Seewölfe - Piraten der Weltmeere 245

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 245
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-581-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Auf der Höhe des fünfunddreißigsten Breitengrades, westlich von Kap Ibn Hani und östlich der Bucht von Famagusta, begann die Dünung nachzulassen.

Die „Isabella VIII.“ lief Südkurs, denn ihr Kapitän Philip Hasard Killigrew hatte es eilig, das geheimnisvolle Land Ägypten anzulaufen. Seine Neugier war immer stärker geworden, aber in letzter Zeit geriet auch immer wieder etwas dazwischen.

Diesmal war es eine Flaute, die sich ankündigte. Außerdem wuchsen aus der flaschengrünen See feine spinnige Arme, die wie Rauch in die Höhe zogen.

Old O’Flynn und der Profos Edwin Carberry hatten das bereits seit einiger Zeit geahnt. Beim alten O’Flynn juckte wieder einmal das Holzbein, doch er hielt sich mit seiner Prognose zurück, weil er die ständigen dummen Sprüche der anderen satt hatte.

Carberry starrte düster ins Wasser, dann kehrte sein Blick zurück und blieb an Old O’Flynn hängen. Und prompt erfolgte das, was den Alten augenblicklich in Braß brachte.

„Dein krummes Holzbein kannst du dir von Ferris zu Brennholz zersägen lassen“, motzte Ed. „Früher hat es so’n Scheißwetter immer angezeigt, aber heute habe ich nichts davon gehört. Sonst reißt du schon immer drei Tage vorher die Klappe auf.“

Old O’Flynns Augen zogen sich zusammen, sein Gesicht verkantete, und dann hatte er den Schlechtwetterblick drauf.

„Was weißt denn du narbiger Zwiebelfisch von meinem Holzbein!“ polterte er los. „Sage ich das vorher, dann glaubt mir kein Mensch, und alle grinsen dämlich. Sage ich es nicht, obwohl ich es gespürt habe, dann wird gemeckert. O Lord, was ist das nur für ein Schiff! Auf der ‚Empreß of Sea‘, da fuhren noch andere Kerle! Da gab es noch jede …“

„… Woche Milch und Honig, mit Rum und Branntwein. Und die Kakerlaken waren die Messejungen und haben euch bedient“, höhnte der Profos. „Und der Kapitän verteilte jede Woche einen Orden an den, der ins Wasser schiß, statt auf die Galion. Hör bloß mit dieser ‚Empreß‘ auf, oder wie der alte Kasten hieß, ich kann das wirklich nicht mehr hören.“

Beim alten O’Flynn löste dieses „Oder wie der alte Kasten hieß“ jedesmal Krämpfe und Zuckungen aus. Er wollte gerade zu einem geharnischten Protest ansetzen, als er sah, daß etliche Seewölfe sie grinsend umstanden und händereibend auf die Fortsetzung der Diskussion lauerten.

„Nicht auf meine Kosten“, fluchte der Alte. „Ich bin doch nicht euer Jonas. Schert euch zum Teufel, ihr triefäugigen grinsenden Kombüsenwanzen!“

„Sieht wirklich schlecht aus“, meinte der ehemalige Karibik-Pirat Sam Roskill, als Old O’Flynn erbost davonhumpelte und auf dem Achterdeck Stellung bezog. „In spätestens einer Stunde haben wir den Nebel so dick wie Hafergrütze.“

„Nebel und Flaute, das sind mir die zwei liebsten Dinge“, grollte der Profos. „Ein Schiff ohne Wind ist gar nichts, und ein Schiff im Nebel ist erst recht gar nichts. Und alles beides zusammen, das ist so gut wie absolut überhaupt nichts, falls du das kapierst.“

„Das ist ’ne echte Weisheit“, murmelte Sam. „Und wenn wir jetzt noch kein Wasser hätten, dann wären wir echt absolut überhaupt gar nichts mehr.“

„Und wenn wir jetzt“, sagte hinter ihnen Ben Brighton spöttisch, „auch kein Schiff mehr hätten, und wir selbst auch nicht da wären, dann befände sich hier nur noch ein großes Loch in der Erde, in das zwei kluge Philosophen bis zur Hölle stürzen würden.“

Carberry kratzte sich grinsend sein Amboßkinn, während Sam Roskill verlegen auf die Planken starrte.

„Tucht die Lady auf“, sagte Ben. „Der Wind ist eingeschlafen, falls ihr das bei eurer geistreichen Unterhaltung bemerkt habt. Aber tucht sie so auf, daß wir nicht viel Arbeit haben, wenn es wieder weitergeht.“

„Aye, aye“, sagte Carberry.

Als er sich jetzt wieder umsah, war die See träge und fast spiegelglatt. Nur an vereinzelten Stellen kräuselte sich noch unmerklich das Wasser. Doch die „Isabella“ lief keine Fahrt mehr.

Auf dem Achterdeck laschte Pete Ballie das Ruder fest und hob entsagungsvoll die Schultern.

„Wir befinden uns in einer lausigen Ecke“, sagte der Seewolf, der die Hände auf die Schmuckbalustrade stützte und an den aufgegeiten Segeln vorbei nach vorn ins Wasser sah.

„An Backbord haben wir Festland, die syrische Küste, und an Steuerbord nimmt uns die Insel Zypern den Wind. Hoffentlich dauert die Flaute nicht tagelang an.“

Er schlug mit der Faust auf den Handlauf und wandte sich um.

„Sobald man einen festen Plan hat, geht etwas schief“, murmelte er ärgerlich.

„Wird schon nicht lange dauern, Sir“, meinte der Rudergänger Pete Ballie. „Notfalls können wir uns ja selbst aus der Kalme rudern, falls es länger dauert.“

„Bis morgen früh lassen wir uns treiben, länger nicht“, sagte der Seewolf. „Dann wird das große Boot abgefiert, und wir rudern auf Südkurs weiter.“

Von der Aussicht war keiner sonderlich begeistert, aber von der Aussicht, hier tagelang liegen zu bleiben, erst recht nicht. Dann war etwas Knochenarbeit schon besser.

Im Logbuch der „Isabella“ wurde als Datum der dreiundzwanzigste Dezember im Jahre des Heils 1591 eingetragen.

Nur der verdammte Nebel stieg immer stärker aus dem Wasser. Waren es zuerst nur winzige Dunstwolken gewesen, so wuchsen jetzt vorn und achtern, an Backbord und Steuerbord überall dichte Wände auf, die pulsierend über das Wasser krochen.

Achteraus stand eine dunstige Bank, die in sich quirlte und brodelte, als würde sie von unsichtbaren Händen geschoben.

Die Nebelbank näherte sich rasch, die ersten Fetzen hüllten das Achterdeck ein und ließen die Leute darauf wie Gespenster erscheinen.

Alles wurde still und verschwamm in den Konturen, selbst die Stimmen waren nur noch gedämpft zu hören.

Der Gambianeger Batuti starrte über den Handlauf des Schanzkleides, kniff die Augen zusammen und musterte das Wasser, wo er einen dunklen Punkt zu sehen glaubte.

„Sah aus wie Schiff kleines“, sagte er zu dem Deckältesten Smoky. „Aber Batuti auch können irren. War noch weit weg. Kann sein, ist auch dickes Nebel gewesen.“

„Ich sage es trotzdem dem Profos“, meinte Smoky. „Vorhin haben wir zwar nichts gesehen, aber möglich ist alles. Und in diesen Ecken wimmelt es nur so von Piraten.“

Smoky meldete die Beobachtung dem Profos weiter, und der nahm sie nicht etwa auf die leichte Schulter.

„Möglich, daß einer schon vorher in der Nebelbank trieb“, meinte er. „Es ist zwar unwahrscheinlich, daß er mit uns kollidiert, aber es könnten Piraten sein, die sich ganz bewußt anschleichen, falls sie uns entdeckt haben.“

Etwas später wußte auch der Seewolf Bescheid.

Die „Isabella“ war jetzt wie in dichten Qualm gehüllt. Um sie herum herrschte eine geradezu beängstigende Totenstille. Hin und wieder war nur leicht ein unterdrücktes Räuspern zu hören.

Der Seewolf ging zur Kuhl hinunter und blickte über das Schanzkleid. Vergeblich versuchte er mit seinen Augen den zähen Brei zu durchdringen. Er sah nur quirlige Wolken, die an der Bordwand hochwallten und über das Schiff krochen.

„Nicht mehr glasen!“ befahl er. „Laßt Wachen verstärkt vorn und achtern aufziehen und ladet eure Pistolen. Zwei Mann gehen sich je an der Backbord- und Steuerbordseite entgegen. Gebt mir auf das kleinste fremde Geräusch acht. Daß wir vorhin nichts gesehen haben, bedeutet nicht, daß wir allein sind. Der Nebel war eine vorzügliche Tarnung für einen, der uns vielleicht gesehen hat.“

Bewaffnete Wachen zogen auf, während andere sich am Schanzkleid postierten und nach unten blickten. Wenn außer dem Nebel auch nichts zu sehen war, eine Gestalt würde man doch bemerken, sobald sie an Bord kletterte, und das sicherte den Seewölfen doch einen gewissen Vorteil.

Einmal, gut eine Stunde später, entstand in dem quirligen Dunst eine schnurgerade Lücke, die die Sicht auf fast eine Meile freien Wassers zuließ.

Dann begann sich die Lücke wieder zu schließen, von zwei Seiten wurde die Gasse aufgefüllt, und minutenlang entstand eine neue, die sich ebenfalls gleich darauf schloß.

Auch als zwei Stunden vergangen waren, rührte sich nichts. Wenn es wirklich ein fremdes Schiff in der Nähe gab, dann hatte es die „Isabella“ ebenfalls aus den Augen verloren und würde den Weg durch den Nebel nicht finden.

Kurz vor Mittag verteilten sich einige Schwaden. Die Sonne löste den Nebel unmerklich auf und schuf wieder jene Stellen, wo man das freie Wasser sehen konnte.

Batuti hatte sich nicht getäuscht. Das was er zu sehen geglaubt hatte, lag etwa drei Kabellängen vor ihnen auf dem Wasser, als wäre es dort festgefroren.

 

Es war eine kleine Feluke. Still und friedlich lag sie da. An Deck war niemand zu sehen.

2.

Hasard blickte durch das Spektiv, dann wandte er sich fragend an den Waffen- und Stückmeister Al Conroy: „Drehbassen einsatzbereit, Al?“

„Aye, Sir. Mit Grobschrot geladen. Wenn der Bursche schlechte Gedanken hat, fliegt ihm eine Menge Blei um die Ohren. Glaubst du, die Kerle haben sich eine List ausgeheckt, Sir?“

„Du meinst, wie sie die Araber uns kürzlich beschert haben?“

„So ähnlich, Sir.“

„Es ist nicht ausgeschlossen, aber für viele Leute ist die Feluke eigentlich zu klein. Sie sieht eher wie ein Händlerschiff aus, wie eins dieser Dinger …“

Hasard sprach nicht weiter, er überlegte, aber es fiel ihm nicht mehr ein, wo sie so ein ähnliches Ding einmal gesehen hatten. Jedenfalls war es nur eine sehr flüchtige Begegnung gewesen, und sie war sicherlich auch unwichtig. Feluken dieser Art gab es hier ja viele, und sie begegneten ihnen immer öfter.

Als das Spektiv absetzte, sah er auf der alten Feluke eine Bewegung.

Ein Mann erschien an Deck, dann ein zweiter, ein dritter. Einer der Kerle, er war in Türkenhosen gekleidet, deutete mit der Hand zur „Isabella“. Daraufhin erschienen noch zwei Männer an Deck, die ebenfalls angestrengt herüberblickten.

„Scheint so, als hätten sie uns jetzt erst bemerkt“, sagte Big Old Shane, der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack.

„Ja, das scheint so“, sagte Hasard, „sie können aber auch nur so tun als ob. Ich traue den Kerlen nicht einmal so weit, wie ich sie sehen kann.“

„Sarazenen“, murmelte Ben. „Vielleicht sind auch ein oder zwei Türken dabei. Hast du mal die Waffe gesehen?“

„Eine Holzschleuder, um griechische Feuertöpfe zu verschießen“, sagte der Seewolf. „So ein kleines Biest kann uns ganz schön gefährlich werden. Diese Feluke ist wie ein kleiner giftiger Skorpion mit einem tödlichen Stachel.“

Er blickte wieder durch das Spektiv und suchte nach Qualm, der ankündigte, daß die Kerle einen dieser teuflischen Brandsätze vorbereiteten, er konnte jedoch nichts entdekken.

Dafür sah er eine recht abenteuerliche Gestalt auf der Feluke, die sich von den anderen bunten Figuren deutlich abhob.

Dort stand ein Mann, der eigentlich in keine Kategorie paßte, weil er einfach nicht einzuordnen war.

Fraglos war es ein Araber, und er erinnerte Hasard an eine Mischung aus edlem Scheich, buntem Abenteurer, tollkühnem Piraten und listigem Halsabschneider.

Niemand an Bord ahnte, daß sie diesem eigenartigen Glücksritter schon einmal begegnet waren. Sie hatten es nur nicht bemerkt, denn die Feluke gehörte Ali Abdel Rasul, dem geheimnisvollen Mann aus Ägypten, Syrien, Alexandria, oder woher auch immer er stammen mochte.

Ali Abdel Rasul war der „Isabella“ gefolgt, so unauffällig, wie es seinen Künsten entsprach, denn viele Stimmen hatten ihm etwas geflüstert, tausend Augen hatten die „Isabella“ gesehen, und viele hundert Ohren hatten etwas gehört.

Und das alles hatte Rasul in sich aufgesogen wie ein durstiger Schwamm. Außerdem hatte er mit der „Isabella“ noch eine Abrechnung offen, von der die Seewölfe nicht das Geringste ahnten.

Ebensowenig ahnte der Seewolf, daß dieser Mann hinter ihm her war, sehr viel Zeit hatte, und daß Ali Abdel Rasul mal als Bettler, mal als Arzt, mal als Händler und mal als Pirat auftrat. Er war ein Mann der tausend Verkleidungen, und er sollte einer der ersten sein, der die „Isabella“ und ihre Crew in die Knie zwang.

Aber das war an diesem Tag vor Weihnachten noch alles offen.

„Ein merkwürdiger Kerl“, sagte Hasard und reichte das Spektiv an Ben Brighton weiter. „Wie würdest du ihn einschätzen?“

Nach einer Weile hob Ben ratlos die Schultern.

„Ich weiß es nicht genau“, sagte er. „Ein Schlitzohr, ein Galgenstrick, ein Abenteurer auf jeden Fall. Sein Bart erinnert mich an einen Scheich. Scheint auf jeden Fall der Kapitän dieser seltsamen Leute zu sein.“

Er hatte gerade zu Ende gesprochen, als zwei Männer auf der Feluke plötzlich die Arme hochrissen und etwas herüberbrüllten. Auf die Entfernung war das jedoch kaum zu verstehen.

Dafür hatten es die Zwillinge verstanden.

„Sie entbieten uns ihren Gruß, Dad, Sir“, sagte Hasard junior. „Und sie sagen, daß Allah uns beschützen möge.“

Hasard blickte mißtrauisch in die Runde. Überall sah er Gesichter, in denen der gleiche mißtrauische Ausdruck stand. Da gab es keinen, der sich vorbehaltlos über diesen Gruß freute. Jeder seiner Männer vermutete ein abgekartetes Spielchen, zumindest eine boshafte Teufelei oder eine ausgeklügelte List.

Diese Feluke war keinem geheuer, sie wußten alle nicht so richtig etwas mit ihr anzufangen.

„Und wenn sie uns zehnmal ihren Gruß entbieten und freundlich sind“, sagte Hasard. „Seid auf der Hut. Die Kerle haben etwas vor, die liegen nicht von ungefähr hier. Sobald einer an der Feuerschleuder herumhantiert, kriegen sie was aufs Fell gebrannt.“

„So schnell legt uns keiner mehr rein“, brummte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. „Und seht mal ganz genau hin: Der Äppelkahn liegt tief im Wasser, tiefer als normal jedenfalls. Und ihr wißt, daß wir so eine miese Tour gerade noch heil überstanden haben.“

Daran entsannen sie sich nur noch allzu deutlich, und ein zweites Mal passierte das mit Sicherheit nicht.

Gesundes Mißtrauen bedeutete an diesen Küsten das halbe Leben.

Der Nebel verzog sich weiter, und auf der Feluke riß wieder einer der seltsamen Kerle die Arme hoch und begrüßte die Seewölfe wie alte Freunde, als hätten sie nichts anderes erwartet, ausgerechnet hier auf die Crew zu treffen.

Acht Mann hatten sie jetzt zu Gesicht bekriegt, und dann tat sich auf der Feluke etwas. Da sich immer noch kein Lüftchen rührte, wurden drüben Riemen an Deck gebracht, eingehängt in armstarke Rundsein, und gleich darauf setzte sich die Feluke schwerfällig in Bewegung.

Vier Kerle pullten im Stehen, so ähnlich, als würden sie eine große Gondel über das Wasser treiben.

„Mut haben sie ja, das muß man ihnen lassen“, sagte Hasard, als die Feluke Kurs auf die „Isabella“ nahm. „Besetzt die Drehbassen und haltet auch zwei Culverinen schußbereit. Stückpforten hoch, sobald sie dicht dran sind.“

Ferris Tucker und Al Conroy hatten außerdem noch zwei Flaschenbomben zurechtgelegt.

Egal wie, aber mit einer List kamen die Kerle nicht an Bord, eher ging die Welt unter.

Langsam trieb die Feluke näher heran. Auf dem Deck waren überall freundliche lächelnde Gesichter zu sehen. Die Orientalen verbeugten sich, grüßten höflich, priesen Allah und wünschten den Seewölfen ein langes Leben.

Der Mann mit dem kühn geschnittenen Gesicht und dem scharf ausrasierten Oberlippen- und Kinnbart verneigte sich besonders tief.

Plötzlich sprach er zum Erstaunen aller spanisch. Hasard glaubte, nicht richtig zu hören.

„Allah sei mit euch, Senor“, sagte er laut. „Die Sonne möge ewig auf Seine Majestät Philipp den Zweiten scheinen, und sein Leben möge erfüllt sein von Glück und Freude.“

Wieder erfolgte eine respektvolle Verneigung, und die Blicke Hasards und Rasuls kreuzten sich für den Bruchteil einer Sekunde.

Hasard sah in kohlschwarze Augen, in ein kühnes Gesicht und gestand sich ehrlich ein, daß er den Mann nicht unsympathisch fand, wenn sich auch seine Seele nicht ausloten ließ. Hinter diesen Augen lauerte etwas, das nicht zu definieren war.

Der Seewolf beugte sich etwas weiter vor, zeigte zwei schneeweiße Zahnreihen und lächelte dünn.

„Meinetwegen kann es auf Philipp den Zweiten den ganzen Tag Kastanien regnen“, sagte er auf englisch. „Und wenn ihr nur noch ein Yard näher heranrudert, geht unser großer Böller los!“

Schlagartig wurde die Feluke gestoppt. Hasard sah unter dem arabischen Kopfputz des Mannes ebenfalls weiße Zähne blitzen.

Dann haute es ihn fast um, als Rasul sich wieder verneigte und in einwandfreiem Englisch antwortete.

„Vergebt mir Unwissendem tausendmal, o Herr. Möge die Sonne sich von dem spanischen König abwenden und von nun an das edle Haupt Eurer ehrwürdigen Königin Elisabeth bescheinen. Auch Ibrahim kann sich mal irren, denn ich hielt euch für Spanier.“

Schlitzohriger Bastard, dachte Hasard amüsiert. Hängst deinen Kopfputz immer in den Wind.

„Was wollt ihr von uns?“ fragte er direkt, ohne auf die lauen Höflichkeitsfloskeln einzugehen.

„O Herr, ich bin Ibrahim, der syrische Händler, euer ergebenster Diener. Ich möchte euch die Köstlichkeiten des Orients offenbaren, meine Waren vor euch ausbreiten und euch zum Kauf verlocken.“

„Ein einfacher Händler, der über die Meere fährt, um fremden Schiffen seine Waren zu verkaufen?“ fragte Hasard spöttisch.

„Ein armer, einfacher Händler, Herr, so ist es, der sieben nichtsnutzige Bastarde mit sich führt, die er ernähren muß.“

Wieder erfolgte eine Verneigung, dann zeigte Ibrahim, wie Rasul sich nannte, auf die „sieben nichtsnutzigen Bastarde“, die grinsend und freundlich an Deck standen.

Hasard suchte den Köder, aber noch fand er ihn nicht. Dieser schillernde Taugenichts war mit Leim beschmiert, von oben bis unten, das war ihm längst klar, nur kam er nicht dahinter, ob hier wirklich ein Köder auslag, oder ob es sich um einen ganz besonders gewieften orientalischen Schacherer handelte, einen fahrenden Kaufmann, der die Leute einseifte und übers Ohr haute.

Dieser Kerl war eine Herausforderung für ihn, er strahlte etwas Schlitzohriges aus und konnte ebensogut ein ehrlicher Kumpel wie betrügerischer Schnapphahn und Beutelschneider sein.

„Und jetzt möchtet ihr an Bord, um eure Köstlichkeiten vorzuführen?“ fragte der Seewolf ironisch.

Daß dieser Mann eine unerkannte Gefahr in sich barg, bewies ihm allein das sorglose Grinsen seiner Leute. Selbst der mißtrauische Profos amüsierte sich, und auch Old O’Flynn schien Sympathien für diesen Schnapphahn zu empfinden.

Ibrahim verstand es jedenfalls ganz hervorragend, die Wachsamkeit der Seewölfe einzulullen, und das gab Hasard sehr zu denken.

„Nein, o Herr!“ Ibrahim tat entrüstet. „Nie würden wir wagen, euer Schiff zu betreten. Wir sind nichtsnutzige, armselige und unwürdige Händler, die durch den Verkauf von Waren bescheiden leben. Wir möchten euch bitten, unsere Waren anzusehen, denn ganz sicher werdet ihr einiges brauchen können. Und ich kann versprechen, daß ich fast alles liefere, was ihr wünscht, Herr.“

In Hasards Gesichtsausdruck lag immer noch jener spöttische Zug, denn er glaubte dem Kerl nicht und hielt ihn für einen Märchenerzähler, der sie ablenken wollte, um in aller Ruhe eine Teufelei auszuhecken.

Dabei dachte der Seewolf unwillkürlich an den Gaukler, der sie damals reingelegt hatte, und an andere Kerle, die es ebenfalls auf ähnliche listige Weise versucht hatten.

Unwillkürlich zuckte er leicht zusammen, als sich weit hinter der Feluke etwas aus dem Wasser hob. Es schnellte hoch, verschwand aber sofort wieder, und erst im letzten Augenblick erkannte Hasard, daß es ein vorwitziger Delphin war, der wieder auf Tiefe ging.

„Wie wär’s denn mit Aladins Wunderlampe?“ fragte der Moses Bill grinsend. „So etwas würde ich gern kaufen.“

Ibrahim lachte leise und zeigte wieder sein prächtiges schneeweißes Gebiß.

„Ich sagte ‚fast alles‘, junger Herr. Aber Wunderlampen und fliegende Teppiche hat selbst Ibrahim nicht anzubieten. Aber ihr könnt Messer, reichverzierte Dolche, Pistolen, Lampenöl, Tonkrüge, und was der Dinge mehr sind, sehr billig erwerben.“

Der Sarazene blieb hartnäckig. Er wollte den Seewölfen mit aller Gewalt etwas verkaufen.

Was, fragte sich Hasard, wenn der Kerl nun wirklich ein ganz harmloser Händler war, der sein Dasein durch den Verkauf von Waren an Seeleute fristete? Mußte man deshalb immer gleich das allerschlimmste annehmen?

Ja, verdammt, das mußte man, die Erfahrung hatte das überreichlich gelehrt und immer wieder bewiesen, und er ärgerte sich insgeheim, daß er diesen Ali Baba, diesen Gaukler Aladin, oder wie immer der Kerl heißen mochte, schon als harmlos einzustufen begann.

Ungerührt und mit orientalischer Hartnäckigkeit pries er seine Waren weiter an. Dann ließ er die Feluke so drehen, daß der Blick auf einen achteren Raum fiel, der kostbar ausgestattet war. Hasards Kapitänskammer nahm sich dagegen fast schäbig aus.

 

Boden und Wände waren mit Teppichen belegt und behängt. Von der Decke baumelten Öllampen, über den Teppichen waren Krummschwerter und Dolche angebracht. Da gab es Wasserpfeifen, Tonkrüge, kostbare Stoffe, Silberwaren und arabische Teetische aus gehämmertem Messing.

Einer der Kerle, der die türkischen Bundhosen trug, zauberte ein paar winzige Tassen herbei, schnappte sich einen Kupferkessel voll dampfenden Wassers und goß das Zeug aus Kopfhöhe bis zu den Knien hinunter zielsicher in die Tassen, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten oder sich die Hand zu verbrühen.

„Pfefferminztee mit Rosenöl, Tee mit Orangenwasser, oder darf ich euch kühlen Tamarindensaft zur Begrüßung anbieten?“ fragte der vermeintliche Händler eifrig.

„Wir wünschen keine Getränke“, sagte Hasard schroff und dachte daran, daß der Herrscher von Tortuga mit einem ähnlichen Trick auch schon einmal versucht hatte, die „Isabella“ in seine Gewalt zu bringen. Damals war es vergiftetes Trinkwasser gewesen, hier konnte es vergifteter Tee sein. Der Trick war zwar nicht neu, aber immer noch wirksam.

„Was wir brauchen, sind Eisenkugeln und Pulver, und damit werdet ihr ganz sicher nicht handeln.“

„Ihr tut mir unrecht, Herr“, jammerte Ibrahim. „Ihr stoßt die Hand eines Freundes zurück, der es gut mit euch meint. Ibrahim will euch helfen, Herr. Ihr habt Siebzehnpfünder, wie ich sehe. Wie viele Kugeln braucht ihr?“

„Etwa hundert“, sagte der Seewolf lässig und grinste den Händler herausfordernd an, der ein unglückliches Gesicht zog.

„Sieh nach, ob wir noch hundert haben, Moshe!“ befahl Ibrahim einem seiner grinsenden Kerle. Dann wandte er sich wieder an den total verblüfften Seewolf. „Würden euch zehn Faß Pulver genügen, Herr?“

Hasard sah den Profos an, der blickte ungläubig zurück, und auch die anderen zogen ratlose und verblüffte Gesichter.

„Ihr habt Siebzehnpfünder an Bord?“ fragte Al Conroy fassungslos.

„Ja, Herr“, klang es unglücklich zurück, „aber vielleicht sind es nur noch neunzig oder ein paar weniger.“

„Das ist ja nicht zu fassen“, sagte Ben Brighton. „Diese Feluke ist wohl ein schwimmender Bazar, was? Der Kerl hat einfach alles. Wenn er vernünftige Preise hat, könnten wir ihm vielleicht doch einiges abkaufen.“

„Ich kann ja jetzt schlecht nein sagen, wenn ich die Kugeln und das Pulver geordert habe.“ Hasards Stimme klang leicht gereizt.

Und sein Blick wurde fast böse, als dieser Hundesohn von einem Händler voller Stolz verkündete, sie hätten doch noch zufällig, wie Allah es fügte, genau hundert Kugeln an Bord.

„Nimm dich in acht, Sir“, raunte der alte O’Flynn. „Dieser Kerl ist ein Zauberer, ein Gaukler, der steht mit dem Satan im Bund und hat einen Pakt mit ihm geschlossen.“

„Diesmal muß ich dir fast recht geben, Donegal. So etwas Ähnliches dachte ich auch schon.“

Hasard unternahm aber noch einen letzten Versuch, um diesen merkwürdigen Händler loszuwerden.

„Vorher müssen wir uns über den Preis einigen!“ rief er. „Wenn die Kugeln und das Pulver zu teuer sind, kaufe ich sie an Land.“

„O Herr, ihr wißt die wahre Freundschaft nicht zu schätzen“, klagte Ibrahim. „Ich habe die Kugeln und das Pulver von einem gestrandeten Schiff genommen. Ihr seht, ich bin ein ehrlicher Mann. Sie haben mich also nur die Arbeit gekostet und sonst nichts. Aber ich muß meine Leute bezahlen und habe die Unkosten. Würdet ihr es als unverschämt empfinden, Herr, wenn ich zwei englische Pfund nehme?“

„Für jedes Faß Schießpulver?“ fragte Hasard.

„Für alles zusammen, Herrn. Für die Kugeln, das Schießpulver und die dazugehörenden Fässer.“

Einen Augenblick lang hatte Hasard das Gefühl, als flögen ihm die Pulverfässer um die Ohren. Der Kerl kann doch nicht mehr ganz richtig im Kopf sein, dachte er entgeistert.

„Zwei englische Pfund?“ schrie er zurück.

„Ibrahim will euch nicht schädigen, Herr“, jammerte der Händler. „Gut, ich gebe mich mit eineinhalb zufrieden.“

Die ersten Kugeln und Fässer wurden bereits aus dem Bauch der Feluke an Deck geschleppt.

Hasard wandte sich an Ferris Tukker, der mit verblüfftem Gesicht neben ihm stand.

„Was hältst du davon, Ferris?“

Ferris kratzte seine roten Haarborsten und hob die Schultern.

„Mehr als geschenkt“, meinte er. „ein geradezu idiotisch geringer Preis. Entweder will er uns zu weiterem Kauf animieren, oder er führt etwas im Schilde. Aber ich habe mir den Kahn genau angesehen, Sir. Für Verstecke ist er nicht geeignet, und wenn er wirklich hundert Kugeln und viel Schießpulver an Bord hat, dann wundert mich auch sein Tiefgang nicht. Das ist ganz normal.“

„Das stimmt. Was könnte er, deiner Meinung nach, vorhaben?“

„Da bin ich überfragt, vielleicht täuschen wir uns wirklich in dem Schlitzohr, ganz geheuer ist er mir jedenfalls nicht.“

Während weiterhin Kugeln an Deck der Feluke gebracht wurden, verschwand Ibrahim in seiner Schatzhöhle, kehrte aber gleich darauf mit einem kleinen trommelähnlichen Instrument zurück.

Er hielt es an drei Fäden und ließ es langsam auf die Wasseroberfläche gleiten.

„Ibrahim wird euch ein Kunststück zeigen“, verkündete er, um seine neuen Kunden restlos zu verblüffen. „Mit dieser Trommel zaubere ich einen Delphin aus dem Meer!“

Hasard lachte schallend, und auch die anderen stimmten in das Gelächter ein.

Der gewiefte Kerl hatte den Delphin natürlich auch gesehen. Wahrscheinlich hing unten an der Trommel ein Fisch, der den Meeresbewohner anlockte, der sich hier in der Nähe herumtrieb.

Ging das Experiment schief, hatte Ibrahim nicht viel verloren, klappte es aber, dann würden natürlich alle staunen, und so köderte er seine Kunden wieder einmal.

Hasard und seine Männer nahmen es als einen kleinen Scherz, aber wenn sie den Ernst der Lage gekannt hätten, dann hätten sich ihnen allen die Haare gesträubt, denn Ibrahim konnte viel mehr, als einen Delphin aus dem Wasser zu locken. Er spielte schon jetzt mit den Seewölfen Katz und Maus, ohne daß es einer merkte.

An den Fäden ließ er die Trommel auf dem Wasser tanzen. Seine schlanken Finger zuckten in einem ganz bestimmten Rhythmus, dann wurden sie ruhig, und der schlitzohrige Händler schaute mit starrem Gesicht auf die ruhige Wasserfläche.

Hasard ließ sich jedoch nicht ablenken. Immer wieder blickte er in die Runde, beobachtete die Kerle auf der Feluke und konnte nichts Ungewöhnliches feststellen.

Doch dann wurde sein Gesicht sehr nachdenklich, und über seiner Nasenwurzel stand eine steile Falte.

Plötzlich war da ein Schatten unter der Feluke. Er wurde größer und schnellte sich dann mit einem gewaltigen Satz aus dem Wasser. Der schlanke Leib eines Delphins wurde in der Luft sichtbar, ein merkwürdiger Keckerlaut ertönte von dem Tier, dann fiel es wieder ins Wasser zurück und umschwamm die Feluke.

Zwischen der „Isabella“ und dem Händlerschiff zog der Delphin seine Kreise, und sobald er seine spitze Schnauze aus dem Wasser hob, schien es den Seewölfen, als grinse der Delphin.

Dicht neben der Trommel schnellte er sich mit einem gewaltigen Satz in die Höhe, schleuderte Wasser hoch und ließ sich von dem arabischen Händler einmal schnell streicheln. Dann fiel er wieder ins Meer zurück, blieb aber dicht unter der Wasseroberfläche immer in der Nähe der Feluke.

Noch ein paarmal ließ Ibrahim den Delphin springen, dann verschwand das Tier unter der „Isabella“ und jagte weiter.

Diese Vorführung war so verblüffend, daß zunächst keiner ein Wort sagte. Ungläubig sahen sie auf den geheimnisvollen Händler, der jetzt seine Trommel einholte und zufrieden vor sich hin grinste.

„Das – das ist fast wie Zauberei“, sagte Ben Brighton beeindruckt. „Der Kerl wird mir richtig unheimlich.“

Die Erstarrung von den Seewölfen löste sich, dann begannen sie alle wie wild zu klatschen, was der Händler mit sichtbarem Stolz zur Kenntnis nahm.

„Hat es euch gefallen, Herr?“ fragte Ibrahim.

„Nun, es hat mich beeindruckt“, gab der Seewolf zu. „Wenn ich den Trick kenne, wird er mir vielleicht auch gelingen.“

Zuvorkommend hielt der Kerl die Trommel hoch, auffordernd und grinsend, ganz im Gefühl seiner Überlegenheit.

Die Feluke war nur noch drei Yards von der „Isabella“ entfernt, und jetzt ließ Hasard zu, daß sie anlegte. Solange sich die Kerle auf ihrem Kahn befanden, drohte keine Gefahr. Selbst wenn sie an Deck erschienen, schafften sie es nicht, die Seewölfe zu überrumpeln.

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