Der grüne Bogenschütze

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13

Spike Holland war sehr mit dem Vorschlag seines Redakteurs einverstanden, zu John Wood nach Wenduyne zu fahren und ihn zu überreden, eine Artikelserie über Kinderfürsorge zu schreiben. Spike hatte den lebhaften Wunsch, den Mann wiederzusehen, der so außerhalb der Welt und ihrem ewigen Kampf ums Dasein stand.

Er verließ London mit dem ersten Zug nach dem Festland und brachte fünf ungemütliche Stunden auf der kalten und unruhigen See zu. Er war eigentlich nicht deshalb gereist, um die Artikelserie für die Zeitung zu sichern, denn Wood hatte ihm seine Zustimmung darüber schon früher ausgedrückt. Der eigentliche Grund war die Hoffnung, noch einiges über Abel Bellamy zu erfahren. Es war merkwürdig, daß man so wenig Nachrichten über den alten Mann bekommen konnte. Spike hatte den Eindruck, daß dieser Menschenfreund ihm sehr viel hätte mitteilen können. Die Schroffheit, mit der Wood damals so plötzlich das Gesprächsthema änderte, als er Bellamys Namen erwähnte, gab ihm diese Gewißheit.

Spike war froh, als er in Ostende wieder festen Boden unter den Füßen fühlte. Er mußte eine halbe Stunde auf dem Bahnhofsplatz warten, bis die Bahn kam, die den Dünen entlang nach der holländischen Grenze fuhr, und er fühlte sich glücklich, als er in einem Abteil erster Klasse saß. Es regnete ziemlich heftig, und ein rauher Wind fegte über den verlassenen Platz. Spike war häufig in Belgien gewesen und kannte diesen traurigen Weg gut genug, der durch die Dünen führte. Das Dörfchen Le Coq war ein öder Platz, aber Wenduyne hatte das Aussehen einer Stadt, eines Seebades, das hauptsächlich im Sommer besucht wird. Es lag jetzt verlassen da, nur ein fröstelnder Polizist stand in dem gedeckten Warteraum der Bahn und sah ihm neugierig zu, als er sich gegen den starken Nordwestwind mit Mühe zu der steilen Böschung emporarbeitete, die zu der Strandpromenade führte.

Der Strand war verlassen, und die Fassaden der schönen Villen waren mit Brettern verschlagen. Große Sandhaufen lagen über der vernachlässigten Strandpromenade. Es war gerade Flut, und die großen Wogen der stürmischen See brandeten heftig gegen die Uferbefestigung, als er schnell den Weg entlangging. Er hatte seinen Mantel bis zum Kinn zugeknöpft. Schließlich stand er vor dem Haus Nr. 94.

Eine hohe Villa mit schmaler Frontseite erhob sich vor ihm. Die kleine Säulenhalle und der Eingang waren hinter einer grauen Bretterschutzwand verborgen, nur eine Tür war sichtbar. Er klopfte, aber es meldete sich niemand. Er klopfte noch einmal lauter.

Als er es zum drittenmal ohne Erfolg versucht hatte, ging er um das Gebäude herum, um vielleicht auf der Rückseite Einlaß zu finden.

Gleich nach seinem Klopfen erschien eine behäbige, ältere Frau mit einem leichten Anflug eines Schnurrbarts. Sie schaute ihn etwas unsicher an.

»Wie ist Ihr Name? Monsieur empfängt nicht,« sagte sie französisch.

»Ich werde erwartet, ich habe mich telegraphisch angemeldet.«

Die Frau wurde plötzlich freundlicher.

»Ja, ich weiß, wollen Sie bitte mitkommen?«

Sie führte ihn eine Flucht von Treppenstufen hinauf, die nicht einmal mit einem Teppich belegt waren, und klopfte an eine Tür. Er hörte drinnen eine Stimme, und sie ging vor dem Besucher hinein.

Spike sah sich in einem im Verhältnis zu seiner Länge und Höhe schmalen Raum, dessen eine Wand mit Teppichen behängt, während die andere ganz mit Bücherregalen verstellt war. Zwei silberne, elektrische Armlampen verbreiteten ein helles Licht, denn die einzige natürliche Lichtquelle war ein buntes Glasfenster hinten an der Schmalwand am anderen Ende des Raumes.

John Wood saß an einem großen, mit Goldbronze beschlagenen Schreibtisch, als Spike eintrat. Er erhob sich und legte die Feder nieder.

»Sind Sie trotz des bösen Wetters gekommen? Sie sind ein tapferer Mann. Nehmen Sie bitte Platz, Mr. Holland. Und bevor Sie mich fragen, will ich Ihnen schon sagen, daß ich die Artikelserie gerne schreibe, die Sie in Ihrem Telegramm erwähnten. Es ist mir sehr lieb, daß ich dadurch wieder mehr in der Öffentlichkeit bekannt werde, um meine Pläne durchzusetzen, und ich mache ganz rücksichtslos für mich Reklame.«

Sie besprachen noch ein paar Einzelheiten über Länge und Inhalt der Artikel, während die dicke Frau mit dem Schnurrbart Wein, Kaffee und Bisquits servierte.

»Wie ruhig und friedvoll haben Sie es doch hier,« sagte Spike neiderfüllt. »Ich dachte, es wäre eine Marotte von Ihnen, im Winter in Wenduyne zu leben. Aber wie geeignet ist dieser Platz doch zum Schreiben!«

John Wood lächelte.

»Ich möchte Sie nicht mit nach oben nehmen, um Ihnen die Ruhestörer zu zeigen. Sie schlafen jetzt gerade.«

»Haben Sie denn Kinder hier?« fragte Spike erstaunt.

Wood nickte.

»Dreißig, drei große Säle voll!« Er zeigte auf die Treppe, die zu dem oberen Teil des Gebäudes führte. »Ich habe nur die gesunden Kinder hier, das Sanatorium liegt auf der anderen Seite der Stadt.«

Sie sprachen noch eine ganze Stunde lang über kleine Kinder. Mr. Wood schien überhaupt über nichts anderes reden zu wollen.

»Ich glaube, Sie wissen viel mehr über Abel Bellamy, als Sie mir sagen. Sie scheinen ihn nicht sehr zu lieben?«

Mr. Wood spielte mit einer goldenen Panfigur, einer kleinen, wunderschönen Statuette, die auf seinem Schreibtisch stand.

»Ich weiß genug von ihm, um ihn an den Galgen zu bringen,« sagte er, ohne den Blick zu erheben.

Spike hörte verwundert zu.

»Sie wissen genug, um ihn an den Galgen zu bringen?« wiederholte er. »Das ist doch wohl etwas viel gesagt.«

Wood sah ihm jetzt ins Gesicht.

»Mag sein, daß es gewagt ist. Aber ich spreche ja im Vertrauen mit Ihnen.«

Spike war gewöhnlich nicht sehr entzückt, wenn jemand ihm Mitteilungen unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit zukommen ließ, aber jetzt war er begierig, auch Nachrichten zu sammeln, die er nicht veröffentlichen durfte.

»Ich habe absolut keine Beweise, aber trotzdem weiß ich genug, daß man das Urteil über ihn sprechen könnte. Ich will nicht sagen, daß man ihn nur auf meine Aussage allein hin hängen kann; das Gesetz ist sehr vorsichtig in England, wenn die Todesstrafe in Betracht kommt.«

»Sicher handelt es sich um ein Kind,« meinte Spike. »Obwohl ich nicht behaupten will, daß Sie kein Herz für Erwachsene haben oder sich nicht über die Ermordung irgendeines fetten Mannes aufregen würden, schließe ich doch aus Ihren Worten, daß ein Kind im Spiel war.«

»Ja, er hat ein Kind umgebracht, ein Kind, an das ich mich dunkel erinnere. Ob er oder einer seiner Helfershelfer dafür verantwortlich ist, weiß ich nicht. Er haßt Kinder. Ich bin neugierig, ob Sie mein Telegramm ernst nehmen, in dem ich Sie fragte, ob Bellamy sich für kleine Kinder interessiert? Es war ein grimmiger, vielleicht ein törichter Scherz. Ich sandte es Ihnen aus dem Impuls des Augenblickes heraus. Abel Bellamy würde lieber seinen letzten Dollar in die See werfen, als einem Kind auch nur mit ein paar Cent helfen!«

»Können Sie mir nicht erzählen, was er getan hat – war es in Amerika?«

»Ja, in Amerika, vor vielen Jahren. Aber ich fürchte, daß ich schon zuviel gesagt habe. Früher oder später werde ich auch die Beweise dafür in der Hand haben. Zwei Leute arbeiten schon seit zwei Jahren in meinem Dienst auf Grund der Angaben, die ich machen konnte. Einer lebt in London, der andere in Amerika.«

»Er hatte einen bösen Streit mit dem Vormundschaftsgericht in Amerika?«

»Ich weiß um die Geschichte, aber das hat nichts mit dem Fall zu tun, den ich meine. Es war auch noch eine andere Geschichte in den Staaten. In New York hätte er auch beinahe einmal einen Bureaujungen umgebracht – er warf ihn eine hohe Steintreppe hinunter. Ich kenne die öffentlichen Akten Mr. Bellamys sehr genau, aber ich bin hinter seinen geheimen Privatakten her, die ich gerne ausfindig machen möchte. Der Mann ist ein brutaler Mensch. Aber er hat sich nicht allein gegen Kinder vergangen, einmal mußte er sogar fünftausend Dollar bezahlen, nur um eine Klage beizulegen, die sein Kammerdiener gegen ihn erhob. Seit der Zeit hält er sich keinen mehr.«

»Unser Herrgott hat merkwürdige Geschöpfe geschaffen,« meinte Spike.

»Und der Teufel noch schlimmere,« erwiderte John Wood. Sein schönes Gesicht verdüsterte sich. »Er machte manche Menschen zu Tieren.«

Spike stellte jetzt endlich die Frage, die er sich schon auf der ganzen Herreise überlegt hatte.

»Glauben Sie, daß der Grüne Bogenschütze eins seiner Opfer ist?«

John Woods Stirn glättete sich.

»Viele Leute glauben,« sagte er etwas spöttisch, »daß der Grüne Bogenschütze die Erfindung eines gewissen Zeitungskorrespondenten ist – es wäre unhöflich, seinen Namen Ihnen gegenüber zu nennen!«

»Ich wäre glücklich, wenn ich der Verfasser einer Geschichte wäre, die ganz England zum Besten hielt,« gestand Spike. »Aber unglücklicherweise trägt der Grüne Bogenschütze selbst die Verantwortung dafür.«

Nun erzählte er die Begebenheit von dem letzten Erscheinen des Bogenschützen, und John Wood fragte ihn genau nach allen Einzelheiten aus.

»Wer sah denn das ›Gespenst‹ mit Ausnahme von Abel Bellamy?«

»Niemand, vielleicht hat er die ganze Sache selbst ausgedacht.«

»Das scheint mir nicht sehr wahrscheinlich.« John Wood schüttelte den Kopf. »So raffiniert ist Bellamy nicht, er ist ganz vertiert. Diese Vermutung können Sie ruhig fallen lassen, der Grüne Bogenschütze wird schon wirklich existieren, Wenn Bellamy ihn gesehen hat.«

Sein Gesicht verfinsterte sich wieder und er lehnte sich in tiefen Gedanken in seinen Stuhl zurück. Plötzlich erhob er sich, ging zu einem Geldschrank am Ende des Raumes und öffnete ihn. Einige Zeit blieb er dort stehen, und als er wieder zum Schreibtisch zurückkam, hielt er etwas in der Hand.

 

Spike hatte sich erhoben, um sich zu verabschieden. Er hatte nur wenige Stunden zur Verfügung, und die Besprechung der Artikel hatte viel Zeit gekostet.

»Sehen Sie einmal dies an, Holland.«

Er zeigte ihm einen beschmutzten und verfärbten Kinderschuh aus weichem, weißen Ziegenleder.

»Eines Tages werde ich Abel Bellamy diesen Schuh vor einem amerikanischen Gericht zeigen, wenn man ihn nicht schon vorher überführt – und das wird für ihn ein schrecklicher Tag werden!«

In diesem Augenblick kam die alte Frau wieder in den Raum. Ein breites Lachen lag auf ihrem einfachen Gesicht, und sie trug ein kleines weißes Bündel in ihren Armen.

»Monsieur, der kleine Allemand will nicht schlafen, bevor er Sie gesehen hat.«

Sie hielt ein rosiges kleines Kind mit großen, leuchtenden Augen in ihren Armen, das seinen Kopf John Wood zuwandte und den kleinen, nassen Mund zu einem vergnügten Gurgeln öffnete.

Der Wechsel, der mit Wood vorging, war erstaunlich. Seine düstere Stimmung schien wie weggeblasen, und der Frohsinn und die Freude, die ihm sonst eigen waren, zeigten sich wieder in seinen Gesichtszügen, als er die Arme ausstreckte, um das Kind zu nehmen.

»Hier ist ein Kleinod meines Schatzes, Holland, das kostbarer ist als die Millionen Bellamy's!«

Er hatte seine Wange an das Gesicht des kleinen Kindes gelegt. Spike sah Tränen in seinen Augen und war überrascht.

Als Spike unten am Hause vorbeiging und wieder gegen den Wind ankämpfte, wandte er sich noch einmal um. Durch das Fenster sah er, daß John Wood das kleine Kind auf die Ecke des Schreibtisches gesetzt hatte. Mit der einen Hand hielt er es fest und mit der anderen zeigte er ihm die goldene Panfigur.

14

Am nächsten Morgen wurde Julius von seinem Herrn etwas sonderbar begrüßt. Mr. Bellamy war in den frühen Stunden nie in guter Stimmung und ließ seine schlechte Laune aus, indem er über alles schimpfte.

»Lassen Sie sich bloß nicht vor meinen Hunden sehen!« sagte Abel zu Savini. »Sie wären nur ein schmaler Bissen für Sie!«

Julius Interesse war erwacht, obgleich er sich nicht recht wohl dabei fühlte. In dem Schloß gab es keine Hunde, denn Bellamy liebte keine Tiere um sich. Aber sein Herr erklärte ihm die Suche bald.

»Ich habe zwei Polizeihunde gekauft, die von heute nacht an die Halle unten und den Korridor bewachen werden. Wenn Sie meinem Rat folgen, bleiben Sie morgen früh in Ihrem Zimmer, bis ich aufgestanden bin.«

Später bekam Julius die Hunde auch zu Gesicht – es waren unfreundliche, große, wolfsartige Tiere, die mit Ausnahme Bellamys niemand an sich herankommen ließen. Abel fürchtete sich nicht im geringsten, und die Hunde schienen ihn auch sofort als ihren Herrn anzuerkennen.

»Streicheln Sie die Tiere einmal,« sagte Abel. »Seien Sie doch nicht so ängstlich!«

Savini streckte nervös seine Hand nach dem Hund aus, der ihm am nächsten stand, aber er sprang sofort furchtsam beiseite, als der Hund Miene machte, nach seiner Hand zu schnappen.

»Sie sind feige, und er weiß, daß Sie sich fürchten. Komm her du!« Bellamy schnappte mit den Fingern. Der Hund kam zu ihm, wedelte mit dem Schweif, setzte sich und hob den klugen Kopf zu seinem Herrn.

»Der Mann, der sie mir verkaufte, erklärte, daß es mindestens einen Monat dauern würde, bevor sie mir gehorchen. Aber er hat unrecht. – Sagen Sie einmal, das Haus dort ist ja vermietet,« fuhr er fort, indem er plötzlich auf ein anderes Thema übersprang. »Wie heißt es doch?«

»Meinen Sie Lady's Manor?« fragte Julius überrascht.

Bellamy nickte.

»Ich bin leider fünf Minuten zu spät gekommen beim Agenten, ich erfuhr es, als ich heute morgen telephonierte. Wissen Sie etwas darüber?«

»Nein, das ist das erste, was ich davon höre. Wer ist denn der neue Mieter?«

Abel Bellamy schüttelte den Kopf.

»Ich weiß es nicht, kümmere mich auch nicht darum. Warum konnten die Leute nicht irgendwoanders hingehen?«

Später am Nachmittag begleitete ihn Julius, als er auf dem breiten, von Bäumen eingefaßten Weg einen Rundgang durch das Grundstück machte.

»Ich vermute, das ist das Haus,« sagte Bellamy und zeigte mit seinem Stock auf ein niedriges, massives, graues Gebäude, dessen Dach und Kamine über die hohe Mauer ragten, die seinen Park umgaben. »Ich habe das Haus früher einmal besichtigt, aber ich wollte es nicht kaufen. Sagen Sie, ist das eine Tür dort in der Mauer?«

»Es sieht so aus. Früher bestand wahrscheinlich eine Verbindung zwischen der Burg und Lady's Manor. Es war ein Witwensitz.«

Es zeigte sich, daß es eine ganz altertümliche Tür war. Ihre dicken Eichenbohlen waren mit starken Eisenplatten beschlagen, aber sie schien seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden zu sein. Der Eisenbeschlag war verrostet, und die Tür war fast ganz mit Efeu überwachsen. Man hätte mindestens einen Tag arbeiten müssen, um den Eingang wieder freizulegen. Aber das beruhigte Bellamy nicht.

»Holen Sie einen Maurer vom Dorf und lassen Sie die Tür zumauern,« sagte er. »Ich wünsche nicht, daß fremde Leute in meinem Grundstück umherspionieren. Denken Sie daran, Savini!«

Julius machte sich eine Notiz, und noch am selben Nachmittag kamen zwei Leute aus dem Dorf, rissen die Efeuranken von der Tür, schnitten die Zweige und Sträucher ab und begannen die Türöffnung zuzumauern. Als Valerie Howett, die einen Rundgang in dem verwilderten Garten ihres neuen Wohnsitzes machte, das Klopfen der Maurerkellen gegen die Steine hörte, vermutete sie, was auf der anderen Seite des verfallenen Tores vor sich ging.

Lady's Manor hatte sie in vieler Hinsicht überrascht. Eine genaue Besichtigung hatte ergeben, daß das Innere nur wenig Reparaturen brauchte. Alle Räume waren mit schönen, alten Holzpaneelen überzogen, die Decken waren getäfelt, und das Holzwerk brauchte nur neu poliert zu werden. Nur an einem der schön eingelegten Parkettböden war eine größere Ausbesserung nötig. Zu ihrer größten Freude stellte Valerie fest, daß man die neue Wohnung gleich beziehen konnte, und sie faßte auch den Entschluß, den Umzug sofort zu bewerkstelligen.

Der gutmütige Mr. Howett gab seine Einwilligung, und noch bevor die Handwerker das Haus verlassen hatten, fuhren große Möbelwagen in langer Reihe durch die ruhigen Straßen von Berkshire und bogen in die Torfahrt von Lady's Manor ein.

Eines Morgens sah Abel Bellamy von dem Fenster seines Schlafzimmers aus, daß über den Bäumen des Parks aus der Richtung von Lady's Manor Rauch aufstieg. Er schimpfte und fluchte. In den letzten Tagen stand er früher auf, weil seine Diener die oberen Räume nicht mehr betraten, bis die Polizeihunde an die Kette gelegt waren. Diese neuen Wächter trieben sich in der ganzen Burg herum, und Julius hörte nachts öfter ihre leisen Tritte auf den fliesenbelegten Korridoren und zitterte vor Furcht. Die Anwesenheit der Tiere hatte auch einen gewissen Erfolg, denn seitdem sie die Burg bewachten, war nichts mehr vom Grünen Bogenschützen zu sehen.

Mr. Bellamy fiel eine Überschrift im »Daily Globe« auf:

»Polizeihunde bewachen den Millionär aus Chicago vor dem gespenstigen Bogenschützen.«

Er brummte ärgerlich vor sich hin, aber er hatte sich schließlich damit abgefunden, in der Öffentlichkeit bekannt zu sein. Er hatte eine Abneigung gegen Spike Holland, aber er unternahm doch nichts, um sich an ihm zu rächen, obwohl er in den vergangenen Tagen Zeitungsleuten schon aus geringeren Anlässen übel mitgespielt hatte. Obendrein hatte Spike Holland noch die Kühnheit, sich an dem Tage nach seiner Rückkehr von Belgien beim Pförtner von Gurre Castle zu melden und Einlaß zu verlangen.

»Sagen Sie ihm,« fuhr Bellamy am Telephon erregt auf, »daß ich die Hunde auf ihn hetzen werde, wenn er der Burg irgendwie zu nahe kommt!«

»Er möchte Ihnen eine Mitteilung über Creager machen, der neulich ermordet wurde.«

»Ich brauche keine Mitteilungen!« brüllte Bellamy und hängte wütend den Hörer an.

Kurz darauf machte er wieder eine seiner ruhelosen Wanderungen durch den Park. Plötzlich stand er wie vom Blitz getroffen still. Zorn und Verwunderung packten ihn, denn der rothaarige Reporter spazierte seelenruhig über den Rasen. Er hatte eine Zigarre im Munde und die Hände in den Hosentaschen. Gelassen nahm er eine Hand aus der Tasche und grüßte wohlwollend zu dem bestürzten Bellamy hinüber.

»Wie sind Sie denn hier hereingekommen?«

»Über die Mauer,« erwiderte Spike strahlend.

Bellamys Gesicht wurde noch eine Schattierung dunkler.

»Dann machen Sie sofort, daß Sie wieder über die Mauer hinüberkommen,« sagte er barsch. »Sie haben kein Recht, sich hier aufzuhalten! Sie Strolch! – Vorwärts marsch!«

»Sehen Sie einmal, Mr. Bellamy, es hat gar keinen Zweck, hier einen großen Spektakel zu machen. Ich bin nun einmal hier, und Sie können mich doch erst einmal anhören.«

»Ich will nichts hören – machen Sie, daß Sie fortkommen!«

Bellamy ging auf den Reporter zu, der nicht den geringsten Zweifel über seine Absichten hatte.

»Ich glaube, es ist aber besser, daß Sie mir mal zuhören,« sagte Spike ruhig und wich keinen Zoll zurück. »Die Polizei hat nämlich die Kopie eines Briefes gefunden, den Creager über einen gewissen Mann namens Z. an Sie schrieb, und man ist nun sehr begierig, das Jahr festzustellen, in dem der Brief geschrieben wurde und wer dieser Mr. Z. ist.«

Plötzlich änderte sich Bellamys Benehmen.

»Ein Brief, der an mich geschrieben sein soll,« fragte er ungläubig. »Hat denn dieser Esel – hat denn der Abschriften von seinen Briefen gemacht?«

Spike nickte.

»Man fand über hundert Abschriften von Briefen in seinem Schreibtisch. Ich vermute, daß er das immer so gehalten hat.«

Abel Bellamy dachte einen Augenblick nach, dann sagte er plötzlich:

»Kommen Sie mit mir ins Haus.«

Spike folgte ihm triumphierend und hoch erhobenen Hauptes.

15

»Nun erzählen Sie mir einmal alles, was mit der Sache zusammenhängt. Woher wissen Sie denn überhaupt etwas von dem Brief?«

»Ich war gerade dabei, als er gefunden wurde. Die Polizei hätte ihn tatsächlich achtlos beiseite gelegt, wenn ich nicht darauf aufmerksam gemacht hätte.«

»So, die hätten das übersehen?« fragte der Alte grimmig.

»Ja, aber ich entdeckte das Schreiben und machte eine Abschrift, bevor der Polizeiinspektor feststellte, daß es ein wichtiges Schriftstück war.«

Spike nahm ein Notizbuch aus der Tasche, zog einen Bogen Papier heraus, faltete ihn auseinander und legte ihn auf den Tisch.

»Ich will es Ihnen vorlesen,« sagte er dann. »Der Brief trägt kein Datum, und diese Tatsache gab der Polizei zu denken.«

»Mr. Abel Bellamy.

Betrifft Mr. Z. Er befindet sich unter den Gefangenen, die ich zu versorgen habe, und ist ein etwas hitziger Bursche. Ich glaube, daß ich das ausführen kann, was Sie mir bei unserem letzten Zusammensein sagten, aber Sie müssen mich gut bezahlen, denn ich kann dabei meine Stellung verlieren, besonders wenn die Sache schief geht und ein anderer Wärter mich sehen würde. Auch kann das sehr unangenehm für mich werden und es ist auch möglich, daß ich mich dabei schwer verletzte. Deshalb muß ich wissen, was dabei für mich herauskommt. Ich mag Z. nicht leiden, er ist mir zu schlau und zu geschwätzig, und ich hatte auch schon in letzter Zeit gewisse Unannehmlichkeiten mit ihm. Wenn Sie sich weiter mit der Sache befassen wollen, können Sie mich dann morgen sprechen? Ich gehe auf Urlaub und werde bei meinen Verwandten in Henley wohnen. Wenn es Ihnen paßt, können Sie mich dort sprechen.

(gez.) J. Creager.«

Abel Bellamy las den Brief zweimal, faltete ihn dann wieder und gab ihn zurück.

»Ich kann mich nicht darauf besinnen, ihn bekommen zu haben. Ich weiß nicht, wer dieser Z. sein sollte. Ich habe Creager nur für Dienste Geld gezahlt, die er mir persönlich erwies.«

Sein Ton war äußerst höflich und milde, obwohl Spike sah, daß er sich nur mit größter Mühe beherrschen konnte.

»Aber er hat Ihnen doch in Henley das Leben gerettet?« fragte Spike hartnäckig. »Es ist doch merkwürdig, daß er vorher schon mit Ihnen ausgemacht hat, Sie dort zu treffen. Hat er vielleicht auch schon gewußt, daß Sie dort in den Fluß fallen würden?«

 

»Ich verbitte mir Ihre Unverschämtheiten, Holland,« fuhr Bellamy plötzlich auf. »Sie haben jetzt alles von mir gehört, was ich Ihnen sagen kann. Was diesen Brief betrifft, so ist es noch gar nicht ausgemacht, daß er überhaupt an mich geschickt wurde. Möglicherweise ist es eine Fälschung von Ihnen, die Sie zwischen die anderen Papiere gelegt haben. Was hatten Sie denn eigentlich bei der polizeilichen Untersuchung von Creagers Haus zu tun?«

Spike legte den Brief in sein Notizbuch zurück.

»Was ich dort tat?« wiederholte er. »Nun, ich war eben zufällig dort. Haben Sie mir weiter nichts zu diesem Brief zu sagen, Mr. Bellamy?«

»Nichts weiter. Ich habe ihn niemals bekommen, ich weiß überhaupt nichts von dem Menschen, der darin erwähnt ist. Ich wußte nicht einmal, daß Creager ein Gefängniswärter war, bis ich es im ›Globe‹ las, der jetzt mein Leib- und Magenblatt geworden ist,« fügte er sarkastisch hinzu. Spike grinste.

»So, der Punkt wäre besprochen,« sagte er. »Haben Sie neue Nachrichten von Ihrem Geist?«

»Na, Sie erfahren doch so etwas immer früher als ich,« antwortete Abel. »Alles, was ich von diesem verdammten Grünen Bogenschützen weiß, habe ich doch im ›Globe‹ gelesen. Ich muß sagen, sehr gute Zeitung, ausgezeichnete Informationen. Ich würde eher auf mein Frühstück verzichten als auf die Lektüre des ›Daily Globe‹!«

»Sagen Sie einmal,« meinte Spike seelenruhig, »Sie werden doch nichts dagegen haben, wenn ich mir die Burg einmal ansehe?«

»Da sind Sie aber sehr auf dem Holzweg, Sie können über die Mauer schauen, über die Sie gekommen sind, und je schneller Sie das machen, desto besser.«

Um ganz sicher zu sein, daß sein unwillkommener Besuch sich auch wirklich entfernte, begleitete er ihn nach dem Pförtnerhaus. Der Pförtner machte ein dummes Gesicht, als er Spike sah.

»Diese Mauern sind nicht hoch genug, Savini,« sagte der Alte später, als Spike gegangen war. »Telephonieren Sie, daß jemand aus Guildford kommen und Stacheldraht oben auf der Mauer befestigen soll. Und dann, Savini –«

Julius drehte sich an der Tür wieder um.

»Ich habe es Ihnen noch nicht gesagt, aber ich glaube, es wird Ihnen viel Mühe ersparen, wenn ich Ihnen jetzt mitteile, daß eine meiner Ledermappen, in der ich einige meiner Photographien aufbewahre, nicht mehr länger in der Schublade meines Schreibtisches liegt, weil ich sie in meinem Geldschrank eingeschlossen habe. Wenn Sie sie wieder ansehen wollen, kommen Sie doch zu mir und bitten mich, sie für Sie herauszunehmen!«

Julius erwiderte nichts, und er wäre auch nicht imstande gewesen, eine passende Antwort zu geben, selbst wenn ihm der Alte Gelegenheit dazu gegeben hätte.

Bevor Abel Bellamy seine Wohnung in Garre Castle genommen hatte, war die Burg in weitestem Maße renoviert worden. Zahlreiche Handwerker hatten unter seiner persönlichen Leitung fast einen ganzen Monat gearbeitet, um die Änderungen nach seinen Plänen auszuführen. Er war sein eigener Architekt und sein eigener Polier. Er hatte eine neue Wasserleitung, eine elektrische Beleuchtungsanlage und eine Gasheizung anlegen lassen. Mit Ausnahme der Bibliothek befand sich fast in jedem Raum ein Gasofen oder ein Gaskamin, auch hatte er einen großen Gasherd in die Küche einbauen lassen.

Der Gasverbrauch war an dem Tag, an dem Spike der Burg seinen unerlaubten Besuch abstattete, die Ursache beträchtlicher Sorge in dem Gemüt des Hausmeisters Wilks. Die Haushaltrechnungen gingen direkt an Bellamy, aber durch einen Zufall war die Gasrechnung für das Sommervierteljahr bei Wilks abgegeben worden, und er hatte lange darüber nachgedacht, bevor er deshalb mit seinem Herrn sprach.

»Was wollen Sie denn?« fragte Abel, der seinen Angestellten von unten her ansah.

»Die Gasrechnung ist nicht richtig, sie haben uns zuviel angerechnet,« sagte Wilks, der froh war, daß er den Herrn von Garre einmal persönlich sprechen und ihm eine Mitteilung machen konnte, die ihm sicher willkommen war.

»Falsch? Was stimmt denn nicht daran?«

»Sie haben uns eine zu große Rechnung für einen der heißesten Monate im Jahr geschickt, wo der Gasherd in der Küche nicht in Ordnung war und wir Kohlen in der Küche brennen mußten.«

Bellamy riß dem Mann die Rechnung aus der Hand, ohne darauf zu sehen.

»Kümmern Sie sich nicht darum!«

»Aber es ist doch ganz unmöglich, daß wir auch nur tausend Kubikfuß Gas gebraucht haben, und Sie haben uns –«

»Das geht Sie nichts an!« donnerte Bellamy. »Und öffnen Sie die Briefe mit den Rechnungen nicht, das ist nicht Ihr Amt!«

Das schlug dem Faß den Boden aus. Mr. Wilks hatte ein gutes Gehalt, aber er hatte auch viel unter der schlechten Behandlung des ungebildeten Bellamy zu leiden, und seine Geduld war jetzt zu Ende.

»Ich lasse nicht so mit mir reden, Mr. Bellamy,« entgegnete er. »Bitte zahlen Sie mir meinen Lohn aus und lassen Sie mich gehen. Ich bin nicht gewöhnt, daß man –«

»Halten Sie keine großen Reden und machen Sie, daß Sie fortkommen!« Bellamy zog eine größere Banknote aus der Tasche und warf sie auf den Tisch.

»Hier ist Ihr Geld – in einer halben Stunde haben Sie das Haus verlassen!«

Spike war gerade dabei, ein bescheidenes Frühstück in dem einzigen Gasthaus des Dorfes einzunehmen, als er diese überwältigende Neuigkeit erfuhr. Die Entlassung des Hausmeisters war im Dorf Garre ein großes Ereignis von weltbewegender Bedeutung. Man wußte, daß die Beziehungen zwischen Abel Bellamy und seinem Angestellten etwas gespannt waren, und als Mr. Wilks auf der Dorfstraße erschien, hielt man ihn alle Augenblicke an, um ihm die Teilnahme auszudrücken, angefangen von dem Ortsarzt bis zu einem der Dienstboten, der aus Furcht vor dem Grünen Bogenschützen die Burg verlassen hatte.

Spike ließ sein Frühstück im Stich und ging hinaus, um den in seiner Ehre gekränkten Mann zu sprechen.

»Es ist ganz unmöglich, es länger mit diesem Menschen auszuhalten,« erklärte Wilks, zitternd vor Wut. »Ganz unmöglich, mein Herr. Das ist überhaupt kein Mensch, er ist ein Schwein! Und was nun gar seine Geisterseherei in letzter Zeit angeht –«

»Haben Sie den Geist gesehen?«

»Nein, mein Herr, ich kann Sie doch nicht anlügen. Ich habe überhaupt keine Gespenster in der Burg gesehen, und meiner Meinung nach ist der Geist eine Erfindung von Mr. Bellamy, weil er irgendeine böse Sache damit bezweckt. Wenn ich ihn ein Schwein nenne, so spreche ich als ein Mann, der in den besten Familien des Landes gedient hat. Dieser Mensch hat überhaupt keine Lebensart, er besitzt einen der schönsten Speisesäle im ganzen Land und ißt ganz schweinemäßig in seiner Bibliothek. Ein anständiger Herr würde so etwas nie tun – und dann die Mengen, die er vertilgt, man kann drei gewöhnliche Leute davon satt machen. Zum Frühstück trinkt er über einen halben Liter Milch und ißt ein halbes Dutzend Eier.« Und er zählte alles auf, was Mr. Bellamy in seinem gesegneten Appetit verspeiste.

Sein Bericht ließ Mr. Bellamy in einem ganz neuen Licht erscheinen. Bis jetzt hatte Spike noch nicht daran gedacht, daß er aß oder trank oder den Appetit eines anderen Menschen hätte.

»Was hatten Sie denn für einen Streit, daß Sie den Dienst verließen?« fragte Spike. Der Hausmeister erzählte ihm alles.

»Während der Sommermonate war überhaupt kein Gas gebraucht worden, und die Gasgesellschaft schickte eine Rechnung über fünfundzwanzigtausend Kubikfuß. Es war doch wirklich in seinem eigenen Interesse, daß ich ihn darauf aufmerksam machte. Statt mir aber wie ein anständiger Mensch dankbar zu sein, fuhr er mich an wie einen tollen Hund, und diese Behandlung ließ ich mir natürlich nicht gefallen, Mr. Holland.«