Charlotte und das Reitinternat - Der Gedanke spukt noch immer

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„Das ist krass. Aber auch echt romantisch“, fand David und ich nickte.

„Und sie haben auch einen echten Kriminalfall aufgedeckt. Aber das ist eine andere Geschichte!“, lenkte ich ab. „Lass uns die Pferde reinbringen.“

Erst protestierte David, aber schließlich ließ er sich überreden. Wir brachten die Pferde in den Stall, dann gingen wir Richtung Haus. In einer halben Stunde würde es Dinner geben. Waren wir so lange draußen geblieben?

„David, da bist du ja endlich. Ich hab dich vermisst!“ Diese säuselnde Stimme hätte ich aus tausenden herauserkannt. Zoey!

„Charlotte hat mir das Internat und die Umgebung gezeigt“, erklärte David und ich stellte mich besitzergreifend neben ihn, was Zoey natürlich gar nicht gefiel. Sie stemmte die Hände in die Hüften und zog dann David am Arm.

„Das hätte doch auch ich machen können“, säuselte sie und ich verdrehte genervt die Augen.

„Charlottes Mutter hat aber gesagt, dass sie es mir zeigen soll“, erwiderte David und ich sah, wie Zoey immer mehr zu kochen begann. Mit seinen Widerworten konnte sie nicht wirklich gut umgehen.

„Das nächste Mal sag mir einfach Bescheid. Dann musst du dich nicht mehr mit dieser Loserin abgeben“, Zoey zog David mit sich mit.

Ich mischte mich ein. „Da wird kein Weg dran vorbei gehen. Wir haben zusammen die Arbeit einzureichen – schon vergessen?“, rief ich ihnen hinterher und Zoey blieb stehen. Mit zornigem Gesicht drehte sie sich zu mir um.

„Zoey“, setzte David an, doch sie ignorierte das.

„Geh du lieber wieder zu deinem blöden Pferd und deinen noch blöderen Tussi-Freundinnen und lass uns in Ruhe! Du hast es eh nicht verdient, mit so jemandem wie mit David abzuhängen. Der ist viel zu gut für dich. Such dir lieber jemanden auf Augenhöhe. Jonathan zum Beispiel, der würde seine Partnerarbeit bestimmt auch lieber mit dir schreiben.“ Aus Zoeys Augen schossen Blitze und Fäuste. Ich war wie vor den Kopf gestoßen und musste ihre Worte erst einmal sacken lassen. Sie hatten mich wirklich schwer verletzt.

Zoey und David gingen, als ich nichts sagte. Am liebsten hätte ich Zoey hinterhergerufen, was für eine billige und dumme Kuh sie doch war, aber ich hatte keine Lust, vor David einen Bitchfight anzufangen. Stattdessen musste ich erst mal damit klarkommen, dass er ohne noch etwas zu sagen mit Zoey mitging. Ich schlenderte hinüber zum Privathaus und dann hoch in mein Zimmer. Ich brauchte jetzt erst mal eine Dusche.

Dort ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Ich wollte Zoeys fiese Aussage nicht so an mich ranlassen, aber ich tat es eben doch. Und es hatte mich mehr verletzt, als ich zugeben wollte. Ich hasste mich dafür und schwor mir, es Zoey eines Tages alles heimzuzahlen!

Der Gedanke spukt noch immer

Die Regentropfen trommelten laut gegen die Fensterscheiben des zweiten Stockes. Man konnte die Worte unseres Chemielehrers Herrn Baumgart überhaupt nicht richtig verstehen, und schon gar nicht das, was er da an die Tafel zeichnete.

Mein Blick wandte sich immer wieder dem Fenster zu und hinaus auf die Weiden. Ich sah den Waldrand in der Ferne, die Felder davor und die leerstehenden Koppeln, auf denen bei diesem Wetter kein Pferd stand.

Wie erwartet hatte es heute Nacht heftig geregnet und das Gewitter hing noch immer in der Luft. Ich wünschte mich hinaus oder weg. Die Sonne war hinter den dunkelgrauen Wolken verschwunden und schien für die nächsten Tage dort bleiben zu wollen. Keine besonders guten Aussichten!

Zumal wir nach Chemie auch erst noch eine Stunde Geschichte überleben mussten, bevor es zum Reiten ging. Eigentlich hatte Mama einen Geländeritt geplant, aber der fiel dank des blöden Wetters ja ins Wasser. Stattdessen würden wir uns in der Reithalle heute mit Dressur beschäftigen müssen. Meine Laune rutschte gleich noch ein bisschen tiefer – und Zoey gab mir den Rest:

„Soll das ein L oder ein I sein?“, rief sie in die Klasse, während Herr Baumgart Chemieformeln an die Tafel malte.

„Hast du jemals schon mal HCI gesehen?“, fragte ich sie zurück und Zoey verzog missmutig den Mund. „Das ist Chlorwasserstoff“, fügte ich hinzu und drehte mich um. Das Wetter spiegelte meine schlechte Laune perfekt wider.

Nach Chemie hatten wir eine große Pause. Meine Freundinnen und ich trafen uns vorm Internatsgebäude. Emilia, Kiara, Annika, Bonnie, Melina und ich setzten uns anschließend in die Mensa und aßen unser Frühstück.

„Boa, der Baumgart ist so mega motiviert, ey. Ich hab jetzt schon keinen Bock mehr“, jammerte Annika und schob sich ein Salatblatt in den Mund, das aus ihrem Brötchen flüchten wollte.

„Emilia, wen hast du als Reitpartner bekommen?“, fragte Melina und holte ihr PW-Buch hervor.

„Elias“, Emilia versuchte, so locker zu sein, wie es ging, aber uns konnte sie nichts vormachen. Sie freute sich riesig darüber.

„Ui, na, wenn das mal nix wird“, Bonnie grinste wie eine Irre und klopfte Emilia auf die Schultern.

„Ha, ha, ha“, Emilia verdrehte leicht genervt die Augen. „Elias ist eh viel zu cool für mich. Als ob der was mit mir zu tun haben will“, sie ließ den Kopf etwas hängen und widmete sich wieder ihrem Frühstück. Ich seufzte.

„Zum einen: wenn er nicht weiß, was er an dir hat, dann hat er dich auch nicht verdient. Und zweitens: du musst ihn einfach nur beeindrucken“, predigte Kiara und ich musste lachen.

„Und wie soll das bitte schön gehen?“, wollte Emilia als Nächstes wissen.

„Mensch, Mila. Denk doch mal nach!“, empörte sich Kiara. „Jungs werden beeindruckt, wenn man ihnen als Mädchen Komplimente macht. Damit rechnen sie nicht und man bleibt bei ihnen im Kopf. Und wenn sie erst mal beginnen, darüber nachzudenken, warum du das gesagt hast und warum du darüber nachdenkst, dann hast du’s gepackt. Die verlieben sich automatisch – das steht bei denen so im Bauplan!“

„A-ha“, Emilia schien wenig überzeugt.

Im nächsten Moment klingelte es und die Pause war vorbei. Emilia, Annika und ich machten uns auf den Weg zu unserem Geschichtsraum, während die anderen zu ihren Klassen gingen.

Ich quälte mich durch den Unterricht und wurde erst locker, als ich bei Alaska im Stall ankam. Sie wartete bereits auf mich und war hochmotiviert, als ich mit dem Zaumzeug ankam. Ich putzte sie, sattelte und trenste sie auf und machte mich dann mit all meinem Kram auf den Weg in die Reithalle. Meine Mom stand bereits an der Bande und kontrollierte die Listen, während die Schüler alle nacheinander in die Halle rieselten.

Von draußen prasselte der Regen auf das Dach der Reithalle und verursachte einen unwirklichen Ton, der die Stimmen der anderen locker übertönte. Alaska wirkte entspannt und trottete ganz gelassen unter mir her durch die Halle. Der Regen schien sie nicht zu stören.

Plötzlich hörte ich Stimmen von draußen, die sich mit ihren Pferden der Reithalle näherten. Dann erkannte ich Zoey und David. Die beiden kamen kurze Zeit später hinter der Bandentür zum Vorschein. Zoey machte ein großes Trara daraus, ihr dickes Pferd in die Halle zu führen. David folgte ihr lachend mit Lupita, dahinter erschien meine Freundin Emilia, die genervt die Augen verdrehte und mit Melodie auf mich zukam. Vor mir blieb sie stehen.

„Oh, Mann, die hättest du mal im Stall sehen sollen“, war Emilias erster Satz, aber ich wusste nicht, ob ich das wirklich hätte sehen sollen … und wollen.

„A-ha“, machte ich deshalb nur. Zoeys Aussagen von gestern saßen mir immer noch in den Knochen.

„Ja, unfassbar wie sie ihn die ganze Zeit angebaggert hat“, Emilia gurtete nach, schlug die Bügel runter und schwang sich in den Sattel. „Und er … keine Ahnung … springt drauf an?“

Woher soll ich das denn wissen?, fragte ich mich automatisch, sagte aber nichts.

„Er findet es, glaub ich, nicht unbedingt schlecht oder widerwertig …“, schloss Emilia unbeirrt ab und ritt Melodie los. Ich nickte uninteressiert und ritt selber los. Sollten die beiden doch machen, was sie wollten …

Mama überprüfte die Anwesenheit und dann ging es los. Wir wärmten die Pferde auf und jeder brabbelte durcheinander. Ich warf einen vorsichtigen Blick hinüber zu Zoey, die neben David ritt. Beide waren in ein angeregtes Gespräch vertieft und achteten nicht mehr auf die Bahnregeln. Ich wich ihnen aus, auch wenn ich eigentlich Vortritt hatte.

„Zoey, Bahnregeln einhalten“, rief meine Mutter nur Augenblicke später und ich trabte Alaska an. Sie fiel in einen angenehmen Trab und ich begann damit, sie zu lösen und zu arbeiten. Während Emilia es mir gleich tat, ritt Annika neben Samuel her. Die beiden schienen sich super zu verstehen. Meine Freundin lachte ausgelassen und schien die Probleme, die sie mit ihrem Freund Theo hatte, endlich zu vergessen. Flo lebte anderthalb Stunden Autofahrt von hier weg, besuchte eine Oberstufenschule und hatte ständig Stress mit Annika, die ihr Leben hier gerne lebte. Theo war ein Angeber-Macho, der nichts von Pferden hielt und Annika das auch deutlich und ständig signalisierte. Ich vermutete schon länger, dass Theo inzwischen eine andere hatte, aber es würde Annika das Herz brechen und so behielt ich meine Vermutungen für mich. Und jetzt sah ich Annika wieder lachen.

„So, Leute“, rief Mom und machte damit klar, dass wir uns alle in ihre Richtung drehen sollten. Wir stellten uns alle auf der Mittellinie auf und warteten. „Ich weiß, dass das etwas früh ist und euch vielleicht nur unnötig stresst, aber ihr müsst eure Partnerarbeiten bereits vor den Herbstferien abgeben. Da dieses Halbjahr recht kurz ist, gebe ich euch eure Themen jetzt schon. Bereitet euch gut vor, fangt früh genug an, dann kommt ihr nicht so in den Stress.“

 

Ein Raunen ging durch die Reihe, bis meine Mutter sich energisch räusperte. „Die Themen sind festgeschrieben. Ich möchte euch gerne die Wahl lassen, welche Themen ihr machen wollt. Bitte sprecht euch mit eurem Partner und den anderen ab. Ich hänge die Liste an die Bandentür, dann könnt ihr euch nach der Stunde schnell eintragen. Wir machen dafür auch ein wenig früher Schluss“, damit lächelte sie uns an und schlug ihre Unterlagen um. „Wir befinden uns nun – was auch ein Thema sein wird – auf dem Sprung zwischen L und M. Ein sehr bekannter, schwerer Schritt. Ich möchte den Referenten nicht zu viel vorwegnehmen, aber das liegt teils auch daran, dass viele neue Lektionen dazu kommen. Und mit denen werden wir uns beschäftigen. Logischerweise können eure Pferde das schon, aber ihr wollt es ja genauso gut können. Wichtig dabei ist, die Hilfengebung in der M deutlich zu verbessern und konkreter zu geben. Aber wir haben genug Zeit, das alles zu üben. Bis zum praktischen Teil eurer Vorführung, bei der ihr – logischerweise – neben eurem Aufsatzthema auch auf einige Übungen eingehen sollt, haben wir noch nicht alles geschafft, aber das ist nicht schlimm. Dafür werden alle Lektionen umso genauer durchgenommen.“

„Wie wird denn die praktische Prüfung aussehen?“, fragte Verena, ein braunhaariges Mädchen, die auf ihrem Pferd Abraxas saß.

„Das hängt ein wenig von eurem Thema ab. Einige von euch können zum Beispiel eine Quadrille einstudieren, andere müssen einen richtigen Vortrag mit Pferd als Demonstrationsmittel halten. Auf jeden Fall werdet ihr auf euer Thema eingehen. Übrigens stehen die Termine für die praktischen Prüfungen jetzt auch fest. Diese können wir zwar noch mal verlegen, aber der Stichtag ist Anfang Dezember. Machte euch aber bitte nicht zu viele Sorgen. Wir machen Vieles im Unterricht.“

Ich langweilte mich innerlich zu Tode. Ich kannte das zwar schon und verstand auch, dass der Rest das wissen sollte, aber auf der anderen Seite zog sich die ganze Sache nur unnötig in die Länge. Und die Stunde Englisch danach würde sicherlich ebenfalls zu meiner schlechten Laune beitragen. Neben dem Wetter logischerweise.

„So, jetzt aber an die Arbeit. Die normalen Seitengänge, also Schenkelweichen, kennt ihr schon. Aber jetzt kommen Traversale und Schulterherein. Einige haben den fliegenden Galoppwechsel noch nicht drauf, was nicht weiter schlimm ist, und die Schrittpirouette ist auch ganz interessant. Wir beginnen heute mit dem Galoppwechsel. Also löst eure Pferde gut in allen drei Grundgangarten und dann kann es losgehen“, Anja lief los und legte auf die Wendepunkte senkrecht zur Zirkellinie eine Stange auf den Boden. „Das hat den Vorteil, dass die Pferde springen und es damit deutlich einfacher für sie ist.“

Ich galoppierte Alaska locker auf der Mittelzirkellinie, parierte durch zum Trab und galoppierte wieder an. Schließlich war sie genug gelöst, ließ beim Zügel-aus-der-Hand-Kauen den Kopf hängen und kaute auf dem Gebiss herum.

„Wir beginnen mit der Theorie. Ihr stellt eure Pferde im Galopp auf die richtige Hand. Dann galoppiert ihr auf die Stange zu und über dem kurzen Sprung, den euer Pferd dann macht, legt ihr den neuen äußeren Schenkel verwahrend etwas hinter den Gurt und den neuen inneren etwas vor. Denkt an eure Gewichtsverlagerung und daran, dass ihr hinguckt, wo ihr hin wollt. Wenn es für euch leichter ist, dann reitet vor dem Umsprung ein paar Sprünge gerade gerichtet“, meine Mutter gestikulierte, zeigte uns anhand eines Reiters aus der Klasse, was sie meinte.

Wir übten alle nacheinander und bekamen Ratschläge und Tipps, wie wir es besser machen konnten. Am Ende klappte es erstaunlich gut, auch bei Alaska und mir, obwohl die fliegenden Wechsel zu Ende des letzten Schuljahres ein echtes Problem gewesen waren. Der fliegende Galoppwechsel war dafür eine Stärke von Emilia und Melodie gewesen, womit sie punkten konnten. Es klappte einfach jedes Mal.

Kurz vorm Ende ritten wir unsere Pferde trocken, lösten sie noch mal, dann stiegen wir ab. Vor dem Ausgang hatte sich eine riesige Schlange gebildet, denn jeder wollte die Themen sehen.

„Hey“, David kam auf mich zu. Lupita spitzte die Ohren und beschnupperte Alaska, die kurz quiekte. „Wenn du sie kurz festhältst, dann schaue ich nach, was es gibt“, schlug er vor und ich übernahm nickend Lupitas Zügel. David verschwand in der Menge, während ich mit beiden Pferden auf ihn wartete. Lupi schnupperte vorsichtig an meiner Reitjacke, die nach Alaskas Fell roch.

„Also, einige sind schon vergeben. Ich hab ein Foto gemacht“, er nahm sein Handy aus der Tasche und zeigte es mir. Milton – das weiße Springwunder war schon vergeben (an Annika und Samuel) und Emilia und Elias hatten sich für die Hofreitschule in Wien entschieden. Da mich der Rest nicht sonderlich interessierte, blieben nur noch Aktivställe – eine gesunde Alternative oder Tabuthema Hilfszügel übrig.

„Ich finde das mit den Hilfszügeln ganz interessant“, gestand David, als ich ihm meine beiden Wahlen zeigte.

„Ich mag Hilfszügel, ehrlich gesagt, nicht besonders“, erwiderte ich und sah ihn an.

„Hey, ich auch. Ich halte nicht viel von ihnen“, er hielt mir seine Hand hin und erst raffte ich nicht, was er wollte, doch dann schlug ich ein. „Thema?“, fragte er dann.

„Thema!“

David trug uns ein, dann trennten wir uns vorm Stall. Draußen regnete es immer noch und ich hatte nicht die geringste Lust auf Englisch. Und schon gar nicht bei Frau Hinrichsen. Ich sattelte Alaska ab und verdrängte den Gedanken an Englisch, mein absolutes Hassfach, bis ich hinüber zum Haus durch den Regen rannte, um mich umzuziehen. Ich war schweißgebadet und vom Regen nass. Deshalb sprang ich schnell unter die Dusche. Das ging nur, wenn wir große Mittagspause oder Schulschluss hatten, sonst wäre ich jedes Mal zu spät zum Anschlussunterricht gekommen.

Emilia, Annika, Melina und Bonnie warteten drüben in der Mensa auf mich. Ich setzte mich neben sie.

„Wo ist Kiara?“, fragte ich und piekte die Tomate mit der Gabel aus meinem Salat, bevor ich sie mir in den Mund steckte.

„Bei der Frauenärztin“, erwiderte Melina, die mit ihr in einer Klasse war. „Braucht ‘ne andere Pille“, fügte sie hinzu.

„Wofür will sie denn die Pille? Sie hat doch nicht mal ‘nen Freund“, fragte Annika und machte sich über ihre Bratkartoffeln her.

„Na und?“, warf Bonnie ein. „Man braucht doch keinen Freund, um sich die Pille verschreiben zu lassen“, erklärte sie.

„Aber es lohnt sich doch gar nicht“, widersprach Annika bissig und ihre Laune war so finster, wie die Wolkenfront, die von Osten her kam.

„Kann es sein, dass du einfach nur wieder sauer auf Theo bist und deshalb ein Problem mit Kiaras Termin hast? Sie kann sich verschreiben lassen, was sie will. Wichtig ist, dass ihre Ärztin darin kein Problem sieht.“ Ich sah Annika an, aber diese drehte den Kopf weg.

Annika sagte gar nichts mehr darauf, sondern verbrummelte ihre schlechte Laune über dem Teller. Manchmal wünschte ich mir, sie würde endlich mit Theo Schluss machen, aber wahrscheinlich konnten wir darauf noch ewig warten.

Annika schwieg das ganze Mittagessen lang, irgendwann stand sie einfach auf, brachte ihr Tablett zurück an die Theke zu Rosi und verschwand. Melina unterhielt sich leise mit Bonnie und ich beobachtete Emilia, die immer wieder vorsichtig zu Elias hinüber blickte, der auf dem Tisch inmitten seiner ganzen Gang saß. Auch David saß in der Gruppe um ihn herum.

Als ob ich es noch nicht wüsste, fragte ich meine beste Freundin: „Und? Welches Thema habt ihr genommen?“

Erst reagierte Emilia nicht, dann schien sie bemerkt zu haben, dass ich sie angesprochen hatte und blickte mir ertappt in die Augen. „Spanische Hofreitschule in Wien“, erwiderte sie dann und schien das Essen auf ihrem Teller plötzlich mega interessant zu finden.

„Ah, wollte er das machen?“, hakte ich nach.

„Er hat mich gefragt, ob ich das auch so interessant finde wie er“, wich sie aus. „Ich wollte mich schon immer mal damit beschäftigen. Und ich bin so froh, dass Elias das auch machen wollte. Überhaupt haben wir, glaub ich, voll viele gemeinsame Interessen“, sie blickte ständig zu ihm herüber – mit diesem mega verliebten Blick – und als Elias das bemerkte, winkte er grinsend und zwinkerte ihr zu. Ich verdrehte die Augen. Als ob er ernsthaft was von Emilia wollte. Das sollte nicht heißen, dass meine Freundin nicht hübsch war – sie war bildschön – aber Elias war so wie ein Macho-Angeber-Gang-Anführer halt ist: nicht nach einer festen Beziehung aus, in der man sich ja binden müsste.

„Er ist so süß“, flüsterte Emilia in meine Gedanken hinein und seufzte glücklich. Oh, Mann, das konnte ja was werden …

Nach der Mittagspause schlenderten wir wieder hinüber zu den Klassenräumen. Ich hatte nicht die geringste Lust, aber draußen hatte es wenigstens aufgehört zu regnen. Kurz bevor ich in meinem Englischraum verschwand, sah ich Kiara anrennen, die mit Melina im Raum neben uns Unterricht hatte. Ich winkte ihr kurz zu, sie lächelte zurück, dann verschwand sie in der Lücke, die noch zwischen Tür und Wand gewesen war.

Ich setzte mich auf meinen Platz neben Emilia. Annika, die neben Emilia saß, ignorierte uns. Was konnten wir denn für ihre schlechte Laune und den Stress mit Theo? Mit diesem Vollidioten? Kurz fragte ich mich, was er diesmal wieder ausgefressen hatte, schob diesen Gedanken dann aber zur Seite und packte meine Unterlagen aus.

Ich begann damit, Sachen in mein Heft zu malen. Ganz hinten hatte ich im Englischheft eine Seite, die am Ende immer vollgemalt war. Ich malte Herzchen und erwischte mich dabei, wie meine Gedanken abschweiften und irgendwann in einem der Herzchen David stand. Ich war drauf und dran, es auszuradieren, aber dann traute ich mich doch nicht. Ich ließ es stehen und blickte es eine ganze Weile einfach nur an. Bis Frau Hinrichsen bemerkte, dass ich ihrem sooo interessanten Unterricht einfach nicht folgte.

„Charlotte, what would you say if you were Amy?”, fragte sie mich, aber ich wusste gar nicht, worum es ging. Woher sollte ich bitte schön wissen, wer diese Amy war und was sie gesagt hatte, wenn ich dieses viel zu lange und komplizierte Buch nicht mal angerührt hatte? Ich hasste Englisch und ich hasste englische Bücher. Außerdem gab es das nicht auf Deutsch und ich musste jedes zweite Wort im Wörterbuch nachschlagen, um halbwegs den Satz zu verstehen. Nach einer halben Stunde hatte ich also eine Seite durchgelesen und den Inhalt dennoch nicht verstanden. Das tat ich mir also nicht an!

„I don’t know what I would say if I was Amy“, antwortete ich auswendig gelernt. Frau Hinrichsen nickte verärgert und würdigte mich keines Blickes mehr. Stattdessen meldete sich Annika und plauderte fröhlich drauf los. Es schien so, als wolle sie ihre ganze Energie in so ein sinnloses Fach wie Englisch stecken und ich verdrehte genervt die Augen.

Ich versuchte während der Stunde wenigstens so zu tun, als ob mich der Unterricht interessierte. Oder halt, nicht offensichtlich abwesend zu sein.

Als es endlich klingelte und ich meine Sachen in Lichtgeschwindigkeit in meinen Rucksack packte, hielt mich Frau Hinrichsen zurück. „Kommst du bitte noch mal zu mir vor, Charlotte?!“ Wie sie das schon sagte. Mir wurde mulmig zumute.

Ich stöhnte kaum hörbar auf und ließ die Luft aus meinen Lungen, dann wappnete ich mich der bevorstehenden Maßregelung. Die Hinrichsen würde mich sicher hinrichten …

„Also, Charlotte. Was hast du zu deinen mündlichen Beteiligungen in meinem Englischunterricht zu sagen?“

Beteiligung in meinem Englischunterricht zu sagen, bla bla bla. Die olle Nuss konnte mich mal! „Nichts“, antwortete ich und wandte meinen Blick nach draußen. Ich wusste, dass ich mich auf Glatteis befand, aber die Nerven, mich jetzt noch zu zügeln, hatte ich auch nicht. Frau Hinrichsen hatte sich wirklich den falschen Zeitpunkt ausgesucht, um mit mir über meine mündliche Note zu quatschen.

„Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede“, fauchte sie los. Boa, die war doch nicht meine Mutter. „Nur, weil du die Tochter vom Chef bist, heißt das noch lange nicht, dass du machen kannst, was du willst. Ich erwarte, dass du demnächst etwas mehr Präsenz zeigst. Sonst wird das dieses Jahr nichts mit der 4“, sagte sie spitz und ich verkniff mir einen frechen Kommentar. „Hast du das Buch gelesen?“, fragte sie dann, als ich nichts antwortete, sondern nur mit den Schultern zuckte. Ich würde Englisch eh nicht als Abi-Fach wählen.

 

„Nein, ich habe dieses hoooch interessante und wirklich ausgezeichnet tolle Englischbuch NICHT gelesen“, erwiderte ich angepisst und sah meine Lehrerin herausfordernd an. Heute war absolut nicht mein Tag. Was wollte die dumme Kuh denn noch?

„Das ist ja wieder typisch. Fräulein Brückner, ich möchte nicht mehr, dass du dich so in meinem Unterricht verhältst. Sonst werde ich mit deinen Eltern sprechen müssen. Das willst du doch sicherlich auch nicht!“

„Soll das eine Drohung sein?“ Eigentlich hätte ich hier den Mund halten sollen, aber so wie mein Gehirn ratterte, sprach ich natürlich bevor ich nachdachte.

„Nein, nicht direkt …“, begann sie, doch ich unterbrach sie gerade eben erst richtig in Fahrt kommend.

„Also eine indirekte Drohung. Ich glaube, das macht sich super, wenn ich das meinen Eltern erzähle“, erwiderte ich, um sie ebenfalls zu erpressen.

„Charlotte, so nicht“, wollte sie mich zurechtweisen, doch ich hatte keine Lust, meine komplette Freizeit für diese dumme Tussi auf den Kopf zu hauen, daher nahm ich meinen Rucksack vom Boden, lief los und sagte dazu: „Das können Sie gerne mit meinen Eltern klären. Ich sage dazu gar nichts mehr!“ Mit diesen Worten verließ ich rauchend das Klassenzimmer.

Meine Laune befand sich auf dem Gefrierpunkt, das konnte auch nicht mein Lieblingskuchen wieder gut machen, den Mama mir in der Küche auf den Tisch gestellt hatte, neben dem eine Karte lag, auf der stand:

Guten Appetit, mein Schatz! Musste noch mal weg! Lass es dir schmecken, wir sehen uns heute Abend. Papa ist unten im Stall oder im Büro, wenn du was brauchst!

Hab dich lieb!

Deine Mama <3

Meine Miene hellte sich zwar etwas auf, aber sie ging immer noch um die 0 °C.

Ich setzte mich mit einem Stück Kuchen oben in mein Zimmer, machte die Musik auf volle Lautstärke und vertrieb mir die Zeit mit Rumgammeln.

Irgendwann – ich weiß gar nicht, wie viel Uhr es da war – klingelte es unten an der Haustür. Es grenzte an ein Wunder, dass ich das Läuten überhaupt gehört hatte. Ich sprang auf und lief die Treppe hinunter. Dann riss ich die Haustür auf … und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Davor stand David.

„Oh, hey. Was machst du denn hier?“, wollte ich wissen und fuhr mir panisch durch die Haare.

„Ich hab schon ein paar Sachen wegen des Aufsatzes“, erklärte er und das Erste, was mir auffiel, war, dass er den Genitiv beherrschte. „Kann ich vielleicht reinkommen?“ Okay, das war ein Test … Er wollte wissen, ob ich ihn zu meinem engeren Freundeskreis zählte, der die Erlaubnis hatte, dieses Haus zu betreten.

„Klar!“, sagte ich dann.

Wir liefen hoch und ich drehte sofort die Musik leise. „Sorry, hab ‘n bisschen schlechte Laune“, erwiderte ich, doch David grinste nur. „Was hast du rausgefunden?“

„Es gibt mehrere Artikel dazu und ich hab ein ganz schönes Zitat des alten Stallmeisters gefunden“, er legte mir das hin, was er schon gefunden hatte.

„Wow, du bist ja schnell“, ich war ehrlich baff und schaute den Stapel durch, der nun auf meinem Schreibtisch lag. Er hatte vier dünne Taschenbücher dabei, die sich um das Tabuthema Hilfszügel drehten. „Da kriegen wir bestimmt ‘ne Menge raus“, ich grinste ihn an und er lächelte zurück.

„Am besten lassen wir uns nicht zu viel Zeit, damit wir auch die praktische Prüfung rechtzeitig vorbereiten können“, er nahm die Bücher wieder hoch. „Soll ich sie mitnehmen?“, wollte er dann wissen.

„Du kannst sie auch gerne hierlassen. Wir können uns immer bei mir treffen, ich denke, da haben wir eher unsere Ruhe“, schlug ich vor und er nickte dankend. Dann legte er die Bücher und Hefte wieder ab und ich begleitete ihn zur Tür.

„Was wollte Frau Hinrichsen eigentlich nach dem Unterricht noch von dir?“, fragte David harmlos nach.

Scheiße, stimmt, er saß ja bei mir im Unterricht, ging mir durch den Kopf. So … ein Mist! „Mich fragen, was ich von meiner mündlichen Beteiligung halte. Hab mich voll in die Wolle mit der gekriegt“, fasste ich kurz zusammen und überlegte im selben Moment, was David jetzt wohl von mir dachte.

„Ach, lass die Blöde reden. Das Buch ist eh langweilig“, er winkte ab und lächelte mich an. Sofort fühlte ich mich besser.

„Ich glaube, ich komme mit nach drüben“, sagte ich schließlich. David nickte.

Gemeinsam liefen wir hinüber zum Hauptgebäude der Internatsschüler. Unten in den Aufenthaltsräumen und der Mensa war nichts los, jetzt, da die Sonne wieder schien. Wir liefen nebeneinander die Treppe hoch, dann trennten sich die Gänge. Auf der linken Seite ging es zum Mädchengang, auf der rechten Seite waren die Zimmer der Jungs.

David versprach, sich zu melden, wenn er noch etwas herausfand und gab mir seine Handy-Nummer, die ich natürlich überglücklich und mit einem absolut affenartig peinlichen Grinsen auf dem Gesicht entgegennahm, dann lief ich vor Freude fast platzend hinüber zum Zimmer von Emilia und Annika. Ich klopfte und als Emilia „Herein“ rief, öffnete ich die Tür.

„Hey, Emilia. Du wirst es nicht glauben, aber ich hab jetzt …“, weiter kam ich nicht.

„Kannst du nicht mal die Klappe halten, Charlotte?“, fuhr mich Annika im nächsten Moment an. Sie saß mit Kopfhörern vor ihrem Laptop und schien mit Theo zu skypen, von dem ich nur die Silhouette ausmachen konnte. Da hatten wir ja unser Problem.

„Alles kühl in deinem Kopf? Stell dich mal nicht so an“, entgegnete ich angesäuert und sprang auf Emilias Bett.

„Hallo … Moment, Theo, ich ruf gleich zurück!“, sie legte auf, dann, im nächsten Moment, sprang sie wie von der Tarantel gestochen von ihrem Stuhl auf und stellte sich mit böse wirkendem Gesicht vor mich. Da Annika einen ganzen Kopf größer war als ich, dachte sie wohl, sie könnte mir Angst einjagen. „So, noch mal, bitte!“

„Du sollst dich nicht so anstellen!“, wiederholte ich extra für sie. „Wenn du so weitermachst, dann hast du bald den Ruf einer Oberzicke und nicht mehr Zoey!“

„Hallo, ich skype mit Theo, da kannst du ja mal Rücksicht nehmen und musst nicht so hysterisch rumschreien“, erwiderte sie.

Mein Gesicht verfinsterte sich und ich blendete Emilia in meinem Rücken völlig aus, die sich in ihrem Bett ganz klein gemacht hatte, als wolle sie durchsichtig werden oder sich am besten gleich in Luft auflösen.

„Hallo, raffst du’s mal? Theo ist ein Arschloch, ein Vollspast!“, schrie ich zurück, doch das beeindruckte Annika eindeutig wenig.

„Aber ich liebe diesen Vollspasten!“, wandte sie ein und ich stieß ein verächtliches Lachen aus.

„Du hast ja auch Geschmacksverirrungen und vertraust einem Typen, der dich von vorne bis hinten belügt!“

„Was? Willst du damit etwa sagen, dass ich dumm und blind vor Liebe bin? Weißt du was, Charlotte? Du bist eine richtige Angeberin. Du nimmst dich ständig voll wichtig, nur weil du Anjas Tochter bist. Im Ernst, Charlotte. Du bist nicht so toll, wie du immer denkst!“

Das versetzte mir einen Schlag, doch ich sah nicht ein, mich jetzt geschlagen zu geben. „Wenn du wirklich denkst, dass es darauf im Leben ankommt, dann mach so weiter. Aber lass uns daraus!“ Ich rannte los und versetzte der Tür einen solchen Schubs, dass sie laut zuknallte.

Die Wände rappelten und zappelten, ich wusste, dass in jedem Moment jemand rauskommen könnte, wenn ich nicht schnell verschwand. Ich schaffte es, meine Beine in Bewegung zu setzen, die mich in den Stall zu Alaska brachten. Meine Stute stand auf dem Paddock draußen und genoss die Sonne. Ich wollte weg von hier, einfach nur weg. Weit weg … und am besten niemals mehr wiederkommen.

Ich machte mein Pferd in Windeseile fertig, dann ritt ich los Richtung Wald. Sobald Alaska warmgeritten war, ließ ich sie traben und galoppieren, so schnell und so viel sie wollte. Ich wollte bloß weg vom Internatsgelände. Der Wind, der mir um die Nase blies, leerte meinen Kopf und riss damit auch die negativen Gedanken davon, die bis eben noch darin gewütet hatten wie ein Tornado.