Tigersturz und Ringerbrücke

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Der Ring

Sie begeben sich zu Beginn dieser Übung (chin. huán 環) in eine knieende Stellung. Lassen Sie Ihren Oberkörper gerade. Nun neigen Sie Ihren Körper langsam nach hinten, bis Sie einen Ring bilden. Drücken Sie Ihre Hüften nach vorn. Anfangs werden Sie vielleicht noch nicht sehr tief gelangen, aber mit der Zeit schaffen Sie es, Ihren Kopf leicht auf dem Boden aufzusetzen. Verweilen Sie eine Zeitlang in dieser Haltung und richten Sie sich dann ebenso langsam wieder auf.

Das ist eine sehr zu empfehlende Übung, da sie den gesamten Körper, vor allem aber die Oberschenkel und Hüften, kräftigt und dehnt.


Abb. 43: Der Ring.

Die Brücke im »Boxen des Betrunkenen«

Die Ausgangshaltung ist ein völlig entspannter Körper, wie er für das zuìquán (auch als zuìjiǔquán 醉(酒)拳 bezeichnet – Boxen des Betrunkenen) üblich ist. Man hockt sich tief nieder, so dass die ganze Sohle auf dem Boden ruht und das Gesäß die Fersen berührt. Dann stützt man eine Hand nach hinten und biegt den Körper zu einer Brücke durch. Anschließend setzt man die andere Hand ebenfalls auf, geht in eine »normale« Brücke über und dreht den Körper soweit seitlich, dass diesmal ausschließlich der andere Arm belastet wird und führt die Übung symmetrisch zum Anfang zu Ende. Während des gesamten Vorganges, aber auf alle Fälle in der Brücke, hebt man die Fersen an, bis nur noch die Ballen den Boden berühren. Am Ende geht man wieder in die Ausgangs-Hockstellung zurück. – Abbildungen 44 bis 52.

Hierbei wird der gesamte Organismus beansprucht. Der Rücken wird flexibel und kräftig. Es geht hierbei darum, jeden einzelnen Muskel und jedes einzelne Gelenk beweglich werden zu lassen. Diese Übung und ähnliche Bewegungsabläufe stärken den gesamten Körper und halten ihn lebenslang gesund und geschmeidig.

Lassen Sie bei der gesamten Übung den Körper vollkommen locker und spüren Sie, wie die Schwerkraft auf ihn wirkt. Wenn Sie dabei eine Art »Schwerelosigkeit« empfinden, so ist das das beste Zeichen dafür, dass Ihr Körper wirklich entspannt ist.


Abb. 44


Abb. 45


Abb. 46


Abb. 47


Abb. 48


Abb. 49


Abb. 50


Abb. 51


Abb. 52

Der Spagat

Es gibt drei Arten des Spagates: Längsspagat (manchmal auch Damenspagat genannt – Abbildung 53), Seitspagat (auch Herrenspagat genannt – Abbildung 54) und Überspagat. Der Überspagat ist ein Seitspagat, bei dem die Beine weiter als 180 Grad gestreckt sind.

Beim Spagat wird die Schwerkraft sehr gut genutzt, um eine erwärmende Dehnung zu erhalten. Der Längsspagat ist die gesündeste Version, weil er sich nach den Gegebenheiten der menschlichen Anatomie richtet. Mit den Gelenken und nicht gegen diese, lautet das Motto für ein gesundes Training. Der Seitspagat ist in jeder Form auf Dauer schädigend. Es gibt einige prominente Beispiele, die sich ihre Hüften mit falschem Training zerstört haben. Unter ihnen befinden sich die Kampfsportler und Schauspieler Chuck Norris und Bill Wallace (»Superfoot«). Wallace beherrschte diesen Spagat sehr gut und trainierte seine Beine ausdauernd. Er erreichte eine gute Flexibilität und auch eine gewisse Power. Den Preis, den er jedoch zahlen musste, sind zwei künstliche Hüftgelenke. Da wirkt sein Spitzname, der auf seiner Fähigkeit beruht, hohe Tritte mit extremer Wucht auszuführen, heute wie Hohn. Soweit sollte es auf keinen Fall kommen. In diesem Buch geht es um gesundes Training, das man bis ins Alter ohne Schäden durchführen kann.

Der Längsspagat ist auch die natürlichste Form der drei Arten. Im Yàn Chí Gōng gibt es eine Bewegungsfolge, welche den Namen yànzi wā ní (燕子挖 泥) – die Schwalbe verbindet den Schlamm – trägt.15 Man achte auf die in Abbildung 55 dargestellte Körperhaltung, die von einer Schwalbe inspiriert wurde. Diese Übung hat eine pflegende Wirkung auf die menschliche Blase. Sie stärkt den Unterkörper aber auch allgemein und spannt die inneren Organe und das umgebende Gewebe, was langfristig kräftigend wirkt. Diese Art des Trainings hält den menschlichen Organismus außerdem bis ins hohe Alter geschmeidig. Der Längsspagat hat den Vorteil, dass er sich nach den Gegebenheiten der menschlichen Anatomie richtet. Will man die nützlichen Effekte nicht abschwächen, sollte man Spagat auf kaltem Untergrund vermeiden. Das gilt für beide Geschlechter, für Frauen jedoch in höherem Maße, da sie im Beckenbodenbereich empfindlicher als Männer sind.


Abb. 53


Abb. 54


Abb. 55

Kraftausgabe nach der Dehnung

In die Luft treten

Nachdem Sie Ihren Körper gedehnt haben, treten Sie in die Luft. Der Trainingsprozess verläuft nach dem gleichen Prinzip wie die Nahrungsaufnahme und die Verdauung. Das Dehnen entspricht dem Einnehmen der Mahlzeit, das anschließende Treten entspricht der Verdauung. Nur so kann eine optimale flexible und vor allem anwendbare Kraft antrainiert werden.

Die chinesische Art des Tretens unterstützt die Dehnung hervorragend. Sie ist besonders gut für die Kräftigung des Fundamentes und der Wirbelsäule. Es geht auch darum, die weichen Bänder und Sehnen und eben die Kraft flexibel werden zu lassen. Die Tritte erfolgen explosiv und ansatzlos (Fotos 56 und 57).


Abb. 56


Abb. 57

Empfehlenswert ist auch der geschwungenen Rückwärtstritt. Diese Technik ist vorzüglich geeignet zur Kraftausgabe. Sie fördert und erfordert Flexibilität und Standsicherheit. Diese Bewegung stammt aus dem klassischen quánfǎ (拳法). Heute bezeichnet man sie einfach als bǎituǐ (擺腿), »Beinschwingen«. Der traditionelle Name ist lóng wěi bǎituǐ (龍尾擺腿) – der schwingende Drachenschwanz (Fotos 58 bis 63).


Abb. 58


Abb. 59


Abb. 60


Abb. 61


Abb. 62


Abb. 63

Diese Tretübungen sind eine Vorbereitungsübung für Flexibilität, Standfestigkeit und Schnelligkeit. Sind Sie noch jung, können Sie natürlich höher treten, weil Ihr Körper noch biegsamer ist. Sind Sie bereits älter, passen Sie die Tritthöhe Ihren Möglichkeiten an.

 

Alles in allem reicht es, wenn Sie 10 Minuten fürs Dehnen und ca. 2 bis 5 Minuten für das Treten aufbringen. Machen Sie dazwischen kleine Pausen.

Wechselseitiges Drehen der Beine und Schleudern der Arme

Dies stellt eine sehr effektive Form der Lockerung, der Dehnung und der Kraftausgabe dar. Eine zwar einfache, aber dynamische Bewegungsfolge, die ein Beispiel dafür darstellt, wie dies im chinesischen Training praktiziert wird, haben wir in Form eines Internet-Links für Sie bereitgestellt:

www.palisander-verlag.de/​videos

(»Kraftausgabe – Drehen der Beine und Schleudern der Arme«)

Die Übung ist besonders gut geeignet, um flexible Explosionskraft aus den Tiefen des menschlichen »Untergestells« zu entwickeln.

Ausgleichsdehnung nach hinten

Die Dehnung nach hinten (Abbildung 64), ist ebenfalls sehr empfehlenswert als Ausgleich zu den oben dargestellten Vorwärtsdehnungen.


Abb. 64

Weitere Lockerungsübungen

In vielen Schulen wird die Lockerung des Körpers nur nebenbei betrieben oder ganz vernachlässigt. Doch in China, in Indien und auf Okinawa wird dies keineswegs als nebensächliches Training verstanden. Es geht darum, den Körper in seiner Gesamtheit auf die kommenden Übungen vorzubereiten.

Beine drehen

Bei dieser klassischen Übung aus dem yīnyáng chuí (陰楊錘) werden die gesamten Beine von unten bis zur Hüfte gedreht. Man kann diese Übung auch mit den Armen und Händen ausführen, aber hier geht vorwiegend um die Beine.


Abb. 65


Abb. 66

Beine werfen

Bei dieser ebenfalls sehr einfachen Übung zieht man die Beine eng an den Oberkörper, bis sich das Knie in Brusthöhe befindet. Dann »wirft« man das Bein Richtung Boden weg. Das ganze geschieht ohne Spannung. Das Bein soll den Boden nicht berühren. Gleichzeitig neigt man den Oberkörper nach hinten. Die ganze Bewegung ähnelt ein wenig jener der Antriebsachse einer Dampflok.


Abb. 67


Abb. 68

Die große Welle

Wie der Name verrät, handelt es sich bei der »großen Welle«. (dàbō 大波) um eine Wellenbewegung. Diese Bewegung findet sich so oder ähnlich nicht nur in einigen Kampfschulen (z. B. im zuì(jiǔ)quán), sondern ist auch aus dem klassischen und modernen Tanz bekannt. Einzelne Details mögen verschieden sein, aber nicht der Sinn der Übung. Auch beim Ballett geht es darum, harmonische Bewegungen zu schaffen und eine weiche, flexible Kraft für den Tanz und seine anspruchsvolle Choreographie zu erreichen. In den Schulen von Rudolf von Laban16 und Rudolf Bode17 wurde besonders viel Wert auf diese Übung gelegt, bei der man ein Gespür für den Körper und dessen Schwerpunkt erhalten oder entwickeln soll.

Diese Übung ist mit jenen zur Bestimmung des eigenen Körperschwerpunktes verwandt. Das Rollen soll vollkommen bewusst geschehen, ebenso das Wahrnehmen von Spannung und Entspannung in den einzelnen Körperteilen.

Begeben Sie sich in eine kniende Position und beugen Sie den Oberkörper gleichmäßig nach hinten. Achten Sie darauf, dass Sie im Becken nicht einknicken und die Lendenwirbelsäule an der Bewegung beteiligt ist. Alternativ können Sie in dieser Haltung verharren, doch besser ist es, die komplette Technik in einer fließenden Welle zu absolvieren. Richten Sie sich nun schwungvoll auf, beugen Sie sich nach vorn und lassen sich nach hinten in die Embryonalhaltung sinken (Abbildungen 70 und 71). Die Füße bleiben dabei an Ort und Stelle, sie verändern lediglich ihre Stellung. Das geschieht, indem Sie das Gewicht kurz auf die Knie verlagern und die Gewichtsverlagerung nutzen, um die Füße nach vorn drehen zu lassen. Auch hierbei behalten Sie die fließende Bewegung bei. Sie strecken nun die Beine durch, wobei der Kopf unten bleibt und die Hände zwischen die Füße schwingen (Abbildung 72) und lassen sich wieder in die Embryonalhaltung sinken (73). Aus der Embryonalhaltung kippen Sie rückwärts, bis Sie auf dem Gesäß sitzen (Abbildung 74). Doch diese Haltung benutzen Sie nur zum Schwungholen. Setzen Sie ein Bein nach vorn, um sich auszubalancieren und um sich fließend erheben zu können. Während Sie sich vollständig in eine halbe Schrittstellung aufrichten und das Gewicht auf das vordere Bein verlagern, kippen Sie das Becken nach vorn und den Rücken nach hinten (Abbildungen 75 bis 77). Beginnen Sie am unteren Ende der Wirbelsäule und rollen Sie diese nach oben auf. So entsteht eine weitere Wellenbewegung. Ziehen Sie das Becken danach zurück und führen Sie diese Technik umgekehrt aus (ohne und die Brust leicht spannen. Richten Sie sich stets Wirbel für Wirbel auf und dosieren Sie die Spannung beziehungsweise Entspannung gleichmäßig.


Abb. 69


Abb. 70


Abb. 71


Abb. 72


Abb. 73


Abb. 74


Abb. 75


Abb. 76


Abb. 77

Entscheidend ist, dass Sie sich unaufhörlich in einer wellenartigen Bewegung befinden. Wenn Sie den Ablauf beherrschen, können Sie die Elemente auch variieren, das heißt, die Übung in anderer Reihenfolge ausführen.

Das System der Faszien

Es gibt einen Aspekt des Körpers, der recht gut verstehen lässt, worum es bei den chinesischen Dehnungsübungen geht und weshalb sie so gut funktionieren. Dies sind die Faszien. Faszien sind sehr anpassungsfähige, vollständig miteinander vernetzte Teile des Bindegewebes. Sie umhüllen, verbinden, stärken und schützen alle Teile des Körpers einschließlich der Organe. Zu den Faszien gehören das faserige Bindegewebe (z. B. Gelenkkapseln), die Sehnenplatten und auch Bänder, Sehnen sowie die festen Bindegewebsschichten. Dieses Gewebe besteht im Wesentlichen aus Eiweißbausteinen, Kollagen und Wasser.

Die Wissenschaft unterscheidet heute drei Arten von Faszien: oberflächliche, tiefe und viszerale Faszien. Oberflächliche Faszien befinden sich im Unterhautgewebe, und sie bestehen hauptsächlich aus lockerem Binde- und Fettgewebe. Diese Art umschließt zum Beispiel Organe und Drüsen. Zudem fungieren sie als Fett und Wasserspeicher. Die tiefen Faszien durchdringen oder umschließen die Muskeln, Knochen, Nervenbahnen und Blutgefäße des Körpers. Je nach Erfordernis verdichtet und organisiert sich dieses Gewebenetzwerk zu Sehnenplatten, großen flächenhaften Faszien, Ligamenten (Bändern), Sehnen, Fesseln, Gelenkkapseln oder Muskelsepten. Der hohe Anteil an Kollagenfasern verleiht diesen Geweben eine hohe Zugbelastbarkeit. Diese Art der Faszien ist für uns im Zusammenhang mit dem optimalen Körpertraining besonders interessant. Die letzte Gruppe, die viszerale Faszien, dienen als Aufhängung und Einbettung der inneren Organe. Wichtig ist auch, dass die Faszien mit Nerven vernetzt sind und somit für die Bewegung des gesamten Körpers von Bedeutung sind.

Die einzelnen Teile des Körpers werden von den Faszien zu einem Ganzen zusammengefügt und bleiben durch sie sozusagen formstabil. Dieses Bindegewebe unterstützt den Körper, wirkt stoßdämpfend und kraftabsorbierend bei vielen Bewegungen.

Eine ebenso wichtige Funktion ist der Abtransport von Abfallstoffen aus dem Körper. Das Bindegewebe leitet diesen Abfall zum Lymphsystem, welches neben dem Blutkreislauf das wichtigste Transportsystem im menschlichen Körper ist. Daher haben die Faszien auch eine entscheidende Schutzfunktion gegen Krankheitserreger und Infektionen. Im Fall von Verletzungen sind die Faszien die Grundlage für den Heilungsprozess des Gewebes.

Bei Augenschmerzen und Sehstörungen, aber auch bei Rückenschmerzen ist häufig verklebtes Bindegewebe verantwortlich. Solche Verklebungen können beispielsweise durch langes Sitzen entstehen. Deshalb müssen Sie Ihr Gewebe immer elastisch halten. Ärzte sind oft nicht in der Lage, die Ursachen für solche Probleme zu finden, da der Ort der Ursache und der der Symptome mitunter weit auseinander liegen. Die heutige Medizin des Westens beginnt erst langsam zu erkennen, dass alle Transportbahnen im Körper, wie Blutkreislauf und Lymphkreislauf, die Atmungsorgane und sämtliche Nerven über die Faszien miteinander vernetzt sind. Schmerzen, die in einer Region des Körpers auftreten, müssen nichts mit dieser zu tun haben, sondern können vom Bindegewebe herrühren. In China sind das Gedanken, die bereits seit 2000 Jahren gang und gäbe sind.18 Bereits im Altertum haben sich Chinesen mit den Faszien als Einheit beschäftigt und ihre Trainingsprogramme entsprechend entwickelt.

Faszien sind aufgrund ihrer hohen Viskoelastizität recht anpassungsfähig. Oberflächliche Faszien können sich dehnen, um beispielsweise Körperfett aufzunehmen. Das gilt weniger für die tiefen und noch weniger für die viszeralen Faszien. Letztere benötigen aufgrund ihrer verbindenden Funktion für die Organe eine gleichbleibende Spannung.

Diese Dehnungsfähigkeit der Faszien ist für das Training von enormer Bedeutung, da die wahre Kraft nicht aus den Muskeln kommt. Wirkliche Kraft wird von den elastischen Sehnen und Bändern erzeugt und freigesetzt. Die Muskeln wirken nur als Impulsgeber. Das kann man deutlich bei Tieren mit großer Sprungkraft erkennen. Säugetiere wie das Rote Riesenkänguruh (siehe Abbildung 77) und Gazellen, oder auch diverse Reptilien, Frösche und Kröten sowie verschiedene prähistorische Lebewesen19 erreichen eine enorme Sprungkraft, weil ihr Bindegewebe so elastisch ist und dadurch eine Menge Kraft speichern und freisetzen kann. Einige Gazellen springen drei Meter hoch und zehn Meter weit, während das Riesenkänguruh mit dreizehn Metern Sprungweite der Weltrekordhalter im Weitsprung ist. Hierbei zieht das Känguruh seine Fuß- und Beinsehnen zuerst zusammen, so dass diese maximal gestreckt werden – also wie bei der chinesischen Dehnung –, dann gibt das Tier diese Energie schlagartig frei. Dadurch zieht sich das Bindegewebe in Millisekunden zusammen und erzeugt eine riesige Kraft, welche durch reine Muskelfunktion nicht erreichbar wäre. Der zweite Effekt ist die geringe Ermüdung der Körpers. Würden die Muskeln diese Arbeit allein bewältigen, könnte das Känguruh seine Sprungleistung nicht lange durchhalten. Das gilt prinzipiell für alle Säugetiere, also auch für uns Menschen. Wir schöpfen unser Potential allerdings selten voll aus, so dass wir durch verschiedene Trainingsmethoden nachhelfen müssen.

 

Durch die chinesische Dehnung wird dieses wichtige Bindegewebe intensiv beansprucht. Man dehnt und stärkt die Sehnen und Bänder, wodurch sie elastisch und maximal flexibel werden. Durch die hierfür benötigte Energie kräftigt man nicht nur das Bindegewebe, sondern den ganzen Körper. Mit der allgemein üblichen ungenügenden Dehnung ist das nicht zu erreichen. Im Gegenteil, hier presst man das Bindegewebe sogar zusammen, so dass es in seiner Arbeit gehemmt wird. Ohne gut gespanntes Bindegewebe bekommt man Krankheiten aller Art, von Rückenschmerzen bis hin zur Gicht, und man kann keine wirkliche Kraft entwickeln. Das Bindegewebe ist auch dafür zuständig, dass die Muskeln störungsfrei aufeinander gleiten können, was bei nahezu allen Bewegungen des Körpers geschieht. Somit sind Faszien im wahrsten Sinn des Wortes für einen reibungslosen Bewegungsablauf verantwortlich.


Abb. 78: Kämpfende Rote Riesenkänguruhs.

Erstaunlicherweise haben unsere Großeltern und Urgroßeltern, die von der Jahrhundertwende bis in die 1950er Jahre ihre Gymnastik ausübten, ein recht gutes Übungsprogramm zur Hand gehabt. Die Bewegungen waren sehr einheitlich und stärkten die Faszien gleichmäßig. Andererseits sind viele Ansichten aus dieser Zeit heute doch eher veraltet. Dehnen hilft nur, wenn man es richtig betreibt, falsches Dehnen hingegen kann Gelenke schädigen.

Anmerkungen zum Muskelkater

Ein weiterer interessanter Punkt, der mit dem Thema Faszien unmittelbar zusammenhängt, ist das Phänomen Muskelkater. Als Muskelkater bezeichnet man einen stechenden oder reißenden Schmerz, welcher nach körperlichen Anstrengungen, besonders bei hoher Muskelbeanspruchung, auftritt. Früher wurde eine Übersäuerung des Muskels durch Milchsäure angenommen. Diese These ist aber inzwischen widerlegt worden. Muskelkater entsteht durch Überlastung. Es bilden sich kleine Risse im Muskelgewebe. Wenn die aus den Rissen hervorgegangenen Abfallprodukte aus dem Gewebe befördert werden und dabei mit den Nervenzellen in Kontakt kommen, spürt man das. Auch die daraus folgenden Entzündungen führen durch Ansammeln von Körperflüssigkeiten zum Anschwellen und zum Dehnungsschmerz.

Durch viele Studien ist belegt, dass westliche Dehnungsübungen vor oder nach dem Training einen Muskelkater nur in geringem Umfang verhindern. Auch vorheriges Aufwärmen schützt nicht, da die Risse aus einer Überbeanspruchung von Muskelfasern herrühren. Ebenso tragen Massagen nicht zur Besserung bei, sondern verzögern diese, da sie eine zusätzliche mechanische Irritation der Muskulatur darstellen. Als hilfreich erwiesen sich Wärmebehandlungen, Bäder oder Sauna. Diese können wegen ihrer Anregung zur besseren Durchblutung den Schmerz mildern und zu einer schnelleren Genesung der Muskelfasern beitragen.

Was die Dehnung anbelangt, so untersuchte man in den besagten Studien nur die westliche. Die allumfassende chinesische Bindegewebsdehnung hat einen besseren Effekt, da hier das Gewebe so stark und elastisch wird, dass Risse kaum entstehen können. Vorausgesetzt, dass nach dem Dehnen die Kraft wie oben beschrieben wieder ausgegeben wird, die Dehnung also »verdaut« wird. Auf diese Art löst man die Fasern des gesamten Bindegewebes. Es wird elastisch und stark.