Seewölfe - Piraten der Weltmeere 392

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 392
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-800-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Der Schuldspruch

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Blutrot war die See gefärbt, als die „Isabella IX.“ in die Bucht von Cádiz einlief. Wie ein Feuerball stand die Sonne unmittelbar über der westlichen Kimm, und von Osten kroch die Dunkelheit wie eine riesige Spinne heran.

Flammen loderten am Ufer, Häuser schienen zu brennen. Don Juan de Alcazar registrierte dies erst, als die „Isabella“ an einer der Piers vertäute. Verwundert richtete er seinen Blick auf den Kai. Dort scharten sich vor dem zuckenden Feuerschein Gestalten zusammen, ein ganzer Pulk näherte sich über die Pier der großen Dreimastgaleone mit den hohen Masten und den flachen Aufbauten.

Zu spät alarmierte Don Juan seine kleine, achtköpfige Crew. Ramón Vigil, der Bootsmann, war am Schanzkleid des Hauptdecks und versuchte, die Horde aufzuhalten. Hinter seinem Rücken griffen die Kameraden zu den Handfeuerwaffen. Doch sie hatten nicht die geringste Chance. Im Nu hatte die Meute sie überrannt und stürmte die Decks.

Entsetzt warf sich Don Juan ihnen entgegen. Es waren bucklige Gnomen und ungeschlachte Riesen, grinsende Zwerge und Monstren mit glühenden Augen, entartete Kreaturen der Hölle. Schon hatten sie Don Juan umzingelt und packten seine Arme und seine Beine. Krallen gruben sich in seine linke Schulter, er verspürte heftige. Schmerzen. Ein kicherndes Ungeheuer klammerte sich an seinem linken Fußknöchel fest und zerrte daran.

Seine Verwirrung und Überraschung wichen, Zorn packte ihn. Wild hieb er um sich. Er wollte sich befreien, wollte auch Vigil und den anderen zu Hilfe eilen, die ebenfalls in Bedrängnis waren, aber wieder war jeder Widerstand sinnlos.

Im Triumph war Don Juan nach Cádiz, in die Heimat Spanien, zurückgekehrt. Jubelrufe und Siegesgeschrei hatte er erwartet, denn er hatte Philip Hasard Killigrew, dessen Mannschaft und dessen Schiff in seine Gewalt gebracht, wie der ihm vom königlichen Hof übertragene Auftrag gelautet hatte. Und jetzt dies! Wieder wehrte er sich, aber die Scheusale lachten und brüllten voller Hohn.

„Arwenack!“ schrien sie. „Arwenack!“

Dann packten sie Don Juan und hoben ihn hoch. Sie trugen ihn von Bord und schafften ihn zum Kai, und von hier aus ging es unter Kreischen und Lärmen zur zentralen Plaza von Cádiz. Don Juan sah Vigil und die anderen – sie wurden ebenfalls weggeschleppt.

Auf der Plaza fesselte man sie an grobe, in den Boden gerammte Pfähle, zottige Greise, häßliche Frauen und keifende Kinder tanzten um sie herum und bespuckten sie.

„Was geht hier vor?“ schrie Don Juan. „Was wollt ihr von uns? Ich bin Don Juan de Alcazar!“

Wieder wurde er verspottet, verhöhnt und bespuckt. Er begriff nicht, was um ihn herum geschah. Fassungslos blickte er nur auf die Gestalten, die jetzt begannen, Reisig zu seinen Füßen aufzuschichten. Ebenso verfuhren sie mit Vigil und den anderen Männern, der kleinen Prisenmannschaft, die es fertiggebracht hatte, das große Schiff quer über den Atlantik sicher bis nach Spanien zu steuern.

Und jetzt sollte alles umsonst und vergebens sein? Was war in Cádiz geschehen? Wer waren diese Ungeheuer, die die ganze Stadt bevölkerten?

„Wer seid ihr?“ schrie Don Juan.

„Verbrennt sie, verbrennt sie!“ schrien die Frauen, Kinder und Greise und warfen mit Steinen nach ihnen.

Sie bedienten sich einer ganz anderen Sprache, das ging Don Juan erst jetzt auf. Dennoch verstand er sie. Wie hing das zusammen?

Sein Blick fiel auf die blutrote Fahne, die mitten auf dem Platz gehißt worden war. Sie zeigte ein weißes Kreuz – das Georgskreuz. Die Flagge Englands, dachte Don Juan entsetzt.

Ein Gigant mit ausladenden Schultern trat vor ihn hin, sein Gesicht war kreideweiß wie der Tod. Erst nach dreimaligem Hinsehen erkannte Don Juan ihn wieder.

„Killigrew“, murmelte er.

„Ich war ein Gefangener an Bord meines eigenen Schiffes“, sagte der Seewolf mit Grabesstimme. „Aber jetzt bin ich wieder frei – und mit mir meine Mannschaft.“

Sie alle betraten nun die Plaza: der Erste Offizier und Bootsmann Ben Brighton, der riesige, furchterregende Profos Carberry, der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker, zwei Kerle mit Eisenhakenprothesen, die sie gegenseitig aneinander wetzten, und all die anderen, die komplette Crew. Haß loderte in ihren Augen, Rache war ihr Ziel.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Don Juan. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, der Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht und den ganzen Körper.

„Eine Invasion“, erwiderte der Seewolf. „Cádiz ist in englischer Hand. Auch die anderen Häfen sind besiegt, von Norden her dringen berittene Truppen in das Land ein. Spanien fällt. Schon morgen ist es eine Kolonie der Königin Elizabeth I.“

„Niemals!“ schrie Don Juan.

„Auch die Neue Welt geht in englischen Besitz über“, sagte der schwarzhaarige Riese mit einer Stimme, die geradewegs aus den Schlünden der Hölle zu ertönen schien.

„Nein!“ brüllte Don Juan.

„Arwenack“, sagten die Männer der „Isabella“ im Geisterchor. „Es le-be die Kö-ni-gin, Arwenack. Ar-we-nack.“

„Die Schulter ist wund!“ schrie ein altes Weib und krallte seine Finger in Don Juans Schulter.

„Die Schußwunde ist entzündet!“ kreischte ein rotgesichtiges, mit den Augen rollendes Kind.

„Eine Sonde!“ dröhnte Philip Hasard Killigrews Stimme.

„Operieren“, sagte der Mann, der von allen nur der Kutscher genannt wurde, und sein Helfer mit dem todtraurigen, griesgrämigen Gesicht wiederholte es dumpf: „Operieren, operieren.“

„Nein!“ schrie Don Juan noch einmal.

„Verbrennen!“ rief der Chor. „Tod allen Spaniern!“

„Spanien ist in Englands Hand“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Es gibt keine Rettung mehr. Du hast verloren, Don Juan. Ich habe es dir schon immer prophezeit. Ich habe dich gewarnt. Kreuze nie mehr meinen Kurs, habe ich dir gesagt. Aber du wolltest nicht auf mich hören.“

„Es war – mein Traum“, stammelte Don Juan de Alcazar.

„Träume sind Schäume“, sagte der Seewolf verächtlich. „Du hast die ‚Isabella‘ nie erobert. Es ist dir nie gelungen. Du hast es dir nur eingebildet. Träume sind Schäume.“

„Arwenack“, summte der Chor.

„Die Sonde!“ keifte das alte Weib. „Operieren!“

„Laßt mich sterben“, sagte Don Juan. „Ich zeige euch, wie ein Mann stirbt.“

„Auch jetzt noch stolz?“ sagte der Seewolf. „Du bist ein Narr, Don Juan de Alcazar, ein hoffnungsloser, verbohrter Narr.“

Ein Narr, ein Narr, tönte es in seinen Ohren nach. Wäre er nur nie in Havanna an Land gegangen! Hätte er sich nie in den Kopf gesetzt, Killigrew zu stellen und der spanischen Krone auszuliefern! Es war ein von Anfang an sinnloses Unternehmen gewesen, und er, Don Juan, war seinem Todfeind jetzt ausgeliefert.

Tatsächlich aber befand er sich nicht in Spanien, sondern an Bord der „Isabella IX.“, die vor der Bahama-Insel Great Abaco ankerte. Man schrieb den 17. Juni 1594, und es war ein recht ruhiger, beschaulicher Vormittag nach dem Hurrikan, der über die Inselgruppe hinweggetobt war. Nur für Don Juan war die Welt ein Höllenkrater – er war verwundet und wand sich unter Schmerzen, Schüttelfrost und Fieber.

Hasard schritt durch den Mittelgang des Achterkastells der „Isabella“, verharrte kurz vor der Tür zur Kapitänskammer und öffnete sie dann mit einem entschlossenen Ruck. Er blickte ins Innere des Raums, der kurzfristig zum Krankenlager für Don Juan geworden war. Pater David, der Kutscher und Mac Pellew standen mit ziemlich besorgten Mienen an der Koje, auf der sich der Patient drehte und wand.

Der Kutscher sah zu Hasard.

„Er fiebert und ist nicht zu beruhigen“, erklärte er. „Das erschwert uns natürlich die Arbeit.“

„Könnt ihr ihn nicht festbinden?“ fragte der Seewolf.

Der Kutscher erwiderte: „Dazu sind wir gezwungen, wenn sich an seinem Zustand nichts ändert. Ich meine – das Fieber läßt nicht nach, und er wird weiterhin phantasieren. Ich muß aber die Kugel aus der Schulter holen, so schnell wie möglich.“

„Wir könnten ihm eine Flasche Rum verabreichen“, schlug Mac Pellew vor. „Dann gibt er bestimmt Ruhe. Ich hab’ da so meine Erfahrungen.“

„Aber um trinken zu können, muß er bei Bewußtsein sein“, sagte Pater David. „Wir können ihm das Zeug schließlich nicht gewaltsam einflößen.“

„Wir können’s doch“, widersprach Mac mit tödlich beleidigter Miene. „Wir brauchen dazu nur einen Trichter, das ist alles.“

„Das sind ja die reinsten Foltermethoden“, sagte Pater David. „Dagegen protestiere ich.“

 

„Schon gut“, sagte der Kutscher. „Mac wollte nur mal witzig sein.“

Mac schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein, das war mein voller Ernst.“

„Das glaube ich dir gern“, sagte der Seewolf. „Aber als Feldscher solltest du wirklich noch ein paar Jährchen beim Kutscher in die Schule gehen. Soviel Zeit brauchst du nämlich, wie mir scheint, um zu begreifen, daß es nicht nur rüde Holzhammer- und Brandy-Methoden gibt.“

„Aye, Sir“, sagte Mac trocken. Es schien ihm unter diesen Umständen das angebrachteste zu sein.

Der Kutscher hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Natürlich weiß ich nicht, wie lange wir deine Kammer noch mit Beschlag belegen müssen, Sir. Wir können den Mann ja auch schlecht in einen anderen Raum verfrachten, vorläufig jedenfalls.“

„Das scheidet schon allein wegen des Platzproblems aus“, sagte der Seewolf. „Im übrigen ist die Kammer meine geringste Sorge. Ich stelle sie so lange zur Verfügung, wie sie gebraucht wird. Aber haltet mich über die Entwicklung auf dem laufenden. Wenn er zu sich kommt, dürfte es noch einigen Aufstand geben. Dann merkt er nämlich, daß er sich an Bord unserer Lady befindet. Für ihn ist das die größte Schande, die es gibt.“

„Der Mensch hat Sorgen“, brummte Pater David. „Dabei sollte er heilfroh sein, daß der Herrgott ihn nicht zu sich holt. Bei so einer Blessur kann das leicht passieren.“

Hasard sagte: „Ich bin derselben Meinung, Pater, aber ich bezweifle, daß uns Don Juan in diesem Punkt recht gibt. Vielleicht wäre ihm lieber gewesen, ins Gras zu beißen, statt uns in die Hände zu fallen.“

„Ja, ja“, sagte der Gottesmann. „Wir Spanier mit unserem elenden, törichten Stolz. Ein intelligenter Mann wie dieser Don Juan sollte über den Dingen stehen und Souveränität beweisen. Ich hoffe, daß ich ihn noch entsprechend beeinflussen kann.“

„Ich wünsche viel Vergnügen bei dem Versuch“, sagte Hasard nicht ohne Sarkasmus. Denn er wußte ja, was für ein harter Brocken Don Juan war. Klug war er, das war sicher, aber auch hartnäckig und unbeugsam. Einflüssen jeglicher Art pflegte er eisern standzuhalten, wie auch die Berichte bewiesen, die Hasard von seinem Vetter Arne von Manteuffel in Havanna vernommen hatte. Was sich Pater David vorgenommen hatte, war also alles andere als leicht.

Hasard zog sich aus der Kammer zurück und schloß die Tür. Er kehrte an Oberdeck zurück und betrat das Quarterdeck. Am Steuerbordschanzkleid blieb er stehen, nahm sein Spektiv zur Hand, zog es auseinander und spähte hindurch – zum westlichen Horizont.

Ben Brighton trat zu ihm und sagte: „Wegen des Wetters brauchen wir uns vorerst nicht mehr zu sorgen. Der Hurrikan hat inzwischen längst Florida erreicht.“

Hasard ließ das Spektiv wieder sinken und richtete seinen Blick auf das Ufer der großen Bucht von Great Abaco, wo Ramón Vigil, Felipe Torres und die anderen Spanier die Gefangenen bewachten: Don Ignatio Churruca, Rolando de Simon, Carlos Antibes und die sechs Kerle, die sich auf die Seite des Capitáns und seiner beiden Offiziere geschlagen hatten. Sie waren gefesselt worden und hockten auf dem Boden. Ihre Mienen waren niedergeschlagen und verbissen, aber Hasard wußte, daß sie ihren Widerstand noch lange nicht aufgegeben hatten.

„Dafür haben wir jetzt andere Probleme“, sagte er. „Wir haben die Gefangenen am Hals und wissen nicht, was wir mit ihnen anstellen sollen. Wir haben Don Juan an Bord, und wir müssen uns um die siebzig Mixteken kümmern. Wir dürfen uns hier nicht mehr lange aufhalten, sonst werden die Vorräte zu knapp.“

„Ich fürchte, die sind schon knapp“, sagte Ben.

„Wenn der Kutscher mit der Operation fertig ist, soll er mir den genauen Bestand melden“, sagte der Seewolf. „Außerdem will ich wissen, wieviel Wasser noch in den Fässern ist.“

„Aye. Und wie geht es Don Juan inzwischen?“

„Das Fieber setzt ihm schwer zu.“

„Dieser Don Ignatio hat ihn nicht einmal verbunden, oder?“

„So ist es“, entgegnete Hasard. „Wer dem Kerl als Gefangener in die Hände fällt, ist wirklich des Todes.“

„Ich frage mich, wie viele der Mixteken Spanien lebend erreicht hätten, wenn die ‚Golondrina‘ ihre Fahrt fortgesetzt hätte“, sagte Ben. „Nicht mal zwei Dutzend, schätze ich. Oder irre ich mich?“

„Du irrst dich bestimmt nicht“, antwortete der Seewolf mit grimmiger Miene. Natürlich hätte er Don Ignatio wegen seiner Verbrechen aburteilen können. Aber das war nicht seine Aufgabe. Es fiel Don Juan zu, über den Mann und die Offiziere sowie die sechs Besatzungsmitglieder der „Golondrina“ Gericht zu halten. Schließlich hatten die Kerle auch einen von Don Juans Männern auf dem Gewissen.

Die „Golondrina“ lag auf dem Grund der großen Bucht. Sie würde nie wieder als Sklavenschiff dienen, aber es würde andere Schiffe geben, die arme Teufel wie die Mixteken in die Alte Welt beförderten, wo sie wie fremdartige Tiere begafft und ausgelacht wurden. Hasard verspürte Widerwillen, wenn er nur daran dachte.

In diesem einen Punkt war Don Juan de Alcazar sogar mit ihm einer Meinung. Auch er verdammte das Vorgehen der Spanier in der Neuen Welt, von dem er allerdings nur einen Vorgeschmack erhalten hatte. Don Juan war ein Mann mit moralischen und christlichen Prinzipien, die er um keinen Preis verletzte. Aus diesem Grund hatte er auf Pater Davids Drängen hin auch die Geiseln wieder freigelassen, die er überwältigt und festgenommen hatte, um den Seewolf zur Aufgabe zu zwingen. Big Old Shane, Stenmark, Jack Finnegan, Paddy Rogers und Bob Grey hatten sich nur für kurze Zeit in seiner Gewalt befunden.

Und jetzt lag er fiebernd und mit einem Schultersteckschuß aus der Pistole des Don Ignatio Churruca in Hasards Kapitänskammer. Der Krankenraum an Backbord unter der Back, der eigentlich für solche Zwecke vorgesehen war, war mit Mixteken belegt, die wegen Entkräftung noch gepflegt werden mußten.

„Diese ganze Great-Abaco-Affäre geht mir erheblich auf den Geist, Ben“, sagte Hasard. „Aber nicht wegen der Mixteken, versteh mich bitte nicht falsch. Wir haben zuviel Zeit verloren. Und wir treten auf der Stelle. Wir fahren uns hier fest, wenn nicht bald etwas geschieht.“

„Um es kraß zu sagen, wir müssen Don Juan so schnell wie möglich wieder loswerden“, sagte Ben. „Er ist für uns wie ein Klotz am Bein. Schließlich können wir ihn nicht mit zur Schlangen-Insel nehmen.“

„Wir können ihn aber auch nicht verletzt hier zurücklassen.“

„Und wenn wir ihn mit den Mixteken nach Hispaniola brächten? Wie wäre das?“ fragte Ben.

„Das wäre eine ganz gute Idee“, erwiderte Hasard. „Aber ich muß sie mir noch gründlich durch den Kopf gehen lassen. Was wir unternehmen, hängt auch von dem Ausgang der Operation ab – und wie schnell Don Juan wieder auf die Beine kommt.“

Rufe und Gepolter ertönten in diesem Moment aus der Kapitänskammer. Ben hob den Kopf und sah Hasard fragend an.

Hasard zuckte mit den Schultern. „Ich nehme an. Don Juan hat das Bewußtsein wiedererlangt – und Pater David versucht, beruhigend auf ihn einzuwirken.“ Ein ironisches Lächeln konnte er sich nicht verkneifen.

2.

„Gib die Sonde her, Mac“, sagte der Kutscher. „Ich fange jetzt an. Wir können nicht länger warten.“

„Halleluja“, sagte Mac brummig, „das wird heiter.“

Der Kutscher beugte sich über Don Juans linke Schulter. „Die Wunde ist bereits entzündet“, sagte er. „Das ist die Folge von Capitán Churrucas rücksichtsloser Verhaltensweise. Er hat den Mann ja sogar noch fesseln lassen, ganz abgesehen davon, daß die Blessur nicht versorgt worden ist.“ Er wollte die Sonde ansetzen, um die Kugel zu orten, aber genau in diesem Augenblick erlangte Don Juan für kurze Zeit die Besinnung wieder.

Er schlug die Augen auf und blickte verwirrt um sich.

„Ich … Laßt mich sterben“, murmelte er. „Ich zeige euch – wie ein Mann stirbt.“

„Das ist nicht nötig“, sagte Mac mürrisch. „Wir kennen so was schon. Wir fahren nicht erst seit einem Jahr zur See, Señor.“

„Don Juan“, sagte Pater David. „Bitte bleiben Sie ruhig. Sie haben eine Kugel in der Schulter stecken, die wir jetzt herausholen.“

Don Juans Blick richtete sich auf den Gottesmann. Sofort erkannte er in ihm den Mann wieder, der ihm am Strand den Marsch geblasen hatte. Pater David, daran bestand nicht der geringste Zweifel, war trotz seiner spanischen Staatsangehörigkeit ein Mitglied der Crew der Engländer.

Mit anderen Worten – er, Don Juan, befand sich in der Gewalt der Engländer und somit seines Gegners Philip Hasard Killigrew! Der Fiebertraum wurde zumindest zum Teil Wirklichkeit. Wieder einmal triumphierte der Seewolf, wieder war er der Sieger!

Schweißüberströmt richtete sich Don Juan auf.

„Nein!“ stieß er hervor. „Ihr könnt mich hier nicht – festhalten!“

Er traf wahrhaftig Anstalten, aus der Koje zu steigen, aber Pater David verstellte ihm den Weg und fuhr ihn an: „Sind Sie noch bei Trost? Sie spielen mit Ihrem Leben, Señor! Sie riskieren einen Wundstarrkrampf, das Fieber haben Sie ja schon! Leuchtet Ihnen das nicht ein?“

„Nein!“

„Mir aber!“ brüllte der Gottesmann. „Legen Sie sich gefälligst wieder hin! Wir holen die Kugel raus, und wenn Sie danach noch herumhüpfen wollen, können Sie das gerne tun!“

Don Juan ließ sich wieder auf die Koje sinken. „Sie haben eine besonders nette und freundliche Art, mit Ihren Landsleuten umzuspringen, Pater“, sagte er schwer atmend. „Das ist mir gleich an Ihnen aufgefallen. Spanien braucht Männer wie Sie.“

„Lassen Sie den Hohn weg“, knurrte Pater David. „Der ist nicht angebracht. Glauben Sie nur nicht, daß ich nicht längst weiß, wer Sie sind und welchen Auftrag Sie haben.“

„Ach? Killigrew hat Ihnen alles erzählt? Sie scheinen sich ja – prächtig mit ihm zu verstehen.“

„Allerdings“, sagte der Gottesmann. „Im übrigen bin ich empört darüber, daß sich die spanische Krone eines Menschenjägers bedient, den sie auf Philip Hasard Killigrew angesetzt hat. Finden Sie das moralisch vertretbar?“

„Finden Sie es vertretbar, mit einem Engländer zu konspirieren?“

„Ich konspiriere nicht, mein Freund“, erwiderte Pater David. „Ich nehme eine neutrale Position ein und helfe all denen, die meine Hilfe brauchen. Aber Sie können ja nicht wissen, was für ein Mann dieser Kapitän Killigrew ist.“

„Vielleicht ahne ich es“, sagte Don Juan erbittert.

„Wir sollten die Debatte abschließen“, sagte der Kutscher. „Sie schadet unserem Patienten nur.“

„Ja“, sagte Pater David. „Aber eins will ich klarstellen: Ich empfinde mich nicht als Spanier, sondern als Diener Gottes. Vor Gott sind alle Menschen gleich, und es gibt keine Nationalitäten. Das sollte auch Ihnen einleuchten, Don Juan. Kapitän Killigrew ist kein Pirat, wie Sie denken.“

„Sondern? Ein Wohltäter der Menschheit?“

„Er hat schon vielen Menschen das Leben gerettet – zuletzt den siebzig Mixteken. Und jetzt Ihnen, Señor.“

„Wie?“

„Ihm haben Sie es zu verdanken, daß Sie noch am Leben sind und aus der Gewalt Don Ignatios befreit worden sind.“ In kurzen Zügen berichtete Pater David, was sich zugetragen hatte. Dann endete er mit den Worten: „Während Sie also damit beschäftigt sind, Kapitän Killigrew im Auftrag der spanischen Krone zur Strecke zu bringen, tut er genau das Gegenteil – nämlich Ihnen das Leben retten, und das jetzt schon zum zweitenmal!“

Pater David nahm kein Blatt vor den Mund. Er hielt eine regelrechte Strafpredigt, und als er damit am Ende angelangt war, nickte Mac Pellew sowohl ihm als auch dem Kutscher beifällig zu.

„Recht so“, sagte er. „Das war mal so richtig nach meinem Herzen.“

„Ja“, sagte der Kutscher, „so ist es. Aber gib jetzt mal die Flasche Rum her, Mac. Wir wollen zur Sache kommen.“

„Ich will keinen Rum“, sagte Don Juan.

Der Kutscher sah ihn ernst und mitfühlend an. „Señor, ich bitte Sie darum, wenigstens einen Schluck zu sich zu nehmen. Der Alkohol lindert die Schmerzen. Und es ist nicht angenehm, wenn ich die Sonde benutze. Leider bin ich dazu gezwungen, es zu tun. Sie müßten das wissen.“

„Ich weiß nur, daß ich Ihre Behandlung ablehne, Señor!“ stieß Don Juan wütend hervor. Dann aber verstummte er, denn die Schmerzen setzten ihm wieder zu, heftiger als zuvor. Fast gegen seinen Willen nahm er die Flasche aus Macs Hand entgegen und führte sie an den Mund. Dann trank er.

„Sehr gut“, sagte Mac mit tief trauriger Miene. „So stimmt er sich auf die Operation ein. Aber für uns bleibt wohl nichts übrig – bei dem Zug, den der Señor hat.“

 

Tatsächlich gelang es Don Juan – wieder fast ohne sein bewußtes Zutun –, die Flasche innerhalb kürzester Zeit um die Hälfte ihres Inhalts zu leeren. Dann wurde er bewußtlos und rührte sich vorerst nicht mehr.

„Mir ist das sehr lieb“, sagte der Kutscher und atmete unwillkürlich auf. Er beugte sich über seinen Patienten und konnte jetzt ungehindert mit der Sonde arbeiten.

Eine Viertelstunde später verließ er die Kammer, begab sich auf das Achterdeck und erstattete Hasard Meldung.

„Die Kugel ist heraus“, sagte er. „Und Don Juan ist versorgt.“

„Wie lange muß er in der Koje bleiben?“ fragte Hasard.

„Mindestens eine Woche, damit die Wunde verheilen kann.“

„Das habe ich mir auch schon ausgerechnet“, sagte Hasard grimmig. „Und ich habe eine neue Aufgabe für dich, Kutscher. Ich will genau wissen, wieviel Proviant und Wasser wir noch an Bord haben. Stell bitte eine Liste auf.“

„Aye, Sir“, sagte der Kutscher, dann war er verschwunden. Die Stimmung an Bord – besonders auf dem Achterdeck – war alles andere als rosig, das spürte auch er.

Die Hände auf dem Rücken, das Gesicht ärgerlich verzogen, trat Hasard zu Ben Brighton, Ferris Tucker und Big Old Shane, die an der Heckreling standen und sich über die Ereignisse der letzten Stunden unterhielten.

„Da habe ich also Don Juan de Alcazar, meinen verehrten Freund, am Hals und stehe vor dem Problem, was ich mit dem Kerl anfangen soll“, sagte Hasard.

„Eins steht fest“, sagte Shane. „Wir können ihn unmöglich mit zur Schlangen-Insel nehmen.“

„Das weiß ich auch schon“, sagte Hasard bissig. „Und mir ist das ohne langes Nachdenken eingefallen. Andererseits will ich ihn aber auch nicht eine Woche oder noch länger an Bord beherbergen, was wiederum auch noch unter der Voraussetzung steht, daß sich keine Komplikationen mit der Wunde ergeben.“

„Dann wäre da auch noch die Sache mit den Mixteken“, sagte Ferris. „Die dürfen wir auch nicht unterbewerten.“

„Was du nicht sagst.“ Hasard sah ihn an, als habe er etwas Ketzerisches, Aufrührerisches geäußert. „Aber sie sind ja bereit, sich auf Hispaniola ansiedeln zu lassen, das hast du wohl vergessen.“

„So weit, so gut“, sagte Ben. „Aber das hängt davon ab, wie es um unsere Bordvorräte bestellt ist.“

Sie diskutierten noch eine Weile herum, dann erschien der Kutscher abermals auf dem Achterdeck und überreichte Hasard die Liste.

„Ich habe alles genau inspiziert“, versicherte er. „Die Vorräte sind rapide geschrumpft, seit die Mixteken mit verköstigt werden.“

„Das wußten wir auch, bevor wir sie an Bord übernahmen“, sagte Ben. „Und sie müssen schließlich mit kräftigem Essen wieder aufgepäppelt werden, vor allem die Frauen und Kinder.“

„Natürlich“, sagte der Seewolf. „Ich will auch nicht, daß ihr mich falsch versteht. Ich bereue keinen meiner Schritte, ganz im Gegenteil. Ich bin froh, daß wir den Indianern helfen können. Nur müssen wir für den weiteren Verlauf der Fahrt einen brauchbaren Plan entwerfen, sonst könnte es sein, daß wir doch noch irgendwie stranden. Das dumme ist, daß wir unter Zeitdruck stehen – und das alles wegen Don Juan, der mir seinerseits natürlich nach wie vor an den Kragen will. Wie lange reicht unser Vorrat noch?“ Er warf einen Blick auf die Liste.

„Für vier Tage“, erwiderte der Kutscher. „Wenn alle den Gürtel etwas enger schnallen, etwa sechs bis sieben Tage.“

„Wir müssen sofort anfangen, zu fischen und frisches Trinkwasser an Bord zu schaffen“, sagte der Seewolf. „Das ist jetzt vordringlich.“ Er hatte wieder einmal Grund, den Spaniern alles Erdenkliche an den Hals zu wünschen. „Normalerweise wäre ich noch gegen Mittag oder Nachmittag ankerauf gegangen“, fuhr er fort. „Mit Kurs auf die Schlangen-Insel. Das Wetter bessert sich ja von Stunde zu Stunde. Aber jetzt hängen wir hier fest. Und wir haben auch noch die Gefangenen, um die wir uns irgendwie kümmern müssen, nicht wahr?“

Ferris räusperte sich. „Ich hätte einen Vorschlag, wenn’s recht ist.“

„Heraus damit.“

„Ich meine – wir könnten die Señores an Land doch dazu ermuntern, Hütten zu bauen. Baumstämme sind zur Genüge von dem Hurrikan umgelegt worden. Sie brauchen nur zuzugreifen und können sich außerdem nützlich machen, statt wie die Ölgötzen rumzuhocken.“

„Wenn wir ihnen ein paar Werkzeuge – Äxte und Sägen – zur Verfügung stellen, können sie sofort damit anfangen“, sagte auch Big Old Shane.

„Und in die erste fertige Hütte können wir dann den ehrenwerten Don Juan bringen“, sagte der Seewolf. „Vorausgesetzt, das Fieber läßt nach und er kommt wieder zu Kräften. Das ist ein sehr vernünftiger Vorschlag, Ferris. Ich werde selbst an Land gehen und mit Ramón Vigil darüber sprechen.“

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