Buch lesen: «Frank Thelen – Die Autobiografie», Seite 2

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Skateboarding: Ausbildung fürs Leben

Bonn, ab 1988 bis heute

Vor dem Computer war mein größtes, eigentlich sogar mein einziges Hobby das Skateboard. Nicht nur, dass es mich von Schlägereien und den Drogen abhielt. Nein, es war meine erste große Leidenschaft. Wie war ich zum Skater geworden? Schon auf dem Gymnasium waren die coolen Checker-Jungs die mit den Skateboards. Zu denen hätte ich gerne gehört, aber das war aussichtslos. Ein Board immerhin hatte ich mir allerdings gewünscht – und geschenkt bekommen. Also hing ich im Bad Godesberger Kurpark ab und skatete dort mit meinen Kumpels. Skateboarding wurde der zentrale Inhalt meines Lebens.


Mit meinem H-Street-Pulli in der Schule

In Godesberg war das damals nicht so einfach: überall Polizei, Bundesgrenzschutz, private Sicherheitsdienste für die ganze Politik. Aber im Kurpark gab es einen großen Marmorbrunnen mit Heilwasser. Ursprünglich errichtet für die Flaneure aus dem letzten Jahrhundert, heute nur noch für die Touristen. Diesem Heilwasser verdankt Godesberg seinen Namenszusatz »Bad«. Der Brunnen hatte Stufen, auf denen man hervorragend fahren konnte. Das Problem war: Der Architekt des Brunnens hatte damals nicht bedenken können, dass über 100 Jahre später ein paar Jungs mit Boards und Metallachsen über die Stufen grinden würden. Marmor ist sehr weich, deshalb werden ja auch Skulpturen aus Marmor gehauen. Unsere Skateboards haben dem altehrwürdigen Brunnen schwer zugesetzt: Er wurde zerkratzt, zerschrammt und zum Teil sogar zerstört. Sehr schnell wurde – heute für mich nachvollziehbar – das Skateboarding im Park verboten. Wir sahen das damals natürlich nicht ein. Die Polizei hat uns gejagt, meistens konnten wir uns aber mit unseren Boards schnell genug aus dem Staub machen. Eines Tages hatte ich die Nase voll von der Illegalität und dem Ärger mit der Polizei. Ich bin zum damaligen Bezirksbürgermeister Norbert Hauser gegangen und habe ihm erklärt, dass wir eine Skateboard-Rampe brauchten, wenn der alte Brunnen verschont bleiben sollte. Und tatsächlich: Nachdem ich hinreichend genervt hatte und man merkte, dass ich so schnell nicht aufgeben würde, finanzierte uns die Stadt einen kleinen Skatepark mit drei Rampen. Ich werde das Gefühl an dem Tag nie vergessen, als die Bauarbeiter anrückten, um unseren Skatepark zu bauen – nur 100 Meter von unserer Wohnung entfernt!

Diese Rampen gibt es heute noch. Und jedes Mal, wenn ich an ihnen vorbeigehe, denke ich mir: Man kann die Welt verändern, jeder von uns. Ich war damals ein normaler Jugendlicher aus einer durchschnittlichen Familie mit schlechten Schulnoten. Aber ich hatte eine Idee, an die ich geglaubt habe, den Willen, diese umzusetzen, und die Energie, durchzuhalten, bis mein Ziel erreicht war. Das hat mich geprägt und ist mir bis heute geblieben. Wenn mich etwas packt, gebe ich alles. So einfach ist das »geheime« Rezept zum Erfolg. Unser neuer kleiner Skatepark mit einer Mini-Ramp, Quarter-Pipe, Jump-Ramp und einem Rail war ein großer Erfolg. Der neue Spot wurde so schnell beliebt, dass selbst die großen und coolen Jungs aus Bonn nach Godesberg kamen. Jetzt hingen wir gemeinsam dort ab oder besuchten im Gegenzug die Bonner im sogenannten »Bonner Loch«. Das war immer eine kleine Reise, also schwänzten wir die Schule, damit es sich auch lohnte.

Wenn man früher am Bonner Hauptbahnhof ausstieg und die Ampel überquerte, stieß man sofort auf eine der übelsten Bausünden der Stadt. In den 1970er Jahren wurde hier eine Art Einkaufszentrum als Überbauung der U-Bahn gebaut, das sich binnen weniger Jahre zu einem unbeliebten Schandfleck entwickelte. Leerstand, Pizza-Palast, dann wieder Leerstand, Döner-King, Leerstand, Kiosk, Pizzastand prägten das Bild. Direkt benachbart gab es einen tiefer gelegenen, offenen Bereich, der wohl ursprünglich mal als begrünter Treffpunkt im öffentlichen Raum gedacht war. Hier hätte man wie auf mehreren Terrassen sitzen können, wenn das Konzept je angenommen worden wäre. Stattdessen pinkelten Obdachlose in die Rabatten, schliefen in ihren Schlafsäcken auf den Stufen, und Dealer versteckten ihren Stoff in den Ritzen des Pflasters. Überall lagen Spritzen und angekokelte Löffel herum. Im »Bonner Loch« trafen sich die Junkies, die Penner – aber auch die Skater, denn die Betonierung eignete sich hervorragend zum Skaten, die Treppen für den einen oder anderen Stunt. Dies war ein anderes Gesicht von Bonn als die Villenviertel und Regierungsgebäude. Schlägereien und Verbrechen waren leider an der Tagesordnung, sodass die Stadt 1992 eine kombinierte Dienststelle von Polizei und Ordnungsamt errichtete, die »GABI« – »Gemeinsame Anlaufstelle Bonn-Innenstadt«. Inzwischen ist das »Bonner Loch« übrigens Geschichte und weicht gerade einem Neubau.

Glücklicherweise interessierte mich aber immer nur der Sport. Ich habe weder gekifft noch geschnupft, geschweige denn irgendwas gespritzt. Das war nicht unbedingt selbstverständlich – viele aus der Szene sind auf üblen Sachen hängengeblieben. Andere wiederum – die Guten – haben das Aufstehen nach dem Hinfallen, das Weitermachen des Skatens in ihr Leben übernommen. Meine Kumpels Ingo und Peer zum Beispiel führen sehr erfolgreich den Titus Bonn Shop in der Innenstadt. Christian Kühlem wurde ein Freund über unseren Sport hinaus und später sogar mein Trauzeuge. Aber ja, es gibt auch viele, die aus unserem Hobby die negativen Dinge mitgenommen haben: die Drogen und das Abhängen.

Zu den Guten gehört besonders Titus Dittmann. Er war schon damals der Star der deutschen Skateboard-Szene und ist es heute noch. Er wohnt in Münster, und dort fand einmal im Jahr das größte Skateboard-Event statt, das »Münster Monster Mastership«, das später sogar zur offiziellen Weltmeisterschaft ernannt wurde. Da mussten wir hin. Wir schliefen auf dem Zeltplatz und veranstalteten mit Hunderten anderen Skateboardern einen Skatetrain durch die Münsteraner Innenstadt. Das war für die kleine Stadt damals ein Skandal. Münster ist ja ein bisschen wie Bonn, da geht es gediegen ab. Und wenn da auf einmal Hunderte von Jugendlichen auf Rollbrettern über die Fußgängerzone herfielen, war das für die Bürger natürlich ein Schock. Es gab regelrechte Proteste gegen uns, und das nicht ganz zu Unrecht. Denn einmal lief dieser Zug durch die Stadt ziemlich aus dem Ruder – einige verwüsteten und plünderten sogar einen ganzen Burgerladen. Das war nicht cool.


Mit Titus beim Deutschen Gründerpreis

Doch Titus Dittmann war ein Hero – und ich der kleine Junge auf dem Zeltplatz. Heute bin ich stolz, dass ich Titus Dittmann bei seinem Projekt »Skate-Aid« unterstützen kann. Er baut Skateparks in Kriegsgebieten. Denn das Skaten bringt dir bei, dass jeder hinfällt, aber nur derjenige, der wieder aufsteht, den Trick irgendwann lernt. Es bringt dir bei, dass du Schmerz aushalten kannst. Und dass du nach hundert vergeblichen Versuchen Erfolg haben wirst. Du springst über die Rampe, landest auf deinem Board und fährst weiter. Du stehst deinen ersten Kickflip. Das ist wirklich eine Droge, pures Adrenalin. Und es bringt dir auch Demut und Bescheidenheit bei: Egal, was du auf dem Board kannst – es gibt immer einen, der es noch besser kann. Und der hat für seine Skills noch mehr geblutet als du, denn beim Skaten bekommt keiner etwas geschenkt.

Unsere kleine Rampe in Godesberg war für mich ein Riesenerfolg. Aber sie war winzig – und je besser ich wurde, desto weniger genügte sie meinen Ansprüchen. In Deutschland gab es damals so gut wie keine Möglichkeit, legal und organisiert Skateboard zu fahren. Keine Skaterhalle, keine ordentlichen Rampen, keine Halfpipes. Holland war da schon viel weiter. Und da wir damals weder Führerschein noch Geld hatten, wären die coolen Skateboard-Hallen in Holland ein kühner Traum geblieben – wenn nicht mein Vater viele Wochenenden geopfert hätte, um mich und meine Kumpels dort hinzufahren. Und während wir in der Halle an unseren nächsten Tricks arbeiteten, ging er an irgendeinem See spazieren, um sich die Zeit zu vertreiben. Glücklicherweise kämpften neben mir auch andere für Skateboarding in Bonn. Der Verein »Subculture« hatte jahrelang um eine Baugenehmigung für eine Halfpipe in der Rheinaue gekämpft und im Jahr 1991 endlich die Genehmigung und die Finanzierung durch die »Stiftung Jugendhilfe der Sparkasse Bonn« erhalten. Das Besondere des Projektes: Die Skateboarder sollten ihre Rampe selber bauen. Eine gute Idee – auf dem Papier. Denn keiner von uns hatte Bauerfahrung. Hier zeigte sich aber, was ein Team leisten kann, wenn wirklich alle das Ziel erreichen wollen. Ich glaube, wir bauten drei Monate an dem Projekt. Ein Skater wurde zum Bagger-Experten, ein anderer arbeitete sich in Betonfundamente ein, ein dritter koordinierte die Dienstpläne und so weiter. So bauten wir Skater tatsächlich die größte Halfpipe Europas in der Bonner Rheinaue – und Bonn wurde endlich eine amtliche Skater-Stadt! Die von uns gebaute Anlage gibt es noch heute, musste vor einigen Jahren aber grundlegend saniert werden.

Auf dem Höhepunkt meiner Skateboard-Laufbahn bin ich sechs Stufen runtergesprungen, während sich das Brett unter meinen Füßen einmal um die Längs- und einmal um die Querachse gedreht hat: ein 360 varial Kickflip. Diesen Trick »zu stehen«, wie man beim Skateboarding sagt, macht Mut. Am Anfang lachten mich die großen und coolen Skater aus. Aber nach zehn Jahren war ich oben angekommen. Das löste zwar dummerweise nicht meine Schulprobleme – aber immerhin hatte ich etwas gelernt: dass Können was mit harter Arbeit zu tun hat. Und dass das auch richtig Spaß machen kann.

Der entscheidende Impuls meines Vaters

Bonn, 1991

Mein Vater sah zu dieser Zeit allerdings keine gute Zukunft für seinen Sohn, und aus heutiger Sicht kann ich das durchaus verstehen. Er liest – übrigens bis heute – jeden Tag den Bonner General-Anzeiger, und eines Tages entdeckte er dort einen Artikel über eine neue Schule, die eine Kombination aus Fachabitur und Ausbildung zum Informatiker anbot – seiner Meinung nach die ideale Ergänzung zu meinem Realschulabschluss.


Mit meinem Vater in Bonn

Die Deutsche Telekom hat ihren Sitz in Bonn – und für meinen Vater war damals die Telekom der Inbegriff eines soliden Unternehmens. Wer dort landete, hatte es in den Augen meines Vaters geschafft. Er muss sich gedacht haben: Der liebe Gott hat diese Schule für meinen Sohn gemacht, denn wenn er dort angenommen wird, kann er es doch noch zum Telekom-Abteilungsleiter bringen. Aber der Ansturm auf diese neue Schule war groß. Sehr groß. Es gab 150 Bewerber für 30 Plätze, also gab es einen Aufnahmetest, der sich gewaschen hatte. Mein Vater hat mit mir eines Samstags noch morgens gefrühstückt und mich dann mit seinem in die Jahre gekommenen Audi 100 zur Prüfung gefahren. Während ich in dem kargen Klinkergebäude Blut und Wasser schwitzte, saß er draußen im Auto, wartete und war wahrscheinlich sogar noch aufgeregter als ich.

Heute kann ich es zugeben: Ich habe geschummelt. Neben mir saß ein Junge, der sich (anders als ich) monatelang auf die Multiple-Choice-Fragen vorbereitet hatte. Weiß der Teufel, woher er wusste, welcher Art dieser Test sein würde. Aber er hatte es drauf. Ich habe ganz simpel von ihm abgeschrieben – unter uns Informatikern heißt das »copy & paste«. Das merkte er und fand es gar nicht lustig. Aber ich habe einfach weitergemacht. Anschließend gab es noch zwei Bewerbungsrunden, in denen man sich in Einzelgesprächen beweisen musste, eine davon auf Englisch. Bis heute erinnere ich mich an die Frage: »What is ‘to recycle’?« Ich glaube, das habe ich ganz okay gemeistert, aber ich bin Realist: Unter normalen Umständen wäre ich nicht durchgekommen. Doch »wie durch ein Wunder« erreichte ich die erforderliche Punktzahl und wurde aufgenommen. Der Junge, von dem ich damals abgeschrieben hatte, hat die Schule übrigens nicht beendet. Ich hoffe für ihn, dass er woanders glücklich geworden ist, und möchte mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich dafür bei ihm bedanken, dass er mich nicht verpfiffen hat. Manchmal gibt es im Leben diese Gelegenheiten, die man einfach beim Schopf packen muss. Das soll keine Entschuldigung sein, aber vielleicht hast du auch schon mal abgeschrieben. Ich habe dadurch eine riesige Chance bekommen und nach drei Jahren als Klassenbester die Schule verlassen. Ich war gar nicht dumm oder unfähig – es war die Form des Unterrichts, die mich am Gymnasium verzweifeln ließ. Und jetzt hatte ich begriffen, dass man coole Sachen lernen und dabei auch noch Spaß haben kann. Ich durfte Platinen löten und programmieren und hatte auf einmal richtig Bock. Der wahre Moment der Erkenntnis kam allerdings auch hier wieder außerhalb der Schule: Während der Zeit dort musste man ein Betriebspraktikum machen. Meine Freundin Conny erzählte mir: »Ein Freund von mir hat eine kleine Softwarefirma, den solltest du mal anrufen.« Ich rief ihn an, und er wollte mich auch direkt treffen, wahrscheinlich wegen Conny. Er lud mich am Rosenmontag ein. Wer je im Rheinland Karneval gefeiert hat, weiß, was das bedeutet. Aber so im Nachhinein passt das durchaus, denn dieser im Rheinland heilige Tag wurde letztendlich auch für mich zum Glücks- und Feiertag: Der Freund von Conny hieß Martin Hubert und die Firma Chips at Work. Martin öffnete mir persönlich die Tür – alle anderen waren Karneval feiern. Für einen Chef war Martin sehr jung, gerade mal zehn Jahre älter als ich mit meinen 17 Jahren. Er duzte mich und kam irgendwie richtig cool rüber. Chips at Work bestand aus einem Büro mit fünf Räumen und sah nach Entwicklungslabor aus: Überall standen offene Computer rum, aus denen Drähte und alles mögliche Zeugs raushing, Festplatten lagen in der Ecke. Martin kam direkt zum Punkt: »Conny sagt, du willst ein Praktikum bei uns machen. Bist du bereit, auch länger zu arbeiten und dich selbstständig in Themen einzuarbeiten?« »Ja«, murmelte ich verhalten, »absolut. Ich liebe Computer und will unbedingt lernen.« »Okay.« Martin hob die Abdeckung eines Computers hoch. »Dann erklär mir doch mal den Aufbau dieses Computers!«

YES! Ich hatte unzählige PCs für Verwandte und Freunde gebaut und jede Ausgabe der damals schon angesagten Geek-Zeitschrift C’t gelesen. Hier war ich zu Hause, das war mein Gebiet. Ich erklärte Martin alles im Detail. Bisher hatte ich mein Wissen im Kinderzimmer erworben, dort war es geblieben. Bisher hielt ich es für wertlos, für eine private Spinnerei, mit der nur ich etwas anfangen konnte und sonst keiner. Und jetzt traf ich auf Menschen, mit denen ich dieses Wissen teilen konnte – und die bereit waren, ihr Wissen mit mir zu teilen. »Das hier ist die CPU, das sind die RAM-Module, das ist die Netzwerkkarte am ISA Bus, die Grafikkarte am EISA Bus« und so weiter. Und zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich einen Satz, der sich gleichzeitig anerkennend und ermutigend anhörte, der mir eine Perspektive eröffnete und mir zeigte, dass ich nicht ganz alleine war auf der Welt mit meinem Computerzeug. Okay, es ging nur um einen Praktikumsplatz, aber der Satz hieß: »Du hast den Job!«

Mein erster echter Chef war ein weiterer entscheidender Glücksgriff in meinem Leben: Seine Firma entwickelte das erste Bildschirmtelefon der Welt. Das funktionierte nicht über das Internet, sondern noch via ISDN, über eine damals moderne Telefonleitung. Heute ist ein Videochat nichts Besonderes mehr – Skype, FaceTime, WhatsApp – aber damals, Anfang der 90er Jahre, war es ein Traum wie heute die Reise zum Mars. Erst im Jahr 2010 trat Steve Jobs auf eine Bühne und stellte FaceTime als einen wahr gewordenen Menschheitstraum vor. Ich hatte das Glück, bereits 15 Jahre zuvor dieses Produkt mitentwickeln zu dürfen. Natürlich mit geringerer Auflösung, für klobige PCs, aber es funktionierte.

Den Begriff »Startup« gab es damals noch nicht, aber Chips at Work war das perfekte Startup: Zehn bis zwölf intelligente Ingenieure arbeiteten sieben Tage die Woche und lebten für das Produkt, jeder konnte und durfte Sachen machen und ausprobieren, es gab keine Politik, keine Hierarchien und keine Stechuhr. Das Bildschirmtelefon mit dem Namen Two-at-One-Desk wurde damals für die Telekom entwickelt – und eines Tages hatten sich deren Projektleiter angekündigt, um sich das Wunderwerk anzuschauen. Bei diesen Meetings war ich nicht dabei, ich war ja nur der Junior Software Developer, aber ich erinnere mich, dass wir am Tag der Präsentation noch morgens um sechs Uhr an den letzten Funktionen gearbeitet haben. Und weil es nur so halb funktionierte, haben wir dann anstelle des echten Produkts ein vorher aufgezeichnetes Video abgespielt. Das war ein wilder Stunt und selbst für Gründer im dunkelgrauen Bereich, aber wir wussten ja, dass unser Gerät prinzipiell funktionierte. Manchmal muss man sich auch in den Graubereich wagen – wie Guy Kawasaki, der unter anderem 1984 für die Vermarktung des ersten Apple Macintosh verantwortlich war, sagt: »Eat like a bird, poop like an elephant.« Und es hat funktioniert, der Projektleiter von der Telekom war überzeugt. Anschließend haben wir dann die Funktionen sauber programmiert – und es lief.

Nach der Schulzeit habe ich dann für Chips at Work ganz viel programmiert: Multimedia-CD-ROMs, Computer-Telefonie-Integration und andere wirklich moderne und herausfordernde Technologien. Und alles hat damit angefangen, dass Martin an mich geglaubt hat, mir an meinem ersten Tag ein dickes Buch über Visual Basic 3.0 Pro und zwölf Disketten in die Hand gedrückt und mir wirklich böse Fehler verziehen hat. Er hat die Begeisterung gespürt, das war ihm wichtiger als ein eindrucksvoller Lebenslauf. Zu ihm habe ich heute noch Kontakt.

Danke, Martin!

Mein erstes »Unternehmen«

Bonn, 1996

Zu 80 Prozent bist du deines Glückes Schmied, das meiste ist erlernbar. Du kannst auch mit einer schwierigen Jugend viel erreichen. Aber manches wird eben auch vererbt – die Macht der Gene. Und wer – anders als ich – in der Schule aufgepasst hat, der weiß, dass vererbte Eigenschaften auch gerne mal eine Generation überspringen. Ich bilde mir ein, dass mein Großvater, den ich leider nie kennengelernt habe, mir seine Unternehmergene mitgegeben hat. Er war eigentlich Landwirt, hat aber schon früh geschickt Grundstücke gekauft, die später zu Bauland wurden. Die Landwirtschaft schlief ein, das Immobiliengeschäft florierte. Mein Unternehmerherz bedauert, dass weder mein Vater noch mein Onkel das Geschäft fortgeführt haben. Sie sind ihren eigenen Berufen nachgegangen, das Immobiliengeschäft wurde aufgegeben.

Bei mir sind die Unternehmergene aber wieder aktiv geworden, und ich habe schon in meiner frühen Jugend angefangen, Geschäfte zu machen. Nachdem der Computer und ich Freunde geworden waren, kam ich schnell auf die Idee, mein neues Wissen zu monetarisieren. Als die ersten CD-Brenner auf den Markt kamen, konnte man plötzlich selber CDs produzieren. Ein CD-Brenner war so groß wie vier Schuhkartons, sehr schwer, extrem empfindlich und vor allem sagenhaft teuer. Ich schlich wöchentlich mit leuchtenden Augen im Elektronikmarkt um ihn herum. Aber ich musste viele Monate programmieren, um mir das Investment leisten zu können.

Irgendwann hatte ich das Geld dann zusammen – und kaufte mir einen eigenen CD-Brenner. Ein Rohling hat damals 30 DM gekostet, und jeder einzelne Brennvorgang war ein Abenteuer. Der PC musste perfekt auf den Brenner abgestimmt sein, jeder kleinste Stoß gegen den Schreibtisch war tödlich, und natürlich hat es ewig gedauert. Aber CDs waren eine Revolution! Während Disketten maximal 1,44 MB speicherten und es Stunden dauerte, über ein Modem den Inhalt von zwei bis drei Disketten zu übertragen, fassten CDs 650 MB, also über das 400-fache! Sicher, nicht alle Software, die ich auf diese CDs brannte, war legal. Aber wie gesagt: Ich hatte Spaß daran, den Kopierschutz der Großen zu knacken. Ich entwickelte sogar ein eigenes Mini-Programm für meine CDs, das einen interaktiven Katalog des Inhalts anzeigte und den Nutzer bei der Installation unterstützte. Das hat mich begeistert, 400-fache Speicherkapazität, der kleine Frank besiegt die Großen, indem er den Kopierschutz knackt, und er bietet auch noch einen zusätzlichen Wow-Effekt bei der Bedienung, wenn man die CD einlegt. Lizenzen, Rechte und Vertrieb interessierten mich als kleinen »Outlaw« nicht. Die Dinger habe ich dann für 100 DM das Stück an Freunde verkauft.

Einen anderen »Coup« landete ich während meiner Ausbildung. Dort lernten wir C++, eine Programmiersprache. Ich sah im Bonner Kaufhof 30 Bücher über C++, die um 80 Prozent reduziert waren. Ich kaufte alle. Anschließend überzeugte ich den Lehrer, dass die Klasse mit exakt diesem Lehrbuch lernen solle. Also sollte sich die ganze Klasse dieses Buch anschaffen, vorzugsweise aus meinem Bestand. Ich gewährte einen kleinen Rabatt auf den empfohlenen Verkaufspreis, sodass jeder das Gefühl hatte, ein Geschäft gemacht zu haben. Eine Win-win-Situation für alle. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass es wirklich ein sehr, sehr gutes Buch über C++ war. Insofern hatten alle etwas davon, sogar der Lehrer. Ich glaube, hier zeigte sich mein Macher- und Unternehmergen: Ich habe keinen großen Plan gehabt, sondern einfach aus einem inneren Impuls heraus gehandelt: an das Buch geglaubt, 300 DM riskiert, alle Beteiligten überzeugt, Gewinn gemacht und in das nächste Gadget investiert.

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