Seewölfe Paket 28

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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-996-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Nr. 541

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 542

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 543

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 544

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 545

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 546

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 547

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 548

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 549

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 550

Seewölfe Nr. 550

Nr. 551

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 552

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 553

Kapitel 1

 

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 554

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 555

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 556

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 557

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 558

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 559

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 560

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9


1.

Auf dem Basar von Masquat ging es schon am frühen Morgen rege zu. Es war nicht leicht, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Turbanträger palaverten und handelten, Verkäufer priesen ihre Ware lautstark an, Musikanten spielten auf einem Podium – die Männerwelt war in einem Chaos aus Farben und Geräuschen unter sich.

In den alten Gemäuern der Kasbah tauchte hin und wieder das verschleierte Gesicht einer Frau hinter einem winzigen Fenster auf, verschwand aber sogleich wieder, wenn sich der Blick eines Passanten auf sie richtete.

Edwin Carberry, der mit einem siebenköpfigen „Stoßtrupp“ der „Santa Barbara“ in den engen Gassen unterwegs war, ließ sich von dem Getümmel nicht beeindrucken.

Er hatte einen Auftrag, und diesen Auftrag gedachte er strikt und rigoros auszuführen. Großeinkauf – der Kutscher hatte eine Liste angefertigt, auf der vom Maismehl bis zu geschlachteten Hühnern so gut wie alles aufgeführt war, was das Herz der Mannen begehrte.

Nur Wein, Bier und Schnaps hatte der Kutscher nicht mit aufgeschrieben. Diese Flüssigware galt im Reich der Muselmanen als „Teufelszeug“ und war deshalb durch die Gesetze des Korans verboten. Aber immerhin – der Seewolf und seine Mannen hatten davon noch genügend Vorräte an Bord.

Beim Einkauf ging es in erster Linie darum, wieder frische Lebensmittel in den Proviantlasten der Galeone zu verstauen. Aus diesem Grund hatte der Seewolf Masquat angelaufen und war im Hafen vor Anker gegangen. Dies war im Morgengrauen geschehen. Jetzt, um sechs Uhr, bewegte sich der Trupp durch die Kasbah.

Die Mannen – außer dem Profos waren Mac Pellew als „Kombüsenexperte“, Matt Davies, Higgy, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Don Juan de Alcazar und Stenmark mit von der Partie – hielten aufmerksam nach geeigneten Marktständen oder Läden Ausschau, in denen die begehrten Güter angepriesen wurden.

Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der karmesinrote Aracanga, begleiteten die acht Männer. Sir John hockte auf Carberrys mächtiger Schulter – neugierig wie immer. Arwenack trottete neben Higgy her und griff hin und wieder nach dessen Hand.

Die beiden verstanden sich ausgezeichnet, was wiederum oft zu Witzeleien Anlaß gab. Higgy trug es mit Gelassenheit. Nichts konnte sein irisches Gemüt erschüttern, auch der seltsame Humor eines Edwin Carberry nicht.

Die Männer stiegen Treppen hoch und begaben sich in den etwas höher gelegenen Teil der Kasbah. Immer wieder blieb Carberry stehen, warf Blicke auf die Liste und kratzte sich an seinem Rammkinn.

„Maismehl“, sagte er gedehnt. „Weiß der Henker, wo wir das kriegen.

Matt stieß einen leisen Fluch aus, weil er um ein Haar über die ausgestreckten Beine eines an einer Hauswand hockenden Bettlers gestolpert wäre.

„Wie wär’s, wenn wir erst mal einen zur Brust nehmen?“ fragte er mit verdrossener Miene. „Hier ist es im Monat März schon verdammt heiß, finde ich. Und die Zunge klebt mir am Gaumen fest.“

Der Profos drehte sich gemächlich zu ihm um. „Du hast wohl schon wieder vergessen, daß in arabischen Ländern nicht gesoffen wird, was, Mister Davies? Wie?“

„Ja, zur Hölle, das habe ich.“

„Dann schreib es dir hinter deine Segelohren.“

„Aye, Sir.“

„Außerdem sind wir im Dienst“, sagte Carberry. „Und im Dienst wird, nicht gesoffen.“

Mac Pellew trat vor den Profos hin. „Warum fragen wir nicht einfach jemanden, wo wir unsere Sachen kriegen, statt wie die Idioten durch die Gegend zu laufen?“

Carberry deutete auf einen bis auf die Knochen abgemagerten Araber, der sich an ihm vorbeidrücken wollte. „Frag ihn.“

„Wo erhalten wir hier frischen Proviant?“ erkundigte sich Mac bei dem Kerl, der sofort ein leutseliges Grinsen aufsetzte.

„Yallah, Yallah“, antwortete der Kerl, dann verschwand er.

„Frag noch ein paar Leute“, sagte der Profos. „Irgendwann triffst du bestimmt einen, der Englisch kann.“

„Wir hätten doch die Zwillinge mitnehmen sollen“, sagte Stenmark. „Die hätten sich verständigen können.“

„Wir haben sie aber nicht dabei“, sagte Carberry. „Außerdem wird hier nicht Türkisch gesprochen, sondern arabischer Dialekt oder so was. Im übrigen kommen wir auch allein zurecht. Also, Mac, wir gehen dann schon mal weiter.“ Er schaute zu Higgy und Arwenack. „Los, setzt eure Affenärsche wieder in Bewegung.“

Der Trupp marschierte weiter. Mac Pellew murmelte eine Verwünschung und schloß sich den Kameraden wieder an. Was blieb ihm anderes übrig? Hier konnte gewiß keiner Englisch. Überhaupt, nirgends war auch nur ein Mensch zu entdecken, der annähernd wie ein Europäer wirkte. Seltsam. Gab es hier nicht einmal Spanier, Portugiesen oder Franzosen?

Carberry betrachtete ein paar Stände, vor denen sich schnatternde Araber stritten.

„Mist, hier gibt es nur Klamotten“, sagte er vernehmlich.

Die Araber verstummten und blickten ihn nachdenklich und mißtrauisch an. Dann nahmen sie ihr Palaver wieder auf.

Plötzlich trat aus einem schmalen, dunklen Gang ein feister kleiner Mann auf den Trupp zu. Er trug ein angeschmutztes weißes Gewand und einen grünen Turban. Er lächelte und verneigte sich.

„Sidi“, sagte er zu Carberry. „Du Spanien? Portugal?“

„Nein, England“, knurrte der Profos.

„Schade“, flüsterte der Mann auf Portugiesisch. „Du nicht verstehen. Ich weg.“

„Ich doch verstehen“, entgegnete Carberry. „Ich kann Spanisch.“

„Oh, auch ich. Ein bißchen“, sagte der Araber.

„Wunderschön“, sagte Don Juan de Alcazar. „Vielleicht kannst du uns weiterhelfen. Wir suchen etwas.“

Der Kerl verbeugte sich wieder. „Oh, gut. Ich haben. Du Frau?“ Er blinzelte Carberry zu. „Nett, fett? Ich führen.“

„Wir haben was zu erledigen“, erwiderte der Profos.

„He, Moment mal“, mischte sich Higgy ein. „Kannst du uns nicht für ’ne halbe Stunde beurlauben, Ed?“

„Ausgeschlossen. Und arabische Frauenzimmerwollen mit Kerlen, die wie Affen stinken, nichts zu tun haben.“

 

Higgys Miene war zerknirscht. „Daß man dauernd in der Richtung verarscht werden muß!“ Er schüttelte Arwenacks Hand ab. „Los, lauf mal allein ein Stück weiter.“

Arwenack senkte den Kopf und sonderte sich einen halben Yard ab. Er war nun mal ein sensibler Affe und verkroch sich am liebsten ganz, wenn seine Leute schlechte Laune hatten oder sich ein Bordgewitter anbahnte.

„Sidi“, sagte der Araber vergnügt und zupfte an Carberrys Hemdsärmel. „Du Sklavin kaufen? Ein Zauber, sauber. Nicht teuer.“

„Wir brauchen Proviant“, sagte der Profos mit einem Gesicht, als wolle er den Kerl auf der Stelle mit Haut und Haaren verschlingen.

„Brot, Mehl, Fleisch und Fisch?“ fragte der Araber.

„Ja.“

„Ich haben. Ich führen.“

„Na endlich.“ Carberry atmete auf, und sogar sein Gesicht wurde etwas freundlicher. „Das wurde aber auch Zeit. Los beeil dich, wir wollen den Kram endlich hinter uns bringen.“

Der Araber setzte sich an die Spitze der Gruppe. Man tauchte in dem Gang unter, marschierte etwa fünfzig Schritte weit und stieg dann Treppenstufen hinunter, die in gähnende schwarze Finsternis führten.

„Hoffentlich ist das keine Falle“, sagte Don Juan.

„Ausplündern lassen wir uns nicht, keine Sorge“, brummte der Profos. Aber ganz geheuer war auch ihm die Sache nicht.

„Wo ist Arwenack?“ fragte Paddy Rogers den Iren.

„Weggelaufen“, erwiderte Higgy. „Aber der findet sich schon wieder an.

Sir John hatte von der Profos-Schulter abgehoben und flatterte hinter dem beleidigten Affen her. Es war nicht das erste Mal, daß die Maskottchen der Seewolf-Crew ihre eigenen Wege gingen – beziehungsweise flogen. Man brauchte sich deswegen nicht zu sorgen. Sie fanden immer wieder zum Schiff zurück.

Öllampen wiesen den Mannen der „Santa Barbara“ den Weg in die Tiefe. Sie blieben stehen und stellten fest, daß sie sich in einem riesigen Kellergewölbe befanden.

Carberry hielt den Araber an der Schulter fest.

„Was ist das hier?“ fragte er drohend. „Eine Kaschemme?“

„Eine Markthalle, Sidi“, versicherte der Kerl treuherzig.

„Wenn das nicht stimmt, kannst du schon jetzt dein letztes Gebet sprechen“, sagte der Profos.

„Ich ehrlich“, sagte der kleine Dicke.

Im dämmrigen Licht der Lampen schritten die Männer durch das Gewölbe und bogen um eine Ecke. Wieder verharrten sie unwillkürlich. Vor ihnen türmten sich Fässer, Kisten und Säcke. In einem schier unüberschaubaren Durcheinander von Waren standen weiße Männer und Araber.

Es duftete nach Pökelfisch und Rosinen, nach Tee und Gewürzen. Einer der Männer – ein vollbärtiger Hüne wandte sich zu ihnen um und blickte den kleinen Dicken fragend an.

Als dieser ihm ein beschwichtigendes Zeichen gab, lächelte der Mann und sagte: „Willkommen in Masquat.“ Er sprach portugiesisch.

Sultan Quabus bin Said war ein großer, gutaussehender Mann um die Mitte der Vierzig, mit glattem Gesicht und durchdringend blickenden dunklen Augen. Wie versteinert war seine Miene an diesem Morgen, als er durch den Park seines Palastes schritt.

Mustafa, sein wichtigster Berater, folgte ihm auf dem Fuß. Entsetzen und Bestürzung herrschten im Haus. Lähmende Furcht hatte die Haremsfrauen, die Eunuchen und Bediensteten gepackt. Keiner vermochte sich das Verbrechen zu erklären, das in der Nacht geschehen war.

Schweigend betraten die beiden Männer das Frauenhaus. Mustafa hatte Sonderrechte – er war außer dem Sultan der einzige Mann, der hier ein- und ausgehen durfte. Quabus bin Saids Vertrauen in den hageren, wendigen Mann war absolut. Vor Jahren hatte er Mustafa das Leben gerettet. Mustafa war ihm dafür ewig dankbar.

Weinen und klagende Laute erfüllten die Haremsgänge. Quabus bin Said schritt durch den Perlschnürenvorhang in eins der Gemächer und blieb vor der Frau stehen, die gekrümmt auf einem Kissenlager hockte. Sie hielt die Hände vors Gesicht gepreßt und schluchzte.

„Zaira“, sagte der Sultan. „Du solltest endlich aufhören. Von deinem Weinen wird Lamia nicht wieder lebendig.“

Zaira, eine vollbusige Brünette, stöhnte verzweifelt auf. Sie war es gewesen, die in der Nacht Lamia gefunden hatte – tot, in einer Blutlache, von mehreren Messerstichen durchbohrt. Zaira gehörte ebenfalls zu den Lieblingsfrauen des Sultans.

Gemeinsam mit Lamia hatte sie in der Nacht ihren Herrn aufsuchen und beglücken sollen. Doch alles war ganz anders gekommen. Schreiend hatte Zaira Alarm geschlagen.

Die Eunuchen hatten den Täter überall gesucht. Vergebens. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Es fehlte jegliche Spur von ihm.

Mit tränenüberströmtem Gesicht sah die Frau zu ihrem Herrn auf.

„Wer hat es getan?“ fragte sie mit bebender Stimme. „Wer kann so grenzenlos grausam und gemein sein?“

„Ich werde den Mörder finden“, erwiderte der Sultan.

„Wir werden ihn stellen“, sagte Mustafa.

Zaira atmete tief durch. „Du hast uns alle verhört, o Herr“, sagte sie. „Aber es kann keiner von uns gewesen sein.“

„Wer sonst?“ fragte der Sultan mit ruhiger Stimme. „Kein Mensch kann diesen Palast betreten, ohne daß er mir gemeldet wird. Sämtliche Ein- und Ausgänge werden Tag und Nacht bewacht.“

„Trotzdem muß sich jemand eingeschlichen haben“, sagte Zaira.

„Wie?“ wollte Mustafa wissen.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

„Wir werden Lamia bestatten“, sagte Quabus bin Said. „Dann werde ich nachdenken. Ich werde jeden einzelnen sorgfältig überprüfen. Und der, auf den mein Verdacht fällt, dem gnade Allah.“

Zaira begann wieder zu weinen. „Die arme Lamia! Sie hatte doch keinem etwas getan!“

„Der Mörder will mich treffen“, erklärte der Sultan. „Wer immer es ist, er will sich an mir rächen, mir eins auswischen. Wenn ich ihn gefaßt habe, werde ich ihn aufspießen und vierteilen lassen.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und verließ das Gemach.

An den Räumen, in denen die anderen Frauen den Tod der schönen Lamia beklagten, ging der Sultan nur vorbei. Er begab sich in Lamias Gemach.

Sie lag in der Mitte des Hauptraumes aufgebahrt. Quabus bin Said gab Mustafa einen Wink. Mustafa verschwand wie ein Geist. Quabus bin Said wollte mit der Toten allein sein.

Fast eine halbe Stunde lang hielt der Sultan mit der Toten ein stummes Zwiegespräch. Dann küßte er sie ein letztes Mal. Er verließ den Harem und kehrte in das Hauptgebäude des Palastes zurück. Mustafa durfte ihm nun wieder Gesellschaft leisten. Sie setzten sich und blickten sich schweigend an.

„Ich habe sie wirklich geliebt“, sagte der Sultan schließlich.

„Das weiß ich, o Herr“, erwiderte Mustafa.

„An dem, der sie umgebracht hat, werde ich mich furchtbar rächen.“

„Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.“

Quabus bin Said sah seinen engsten Vertrauten voll an. „Hast du keinen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?“

„Nein, noch nicht.“

„Eine der Frauen“, sagte der Sultan. „Sie war eifersüchtig auf Lamia.“

„Die Frauen haben zusammengesessen, als es geschah“, erklärte Mustafa. „Und keine von ihnen hat einen Dolch. Wir wissen aber, daß Lamia mit einem Dolch getötet wurde. Der Wundarzt hat sie genau untersucht.“

„Ich traue ihm. Und wenn Zaira es getan hat?“

„Sie hat ebenfalls keinen Dolch und konnte auch aus der Waffenkammer keinen Dolch entwenden“, entgegnete Mustafa. „Wir haben die Waffenkammer kontrolliert. Es fehlt kein einziges Messer.“

„Was ist mit den Eunuchen?“

„Sie schwören, unschuldig zu sein.“

„Wenn ich den Mörder nicht finde, werde ich die Kerle dem peinlichen Verhör unterziehen“, sagte Quabus bin Said. „Und auch das Gesinde.“

„Die Möglichkeit, daß der Täter von außen eingedrungen ist, müssen wir aber auch prüfen, Herr“, sagte Mustafa. „Es ist immerhin denkbar, daß er sich eingeschlichen hat. Vielleicht hat er einen der Wächter bestochen.“

Der Sultan rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wir werden es in Erfahrung bringen. In diesem Palast hat es noch nie einen Mord gegeben. Ein Fluch lastet über dem Haus. In Wirklichkeit hat man es auf mich abgesehen. Man will mich vom Thron stürzen, indem man mich verunsichert und mir Angst einzujagen versucht.“

Mustafa sah seinen Herrn entgeistert an. „Aber – das kann ich nicht glauben. Das bildest du dir nur ein, Herr!“

Quabus bin Said schüttelte den Kopf. „Ich ahne, daß sich etwas zusammenbraut. Ein Komplott. Eine Palastrevolution. Aber ich werde meine Gegner vernichten! Ich werde sie eigenhändig in der Luft zerreißen!“ Er sprang auf und schüttelte zornig die Fäuste.

2.

Carberry trat als erster auf den Bärtigen zu.

„Ja, danke“, sagte er. „Wo sind wir hier eigentlich gelandet?“

„In der besten Gegend von Masquat“, erwiderte der andere. Er streckte dem Profos die Hand entgegen. „Ich bin Silvestro Moravia.“

Carberry ergriff die Hand und drückte sie fest. Moravia verzog keine Miene, aber ihm war doch anzusehen, daß er litt.

„Du bist Portugiese, und das hier sind deine Freunde?“ fragte Carberry.

„Richtig. Meine Mitarbeiter. Wir handeln mit so gut wie allem, was du dir vorstellen kannst. Und wer seid ihr?“

„Unser Kapitän ist Philip Hasard Killigrew“, entgegnete der Profos. „Wir sind, gerade erst mit unserem Schiff eingelaufen.“

„Engländer also“, sagte der Portugiese und blickte die Mannen einen nach dem anderen an.

„Der größte Teil“, sagte Carberry. „Aber zur Sache. Wir brauchen Proviant, vor allem frisches Zeug. Wir wollen einkaufen. Ist das hier möglich?“

„Aber natürlich“, erwiderte Moravia lachend. Er breitete die Arme aus. „Unser Lager gehört euch! Sucht euch aus, was ihr haben wollt! Wir haben günstigere Preise als das Araber-Pack, und wir hoffen, daß bald auch die letzten Buden dieser Alis aus der Kasbah verschwunden sind. Dann breiten wir uns auch dort aus!“

Matt Davies stieß einen leisen Pfiff aus. Higgy und Paddy tauschten Blicke. Mac stieß Stenmark mit dem Ellenbogen an.

Don Juan sagte: „Ihr Portugiesen seid also dabei, den einträglichen Handel an euch zu ziehen, wie?“

„So ist es“, erwiderte Moravia. „Wir sitzen seit ein paar Jahren hier und haben bescheiden angefangen. Natürlich können wir das Gesindel nicht gewaltsam vertreiben. Dazu sind wir zu wenige, außerdem würde der Sultan nicht mitspielen. Wir booten die Brüder ganz langsam und heimlich aus.“

„Das sind ja feine Methoden“, sagte Don Juan.

Moravia fixierte ihn. „Hast du was dagegen?“

Don Juan de Alcazar hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Wenn der Sultan keine Einwände hat, was soll ich als Fremder dann beanstanden?“

Carberry, Mac, Matt, Higgy und die anderen taxierten routinemäßig die anderen Männer, die zu der Belegschaft des unterirdischen Warenlagers gehörten. Zehn Portugiesen, drei Araber – und der kleine Dicke, der, wie sich inzwischen herausgestellt hatte, auf den Namen Halef hörte. Mit Moravia waren das also fünfzehn Mann, die man im Falle einer Auseinandersetzung gegen sich hatte. Aber warum sollte man sich streiten? Dazu bestand nicht der geringste Anlaß.

Moravia grinste breit. „Ja, da hast du recht. Na los, Freunde, nun fangt schon an. Womit können wir euch als erstes dienen?“

Der Profos holte wieder seine Liste zum Vorschein. „Mit Maismehl.“

„Wieviel Pfund?“

„Erst mal fünfzig“, erwiderte Carberry. „Dann sehen wir weiter. Habt ihr auch frisches Gemüse und Obst?“

Der bärtige Portugiese lachte und rieb sich die Hände. „Alles, was das Herz begehrt! Das habe ich dir doch gesagt! Schau her!“ Er griff hinter sich und wies zwei große, rote Pfirsiche vor. „Hast du jemals so große Früchte gesehen?“

„Selten“, erwiderte Carberry.

„Willst du mal reinbeißen?“

Der Profos hob abwehrend die Hand. „Nein, ich habe schon gefrühstückt. Wie sieht es mit Fisch aus?“

„Von der Sardine bis zum Seewolf ist alles vorhanden“, erklärte Moravia.

„Wenn das kein gutes Omen ist“, sagte Jack trocken.

„Ihr seid tüchtige Leute“, sagte Mac Pellew zu Silvestro Moravia, doch seiner gallebitteren Miene war abzulesen, daß er nach wie vor argwöhnisch war.

„Wir tun, was wir können“, entgegnete der Portugiese und warf Halef einen bedeutungsvollen Blick zu. Halef kicherte und fügte hinzu: „Und wenn ihr Sklaven, Maultiere oder bunte Vögel wollt, so werden auch die im Handumdrehen beschafft. Und Weiber – Weiber gibt es in Hülle und Fülle, in allen Altersklassen.“

Moravia grinste immer noch. „Halef ist ein alter Lustmolch, er hat nur die Frauenzimmer im Kopf. Hört nicht auf ihn. Er glaubt nicht, daß es verboten ist, Frauen an Bord von Segelschiffen zu holen.“ Völlig übergangslos fragte er: „Wer ist denn dieser Kapitän Killigrew?“

„Ein guter Kapitän“, erwiderte Carberry.

„Das glaube ich, aber ich meine was anderes. Seid ihr Handelsfahrer?“

„Forschungsreisende“, erklärte Carberry allen Ernstes. Seine Kameraden hatten Mühe, ein Grinsen zurückzuhalten.

Moravia zog die Augenbrauen hoch. „Und was erforscht ihr?“

Wieder war der Profos um keine Antwort verlegen. „Ach, die große, weite Welt. Wir sind in China gewesen, auf den Molukken und anderswo. Von überall haben wir ein paar seltene Gewürze und Blumen mitgebracht. Es handelt sich um einen Auftrag des englischen Königshauses.“

„Das ist ja hochinteressant.“

„Ja, ist es.“

„Und ihr habt Geld?“ fragte der Portugiese.

„Genug Geld, um deine Waren zu bezahlen“, entgegnete der Profos. „Du brauchst dir keine Sorgen zu bereiten.“

„Ich habe es gewußt“, sagte Moravia zufrieden lächelnd. „Unter Ehrenmännern versteht man sich auf Anhieb.“

Während sich die beiden unterhielten, hatte Mac Pellew einen kleinen Streifzug durch das Gewölbe unternommen. Er blieb mal hier und mal da stehen, hielt seine Nase in Rosinenkisten und Rübensäcke, schnupperte und inspizierte. Was sich hier dem Auge und dem Riechorgan bot, war wirklich erstklassige Ware. Nichts daran auszusetzen – die Arwenacks waren nur gut beraten, wenn sie sich hier eindeckten.

Plötzlich tauchte einer der Araber neben Mac auf. Er hielt eine Hand an den Mund und zischelte: „Herr, seid vorsichtig. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu!“

„Wie meinst du das?“ fragte Mac verblüfft. Er war ohnehin erstaunt, daß das Kerlchen die portugiesische Sprache beherrschte.

„Die Sachen sind alle geklaut.“

„Schmuggelware?“ flüsterte Mac.

„Schlimmer. Das meiste wird den arabischen Händlern einfach entrissen. Sie sind machtlos dagegen.“

„Und warum bist du dabei?“ raunte Mac dem Araber zu.

„Weil sie mich sonst umbringen“, erwiderte das Kerlchen. „Ich habe mich ihrem Spiel verschrieben, kann nicht mehr fort. Ich kann euch nur warnen, Herr. Wenn euch jemand verpfeift und der Sultan erfährt, daß ihr Diebesware auf euer Schiff nehmt, dann droht euch die Todesstrafe.“

„Feine Sitten hier in Masquat“, brummte Mac. „Ich frage mich bloß, warum die Bande bisher noch nicht aufgeflogen ist? Ist der Sultan denn blind?“

„Sultan Quabus bin Said ist mit den portugiesischen Kapitänen, die in Masquat wohnen, gut Freund. Außerdem hat Moravia einen Kadi und einen Mufti bestochen. Die halten ihm den Rücken frei.“

„Verstehe.“

„Osman!“ rief Moravia plötzlich. „Wo steckst du, du Halunke? Komm her! Du füllst das Maismehl in Säcke ab, oder es gibt Zunder!“

„Ja, Herr!“ Osman, das Kerlchen, war wie der Blitz von Macs Seite verschwunden und gesellte sich mit solcher Geschwindigkeit zu seinen beiden Landsleuten zurück, daß Moravia und die anderen Portugiesen nichts von seinem Abstecher bemerkten. Die Säcke, Kisten und Fässer waren dazwischen – als ideale Versteckmöglichkeit.

Carberry hatte Moravia eine Goldmünze gezeigt. Moravia war begeistert. Mac Pellew gab seinem Profos zwar einen Wink, aber es geschah nicht mehr rechtzeitig genug. Der Portugiese wußte nun, daß die Mannen Gold- und Silbermünzen in ihren Gürteln trugen. Seine Gier war geweckt.

Carberry sah die Gebärde und schritt zu Mac hinüber.

„Na, was ist denn?“ fragte er.

„Sieh dir mal diese Rosinen hier an“, sagte Mac. Sein Blick besagte einiges. Carberry begriff. Sie traten hinter die Rosinenkisten, und der Profos setzte eine verkniffene Miene auf.

„Stimmt was nicht?“ fragte er.

Mac berichtete, was Osman ihm verraten hatte.

Carberry stieß einen leisen Fluch aus. „Ich hab’s ja geahnt. Hier ist also doch was oberfaul.“

Silvestro Moravia tauchte plötzlich bei ihnen auf.

„Ist was nicht in Ordnung mit den Rosinen?“ fragte er.

„Wir sind noch am Überlegen“, erwiderte der Profos. „Ganz sicher bin ich mir nicht, ob unser Kapitän Rosinen haben will. Sie stehen auch auf meiner Liste nicht mit drauf.“

Moravia lachte wieder einmal. „Dann nimm doch was anderes. Wie wäre es mit frischen Trauben?“

„Am liebsten wäre mir, unseren Kapitän erst zu fragen“, erwiderte Carberry. „Ich meine, die Entscheidung liegt ja letztlich bei ihm, nicht wahr? Am besten hole ich ihn, und er sieht sich alles selber an.“

„Von mir aus“, entgegnete der Portugiese. „Deine Kameraden können ja solange hierbleiben.“

„Nein, die gehen auch mit“, sagte der Profos.

Moravias Augen wurden schmal. „Was soll denn das? Eben warst du richtig versessen darauf, das Geschäft mit mir abzuschließen. Es ging dir gar nicht schnell genug. Sind dir jetzt Zweifel gekommen?“

„Das mußt du schon mir überlassen“, erwiderte Carberry. Allmählich platzte ihm der Kragen.

Moravias Miene wurde finster. „So haben wir aber nicht gewettet, Freundchen. Ein Ehrenmann hält an seinen Entscheidungen fest. Du zahlst für die Waren, Mann, und dafür beladen wir euch mit Fässern und Säcken. Abgemacht ist abgemacht.“

„Ach, rutsch mir doch den Buckel runter“, sagte der Profos. Er wandte sich ab, behielt den Bärtigen aber im Auge. Er gab seinen Männern einen raschen Wink. „Los, Abmarsch, Freunde. Wir halten erst Rücksprache mit dem Kapitän.“

„Alles verrammeln!“ brüllte Moravia plötzlich. „Laßt die Kerle nicht raus! Sie wollen uns reinlegen. Sie haben Lunte gerochen!“

Zwei der Portugiesen rannten durch das Gewölbe und rammten ein Tor dicht. Sie schoben einen Riegel vor und zückten ihre Waffen – Pistolen. Auch die anderen hatten wie durch Zauberei jetzt Pistolen und Säbel in den Fäusten.

Moravia selbst hastete an Carberry vorbei und verstellte ihm den Weg. Mac war dicht hinter dem Profos. Beide griffen nach den Waffen. Auch Don Juan, Matt und die anderen waren kampfbereit.

Carberry blieb stehen, Moravia schrie ihn an: „So einfach kommst du mir nicht davon, du englischer Hurensohn?“

„Wie hast du mich genannt? Einen englischen Hurensohn?“

„Ja!“

„Und warum dürfen wir deinen Laden nicht einfach verlassen, du portugiesischer Bastard, weil wir es uns anders überlegt haben?“ dröhnte Carberrys Stimme.

„Weil das hier nicht üblich ist!“ brüllte der Portugiese.

„Ich hab’s“, sagte Mac hinter dem Rücken des Profos’. „Hier in Masquat ist eben alles anders. Das ist es.“

„Schöne Stadt, feine Leute“, sagte Carberry. Dann rammte er Silvestro Moravia die Faust unters Kinn.

Der berühmte „Profoshammer“ verfehlte auch dieses Mal seine Wirkung nicht. Moravia geriet ins Taumeln und stieß röchelnde Laute aus. Carberry ließ die Faust blitzschnell noch einmal auf seinen Schädel hinuntersausen. Der Portugiese kippte gegen ein offenes Faß. Das Faß wackelte und stürzte um. Der Inhalt ergoß sich über den Boden – Öl.