Buch lesen: «100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2», Seite 8

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Und es war auch an diesem späten Nachmittag, dass sich David mit seinem Kaffeepot und einem „halben Stumpen“ zu mir auf den Baumstamm setzte und meinte: „Wir kennen uns nun schon länger, ich weiß wie ihr reitet, und ihr habt auf diesem Trip beide zwei sehr gute Pferde. Ab morgen könnt ihr jeden Tag mit Patrick eure eigene Tagestour reiten und kehrt nur abends ins Lager zurück, während die übrigen Gäste mit mir und Paul in leichteres Gelände gehen“. Als er meine Freude bemerkt fügt er nickend an: “Patrick kennt in den Rainbows jeden Winkel, ist ein ganz ausgezeichneter Horse- und Mountain-Man, und geht, trotz aller Verwegenheit, niemals ein Risiko ein. Ihr könnt Euch auf ihn und die beiden Pferde voll verlassen, denn sonst würde ich das nicht erlauben. Nur am vorletzten Tag, da gehen wir drei zusammen. Ich möchte zwei uralte Jagd-Camps von meinem Großvater suchen und Euch mitnehmen.“ Und nach einer kurzen Pause meinte David noch, dass das alles richtig gute Ritte würden, wie früher, als jeder noch sein eigenes Tal und die Wege dorthin suchte.

Und genau so war das dann auch. Mit Patrick waren wir jeweils zehn bis zwölf Stunden unterwegs, und fast immer am Limit. Zum zweiten Lager ritten wir drei wieder „unsere“ Spezialroute über die Berge und setzen dort unsere täglichen Ritte durch schweres Gelände fort. Der sehr lange Tag mit David fügte sich nahtlos an jene Superritte an, denn auch auf der erfolgreichen Suche nach den alten Jagdcamps, die David in neue Touren einfügen möchte, hatte man das Gefühlt, als wäre man im „Wilden Westen“ auf der Suche nach einer neuen Heimat. Und selbst der letzte Tag war ein weiteres Highlight, denn gemeinsam mit den Packpferden nahmen wir eine Abkürzung, die an Schwierigkeiten kaum etwas ausklammerte, weder Schnee noch die Überquerung von drei Bergzügen, um den Trailhead auf kürzestem Wege zu erreichen, während der restliche Tross mit mehr Kilometer in leichterem Terrain nach Hause ritt.

Und die Tage mit Patrick in den Rainbow Mountains? Zunächst, es ist ein riesiges Gebiet im Norden des Tweedsmuir Provincial Parks, den der Dean River im Nordwesten, die Coast Mountains mit Eisfeldern und Gletschern im Süden, und im Westen das Bella Coola Valley mit Regenwald und gigantischen Roten Zedern begrenzen, während im Osten das Interior Plateau, Cattle und Cowboys das Bild bestimmen. Und Patrick – schlank, mager, zäh, unrasiert, Sechzig-Kilo-Typ, Mitte Vierzig, kompetent, furchtlos, einer der zupacken kann, ein Naturmensch und echter Pferdemann – hat uns alles gezeigt, was man in dieser grandiosen, einsamen Natur überhaupt zu Gesicht bekommen kann. Bis hoch an die Gipfelspitzen sind wir geritten, bis dorthin, wo die letzten Meter wirklich nicht mehr machbar waren, auch nicht zu Fuß, und nur selten noch auf allen Vieren. Dort oben, wo Wälder, Täler, Seen und Flüsse etwa zweitausend Meter unter uns lagen und der Blick auf Augenhöhe über die bunten Berge bis hinüber zu den Küstengebirgen schweifte, wo sich der Mount Weddingten mit seinen 4.019 Metern in die Höhe reckt begriffen wir, was wir diesen Pferden zu verdanken hatten. Es war eine traumhafte Welt, fast aus der Vogelperspektive und mit 360 Grad Rundblick. Und das alles mit einer ganzen Woche Sonnenschein, der nur ein einziges Mal für zwei Stunden hinter fetten Regenwolken verschwand. Und von hier oben sahen die unendlichen Täler wunderbar eben aus, doch in Wirklichkeit waren ihre Talböden alles andere als leichtes Gelände. Sumpf, Gräben, breite und tiefe Bäche, Flüsse, Felsbrocken, Weidenbüsche, Baumgruppen, Tümpel, dichte Waldstreifen und Hügel entpuppten sich erst als solche, wenn man sie durchqueren musste. Und was immer auch kam, Patricks brauner Wallach marschierte flotten Schrittes überall durch, und unsere beiden Stuten folgten ebenso furchtlos und sicher. Selbst Georgia, die sich anfangs doch ziemlich bitten ließ, stand jetzt unter „Volldampf“. Nur ihre äußerste Vorsicht, die gab sie nie auf. Was diese drei Pferde an den Berghängen geleistet haben, hätte ich vorher nie für möglich gehalten. Hoch und runter, im Zickzack, traversal oder direkt, sie meisterten ganze Hänge mit Steinschotter, großen und kleinen Felsbrocken, gingen über Steinmoränen und durch Schneefelder, steil hinab oder hinauf durch losen, schieferartigen rutschigen Bruch, oder auf schmalen Rändern entlang tiefer Schluchten, sprangen über Gräben oder tiefe Bäche, meisterten glitschiges Gelände und alles, was sich in den Weg stellte. Kein Stolpern, kein Fehltritt, kein Zögern und niemals hektisch oder scheu. Unglaublich! Und selbst dort, wo ein mulmiges Gefühl entstand oder sich der Blick fragend auf Patrick richtete, wie es denn jetzt weitergeht, wie und wo hinunter oder hinauf, oder über den nächsten Pass, der aus meiner Sicht doch völlig verschneit war, Patrick hatte die Möglichkeiten längst erkannt und hielt auch nicht an. Vielleicht hier und dort ein kurzes Zurück oder ein kleiner Umweg, mehr aber nicht. Nur bergwärts, wenn es richtig steil wurde, ließen wir unsere Partner mehrfach verschnaufen und gewährten ihnen in Bächen die Zeit, wenn sie trinken wollten. Wirklich angehalten haben wir, jenseits der Mittagspause, nur ein einziges Mal. Der Grund war ein großer Grizzly, der uns in einem Tal auf Sichtweite begleitete. Patrick wollte ihn beobachten, damit er nicht unverhofft einen großen Bogen schlägt und plötzlich hinter uns ist, denn die Grizzly Bären in diesen Bergregionen haben nicht den Überfluss, den die großen Lachsflüsse bescheren, müssen mit wesentlich weniger auskommen und sind daher auch aggressive. Erstaunlich auch, wie schnell dieser Petz über mehrere Kilometer war. Obwohl wir flotten Schrittes unterwegs waren, kam er linkerhand am Talrand von hinten, zog ganz locker und flott an uns vorbei und bog dann weit vor uns nach rechts in ein Seitental ab. Und deswegen hielten wir an und stiegen ab, denn in dieser Gegend im Spätsommer einen Grizzly im Rücken zu haben, wo die fischreichen Gewässer fehlen und er jagen muss, ist gefährlich. Er blieb jedoch seiner Richtung treu und galoppierte weiter durch das Seitental und von uns weg. Diese „verwegenen“ Touren mit Patrick waren einmalig schön, aber nach zehn bis zwölf Stunden im Sattel freuten wir uns auch auf den heißen Kaffee nach der Rückkehr am Lagerfeuer, und auch unsere Pferde hatten den Gang zur Wiese mehr als verdient.

Der Ritt mit David am vorletzten Tag war ein ganz anderer. Wir waren zwar wieder sehr lange unterwegs, aber größtenteils in Tälern und urwüchsigem Wald. Wir mussten auch mehrfach umkehren und einen neuen Durchschlupf suchen, weil eine steile Bergwand, ein tiefer Fluss-Canyon den Weg versperrte, oder wir ganz einfach auf der falschen Fährte waren. Am Ende haben wir beide Jagd-Camps gefunden, mit allerlei alten, verrosteten Utensilien und morschen Hölzern unter gewaltigen Bäumen. David, der seine Gefühle kaum zeigt, ließ hier aber erkennen, dass es ihm schon sehr nahe ging, wenn er den einen oder anderen alten Gegenstand aufhob und betrachtete. Als kleiner Junge war er mit seinem Großvater mehrfach hier gewesen, vor etwa fünfzig Jahren, und danach nie wieder. Wir saßen ab, stöberten ein wenig in den alten Dingen und lauschten den Geschichten, die David von damals erzählte. Auf dem Rückweg markiert er jeweils dort einen Baum, wo der Weg in eine andere Richtung wechselte, oder sein Abzweig schwer zu finden war. Heimwärts reiten wir einen Umweg, denn David möchte uns noch ein anderes Tal zeigen, statt auf gleichen Pfaden wieder zurückzukehren. Auch diese „Extrawurst“ war uns recht, wie all die vorherigen auch, inklusive derer, die vom Grill kamen. Und das, was Joyce am letzten Abend anbot, war auch schon fast fertig, als wir nach knappen zehn Stunden wieder eintrafen: Würste, Stakes, verschiedene Salate, gebackene Kartoffel und dicke Pfannkuchen. Süße mit Creme, Honig oder Kirschen (oder allem), und herzhafte mit Speck und Zwiebel.

Der letzte Abend ist auch immer einer, an dem ein paar Worte des Dankes fällig werden und die Mannschaft einen Obolus erhält. Für Joyse hatten wir als persönliches Geschenk eine Allgäuer Kuhglocke im Gepäck, wodurch künftig das Rufen nach David entfällt, wenn das Essen auf dem Tisch steht. Was dann noch bleibt, sind Lagerfeuer-Romantik, der eine oder andere Drink, ein Dank an die Pferde und reiterliche Zukunftsträume, wer denn wann und wo wieder in den Sattel steigt. Und unser persönliches Resümee? Es war eine grandiose Woche bei allerbestem Wetter, und mit unseren Pferden und Patrick hatten wir dafür die besten Partner an unserer Seite. Was dieses Trio uns ermöglichte, übertraf alle Vorstellungen. Paul, der sein eigenes Pferd ritt, war wieder der lustige „Pferdemensch“ wie vor neun Jahren auch, und die erst 17-jährige Aida besaß schon sehr viel Pferdeverstand, während ihre Schwester Maria als „Koch“ Joyce eine Menge Arbeit abnahm. David, zurückhaltend, aber offen und ehrlich seine Meinung sagend, wenn er danach gefragt wird, ist ohnehin nicht zu übertreffen. Es waren sieben wundervolle, professionell organisierte Tage, die uns abends müde und zufrieden in den Schlafsack sinken ließen. Nach einer Woche „Busch, Bach und unrasiert“ freute man sich aber auch wieder auf eine heiße Dusche und ein richtiges Bett.

Die letzten eineinhalb Stunden durch den 2010 verbrannten Wald waren für die Pferde erneut schwierig, denn dieser Parkabschnitt ist bergig, felsig, mit großen Steinen übersät und gewaltig verwüstet. Als wir mit den Packpferden eintreffen, sind David und Joyce, die mit den restlichen Gästen drei Stunden früher aufgebrochen waren, bereits da und die Ladies mit Petrus schon auf dem Weg zum Eagles Nest. Für uns ist nochmaliges „Anpacken“ jetzt selbstverständlich, denn David und Joyce haben nur „zwei Nächte“, um die nächste Tour vorzubereiten. Deswegen bleiben auch die Pferde hier, die David inspiziert und dann in die Obhut von Patrick entlässt, der sie auch auf der nahen Wiese betreuen wird. Alle müssen in zwei Tagen auch nicht wieder antreten, denn vor dem nächsten Ritt werden einige von ihnen ausgetauscht. Für den Abschied blieb somit auch nur wenig Zeit, ein letzter Händedruck, eine Umarmung, ein letztes Dankeschön. Was für ein Leben! Aber in der Stadt könnten David und Joyce nicht atmen. Sie brauchen ihre Freiheit, die Natur und die Tiere.

Als alle Pferde entladen und die leeren Kisten auf Davids Truck verstaut sind, bringt uns Leslys Allradler zurück zu Lady Enubis Eagles Nest, und dort empfängt uns Sabine am Wohnmobil auch mit den Worten: „Macht euch schnell unter die Dusche, denn ihr duftet ganz erheblich!“ Naja, als sie anschließend bei der Lady eine Flasche Sekt spendiert, ist jene „Beleidigung“ wieder behoben, und bei einem guten Essen genießen wir, gemeinsam mit den Reitern aus Vancouver, wieder die Vorzüge der Zivilisation und das Klavierspiel von Petrus. Als die Musik verstummte und sich die fünf Damen zurückgezogen, lud uns die Hausherrin noch in ihre Bibliothek ein, wo ein Rüdesheimer Kaffee den Schlusspunkt unter ein sehr schönes Abenteuer setzte. Traurigkeit kam dennoch nicht auf, denn nur dieses Erlebnis war zu Ende, nicht aber unsere Reise. Vor dem Wohnmobil lagen noch einige tausend Kilometer, denn wir wollten Dörthe und Annika noch mehr von diesem Land zeigen, und dann südlich der Grenze durch Montana, Idaho und Washington zurückfahren. Und somit lagen auch Nationalparks, heiße Quellen, historische Forts, Fährüberfahrten, der gewaltige Columbia River oder das amerikanische Seattle noch vor uns. Aber all das betrifft erst das Jahr 2011. 24 Monate später werden wir erfahren, dass Lady Enubi verstorben ist und eigentlich zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten vereinte. Sie war fraglos die charismatische, charmante, großzügige, liebenswerte, warmherzige und hoch intelligente Hausherrin, die ihre Gäste sehr schätzten. Dass sie als „General“ zu Eagle’s Nest agierte war auch erkennbar, nicht aber, dass sie ein „Cult Leader“ war, der mit eiserner Hand auftrat und seine Angestellten restlos beherrschte, manipulierte und ausnützte. Bekannt wurde das erst, als das 2009 verlegte Buch von Alexandra Amor „Cult, A Love Story“ (Fat Head Publishing, Vancouver) zum Dorfgespräch wurde. Zehn Jahre war sie selbst unter den Fittichen der Lady, und als sie ausgestoßen wurde, weil sie immer mehr kritische Fragen stellte und unter der Thematik schrecklich litt, schrieb sie ihre unglaubliche Geschichte nieder. Heute sagt sie, dass sie ein ganz normales Leben führt, „Schreiben“ sie von aller Last befreit hat, und dass es die Umstände waren, die sie in die Arme der Lady trieben.

Doch nun zurück zur Reise von 2002, von der wieder das nächste Kapitel erzählt.

Alexander Mackenzie und Bella Coola

Nach einem letzten Dankeschön an die Gastgeberin machen wir uns wieder auf den Weg. Wir wollen Bella Coola und seinem Tal einen Besuch abstatten und fahren zurück zur Nummer Zwanzig, die Richtung Westen bis hinunter ins Tal als Schotterpiste über „unseren“ Pass zieht, der ein spektakulärer sein soll. Dass diese „Freedom Road“, wie man sie auch noch nennt, überhaupt existiert, ist den hiesigen Einwohnern zu verdanken. Ingenieure hatten in den 1940er Jahren das Projekt, das die Regierung danach als unökonomisch ablehnte, zu einem sehr schwierigen erklärt. Die Einheimischen ließen sich aber nicht entmutigen, nahmen Schaufel und Hacke selbst in die Hand, und das Projekt mit zwei Baggern in Angriff, um das Tal nach Osten zu öffnen. Vom „Heckman Pass“ wurde Richtung Westen gebaggert, und die zweite Maschine fraß sich vom Atnarko-Tal nach Osten. Am 26.9.1953 trafen sich beide, und der Weg war frei. Über den Pass rüttelt der Untergrund das Wohnmobil ganz ordentlich durch, und die Warnung vor ihm liest man schon 17 Kilometer hinter Nimpo Lake: Auf der rechten Seite verkündet die große Tafel, dass der Pass noch 42 Kilometer entfernt ist, und sich kurz nach dem Eintritt in den „Tweedsmuir Provincial Park“ in den Weg stellt. Wenn die Lichter der Tafel blinken, sind Pass und Straße gesperrt. Wer, wie wir, in Bella Coola aber nicht auf die Fähre fährt, um nach Port Hardy (Vancouver Island), oder über Bella Bella zur Inside Passage überzusetzen, der muss die 18 Prozent Gefälle auch wieder hoch. Bei starkem Regen lässt man das mit einem schweren Wohnmobil besser sein, und kehrt vielleicht am Schild um. Heute ist die Straße aber absolut trocken, und das ziemlich neue Gefährt mit genügend Kraft und guten Bremsen ausgerüstet.

Am Eingang zum „Tweedsmuir“ erklärt eine Informationstafel den weiteren Straßenverlauf, als auch den 1.000-Hektarpark und die Verzweigung seiner Wanderwege. Von hier steigt die Fahrbahn sieben Kilometer hoch zum Pass, wo sie mit 1.524 Meter die höchste Stelle des Chilcotin Highways erreicht. Die 15 Kilometer 18 prozentiges Gefälle, mit der die Schotterpiste ins Tal kurvt, werden nur am Young Creek durch eine Steigung kurz unterbrochen, ehe man 26 Kilometer hinter dem Parkeingang im Tal wieder auf Asphalt rollt und „The Hill“ hinter uns haben. Unterwegs begrenzten rechterhand eine Felswand, links eine schöne Schlucht den Schotter. Schutz- oder Leitplanken gibt es an dem hier einspurigen, engem Highway nicht, nur einige kleine Ausbuchtungen, um bergauf Fahrenden Vorfahrt zu gewähren. „Knapp“ sind auch die beiden Haarnadelkurven, doch auf trockenem Untergrund war alles problemlos. Die nun flache, von großen Bäumen des Atnarko-River-Tales beschattete Straße wird auf der linken Seite vom Fluss begleitet, bis er sich mit dem Talchako vereint und dem Bella Coola River zur Geburt verhilft. Acht Jahre später, auf dem Weg zur Fähre, sind wir den Pass erneut gefahren und konnten feststellen, dass die Schotterstraße wesentlich besser ausgebaut war, als das „heute“ der Fall ist. Das Risiko ist damit sicherlich behoben.

Der erste der beiden Campingplätze, der gleich nach Asphaltbeginn seine Dienste unter alten Douglastannen anbietet und als „Atnarko River Campground“ firmiert, eignet sich auch als Basislager für Wanderer, denn die Möglichkeiten sind vielfältig, und die „Headquarter-Parkverwaltung“ (Informationen, Karten) befindet sich direkt gegenüber. Von den möglichen Touren verlangt die schwierige „Tweedsmuir Route“ (30 Kilometer, 400 Meter Höhenunterschied) auf ungepflegten Pfaden aber mindestens zwei Tage Zeit. Sie startet in der Nähe des Campingplatzes am Highway 20, durchquert das Capoose-Tal, führt über den Deception Pass zum Octopus See (Campground) und weiter bis zur Rainbow Cabin. Dort bietet sich der Heritage Trail an, und 30 Kilometer weiter „Dorseys Cabin“ am Tanya Lake. Über andere Wandermöglichkeiten wie beispielsweise Rainbow-, Octobus- oder Capose Trail informiert man sich am besten bei der Parkverwaltung, um gefährliche Überraschungen wie auf dem Crystal Lake Trail, der mit 1.000 Meter Höhenunterschied und 25 Kilometern durch hochalpines Terrain führt, zu vermeiden.

Unweit des Campingplatzes befindet sich auch der Einstieg zu den „Hunlen Falls“ und dem „Turner Lake“. Wer dort nicht übernachten möchte, braucht entweder einen Allradler oder ein Wasserflugzeug, denn die 16 Kilometer zu Fuß verlangen etwa zehn Stunden. Der Beginn des Pfades liegt 11 Kilometer vom Highway 20 entfernt an einem Parkplatz, doch lässt die, den Trail begleitende raue, enge und kurvige Straße nur Geländefahrzeuge bestehen, während der Stillwater Lake im Tal die letzte Möglichkeit ist, die Trinkflaschen vor dem Turner Lake noch einmal zu füllen. Danach quält sich die Piste mit 78 „Switchbacks“ sechshundert Meter höher, um die Sechs-Seenkette des ursprünglichen Turner Lakes zu erkunden. Zu Fuß wird, nach fünf bis sechs Stunden und moderaten 12 Kilometer durch Pinienwald, am Ptarmigan Lake auch alpines Gebiet, und am Nordende des Sees ein Campground erreicht. Die eleganteste und schönste Lösung ist jedoch, die Flight-Seeing-Charter Tour in die Rainbow Mountains und zum Monarch Eisfeld mit einem sechzigminütigem Stopp an den Hunlen Fällen zu verbinden, denn wandern kann man anschließend immer noch.

Nach drei Tagen verabschieden wir uns vom „Atnarko Camping“, fahren weiter Richtung Westen, passieren nach 17 Kilometer den „Fisheries Pool Campground“ und kurz dahinter den neu geborenen Bella Coola River. Fünf Kilometer weiter macht halt, wer den „Mackenzie Grease Trail“ zum Ziel hat, und dabei das teils sehr steile Gelände durch echtes Bärenland nicht fürchtet. Über die Brücke des „Burnt Bridge Creek“ führt der kurze „Valley View Trail“ zu einem schönen Aussichtspunkt, als auch der „Mackenzie“ ins Innere des Tweedsmuir, wo Octopus Lake, Rainbow- und Dorseys Hütten als zentrale Wegekreuzungen gelten und der Pfad am Fraser River dort endet, wo Mackenzie einst an Land ging. Der Tourist wandert hier auf historischen Spuren, denn lange vor ihm waren auf diesem alten Handelsweg die Küsten- Indianer mit Fischöl, getrockneten Beeren und Zedernholzprodukten zu ihren Handelspartner unterwegs. In den zeitigen 1900er Jahren wurde dieser Serpentinenpfad über die Westschulter des Burnt Bridge Canyons zum Fish Lake als Packtrail immer beliebter und trug im Tal schon bald den Namen „Burnt Bridge Grease Trail“, der damit auf das Fett des Fischöls anspielte. Der moderne Tourismus hielt den Namen „Mackenzie Trail“ parat, und als Grease Trail könnte man auch den Ulkatcho Summer Trail (auch Slough Grass Trail genannt) bezeichnen, denn auch dort waren die Indianer mit Fischöl unterwegs. Mit dem „Mackenzie“ hat er aber genau so wenig zu tun, wie sein Namensgeber, der hier nie unterwegs war, sondern im „Tweedsmuir“ über alpines Gelände ging. Ab Burnt Bridge Creek ist der Trail daher auch nicht als „Mackenzie“ ausgeschildert, sondern auf den kleinen, an Bäumen befestigten Metallschildern steht „Nuxalk-Carrier-Route“, denn es waren diese Indianer, die hier mit Fischöl unterwegs und ein Zweig derer waren, die heute zu Bella Coola leben. Die Ulkatcho, Kluskus und Nazko, die Mackenzie auf seinem Weg entlang des „Blackwater Rivers“ traf, gehörten jedoch zu den „Southern Carriers“. Erhebliche Namensprobleme und Verwechslungen gab es aber nicht nur mit diesem Trail, sondern auch mit dem großen Fraser-Zufluss nordwestlich von Quesnel. Die „Locals“ nannten ihn Blackwater, weil er sich durch den oberflächlichen Basalt des Fraser-Nechako Plateaus grub. Mackenzie taufte ihn auf „West Road“, und die Indianer hatten, je nach Abschnitt, gleich mehrere Bezeichnungen für ihn parat. Heute sind der West road- und der Natzko River zwei seiner wichtigsten Zuflüsse.

Die letzten Schritte, um Kanada „von See zu See“ über Land zu durchqueren, hatte Alexander Mackenzie auf seinem langen Weg am „Burnt Bridge Creek“ getan. Aufgebrochen war er im Frühling 1793 von Montreal zum Athabasca Lake in Nordalberta, um von dort mit seiner Crew, zwei indianischen Jägern und lokalen Führern, eine Route zum Pacific zu suchen. Als die Rocky Mountains hinter ihnen lagen paddelten der Forscher und sein Team den Fraser abwärts, wo sie unterhalb des heutigen Prince George auf Carrier-Indianer trafen, die die Mackenzie-Mannschaft auf einem Grease Trail zum Bridge Creek, der heutigen Westgrenze des Tweedsmuir Parks, führten. Die kleine Ansiedlung, in der die Gäste campten, und die sich dort befand, wo der Burnt Bridge Creek in den Bella Coola River fließt, nannte der Forscher wegen seiner gastfreundlichen Nuxalk-Bewohner „Friendly Village“. Von dort ruderten ihn die Indianer weiter durch den „North Bentinck Arm“ des Burke Kanals zum „Dean Channel“, wo die Expedition übernachtete, und der Explorer im Gestein nordöstlich von Ocean Falls – heute ist dieser Ort als „Mackenzie Felsen“ bekannt – seine Botschaft hinterließ. Mit einer Paste aus Zinnober und Fett geschrieben teilt er mit, dass er am 22.7.1793, aus Kanada über Land kommend, hier gewesen ist. Damit war Alexander Mackenzie der erste Nicht-Eingeborene, der den Nordamerikanischen Kontinent durchquert hatte, und auf einem viertausend Jahre alten Pfad unterwegs gewesen war. Später wurden seine Worte eingemeißelt und der Ort zum „Park“ erklärt, dessen Gebiet etwa fünf Hektar erfasst und keinerlei Ausstattung besitzt. Wegen eines Disputes zwischen den Nuxalk- und den an der Küste lebenden Heiltsuk-Indianern konnte Mackenzies Team den Weg nicht bis ans offene Meer fortsetzen, doch sah Mackenzie seine Mission dennoch als beendet an, denn über diesen Meeresarm war das „Westliche Meer“ nur noch einen Steinwurf entfernt. Warum aber schrieb der Forscher, der zwölf Jahre vor der wesentlich bekannteren Expedition von Lewis und Clark an diesem Felsen stand, dass er aus Kanada kam, obwohl es 1793 noch kein Kanada von Ozean zu Ozean gab? Damals existierten lediglich ein „Upper“ und ein „Lower“ Kanada, die etwa den heutigen Provinzen Ontario und Quebec entsprachen, während der Nordwesten des amerikanischen Kontinents von England und Amerika gemeinsam genutzt wurde, größtenteils noch nicht erkundet war, und die maritimen Kolonien Nova Scotia, New Foundland und New Brunswick als Acadia bekannt waren.

Mackenzie, der bei der in Montreal ansässigen Northwest Company unter Vertrag stand und 1788 von seinem Arbeitgeber ins Fort Chipewyan am Athabasca See in die absolute Wildnis versetzt wurde, war vom Gedanken der North-West-Passage ebenso fasziniert, wie so viele vor ihm, die schon in den Geschichtsbüchern standen. James Cook war 1778 am weitesten gekommen, doch hatten auch ihm die Eismassen am 17. Breitengrad den weiteren Weg versperrten, so dass dieser Seeweg noch immer nicht gefunden war. Und es sollte noch bis 1906 dauern, als Roald Amundsen die Durchfahrt schließlich gelang. In den späten 1700ern war zwar die Mündung des Columbia Rivers schon gefunden, und der Engländer George Vancouver kartographierte in Mackenzies historischem Jahr die Gegebenheiten zwischen dem Festland und der Insel Vancouver Island, den Weg durch das nördliche Eis oder die Mündung des heutigen Fraser Rivers kannte man aber noch nicht. Mackenzie hat die begehrte Passage zwar auch nicht gefunden, dennoch gehört auch er, wie David Thompson, zu den ganz großen Pionieren des Westens. Letzterer kam 1784 mit vierzehn Jahren nach Kanada, heuerte bei der Hudson’s Bay Company an und wurde während seiner über zwanzig Jahre im Pelzhandelsgeschäft einer der größten Kartographen seiner Zeit.

Vom Parkplatz fahren wir über die „Burnt Creek Brücke“, lassen damit den Tweedsmuir Provinzpark hinter uns und rollen weiter auf der „20“ durch das Tal nach Bella Coola. Riesige Zedern, kleine Ortschaften, Seen und gletschergespeiste Wasserfälle kennzeichnen die Umgebung. Zum schönsten dieser Fälle biegt man zwischen den Ansiedlungen Firvale und Hagensburg gleich hinter der Brücke über den Nusatsum River nach links in die gleichnamige Forststraße ab, um sich dann auf Schusters Rappen den freien Blick auf die etwa 900 Fuß hohen „Edelgard Falls“ zu erwandern, wo der Little Sur River breitflächig über die Felsen stürzt. Nach diesen Blicken laufen wir zurück zum Wohnmobil und fahren die restlichen 20 Kilometer weiter nach Bella Coola. Vorher passiert man noch Hagensborg, das in den 1890er Jahren von einigen „Minnesota-Norwegern“ gegründet wurde, weil sie diese Landschaft an ihre Heimat erinnerte. Der Tourist interessiert sich hier aber eher für die Coast Mountain Lodge, die auch Freizeitangebote wie Rafting, Grizzly Baer- und Wildlife Viewing, Wandern oder Zodiak-Touren im Programm hat.

Bella Coola, am North Bentinck Arm des Burke Channels gelegen, wo Tal und Highway enden und der offene Pazifik noch 100 Kilometer entfernt ist, befindet sich im Herzen der Zentralküste, an der sich schneebedeckte Berge, enge Täler, Fjorde und Tausende von Inseln ausbreiten. Die von den BC-Ferries etablierte „Discovery Coast Passage“, auf der die beiden Fährschiffe „Queen“ und „Chilliwack“ unterwegs sind, verbindet den Ort mit Port Hardy am nördlichen Ende von Vancouver Island. Für die schöne Route, die auch Bella Bella, Shearwater, Klemtu und das regenreiche Ocean Falls bedient, muss man aber unbedingt den Wettergott auf seiner Seite haben, um die Schönheiten dieser Natur erleben zu können. In Bella Bella gibt es Anschluss an die berühmte „Inside Passage“, deren Schiffe in der Regel aber nur einmal pro Woche dort festmachen, so dass ein Blick in die Fahrpläne wichtig wird, wenn dieser Anschluss zur persönlichen Reiseroute gehört.

Bella Coola, eine der ältesten Indianeransiedlungen, macht eher einen ärmlichen Eindruck und beherbergt hauptsächlichst die „Coast Salish Nuxalk First Nation“, bietet aber mit der Tweedsmuir Park Lodge eine hervorragende, rustikale und gemütliche Wilderness-Bleibe mit allem Luxus, die zwar zum Ort gehört, aber zwischen dem Pass und Hagensborg innerhalb des Tweedsmuir Parks zu finden ist. Ihre Zufahrt findet man kurz hinter den „Atnarko Spawning & Rearing Channels“, wo sie nach links als „Corbould Drive“ abbiegt. Es ist ein wunderschöner Ort, an dem man einen ganzen Urlaub verbringen könnte. Die Bären kommen hier zwar direkt bis auf den gepflegtem Rasen vor die Terrasse, doch gibt es auch geführte Bären- und Wandertouren, als auch Heli-Hicking, Fly Fishing oder Bird Watching. Aber nicht nur hier lässt sich die Natur mit vollen Händen greifen, sondern die gesamte Umgebung ist ein Ort für Fotographen, Maler, Träumer, Wanderer und sonstige Touristen. Um all diese Ziele zu finden und ohne Risiken zu verwirklichen, bedarf es in der Regel jedoch eines Guides, mit oder ohne Jeep, Boot oder Wasserflugzeug. Massive Felsen, direkt und steil aus dem Wasser strebend, heiße Quellen, wunderschöne Fjorde, Gletscher und Eisfelder; Allradpisten, Wanderwege und solche für Mountainbiker, oder Charterbootanbieter, die auf mehr als 400 Kilometer geschützten Inlandswasserwegen auch mehrtägige Rundtouren anbieten, sind einige der Möglichkeiten; Kajak-Touren, Fischen oder Walbeobachtungen wären andere. Für diese wird vor Ort „Denny Island“ empfohlen, während in der „Fjordland Recreation Area“ – nordwestlich von Ocean Falls – die Freunde tiefer Fjorde und hoher Wasserfälle auf ihre Kosten kommen. Noch etwas nördlicher sind auch die sehr seltenen Kermode Bären, eine weiße Version der Schwarzen, als Rarität zu Hause. Ohne Guide mit Wasserflugzeug geht das auf beiden Inseln jedoch nicht, und dann braucht man auch noch ein wenig Glück, um ihnen zu begegnen. Möglich wird die Begegnung mit den „Weißen oder Spirit-Bären“ auf der unbewohnten und 2.251 Quadratkilometer großen Insel „Princess Royal Island“ oder, nördlich von ihr und dem Greenville Channel, auf dem kleinen Gribbell Island. Hier bietet der „Great Bear Rainforest“ auf mehr als der Fläche der Schweiz einen einzigartigen Lebensraum, in dem auch Wölfe zu Hause sind und uralte Bäume die Szenerie beherrschen.

Eigentlich wollten wir jetzt noch zum Atnarko River, um mit Stefan Himmer, dem für diese Region zuständigen Bärenbiologen, auf Grizzly-Tour zu gehen, doch der Fluss hat noch zu viel Wasser und ist für diese Vierbeiner zu tief. Schade, aber es lässt sich nicht erzwingen, und bis September, an diesem Fluss die beste Zeit, können wir nicht warten. Damals haben wir für uns persönlich noch angefügt, dass es irgendwann mit den Grizzlys schon noch einmal klappen wird, hier oder anderswo, damit sich auf der Rückfahrt kein trauriger Gedanke einschleichen konnte. Und, wenn auch erst 2010 und in Alaska, hat sich dieser Wunsch ja auch noch voll erfüllt. Für heute aber heißt es Abschied nehmen, und in umgekehrter Richtung zurück über „den Hill“, denn so nennen die Bewohner des Tales den Heckman-Pass dort, wo er über den Küstengebirgszug klettert. Und bergauf fahren wir auch nicht hart am Fels, sondern scharf an der ungeschützten Schlucht entlang, an Anahim Lake und Kleena Kleene vorbei, und erreichen nach etwa 260 Kilometern den Abzweig zum „Puntzi Lake“, bei Anglern und Campern wegen seiner Freizeitanlagen sehr beliebt, gerade noch rechtzeitig. Die Zufahrt, fünf Kilometer Schotterstraße, war kein Problem, und der von Wald und See eingerahmte Platz ist ein sehr schöner. Wegen der berühmten Kokanee Lachse dieses Gewässers, die einen ganz besonders guten Geschmack haben sollen, haben wir diesen Campground aber nicht angesteuert, sondern wegen der hereinbrechenden Dunkelheit. Außerdem hatten wir gestern Abend noch einen ordentlichen „Verwandten“ auf dem Grill, und heute Mittag den Rest von ihm mit Nudeln in der Pfanne, und im Tiefkühlfach fährt auch noch einer mit.

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
22 Dezember 2023
Umfang:
698 S. 48 Illustrationen
ISBN:
9783957444042
Rechteinhaber:
Автор
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