Seewölfe Paket 28

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„Das erfahren wir gleich“, sagte sein Vater. Er ging in den Park und verständigte den Sultan. Quabus bin Said verstand zwar nicht, was er sagte, aber er entnahm den Gesten des Seewolfs, daß es sich um eine wichtige Entdeckung handelte. Sofort folgte er ihm in den Pferdestall und forderte seine Wächter durch einen Zuruf auf, mitzukommen.

Einer der Eunuchen verschwand im Palast, um Mustafa zu holen. Der Berater wurde jetzt wieder als Dolmetscher gebraucht.

Im Stall entfachte einer der Wächter eine Öllaterne. An einem Seil ließ er sie in den Schacht hinuntergleiten.

„Es ist ein alter Brunnen“, sagte Quabus bin Said, als Mustafa bei ihnen eintraf. „Als er damals versiegte, wurde er mit einer Luke verschlossen. Dann wurde an dieser Stelle ein neuer Pferdestall gebaut. Das war vor über zehn Jahren. Inzwischen gibt es einen neuen Brunnen, und dieser Stollen geriet völlig in Vergessenheit. Er ist in der Mitte aber auch eingestürzt. Man kann ihn nicht als Gang benutzen.“

„Davon möchte ich mich lieber selbst überzeugen“, entgegnete der Seewolf. Er beugte sich über die Öffnung und erkannte im Schein der Lampe, daß es nur etwa fünf, sechs Yards senkrecht in die Tiefe ging. Dann knickte der Stollen in Richtung Hafen ab und schien nunmehr waagerecht zu verlaufen.

Der Sultan spähte über Hasards Schulter nach unten. „Der Schacht wurde wegen der besonderen Beschaffenheit der Wasseradern so angelegt, daß er mit sanftem Gefälle nach Masquat führt.“

„Und hat er irgendwo einen Ausgang?“ fragte Hasard.

Der Sultan schüttelte den Kopf.

Hasard setzte sich auf den Boden und steckte die Beine in den Schacht. Vorsichtig ließ er sich ein Stück nach unten gleiten. Er fühlte einen Halt unter dem rechten Fuß – etwas war in die Wand eingelassen. Ein einfacher eiserner Stab, wie er kurz darauf registrierte. Es gab eine Reihe dieser Stäbe, die wie eine Leiter auf die Sohle des Schachtes führten.

Hasard kletterte nach unten. Er hielt inne und führte vor, wie der Mörder bei seiner Flucht die Luke von innen geschlossen haben mußte. Dann stieß er die Luke wieder auf und stieg ganz nach unten. Er nahm die Lampe und leuchtete in den Gang, der sich vor ihm öffnete.

Dann hob er den Kopf und rief: „Philip, Hasard! Kommt runter! Bringt Plymmie mit!“

„Aye, Sir“, erwiderten die Zwillinge.

Kurz darauf standen sie neben ihrem Vater. Plymmie strebte vorwärts, Sie schien die Witterung wieder aufgenommen zu haben. Über den Köpfen der Männer kletterten nun auch die Palastwächter an den primitiven Eisentritten nach unten.

Die drei von der „Santa Barbara“, setzten sich in Bewegung. Sie mußten die Köpfe ein wenig einziehen, weil der Schacht nicht sehr hoch war. Plymmie schnürte vor ihnen her. Ein Marsch ins Ungewisse begann.

„Als Plymmie vorhin draußen war, hat sie gespürt, daß hier unten der Stollen verläuft, durch den der Kerl geflohen ist“, sagte der Seewolf. „Sie hat wirklich eine gute Nase.“

„Ein toller Riecher“, bestätigte Hasard junior.

„Der Gang ist frei“, sagte sein Bruder. „Von Verschüttungen sehe ich nichts.“

„Abwarten“, brummte Hasard junior.

Der Seewolf schritt vorwärts und hielt die Lampe hoch. Der Schein erfüllte den Schacht. Hinter den dreien waren die Schritte und Rufe der Wächter zu vernehmen. Ein ganzes Dutzend war auf den Befehl des Sultans in den Stollen abgestiegen. Sie waren alle bis an die Zähne bewaffnet. Wenn der Trupp auf den Mörder stieß, war das Schicksal des Unheimlichen besiegelt.

Aber die Hoffnung war verfrüht. Immer weiter ging der Abstecher ins Dunkle. Plymmie lief schnell, aber hin und wieder verhielt sie und drehte sich zu ihren Leuten um.

„Hier ist frische Erde“, sagte Hasard. „Ich wette, der Mörder hat fleißig gegraben, um den Teil wieder freizulegen, der verstopft war.“

„Ein ziemliches Stück Arbeit“, sagte Philip junior.

„Und er muß von der Existenz des Schachtes gewußt haben“, meinte Hasard junior. „Er hat ihn nicht einfach per Zufall entdeckt. Vielleicht hat er früher zu den Dienstboten des Sultans gehört oder so.“

„Oder so“, wiederholte Philip junior. „Genausogut kann es ein Mann aus dem Ort sein, der seinerzeit beobachtete, wie der Brunnenschacht angelegt wurde. Oder es ist eine Frau.“

Der Seewolf entgegnete: „Das glaube ich inzwischen nicht mehr. Dem Lachen nach zu urteilen, das ich von ihm gehört habe, ist es ein Mann.“

„Oder eine Frau mit einer sehr tiefen Stimme“, meinte Hasard junior.

Sein Vater ging nicht mehr weiter darauf ein. Der Stollen fiel, wie Sultan Quabus bin Said gesagt hatte, zur See hin leicht ab. Plötzlich beschrieb er einen Knick nach links. Dann nahm das Gefälle zu. Schließlich waren platschende Geräusche zu vernehmen. Hasard hielt die Lampe wieder etwas höher. Er erkannte, daß die Hündin durch flaches Wasser lief.

Die Männer stapften durch das Wasser. Bald stand es knöchelhoch in dem Tunnel. Nach wie vor gab es keine Anzeichen dafür, daß der Stollen irgendwo endete. Dann aber, nach einer neuerlichen Biegung, dieses Mal nach rechts, sahen die Männer in der Ferne etwas Helles schimmern, das wie diffuses Licht wirkte.

Bald hatten sie den Ausgang erreicht. Er lag halb unter Wasser – direkt am Meer. Das Ufer war an dieser Stelle felsig und unzugänglich. Struppige Büsche verdeckten den Einlaß. Man sah ihn von außen nicht. Nur ein Eingeweihter konnte von der Existenz dieses Höhlenloches wissen.

„Unser Brunnen mündet also ins Meer“, sagte der Seewolf. „Und von hier aus kann man mühelos Masquat zu Fuß erreichen.“

Plymmie schwamm ein Stück ins Meer hinaus. Sie kehrte zum Ufer zurück, kletterte an Land und sprang auf den Felsen herum. Ihr Knurren und Kläffen klang ärgerlich. Sie hatte die Spur verloren.

Die Wächter trafen ein. Sie stiegen vom Höhlenloch in die Felsen. Einer von ihnen rutschte ab und klatschte schwer ins Wasser. Hasard half ihm wieder an Land. Er wetterte und begab sich zu seinen Kameraden. Aber so sehr die Araber auch suchten – von dem unheimlichen Mörder fanden auch sie keine Fährte mehr.

Hasard kletterte auf einen etwas höheren Felsen und blickte nach Masquat. Er konnte alles erkennen, auch die „Santa Barbara“, die im Hafen vor Anker lag. Es mochten etwa sieben-, achthundert Yards bis zur Stadt sein.

„Was tun wir, Dad?“ fragte Philip junior. „Gehen wir zum Hafen? Es könnte ja sein, daß Plymmie die Spur dort wieder aufnimmt.“

„Das bezweifle ich“, erwiderte der Seewolf. „Außerdem müssen wir damit rechnen, daß der Mörder uns beobachtet – falls er in Masquat ist. Vielleicht hockt er auch irgendwo zwischen den Felsen weiter oben und lacht sich ins Fäustchen.“

„Was unternehmen wir also?“ fragte nun auch Hasard junior. Die Wachtposten blickten den Seewolf ebenfalls teils erwartungsvoll, teils ratlos an.

„Ich gehe von der Annahme aus, daß der Mörder in Masquat ist und sich versteckt“, sagte Hasard. „Noch weiß er nicht, daß wir seinen Geheimgang gefunden haben. Das ist unser Trumpf. Wir stellen ihm eine Falle. Ich schätze, daß er nach Anbruch der Dunkelheit zurückkehren wird. Bevor wir aber etwas unternehmen, möchte ich mit dem Sultan sprechen. Ich will nichts ohne sein Einverständnis tun.“

Die Männer kehrten durch den Gang zum Palast zurück. Plymmie folgte ihnen. Hin und wieder blieb sie stehen und beschnupperte die Höhlenwände. Sie war unruhig. Es paßte ihr nicht, daß sie den Gesuchten nicht gefunden hatte. Nach und nach begriff aber auch sie, daß sich an den Gegebenheiten vorläufig nichts ändern ließ.

6.

Der erste Mann, dem der Suchtrupp im Innenhof des Palastes begegnete, war Mac Pellew. Mac hatte sich auf eine halbhohe Mauer gesetzt, die einen Säulengang abschirmte, und stellte eine tieftraurige Miene zur Schau. Als er die drei Killigrews erblickte, stieß er einen abgrundtiefen Seufzer aus.

Hasard und die Zwillinge traten zu ihm. Die Wächter verschwanden im Palast, sie wollten ihrem Herrn schleunigst Bericht erstatten.

„Es hat also nicht geklappt?“ fragte der Seewolf. „War der Frau nicht mehr zu helfen?“

„Wer hat das gesagt?“ stieß Mac verdutzt aus.

„Na, bei deinem Gesicht“, sagte Philip junior. „Dir scheint ja die Petersilie total verhagelt zu sein.“

„Ach, Unsinn“, entgegnete Mac. „Es ist alles in Butter. Der Kutscher hat hervorragend gearbeitet. Die Frau hatte innere Verletzungen. Hätte er sie nicht operiert, wäre sie langsam verblutet. Nur, beim Wassermann, mich hat die Sache ziemlich mitgenommen.“

„Weiß der Sultan schon vom Erfolg des Eingriffs?“ wollte der Seewolf wissen.

„Nein, ich glaube nicht.“

„Wo ist er?“ fragte Hasard.

„Hat sich in seine Gemächer zurückgezogen“, erwiderte Mac. „Mustafa ist bei ihm, soweit ich’s mitgekriegt habe.“

In diesem Moment trat auch der Kutscher aus dem Gebäude und gesellte sich zu ihnen.

„Wir haben Glück gehabt“, erklärte er. „Hätten wir noch eine Stunde länger gewartet, wäre es für die arme Frau das Ende gewesen.“

„Ich bin dir zu Dank verpflichtet“, sagte der Seewolf. „Laß uns jetzt zum Sultan gehen.“ Er sah zu Mac und den Zwillingen. „Begleitet ihr uns?“

„Nein, wir warten hier auf euch“, erwiderte Hasard junior. Philip junior und Mac nickten dazu.

Kurz darauf standen Hasard und der Kutscher vor dem Sultan. Hasard berichtete über den Verlauf der Suche, dann setzte er Quabus bin Said genau auseinander, welche Art von Eingriff der Kutscher an der Haremsdame Nabila vorgenommen hatte.

„Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll“, sagte Quabus bin Said nach einigem Schweigen. „Aber ich werde den Leibarzt auspeitschen lassen. Und auch die Eunuchen und die Wächter erhalten ihre verdiente Strafe. Warum passen die Kerle nicht besser auf? Warum ist keiner darauf gestoßen, daß der Mörder durch den alten Brunnen eingedrungen ist? Und wie soll das weitergehen? Jetzt erscheint diese Bestie schon am hellichten Tag.“

 

„Laß deine Leute in Ruhe“, sagte der Seewolf. „Sie tun alle ihre Pflicht, niemand kann ihnen etwas vorwerfen. Laß deine Wut nicht an ihnen aus. Keiner trägt die Schuld an dem, was hier vorgeht.“

„Was schlägst du dann vor, Kapitän Killigrew?“

„Wir stellen dem Mörder eine Falle“, entgegnete der Seewolf. „Ich bin überzeugt, daß er wieder erscheint.“

„Heute nacht?“

„Ja.

„So wahnsinnig ist er?“ murmelte Mustafa.

„Ich glaube, daß er normal ist“, entgegnete der Seewolf. „Sein Haß blendet ihn, aber er ist gerissen. Er wird immer wieder eindringen und über die Frauen herfallen. Wenn wir ihm aber den Zugang verwehren und ihn fassen, hat der Spuk ein Ende.“

„Ich bin einverstanden“, sagte Quabus bin Said. „Laß mich sofort wissen, welchen Plan du hast, Kapitän Killigrew.“

Hasard erklärte ihm, wie er sich den Hinterhalt vorstellte. Der Plan war simpel, dafür aber sehr wirksam – falls der Unheimliche wirklich wieder auftauchte.

„Ich habe nichts dagegen einzuwenden“, sagte der Sultan. „Laßt uns sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Ich weiß immer noch nicht, wie ich mich erkenntlich zeigen kann, daß ihr Nabila das Leben gerettet habt.“

Hasard lächelte. „Wenn alles vorbei ist, werden wir ein paar Waren an Bord nehmen, Hoheit. Du wirst sie uns verkaufen.“

„Schenken werde ich sie euch.“

„Das können wir nicht annehmen.“

„Ich denke, ihr werdet einen arabischen Herrscher nicht beleidigen wollen“, sagte Quabus bin Said. „Also werdet ihr diese Gegenleistung von mir annehmen. Doch zurück zu den Portugiesen, die im Hafen ihr Unwesen treiben. Ich glaube, es ist zu spät, jetzt noch etwas gegen sie in die Wege zu leiten. Morgen aber werde ich mir diesen Moravia vornehmen. Ist morgen eurer Ansicht nach früh genug?“

„Ja“, erwiderte Hasard schlicht. „Die Jagd nach dem Mörder hat jetzt Vorrang.“

Etwas später gingen sie in das Krankenzimmer. Nabila war jetzt wieder bei Bewußtsein. Sie war blaß und schwach, aber sie konnte schon wieder ein wenig lächeln.

„Ein Wunder ist geschehen“, sagte sie leise. „Ich dachte, ich müsse sterben. Aber ich lebe.“

„Sind die Schmerzen zu ertragen?“ fragte der Kutscher. Mustafa übersetzte seine Worte.

„Sie lassen immer mehr nach“, erwiderte die Frau.

„Du wirst von neuem erblühen wie eine Orchidee“, sagte der Sultan. Er gab ihr einen sanften Kuß auf die Wange.

„Ist ihr etwas Besonderes an dem Mörder aufgefallen?“ fragte Hasard.

Wieder diente der Berater als Dolmetscher. „Er ist mager, aber sehr kräftig“, antwortete Nabila. „Ein Mann, ja, sicherlich ein Mann. Er ist böse. Ein Tier. Warum sticht er uns? Was haben wir ihm getan? Wir sind friedliche Menschen und haben nur den einen Wunsch: unseren Herrn glücklich zu stimmen.“

„Wir werden ihn fangen“, entgegnete der Sultan. „Vielleicht sogar schon heute nacht. Dann werde ich furchtbare Rache an ihm nehmen. Er wird büßen, das schwöre ich dir.“

„Nabila“, wandte sich der Seewolf noch einmal an die Frau. „Haben Sie einen Verdacht, wer der Mörder sein könnte?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Wirklich nicht.“

„Das reicht jetzt“, sagte der Kutscher. „Sie braucht nichts dringender als Ruhe.“

Kurz darauf, als die Männer wieder im Park des Palastes standen, tauchte der Leibarzt auf. Er schlich um sie herum und schien nach Worten zu suchen. Schließlich war es der Sultan, der ihn zu sich rief.

„Du solltest mit glühenden Zangen gezwickt werden“, sagte er. „Aber ich will Gnade vor Recht ergehen lassen. Du bist ein Narr, und du hast noch viel hinzuzulernen. Laß dir von dem englischen Arzt erklären, was er getan hat. Lerne von ihm. Höre auf ihn. Tust du es nicht, schneide ich dir die Ohren und die Nase ab.“

„Ja, Herr, ja, Herr“, stammelte der Leibarzt.

Dem Kutscher tat der Mann nun doch leid. Er gab sich die größte Mühe, ihm mit Mustafas Unterstützung einige Methoden der Behandlung, wie sie in der Alten Welt üblich waren, beizubringen. Es wurde ein langes Gespräch – und allmählich wurde es darüber dunkel. Sehr schnell waren die Stunden verstrichen.

„Bevor ich wieder in den Schacht steige, muß ich mich mit meinen Männern absprechen“, sagte Hasard. „Sie brennen sicherlich schon darauf, den letzten Stand der Dinge zu erfahren.

„Ich gebe dir mein bestes Pferd“, sagte der Sultan.

Wenige Minuten später ritt Hasard zum Hafen hinunter. Er kletterte ins Boot. Jack Finnegan und Paddy Rogers hatten die Wache am Boot übernommen. Sie pullten ihren Kapitän zur „Santa Barbara“.

Der Seewolf trank eine Muck Rum mit seinen Männern und berichtete ihnen, was sich zugetragen hatte. Einige stießen leise Pfiffe aus.

Carberry sagte: „Das gibt Zunder, schätze ich. Brauchst du Verstärkung bei der Jagd auf den Mörder? Wie wär’s, wenn wir ein paar Flaschenbomben mitnehmen würden?“

„Davon halte ich nichts“, erwiderte Hasard. „Außerdem haben wir die Palastwachen, die sind schwer genug bewaffnet. Im übrigen will ich, daß ihr vollzählig an Bord bleibt. Wir dürfen nicht vergessen, daß nach wie vor mit einem Gegenschlag der Portugiesen zu rechnen ist.“

„Die sollen ruhig aufkreuzen“, sagte Shane.

„Ja, in der Nacht sind bekanntlich alle Katzen grau“, meinte Ferris Tucker grinsend.

„Und wir hatten schon lange nichts mehr zu tun“, meinte der Profos. „Das ewige Rumsitzen hängt mir zum Halse heraus.“

„Du bist unverbesserlich, Ed“, erklärte Ben Brighton. „Aber was Hasard sagt, leuchtet mir ein. Es hat keinen Sinn, wenn wir mit zehn Mann oder mehr diesen geheimen Brunnenschacht belagern. Viel wichtiger ist, daß die ‚Santa Barbara‘ jetzt voll gefechtsbereit bleibt. Sollte Moravia mit einem größeren Aufgebot anrücken, sind wir wenigstens darauf eingestellt.“

„Spitz deine Pfeile“, sagte Carberry zu dem grinsenden Batuti. „Nachher hast du keine Zeit mehr dazu.“

„Reitest du allein zum Palast zurück?“ fragte Ben seinen Kapitän.

„Ja.

„Ist das nicht zu gefährlich – im Dunkeln, meine ich?“

„Ich kann auf mich aufpassen“, entgegnete Hasard.

„Man könnte einen heimtückischen Anschlag auf dich verüben“, gab Ben zu bedenken.

„Moravia oder der Frauenmörder“, sagte Don Juan de Alcazar.

„Es geht nicht mit rechten Dingen zu“, brummte der alte O’Flynn.

„Keine Sorge“, sagte der Seewolf. „Ich brauche keinen Geleitschutz. Und zu viele Leute wirken zu auffällig. Wir halten weiterhin Kontakt. Sollte sich hier etwas ereignen, Ben, schickst du mir einen Melder zum Palast hoch.“

„Aye, Sir, geht klar.“

„Der Mörder ist ein Araber“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn.

Hasard sah ihn an. „Bist du sicher?“

„Das sagt mir mein Holzbein.“

„Ich halte es auch für wahrscheinlich“, erwiderte der Seewolf. „Aber vor Überraschungen sind wir natürlich nicht sicher.“

„Hier nicht und in diesem ganzen verfluchten arabischen Land nicht“, schimpfte der Alte. „Ich bin froh, wenn wir endlich mal wieder in Cornwall an Land gehen und ein wenig vertraute Luft schnuppern.“

„Heimweh“, sagte Shane spöttisch. „Mann, das gibt’s doch nicht, Donegal.“

„Du kannst mich mal.“

„Auf Cornwall mußt du noch ’ne Weile warten, Dad“, sagte Dan O’Flynn. „Und was mich betrifft, ich bin nicht sonderlich scharf auf England. Du hast wohl schon vergessen, daß da auch nicht alles eitel Zuckerschlecken ist, was?“

„Ich vergesse gar nichts“, brummte der Alte. „Doch diese Gegend ist mir absolut nicht geheuer. So meine ich das, kapiert?“

„Ja, kapiert“, erwiderte der Seewolf. „Aber bisher haben wir unsere Haut immer noch retten können. Das soll auch weiterhin so bleiben. Haltet Augen und Ohren offen.“

„Aye, Sir“, sagten die Männer.

Der Seewolf verließ sein Schiff und kehrte zum Palast zurück. Während des Rittes ereignete sich nichts Unvorhergesehenes. Alles blieb ruhig. Erstaunlich ruhig. Fast konnte man zu dem Eindruck gelangen, Masquat sei ein friedliches Plätzchen Erde. Doch im Dunkel lauerte das Grauen.

Silvestro Moravia brauchte nur seine Beule zu befingern, und schon stieg eine glühende Welle des Hasses in ihm hoch. Als er zu sich gekommen war, hatte er im ersten Sturm seiner Wutgefühle den „Bastarden“ nachstürmen wollen, die ihm und seinen Mannen zu dieser Niederlage verholfen hatten. Dann aber hatte er sich anders besonnen.

Es hatte keinen Zweck. Die Engländer konnten zuschlagen, das hatten sie bewiesen. Und sie waren nicht allein. Sie waren eine ganze Crew von Hundesöhnen. Ein Spitzel hatte Moravia inzwischen mitgeteilt, wie groß das Schiff war, das auf der Reede ankerte, und wie viele Kerle es waren.

Noch etwas anderes spielte in Moravias Überlegungen mit hinein. Es hatte wenig Sinn, am hellichten Tag einen Angriff zu unternehmen. Das erregte zuviel Aufsehen. Nein, man mußte es anders anpacken. Nachts die Galeone überfallen – das war der beste Plan.

Ehe irgendwelche Hafenwächter auftauchten und eingriffen, waren die Kerle längst abgemurkst. Und ihr Schiff sank angebohrt auf den Grund der See.

Eingedenk dieser Erkenntnis leckten Moravia und seine Kerle ihre Wunden, dann tranken sie aus einer großen Flasche starken Rum. Jetzt sah die Welt schon wieder etwas besser aus. Sie räumten in ihrem unterirdischen Warenlager auf. Die Stunden vergingen, es wurde Mittag, bald Abend.

Moravia ging bei der Ursache für den Zwischenfall im Gewölbe von der Annahme aus, daß die Engländer von selbst Verdacht geschöpft hatten, etwas könne nicht astrein sein. Dumm waren sie ja schließlich nicht. Allzu viel Freundlichkeit war ihnen sozusagen „spanisch“ vorgekommen, und da hatten sie eben versucht, sich wieder zurückzuziehen.

Hätte Moravia geahnt, daß Osman der Verräter war, dann hätte Osman längst nicht mehr gelebt, und seine sterblichen Überreste wären den Haien als Leckerbissen vorgeworfen worden. Aber Silvestro Moravia schöpfte keinen diesbezüglichen Verdacht.

Osman rieb sich im stillen schadenfroh die Hände. Er war froh, dem Portugiesen eins ausgewischt zu haben. Er haßte ihn wegen seiner Überheblichkeit und Gemeinheit. Osman wünschte sich nur das eine: daß Moravia eines Tages die Lektion erhielt, die ihm gebührte.

Moravia schickte seine Helfer – unter anderem Halef und Osman – in die Kasbah. Sie sollten Verstärkung holen. Überall gab es Portugiesen, die zu Moravias Meute gehörten. Wenn es darum ging, nachts auf Kapertour zu gehen und den „Alis“ Waren abzunehmen, waren sie stets mit von der Partie.

Die Araber waren ihrer Ansicht nach eine Kategorie von Läusen, die es auszurotten galt. Und gegen einen Kampf mit einer Horde von Engländern hatten sie nichts einzuwenden.

Am späten Nachmittag erhielt Moravia in seinem Gewölbe Besuch – von dem Mufti, den er bestochen hatte. Der Mann war sehr mager und hatte ein vogelartiges Gesicht. Er trug ein altes Gewand, in dem ihn keiner als das erkannte, was er in Wirklichkeit war.

„Hassan, du altes Schlitzohr“, sagte der vollbärtige Hüne. „Wie siehst du denn heute wieder aus?“

Der Mufti grinste. „Keiner weiß, wer ich bin, wenn ich so durch die Altstadt gehe.“

„Na gut. Aber ich finde, du übertreibst ein bißchen. Was gibt es neues?“

„Das frage ich dich.“

„Ach, wir haben uns mit einem üblen Pack herumschlagen müssen. Engländer. Ihr Schiff liegt im Hafen vor Anker. Heute nacht schnappen wir sie uns.“

„Paßt auf“, sagte der Mufti.

„Wir hauen den Kerlen die Schädel ein, verlaß dich drauf.“

„Das meine ich nicht“, sagte Hassan. „Wenn es herauskommt, was ihr tut, kann ich für nichts garantieren.“

Moravias Augen wurden schmal. „So? Und was ist mit dem Bakschisch, den ich dir regelmäßig zahle?“

Der Mufti preßte den Zeigefinger gegen die Lippen. „Sei still.“

„Keine Angst, die Wände haben hier keine Ohren.“

„Ich halte dir den Rücken frei“, erwiderte Hassan leise. „Und der Kadi hört auf mich. Aber wenn er erfährt, daß ihr andere Leute verprügelt, kann er auch nichts anderes tun, als es den anderen Kadis vorzutragen und dem Sultan zu melden.“

„Der Sultan sitzt auf seinem Hügel. Weit genug weg.“

„Und was ist mit den portugiesischen Kapitänen in Masquat?“

 

„Diese Narren“, entgegnete Moravia verächtlich. „Die sind doch blind und taub.“

„Du solltest den Bogen nicht überspannen“, warnte Hassan.

Moravia griff nach seinem Arm und zog ihn zu sich heran. „Was ist los mit dir, du alter Kameltreiber? Hast du plötzlich die Hosen voll?“

„Nein. Aber ich habe gehört, daß der Sultan zur Zeit sehr nervös und ungehalten ist“, antwortete der Mufti so ruhig wie möglich, obwohl er Moravia am liebsten die Faust mitten ins Gesicht geschmettert hätte.

Der Portugiese ließ den Araber wieder los. „Wer hat dir das erzählt?“

„Ich habe es von einem der Bediensteten, der vorhin in der Stadt war.“

„Du meinst, der Sultan hat wegen unseres schwunghaften Handels Lunte gerochen?“ fragte Moravia gepreßt.

„Es könnte sein. Aber sein Zustand ist auf die Vorfälle im Palast zurückzuführen. Eine seiner Lieblingsfrauen und ein Eunuch sind umgebracht worden.“

Moravia stieß einen Pfiff aus, dann erkundigte er sich: „Von wem?“

„Das weiß keiner. Eine andere Frau ist verletzt worden.“

„Nicht zu fassen.“

„Und die Engländer sollen im Palast sein – einige von ihnen“, erklärte Hassan, der Mufti.

„Um uns zu verraten?“ zischte Moravia. „Das würde diesen verdammten Burschen ähnlich sehen. Mistkerle! Aber ich kaufe sie mir noch, verlaß dich drauf. Wenn einige von ihnen im Palast sind, ist das um so besser für uns. Wir finden also auf dem Schiff weniger von den Bastarden vor.“

„Seid vorsichtig“, warnte Hassan noch einmal.

„Ach, halt deinen Mund. Erzähl mir lieber, was hinter diesen Palastmorden steckt“, sagte der Portugiese.

„Ich habe keine Ahnung.“

„Aber ich. Jemand will Quabus bin Said stürzen.“

„Nein!“

„Wie findest du das?“

„Wer sollte sein Nachfolger werden?“ fragte der Mufti.

„Ich vielleicht“, erwiderte Moravia lachend. „Wer weiß, vielleicht bin ich selbst der Mörder? Denk mal nach.“

„Du willst mich verhöhnen“, sagte der Mufti leise.

Silvestro Moravia überhörte den drohenden Unterton in der Stimme des anderen. „Ach, Quatsch. Aber ich sage dir, das dient dem Zweck, den Sultan zu verunsichern. Und zum Schluß wird auf ihn – ein Attentat verübt. Wollen wir wetten?“

„Ein Sohn Allahs wettet nicht.“

„Das habe ich ganz vergessen.“ Moravia lachte hart. „Aber Bestechungsgelder nimmt er gern an, oder? Na, ihr seid mir vielleicht Kerle, ihr Alis. Keine Lust zum Arbeiten. Nur faulenzen und Kinder in die Welt setzen.“

„Hör endlich auf“, sagte Hassan.

Moravia hieb mit der Faust auf den Tisch. „Ja, ich höre auf. Hau ab und laß dich erst morgen wieder blicken, verstanden? Ich habe genug zu tun! Morgen will ich ausschlafen! Halte aber Augen und Ohren offen und berichte mir weiterhin aus dem Palast!“

„Ja.“

„Was da vorgeht, interessiert mich ganz besonders.“

„Ja.“ Hassan, der Mufti, deutete eine Verbeugung an, dann verließ er das Gewölbe. Sein Gesicht war verzerrt, als er durch die Gassen schritt. Obwohl er ihre Sprache beherrschte, haßte er die Portugiesen. Er haßte alle weißen Menschen. Und genauso haßte er die eigenen Landsleute, die eine höhere Stellung hatten als er und ständig auf ihm herumhackten. Aber was sollte er tun? Er konnte sich nur den Dingen anpassen. Das mußte schließlich jeder.

Silvestro Moravia empfing in seinem unterirdischen Domizil die „Verstärkung“ – fast dreißig Kerle, die allesamt entschlossene Mienen aufgesetzt hatten.

Einer von ihnen, ein gewisser Furio Ingrao, ein Kerl mit Glatze, galt als besonders brutal. Er war ein Kerl wie ein Klotz, und seine Fäuste konnten mit der Wucht eiserner Hämmer zuschlagen. Moravia hatte ihm nur ein wenig mehr Verstand voraus, sonst wäre Ingrao der Anführer gewesen und nicht er.

„Geht’s los?“ fragte Ingrao. Er griff sich die Flasche Rum, die noch zu einem Viertel gefüllt war, hob sie an die Lippen und leerte sie. Mit einem satten, zufriedenen Laut setzte er sie wieder ab und grinste. „Knüppel oder Säbel?“ wollte er wissen.

„Schiffshauer und Entermesser“, antwortete Moravia.

„Ganz hart also.“

„Wir werden aus diesen englischen Bastarden Haifutter machen“, erklärte Moravia. „Wenn’s nötig sein sollte, setzen wir auch die Schießeisen ein.“

„Zu laut“, sagte Ingrao, der ein sehr einsilbiger Mensch war.

„Ach, wenn ein paar Schüsse knallen, ist es nicht so schlimm“, meinte der Anführer der Bande. „Ehe jemand richtig mitkriegt, was eigentlich los ist, sind wir wieder weg, und die Hurensöhne saufen mitsamt ihrem Kahn ab.“

„Hört sich gut an“, sagte Ingrao.

„Was haben die Kerle an Bord?“ wollte einer der anderen wissen.

„Nur Plunder, nehme ich an“, erwiderte Moravia, „was den Inhalt der Laderäume betrifft. Ehe wir sie zu den Haien schicken, sollten wir sie aber ausplündern. Sie haben Geld. Sie haben einen Ali üppig ausgezahlt, als ihr Affe ihm seinen Stand demoliert hat.“

„Ein Affe?“ fragte einer der Kerle verdutzt.

„Ja, sie haben Viehzeug“, erwiderte Moravia grinsend. „Einen Affen, einen Papagei und so. Wohl auch einen Hund. Aber der Köter ist im Palast.“

„Wer hat dir das erzählt?“ erkundigte sich ein anderer Kerl.

„Hassan, der Mufti“, entgegnete Moravia. „Und die Engländer tragen ihre Münzen im Gürtel. Also gilt es, ihnen die Gürtel abzunehmen, ehe wir ihre Kammern durchsuchen.“

„Sehr gut“, sagte Ingrao grunzend. „Los geht’s.“

Wenig später huschten die Gestalten durch die Kasbah zum Hafen. Moravia und seine Spießgesellen hatten Boote, die überall vertäut lagen – im Hauptgebiet des Hafens, aber auch an Nebenpiers. So stiegen die Kerle an Bord der Boote, und von allen Seiten steuerten sie auf die „Santa Barbara“ zu, die vor Anker lag und ein Bild des Friedens bot.

An Bord schien keiner mit Ärger zu rechnen. Welch großem Irrtum Moravia erlag, sollte er schon bald erfahren.