geschotterten Einfahrt hin- und herging, stieß er mit dem Fuß Steine weg. Dabei sah er ein läutendes Telefon in irgendeiner abgelegenen Büroecke vor sich, in der keine Menschenseele zugegen war, die den Hörer hätte abnehmen können. Schließlich beendete er die Verbindung und steckte das Gerät frustriert in seine Tasche. Er überlegte, welche Möglichkeiten ihm jetzt noch blieben, falls es überhaupt welche gab. Wie zum Henker konnte er herausfinden, ob es Brittany und Tyler gut ging? Die einzige Möglichkeit, die ihm in den Sinn kam, war eine Fahrt von über drei Stunden zum Luftwaffenstützpunkt Mountain Home. Dort würde er in der Lage sein, Cruz zu erreichen, das wusste er, doch ihm fiel keine vernünftige Erklärung ein, die er Samantha dafür hätte geben können. Selbst wenn er jemand anderen losschickte: Welche Rechtfertigung gäbe es dafür, jemandes Leben für eine so lange Fahrt aufs Spiel zu setzen? Weil ihm keine andere Lösung einfiel als ein weiterer Telefonanruf zu einem späteren Zeitpunkt, kehrte er zum Haus zurück.

Auf dem Weg hörte er eine Autohupe in der Ferne. Als er die lange Einfahrt hinunterging, kam dort Michael Rutledge mit einem alten Dodge-Transporter vorbei, auf dessen Ladefläche eine Fuhre Holz lag. Gordon entriegelte das Metalltor und zog es auf.

Während Michael hineinfuhr, sah Gordon, dass auch dessen Sohn Austin mit dabei war, der nur sieben Monate älter war als Haley und gern mit ihr spielte.

Michael Rutledge war ein paar Jahre jünger als er, fast zwei Meter groß und schlank mit dichtem, pechschwarzen Haar. Er stammte ursprünglich nicht aus Idaho, sondern hatte sich kurz nach Austins Geburt vor sechs Jahren hier niedergelassen. Nachdem er eine erfolgreiche Zahnarztpraxis in Lowell, Massachusetts geführt hatte, übernahmen er und Tiffany eine zum Verkauf stehende Praxis in McCall.

Er hielt mit seinen liberalen Ansichten nicht hinterm Berg, vor allem wenn es um seine strittige Meinung ging, dass die Vereinigten Staaten reif für eine Teilung waren. Schon viele Jahre vor den Anschlägen hatte er vorausgesagt, dass das Land zerfallen würde, wenn es zu einer schweren Katastrophe kam. Seine Prophezeiung war zum größten Teil wahr geworden. Er wies oft darauf hin, wie verrückt es war, dass eine große Zentralregierung Tausende Meilen entfernt bestimmte, wie jemand in den Bergen von Idaho zu leben habe. Dabei berief er sich darauf, dass die Staaten doch sowieso schon in republikanische und demokratische unterteilt waren und wie unterschiedlich sich jeweils die Lebensart beziehungsweise die Kultur dadurch gestaltete. Abgesehen von der Sprache gab es nicht viel, was jemanden in der Bronx mit einem Bewohner von McCall vereinte. Nach dem Zusammenbruch hatte er damit begonnen, sich mit anderen im Ort zu treffen, um die Idee voranzutreiben, das Land von den USA abzuspalten und ein neues Kaskadien zu gründen. Zunächst waren die Menschen ihm gegenüber abwertend und skeptisch gewesen, doch im Laufe von Tagen, Wochen und schließlich Monaten ohne Reaktion der Regierung trug sein Bestreben allmählich Früchte. Kaskadien sollte auf den Prinzipien von Freiheit, Menschenrecht und Nachhaltigkeit beruhen. Diese Grundmaximen sprachen viele Ortsansässige an, und ohne Bundesregierung wurden in McCall immer mehr Menschen empfänglich für das Unternehmen Kaskadien. Wann immer Michael bei Gordon war, versuchte er ihn dafür gewinnen, bei Sebastian hatte er es schon geschafft. Er wünschte sich beide Brüder auf seiner Seite, doch Gordon, der sich nicht auf politische Scherereien einließ, lachte stets und winkte ab. Das bedeutete allerdings nicht, dass er keine Neugierde verspürte. Er hatte gemeinsam mit Sebastian schon ein paar Versammlungen besucht, aber letzten Endes gemeint, dass es äußerst schwierig, wenn nicht sogar ausgeschlossen war, eine Nation aus den Staaten Idaho, Oregon und Washington zu gründen. Während die Regierungen von Idaho und Washington bis zu einem gewissen Grad noch funktionsfähig waren, herrschte in Oregon keinerlei Ordnung mehr. Brachte Gordon diese unbequemen Wahrheiten zur Sprache, lächelte Michael bloß und sagte ihm, er solle nicht immer so pessimistisch sein.

Nun parkte er seinen Transporter neben der Garage. Austin sprang hinaus und lief zur Haustür, um Haley zu begrüßen, bevor sein Vater überhaupt den Motor abstellen konnte.

»Na, wenn diese Kids sich mal nicht gernhaben«, bemerkte Gordon grinsend.

»Ja, das tun sie, und ich finde es wunderbar. Hier ist dein Holz, wo möchtest du es hin haben?«

»Gleich dort, danke«, antwortete er, indem er auf die Seitenmauer der Garage zeigte.

Während sie den Wagen gemeinsam entluden, fiel Michael auf, dass Gordon in Gedanken versunken war.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

»Ja, ja, hab’ nur viel um die Ohren, das ist alles.«

»Ich habe von den Marines gehört, die hier eingetroffen sind – Freunde von dir?«

Gordon schmunzelte und wich der Frage aus. »Ha, ich wette, momentan machen eine Menge Gerüchte die Runde in der Stadt.«

»Kann man wohl sagen«, bestätigte Michael. »Dass ein kleiner Zug Humvees hier einrollt, kommt nicht jeden Tag vor. Der Anblick der Soldaten hat einige Einwohner in Aufruhr versetzt. Es heißt, die Armee komme, um uns zu unterstützen, aber ich weiß natürlich, dass das nicht der Fall ist.«

»Wann hast du denn von unseren neuen Nachbarn erfahren?«, fragte Gordon.

»Ich glaube, so gegen halb zehn. Du wirst es nicht glauben – oder vielleicht doch: Joyce, unsere Nachbarin, kam und klopfte wie wild an unsere Haustür. Sie schrie etwas davon, dass die Army hier sei. Keine Ahnung, was schlimmer war: dass sie sich zum Narren gemacht oder ihre Kinder mitgeschleift hat, komplett in dreckigen Schlafanzügen.«

»Ich habe gehört, sie sei eine ganz schöne Trinkerin.«

»Säuferin trifft es besser, und dann ihre armen Söhne … der Vierjährige trägt immer noch Windeln. Tiffany weiß nicht, ob sie Joyce bedauern oder ihr einmal ordentlich die Leviten lesen soll. Diese Frau ist die negativste Person, die ich jemals kennengelernt habe.«

Gordon wollte weiteren Tratsch umgehen. »Vergiss nicht, sie hatte es nicht leicht, schließlich ist ihr Ehemann abgehauen, wie man sich erzählt.«

Er wischte sein Gesicht mit einem Ärmel ab und lehnte sich gegen den Dodge. »Schätze, wir sollten ihr ein wenig Verständnis entgegenbringen.«

»Bist du sicher, dass du dich nicht für Politik interessierst?« Michael feixte.

»Verlass dich drauf: niemals. Ich hasse Politik, und ihre Macher sind mir besonders zuwider.«

»Also wirst du mich nicht mehr mögen, wenn ich eines Tages Präsident von Kaskadien bin?«

»Oh je, nun geht das wieder los.«

»Du willst mir also weismachen, neutral bleiben zu können? Ich sehe doch, dass du dem Bürgermeister und Chief Rainey aktiv hilfst.«

 

»Michael, im Ernst, die Vorstellung fasziniert mich. Ich war früher stets auf dem Laufenden, was Politik anging, damals aber auch noch sehr blauäugig. Meiner Meinung nach ist es einfach nicht so leicht, wie du es dir vorstellst, eine neue Regierung aus der Taufe zu heben. Du weißt doch, dass es da Unmengen an Bürokratie gibt, an denen du nicht vorbeikommen wirst, oder? Ich glaube, dein Konzept an sich ist stimmig, doch das Problem der Logistik lässt sich einfach nicht vom Tisch wischen. Auf lokaler Ebene kann man Veränderungen erwirken, verstehst du, aber national liegt der Fall nun einmal ganz anders.«

»Das ist ja lustig … dein Land ist noch nicht einmal gegründet worden, und schon erhebst du erste Einsprüche. Haben Menschen eine gemeinsame Idee, können sie diese auf unterschiedliche Art und Weise anpacken.«

»Das klingt fast so, als müsse es politische Parteien geben, und das, mein Freund, könnte von Anfang an ein Sargnagel sein.«

»Ich bin ein unverbesserlicher Optimist. Wir können versuchen, uns einig zu werden, um unseren gemeinsamen Traum von einer freien Nation zu verwirklichen, aber dafür brauche ich Leute wie dich im Team. Kommst du zu unserem nächsten Treffen? Ich möchte dich so gerne Charles vorstellen, dem Anführer der Gruppe aus Olympia.«

»Sicher, kann ich machen«, antwortete Gordon. Er ließ sich darauf ein, weil er doch etwas neugierig war. Sollte Kaskadien jemals Wirklichkeit werden, konnte es gut sein, dass er der Regierung nahestehen musste. Wie ihm Samantha am Vortag bewusst gemacht hatte, würde er seiner Familie nur helfen können, wenn er an den Entscheidungsprozessen teilnahm. Und sich Kaskadien warmzuhalten, könnte ein Weg dorthin sein. Der Einfluss der Separatisten in der näheren Umgebung hatte immer mehr zugenommen, und er konnte ihren Grundversprechen – Freiheit und Wahrung der Menschenrechte – eine Menge abgewinnen.

»Noch einmal wegen der Marines: Du musst sie kennen, oder hast du dir die anderen beiden Humvees im Autopark in Cascade besorgt?«

»Na ja, ich kenne sie nicht alle, sondern nur drei. Die anderen neun sind mir völlig fremd.«

»Dann sag schon, woher kommen sie?«

»Aus Coos Bay in Oregon. Dort sind ein paar Marineeinheiten stationiert.«

Michael ließ augenblicklich alles stehen und liegen. Dass Gordon die Marines in Oregon erwähnte, weckte sein Interesse.

»Was tun sie dort?«

»Das ist eine sehr lange Geschichte, die ich dir am besten bei ein paar Drinks erzähle«, antwortete Gordon. Er hatte den Großteil seiner jüngeren Vergangenheit bisher geheim gehalten. In seinen Augen brauchte niemand diese Einzelheiten zu kennen, zumal er sich davor fürchtete, von den Menschen verurteilt und in eine Schublade gesteckt zu werden. McCall sollte ein Neuanfang sein. Dass ihn die anderen anhand seiner früheren Entscheidungen beurteilten, konnte ihm mit Sicherheit mehr schaden als nutzen.

»Dagegen hätte ich nichts einzuwenden.«

»Danke noch einmal für das Holz. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mir das hilft.«

»Keine Ursache, gib mir einfach etwas von deinem geräucherten Wildfleisch ab, wenn du es fertig hast.«

»Verlass dich drauf, aber du erinnerst mich da gerade an etwas. Morgen gehe ich auf die Jagd …«

In Gordons Tasche läutete es plötzlich. Die beiden Männer schauten einander verwundert an. Das einst alltägliche Klingeln eines Mobiltelefons wirkte nun vollkommen fremd.

»Dein Handy funktioniert?«, fragte Michael mit entgeisterter Miene.

Gordon langte schnell in seine Hose und zog das klingelnde Ding heraus. Auf dem Display erkannte er, dass der Anrufer die Nummer besaß, die er zuvor gewählt hatte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er auf die Annahmetaste drückte und sich meldete.

»Hallo, wer ist da?«, fragte eine Stimme.

»Hier spricht Gordon Van Zandt. Ich habe es vorhin schon versucht, ich würde gerne mit Vizepräsident Cruz sprechen.«

»Gordon Van Zandt, wer sind Sie? Woher kennen Sie diese Nummer?«

»Ich habe Vizepräsident Cruz im vergangenen März von Coos Bay nach Idaho eskortiert. Er gab mir die Nummer und meinte, ich könne ihn jederzeit anrufen, wenn ich etwas bräuchte, und na ja – jetzt brauche ich etwas.«

Die Erwähnung des Vizepräsidenten verblüffte Michael noch mehr als der Umstand, dass Gordon ein funktionierendes Handy besaß. Gordon schaute ihn an und hielt sich einen Zeigefinger vor den Mund, um ihm begreiflich zu machen, dass er einen Moment allein sein wollte. Daraufhin entfernte sich Michael vom Transporter.

»Mr. Van Zandt, bitte bleiben Sie in der Leitung. Eine Sekunde, Sir.«

Gordon hörte, wie der Mann mit jemandem sprach. Er versuchte, die Unterhaltung zu verstehen, doch es war zu leise.

»Mr. Van Zandt, haben Sie etwas zum Schreiben zur Hand?«, fragte der Unbekannte schließlich.

Schnell lief Gordon zu Michael zurück. »Hast du zufällig Stift und Papier dabei?«

Rutledge stöberte im Handschuhfach, bis er einen alten Kugelschreiber und die Zulassung fand. Er gab Gordon beides.

»Ja, habe ich«, sagte dieser dann zu seinem Gesprächspartner.

»Rufen Sie in fünf Minuten die folgende Nummer an.« Der Mann gab ihm eine andere neunstellige Ziffernfolge durch.

Gordon beendete das Gespräch und schaute auf seine Uhr.

»Wer war das?«, wollte Michael wissen. Er war immer noch perplex, wegen dem, was er gehört hatte.

»Äh, das erkläre ich dir später … bei einem Drink, wie versprochen.« Gordon konnte vor lauter Aufregung kaum stillstehen.

»Na, da bin ich aber gespannt.«

Nachdem Gordon eine Weile hin und her gegangen war, hielt er inne und sah Michael an. »Sagen wir einfach, auf dem Weg nach McCall ist eine Menge passiert.«

Cheyenne, Wyoming

Dylan kam mit dem gleichen freudigen Gesichtsausdruck ins Besprechungszimmer wie an jenem Tag, als er verkündet hatte, dass Cruz gefunden worden war.

»Nehmen Sie Platz, wir beginnen sofort«, wies Conner ihn an.

»Sir, zuvor möchte ich Ihnen eine interessante Neuigkeit überbringen«, erwiderte Dylan grinsend.

»Nur zu.« Conner bedeutete ihm, sich zu beeilen.

»Mr. Vice President, sind Sie zugeschaltet?«, fragte Dylan zunächst.

»Ja, bin ich«, knarrte Cruz’ Stimme durch den Lautsprecher.

Nun drehte sich Dylan um und schaute den Präsidenten an. »Sir, wissen Sie noch, wie Sie mich nach dem Mann fragten, der den Vizepräsidenten und die Staatssekretärin begleitet hatte?«

»Ja, das tue ich«, entgegnete Conner. »Was ihn betrifft, wollten wir Sie später noch befragen. Ich habe eine Aufgabe für ihn.«

»Ich weiß auch noch, wer er war, ein gewisser Gordon …«

»… Van Zandt«, warf Dylan ein und fuhr fort: »Gentlemen, er hat uns angerufen und nach Ihnen gefragt, Mr. Vice President, während …«

Das Telefon mitten auf dem Konferenztisch klingelte.

»Das sollte er sein«, rief Dylan erfreut, beugte sich nach vorne und drückte auf die Fernsprechtaste.

Es wurde still im Raum, denn alle warteten darauf, dass sich der Mann am anderen Ende der Leitung meldete.

»Hallo?«, fragte Gordon.

»Mr. Van Zandt, guten Morgen. Hier spricht President Conner.«

»President Conner?«, wiederholte Gordon fassungslos.

»Sehr wohl, Präsident Conner, und Sie sollten wissen, dass Ihnen gerade mehrere Personen zuhören.«

»Mr. Van Zandt? Hi, ich bin es, Vice President Cruz.«

»Mr. Vice President, wie geht es Ihnen?«, fragte Gordon.

»Gut – sehr gut, vielen Dank. Soviel ich weiß, haben Sie versucht, mich anzurufen, richtig?«

Gordon kam sich nun töricht vor. Er hatte es sich so einfach vorgestellt, mit Cruz Kontakt aufzunehmen, und stattdessen nahm er jetzt an einer Konferenzschaltung mit dem Präsidenten und seinem gesamten Stab teil.

»Ja, Sir. Ich … äh … Verzeihung, doch Sie sagten, falls ich je Hilfe benötigte, könne ich mich an Sie wenden, und – nun ja, jetzt ist es so weit.«

»Mr. Van Zandt, bitte entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische, doch Ihr Anruf entbehrt gelinde gesagt nicht einer gewissen Ironie. Es ist nämlich so, dass Ihr Land, während Sie etwas von uns brauchen, auch etwas von Ihnen möchte.«

Gordon stockte, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Ihm war klar, dass er sich nur mit Cruz’ Hilfe Klarheit über Brittanys Befinden verschaffen konnte, doch wie es aussah, erforderte seine Bitte nun eine Gegenleistung.

Conner wartete geduldig auf eine Antwort bezüglich seines letzten Satzes, redete aber selbst weiter, als diese ausblieb: »Mr. Van Zandt, was genau wollen Sie von uns? Wir sind Ihnen zu Dank für das verpflichtet, was Sie für uns getan haben, also erklären Sie uns bitte, wie wir Ihnen helfen können.«

Der Gefragte schaute nach, ob sein Gefährte lauschte, aber Michael wuchtete schon wieder Holz von der Ladefläche. Gordon ging sicherheitshalber noch ein paar Schritte weiter weg, ehe er antwortete: »Mr. President, hoffentlich kommt Ihnen meine Bitte nicht albern vor, doch soweit ich gehört habe, herrscht in Coos Bay gerade ein Aufruhr. Ich habe eine Freundin dort, um die ich mir Sorgen mache, und dachte mir, sie könnten vielleicht herausfinden, wie es ihr geht.«

Conner machte ein verwundertes Gesicht und sah Baxter an, der neben ihm saß. »Sie möchten, dass wir mit jemandem in Coos Bay Kontakt aufnehmen? Warum tun Sie es nichts selbst? Sie hätten Ihren Freund, den Colonel, anrufen können.«

»Verstehen Sie nicht, dass das schwierig werden könnte? Ich weiß, dass Sie – die Vereinigten Staaten meine ich – einen Pakt mit dem Colonel geschlossen haben, und nun ja, sagen wir einfach, meine Freundin arbeitet gegen ihn. Ich hoffte, Sie könnten vielleicht ein paar Ihrer Beziehungen spielen lassen, um sich zu vergewissern, dass es ihr und ihrem Sohn gut geht.«

»Ich denke nicht, dass wir Ihnen helfen können«, antwortete Conner lapidar.

Gordon fühlte sich von dieser abrupten Absage vor den Kopf gestoßen. »Wieso nicht?«

»Wir haben unseren Draht zu Colonel Barone schon vor Monaten verloren. Nachdem er eine Unzahl von unschuldigen Bürgern hingerichtet hatte, riegelte er die Stadt ab, und alle Versuche, wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen, sind bislang fehlgeschlagen. Wir sind sogar so weit gegangen, Truppen hinzuschicken, doch sie kamen nicht durch. Er lässt Coos Bay abschotten, wie es seinerzeit in Ostberlin getan wurde. Niemand kommt mehr hinein oder heraus.«

In seiner Unruhe war Gordon die Einfahrt immer mehr nach oben gegangen. Er blieb stehen und starrte zwischen den Bäumen ins Leere, während es in seinem Kopf vor Fragen nur so wimmelte.

Nachdem eine Minute ohne Antwort vergangen war, sah Conner sich im Zimmer um. »Mr. Van Zandt, sind Sie noch da?«

»Ja, sicher. Ich überlege bloß, was ich nun tun soll, das ist alles.«

»Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen, der uns beiden etwas bringen würde?«

»Bitte.«

»Noch einmal, es ist wirklich zu ironisch, dass Sie gerade angerufen haben, als wir versuchten, Sie aufzuspüren.«

»Tatsächlich?«

»Ja, wir sind genauso besorgt wie Sie wegen der Geschehnisse in Coos Bay. Colonel Barone sollte eigentlich unser Verbündeter sein, doch nun müssen wir auf das reagieren, was dort vorgefallen ist. Da wir jedoch nicht imstande sind, in die Region einzudringen, sind uns die Hände gebunden. Aber dann fiel gestern Ihr Name. Wir kennen Sie und stehen in enger Verbindung mit Ihnen, doch bei alledem haben Sie es stets geschafft, neutral zu bleiben. Wir dachten, Sie könnten eine Mission leiten, um nach Coos Bay zu gelangen und herauszufinden, was dort …«

»Lassen Sie mich gleich eines klarstellen: Mir liegt es fern, nach Coos Bay zu fahren. Ich mache mir Gedanken um meine Bekannten dort, kann meine Familie aber auf keinen Fall schon wieder verlassen.«

Conner suchte erneut den Blick seines Nebenmannes, der dies als Aufforderung deutete, das Wort zu übernehmen. »Mr. Van Zandt, hier spricht Verteidigungsminister General Baxter. Wir wissen um die erschwerten Lebensbedingungen dort draußen, wo Sie sind, aber ich darf Ihnen versichern, dass wir Ihnen Hilfsgüter schicken könnten – oder was auch immer Sie im Gegenzug für Ihre Dienste wünschen. Sie nennen es und wir stellen es Ihnen bereit.«

Gordon begann wieder, hin und herzugehen. Das Angebot, Vorräte zu erhalten, war verlockend, doch er hatte ein Versprechen abgegeben, das er nicht brechen konnte. Er durfte Samantha und Haley nicht erneut alleinlassen, egal womit man ihn köderte.

 

»Ich weiß nicht, ob ich noch eine solche Fahrt wagen kann. Es ist einfach zu gefährlich auf den Straßen«, gab er zu bedenken.

»Mr. Van Zandt, unsere Nation braucht Sie. Wir befinden uns gegenwärtig in einer heiklen Lage. Eine Armee marschiert auf uns zu, während sich Barone abgeschottet hat. Wir müssen erfahren, was in Coos Bay passiert, um unsere Chancen gegen das panamerikanische Imperium einschätzen zu können.«

Gordon knirschte vor lauter Frust mit den Zähnen. Als er angerufen hatte, wäre ihm im Leben nicht eingefallen, dass die Unterhaltung eine solche Wendung nehmen würde.

»Mr. President, bitte lassen Sie mich einen Tag darüber nachdenken. Ich kann einen solchen Einsatz nicht ohne weiteres in Angriff nehmen. Das Risiko ist einfach zu hoch.«

»Dann nehmen Sie sich die Zeit«, entgegnete Conner.

»Van Zandt, hier ist wieder General Baxter. Sie müssten nicht selbst fahren, wir würden einen Hubschrauber schicken, der Sie in einer vorgesehenen Landezone vor Coos Bay absetzen würde. Und für den Rest der Strecke würden Sie ein Motorrad von uns erhalten. Lassen Sie uns so schnell wie möglich wissen, welche Art von Ausrüstung Sie benötigen, und der Vogel wird es mit an Bord haben.«

»Kann ich morgen die gleiche Nummer anrufen?«, fragte Gordon.

»Korrekt, melden Sie sich gegen elfhundert unter dieser Nummer«, bestätigte Baxter, ehe er den Präsidenten anschaute.

»Mr. Van Zandt, bitte überlegen Sie es sich ernsthaft. Mit diesem einen Abstecher könnten Sie viel erreichen«, sagte Conner abschließend.

»Danke sehr, ich rufe morgen zurück und teile Ihnen dann meinen Beschluss mit.« Mit diesen Worten beendete Gordon das Gespräch.

Als die Verbindung getrennt wurde, zog Conner, der nun aufgestanden war, alle Blicke auf sich. »Sieht ganz so aus, als würden wir uns morgen wieder hier treffen, was?«, fragte Baxter rhetorisch.

»Zur gleichen Zeit, aber ich möchte auch, dass Major Schmidt mit dabei ist.« Dieser war neu im Kommandostab, hatte sich jedoch innerhalb kürzester Zeit als überaus verlässlich erwiesen und vertrat originelle Ansichten, die Conner gefielen.

»Ich lasse den Major wissen, dass seine Gegenwart morgen erforderlich ist«, versprach Baxter.

Wilbur schaltete sich ein und sagte: »Mr. President, Ihnen ist doch bewusst, dass Van Zandt Colonel Barones Freund ist, oder? Wie können wir sicher sein, dass er die Mission nicht in Gefahr bringt oder uns eine falsche Auskunft über die Situation dort geben wird?«

»Brad, ich stimme Sekretärin Wilbur zu, was dies angeht«, bemerkte Cruz. »Er ist kein ausgesprochen staatstreuer Mann.«

»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Conner.

»Er weihte mich damals in seine tiefen Ressentiments gegenüber der Regierung ein«, erklärte Wilbur gleichmütig.

Das ließ Baxter aufhorchen. »Ressentiments?«

»Ja, er war der festen Überzeugung, die Regierung habe ihn hintergangen«, fuhr Wilbur fort.

»Woher wissen Sie das?«, fragte Baxter, und wandte ihr den Drehsessel zu.

»Er erzählte es mir«, antwortete Wilbur. »Der Mann hat nichts für uns übrig und ist ein Opportunist, also glaube ich nicht, dass wir ihm trauen können.«

»Wie sollen wir ihn denn hintergangen haben?«, wollte Conner wissen.

»Der Kerl hat als Marinesoldat im Irak gedient. Dort muss irgendetwas vorgefallen sein; er wollte sich nicht genauer ausdrücken, doch anscheinend hat man ihn nicht im Guten aus der Armee entlassen.«

»General, können wir nicht auf seine Militärakten zurückgreifen?«, fragte Conner Baxter.

»Gute Frage, ich bin mir nicht sicher«, entgegnete dieser. »Es ist ja nicht so, dass wir solche Informationen in diesen Tagen häufig bräuchten.«

»Machen Sie sich schlau. Ich möchte nachvollziehen können, auf wen wir uns hier einlassen. Das hat oberste Priorität. Ich will es wissen, bevor wir uns morgen noch einmal mit ihm unterhalten.« Baxter nickte Conners Befehl ab.

»Also gut, schlagen wir eine andere Gangart an«, sagte der Präsident. »Wir haben schließlich einen Krieg zu gewinnen.«

»Sir, darf ich Ihnen allen mitteilen, was ich über die separatistische Bewegung in Erfahrung gebracht habe«, warf die Sekretärin ein.

»Gerne, Ma`am, nur zu«, gestattete ihr Conner. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie sich damit so beeilt haben. Seit unserer Auseinandersetzung mit der Montana Independence Party ist es immer wichtiger geworden, über solche Unternehmen im Bilde zu sein.«

»Die Unabhängigkeitspartei von Montana war ein loser Zusammenschluss bürgerlicher Milizen mit dem gemeinsamen Ziel, den Bundesstaat von den USA abzuspalten.« Conner sah sich von solchen Grüppchen Abtrünniger, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet hatten, unter Druck gesetzt. Das Land zusammenzuhalten war schon schwierig genug, ohne dass jemand versuchte, es zu zerreißen.

»Es war mir ein Vergnügen, Sir. Nach mehreren Gesprächen mit Gouverneuren und anderen Bundesvertretern des Heimatschutzes konnte ich mir einen umfassenden Überblick verschaffen, was Separatisten und Unabhängigkeitskämpfer betrifft. Aufgrund vorrangiger Aufgaben, wie zum Beispiel die Infrastruktur wiederaufzubauen oder unser Volk zu ernähren, wurde kein außerordentliches Augenmerk auf die Aktivitäten solcher Gruppen gelegt.« Wilbur teilte Blätter aus.

Nachdem sie eine Karte auf dem Tisch ausgebreitet hatte, schaute sie sich mit ernster Miene unter ihren Zuhörern um. »Was wir hier sehen, ist die weitreichende Zersplitterung unserer Nation.« Das auf dem Papier umrissene Land sah anders aus, als sie es in Erinnerung hatten. Jene Gebiete, die abgesprungen waren oder drohten, dies zu tun, ließen sich anhand verschiedener Farbkennungen unterscheiden. Die Staaten im Osten waren vom Mississippi an mit roten Linien ausgestrichen worden. Dabei handelte es sich um die Regionen, welche Cruz und Baxter als verloren proklamiert hatten. Texas war ebenfalls markiert, doch jetzt zählten auch Teile von Oklahoma und Arkansas dazu. Nevada und Kalifornien hoben sich grün ab und waren außerdem mit dem Kürzel PAA für die panamerikanische Armee gekennzeichnet. Arizona wiederum war als RA verzeichnet, was Republik Arizona bedeutete. Der Rest der durchgestrichenen oder fehlenden Bereiche auf der Karte belief sich auf Teile von Norddakota, dazu Süddakota, Wyoming, Montana, Idaho, Oregon und Washington. Zusammengenommen zeichnete sich damit das Bild eines neuen, deutlich kleineren Landes ab, falls es einigen der aufständischen Gruppen gelang, erfolgreich zu sein.

Conner verschaffte sich rasch einen Überblick, und sein Herz klopfte immer schneller, als er anfing, das Gesehene zu verarbeiten.

»Wenn Sie sich das Blatt anschauen, das ich Ihnen gegeben habe, erkennen Sie fünf wesentliche Gruppen. Es gibt viele Banden und unorganisierte Zusammenschlüsse, doch diejenigen, auf die ich eingehen werde, sind strukturiert und könnten Probleme bereiten. Wir alle erinnern uns noch an die MIP, und auch wenn sie im Moment Ruhe geben, dürfen wir sie nicht außer Acht lassen, sondern müssen sie weiterhin überwachen. Major Schmidt war so klug und ließ ein kleines Truppenkontingent dort oben, um den Gouverneur zu unterstützen. Die Gruppe, mit der wir es in Arizona zu tun haben, nennt sich Republik Arizona. Sie versucht, sich von Rechtswegen her abzusetzen, indem sie ihren Gouverneur und die Legislative davon zu überzeugen versucht, sich für die Sezession einzusetzen. Sie werden es nicht glauben, doch ihr Anführer ist der ehemalige Kongressabgeordnete Faye …«

»Faye?«, blaffte Conner dazwischen. »Faye! Er diente mit mir und gehörte in den neunziger Jahren meinem Gremium an. Der Mistkerl wurde nach dem Ende seiner letzten Amtszeit nicht wiedergewählt und jetzt will er sein eigenes Land?«

»Wie es aussieht, erhält er kräftigen Rückenwind von den Gesetzgebern, was jedoch nicht für einen Sieg mit Zweidrittelmehrheit genügt. Mehrere Milizen haben sich auf ihn eingeschworen, aber bis jetzt ging es dort noch relativ zivilisiert zu.«