Seewölfe - Piraten der Weltmeere 695

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 695
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-96688-117-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

In der Schwefelhölle von Kavali

Verraten und verkauft fristen die Arwenacks ihr Leben in den Schwefelminen

In der Dezembermitte 1599 erreichte das Orgeln des Bhoot seinen Höhepunkt. Nicht mal die Alten konnten sich entsinnen, ihn so wild blasen gehört zu haben. Dieser Bhoot war ein trockener Staubwind, der Sand und Dreck aus den nördlichen Hochebenen des Andhra Pradesh aufwirbelte, ihn in große Höhe trieb und weit nach Osten hinüberjagte, bis hinein in den Golf von Bengalen. Der Bhoot ließ Menschen erblinden und trocknete die Körper zu Mumien aus, so erzählten die alten Leute, und sie mußten es wissen, war der Bhoot doch ihr ständiger Begleiter.

Diesen unangenehmen und knochentrockenen Staubwind spürten auch die Arwenacks auf der osmanischen Galeere. Er schmirgelte ihnen die Haut von den Gesichtern, dörrte ihre Körper aus und brannte wie Höllenfeuer in den Augen …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Die Hauptpersonen des Romans:

Clint Wingfield – der Moses der Arwenacks geistert auf der Schebecke herum und erschreckt den Koch.

Dan O’Flynn und Hasard junior – halten zäh Fühlung an der Galeere, auf der ihre Kameraden als Ruderknechte gefangen sind.

Old Donegal O’Flynn – setzt gegen einen der Schinder auf der Galeere den Schußmechanismus in seinem Holzbein ein.

Drawida Shastri – der falsche Sultan glaubt sich am Ziel, als er die Arwenacks an die Schwefelminen von Kavali verschachert.

Philip Hasard Killigrew – zeigt seinen Gegnern, daß die Arwenacks trotz ihrer Fesseln noch zu kämpfen verstehen.

1.

Das ist keine Sonne mehr, dachte Philip Hasard Killigrew, das ist der Backofen des Satans, in den sie erbarmungslos hineingeschoben wurden.

Am Ufer, das langsam vorüberglitt, waren die Palmen wie mit einer Puderschicht überzogen. Was vormals grüne Vegetation gewesen war, hatte jetzt einen grauen Schleier, den erst wieder der Regen wegwaschen würde.

Dicht unter der Küste segelte die osmanische Galeere dahin. Zusätzlich wurde sie gerudert, und bei jedem „Tam-Tam“ des indischen Schlagmannes mußten sie die schweren Langriemen durchs Wasser ziehen.

Das Dröhnen der großen Trommel peinigte ihre Ohren. Im unteren Deck der Galeere hallte es dumpf und mit Echo zurück. Der Klang erfüllte den Schiffskörper wie eine Vibration, die sich immer wieder verstärkte.

Aber noch schlimmer war der Durst in dieser Hölle. Hinzu kam die Ungewißheit, welches Schicksal ihnen bevorstand, und was Drawida Shastri, der falsche Sultan, ihnen zugedacht hatte.

Das alles zerrte und riß an den Nerven und ließ diese Reise ins Ungewisse zu einer einzigen Tortur werden.

Der Seewolf war im Oberdeck der Galeere auf einer der durchgewetzten Bänke angekettet. Von seiner Position aus sah er teilweise die gebeugten und gespannten Rücken seiner Männer, die im Takt der Trommel die Riemen durchzogen. Die Körper waren naß von Schweiß, und die Haut juckte erbärmlich, wenn der Bhoot sie mit Staub und feinem Sand überzog.

Auch die drei Tage alten Bartstoppeln in den Gesichtern begannen unerträglich zu jucken.

„Tam-Tam!“

Der Seewolf zuckte zusammen, als er hinter sich das Klatschen der Peitsche hörte. Big Old Shane stöhnte verhalten, als der Schlag seinen breiten Rücken traf.

„Verfluchter Bastard“, knirschte der Seewolf und sah den krummgewachsenen Inder an, der durch die Mittelreihe ging und seine sadistische Wut an den wehrlosen Arwenacks ausließ. „Einmal sind wir wieder frei, und dann breche ich dir persönlich das Genick.“

Der Inder verstand ihn nicht, aber er schien den Sinn der Worte herauszuhören. Dicht vor dem Seewolf blieb er stehen und sah ihn tückisch aus seinen hinterhältigen Augen an.

Mit der jetzt wieder zusammengerollten Peitsche fuchtelte er Hasard vor der Nase herum und sagte etwas, das wiederum der Seewolf nicht verstand. Den Worten folgte ein dreckiges Grinsen.

Hasard prägte sich diese Visage ganz besonders ein. Mit dem Halunken würde er abrechnen, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergab. Das konnte noch lange dauern oder nie der Fall sein, aber der Haß staute sich nur noch mehr in ihm auf.

Dieser Kerl piesackte und schikanierte die Arwenacks bereits seit drei Tagen, indem er mit seiner Peitsche wahllos auf sie einhieb. Er schlich sich immer von hinten an, und dann traf ein harter Schlag die Männer, die darauf nicht vorbereitet waren.

Das führte schließlich dazu, daß sich die Männer verkrampften und insgeheim die Schläge erwarteten. Stundenlang waren ihre Körper angespannt, aber der Bastard sah das und schlug erst zu, wenn keiner mehr damit rechnete.

Wenn sie dann zusammenzuckten und aufstöhnten, grinste er wie ein bösartiger Satan.

Der Kerl war klein, krumm und verwachsen, und er ähnelte einem dämonischen Gnom, wenn er durch die Reihen schlich. Seine linke Hand war verkrüppelt, in seinen kohlschwarzen Augen brannte ein Feuer wie heißes Dschungelfieber.

Hasard warf dem Kerl einen Blick zu, der so eisig war, daß der Krüppel für einen Augenblick erschreckt die Zähne entblößte. In diesen eisblauen Augen lag eine Kälte, die den Kerl trotz der Hitze frieren ließ. Er hatte vor diesem schwarzhaarigen Riesen mit den silbergrauen Schläfen hündische Angst und überprüfte daher immer wieder seine Ketten persönlich.

Diesmal tippte er Hasard mit dem Stiel der Peitsche nur an und hob sein Kinn etwas an. Wieder sagte er etwas. Es klang haßerfüllt, aber auch ängstlich-zurückhaltend. Der Inder wurde das Gefühl nicht los, als könne dieser Riese ganz plötzlich seine Ketten mit einem gewaltigen Ruck sprengen. War er dann erst mal frei, würde er wie ein reißender Wolf über alle herfallen.

Schnell ging er weiter, und weil er vor dem sechs Fuß großen Riesen erbärmliche Angst hatte, zog er dem Schweden Stenmark noch schnell eins über, der wild das Kreuz durchbog. Hasard nahm das verbissen zur Kenntnis, hilflos und voller ohnmächtiger Wut.

Der Kerl enterte jetzt über den Niedergang nach unten, ging dort durch die Mittelreihen und zwiebelte die anderen Arwenacks. Von dort aus schlich er den achteren Niedergang hoch, und damit wiederholte sich das alte Spiel.

Seine Landsleute, die ebenfalls angekettet auf der Galeere schufteten, verschonte er keineswegs. Aber auf die Arwenacks hatte er es ganz besonders abgesehen.

„Diese dreckige Ratte hat hündische Angst vor dir, Sir“, sagte Ferris Tucker, der links vom Seewolf in der anderen Reihe auf der Ruderbank saß. „Dem flattert jedesmal der Dhoti, sobald er an dir vorbeigeht.“

„Ich habe es schon bemerkt“, erwiderte der Seewolf mit zusammengepreßten Lippen. „Er wird sich auch denken können, was passiert, wenn ich ihn erwische. Er wird es nicht überleben.“

Das war keine nur so dahingesagte Drohung. Hasard hatte wirklich vor, diesem Bastard das Genick zu brechen, sobald sich dazu eine Gelegenheit bot. Ein ganz besonderer Anlaß war der Umstand, daß der Inder seinem Sohn Philip hart eins übergezogen hatte. Und er tobte sich auch an dem schmalbrüstigen Kutscher und Mac Pellew aus, von denen er nichts befürchtete.

„Das verspreche ich ebenfalls“, sagte Ferris. „Und falls er Ed in die Finger fällt, ist er aller Sorgen ledig. Der wird ihn zu Hackfleisch verarbeiten.“

Von weiter achtern erklang die Stimme des graubärtigen Exschmiedes von Arwenack, Big Old Shane, dem noch das Kreuz brannte und auf dessen breiten Rücken ein blumiges Muster zu sehen war.

„Falls ihr noch etwas übriglaßt, werde ich den Rest besorgen“, versprach er.

Der Takt der Trommel veränderte sich vorerst nicht. Es blieb immer das gleiche „Tam-Tam“, nervtötend, in den Ohren dröhnend.

Hasard warf einen Blick über das Meer und konzentrierte sich dabei auf die Kimm tief im Süden. Dort glaubte er, eine winzige Nußschale auf dem Wasser zu sehen. Aber der staubige Wind verwischte das Bild immer wieder und verwandelte es in schlierige Staubschleier.

Der Seewolf nahm jedoch an, daß ihnen ein kleines Fischerboot folgte, und in dem Boot konnten sich nur sein Sohn Hasard mit Dan O’Flynn befinden, die sich beim Landgang verspätet hatten. Sicher hatten sie inzwischen herausgefunden, daß die Galeere des Sultans überfallen und die Schebecke von anderen besetzt worden war. Schließlich konnten sie zwei und zwei zusammenzählen.

 

Zwei Mann von den Arwenacks waren also noch in Freiheit, und die würden sicher versuchen, bei einer günstigen Gelegenheit etwas zu unternehmen.

Der dritte, der fehlte, war der Moses Clint Wingfield, das gerissene Bürschchen mit dem blonden Haarschopf.

Er schien sich irgendwo an Bord der Schebecke versteckt zu halten, wo ihn die Portugiesen offenbar noch nicht entdeckt hatten.

Sobald Hasard an die Schebecke dachte, stieg ihm wieder die Galle hoch. Drawida Shastri hatte sie nach dem Überfall den Portugiesen von der versenkten Karavelle versprochen, allerdings unter der Bedingung, daß sie die osmanische Galeere noch bis zu ihrem endgültigen Ziel begleiteten. Wo dieses Ziel lag, darüber hatte sich Shastri allerdings nicht ausgesprochen.

Jetzt segelten die Portugiesen mit der Schebecke etwa eine halbe Meile vor der Galeere in Küstennähe her.

Wenn Hasard den Kopf wandte und die Schebecke sah, dann gab es ihm jedesmal einen Stich ins Herz, und er schluckte seinen Ärger nur sehr mühsam herunter.

Alles war zum Schluß so gut gelaufen, dachte er. Sie hatten die Gold- und Silberladung abgeliefert und zusammen mit dem Sultan von Golkonda nach Kanchipuram gebracht. Nach einer wilden Tigerjagd und einer Abschiedsfeier waren sie nach Madras zurückgekehrt.

Dort hatte der Vetter und Todfeind des Sultans die Galeere in einem Überraschungsangriff gekapert und die Seewölfe mit List und Tücke an Bord gelockt. Bevor sie richtig merkten, was hier lief, befanden sie sich schon angekettet auf der Galeere und dem wilden Haß des falschen Sultans ausgesetzt. Dessen Haß war grenzenlos, seit ihm die Arwenacks elf Tonnen Gold und Silber wieder abgenommen hatten.

Seitdem grübelte Hasard darüber nach, was der Kerl wohl mit ihnen vorhaben mochte.

Über das Ziel dieser Reise war nichts zu vernehmen gewesen, kein Sterbenswörtchen. Es blieb, geheim, selbst die meisten von der Besatzung schienen es nicht zu wissen. Es ging nur immer nach Norden, wo die Gegend einsam und leer wurde.

Hinter sich hörte Hasard, wie sich jemand leise räusperte. Es war der kleine Inder Gupta, einer der wenigen, die emotionslos waren und keinen Haß auf die Arwenacks hatten. Der Kleine war schon älter und tat nur das, was ihm von Shastri befohlen wurde. Er schikanierte auch keinen, konnte aber auch nicht helfen.

Hasard spie aus, weil er den Mund voller Sand und Staub hatte.

Der verfluchte Bhoot!

Gestern noch schien das Meer zu kochen und der Weltuntergang bevorzustehen. Da hatte es geregnet und geblitzt, doch jetzt war wieder alles anders, knochentrocken, heiß und staubig. Auch das war die indische Koromandelküste.

Gupta stand jetzt neben ihm und blickte den Mittelgang entlang, aber von dem krummen Gnom war nichts zu sehen. Offenbar schlich er durch das untere Ruderdeck, wo er die Leute schikanierte.

„Was willst du?“ fragte Hasard den zahnlosen Burschen.

Der Kleine grinste freudlos. Hasard sah wieder seine beiden letzten Zähne, die weder zum Kauen noch zum Beißen taugten.

„In einer Stunde gibt es Wasser“, sagte Gupta. „Aber ich habe dir schon etwas mitgebracht.“ Er hielt Hasard die Muck an die Lippen, doch der Seewolf zog den Kopf zurück.

„Gib es ihm“, sagte er heiser und deutete mit dem Kinn zu der völlig ausgemergelten Gestalt neben sich.

Dort hockte ein alter Inder mit glanzlosen Augen und so unglaublich dürr, daß jeder seiner Rippen in dem mageren Brustkorb zu sehen war. Der Alte war dem Tod näher als dem Leben, und er tat Hasard leid.

„Du hast doch selbst Durst“, flüsterte Gupta.

„Gib’s ihm, er ist noch durstiger.“

Gupta beugte sich vor und setzte dem ausgemergelten Burschen die Muck an die trockenen Lippen. Der halbblinde Mann schlürfte durstig und dankbar und keuchte ein paar unverständliche Worte.

„Das würde keiner an deiner Stelle tun“, sagte Gupta.

Hasard ging nicht darauf ein. Statt dessen fragte er: „Hast du erfahren, wo es hingeht?“

„Nein. Niemand sagt etwas.“

„Wie heißt der nächste Ort?“

„Kavali, glaube ich.“

„Kavali“, wiederholte der Seewolf. „Klingt hübsch. Ist das eine Hafenstadt?“

„Nein, sie liegt wie Gudur und Nellore ein Stück im Landesinneren.“

„Und der Ort danach?“

Gupta mußte eine Weile überlegen. Dabei blickte er immer wieder zum Niedergang. Aber der Schläger war nicht in Sicht.

„Das müßte Bandar sein.“

„Dort lebt der Nawab von Bandar“, sagte Hasard. „Ein Verwandter des Sultans von Golkonda.“

„Ja, ich glaube schon.“

„Dann segeln wir vermutlich nach Bandar. Aber dort kann sich Shastri doch nicht sehen lassen.“

„Ich weiß es nicht.“

„Na schön. Greif in meine linke Tasche und nimm dir ein paar Münzen heraus, Gupta.“

Der Inder tat, wie ihm geheißen. Über sein zahnloses Gesicht glitt ein flüchtiges Grinsen. Er war nicht unverschämt und nahm sich nur ein paar Rupies. Den Rest steckte er wieder zurück.

„Uns folgt seit zwei Tagen ein kleines Boot“, flüsterte Hasard. „Es scheint ein Fischerboot zu sein. Könntest du herausfinden, wie viele Leute dort an Bord sind?“

„Ich werde es versuchen, Sahib.“

Wie ein Schatten verschwand der Inder.

2.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er zurückkehrte. Er wartete auch ab, bis der Schläger wieder durch die Reihen gegangen war und die Leute traktiert hatte. Diesmal hatte er Matt Davies und dem alten O’Flynn kräftig eins übergezogen.

Wie ein Geist, der aus den Planken wächst, tauchte er neben dem Seewolf auf.

„Ich habe durch das Zauberglas gesehen, Sahib. Es sind vier Männer in dem Boot, zwei Inder und zwei andere, die keine Inder sind. Das Zauberglas hat sie deutlich gezeigt.“

Hasard stieß erleichtert die Luft aus.

„Ich danke dir, Gupta. Wer ist übrigens dieser Hundesohn, der uns dauernd schlägt?“

„Das ist Valkya“, flüsterte der Inder furchtsam. „Ein böser, ein sehr böser Mann. Er ist schon lange bei Shastri, und sie haben alle Angst vor ihm. Er hat einen bösen Blick, und wenn man ihn sieht, dann schlägt er mit der Peitsche.“

Hasard zuckte zusammen, als er einen Schrei unmittelbar neben seinem Ohr hörte. Der Schrei hörte sich tierisch an. Gleichzeitig stolperte Gupta und fiel auf die Planken.

Hinter ihm stand peitschenschwingend der Gnom Valkya, mit boshaften Augen und seinem tückischen Grinsen. Noch zweimal schlug er auf den am Boden liegenden Gupta haßerfüllt ein und schrie wieder ein paar Worte, die keiner verstand.

„Du dreckiger Bastard!“ brüllte Hasard voller Wut.

Er zerrte mit aller Gewalt an seinen Ketten. Sein Gesicht sah so aus, als würde er den Gnom wahrhaftig umbringen. Er trat auch mit dem Fuß nach ihm, doch der Krüppel wich entsetzt und verstört aus und hastete ein paar Schritte durch den Mittelgang, wo er sich in Sicherheit glaubte.

Hasard im Auge behaltend und bösartig feixend, holte er mit der langen Peitsche aus und drosch auf Ben Brighton ein, immer und immer wieder, bis der sich unter den Schlägen duckte und Angst hatte, der kleine Teufel würde ihm die Augen ausschlagen.

Der Bastard verschwand endlich, nachdem er Hasard einen ängstlichhaßerfüllten Blick zugeworfen hatte.

Minuten des Schweigens vergingen, in denen sie mechanisch nach dem „Tam-Tam“ die Langriemen durchs Wasser zogen. Der alte Inder neben Hasard hustete und spuckte Blut.

Ferris sah wieder herüber. Seine Augen glitzerten vor hilfloser Wut.

„Aus diesem Gupta werde ich auch nicht ganz schlau“, sagte er zu Hasard. „Gestern erklärte er, Shastri wolle nach Kavali, wo er furchtbare Dinge plane. Heut sagte er, daß Kavali keine Hafenstadt sei und der nächste Ort Bandar heiße. Was soll man davon halten?“

„Ich weiß es nicht, aber ich habe ihn absichtlich nicht unterbrochen, um mehr zu erfahren. Allerdings bin ich jetzt auch nicht viel schlauer geworden. Ich bin mir aber ziemlich sicher, daß uns Dan und Hasard in dem Fischerboot folgen.“

„Hoffen wir es“, murmelte Ferris. „Aber von Kavali habe ich schon mal irgendwas gehört.“

„Vielleicht verwechselst du es mit der vielarmigen Kali“, meinte Hasard. „Hört sich ja so ähnlich an. Gupta muß man aber immer reden lassen, auch wenn er heute dies und morgen das sagt. Das übrige müssen wir uns eben zusammenreimen.“

„An dieses Kavali glaube ich nicht“, ließ sich Ben Brighton vernehmen. „Was sollen wir in einem Kaff im Landesinnern? Da kann er doch mit Seeleuten absolut nichts anfangen.“

„Wer weiß“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Der Kerl ist ein Teufel in Menschengestalt, und er will seine Rachegefühle befriedigen. Schließlich haben wir ihn um Gold und Silber gebracht. Er hat sich bestimmt eine üble Teufelei ausgedacht, die auch gleichzeitig gegen den Sultan gerichtet ist, indem er ihm die Galeere stahl. Ich habe wirklich keinen blassen Schimmer, was der Gauner mit uns vorhaben könnte.“

„In jedem Fall eine hundsgemeine Sache“, sagte Shane. „Ich habe schon an seinem Grinsen gesehen, daß uns eine Überraschung bevorsteht. Wo steckt der Hundesohn überhaupt?“

„Wahrscheinlich in seiner Kammer, wo er sich von den Strapazen der Seekrankheit erholt“, meinte Hasard. „Aber das dürfte bald vorbei sein. Die See ist längst wieder ruhig geworden.“

Hasard schwieg für ein paar Augenblicke und blickte wieder zur nahen Küste hinüber.

Im Landesinneren war ein Wirbel aus Staub und Sand zu erkennen. Wie eine Trombe sah es aus, eine gefürchtete Windhose. Der Wirbel wurde erst in große Höhen getragen, dann raste er fast waagerecht auf das Meer zu.

„Auch das noch“, murmelte der Seewolf. „Der Staub hält genau auf uns zu. In ein paar Minuten dürfte er uns erreichen.“

Die Wolke aus Staub und Sand näherte sich rasch und senkte sich dabei immer tiefer. Unter ihrem Ansturm begannen die Wipfel der Palmen zu rauschen. Ein hohes Singen und Fauchen lag in der Luft. Urgewalten tobten kreischend heran.

Es war, als blase der Chamsin sein höllisches Lied, jener heiße, trockene, mit Staub und Sand beladene Wüstenwind der arabischen und ägyptischen Regionen.

Auf dem Oberdeck erklangen ein paar Befehle in Hindi. Daraufhin wurde das eine Segel eingeholt, der Takt der Ruderschläge aber beibehalten.

Hasard sah, daß der Kurs der Galeere geändert wurde. Sie drehte vom Land weg und hielt jetzt östlichen Kurs. Shastri wollte offenbar vermeiden, daß der Sandstaub in die achteren prunkvollen Gemächer drang.

Die Inder, die nicht angekettet auf der Galeere Dienst taten, verholten nach unten und ließen sich nicht mehr blicken.

Die Wolke aus Sand und Staub war jetzt größer und dunkler geworden. Drohend fegte sie vom Land heran und senkte sich dann über das Meer.

„Dreht euch um und haltet die Luft an!“ rief Hasard seinen Männern zu, die alle zum Land blickten. „Haltet zumindest die Köpfe nach unten, damit ihr das Zeug nicht in die Augen kriegt!“

Orgeln und Heulen erfüllten die Luft. Am Ufer begann sich das Wasser zu kräuseln. Winzige Wellen hüpften unruhig hoch und wurden immer größer, bis ihre Kämme von dem heranrasenden Staubwind niedergedrückt und als Gischt über das Wasser verteilt wurden.

Der Bhoot schmirgelte über Deck, mit einem ekelhaften Singen und Raspeln, wie die Zähne des Windes. Diese Zähne waren scharf und spitz und bohrten sich wie winzige Nadeln in die Haut. Sie nahmen ihnen auch die Atemluft.

Der Kerl an der großen Trommel zog das Genick ein und verdrehte die Augen, als die feinen Körner seinen Rücken schmirgelten. Aber er hielt eisern den Takt bei.

Das „Tam-Tam“ war kaum noch zu hören. Es vermischte sich mit dem grellen Kreischen des Windes, der ihnen seinen heißen und dreckigen Atem in die Gesichter blies.

Die Arwenacks hatten das Gefühl, als würden ihre Lungen mit glühenden Eisenspänen gefüllt. Tief hielten sie die Köpfe gesenkt und die Augen geschlossen.

Die osmanische Galeere erzitterte für Augenblicke unter dem wüsten Ansturm. In der Takelage heulte und pfiff es, als seien tausend kreischende Teufel ausgebrochen, die ihr Unwesen an Deck trieben.

Gleich darauf wurde es fast dunkel, und eine schwarze Wolke hüllte die große Galeere ein.

Die Luft ließ sich kaum noch atmen. Ben Brighton spürte es wie glühende Nadelstiche auf seiner Haut. Er atmete nur ganz flach durch die Nase, und selbst das verursachte brennende Schmerzen. Der feine Sand schob sich unter seine Augenlider, drang zwischen die geschlossenen Lippen und erzeugte einen pelzigen Geschmack im Mund. Zwischen den Zähnen knirschte es.

 

Den anderen erging es nicht besser. Bei diesem höllischen Zehn-Minuten-Sturm mußten sie auch noch pullen, ohne irgend etwas sehen zu können.

Hasard selbst hatte ebenfalls verklebte Augenlider. Der Schweiß vermischte sich mit dem staubigen Sand, überall begann die Haut ganz erbärmlich zu jucken. Die Langriemen waren feucht und glitschig geworden. Jedesmal beim Zupacken war ihnen, als würde die Haut abgezogen.

Der Profos stieß einen ellenlangen Fluch aus, und neben Hasard begann der alte Inder wieder zu husten, bis er keine Luft mehr kriegte.

Der Seewolf ließ den Langriemen fahren. Der Alte ruderte schon lange nicht mehr mit, er wurde nur hin und her gerissen und hing über dem Riemen wie ein Ertrinkender.

Vorsichtig drückte ihn der Seewolf auf die Ruderbank zurück. Es war eine Schande, diesen alten Mann so zu quälen. Der Inder war schon so gut wie tot, doch darum kümmerte sich niemand. Er würde so lange pullen müssen, bis er endgültig zusammenbrach. Dann würden sie ihn sang- und klanglos über Bord werfen. Was bedeutete den abgebrühten Halunken schon ein Menschenleben!

Er drehte den Kopf des Alten so, daß er nicht direkt dem Sandsturm ausgesetzt war, riß einen Fetzen von seinem Hemd herunter und legte ihn über das Gesicht. Jetzt drang dem Burschen wenigstens nicht mehr der Sand in Mund und Nase.

Noch einmal kriegten sie den trombenähnlichen Wind mit aller Macht zu spüren. Das Tosen erreichte seinen Höhepunkt und begann dann langsam abzuflauen.

Für eine knappe Viertelstunde lang waren sie durch die Hölle gegangen.

Sie waren erschöpft, ausgelaugt und erledigt, als der Bhoot weiter übers Meer zog und sich dort austobte.

Jetzt klebte der Sand wie dicker Kleister an ihnen. Die Luft war brüllend heiß, und jede Bewegung schmerzte.

Mit dem Abflauen der sandigen Trombe kehrten auch die Aufseher an Deck zurück, setzten die Segel und änderten abermals den Kurs, bis sie wieder dicht unter der Küste liefen. „Gott sei Dank“, sagte Ferris schwer atmend. „Das war auch nicht viel länger auszuhalten. Ich bin fast erstickt. Wenn die Bastarde noch einen Funken Anstand im Leib hätten, würden sie uns jetzt wenigstens etwas Wasser über die Körper pützen.“

Er schüttelte sich wie im Fieber. Sein Körper brannte und juckte unerträglich, und er versuchte, seine Hände am Rundholz des Langriemens abzuwischen. Aber da war alles schmierig und glatt.

„Die werden uns was husten“, entgegnete der Seewolf. „Diesen Sklaventreibern ist es völlig gleichgültig, ob wir halb tot oder ganz tot sind. Die lachen bestenfalls über uns.“

Neben ihm polterte es leise. Er drehte sich um, während er den Riemen durchs Wasser zog und warf einen Blick auf den alten, namenlosen Inder.

Hasard schluckte, als er das ausgemergelte Gesicht sah. Der Alte hatte einen dichten, weißen Bart, ungepflegt und struppig, und auf seinen dünnen Lippen lag die Andeutung eines Lächelns, als habe er die Sklaventreiber endlich überlistet. Seine Augen waren geschlossen, die Haut welk und schlaff und seltsam wächsern.

Hasard hob sein Augenlid an und schluckte abermals. Er saß neben einem Toten.

Ganz friedlich und still war der namenlose Alte dorthin gegangen, wo es keine Sklaverei und Schinderei mehr gab. Der Stoffstreifen aus Hasards Hemd war ihm auf die nackte und knöcherne Brust gerutscht.

„Old man“, flüsterte Hasard. „Was hast du doch für ein erbärmliches und menschenunwürdiges Leben geführt. Du hast bestimmt nicht viele frohe Stunden erlebt.“

Der Alte bewegte sich im Takt der Galeere leicht mit. Eine Hand lag noch auf dem Rundholz des Riemens, als tue er bis zuletzt seine verdammte Pflicht.

„Ist er tot?“ fragte Ferris mitfühlend.

„Ja, der große Kapitän hat ihn zu sich genommen, und alle Mühsal und Plage hat für ihn ein Ende“, sagte Hasard.

Er wollte noch etwas hinzufügen, doch ein sirrender Peitschenhieb ließ ihn zusammenfahren. Die Lederschnur streifte noch seine Schulter und landete dann im Genick des Alten. Sofort folgte ein zweiter Schlag.

Hasard duckte sich, Ängstlichkeit vortäuschend, damit er den Schläger verleiten konnte, näher heranzutreten.

Es war Valkya, der verwachsene Gnom, der in die achtere Reihe getreten war und von dort auf den Alten einschlug. Dabei kreischte er in seiner Sprache haßerfüllt ein paar Worte.

Hasard pullte geduckt weiter, ließ ganz plötzlich den Riemen los und ergriff die geflochtene Schnur der Peitsche, als der Schinder gerade wieder zuschlug.

Mit einem wilden Ruck zog er daran.

Der Gnom flog ihm buchstäblich entgegen. Mit einem heiseren Schrei landete er zwischen den Ruderbänken.

Eine eiserne Faust drückte ihm das Genick so zusammen, daß seine Augen furchterregend aus den Höhlen traten. Der Inder wollte schreien, seine Angst hinausbrüllen, doch die Faust aus Eisen tötete ihn fast, so hart war der Griff.

„Du verdammter, dreckiger Bastard schlägst einen Toten!“ brüllte der Seewolf ihn an.

Er kannte kein Erbarmen mit dem Hundesohn, drückte noch fester zu und preßte die Visage mit der Faust auf die rauhen Dielen.

Wie einen Schrubber stieß er ihn über den Boden.

Dem Zwerg pellte die Haut ab. Seine Nase wurde plattgedrückt, und in seinem Kopf rauschte das Blut. Er war nahe dran, die Besinnung zu verlieren.

Zwei andere eilten ihm zu Hilfe und traktierten den Seewolf mit Peitschenschlägen, unter denen er zu ihrer Verblüffung nicht mal zusammenzuckte.

Mit der anderen Hand hob er ihn trotz der auf ihn einprasselnden Schläge hoch und schmetterte ihm eine brettharte Rechte zwischen die Augen.

Der Schlag hätte eine Eichenwand bersten lassen.

Dem Gnom flog der Kopf in den Nacken. Sein Nasenbein war gebrochen, und Blut lief über seine Visage. Wie eine abgefeuerte Kanonenkugel krachte er in die gegenüberliegenden Ruderbänke. Dort blieb er besinnungslos liegen.

Ferris schleuderte ihn mit einem Fußtritt in den Mittelgang zurück.

Von allen Seiten droschen jetzt brüllende Aufseher auf die Arwenacks ein.

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