Seewölfe - Piraten der Weltmeere 128

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 128
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-452-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

1.

Man schrieb den 11. Januar 1586. Ein schwacher Wind blies aus Nord und trieb die „Isabella VIII.“ nur langsam über die glatte See. Die Sicht war miserabel, denn dichter Nebel umgab seit Tagen das Schiff. Man konnte kaum vom Achterkastell aus noch den Hauptmast sehen. Entsprechend war die Stimmung an Bord.

Der Seewolf stand auf dem Achterdeck neben Pete Ballie, dem Rudergast. Die mächtigen Pranken des stämmigen, untersetzten Engländers lagen auf dem Ruderrad, und auch seine Miene wirkte düster.

„Verdammter Mist!“ stieß er hervor. „Seit Tagen diese Suppe, kein Aas weiß, wo wir sind. Wir steuern fast genau Kurs Süd, aber das Wasser ist so tief, daß das Lot keinen Grund kriegt. Dabei müßten wir uns den verdammten Karten nach längst dicht unter Land befinden. Ben ist auch dieser Meinung. Und wenn der Fockgast plötzlich Land entdecken sollte, dann brummen wir auch schon auf!“

Der Seewolf sah Pete aus seinen eisblauen Augen an.

„Stimmt alles, Pete, aber sollen wir vielleicht die Segel einholen und uns treiben lassen? Viel Fahrt läuft die ‚Isabella‘ sowieso nicht, und einmal muß dieser Nebel zu Ende sein. Dann werden wir schon herausfinden, wo wir sind.“

Pete Ballie, der das wabernde Grau, das über dem Schiff lag, genauso dick hatte wie alle anderen an Bord, brabbelte irgend etwas vor sich hin. Natürlich konnten sie sich nicht einfach treiben lassen. Sie befanden sich in absolut fremden Gewässern, und da mußte man sowieso auf der Hut sein. Hinzu kam auch noch, daß die Wasservorräte zur Neige gingen, und mit den Nahrungsmitteln verhielt es sich nicht anders. Der Kutscher tat zwar, was er konnte, aber Wunder konnte auch er nicht vollbringen.

Dem Seewolf war das alles nicht entgangen. Er wußte, daß die Stimmung unter seinen Männern so schlecht war wie selten. Tägliche Reibereien, hier und da auch mal eine Schlägerei, die Ed Carberry, der Profos, meist abrupt beendete. Aber Hasard maß alledem keine übertriebene Bedeutung zu. Solange das nicht ausuferte und sich im Rahmen hielt, bestand für ihn kein Anlaß, einzugreifen.

Er verließ das Achterdeck und turnte die wenigen Stufen zum Hauptdeck hinunter. Dort stieß er auf Ben Brighton, seinen ersten Offizier und Stellvertreter.

„Ben, ich will mir noch mal die Karten ansehen. Wenn wir unsere letzten Positionen noch einmal sorgfältig durchgehen und dann nachrechnen, wie viele Meilen wir seit Beginn des Nebels zurückgelegt haben können, dann müßte sich zumindest unsere ungefähre Position ermitteln lassen. Immerhin hat der Wind fast beständig aus Nord geblasen. Das einzige, was wir nicht wissen, ist, ob es hier Strömungen und damit starke Abdriften gibt.“

Ben Brighton grinste.

„Offenbar hast du dir auch das Gemaule von Pete anhören müssen. Ich weiß nicht, was in Pete gefahren ist, aber er ist seit Beginn des Nebels übelster Laune.“

„Wie alle an Bord, Ben. Ich kann unsere Männer sogar verstehen. Und im übrigen hat Pete recht. Wir laufen tatsächlich Gefahr, ganz plötzlich Land vor uns zu haben, falls die Karten der Dons stimmen. Sehen wir also mal nach, ob wir wenigstens unsere ungefähre Position ermitteln können.“

Die beiden Männer verschwanden hinter der dicken Bohlentür, die an Steuerbord in das Achterkastell der „Isabella“ führte. Der Seewolf ging voran, knapp zwei Schritte hinter ihm Ben Brighton. Sie hatten seine Kammer jedoch noch nicht erreicht, da passierte es.

Undeutlich vernahmen sie an Deck ihres Schiffes ein Mordsgeschrei. Die gewaltige Stimme Ed Carberrys dröhnte über Deck, und der Profos schien Kommandos zu brüllen, die aber weder der Seewolf noch Ben Brighton im Innern des Achterkastells verstehen konnten.

Hasard blieb abrupt stehen und sah seinen ersten Offizier an.

„Zurück an Deck, Ben, rasch. Da oben ist der Teufel los, wir müssen …“

Weiter gelangte er nicht. Die „Isabella“ traf ein Stoß, der sie weit nach Steuerbord überholen ließ. Der Seewolf und Ben Brighton hörten das Geschrei der Männer, hörten Planken brechen und schweres Poltern an Deck. Durch die Wucht des Stoßes wurden sie gegen die Wand des Ganges geworfen, in dem sie sich befanden. Ben Brighton strauchelte, fing sich aber im letzten Moment und knallte mit dem Schädel gegen die wie wild hin und her schwingende Öllampe, die den Gang zu Hasards Kammer spärlich beleuchtete.

Wieder knirschte und krachte es. Wieder polterte etwas an Deck – und irgendwo wurde geschossen.

Der Seewolf lief los, hinter sich Ben Brighton. Aber als er die schwere Bohlentür aufstoßen wollte, ging das nicht. Irgend etwas blockierte sie.

Die beiden Männer warfen sich mit aller Macht gegen die Bohlen. Vergeblich, die Tür, die zum Hauptdeck führte, gab nicht nach.

„Durch meine Kammer, rasch!“ sagte Hasard und jagte auch schon los. Ihm war klar, daß sich die „Isabella“ in Gefahr befand. Irgend etwas mußte geschehen sein, womit niemand gerechnet hatte.

Ben und er erreichten die Kammer des Seewolfs in Sekunden. Hasard entriegelte die Tür, die zur Heckgalerie hinausführte, und stieß sie auf. Dann blieb er einen Moment lang wie erstarrt stehen, denn er sah den riesigen Schatten, der durch den fast undurchdringlichen Nebel neben der „Isabella“ aufragte.

Der Seewolf verlor keine überflüssigen Worte, sondern lief die Heckgalerie entlang bis zum Ende. Er wußte, daß es möglich war, von dort auf das Achterdeck zu gelangen. Doch noch bevor er dort anlangte, dröhnte eine der siebzehnpfündigen Culverinen der „Isabella“ auf. Der Schein des Mündungsfeuers zuckte durch den Nebel. Wüste Schreie und Flüche wurden laut, Musketen entluden sich, und irgendwo krachte eine Drehbasse.

Der Seewolf hörte Carberry etwas brüllen, dann vernahm er die Stimme Ferris Tuckers, der sich offenbar auf dem Achterdeck befand.

„Ferris!“ Hasard brüllte, so laut er konnte, während er bereits dabei war, sich von der Heckgalerie aus an Deck zu schwingen. Ben Brighton versuchte ihm dabei zu helfen.

Ein Schatten tauchte über dem Seewolf auf.

„Hasard?“ Die Stimme des Schiffszimmermamms dröhnte über ihm auf, dann packten die Pranken des rothaarigen Hünen zu und rissen den Seewolf mit einem einzigen Ruck zum Achterdeck der „Isabella“ hoch. Im nächsten Moment folgte Ben Brighton.

„Irgend so ein verdammter Idiot hat uns gerammt, Hasard. Glaube ich wenigstens – und jetzt machen sich die Kerle auch noch mausig und wollen uns entern. Der Teufel soll die ganze verdammte Brut holen. Habt ihr eine Waffe? Die Kerle schlagen und stechen um sich, daß es eine Art hat. Los, nach vorn, Ed hat sie dort mit Batuti und noch ein paar Mann zusammengedrängt, Al Conroy hat ihnen eine volle Ladung aus einer unserer Culverinen in den Rumpf gebrannt, und ich denke, es wird nicht die letzte sein. Da, der Feuerzauber geht schon wieder los!“

Ein lautes Kommando ertönte auf dem Geschützdeck. Gleichzeitig entluden sich mit ohrenbetäubendem Krachen vier oder fünf der Culverinen. Im Feuerschein der Mündungsflammen sah Hasard die Männer zu den nächsten Geschützen hasten. Geschrei, Musketengeknatter und wilde Flüche auf Spanisch antworteten von dem anderen Schiff.

„Ein Don hat uns erwischt!“ stieß Ben Brighton hervor, und deutlich schwang die Überraschung in seiner Stimme mit. Aber der Seewolf hörte schon nichts mehr. Er hatte sich einen Belegnagel aus der Nagelbank des Besans gerissen und war über die Schmuckbalustrade des Achterkastells in die Kuhl geflankt.

„Los, Ferris! Hinterher! In dieser Suppe kann man ja Freund von Feind nicht unterscheiden. Der Don ist ein ziemlich großer Kasten, und wenn es den Dons gelingt, die ‚Isabella‘ zu entern, dann kriegen wir hier einen schweren Stand.“

Er lief an der Reling entlang, dabei sah er, daß sich das fremde Schiff von der „Isabella“ zu lösen begann. Zwischen den beiden Bordwänden klaffte bereits ein breiter Spalt.

Aber Ben Brighton sah auch noch etwas anderes – einen hageren, großen Mann, der mit ein paar anderen weiter vorn auf die „Isabella“ sprang. Genau dort, wo Hasard sich in diesem Augenblick befinden mußte.

Abermals dröhnten an Bord der „Isabella“ Culverinen auf – und nur Sekunden später blitzte es auch bei dem Spanier auf.

Ben Brighton ließ sich instinktiv fallen. Das war seine Rettung. Ein Hagel von gehacktem Blei fuhr über ihn weg, zerfetzte die Segel der „Isabella“ und schlug prasselnd in die Takelage.

Auf dem Spanier zuckte erster Flammenschein auf, Brände schienen an Deck des riesigen Schiffes aufzulodern.

Ferris Tucker tauchte neben Ben Brighton auf. Der Hüne packte ihn und riß ihn hoch.

„Alles in Ordnung?“ brüllte er, und Ben Brighton sah, wie ihm das Blut über das Gesicht lief. „Wir müssen nach vorn, unsere Leute sind in der Klemme, da – Hasard hat nur einen Belegnagel, sonst nichts!“

Undeutlich sahen sie die kämpfenden Gestalten, und wieder heftete sich Ben Brightons Blick auf den hageren, großen Mann, der eben auf den Seewolf mit gezogenem Degen eindrang.

 

Aber dann blieb Ben Brighton und Ferris Tucker keine Zeit mehr, sich um die anderen zu kümmern, denn die Trümmer der Großrah, Taljen, Blöcke, Segeltuch und ein Trupp von Spaniern, der plötzlich aus dem Nebel auftauchte, versperrten ihnen den Weg.

Der hünenhafte Schiffszimmermann schwang seine riesige Axt. Ben griff sich einen Belegnagel, der in der Nagelbank zu seiner Linken steckte.

Die Spanier drangen auf sie ein, aber dann wichen sie vor der kreisenden Axt des Schiffszimmermanns zurück, und Ben Brighton setzte mit dem Belegnagel sofort nach.

Ben hörte das Geräusch, mit dem die Axt Tuckers einen der Helme der spanischen Seesoldaten traf – und dann wuchs plötzlich neben ihm Batuti auf, der seinen schweren Morgenstern schwang.

„Warten, Ben, Batuti dich herausprügeln, Belegnagel allein nix gut, Dons hauen und stechen wie verrückt. Batuti oft nicht weiß, welches Mann Freund und welches Feind – so jetzt, da, da …“

Der Morgenstern sauste nieder. Die Spanier brüllten auf. Ben Brighton spürte, wie ihm eine der Degenklingen die Haut auffetzte, und wütend schlug er zurück. Aus der Drehung heraus traf er seinen Gegner. Der Schlag war mit einer solchen Wucht geführt, daß er den Mann durch das zerstörte Schanzkleid ins Meer beförderte. Sein Schrei ging unter im Tumult, der um die drei Seewölfe herrschte.

Die Spanier wichen zurück, und Ben Brighton nutzte seine Chance.

„Los, zu Hasard, er ist dort vorn irgendwo, ein ganzer Trupp Spanier hat ihn in der Mangel!“

Mit seiner Behauptung hatte Ben Brighton nur zu recht. Woher sie plötzlich erschienen waren, wußte der Seewolf nicht. Aber der baumlange Kerl, der seinen Degen verteufelt geschickt zu führen verstand und von den vier anderen Männern fast perfekt gegen etwaige Angriffe abgeschirmt wurde, war für Hasard ein mächtiges Problem. Sein Belegnagel reichte als Waffe gegen diesen exzellenten Fechter und Kämpfer nicht aus.

Der Seewolf hörte, daß jetzt auch irgendwo weiter hinten auf dem Geschützdeck der Kampf tobte. Einmal hörte er Al Conroys Stimme, dann dröhnte die von Ed Carberry ganz in seiner Nähe auf, aber sehen konnte er den Profos nicht. Denn der Nebel, der sich mit dem Pulverqualm der Culverinen vermischt hatte, war in diesem Moment so dicht, daß manchmal sogar sein Gegner zu einem Schemen zerrann. Der Seewolf gab sich keinen Illusionen hin: Die „Isabella“ befand sich in einer äußerst gefährlichen Lage.

Der Spanier unternahm einen Ausfall und trieb den Seewolf bis zum Schanzkleid zurück. Dabei mußte Hasard die blitzschnelle Klinge dieses Mannes ständig mit dem Belegnagel abwehren und parieren.

Plötzlich ließ der Spanier seinen Degen sinken. Verblüffung stand in seinem Gesicht.

„Verdammt, Sie sind niemals El Mot! Wer, zum Teufel, sind Sie?“

Der Seewolf wurde einer Antwort enthoben, denn in diesem Moment begann mit dem Gebrüll Ed Carberrys eine Kette von Ereignissen, die die Seewölfe auch später nie wieder vergessen sollten.

„Feuer im Schiff! Ho, ihr verdammten Affenärsche, schmeißt endlich die Dons über Bord oder besorgt es ihnen, das Schiff, unsere ‚Isabella‘, braucht jetzt jede Hand!“

Der Spanier zuckte zurück. Seine Augen begannen zu glühen.

„‚Isabella‘?“ stieß er hervor und starrte den Seewolf an. „Ich kenne ein Schiff dieses Namens! Zum letztenmal habe ich es im Pazifik gesehen. Bei einer kleinen Insel, in deren Riffen Capitan Roca und fast seine ganze Besatzung ihr Ende fand! Señor, ich ahne, wer Sie sind. Und diesmal werden Sie nicht entwischen, so wahr ich Capitan de Toria bin!“

Er richtete die Spitze seines Degens auf Hasards Brust.

„Einen Degen für diesen Señor, einen Degen für Spaniens Feind Nummer eins!“ rief er seinen Männern zu und streckte gebieterisch die Linke aus, ohne den Seewolf auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Einer reichte ihm den verlangten Degen, und de Toria warf ihn dem Seewolf zu.

„Ich werde Sie töten, Señor. Aber niemand soll von Capitan de Toria sagen, er habe einen wehrlosen Mann einfach so abgeschlachtet. Und jetzt zeigen Sie, ob Sie wirklich der Mann sind, für den Spanien Sie hält!“

De Toria drang auf den Seewolf ein.

Der Seewolf, starr vor Staunen über soviel Fairneß, parierte den Ausfall, kam aber nicht mehr dazu, das Verlangen des Spaniers zu erfüllen. Ben Brighton, Batuti und Ferris Tucker stürmten heran. Der Morgenstern Batutis fegte die Spanier beiseite, die de Toria den Rücken deckten. Der hünenhafte Schiffszimmermann packte den völlig Überraschten von hinten und warf ihn kurzerhand über das Schanzkleid ins Meer. Selbst der Seewolf konnte das nicht mehr verhindern.

Der Nebel war noch dichter geworden. Auch auf der „Isabella“ loderten Brände. Aber durch den Nebel, geisterhaft anzuhören, dröhnte die Stimme des Torias zur „Isabella“ hoch.

„Ihr hättet mich töten sollen, feige von hinten ermorden, dann wärt ihr mich los gewesen. Aber jetzt, Seewolf, lebe ich. Und ich werde dich von nun an jagen, wenn es sein muß, bis ans Ende der Welt. Du wirst wieder vor meinem Degen stehen, und ich werde dich töten, denn wenn wir uns wiedersehen, dann wird dir niemand mehr feige von hinten helfen können …“

Die Stimme verklang. Ed Carberry tauchte aus dem Nebel auf. Fragend starrte er auf die Gruppe von Männern, fragend starrte er auf den Seewolf.

„Ein Verrückter?“ fragte er. „Was brüllt dieser verdammte Kerl da im Meer herum, was, wie? Warum habt ihr ihm denn nicht das Maul gestopft wie allen anderen? Und jetzt kümmert euch alle gefälligst mit um die ‚Isabella‘, du besonders, Ferris, oder sie säuft und brennt uns unter dem Hintern ab!“

Man sah dem Profos an, daß er es ernst meinte. Sein Narbengesicht wies etliche Wunden auf, seine Jacke war blutdurchtränkt. Er warf einen grimmigen Blick nach Backbord, dorthin, wo sich das fremde Schiff eben in seinen allerletzten Konturen im Nebel auflöste.

„Entschuldige, Sir“, sagte er dann. „Mit mir sind eben alle Gäule durchgegangen. Aber wenn du erst mal weißt, wie unsere gute alte ‚Isabella‘ nach diesem Rammstoß der dreimal verfluchten Dons aussieht, dann wirst du auch verstehen, warum. Ich lasse mich kielholen, wenn ich jemals begreife, wo die so plötzlich hergekommen sind und warum unser Mann im Ausguck die nicht rechtzeitig entdeckt hat. Aber das werde ich schon noch herausfinden“, setzte er drohend hinzu, „und wenn ich jeden verdammten Affenarsch auf diesem Schiff mit dem Tampen oder der Neunschwänzigen persönlich durchbleuen muß!“

Als der Seewolf sich trotzdem nicht rührte, blieb der Profos, der sich schon herumgedreht hatte, ruckartig stehen.

„Sir“, sagte er düster, „wir sollten uns jetzt wirklich um die ‚Isabella‘ kümmern, oder sie säuft uns tatsächlich ab. Ich glaube, wir haben ein mächtiges Loch in der Backbordseite. Außerdem brennt es im Schiff! Ob diese Schweinehunde das Feuer gelegt haben, oder ob ein paar der Öllampen bei dem Rammstoß vom Haken gefallen sind, weiß ich noch nicht …“

Der Seewolf unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Dann wandte er sich an Ferris Tucker, der ebenfalls stehengeblieben war.

„Ich danke dir für deine schnelle Hilfe, Ferris, der Kerl war ein verdammt guter Kämpfer“, sagte er. „Aber trotzdem fürchte ich, daß wir einen schweren Fehler begangen haben. Dieser Spanier kannte unser Schiff, er hat die ‚Isabella‘ bei der Schlangeninsel gesehen. Irgendwie muß er auch mit jenem Capitan zu tun gehabt haben, der mit seinem Schiff auf dem Höllenriff gestrandet ist. Vielleicht ist das der Bursche, der uns während der ganzen Überfahrt mit seiner Karavelle gejagt hat, der uns nie an sich herankommen ließ und in keine unserer Fallen ging. Und dieser Kerl war so fair, mir einen Degen zuzuwerfen, obwohl er mich einfach hätte abstechen können. Viel hätte ich, weiß der Himmel, dagegen nicht unternehmen können …“

Der rothaarige Schiffszimmermann starrte den Seewolf an.

„Was meinst du damit, daß wir einen Fehler begangen haben, Hasard? Ich bin nicht der Mann, der einen Gegner von hinten abmurkst, deshalb habe ich ihn einfach über Bord geworfen. Ich hätte ihm auch den Schädel einschlagen können, meinst du etwa das? Das glaube ich dir nicht, ich kenne dich dafür zu gut und zu lange!“

Es war das erstemal, daß Hasard den rothaarigen Hünen wirklich zornig sah, und daß er der Anlaß dieses Zorns war.

„Nein, Ferris, das meine ich nicht. Aber dieser Mann wird jetzt alle spanischen Schiffe alarmieren, die in der Gegend sind. Er wird bestimmt wahrmachen, was er uns angedroht hat – er wird uns jagen. Den werden wir nicht wieder los. Und das paßt mir absolut nicht in den Kram. Los, sehen wir jetzt, was mit der ‚Isabella‘ ist. Und du, Ben, trommelst die ganze Crew zusammen, ich will wissen, ob es uns noch alle gibt!“

Die Männer liefen los, Eine halbe Stunde später hatten sie trotz des immer dichter werdenden Nebels eine erste Übersicht. Die Crew war vollzählig bis auf Bill, den Schiffsjungen. Der Junge war nicht zu finden. Die „Isabella“ hatte in der Backbord-Bordwand ein respektables Loch, und Ferris Tucker fluchte lauthals, als er es entdeckte. Außerdem war das Schanzkleid fast völlig zerstört, drei Geschützpforten ebenfalls. Ein Wunder, daß die schweren Geschütze sich nicht losgerissen hatten.

Die Großrah vom Hauptmast war an Deck geschlagen und hinüber, das laufende Gut des Großmastes nur noch ein einziges Durcheinander, das sich auch nicht so schnell klarieren lassen würde. Brände flammten im vorderen Bereich des Hauptdecks, hervorgerufen durch herabgefallene oder herübergeworfene Schiffslaternen, waren aber bereits unter Kontrolle.

Verwundete hatte es ebenfalls gegeben. Ein Don hatte Carberry die linke Brustseite mit einem Entermesser aufgeschlitzt. Eine Fleischwunde zwar nur, aber sie schmerzte höllisch. Dem Kutscher hatte irgend jemand eins über den Schädel gezogen, vielleicht sogar einer aus der eigenen Crew, so genau wußte man das nicht. Aber er war ebenfalls schon wieder voll einsatzfähig. Ferris Tukker blutete aus mehreren Wunden, desgleichen der hitzige Engländer Luke Morgan, der Decksälteste Smoky und Matt Davies, der zusammen mit Al Conroy und anderen gegen eine Übermacht von Spaniern auf dem Geschützdeck gekämpft hatte.

Der alte O’Flynn war während des Kampfes über Bord gegangen und hockte jetzt schimpfend und pudelnaß an Deck, denn bei dem Sturz hätte er fast sein Holzbein verloren. Sein Sohn Dan konnte es nicht lassen, ihn damit aufzuziehen, was den Alten noch wütender werden ließ.

Arwenack, der Schimpanse, kauerte auf der Back und ließ keinen außer Dan an sich heran, er war – zum erstenmal in seinem Leben – bei dem Rammstoß aus der Takelage an Deck gestürzt.

Nur Bill, der Schiffsjunge, war und blieb verschwunden.

„Wir müssen Bill suchen!“ sagte Carberry, und sein vernarbtes Gesicht wirkte in diesem Moment noch drohender. „Vielleicht liegt der Junge in der See, vielleicht hat ihn einer von diesen Dons über Bord geworfen …“ Er sagte die letzten Worte nur langsam, denn Carberry wußte nur zu gut, daß es auch ganz andere Möglichkeiten gab und sie sogar wahrscheinlicher waren.

Die Männer starrten ihn an und schwiegen.

Jeder dachte in diesem Moment das gleiche, alle hatten sie Bill inzwischen in ihr Herz geschlossen.

„Wir müssen ein Boot aussetzen, Ed“, sagte der Schiffszimmermann, „aber über eine Leine Kontakt mit der ‚Isabella‘ behalten, sonst finden wir in dieser Suppe niemals zurück!“

Das war ein Vorschlag, aber die Männer wußten, daß Bills Chancen äußerst gering sein würden, falls er wirklich über Bord gefallen sein sollte. Die „Isabella“ konnte längst von einer unbekannten Strömung versetzt worden sein, außerdem war sie aus dem Ruder gelaufen, und das Wirrwarr in der Takelage sorgte für ein übriges. Der Teufel mochte wissen, welchen Kurs das Schiff in diesem Moment steuerte.

Der Seewolf schaltete sich ein.

„Wo war Bill zuletzt?“ fragte er.

Keiner wußte es. Jedenfalls nicht für den Moment des Rammstoßes. Aber der Seewolf bohrte weiter.

„Ed, womit war er gerade beschäftigt?“

Der Profos dachte nach. Dann hellten sich seine Züge plötzlich auf, während Sir John, der Bordpapagei, plötzlich ein Mordsgezeter in der Takelage anstimmte.

„Er sollte die Vorräte und Wasserbestände kontrollieren. Ich erinnere mich jetzt, der Kutscher hatte ihn damit beauftragt.“

Carberry schüttelte den Kutscher, der immer noch benommen an der Kombüsenwand hockte und sich den Schädel hielt.

„Wenn ich den Lausekerl erwische!“ sagte er drohend und zog den Daumen über die Schneide eines Küchenmessers. Aber der Profos ließ nicht locker.

 

„Ich will wissen, wo Bill war, als die Dons uns rammten, du Hammel!“ brüllte er. „Und wenn du nicht augenblicklich das Maul auftust, dann …“

Der Kutscher taumelte hoch. „Schon gut, Ed. Der Junge steckt irgendwo mittschiffs unter dem Hauptdeck, ich …“

Carberry zuckte zusammen. „Und das sagst du erst jetzt? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Mann, wenn du nicht einen Dachschaden hättest …“

Der Profos sauste los, Ferris Tukker folgte ihm, ebenfalls Ben Brighton und der Seewolf. Als sich noch mehr Männer anschließen wollten, stoppte Hasard sie.

„Kümmert euch um die Brände. Ladet die Geschütze neu, wir wissen ja nicht, ob wir nicht noch einmal mit den Dons aneinandergeraten. Die haben auch ganz schön etwas abgekriegt.“

Gemeinsam drangen sie ins Innere der „Isabella“ vor. Und es stellte sich heraus, daß die Schäden schwerer waren, als es auf den ersten Blick zu erkennen gewesen war. Bohlentüren klemmten, dort, wo sich über der Wasserlinie das Loch in der Bordwand befand, stachen die Trümmer ins Schiff und waberte dicker grauer Nebel ins Innere der „Isabella“. Außerdem rann Wasser in den Rumpf, denn die Bordwand hatte nicht nur ein Loch, sondern sie war auch bis unter die Wasserlinie eingedrückt.

Die Männer fluchten. Am meisten der Schiffszimmermann, denn was da an Arbeit auf ihn wartete, das sah er mit einem Blick.

Aber wo war Bill? Der Seewolf rief nach ihm. Carberrys Donnerstimme ließ die Verbände des Rumpfes erbeben, Ben Brighton und der Schiffszimmermann brüllten sich ebenfalls die Lunge aus dem Hals.

Keine Antwort.

„Himmelarsch, wo steckt der Bengel?“ fragte Carberry, und er spürte, wie ihm außer dem Blut jetzt auch noch der Schweiß über den Körper zu rinnen begann.

Und dann fanden sie den ersten Spanier. Tot. Er lag hinter einem Schott, das sie nur mit Mühe aufbrachten.

Der Seewolf blieb stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Auch Ferris Tucker wurde blaß. Denn der Spanier sah schlimm aus.

„Hasard, das war eine meiner Flaschenbomben!“ sagte der rothaarige Hüne. „Wer hat die zur Detonation gebracht? Und warum?“

Der Seewolf antwortete nicht, und diesmal war sogar der Profos verstummt. Verbissen suchten sie weiter. Sie fanden einen zweiten und dann noch einen dritten Spanier – weiter hinten im Schiff, dort, wo es zur Pulverkammer der „Isabella“ ging, die in diesem Schiff nicht nur durch das Achterkastell zu erreichen war.

Und dann fanden sie Bill. Er lag zwischen den Fässern, eine schwere Muskete noch in seiner Bewußtlosigkeit umklammert, neben ihm zwei Flaschenbomben aus Ferris Tuckers Fertigung.

Die Männer starrten das magere Bürschchen an. Als erster beugte sich der Profos zu ihm hinunter. Lange horchte er an der Brust des Schiffsjungen, und die anderen sahen ihm aus bangen Augen zu.

Schließlich richtete Carberry sich auf. „Er lebt, aber er ist ohnmächtig. Der Kutscher muß ihn sofort untersuchen. Der kleine Kerl hat uns allen das Leben und darüber hinaus die ‚Isabella‘ gerettet. Hätten die Dons unsere Pulverkammer erreicht …“

Der Profos hob den Jungen auf. Auch Bill blutete aus mehreren leichten Wunden. Sein Gesicht war vom Pulverschmauch geschwärzt.

Der Seewolf strich ihm übers Haar.

„Es war sein erster Kampf, den er ganz auf sich allein gestellt durchkämpfen mußte: Es waren seine ersten Gegner, gegen die er sich Auge in Auge behaupten mußte, wenn er nicht sterben wollte. Es waren drei Mann, mit denen er ganz allein hier unten im Schiff fertig wurde – ich weiß, wie einem danach zumute ist. Ich weiß, wie das ist, wenn man seinen ersten Gegner getötet hat, weil es nur eins gab: er oder ich. Bringt ihn an Deck, und ich will, daß er schläft, sobald der Kutscher ihn verbunden hat. Aber von heute an ist er ein vollwertiges Mitglied unserer Besatzung, auch wenn er weiterhin als Schiffsjunge Dienst tun wird. Aus diesem Jungen wird noch etwas, das weiß ich!“

Die Männer starrten den Seewolf an. Es war nicht seine Art, so lange Reden zu halten. Aber sie spürten, daß den Seewolf irgend etwas gepackt hatte, daß dieser einsame Kampf, den Bill hier unten im Rumpf der „Isabella“ mit drei kampferfahrenen Spaniern durchgestanden hatte, irgendwelche Erinnerungen in ihm geweckt haben mußte.

Sie trugen den Jungen an Deck, und der Kutscher, der inzwischen wieder leidlich klar war, kümmerte sich sofort um ihn. Dann verarztete er die anderen Verwundeten, und anschließend begann die schwere Arbeit, das Schiff wieder halbwegs zu klarieren.

„Wir müssen irgendeine Bucht anlaufen, Hasard“, sagte der Schiffszimmermann, als sich der dichte Nebel bei hereinbrechender Dunkelheit in schwarze Schwaden verwandelte, die wie Unheilsboten über Deck und durch die Takelage krochen. „Ich habe das Leck mit Persenning abgedeckt, mehr war hier draußen nicht möglich. Aber gnade uns Gott, wenn nach dem Nebel ein Sturm ausbrechen sollte.“

Hasard wußte, wie recht der Schiffszimmermann hatte. Er winkte Ben Brighton zu sich.

„Ben, wir werden jetzt noch einmal versuchen, unsere ungefähre Position festzustellen. Laß die Ausgucks doppelt bemannen. Was vorhin passiert ist, darf nie wieder passieren. Auch wenn unsere Männer keine Schuld haben, denn als sie das fremde Schiff aus dem Nebel auftauchen sahen, war es schon zu spät.“

Er dachte einen Moment nach, und als Ben Brighton schon vom Achterdeck abentern wollte, hielt er ihn zurück.

„Dieser Spanier hat noch etwas zu mir gesagt, was ich nicht verstanden habe. Er hielt mich anfangs für einen gewissen El Mot. Wahrscheinlich hat er angenommen, auf dessen Schiff gestoßen zu sein. Aber wer ist dieser Kerl? Weshalb wird er von den Spaniern gejagt? Es muß also irgendwo Land in der Nähe sein. Vielleicht ist es ein Pirat, der den Dons schwer zusetzt.“

Die beiden Männer verließen das Achterdeck und verschwanden im Achterkastell der „Isabella“. Und diesmal gelangten sie auch ohne Zwischenfälle in Hasards Kammer und breiteten die Karten aus.

Aber in einem Punkt hatte sich der Seewolf geirrt: El Mot war alles andere als ein Pirat. Und das sollte die „Isabella“-Crew noch erfahren.

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