Der grüne Bogenschütze

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5

»Ist der Grüne Bogenschütze der Mörder Creagers?«

»Geheimnisvoller Mord folgt einem Streit mit dem Besitzer des Geisterschlosses.«

»Wer ist der Grüne Bogenschütze von Garre Castle? In welcher Beziehung steht er zu der Ermordung Charles Creagers, des früheren Gefängniswärters von Pentonville? Das sind die Fragen, die Scotland Yard zu beantworten versucht. Creager wurde gestern in seinem Garten von einem Berichterstatter des ›Globe‹ aufgefunden, nachdem er eine heftige Auseinandersetzung mit Abel Bellamy hatte, dem Chicagoer Millionär, in dessen Schloß der Grüne Bogenschütze umgeht. Creager wurde von einem grünen Pfeil getötet, wie sie vor sechshundert Jahren in Gebrauch waren . . .«

Abel Bellamy legte die Zeitung nieder und schaute über den Tisch zu seinem Sekretär.

»Wieviel von all diesen Nachrichten auf Ihr Konto kommen, weiß ich nicht,« brummte er. »Irgend jemand muß den Zeitungsberichterstattern von diesem verrückten Geist erzählt haben. Nun hören Sie einmal zu, Savini. All dieses verfluchte Geschwätz von Gespenstern macht mir gar nichts aus, haben Sie mich verstanden? Aber wenn dieses verrückte Affentheater mich nervös machen sollte und wenn Sie denken, daß Sie sich dadurch in Garre unentbehrlich machen, so will ich Ihnen etwas anderes sagen. Ich werde den Schwindel einfach zerschmettern, ohne im mindesten Scotland Yard zu fragen, glauben Sie mir!«

Er ging zum Fenster und starrte wütend auf die Straße. Dann drehte er sich plötzlich um.

»Savini, ich will Ihnen etwas sagen. Sie haben eine gute Stellung – sehen Sie zu, daß Sie sie nicht verlieren. Sie sind der einzige Sekretär, den ich jemals angestellt habe. Sie sind aalglatt und verstehen zu lügen, aber Sie passen mir gerade. Ich habe Sie aus dem Rinnstein aufgelesen – vergessen Sie das nicht! Ich weiß, daß Sie ein Schuft sind, Sie sind nie etwas anderes als ein Verbrecher gewesen – aber ich habe Sie angestellt, weil Sie ein Kerl sind, den ich gebrauchen kann. Ich habe Sie ganz und gar durchschaut, haben Sie das gehört? Sie waren damals mit einer Bande von Falschspielern zusammen, als ich Sie auflas. Die Polizei wartete nur auf eine Gelegenheit, Sie ins Gefängnis zu stecken. So habe ich alles über Sie erfahren. Als der Detektiv gestern abend kam, um mich über Creager auszufragen, war eine seiner ersten Fragen an mich, ob ich wüßte, was für eine Art von Sekretär ich mir da angeschafft hätte. Wußten Sie das?«

Auf Savinis Gesicht konnte man die Antwort deutlich lesen. Die mattgelbe Farbe war einer aschgrauen Blässe gewichen.

»Ich hörte nicht zum erstenmal von Ihnen,« fuhr der Alte erbarmungslos fort, »es ist schon länger als ein Jahr her, als der Polizeichef oder Polizeiinspektor oder wie man immer solche Menschen nennt, mich wegen einer Kravattennadel aufsuchte, die ein Hotelangestellter gestohlen hatte. Ich lud ihn zum Essen ein, mit der Polizei habe ich mich immer gut vertragen, das lohnt sich. Und während wir speisten, hat er mir alles von Ihnen erzählt, so daß ich Ihre Vergangenheit genau kenne. Vermutlich glaubten Sie, daß Sie Ihre Sucht, leicht Geld zu verdienen, befriedigen könnten, als ich Sie anstellte? Aber darin hatten Sie sich geirrt. Mir gegenüber sind Sie immer ehrlich gewesen, und das hatte auch seinen guten Grund. Ich hatte Sie kaum eine Woche engagiert, als die Falschspielerbande, der Sie angehörten, aufgegriffen wurde, und Sie waren zufrieden, daß Sie nun eine Zuflucht bei mir gefunden hatten.«

Er ging langsam auf seinen Sekretär zu und hakte seinen dicken Finger in den Westenausschnitt Savinis ein.

»Das Geschwätz von dem Grünen Bogenschützen wird sehr bald sein Ende finden,« sagte er bedeutungsvoll. »Und das wäre auch besser. Ich schieße rücksichtslos auf alles Grüne, und ich brauche dem Leichenbeschauer nicht zu erklären, wie sich der Unglücksfall zutrug. In den Zeitungen konnten Sie lesen, daß schon einmal ein Grüner Bogenschütze eines schnellen Todes starb – es ist leicht möglich, daß sich das wiederholt!«

Bellamy packte seinen Sekretär fester und ohne sichtliche Anstrengung schüttelte er den hilflosen jungen Menschen hin und her.

»Sie wissen, daß ich ein Raufbold bin, aber Sie denken, ich bin leicht zu durchschauen – Sie irren sich! Aber alle Ihre Schliche durchschaue ich und bin Ihnen über!«

Plötzlich streckte er seinen Arm aus und Savini taumelte rückwärts.

»Den Wagen um fünf Uhr!« Mit einer Seitwärtsbewegung des Kopfes entließ Bellamy seinen Sekretär für den Tag.

Savini ging auf sein Zimmer und kam geistig und körperlich allmählich wieder zu sich. Er war verstört und erholte sich nur allmählich von seiner Furcht. Er stützte die Arme auf den Schreibtisch und schaute nachdenklich auf sein braunes Gesicht im Spiegel.

Er hatte nur die Wahrheit gesprochen, als er die ganze Verantwortung für die Geschichte des Grünen Bogenschützen den Zeitungen zuschob. Er hatte viel gute Gründe, um das Neuauftauchen dieser sonderbaren Erscheinung nicht in die Öffentlichkeit kommen zu lassen. Der alte Bellamy wußte also alles! Diese Entdeckung erschreckte ihn zuerst, aber nun war sie ein Trost für ihn. Er hatte schon in Schrecken und Sorge gelebt, daß eines guten Tages sein Vorleben entdeckt werden könnte, aber warum er das fürchtete, ahnte selbst Abel Bellamy nicht. Die sanften, braunen Augen, die ihm aus dem Spiegel entgegenschauten, lächelten. Abel Bellamy vermutete es nicht! Er schaute auf seine Uhr. Es war kurz nach neun, und der ganze Tag bis fünf gehörte ihm. Alle die Entschuldigungen, die er sich zurechtgelegt hatte, um auszugehen, brauchte er nun nicht. Wenn man Bellamy dienen wollte, mußte man ihn absolut allein lassen, wenn er keine Gesellschaft wünschte. Und es gab Tage, an denen er den Alten von morgens bis abends nicht sah, an anderen Tagen wieder waren alle Stunden ausgefüllt mit Korrespondenz, denn Bellamy ließ die Beantwortung von Briefen zusammenkommen.

Ein Mietauto brachte ihn vor das Portal eines großen Häuserblocks in Maida Vale. Er ließ sich auch nicht von dem Liftboy hinauffahren, sondern ging zu Fuß die Treppe in die Höhe, zog einen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete Tür Nr. 12.

Bei dem Geräusch des Aufschließens trat eine Frau mit einer Zigarette im Mund in den Gang hinaus, um sich nach dem Besucher umzusehen.

»O, du bist es!« sagte sie gleichgültig, als er die Tür hinter sich schloß und seinen Hut an den Garderobenständer hing.

»Wer sollte denn sonst kommen?« fragte er.

»Ich habe das Mädchen ausgeschickt, um Eier zu holen,« antwortete sie, als er ihr in das kleine, gutmöblierte Wohnzimmer folgte. »Wo warst du gestern? Ich dachte, du würdest zum Abendbrot kommen.«

Sie hatte sich auf die Ecke des Tisches gesetzt und wippte mit den Füßen. Sie war von hübscher Gestalt, aber etwas unordentlich in ihrer Kleidung. Dichte blonde Haare umrahmten ihr Gesicht mit den schönen dunklen Augen. Die Puderschicht schien ein wenig unnötig, aber sie gab ihm die Erklärung.

»Sieh mich nicht an,« sagte sie, als er sie neugierig und eingehend betrachtete. »Ich war zum Tanzen aus bis drei Uhr, und ich habe noch nicht gebadet. Heute morgen bekam ich einen Brief von Jerry,« fügte sie plötzlich hinzu und lachte über das erstaunte Gesicht, das er machte.

Sie sprang vom Tisch und holte einen blauen Briefumschlag vom Kamin.

»Ich will es gar nicht sehen, ich hasse die Berührung von Dingen, die aus dem Gefängnis kommen.«

»Du kannst von Glück sagen, daß du selbst nicht dort bist, mein Junge,« sagte sie und steckte sich eine frische Zigarette mit dem Stummel an, den sie eben zu Ende geraucht hatte. »Jerry wird in sechs Monaten aus dem Gefängnis kommen. Er möchte gerne wissen, was du für ihn tun wirst. Du bist ja jetzt ein Millionär, Julius.«

»Sei doch nicht verrückt,« sagte er rauh.

»Bellamy ist es wenigstens, und da kannst du doch verschiedenes erben.«

»Sicher gibt es dort viel zu erben.« Er steckte die Hände in die Hosentaschen, schlenderte zum Fenster und stellte sich so, daß sein Gesicht im Schatten war.

»Eine halbe Million gibt es für uns in Garre.«

»Meinst du Dollars oder Pfund?« fragte sie ohne große Begeisterung.

»Pfunde.«

Sie lachte leise.

»Der alte Bellamy würde sehr besorgt sein, wenn er wüßte –«

»Er weiß. Er ist von allem unterrichtet.«

Sie schaute ihn erstaunt an.

»Daß du –?«

Er nickte.

»Daß ich viel auf dem Kerbholz habe –. Er sagte mir heute morgen, daß ich ein Verbrecher wäre.«

»Was ist das eigentlich für eine Geschichte mit dem Grünen Bogenschützen?« fragte sie und erhob sich, um die Tür zu schließen, als sie hörte, daß das Mädchen zurückkam. »Ich habe heute morgen die Sache in der Zeitung gelesen.«

Er antwortete nicht gleich.

»Ich habe nichts bemerkt,« sagte er dann. »Einer von den Dienstboten glaubt ihn gesehen zu haben, und der Alte hat mir gesagt, daß jemand seine Tür während der Nacht geöffnet hätte.«

»Das warst du natürlich!« Aber zu ihrem größten Erstaunen schüttelte er den Kopf.

»Es liegt doch gar kein Grund vor für solche nächtliche Streifzüge. Ich kenne jeden Teil des Schlosses genau und der Geldschrank ist ein Ding, das ich nicht allein übernehmen kann. Dazu gehört ein Sachverständiger.« Er legte die Stirn in nachdenkliche Falten. »Ich möchte dir sagen, was ich darüber denke. Unsere alte Gesellschaft löst sich auf. Jerry ist im Gefängnis, ebenso Ben; Walters ist nach dem Festland hinüber. Nur du und ich sind übriggeblieben. Die Sache ist erledigt, und wir wollen sie auch erledigt sein lassen. Was haben wir beide denn auch schon groß daran verdient? Ein paar Pfund die Woche mit harter Arbeit, davon kann man nichts zurücklegen, wenn wir alle die Unkosten abziehen. Die Sache war zu klein angelegt. Und dumme Leute, die man neppen kann, werden selten. Aber hier können wir eine halbe Million bekommen, wenn wir uns dranhalten. Ich kann dir nur versichern, ich bin schon halb entschlossen, selbst einen Mord zu riskieren, um das Geld zu bekommen!«

 

Er legte den Arm um sie und küßte sie, aber ihr Argwohn war schnell erwacht.

»Worin besteht denn dein großer Plan? Ich traue dir nicht, Julius, wenn du zärtlich wirst. Soll ich etwa hingehen und den Geldschrank aufbrechen oder so etwas Ähnliches?«

Er sah ihr gerade in die Augen.

»Ich weiß einen Ort – Sao Paolo – wo ein Mann wie ein Fürst leben kann, wenn er die Zinsen von hunderttausend Dollars zu verzehren hat. Das ist so ungefähr die Summe, die mir der alte Teufel zahlen wird, vielleicht auch mehr. Garre Castle birgt ein Geheimnis, Fay. Es mag auch sein, daß es hunderttausend Pfund wert ist und wenn es hart auf hart kommt, so habe ich eine Flasche unsichtbare Tinte und die ist mindestens Zwanzigtausend wert.«

Julius liebte es, sich geheimnisvoll auszudrücken, und freute sich, als er die Verwunderung auf dem Gesicht seiner Frau las.

6

Der tadellos gekleidete junge Mann, der als Dritter an dem Mittagessen der Howetts teilgenommen hatte, war denn doch älter, als sein rosiges, jugendliches Gesicht vermuten ließ. Valerie hatte das auch gleich angenommen, als ihr Vater ihn ihr vorstellte. Sie interessiere sich zuerst wenig für ihn. Auf ihren Reisen mit ihrem Vater, die ihn auch häufig nach Amerika führten, hatte sie in Chicago und in New York, ja in jeder größeren Stadt der Vereinigten Staaten, die verzogenen Söhne eingebildeter Väter gefunden, junge Leute, die an nichts anderes im Leben dachten, als die Stunden möglichst totzuschlagen, die sie von ihren nächtlichen Abenteuern trennten. Sie kannte nur zu genau die Grenzen ihrer Interessen, die gewöhnlich zwischen ihren schnellen Automobilen und ihren nächtlichen Gelagen schwankten, aber zum erstenmal war sie einem solchen jungen Mann in England begegnet.

In mancher Weise war James Lamotte Featherstone besser als alle anderen, die sie bisher kenngelernt hatte. Sein Leben war zwar auch ohne Ziel und Zweck, aber er besaß den großen Vorzug, sehr gute Manieren zu haben und ihr gegenüber äußerst zurückhaltend zu sein. Er sprach niemals von sich selbst, aber über andere Dinge konnte er sehr unterhaltsam sein.

Valerie hatte ihn zuerst geduldet, weil er viel stattlicher und vornehmer war als der Detektiv, den ihr Vater früher engagiert hatte, um sie auf ihren etwas gefährlichen, einsamen Streifzügen in die Umgebung zu begleiten. Aber schließlich mochte sie ihn ganz gerne trotz seiner übertrieben eleganten Kleidung.

Am Tage nach der Ermordung Creagers sprach er bei ihr vor, um mit ihr in den Park zu gehen.

Als sie in dem sonnigen Park angelangt waren und er einen Stuhl für sie an der Seite des großen Reitweges besorgt hatte, wandte sie sich plötzlich an ihn.

»Ich möchte Sie etwas fragen, und zwar etwas ganz Persönliches.«

»Was tun Sie eigentlich anders, als anständige junge Damen auf ihren Spaziergängen begleiten?«

Er schaute sie scharf an.

»Sie sind sehr anziehend,« sagte er dann ernst. »Sie erinnern mich immer an Beatrice d'Este, die Dame, die Leonardo malte, nur ist Ihr Gesicht noch zarter und Ihre Augen sind viel schöner –«

Sie wurde dunkelrot und unterbrach ihn.

»Mr. Featherstone,« sagte sie ärgerlich, »haben Sie denn nicht gemerkt, daß ich mir einen Scherz erlaubte? Haben Sie denn als Engländer gar keinen Sinn für Humor? Ich sprach doch nicht von mir selbst.«

»Sie kennen aber doch niemand anders, den ich jemals begleitet hätte,« verteidigte er sich und gab dem Gespräch taktvoll eine andere Wendung. »Nein, ich habe sonst nichts zu tun.«

»Sie bügeln nicht einmal Ihre eigenen Beinkleider,« sagte sie streng, denn sie hatte sich über ihn geärgert.

»Nein, das tue ich nicht, ich habe einen Mann dafür angestellt,« gab er zu. »Aber ich bürste meine Haare allein,« fügte er stolz hinzu.

Sie mußte trotz ihrer schlechten Laune lachen, aber plötzlich wurde sie wieder ernst.

»Mr. Featherstone, ich bitte Sie um einen großen Gefallen. Ich weiß selbst nicht, warum ich Sie eben ärgerte. Mein Vater ist ängstlich besorgt um mich, er ist ein wenig altmodisch und bildet sich ein, daß eine junge Dame nicht allein ausgehen dürfte. Er ist sogar auf den Einfall gekommen, einen Detektiv zu engagieren, der mich beschützen soll.«

»Ihr Vater ist ein sehr vernünftiger Mann,« sagte Jimmy Featherstone prompt. Aber das war gerade das, was er nicht hätte sagen sollen.

»Das vermute ich auch.« Valerie unterdrückte mit Mühe eine scharfe Entgegnung. »Aber . . . ich möchte offen sein, Ihnen gegenüber. Ich sehne mich danach, allein zu sein. Ich brauche ganze Tage für mich – verstehen Sie, Mr. Featherstone?«

»Ja.«

»Ich kann wirklich nur allein sein, ohne meinen Vater zu ängstigen, wenn er denkt, daß Sie mich irgendwohin begleiten – ins Theater oder . . . oder ins Museum.«

»Ich würde Sie niemals dorthin bringen,« widersprach Jimmy, und die gereizte junge Dame seufzte schwer.

»Ich meine etwas anderes – ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich möchte, daß Sie morgen kommen und mich zu einem Spaziergang abholen, mich dann aber allein lassen, so daß mein Wagen da hinfahren kann, wo ich will. Sie können ja ruhig sagen, daß Sie mich zu einer Tagestour mitnehmen – Vielleicht auf den Fluß –«

»Die Jahreszeit ist aber eigentlich schon etwas weit vorgeschritten für eine Partie auf dem Fluß.«

»Also schön, zu irgendeinem anderen Ausflug, der mich den ganzen Tag von Hause fernhält. Mein Vater reist Mittwoch abend nach Schottland ab –«

»Sie wünschen also von mir, daß ich vorgeben soll, mit Ihnen auszugehen, und dann soll ich Sie sich selbst überlassen?«

Sie seufzte wieder.

»Wie klug Sie sind! Ja, das möchte ich.«

Jimmy Featherstone bohrte mit seinem Spazierstock ein Loch in den Kies.

»Ich will Ihren Wunsch unter einer Bedingung erfüllen,« sagte er dann langsam.

Sie schaute ihn erstaunt an.

»Unter einer Bedingung? Was soll das heißen?

Er hob den Kopf und schaute ihr gerade in die Augen.

»Überlassen Sie die Nachforschungen nach Abel Bellamys Angelegenheiten jemand anders. Das ist keine Aufgabe für eine Dame. Wenn die Polizei die Pflanzung hinter Creagers Haus abgesucht hätte, dann wäre es Ihnen sicher schwer gefallen, Ihre Anwesenheit dort zu erklären, Miß Howett!«

Einen Augenblick starrte Valerie ihren Begleiter sprachlos an. Sie war blaß geworden.

»Ich – ich verstehe Sie nicht, Mr. Featherstone,« stotterte sie.

Der junge Mann wandte sich zu ihr und sah sie lächelnd an, halb belustigt, aber es lag auch eine gewisse Warnung in seinem Blick.

»Miß Howett, Sie haben mir eben den Vorwurf gemacht, daß ich ein zweckloses Leben führe. Ein Müßiggänger hat sehr viel Zeit, Beobachtungen anzustellen. Sie kamen an meiner Wohnung in St. James' Street in einem Mietauto vorbei und fuhren hinter dem Fordwagen Mr. Creagers her.«

»Sie kannten Creager?« fragte sie erstaunt.

»Ich kannte ihn oberflächlich,« sagte Mr. Featherstone, der mit seinem Spazierstock spielte und ihren Blicken auswich. »Ich kenne fast alle Leute oberflächlich,« fügte er dann lächelnd hinzu, »manche allerdings sehr eingehend. Zum Beispiel weiß ich, daß Sie Ihren Wagen am Ende der Field Road entließen und zu Fuß die Straße entlang gingen – bis zu Creagers Haus. Dann schien es so, als ob Sie nicht recht wüßten, was Sie tun sollten. Sie kamen zu dem Eingang eines kleinen Fußpfades, der durch die Pflanzung neben Creagers Garten führt. Sie gehörte ihm nicht, er hatte sie nur gepachtet. Er hatte sich auch nicht die Mühe gegeben, den hinteren Teil seines Gartens nach der Pflanzung zu mit einem Zaun abzuschließen. Dort haben Sie letzten Abend bis acht Uhr gewartet.«

»Das haben Sie alles nur vermutet,« entgegnete sie scharf. »Mein Vater hat Ihnen erzählt, daß ich zum Abendessen nicht zurückkam –«

»Es ist nicht nur bloße Vermutung,« sagte er ruhig. »Sie haben in der Pflanzung gewartet, weil Sie fürchteten, daß man Ihre Anwesenheit wahrnehmen würde.«

»Von wo aus haben Sie mich denn beobachtet?«

Er lächelte wieder.

»Ich war auch in der Pflanzung. Es tut mir leid, daß es so war, sonst hätte ich unseren Freund, den Grünen Bogenschützen, wahrscheinlich gesehen.«

»Was haben Sie denn dort zu tun gehabt? Wie dürfen Sie es wagen, hinter mir her zu spionieren, Mr. Featherstone?«

Er zwinkerte mit dem Auge, aber kein Muskel seines Gesichts rührte sich.

»Sie sind inkonsequent, Miß Howett. Noch vor kurzem haben Sie sich darüber beklagt, daß ich nichts täte und nun erzähle ich Ihnen, daß ich Sie auf einer sehr gefährlichen Expedition geschützt habe –«

Sie schüttelte hilflos den Kopf.

»Ich weiß nicht, was ich davon denken soll. Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich, Mr. Featherstone. Wie kamen Sie überhaupt auf den Gedanken, daß ich Creager folgte?«

Nachdenklich nahm er ein goldenes Zigarettenetui aus der Tasche.

»Gestatten Sie, daß ich rauche?« fragte er. Als sie nickte, zündete er sich eine Zigarette an und blies den blauen Rauch in die stille Morgenluft.

»Sie folgten Creager,« sagte er langsam, »weil – das vermute ich allerdings nur – weil Sie dachten, daß er in seinem Groll Bellamy verraten und Ihnen vielleicht die Aufklärung geben würde, nach der Sie nun schon seit Jahren suchten.«

Sie starrte ihn verblüfft an.

»Sie suchen nach einer Frau, die unter merkwürdigen Umstanden verschwand, Miß Howett,« fuhr der elegante junge Mann fort und zeichnete mit der Spitze seines Spazierstocks allerhand Figuren in den Kies. »Und ob es nun richtig ist oder falsch, Sie vermuten, daß Bellamy für das Verschwinden dieser Frau verantwortlich ist. Sie haben schon viel gewagtere Streifzüge unternommen als gerade gestern. Es hat viel Zeit gekostet, bevor ich Ihre Gedankengänge rekonstruieren konnte. Aber Sie dachten wahrscheinlich, daß Bellamy Creager nach seinem Hause folgen würde, und daß Sie dann die Möglichkeit hätten, das Gespräch der beiden zu belauschen. Sie warteten ungefähr zwei Stunden in der Pflanzung – und wollten gerade zu dem Haus gehen, als Sie die Polizei bemerkten.«

Er nahm sein Zigarettenetui und steckte es wieder in die Tasche. Er fand plötzlich keinen Gefallen mehr am Rauchen.

»Ich hätte viel Geld darum gegeben, wenn ich den Grünen Bogenschützen getroffen hätte,« sagte er leise.

»Dann glauben Sie wirklich –?« fragte sie entsetzt.

Er nickte.

»Ich vermute es nicht nur, sondern ich weiß es ganz genau.«

Sie sah ihn mit einem neuen Interesse an, und es wurde ihr manches klar.

»Sie sind doch ein merkwürdiger Mann, Mr. Featherstone! Sie sind schlauer als der Detektiv, den mein Vater anstellen wollte, um mich zu beschützen.«

Er lachte.

»Ich muß Ihnen ein Geständnis machen, Miß Howett. Ich bin nämlich der Detektiv, der diesen Auftrag hat. Ich bin Kapitän Featherstone von Scotland Yard, und ich beobachte Sie schon, seit Sie in London ankamen.«