Der grüne Bogenschütze

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Spike lauschte den Klagen des Hausmeisters aufmerksam, aber er legte der Frage der zu hohen Gasrechnung keinen großen Wert bei. Geschickt lenkte er die Unterhaltung wieder auf das nächtliche Gespenst, das in der Burg umging. Aber er konnte nichts Neues herausbringen. Daß in letzter Zeit die beiden Hunde Wacht hielten, wußte er schon und hatte auch einen längeren Bericht darüber in seiner Zeitung erscheinen lassen.

Trotzdem machte er aus der Erzählung des Mr. Wilks einen neuen Artikel, der unter der Überschrift erscheinen sollte:

»Mein Leben in der verhexten Burg.«

Spike kehrte zur Stadt zurück und faßte den Entschluß, nach Scotland Yard zu gehen. Jim Featherstone war in seinem Bureau, und Spike wurde sogleich zu ihm geführt, als er sich melden ließ.

»Nun, Holland, was bringen Sie Neues?«

Er reichte Spike die Zigarrenkiste quer über den Tisch, und dieser wählte mit der größten Sorgfalt.

»In Garre Castle hat es Streit gegeben,« sagte er. »Der vornehme Besitzer hat seinen Hausmeister hinausgeworfen, weil dieser sich die Gasrechnung angesehen hat. Wenn das vierhundert Jahre früher passiert wäre, hätte man dem armen Wilks ein Hanfseil ums Genick gelegt, und er könnte dann auch unter den Gespenstern erscheinen, die in der Geisterstunde auf Bellamys hinterem Hof miteinander Würfel spielen.«

»Erzählen Sie das alles noch einmal, aber bitte etwas langsamer,« sagte Jim. »Ich bin heute morgen nicht ganz auf der Höhe. Zunächst einmal, was war denn mit der Gasrechnung nicht in Ordnung?«

Spike teilte ihm alles mit, und zu seinem größten Erstaunen fragte Jim immer nach neuen Einzelheiten. Er stellte soviel Kreuz- und Querfragen, daß Spike schließlich der Schädel brummte.

»Was haben Sie denn bloß mit dem Gas?« fragte er schließlich. »Sie vermuten wohl, daß Abel eine heimliche Whisky-Brennerei betreibt?«

»Die Gasrechnung ist das Wichtigste, was wir überhaupt von Garre Castle erfahren haben,« sagte Jim ruhig. »Ich bin Ihnen für diese Mitteilung sehr dankbar, Holland. Nebenbei bemerkt gehe ich für ein bis zwei Wochen auf eine längere Reise und werde Sie deshalb in nächster Zeit nicht sehen. Aber wenn Sie irgendwelche neue Nachrichten erhalten, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sie meinem Assistenten hier mitteilen würden. Ich werde Sie ihm vorstellen.«

Eine halbe Stunde später kam Spike zu seinem Redakteur.

»Mr. Syme, ich bin jetzt vollkommen davon überzeugt, daß die Aufklärung des Mordes an Creager in Garre Castle gefunden werden wird. Der Alte hat seinen Hausmeister hinausgeworfen, und es wäre das Beste, wenn wir einen von unseren Leuten auf den Posten schieben könnten. Ich würde am liebsten selbst als Hausmeister dorthin gingen, aber ich habe noch niemals in einer solchen Stelle gedient, und Bellamy würde mich an meinen roten Haaren sofort wiedererkennen. Könnten wir nicht Mason oder irgendeinen anderen hinschicken? Wir könnten es doch so arrangieren, daß er von einer Dienstbotenagentur aus angeboten wird.«

»Das ist eine gute Idee,« sagte der Redakteur.

Aber dieser Gedanke war auch noch zwei anderen Leuten gekommen und zwar ebenso plötzlich.

16

»Vorsätzlicher Mord. Die Anklage richtet sich gegen eine oder mehrere unbekannte Personen.«

Bellamy las den Bericht über die Leichenschau Creagers, ohne sich im mindesten darüber aufzuregen. Für ihn bedeutete dieses Ereignis weiter nichts, als daß er die Summe von jährlich 480 Pfund, die er schon so lange gezahlt hatte, in Zukunft sparen würde. Es war ihm unangenehm und peinlich gewesen, alle die unzähligen Fragen zu beantworten, die die Polizei über seine Beziehungen zu dem Toten an ihn gerichtet hatte, aber das hatte er ja nun glücklich alles hinter sich.

Merkwürdig war nur, daß die sonderbaren Umstände von Creagers Tod ihn nicht im mindesten nachdenklich stimmten. Auch brachte er den Vorfall in keine Beziehung zum Grünen Bogenschützen. Er hatte von vornherein ein großes Mißtrauen und Vorurteil gegen Zeitungen, und als er damals gelesen hatte, daß man das Auftreten des Grünen Bogenschützen mit dem Mord an Creager in Zusammenhang brachte, hielt er das Ganze nur für eine verrückte Erfindung dieser Zeitungsleute. Seiner Meinung nach war der Mann von irgendeinem alten Verbrecher ermordet worden, der ihn haßte. Und wenn er tatsächlich durch einen Pfeil getötet worden war, dann hatte der Mörder seinen Plan eben aus diesen verrückten Zeitungsartikeln geschöpft.

In der letzten Zeit war ihm etwas aufgefallen, was aber nichts mit dem Mord zu tun hatte. Es war die düstere Stimmung seines Privatsekretärs. Irrtümlicherweise nahm er als Grund dafür die Enthüllungen, die er ihm gemacht hatte, daß er seine Vergangenheit kannte. Diese Überzeugung befriedigte ihn so, daß er beschloß, ihn länger in seinen Diensten zu halten.

Die Anwesenheit der neuen Mieter von Lady's Manor war ihm in mancher Beziehung unangenehm. Sie schienen in gewisser Weise in seine unumschränkte Gewalt einzudringen, aber er sprach sich nicht bestimmt darüber aus. Er wußte nicht, wer sie waren, und kümmerte sich auch nicht darum. Außer mit Julius besprach er niemals äußere Dinge. Seine anderen Dienstboten richteten niemals das Wort an ihn, es sei denn, daß er sie anredete, und das tat er niemals. Das Einzige, was sie von ihm hörten, waren Vorwürfe.

Einige Tage nach der Entlassung Wilks hatte er Grund, den neuen Hausmeister anzufahren.

»Junger Mann, ich möchte Ihnen das ein für allemal sagen. Ich wünsche nicht, daß Sie irgendeinen Raum betreten, in dem ich bin, wenn ich nicht nach Ihnen schicke oder Sie rufe. Sie haben gestern abend an die Tür meiner Bibliothek geklopft, obwohl Mr. Savini Ihnen sagte, daß ich nicht gestört sein wollte.«

»Ich bitte um Entschuldigung, mein Herr,« sagte der Hausmeister höflich, »die Gewohnheiten in diesem Schloß sind mir noch fremd, aber ich werde es in Zukunft unterlassen – Sie sollen sich nicht über mich beklagen.«

Die Ankunft des neuen Hausmeisters schien die Depression, die auf Julius Savini lastete, noch zu verschlimmern. Auf jeden Fall war eine bemerkenswerte Änderung in dem Betragen des Sekretärs wahrzunehmen, seitdem der neue Mann seinen Dienst angetreten hatte. Er sprach nicht mehr so viel und war weniger mitteilsam. Als Abel durch den Park ging, fand er ihn dort eines Nachmittags in einer ziemlich verzweifelten Stimmung.

»Was ist denn mit Ihnen los?« fuhr er ihn an. »Wenn jemand hier Grund hat, ärgerlich zu sein, so bin ich es! Nehmen Sie sich doch zusammen und laufen Sie nicht mit einem solchen Gesicht herum! Was ist denn eigentlich mit Ihnen los? Hat die Polizei Ihre Schandtaten entdeckt und ist hinter Ihnen her?«

»Ich fühle mich nicht wohl.«

»Dann suchen Sie sich eine andere Stelle,« brummte der Alte, »ich habe hier kein Sanatorium.«

Diese Ermahnung hatte den Erfolg, daß Savini sich plötzlich sehr beweglich und liebenswürdig zeigte. Aber Bellamy schimpfte nun erst recht über ihn.

Seit dem letzten Erscheinen des Grünen Bogenschützen waren mehr als zwei Wochen vergangen, und Bellamy erklärte sich diese Tatsache durch die Anwesenheit der Hunde.

»Es muß doch irgend etwas an einem Polizeihund sein, das ein Geist nicht vertragen kann,« sagte er, »oder umgekehrt hat ein Geist irgend etwas an sich, das einen Polizeihund ärgert.«

In der folgenden Nacht wachte er plötzlich von dem Knurren eines Hundes auf. Sofort sprang er aus dem Bett und eilte auf den Gang hinaus. Alle Lampen brannten, wie er es angeordnet hatte, und einer der Hunde stand in Anschlag mitten im Korridor und witterte nach der Treppe zu, die zu der Halle nach unten führte.

Bellamy pfiff, der Hund drehte sich um und kam langsam auf ihn zu, hielt aber manchmal an und sah sich nach der Treppe um. Gleich darauf kam auch der andere die Treppe heraufgesprungen.

»Nun, was ist denn mit euch los?«

Abel ging in sein Zimmer zurück, zog seinen Morgenrock an und steckte den Revolver in die Tasche. Darauf stieg er, von beiden Hunden gefolgt, die Treppe hinunter zu der Halle. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Er schloß die Bibliothek auf, ging hinein, drehte das Licht an und durchsuchte den Raum, ohne irgend etwas zu finden. Die große schwere Haustür war auch verschlossen und wohl verriegelt.

Beruhigt ging er nach oben und legte sich nieder. Aber kaum war er wieder in einen leichten Schlaf gefallen, als er von neuem das Bellen der Hunde hörte. Diesmal schlugen beide Tiere an. Er fand sie, wo er sie das erstemal gesehen halte. Sie standen der Haupttreppe zugekehrt und knurrten. Auf seinen Pfiff hin sah sich nur einer von ihnen um, rührte sich aber nicht von der Stelle. Erst als er sie scharf anrief, kamen sie zu ihm.

»Was habt ihr denn nun schon wieder?«

Ein Bellen war die Antwort.

Plötzlich sprangen sie beide davon, als ob sie etwas gehört hätten, und fegten wie der Wind den Gang entlang. Abel eilte hinterher.

Als er die Treppe hinunterkam, sah er, wie sie unten in der Halle den Flur beschnüffelten. Er drehte alle Lichter an und untersuchte den Raum eingehend, konnte aber wieder nichts finden.

»Ihr scheint heute nacht etwas verrückt zu sein,« brummte er.

Es fiel ihm auf, daß die Tiere unruhig waren. Aber es war ja möglich, daß auch sie ihre besonderen Eigentümlichkeiten hatten, dachte er und legte sich wieder zu Bett. Als er am Einschlafen war, hörte er sie wieder bellen, aber er nahm keine weitere Notiz davon und drehte sich nach der anderen Seite um. Bald war er fest eingeschlafen.

Es war fünf Uhr, als er aufwachte, und es war noch dunkel. Er stand auf und zog seinen Schlafrock an, bevor er das Licht andrehte. Aber dann wurden seine Augen groß. Die beiden Türen standen weit offen, obwohl er bestimmt wußte, daß er sie fest verschlossen und gesichert hatte, als er das letztemal zu Bett ging. Was war denn mit den Hunden los?

 

Er ging in den Korridor, um nach ihnen zu sehen und glaubte zuerst, daß sie tot seien, weil sie hintereinander mit ausgestreckten Beinen an der Wand lagen. Er ging hin und schüttelte den einen. Der Hund öffnete langsam die Augen, sah ihn einige Sekunden schläfrig an und schloß sie dann wieder.

»Sie sind betäubt worden,« sagte Bellamy. »Also war gestern abend doch jemand hier, der sich die ganze Zeit verborgen hielt. Aber das mußte ein Mensch gewesen sein. Der Grüne Bogenschütze war also Fleisch und Blut –« Bellamy hatte auch nichts anderes erwartet.

Mit der Zeit kamen die Hunde wieder zu sich und benahmen sich so, als ob nichts geschehen wäre. Er brachte sie selbst zu dem Hundekäfig hinunter.

Warum war der Grüne Bogenschütze gekommen, was beabsichtigte er? Sicherlich wollte er nicht nur zeigen, daß er sich zu jeder beliebigen Zeit Zutritt zu dem verschlossenen Raum verschaffen konnte. Es war doch immerhin mit einer gewissen Gefahr verbunden, die Hunde zu betäuben. Was mochte er gesucht haben? In seinem Schlafzimmer bewahrte er wenig wertvolle Gegenstände auf, und diese waren vollständig unberührt geblieben. Also wollte er sicherlich nichts stehlen. Und doch war es Bellamy klar, daß der Grüne sich keinen Spaß erlaubte, sondern eine sehr ernste Absicht mit seinem Besuch verfolgte.

Plötzlich kam ihm die Erklärung. Der Grüne Bogenschütze suchte den Schlüssel – den Schlüssel, den er bei Tag bei sich trug und nachts unter sein Kissen legte. Er trug ihn in seiner Tasche an einer langen Stahlkette, und wenn er morgens zum Bad ging, hing er sich den Schlüssel mit der Kette um den Hals.

Er sah etwas sonderbar aus, war lang, schmal und dünn. – Der Schlüssel! Das war die Erklärung! Und wenn diese richtig war, dann kannte der Grüne Bogenschütze auch das Geheimnis von Garre Castle! Er eilte zur Bibliothek und warf die Tür krachend hinter sich zu. Savini hörte es im Halbschlaf und träumte, daß sich der alte Bellamy erschossen hätte. Er lächelte beseligt.

17

Als Julius Savini die Dorfstraße zur Post hinunterging, sah er eine ihm bekannte Gestalt auf dem Bürgersteig. Er war wenig erfreut darüber, und wenn er in eine Seitenstraße hätte entweichen können, hätte er es sicher getan. Aber er mußte an dem jungen, frischen, fröhlichen, rothaarigen jungen Mann vorbei, der seine Morgenzigarre rauchte und wohlgefällig in die Welt schaute, als ob sie sein Eigentum sei. Spike winkte und Savini kam auf ihn zu.

»Ich habe furchtbare –« begann er.

»Sie haben immer furchtbare Eile, das weiß ich. Und Sie wünschen nicht, daß der Alte sieht, daß Sie mit mir sprechen, sonst verlieren Sie Ihre Stelle, das weiß ich auch alles ganz genau. Sagen Sie einmal, Julius, wir müßten eigentlich besser miteinander bekannt werden. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß ich Sie mit Ihrem Vornamen anrede. Das tue ich nur bei ganz bevorzugten Leuten . . . Nein, nein, ich mache keinen Spaß. Meinen ersten Jungen werde ich auch Julius nennen. Nun hören Sie mal zu, ich möchte Sie etwas fragen. Kennen Sie Featherstone von Scotland Yard?«

Savini nickte.

»Ja, ich kenne ihn,« sagte er kurz. »Er ist doch der Herr, der so viel bei den Howetts verkehrt. Warum suchen Sie denn nicht Mr. Howett auf? Er wohnt doch jetzt in Lady's Manor und kann Ihnen über Featherstone genügend Aufklärung geben.«

»Ich war schon bei ihm,« erwiderte Spike. »Also Sie kennen Featherstone?«

»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt,« entgegnete Julius ungeduldig. »Nun muß ich aber wirklich fort, Holland.«

»Nennen Sie mich doch Spike, ich möchte wirklich, daß wir gute Freunde werden. Was haben Sie eigentlich für einen neuen Hausmeister?« fragte er obenhin.

Julius zuckte die Schultern.

»Er ist ein ganz brauchbarer, tüchtiger Mann. Er wurde uns von einem Londoner Bureau zugeschickt.«

»Ein tüchtiger Hausmeister? Das klingt ja ganz nüchtern,« sagte Spike und sah den anderen scharf an. »Kommt er denn auch mal ins Dorf herunter?«

»Ich glaube schon.«

»Ist es jemand, den Sie schon von früher her kennen?«

»Warum fragen Sie mich denn nun dauernd über den Hausmeister aus?« entgegnete Julius ärgerlich. »Ist er etwa ein Freund von Ihnen?«

»Wozu laufen Sie nun schon wieder so eifrig davon?« sagte Spike und hielt Savini am Arm fest, als er entschlüpfen wollte. »Sagen Sie mal, gibt es etwas Neues? Was macht der Grüne Bogenschütze? Ist er noch immer in Ferien?«

»Nein, er war wieder da,« fuhr Julius heraus. »Er hat in der letzten Nacht die Hunde betäubt. Ich bin gerade auf dem Weg zur Post, um ein Telegramm abzuschicken, damit noch zwei neue Hunde kommen sollen. Der Alte denkt nämlich, daß der Bogenschütze nicht imstande ist, vier Hunde zu betäuben.«

Jetzt glückte es Savini, sich loszumachen, er lief, so schnell er konnte, davon und bemühte sich, eine möglichst große Strecke zwischen sich und den neugierigen Spike zu bringen.

Holland hatte an dem Morgen einen Brief aus Belgien bekommen. John Wood hatte die Absicht, am Ende der Woche wiederzukommen und lud Spike ein, mit ihm zu essen. Der eine Teil des Briefes interessierte ihn sehr.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir einen so langen Bericht über Bellamy und die außerordentlichen Vorgänge in seiner Burg eingeschickt haben. Seit dieser Zeit halte ich Ihre Zeitung und verfolge Ihre Artikel über den Grünen Bogenschützen. Ihre Ausführungen sind sehr bemerkenswert. In Ihrem Begleitbrief sprachen Sie noch die Vermutung aus, daß Abel Bellamy durch die dauernde Beunruhigung des Grünen Bogenschützen zusammenbrechen wird. Aber wie ich Ihnen schon früher sagte, irren Sie sich in diesem Punkt. Nichts in der Welt kann diesen teuflischen Menschen in Furcht setzen. Auch glaube ich nicht, daß Abel Bellamy von seiner Hand getötet werden wird wie Creager. Meiner Meinung nach hängt Bellamys Schicksal von den Entdeckungen ab, die der Unbekannte in dem Schloß macht, in dem er umgeht.«

Der Brief handelte dann weiter von Woods großem Plan und den Fortschritten, die er bei dessen Durchführung gemacht hatte. Es war ihm gelungen, eine Anzahl reicher Amerikaner und Engländer für sich zu interessieren, und er hatte einen größeren Erfolg, als er jemals hoffen durfte. Spike las aber diesen Teil des Briefes nicht sorgfältig durch, denn im Moment war er gerade nicht leidenschaftlich an Wohlfahrtseinrichtungen für kleine Kinder interessiert, um so mehr aber an Abel Bellamy. Er konnte sich nicht genügend wundern über den großen Unterschied in dem Charakter dieser beiden Männer. Der eine war ein brutaler Riese, der wie ein Menschenfresser in den Märchen in seiner Festung saß und von dem nur Unglück und Haß ausgingen, während der andere, durch eine zarte und mitleidvolle Seele getrieben, sein ganzes Lebenswerk der Nächstenliebe widmete.

Holland hatte eine Einladung zu Tisch bei den Howetts erhalten und wanderte nun die hübsche Allee hinauf, die an den hohen Mauern der Burg entlangführte. Plötzlich kamen die Kamine von Lady's Manor in Sicht, die noch aus der Zeit der Königin Elisabeth stammten.

Spike hatte sich schon früher um alte Bauten gekümmert, und wie die meisten Amerikaner wußte er besser mit der Baugeschichte Englands Bescheid als die Engländer selbst, die diese Schönheiten jeden Tag sehen. Lady's Manor war im fünfzehnten Jahrhundert für Isabel d'Isle erbaut worden, die einer der de Curcys liebte. Es war teilweise zur Zeit der Königin Elisabeth durch Feuer zerstört, aber sofort wieder aufgebaut worden.

Der Tag war schön und für diese Zeit des Jahres warm. Als er in den Garten eintrat, fand er Valerie Howett dort, die das Einpflanzen von Blumenknollen überwachte.

»Es sieht so aus, als ob Sie sich für immer hier niedergelassen haben,« lächelte Spike, als er ihr die Hand gab.

»Ja – für lange Zeit,« sagte sie ruhig. »Sie werden meinen Vater in der Bibliothek finden. Ich fürchte, daß Ihnen das Haus etwas ungemütlich vorkommt, weil die Handwerker noch da sind, Mr. Holland, aber das Zimmer meines Vaters ist vollkommen renoviert, und dort haben Sie Ruhe.«

Die melancholische Stimmung im Gesichtsausdruck Mr. Howetts war verschwunden. Er war freundlich und guter Dinge, und Spike, der den Grund nicht ahnen konnte, dachte, daß der Luftwechsel eine so günstige Wirkung auf ihn hervorbrachte. Aber dann zeigte ihm Mr. Howett stolz alle die Papiere und Bücher, die er gesammelt hatte, und erzählte ihm von seinem Plan, ein Buch zu schreiben. Er fragte ihn sogar wegen der Einleitung um Rat.

»Haben Sie schon etwas von Ihrem Nachbar gesehen, Mr. Howett?«

»Wer ist das? Ach meinen Sie etwa Bellamy?« Mr. Howett verzog das Gesicht. »Nein, ich möchte überhaupt nichts von ihm sehen. Gott sei Dank ist er ein wenig geselliger Mensch, und ich brauchte nicht zu fürchten, daß er zum Tee zu uns herüberkommt,« fügte er ernst hinzu. »Haben Sie sich in England auch schon an das ewige Teetrinken gewöhnt? Wenn nicht, so vermeiden Sie es, es ist schlimmer, als wenn man ein anderes Narkotikum zu sich nimmt.«

Der Park, der zu Lady's Manor gehörte, war nicht sehr ausgedehnt. Er war etwas weniger als zwei Morgen groß und nach der einen Seite durch die Mauern der Burg Bellamys begrenzt. Dies konnte Spike auch nach dem Essen feststellen, als die junge Dame ihm den Garten zeigte.

»Hier scheint ein Tor nach drüben zu gehen, Miß Howett!«

»Früher war hier ein Tor,« sagte sie fast bedauernd, »aber Mr. Bellamy hat die Öffnung auf der anderen Seite zumauern lassen.«

»Vielleicht hat er Angst vor dem Grünen Bogenschützen,« meinte Spike lustig. »Sie fürchten sich doch nicht etwa, wenn ich diese indiskrete Frage an Sie stellen darf, Miß Howett?«

»Nein, nicht im geringsten.«

Spike betrachtete die Mauer mit dem größten Interesse.

»Sie ist hier niedriger als sonst irgendwo,« sagte er. »Sie hätten von hier aus die beste Gelegenheit, einmal einen Erkundigungsgang in Bellamys feudale Besitzung zu unternehmen.«

Er trat an die Mauer und streckte seinen Arm aus. Er konnte das obere Ende der Mauer mit der Hand erreichen.

»Es gehören nur zwei leichte Leitern dazu, dann sind Sie drüben – ich fange an, Sie zu beneiden, Miß Howett. Ich möchte Sie ja nicht darum bitten, mir dabei behilflich zu sein, einen Einbruch in die Burg von Ihrem Hinterhof aus zu machen. Aber wenn Sie mich nur ein wenig ermutigten, würde ich in einer dunklen Nacht kommen und mich einmal persönlich nach dem Bogenschützen umsehen.«

Sie lachte leise.

»Ich werde mich hüten, Sie zu ermutigen, Mr. Holland,« sagte sie. »Haben Sie Captain Featherstone in der letzten Zeit einmal gesehen?« fragte sie dann plötzlich.

»Nein, seit letztem Montag nicht mehr. Er erzählte mir, daß er verreisen müßte, obgleich ich das stark bezweifle. Unter uns gesagt, Miß Howett, ich habe eine Idee, daß er der neue Hausmeister in der Burg ist. Ich weiß, daß er sich sehr für Bellamy und besonders für seine Gasrechnungen interessiert. Was er nun gerade hierin findet, mag der Himmel wissen!«

»Was sagten Sie da eben?« fragte sie schnell.

Spike erzählte von dem häuslichen Streit, der zur Entlassung des früheren Hausmeisters von Garre geführt hatte.

»Ich habe es Featherstone neulich erzählt, und nachher ist mir erst eingefallen, daß er sich vielleicht um den Posten beworben hat. Diese Leute von der Geheimpolizei geben alle gute Hausmeister ab. Einige von ihnen sind die ganze Zeit in solchen Stellungen beschäftigt und tun nichts anderes. Aber um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich selbst hatte auch den Plan, einen unserer Leute von der Zeitung hinzuschicken. Aber bevor unser Redakteur sich die Sache überlegte, dann erst noch einen Rechtsanwalt um Rat fragte und in der Stille der Nacht seine Seele auf Herz und Nieren prüfte, ob das möglich sei, war die Stelle natürlich längst besetzt. Ich bin davon überzeugt, daß Featherstone der neue Hausmeister ist, denn erstens sagt man, daß er sehr hübsch sein soll, und zweitens kommt er niemals ins Dorf, daß wir ihn uns auch einmal ansehen könnten. Etwas spricht allerdings dagegen. Ich habe heute morgen mit Julius Savini gesprochen. Ich vermute, daß er eine etwas böse Vergangenheit hat und daß es nur wenig Justizbeamte gibt, die ihn nicht kennen. Wenn Featherstone nun der neue Hausmeister wäre, hätte Savini es Bellamy sicher verraten.«

 

Sie dachte nach.

»Also Captain Featherstone hat der hohen Gasrechnung solchen Wert beigelegt?«

Spike nickte.

»Möglich, daß er ein Familienvater ist,« sagte er leichthin. »Wenn er Junggeselle wäre, hatte ihn doch die Tragödie einer großen Gasrechnung nicht weiter beunruhigt.«

»Captain Featherstone ist nicht verheiratet,« sagte sie ein wenig kühl und wurde rot, als Spike sich wegen seines Irrtums entschuldigte.

»Ich weiß gar nicht, warum Sie sich entschuldigen,« sagte sie gereizt. »Ich habe Ihnen doch nur gesagt, daß er nicht verheiratet ist. Sie kennen also Julius Savini?« fragte sie, da sie die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand bringen wollte. »Können Sie mir irgend etwas von ihm erzählen?«

»Nicht viel,« erwiderte Spike überrascht. »Ich weiß nur, daß er ein Mischblut ist. Sein Vater war ein Italiener, seine Mutter eine Inderin, und ich glaube, Julius hat die schlechten Charakterzüge von beiden geerbt. Früher war er mit der Crowley-Bande zusammen, aber ich habe nie erfahren, ob er der Verführte oder der Verführer war. Die Polizei hat vor einem Jahr die Gesellschaft unschädlich gemacht und aus einem mir unbekannten Grunde gelang es Julius, sich aus dem Staube zu machen. Möglich, daß er also auch nur von den anderen verführt wurde, vielleicht diente er ihnen nur als Lockvogel. Ich war zuerst erstaunt, ihn in Bellamys Diensten zu finden, aber als ich es mir dann später überlegte, erkannte ich, daß Julius gerade der Mensch war, der dem Alten besonders paßte. Er ist ein geborener Schuft und hat überhaupt kein Gewissen. Aber er fürchtet sich entsetzlich vor Bellamy. Er hat den Kopf voller Pläne, schnell reich zu werden, aber er hat weder Verstand noch Energie, um diese Pläne auszuführen. Das ist sein Charakter, und ich glaube, daß ich ihm nicht unrecht tue.«

»Sie beurteilen ihn wahrscheinlich richtig,« entgegnete Valerie.

Spike hatte für unbegrenzte Zeit Aufenthalt in Garre genommen. Zweimal am Tage telephonierte er mit seiner Redaktion, und obwohl Mr. Syme vermutete, daß der Grüne Bogenschütze nur ein Vorwand für ihn war, sich von der Arbeit zu drücken, und die Geschichte auch dem Publikum nicht mehr so interessant war, wollte er doch die Verantwortung nicht auf sich nehmen, seinen Angestellten zurückzurufen.

Am Nachmittag sprach Spike gerade mit der Redaktion, als er Valerie in ihrem Auto in der Richtung nach London die Straße entlang fahren sah. Das Telephon im Blauen Bären befand sich in der großen Halle, was etwas peinlich für ihn war, wenn er geheime Unterredungen mit der Polizei führen wollte, denn das Telephon befand sich in Hörweite vom Buffet.

Er trat in die Haustür und schaute hinter Valerie her. Dann kam ihm plötzlich ein Gedanke. Er ging zum Telephonapparat zurück und verlangte noch einmal die Redaktion. Nach einer Viertelstunde hatte er glücklich die Verbindung bekommen, und das war für die dortigen ländlichen Verhältnisse ein äußerst günstiger Schnelligkeitsrekord.

»Sind Sie am Apparat, Mr. Syme? Miß Howett ist nach London gefahren, schicken Sie doch einen Mann hinter ihr her. Ich glaube, man könnte manches dabei herausbekommen, wenn man ihr folgte. Nicht, daß man es in die Zeitung bringt, verstehen Sie mich, aber es könnte mir bei der Aufklärung hier helfen.«

»Ach, Miß Valerie – hat sie denn auch irgend etwas mit Grünen Bogenschützen zu tun?« fragte Mr. Syme ironisch.

»Nicht nur ein wenig – ich glaube, sie spielt eine der Hauptrollen bei der ganzen Geschichte,« erhielt Syme zur Antwort.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?