Seewölfe - Piraten der Weltmeere 260

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 260
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-596-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Müde und unausgeschlafen erschienen die Seewölfe an Deck, von der traurigen Erkenntnis betroffen, daß die „Isabella“, die gute alte Lady, die sie treu und brav über die Meere geführt und die manch harte Schlacht überstanden hatte, so gut wie verloren war.

Das Ende des Schiffes zeichnete sich deutlich ab.

Ali Abdel Rasul, der Mann mit den tausend Gesichtern, hatte sie mit List und Tücke in den Kanal des Todes gelockt, den Kanal, der angeblich ins Rote Meer und von dort weiter in den Indischen Ozean führen sollte.

Als der Seewolf die tödliche Falle erkannte, die Rasul ihnen gestellt hatte, war es mit seiner Beherrschung vorbei. Ali Abdel Rasul wurde zusammengeschlagen und vom Bordgericht zum Tode an der Rah verurteilt.

Noch bevor sie Ali die Schlinge um den Hals legten, begann wieder der Sandsturm zu heulen, und im Brüllen und Toben des Chamsin, wie die Ägypter den staubigen Sturm nannten, war es Ali gelungen, über das Schanzkleid zu springen und zu verschwinden. Er hatte auch noch die Kaltblütigkeit aufgebracht, die beiden zum Treideln vorgesehenen Kamele zu entwenden.

Dann war er im Sandsturm verschwunden.

In der letzten Nacht war nicht an Schlaf zu denken gewesen. Hilflos über ihrem Schicksal brütend, verbrachten die Seewölfe diese Nacht mit Beratungen und Diskussionen über ihr künftiges Los, das recht betrüblich aussah.

Es hatte den Anschein, als wären sie diesmal der Lage nicht ganz gewachsen, denn in einer derart ausweglosen Situation hatten sie sich noch nie befunden.

An diesem denkwürdigen Maitag ließ das Fauchen, Heulen und Wimmern des Chamsins etwas nach. Es war die Zeit der Sandstürme in Ägypten. Sie bliesen unregelmäßig und schoben Tausende von Tonnen Sand und Staub vor sich her, aber man mußte damit rechnen, daß sie mitunter tagelang wehten.

Dann war draußen jeder Aufenthalt für Mensch und Tier unmöglich.

Die Lage der englischen Galeone sah so aus:

Von Kairo aus führte der Kanal der alten Ptolemäer quer durch Land und Wüste und ging hinter Zagazig in den Kanal der Pharaonen über, der wiederum in den Kanal des Necho mündete. Von dort aus ging es weiter in die beiden Bitterseen und zum Roten Meer. Daß diese vor Jahrtausenden erbauten Kanäle wirklich existierten, hatten alle Seewölfe gesehen, obwohl sie zuerst daran gezweifelt hatten.

Der Haken war nur, daß die Kanäle zum Landesinnern hin immer enger, flacher und schmaler wurden, bis sie schließlich ganz versandeten.

Wenn der Chamsin nicht wehte, konnte man die Kanäle noch mit einem Schilfboot oder einem kleinen Floß befahren, nicht aber mit einer englischen Galeone von relativ großem Tiefgang.

Genau darauf waren Hasard und die Arwenacks hereingefallen – und auf das ehrliche Gesicht des listenreichen Hundesohnes Ali Abdel Rasul, dessen Plan exakt aufgegangen war.

Wovon niemand auch nur zu träumen gewagt hatte – Ali hatte es realisiert. Er hatte die Seewölfe bezwungen!

Jetzt saß die „Isabella“ hoffnungslos fest. Rechts und links von ihr befand sich Wüste, nichts als Wüste. Erst nach ein paar hundert Yards begannen kahle Berge, nackte Hügel, von Kavernen durchzogen, die vor vielen Jahren als natürliche Trinkwasserspeicher gedient hatten. Zisternen, die den Nomaden und Beduinen als vorübergehende Rastplätze dienten.

Die Landschaft war trostlos, kahl, öde und wirkte auf den Betrachter beklemmend.

Das stellte auch Ferris Tucker fest, als er zusammen mit den anderen an Deck stand und zu den Bergen hinüberblickte.

In seinen Augen lag kalte Wut, aber auch die anderen hatten diesen mörderischen Blick drauf, diesen Blick, der nichts Gutes verhieß und einem geflüchteten Mann galt, der schon fast unter dem Galgen stand und gerade noch rechtzeitig verschwunden war.

Den Profos und Zuchtmeister Edwin Carberry hielt es nicht mehr an Bord. Von der Kuhl aus flankte er in den Sand, bückte sich und suchte den Boden ab.

Carberry wollte Rache, Ferris Tucker wollte den Mann umbringen, der sie in diese ausweglose Situation gelotst hatte – und alle anderen wollten das auch.

Sie wollten Rasul suchen und ihn aufhängen, jawohl, aufhängen am Halse, bis er tot war. So hatte das Bordgericht entschieden, und diesmal wäre jeder humanitäre Anflug gar nicht erst aufgekommen. Sie hätten Rasul gehängt, das war sicher.

Hin und wieder fuhr ein heißer fauchender Wind über das Schiff. Der Chamsin schlief ein, erwachte aber nach ein paar Stunden wieder und heulte sein klagendes Lied wie eine Elegie gegen die Galeone der Seewölfe.

Immer mehr Sand häufte sich auf den Decks. Er kroch durch alle Ritzen, selbst durch die kalfaterten Ritzen in den Planken drang er. Manchmal war der Sand wie Staub, dann wie Puder, dann wieder schmirgelte er hart und glasig. Dieser Sand wehte die „Isabella“ langsam aber sicher zu, er begrub sie, wie er schon so vieles unter seinem Ansturm begraben hatte.

Blacky, Smoky, Pete Ballie, Bill, Batuti und Dan, sie alle suchten ebenfalls nach Spuren wie der Profos.

„Hört auf“, sagte Ben Brighton gepreßt und ebenfalls von ohnmächtigem Zorn erfüllt. „Ihr werdet keine Spur mehr finden, der Sand hat sie über Nacht längst wieder zugeweht. Sie sind für immer verschwunden.“

„Der Kerl ist mit den Kamelen in die Berge geritten“, sagte der Profos angriffslustig. „Dort sollten wir suchen, da hat er sich irgendwo versteckt, und ich werde diesen Halunken finden. Und wenn ich ihn habe, dann …“

Der Seewolf, der jetzt ebenfalls das Schiff verlassen hatte, winkte ärgerlich und fast deprimiert ab.

„Hör auf, Ed“, sagte er erbittert. „Der Kerl kann mit den beiden Kamelen genausogut zur anderen Seite geritten sein. Dort gibt es noch mehr Berge. In dieser unwirtlichen Gegend werden wir ihn niemals finden. Wir werden auf diese Genugtuung wohl oder übel verzichten müssen, denn wir haben augenblicklich andere Sorgen. Es geht um unser Überleben, und das wird sich verdammt schwierig gestalten.“

„Aber, Sir“, wandte Ed mit zuckendem Gesicht ein, „dieser Hundesohn wartet doch darauf, daß wir versanden. Uns bleibt nichts anderes übrig, als auf irgendeine Art von hier zu verschwinden. Die gewaltigen Reichtümer im Bauch der Lady können wir nicht mitnehmen. Sind wir aber verschwunden, dann taucht dieser Schweinekerl hier wieder auf und gräbt die alte Lady aus, und dann ist er der reichste Mann der Welt. Auf unsere Kosten!“ brüllte Carberry, dem vor Wut fast der Schaum in den Mundwinkeln stand.

„Natürlich, Ed, das war ja Sinn und Zweck der ganzen Sache. Ich betonte schon einmal, daß ich wie ein Idiot darauf hereingefallen bin. Nur nutzt es mir nichts, wenn ich jetzt vor Selbstmitleid und schmerzlicher Erkenntnis zerfließe. Wir haben ein Problem, und das steht im Vordergrund.“

„Richtig“, sagte Big Old Shane, in dessen grauem Bart schon wieder Sand hing. „Wir kriegen diesen drekkigen Bastard nicht mehr. Wir vergeuden nur unsere Zeit. Wir sollten uns um unsere Lady kümmern und auch die unsinnigste Möglichkeit ausschöpfen, um sie wieder frei zu kriegen. Verschaffen wir uns zuerst einmal ein ganz genaues und präzises Bild. Alles andere ist zweitrangig.“

Carberry spie wutentbrannt in den sandigen Untergrund. Der Gedanke an den Schweinehund Rasul ließ ihn fast krank werden. Wenn er nur daran dachte, daß der später hier aufkreuzte und sich die angehäuften Schätze unter den Nagel riß, dann wurde dem Profos jedesmal schlecht.

Und, verdammt noch mal, bei allen lausigen Nilratten, der alte O’Flynn hatte wieder einmal recht behalten, und sie mußten ihm eine ganze Menge abbitten.

Er war, außer den Zwillingen, der einzige und ständige Mahner gewesen, der vor Rasul gewarnt hatte, und sie hatten ihn ausgelacht und sogar mit harten Worten belegt, nur weil er diesem Mistkerl Widerstand entgegengesetzt hatte.

Es war aber nicht so, daß Old O’Flynn jetzt ständig laut betonte, wie recht er gehabt hätte. Er wies kein einziges Mal darauf hin und ließ die anderen stumm leiden. Er selbst stand allerdings auch wie ein alter kranker Hund an Deck und war bis in den Grund seiner Seele erbost und verbittert. Er dachte auch daran, daß er ein Holzbein hatte, und daß er mit diesem Holzbein vielleicht meilenweit durch die Wüste latschen mußte, und wenn er mit seinen Gedanken an diesem Punkt war, dann begann er mit zitternden Lippen lautlos zu fluchen.

„Ja, er ist weg und verschwunden“, sagte Ed. „Nicht mal die Hufe dieser stinkenden Kamele haben einen Abdruck hinterlassen. Der Scheißsandsturm hat alles verweht.“

 

Niemand nahm Carberry oder einem anderen das Fluchen übel, und jeder ertrug des anderen schlechte Laune geduldig. Schließlich waren sie ja alle schuld an ihrem Unglück, weil sie diesem Schlitzohr blindlings vertraut hatten.

Jetzt war es zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Das, was Shane gesagt hatte, war wirklich wichtiger. Sie mußten hier heraus, auf Biegen oder Brechen, sie mußten etwas für sich und die Lady tun, sonst gingen sie vor die Hunde. Es war abzusehen, wann das Trinkwasser und der Proviant verbraucht oder verdorben waren, und deshalb mußte etwas geschehen.

Ausnahmslos alle verließen jetzt das Schiff, das sich leicht zur Seite geneigt hatte.

In der letzten Nacht hatte der Sandsturm das bißchen Wasser noch zugeschüttet und verwüstet, in dem die „Isabella“ lag. Jetzt saß sie mitten im Sand fest, und nur weit achteraus war das Wasser im Kanal noch zu sehen. Doch mittlerweile war es wohl auch sehr flach geworden.

Bei jedem Schritt sackten sie leicht in den Sand ein. An manchen Stellen war er hart und unnachgiebig, an anderen weich wie aufgeschüttetes Korn.

Vor dem Bug blieben sie stehen, der dorthin zeigte, wo sich das Rote Meer befand – und damit der Weg in die Freiheit. Aber die Freiheit hatte der Chamsin verweht, der jetzt wieder leise klagend heranharfte und Staub und Sand mit sich brachte.

Der Bug war schon ein wenig eingesunken, auch die Steuerbordseite hatte sich leicht geneigt. Die Masten mit den aufgegeiten Segeln zeigten nicht mehr senkrecht in den Himmel.

„Wenn wir mit über zwanzig Mann pausenlos ranklotzen und Sand schaufeln“, sagte Matt Davies in die lastende Stille, „dann müßten wir die Lady doch zum Aufschwimmen bringen. Und dann könnten wir sie achteraus dorthin schleppen, wo das Wasser etwas tiefer ist.“

„Das sind Illusionen, Matt, Wunschdenken“, meinte Hasard. „Diesen Gedanken habe ich auch schon erwogen. Achtern anfangen und das Heck freischaufeln, dann an den Seiten entlang bis zum Bug. Dabei habe ich schon in Betracht gezogen, alle Culverinen auszuladen, die Räume zu löschen und die Masten umzulegen. Es würde eine höllische Arbeit werden, bei Tag und Nacht, aber es geht nicht. Es sei denn, der Sandsturm würde nicht mehr wehen. Was wir in tagelanger Arbeit freischaufeln, wird innerhalb einer Stunde wieder zugeweht. Was meinst du, Ferris?“

Der rothaarige Schiffszimmermann hatte ein verkniffenes Gesicht. Seine Augenbrauen sahen vom Sand und Staub wie gepudert aus. Auch er schüttelte nach einer Weile enttäuscht den Kopf.

„Ich sehe leider keine Möglichkeit, weil der Sand schneller ist als wir, wie du schon ganz richtig sagtest. Es wäre vergebliche Arbeit. Diesmal scheint es endgültig für uns aus zu sein. Einmal verlieren auch die Unbesiegbaren“, fügte er bitter hinzu.

Ja, das nagte an ihren Herzen und fraß in ihren Seelen. Die Seewölfe, in fast allen Schlachten ungeschlagen und über ihre Siege triumphierend, waren am Ende, fertig, erledigt, hereingelegt von einem Kerl, dem sie vertraut hatten. Ein einzelner gegen eine ganze Crew eisenharter Kerle, und er hatte gewonnen. Er befand sich nun irgendwo in Sicherheit.

In Ferris stieg die Wut hoch. Mit dem Stiefel trat er in den Sand, der nach allen Seiten davonstob.

„Die Ohren könnte ich mir abbeißen!“ brüllte er, von einem neuerlichen Wutausbruch übermannt.

„Davon wirst du auch nicht schöner“, sagte der Profos trocken. „Außerdem ist das reichlich umständlich.“

Blacky hatte sich auf den Wüstenboden gelegt und betrachtete den Rumpf der „Isabella“ in voller Länge.

„Es ist nicht nur der Sand allein“, sagte er, als er sich wieder aufrichtete, „es ist eine Art Mahlstrom. Seht doch mal! Der Sand hat eine riesige Düne gegen Steuerbord geweht, aber die Lady ist tiefer gesunken, als das Wasser sich zurückzog oder zugeweht wurde. Der Sand gibt unter ihr nach. Sie wird ganz langsam immer tiefer hinabgezogen und sackt weg. Da können wir schaufeln, solange wir wollen. Wir werden am Ende immer die Verlierer sein.“

„So sieht es aus“, meinte auch der Decksälteste Smoky. „Das ist wie damals, als wir in die Teufelslagune gerieten und im Mahlsand festsaßen.“

Hasards Gesicht war verkniffen. Um seinen Mund lag ein harter Zug, die Lippen waren zwei dünne Striche in einem kantigen Gesicht aus dem schwarze Bartstoppeln sprossen. Die ganze Hoffnungslosigkeit ihrer Lage stand in seinem Gesicht geschrieben.

Sie gingen um die „Isabella“ herum und hielten weiterhin Kriegsrat, erwogen Möglichkeiten, versuchten Chancen zu nutzen, das Beste herauszuschlagen, aber das Fazit war erschreckend.

Der Kanal war unpassierbar geworden. Das Schiff hing in einer sandigen Pfütze, die von der Hitze immer weiter ausgedörrt wurde. Die Luft flimmerte wellenförmig und heiß um den Rumpf. Die aufgegeiten Segel waren grau in grau, voller Sand, und beim leisesten Windhauch rieselten Staub und Sand aus großer Höhe aus den Segeln und legten sich über die Decks.

Krampfhaft schluckend sahen die Seewölfe auf ihre schwimmende Heimat, die sich unmerklich anschickte, in ihr einsames Wüstengrab zu sinken.

Die Lady war müde, sie hatte ein entbehrungsvolles Leben hinter sich, ein Leben voller Wunden und Blessuren. Sie war über Korallenbänke geschrammt, von Kugeln getroffen worden, und Feuer hatte ihren Leib gemartert. Auf ihren Decks war Blut geflossen, sie hatte den Naturgewalten getrotzt und brüllende Orkane besiegt.

Jetzt war sie krank, alt und müde, und ihre gepeinigte Seele wollte endlich Ruhe finden. Ihr geschundener Körper hatte sich zum Sterben niedergelegt wie ein großes krankes Tier.

Sie wollte nur noch mit einem leisen Seufzen und Klagen in ihr Grab sinken, für alle Zeiten.

„Vielleicht besteht doch noch eine kleine Hoffnung“, meinte der blonde Schwede Stenmark. „Wir haben doch selbst schon erlebt, daß in diesem Kanal das Wasser steigt und fällt. Ich weiß zwar nicht, wie das zusammenhängt, vielleicht drückt der Nil es herein, oder es läuft von den beiden Seen hierher. Wir sollten das Schiff jedenfalls nicht so schnell aufgeben.“

„Noch haben wir es ja nicht aufgegeben, aber ich glaube an diese Möglichkeit nicht. Wenn das Wasser steigt, dann höchstens ein paar Fuß, wenn überhaupt. Und das hilft uns nicht weiter“, sagte der Seewolf.

„Aber dieser Rasul hat doch gesagt, das Wasser steigt und fällt in unregelmäßigem Rhythmus“, wandte Jeff Bowie ein.

„Hör mit dem Namen Rasul auf!“ brüllte der Profos außer sich vor Wut. „Ich kann das nicht mehr hören! Dieser Mistbock hat schon viel gesagt, und er hat es geschafft, uns in eine perfekte und tödliche Falle zu locken. Verdammt, ich gehe doch noch in die Berge!“ schrie Ed. „Der hockt da irgendwo, beobachtet uns und lacht sich halbtot über uns.“

„Und später holt er sich in aller Ruhe die Schätze“, meinte Ferris, „das ist es, was mich außerdem noch so wurmt.“

„Er wird keine Schätze holen“, sagte Hasard hart. „Nichts, aber auch gar nichts von den Reichtümern wird ihm in die dreckigen Finger fallen, dafür sorge ich.“

„Und wie willst du das anfangen, Sir?“ fragte Ed aggressiv. „Willst du dich auf den ganzen Krempel setzen und ihn bis ans Ende deiner Tage bewachen? Er braucht doch nur zu buddeln, wenn wir eines Tages hier verschwunden sind.“

„Da wird er lange buddeln können, er wird nichts finden.“

„Wir können es nicht mitnehmen, Sir“, sagte Ferris Tucker.

„Weiß ich, mir ist schon etwas eingefallen. Aber das schieben wir noch ein wenig hinaus. Vorerst bleiben wir hier, wir können gar nichts anderes tun. Wir sind von jeglicher Zivilisation abgeschnitten, wir sind nur von Felsen und Sand umgeben, und wir müssen diese fürchterlichen Sandstürme abwarten. Das können wir aber nur in den Räumen unserer Lady, draußen überleben wir nicht. Wenn diese Sandstürme vorbei sind, werden wir wohl oder übel aufbrechen müssen, und dazu brauchen wir die Beiboote. Wir werden sie an Deck umgedreht festzurren, so daß wir sie jederzeit wieder ausbuddeln können. Und jetzt steht uns eine Menge Arbeit bevor, die wir sofort anpacken.“

Nachdem sie sich noch einmal davon überzeugt hatten, daß jede Buddelei oder Ausgraberei völlig unsinnig war, teilten Hasard und Ben die Seewölfe zur Arbeit ein. Es mußte sinn- und planvoll vorgegangen werden, um das Überleben zu sichern.

Damit war aber auch gleichzeitig die „IsabellaVIII.“ aufgegeben worden. Zwar sprach das niemand aus, aber sie wußten es alle. Das Schiff diente nur noch als Unterkunft und zum Schutz gegen die heulenden Sandstürme.

Da mußte einiges umgebaut werden, geändert, improvisiert und verbessert, so lange ihre Lage das noch zuließ.

Doch der Chamsin zog ihnen einen Strich durch die Rechnung. Gegen Mittag verdunkelte sich die Sonne, und dann ging es wieder los. Schlimmer als je zuvor.

2.

„Schnell unter Deck!“ befahl Hasard. „Geht in den Aufenthaltsraum, alle. Und du, Ferris, nimm deine Werkzeugkiste mit, wir werden sie gleich brauchen.“

Die beiden Beiboote der „Isabella“, die kleine Jolle und das größere Beiboot, waren auf dem Hauptdeck festgezurrt worden. Die Zurrings sicherten es gegen den Sandsturm, damit die Boote in der Schräglage nicht zerschmettert wurden. Die beiden Boote konnten später ihre Rettung bedeuten, sonst blieb ihnen nur die Möglichkeit, zu Fuß zum Meer zurückzukehren.

Als das Heulen einsetzte, liefen die Seewölfe mit besorgten Gesichtern zur Messe, dem Aufenthaltsraum, den Ferris Tucker aus einem Teil des achteren Laderaumes gebaut hatte. Dieser Raum bot der ganzen Crew Platz, und in ihm hatte einst ein gewaltiger Ofen aus Silberbarren gestanden – damals, als sie sich noch in den eisigen Regionen des Nordens befunden hatten. Da war der Ofen mangels anderer Brennstoffe mit Walspeck beheizt worden. Jetzt war das Ungetüm seit langem verschwunden, es wurde nicht mehr gebraucht, und dadurch hatten sie mehr Platz.

Der Schimpanse Arwenack hockte schon hier unten, und auch der karmesinrote Arakanga Sir John, hatte sein Plätzchen auf einer langen Stange in der Ecke, die die Zwillinge aus einem langen Ast gesägt hatten.

Das Schott donnerte zu. Wütend knallte es der Sandsturm dem letzten Mann fast noch ins Kreuz.

Dann begann der Chamsin zu winseln und zu klagen. Bösartig fiel er über das Schiff her, nagte mit seinen schmirgelnden Zähnen in der aufgegeiten Leinwand und fuhr singend durch die Wanten. Sofort begann auf der „Isabella“ wieder das Ächzen und Knarren, das Knacken und Prasseln, das alle erschauern ließ.

Hin und wieder knackte es laut in den Planken, die jetzt mit dem Wasser kaum noch Berührung hatten. Das Holz verzog sich unter der erbarmungslosen Hitze, und wo ein feiner Riß entstand, da schob und drückte der Sand nach und zwängte sich mit tausend Köpfen hindurch.

Die Männer lauschten diesem Todeslied, dieser Melodie des Satans, der im stehenden Gut seine teuflische Mandoline erklingen ließ und mit immer lauterem Geheul über das Holz fuhr.

„Wir gehen deutlich hörbar unserem Ende entgegen“, sagte der alte O’Flynn, und die anderen nickten düster. Oh, sie würden sich hüten, dem Alten noch einmal zu widersprechen, den sie anfangs wegen seines scheinbar grundlosen Mißtrauens verhöhnt hatten, denn wegen Othman Mustafa Ashmun, wie Rasuls Name als türkischer Hafenbeamter gewesen war, hatte es handfesten Krach gegeben.

Jetzt vermieden die anderen ängstlich, das Thema zu berühren, denn die Niederlage war reichlich beschämend und entwürdigend.

Nebenan im Laderaum rumpelte etwas. Vielleicht war durch die leichte Schräglage eine der Schatztruhen umgefallen, oder ein Faß hatte sich losgerissen und polterte jetzt zur Steuerbordseite.

Hasard hatte die Arme auf die lange Back gestützt, sah sich im Kreis seiner Männer um und fragte sich beklommen, wie lange sie wohl noch zusammen sein mochten, wie lange es sie auf der alten Lady noch hielt, bis sie entweder im Sand versank oder von Sturm, Sonnenglut und weiteren Sandmassen zerstört wurde.

Fiel sie vorher auseinander? Oder versank sie für immer in dem konservierenden Grab des heißen trokkenen Sandes? Vermutlich würde sie so mumifiziert werden wie die Mumien in ihren jahrtausendealten Wüstengräbern im westlichen Theben.

Aus und Ende der „Isabella“, dachte der Seewolf weiter. Klar, genau betrachtet war sie ein Ding aus Holz und Eisen, so konnte man es auch sehen, aber sie war auch zugleich Heimat und sicherer Hort für sie alle gewesen, und mit ihr waren tausend Erinnerungen an Fahrten in alle Länder der Welt verbunden. Ein bißchen Sentimentalität schlug sich dann schon nieder, wenn man daran dachte, wie sicher und prächtig das alte Mädchen sie über alle Meere der Welt getragen hatte.

 

Aber jetzt war nicht die Zeit dazu, obwohl Hasard an den Gesichtern der Männer sah, daß alle so ähnlich dachten. Nur nicht sentimental werden jetzt!

Er räusperte sich und sah die Männer an, die in langer Reihe auf der umlaufenden Bank um die Back saßen. Manche unterhielten sich, einige starrten wortlos und grüblerisch auf die schwere Tischplatte und überlegten wohl, wie es jetzt weiterging.

„Hört mal zu“, sagte Hasard. „An Deck ist jetzt jeder Aufenthalt unmöglich geworden. Dort können wir vorläufig gar nichts tun. Also werden wir hier in der Messe mit der Arbeit beginnen. Hält der Sturm einige Tage an, was durchaus der Fall sein kann, dann sind wir hier abgeschnitten und erledigt. Wir gelangen nicht einmal an die Wasserfässer und den Proviant heran.“

„Und was sollen wir von hier aus unternehmen?“ fragte Smoky.

Hasard zeigte auf das schwere Schott. Er mußte lauter reden, denn der „Wüstenorkan“ wie der Profos den Sandsturm nannte, erreichte offenbar einen Höhepunkt an teuflischer Wut. Er heulte und pfiff durch die Takelage, zerrte und rüttelte an allem und erschütterte das Schiff mit harten Schlägen.

„Ich habe es schon einmal gesagt: Wir werden die ‚Isabella‘ verlieren. Das ist eine Tatsache, und die muß jeder zur Kenntnis nehmen und sich ständig vor Augen halten. Alles andere wäre Schönfärberei und verklebt uns nur die Augen. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, wann wir das Schiff verlassen werden, und das wiederum liegt an dem Sandsturm, der uns zuweht.“

„Und dem Mahlstrom, der uns weiter nach unten zieht“, fügte Blacky hinzu.

„Richtig, daher bleibt uns nicht viel Zeit. Wir werden also damit beginnen, uns eine Verbindung von vorn bis achtern zu schaffen, von hier in die Laderäume, von dort zur Kombüse und zum Logis. Und von hier gleichzeitig eine Verbindung direkt zum Achterkastell, meiner Kammer und den Gästekammern.“

„Das geht aber verdammt auf Kosten der Stabilität“, meinte Ferris Tucker.

„Darauf kommt es wohl nicht mehr an. Außerdem sollen es ja nur Durchschlupfe werden. und es sollen auch keine tragenden Elemente herausgenommen werden. Um es ganz zu vereinfachen, Ferris: Du haust ein Loch ins Schott und sägst einen Durchschlupf, und so verfährst du von einem Raum zum anderen, bis zur Vorpiek wo die Wasserfässer stehen.“

„Eine gute Idee, Sir“, sagte Ferris.

Von oben polterte etwas schwer auf das Deck, Tuch zerriß, es war ganz deutlich zu hören.

Blacky hob den Kopf zur Decke, kniff die Augen zu und sagte: „Das war eins unserer Segel. Der Sturm hat es losgerissen und zerfetzt es jetzt.“

Flatternde Geräusche erklangen, etwas wurde mit unvorstellbarer Wucht übers Deck weiter nach achtern geweht. Dann heulte wieder laut und mißtönend der Chamsin, als freue er sich über sein Zerstörungswerk.

Unwillkürlich zogen sie das Genick ein, und wieder wurde die Hoffnungslosigkeit ihnen drastisch vor Augen geführt. Sie waren machtlos und konnten nur hoffen, nicht im Sand zu ersticken, der das Schiff immer weiter unter sich begrub.

Ferris Tucker begann mit der Arbeit, unverzüglich, wie es seiner Art entsprach und die Zeit es forderte. Die ersten Axtschläge donnerten an das Schott, und Ferris hieb zu, verbissen, und er wurde das lausige Gefühl nicht los, als schlüge er mit jedem Hieb in seinen eigenen Körper.

Nachdem eine Planke zerschlagen war, sägte der rothaarige Schiffszimmermann ein Loch in das Schott, gerade groß genug, daß sich ein Mann hindurchzwängen konnte.

Damit war der Weg zum Laderaum frei. Es gab auch noch einen anderen Weg um von vorn nach achtern zu gelangen, und der führte am Kielschwein vorbei, war aber so eng, daß es nur die Zwillinge mit ihren akrobatischen Fähigkeiten schafften.

Im Laderaum, wo die unermeßlichen Reichtümer und Schätze lagen, befand sich ebenfalls eine dünne Schicht Sand. Der Teufel mochte wissen, wie er eingedrungen war, aber er war da, und es wurde unmerklich immer mehr.

Ferris zwängte sich hindurch und stand inmitten all der Kostbarkeiten, die sie angehäuft hatten. Truhen voller Perlen, Silber- und Goldbarren, Schmuck, Ringe, Halsketten und Statuen. Da lagen, sorgfältig verstaut, ägyptische Kanopen, goldene Mastabas und Kleinodien aus den Gräbern, vom goldenen falkenköpfigen Gott Horus bis zur Goldstatue der Göttin Isis. Gold- und Silbermünzen waren sogar in Fässer gefüllt und versiegelt worden. Ganze Truhen mit Edelsteinen und kostbarem Schmuck waren festgezurrt.

Und über allem lag eine feine besitzergreifende Schicht Sand.

Carberry war seinem Freund gefolgt, und hinter ihnen erschien Dan O’Flynn, der in das Halbdämmer blickte und den Kopf schüttelte.

„Ein Hohn ist das“, sagte er. „Eine Sache zum Totlachen, wenn sie nicht so verflucht ernst wäre. Mit diesen Reichtümern hätten wir Englands Seemacht gestärkt und uns eine absolute Vormachtstellung schaffen können. Stellt euch nur mal vor, wie viele Schiffe von diesem Zeug gebaut werden könnten. Und jetzt versandet es, das Gold, das Silber, die Perlen und die Edelsteine.“

Der Profos nickte und spie in den feinen Staub.

„Zum Kotzen ist das. Wir können uns fast getrost zu den reichsten Männern der Welt zählen, und wir hocken auf goldenen Eiern, aber wir können nichts damit anfangen, gar nichts. Nicht einmal einen Schluck Wasser kriegen wir hier dafür. Wir würden im Gold schwimmen und verdursten und verhungern. Da seht ihr mal am besten, was so ein Scheißzeug wert ist. Plunder, nichts als Plunder, und der zählt nur unter Menschen. Ist man allein, dann kann man mit dem Mist nichts mehr anfangen. Das ist schon eine verrückte Welt.“

„Und wenn man mal den Arsch zukneift“, setzte Ferris hinzu, „dannn läßt man den ganzen Krempel hier und kann auch nichts mitnehmen. Und die anderen schlagen sich wegen dieses Zeugs gegenseitig tot.“

Hinter ihnen zwängte sich noch jemand durch den schmalen Einlaß. Der alte Segelmacher Will Thorne leuchtete mit einer Lampe hinein und blickte ebenfalls auf die Schätze.

Sehr sinnend war sein Blick auf die Fässer gerichtet, von denen er wußte, daß sie Gold- und Silberstücke enthielten. Dann wanderte er weiter zu den Truhen mit Perlen.

„Es ist traurig“, sagte er, „aber wahrscheinlich unumgänglich, daß wir unser schönes Schiff, das uns so viele Jahre Heimat und Zuhause war, verlassen müssen. Aber Gott hat es so gewollt, und so müssen wir uns fügen. Der Profos hat eben einen passenden Satz gesagt, daß das Gold und Geld nur unter Leuten zählt und man allein damit nichts anfangen kann. Das ist richtig, und das hat mich gerade auf eine Idee gebracht.“

Er blickte den Profos an und lächelte. Wenn Thorne eine Idee hatte, so überlegte Ed, dann war es immer eine gute, denn mit halben Sachen rückte der Segelmacher erst gar nicht heraus, dann schwieg er lieber.

„Würdest du mir mal deinen Gürtel geben, Profos?“ fragte er.

Carberry war über diese Forderung zwar verwundert, fragte aber nicht weiter und nickte nur. Dann fummelte er an der breiten Metallschnalle herum, hakte sie auf und überreichte Thorne den Gürtel, der seine Hosen hielt. Sie hielten auch ohne, denn Will hatte die Hosen der Seewölfe alle selbst geschneidert, meist aus grobem strapazierfähigem Leinen, aber in die Gürtel konnte man Messer, Pistolen und alles Mögliche stecken, außerdem waren sie Zierrat.

Thorne drehte unter den verwunderten Blicken von Ed, Ferris und Dan den breiten Gürtel herum und schüttelte darin den Kopf.

„Nein, für den Zweck taugen sie nicht“, sagte er, „sie sind nicht geschmeidig genug. Ich werde neue anfertigen.“

„Wenn hier alles aus ist, können wir uns an den Dingern schon noch aufhängen“, meinte Ed. „Dazu brauchen wir keine neuen.“

Thorne ging wieder zurück, lächelte und setzte sich auf die Bank. Dort erläuterte er in seiner beim Sprechen etwas ausführlichen und umständlichen Art, was er vorhatte.

„Es ist so, Sir“, sagte er an den Seewolf gewandt. „Wenn wir das Schiff verlassen müssen, dann steht uns ein endlos langer Weg bevor, denn wir wollen ja nach England.“

„Das ist richtig, Will.“

„Wir brauchen aber Geld, Gold und Perlen für unterwegs, Sir. Das erleichtert uns das Durchschlagen beträchtlich. Stecken wir das nun einfach in die Taschen, dann kann es auf alle nur möglichen Arten leicht verlorengehen, gestohlen werden oder sonstwie abhanden kommen. Es behindert einen, und es wirkt anziehend auf Spitzbuben, wenn es klimpert.“

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