TARZAN UND SEINE TIERE

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TARZAN UND SEINE TIERE
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EDGAR RICE BURROUGHS

Tarzan und seine Tiere

Dritter Band des TARZAN-Zyklus

Roman

Apex-Verlag

Impressum

Copyright 1914 © by Edgar Rice Burroughs.

Der Roman The Beasts Of Tarzan ist gemeinfrei.

Copyright dieser Ausgabe © by Apex-Verlag.

Übersetzung: Fritz Moeglich und Christian Dörge (OT: The Beasts Of Tarzan).

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.

Cover: Christian Dörge/N. N./Apex-Graphixx.

Satz: Apex-Verlag.

Verlag: Apex-Verlag, Winthirstraße 11, 80639 München.

Verlags-Homepage: www.apex-verlag.de

E-Mail: webmaster@apex-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

Der Autor

TARZAN UND SEINE TIERE

Erstes Kapitel: Entführt

Zweites Kapitel: Gestrandet

Drittes Kapitel: Bestien in der Bucht

Viertes Kapitel: Sheeta

Fünftes Kapitel: Mugambi

Sechstes Kapitel: Eine schreckliche Mannschaft

Siebtes Kapitel: Verraten

Achtes Kapitel: Der Tanz des Todes

Neuntes Kapitel: Ritterlichkeit oder Schurkerei

Zehntes Kapitel: Der Schwede

Elftes Kapitel: Tambudza

Zwölftes Kapitel: Ein schwarzer Schurke

Dreizehntes Kapitel: Flucht

Vierzehntes Kapitel: Allein im Dschungel

Fünfzehntes Kapitel: Den Ugambi hinunter

Sechzehntes Kapitel: In der Dunkelheit der Nacht

Siebzehntes Kapitel: An Bord der Kincaid

Achtzehntes Kapitel: Paulvitsch plant seine Rache

Neunzehntes Kapitel: Der Letzte von der Kincaid

Zwanzigstes Kapitel: Zurück auf dem Dschungel-Eiland

Einundzwanzigstes Kapitel: Das Gesetz des Dschungels

Das Buch


Als Schiffbrüchiger auf eine Dschungel-Insel verschlagen, lehrt Tarzan seine wilden Gefährten – Sheeta, den blutrünstigen Panther, und Akut, den mächtigen Gorilla –, ihm im Kampf zur Seite zu stehen. Mit ihrer und des riesigen Schwarzen Mugambi Hilfe entkommen sie der Insel und erreichen das Festland, wo sie die Spur des gefährlichen Kidnappers aufnehmen, der den kleinen John raubte und der Tarzans Frau Jane als Geisel festhielt...

Der Roman Tarzan und seine Tiere erschien erstmals im Jahr 1914 (unter dem Titel The Beasts Of Tarzan) im All-Story-Cavalier-Magazin.

Der Apex-Verlag veröffentlicht Tarzan und seine Tiere in der deutschen Übersetzung von Fritz Moeglich, bearbeitet von Christian Dörge.

Der Autor


Edgar Rice Burroughs - * 01. September 1875, † 19. März 1950.

Edgar Rice Burroughs war ein US-amerikanischer Schriftsteller, der bekannt wurde als Erzähler diverser Abenteuergeschichten, die sich vor allem dem frühen Fantasy- und Science-Fiction-Genre zuordnen lassen. Die bekanntesten von ihm eingeführten - und in der Folge von anderen in zahlreichen Filmen und Comics etablierten - Heldencharaktere sind Tarzan, John Carter, Carson Napier.

Der Sohn des Fabrikanten und Bürgerkriegsveteranen Major George Tyler Burroughs (1833–1913) und der Lehrerin Mary Evaline Zieger (1840–1920) verlebte nach dem Besuch mehrerer Privatschulen den Großteil seiner Jugend auf der Ranch seiner Brüder in Idaho.

Nach seinem Abschluss auf der Michigan Military Academy im Jahr 1895 trat Burroughs in die 7. US-Kavallerie ein. Als ein Armeearzt bei ihm einen Herzfehler diagnostizierte und er deshalb nicht Offizier werden konnte, verließ Burroughs die Armee vorzeitig im Jahr 1897 und arbeitete bis 1899 wieder auf der Ranch seines Bruders. Danach ging er zurück nach Chicago und arbeitete in der Firma seines Vaters.

Am 1. Januar 1900 heiratete Burroughs seine Jugendliebe Emma Centennia Hulbert. Das Paar bekam drei Kinder: Joan Burroughs Pierce (1908–1972), Hulbert Burroughs (1909–1991) und John Coleman Burroughs (1913–1979). Da die tägliche Routine in der Fabrik seines Vaters Burroughs nicht zufriedenstellte, verließ das Ehepaar 1904 Chicago, um abermals in Idaho zu leben. Mit seinen Brüdern, die inzwischen ihre Ranch aufgegeben hatten, versuchte er sich erfolglos als Goldgräber. Kurze Zeit später arbeitete er als Eisenbahnpolizist in Salt Lake City. Auch diesen Job gab Burroughs auf und zog mit seiner Frau wieder zurück nach Chicago, wo er eine Reihe Jobs annahm, unter anderem als Vertreter. 1911 investierte er sein letztes Geld in einer Handelsagentur für Bleistiftanspitzer und scheiterte.

Burroughs, der zu dieser Zeit an schweren Depressionen litt und, nach einigen seiner Biographen, an Selbstmord dachte, kam auf die Idee, eine Geschichte für ein Magazin zu schreiben, in dem er zuvor Anzeigen für seine Bleistiftanspitzer geschaltet hatte. Seine erste Erzählung Dejah Thoris, Princess of Mars (unter dem Pseudonym Normal Bean für das All-Story-Magazin von Thomas Metcalf geschrieben) wurde zwischen Februar und Juli 1912 als Fortsetzung veröffentlicht.

Metcalf hatte sein Pseudonym in Norman Bean geändert, und auch der Titel seiner Geschichte wurde zu Under the Moon of Mars abgewandelt. Auf Burroughs Beschwerde bezüglich der Änderungen, lenkte Metcalf ein und bot an, Burroughs nächste Geschichte unter seinem richtigen Namen zu drucken. Eine weitere Beschwerde Burroughs betraf den Zusatz For all Rights auf seinem Honorarscheck. Nach längerem Briefwechsel erreichte er, dass die 400 Dollar nur für den Erstabdruck galten.

Burroughs zweite Geschichte, The Outlaw of Torn, wurde jedoch von All-Story abgelehnt. Der große Erfolg kam mit Burroughs drittem Anlauf, Tarzan of the Apes.

Die Geschichte von Tarzan wurde ebenfalls 1912 von All-Story veröffentlicht. Burroughs schrieb in der Folgezeit immer wieder neue Tarzan-Geschichten und konnte sich - kaum zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Tarzan of the Apes - ein riesiges Stück Land in der Nähe von Los Angeles kaufen. Selbst nach Burroughs Tod im Jahr 1950 erschienen weitere Tarzan-Geschichten. Das Landstück bei Los Angeles ist heute die Gemeinde Tarzana.

In den frühen 1930er Jahren wurde sein schriftstellerischer Erfolg allerdings immer mehr von privaten Problemen überschattet. 1934 ließ er sich scheiden und heiratete ein Jahr später Florence Dearholt. Doch schon 1942 wurde auch diese Ehe geschieden. Nach der Bombardierung von Pearl Harbor begab sich Burroughs 1941 als Kriegsreporter nach Hawaii. Nach dem Krieg kehrte er nach Kalifornien zurück, wo er, nach vielen gesundheitlichen Problemen, 1950 einem Herzanfall erlag.

In Burroughs Werk vermischen sich Science Fiction und Fantasy. Er etablierte Geschichten vor einem planetarischen Hintergrund in der Science Fiction. Dabei war Burroughs bewusst, dass seine Literatur bei den Kritikern nicht ankam. Er machte auch nie ein Hehl daraus, dass er schrieb, um Geld zu verdienen.

Die Helden seiner Romane und Erzählungen haben keine Alltagsprobleme. Bei den Charakterzeichnungen schwach, sprudeln Burroughs Geschichten über vor Ideen und Action. Die Helden seiner Romane haben verschiedene Merkmale gemeinsam, beispielsweise das Geheimnis um ihre Herkunft. Entweder haben die Helden nie eine Kindheit erlebt, oder können sich nicht daran erinnern, oder aber sie sind wie Tarzan und The Cave Girl Waisen. Ein weiteres Merkmal von Burroughs Geschichten ist der, wie Brian W. Aldiss es nennt, ausgeprägte sexuelle Dimorphismus. Das jeweils dominante Geschlecht ist hässlich.

Obwohl es in den Romanen und Geschichten Burroughs von schönen, nackten Frauen nur so wimmelt, werden sexuelle Beziehungen weder angedeutet noch erwähnt. Burroughs Welt scheint eine präpubertäre zu sein. Doch ist die Jungfräulichkeit immer in Gefahr (vgl. Aldiss). Fast schon zwanghaft mutet an, dass es in den Geschichten Burroughs, die zwischen 1911 und 1915 geschrieben wurden, nicht weniger als 76 Mal zu Vergewaltigungsdrohungen kommt, die natürlich alle abgewendet werden können. Zu den Bedrohern der weiblichen Unschuld gehören verschiedene Marsianer, Sultane, Höhlenmenschen, japanische Kopfjäger und Affen.

 

E. F. Bleiler schreibt über Burroughs, seine Texte seien „Fantasien von Erotik und Macht.“

Der Apex-Verlag veröffentlicht Burroughs' Venus-Romane (in der deutschen Übersetzung von Thomas Schlück), Neu-Übersetzungen des Tarzan- und des John Carter-Zyklus sowie als deutsche Erstveröffentlichung die Pellucidar-Serie.

TARZAN UND SEINE TIERE

Joan Burroughs gewidmet.

Erstes Kapitel: Entführt

»Die ganze Geschichte ist in mysteriöses Dunkel gehüllt«, sagte d'Arnot. »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass sowohl die Polizei als auch die Geheimagenten des Generalstabs vor einem Rätsel stehen. Alles, was ihnen bekannt ist, beschränkt sich auf die Tatsache, dass Nikolas Rokoff die Flucht gelungen ist.«

John Clayton, Lord Greystoke - der Mann, der einmal »Tarzan von den Affen« genannt wurde -, saß stumm in der Pariser Wohnung seines Freundes, Leutnant Paul d'Arnot, und blickte nachdenklich auf die Spitzen seiner makellos glänzenden Schuhe.

Erinnerungen stiegen in ihm auf, hervorgerufen durch die Nachricht von der Flucht seines Erzfeindes aus dem französischen Militärgefängnis, in das er auf Grund des durch Tarzans Aussage zustande gekommenen Urteils auf Lebenszeit eingeliefert worden war.

Tarzan dachte an die verschiedenen Versuche Rokoffs, ihn aus dem Wege zu räumen, und er zweifelte nicht daran, dass der Russe nun, da er wieder frei war, seine Anstrengungen vervielfachen würde.

Tarzan hatte erst vor kurzem seine Frau und seinen kleinen Sohn nach London gebracht, um ihnen die Unannehmlichkeiten und Gefahren der Regenzeit zu ersparen, die ihnen auf der großen Besitzung in Uziri drohten, dem Lande der wilden Waziri-Krieger, das Tarzan einst beherrscht hatte.

Er hatte den Kanal zu einem kurzen Besuch bei seinem alten Freund überquert, aber schon hatte die Nachricht von der Flucht des Russen einen Schatten über seinen Aufenthalt in Paris geworfen, so dass er eine sofortige Rückkehr erwog, obwohl er kaum angekommen war.

»Sie wissen, dass ich nicht für mich selbst fürchte, Paul«, sagte er nach langem Schweigen. »Ich habe in der Vergangenheit oft genug die Angriffe Rokoffs auf mein Leben abgewiesen, aber jetzt geht es nicht mehr um mich allein. Wenn ich diesen Burschen richtig einschätze, wird sein nächster Anschlag nicht mir selbst, sondern meiner Frau oder meinem Sohn gelten, weil er weiß, dass er mich dadurch am härtesten treffen würde. Ich muss sofort zu ihnen zurückkehren und bei ihnen bleiben, bis Rokoff wieder hinter Gittern sitzt - oder den Tod gefunden hat.«

Zur gleichen Zeit, als diese Unterhaltung in Paris stattfand, besprachen zwei Männer in einem kleinen Haus am Stadtrand von London ihre Pläne. Beide waren finstere, verschlagen wirkende Gestalten. Der eine von ihnen trug einen dunklen Bart, während die Wangen des andern, dessen bleiches Gesicht auffiel, mit mehrere Tage alten Stoppeln bedeckt waren.

»Du musst dich von deinem Bart trennen, Alexis«, sagte der Mann mit dem bleichen Gesicht. »Solange du ihn trägst, erkennt er dich auf den ersten Blick. In einer Stunde gehen wir auseinander. Hoffen wir, unsere beiden ahnungslosen Ehrengäste an Bord der Kincaid begrüßen zu können, wenn wir uns wiedersehen. In zwei Stunden werde ich mit einem von ihnen auf dem Weg nach Dover sein. Du müsstest, wenn du dich an meine Instruktionen hältst, morgen Abend mit dem anderen eintreffen, vorausgesetzt, dass er so schnell nach London zurückkehrt, wie ich annehme. Unsere Anstrengungen werden sich in klingender Münze und anderen angenehmen Dingen auszahlen, mein lieber Alexis. Dank der Kurzsichtigkeit der Franzosen, die mein Entkommen streng geheimgehalten haben, hatte ich genügend Gelegenheit, meinen Plan in allen Einzelheiten auszuarbeiten. Wir brauchen nicht zu fürchten, dass es schiefgeht. Ich habe an alle Möglichkeiten gedacht. Und nun auf Wiedersehen und viel Glück!«

Drei Stunden später stieg ein Postbote die Treppe zur Wohnung Leutnant Paul d'Arnots empor.

»Ein Telegramm für Lord Greystoke«, sagte er zu dem Diener, der ihm öffnete. »Ist er hier?«

Der Diener bejahte, quittierte den Empfang und brachte Tarzan das Telegramm. Tarzan riss den Umschlag auf, und sein Gesicht wurde bleich, als er den Text las.

»Lies, Paul«, sagte er und gab d'Arnot das Papier. »Es ist schon geschehen.«

Der Franzose nahm das Telegramm. Es hatte folgenden Wortlaut: »Jack durch Mithilfe neuen Dieners aus dem Garten entführt. Komme sofort - Jane.«

Als Tarzan aus dem Wagen sprang, der ihn vom Bahnhof abgeholt hatte, und die Stufen zu seinem Haus hinaufeilte, kam ihm Jane Porter Clayton mit rotgeweinten und schreckgeweiteten Augen entgegen. Mit stockender Stimme berichtete sie, was geschehen war.

Das Kindermädchen hatte den kleinen Jungen in seinem Wagen zuerst im Garten vor dem Haus, dann auf dem Gehsteig spazieren gefahren. Kurz darauf fuhr ein geschlossenes Taxi an die Bordschwelle und hielt, ohne dass ein Fahrgast ausstieg, mit laufendem Motor. Zur gleichen Zeit kam Karl, der neue Diener, aus dem Haus gelaufen und rief dem Mädchen zu, dass Jane sie sprechen wolle, sie solle den Kleinen solange in seiner Obhut lassen. Das Mädchen folgte der Aufforderung und kehrte ins Haus zurück, um von Jane zu erfahren, dass sie nicht nach ihr gerufen habe. Misstrauisch geworden, eilten beide auf die Straße zurück und sahen nur noch, wie der Diener den kleinen Jack in das Taxi reichte und dann selbst hineinsprang. Der Wagen fuhr an und war Sekunden später verschwunden.

Mehr wusste Lady Greystoke nicht zu berichten, aber sie begriff sofort, als Tarzan ihr von der Flucht Nikolas Rokoffs erzählte. Während beide noch überlegten, welche Schritte sie nun unternehmen sollten, läutete das Telefon. Tarzan nahm den Hörer ab und meldete sich.

»Lord Greystoke?«, fragte eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.

»Ja.«

»Ihr Sohn wurde entführt«, fuhr die Stimme fort. »Ich allein bin in der Lage, ihn wieder zurückzubringen, weil ich das Komplott kenne, das geschmiedet wurde. Genauer genommen, habe ich sogar eine ausschlaggebende Rolle dabei gespielt. Jetzt versucht man, mich um das Geld zu bringen, das man mir vorher versprach. Ich bin also bereit, Ihnen zu helfen, wenn Sie mir versprechen, keine Anzeige gegen mich zu erstatten. Was sagen Sie dazu?«

»Wenn Sie mich zu meinem Sohn führen, brauchen Sie nichts zu fürchten«, erwiderte Tarzan.

»Gut«, erwiderte der andere. »Sie müssen aber allein zu unserm Treffen kommen. Es ist genug, dass ich auf Ihr Wort vertraue. Ich kann nicht das Risiko eingehen, von anderen erkannt zu werden.«

»Wo und wann treffen wir uns?«, fragte Tarzan.

Der andere nannte ein kleines, hauptsächlich von Seeleuten besuchtes Lokal am Hafen.

»Kommen Sie heute Abend gegen zehn Uhr dorthin«, sagte er abschließend. »Es hat keinen Sinn, früher dort zu sein. Ihr Sohn ist inzwischen in Sicherheit, und ich führe Sie dann zu seinem Versteck. Ich warne Sie noch einmal davor, nicht allein zu kommen und die Polizei zu benachrichtigen. Ich beobachte Sie und bin über jeden Ihrer Schritte im Bilde. Sehe ich, dass Sie picht allein gekommen sind, so gebe ich mich nicht zu erkennen, und die letzte Chance, Ihren Sohn wiederzubekommen, ist dahin.«

Ohne eine Erwiderung abzuwarten, legte der Mann auf.

Tarzan wiederholte seiner Frau den Vorschlag des unbekannten Anrufers. Sie bat, ihn begleiten zu dürfen, aber er lehnte ab, weil es gegen die Vereinbarung gewesen wäre. Zwei Stunden später trennten sie sich - Tarzan, um sich auf den Weg nach Dover zu machen, Jane, tun ins Haus zurückzukehren und sich ihren düsteren Ahnungen zu überlassen. Je länger sie über den geheimnisvollen Anruf nachdachte, umso mehr kam sie zu der Ansicht, dass eine Falle dahinter steckte. Ihr Herz begann dumpf zu hämmern. Sie sah nach der Uhr. Es war zu spät, den Zug nach Dover, mit dem Tarzan fuhr, noch zu erreichen. Aber es fuhr noch ein anderer Zug, der sie zeitig genug zu dem Treffpunkt bringen würde, den der Fremde mit Tarzan vereinbart hatte. Sie rief ihr Mädchen und den Chauffeur und gab ihre Anweisungen. Zehn Minuten später trug der Wagen sie in rasender Fahrt zum Bahnhof.

Es war dreiviertel zehn, als Tarzan die schmutzige Hafenkneipe in Dover betrat. Lärmende Stimmen dröhnten, Rauch hing wie ein Nebelmeer unter der niedrigen, vom Alter geschwärzten Decke. Eine vermummte Gestalt drängte sich an ihm vorüber und flüsterte ihm zu: »Kommen Sie mit, mein Lord.«

Tarzan wandte sich um und folgte dem anderen auf die nur dürftig erhellte Gasse. Der Fremde ging mit zielsicheren Schritten in die Dunkelheit voran, einem Kai zu, auf dem sich Kisten und Ballen stapelten. Hier blieb er stehen.

»Wo ist der Junge?«, fragte Greystoke.

»Auf dem kleinen Dampfer, dessen Lichter sie dort drüben sehen«, erwiderte der andere.

Vergebens suchte Tarzan in der Dunkelheit die Gesichtszüge des Fremden zu erkennen. Hätte er geahnt, dass es Alexis Paulvitsch war, der seinen dunklen Bart geopfert hatte, so hätte er größere Vorsicht walten lassen.

»Er ist im Augenblick unbewacht«, fuhr der Russe fort. »Die Entführer glauben sich sicher vor Entdeckung. Es befinden sich nur zwei Besatzungsmitglieder an Bord, die sich über den von mir gespendeten Gin hergemacht haben dürften. Wir können also unbemerkt auf das Schiff gelangen, das Kind an uns nehmen und wieder verschwinden.«

»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Tarzan ungeduldig.

Der Fremde brachte ihn zu einem kleinen Boot, das am Kai lag. Die beiden Männer sprangen hinein, und Paulvitschs Ruderschläge trugen sie schnell näher an die Kincaid. Eine Strickleiter hing über die Bordwand des Schiffes herab, und die beiden Männer stiegen schnell an Deck. Der Russe deutete auf einen Niedergang.

»Der Kleine ist dort drin versteckt«, flüsterte er. »Es ist besser, Sie holen ihn. In den Armen eines Fremden könnte er zu schreien beginnen. Ich bleibe hier oben als Posten zurück.«

Tarzans Sehnsucht nach seinem Kind war so groß, dass er den sonderbaren Umständen kaum Beachtung schenkte. Es entging ihm, dass das Schiff unter Dampf lag, obwohl sich niemand an Deck aufhielt. Er beeilte sich, der Aufforderung des Unbekannten zu folgen, und betrat den Niedergang. Kaum war er vier Stufen hinabgestiegen, als die schwere Tür hinter ihm zufiel. Sofort wusste er, dass er in eine Falle gelaufen war. Weit davon entfernt, seinen kleinen Sohn zu retten, musste er nun auch noch um sein eigenes Leben fürchten. Er wandte sich um und versuchte die Tür, die hinter ihm zugefallen war, zu öffnen, aber sie widerstand allen seinen Anstrengungen. Er riss ein Zündholz an und musterte seine Umgebung. Er sah einen kleinen Raum, der ihm offensichtlich als Zelle dienen sollte. Die Tür am Ende der Treppe bildete den einzigen Zugang. Außer ihm befand sich niemand in dem Raum, der kein Mobiliar aufwies. Wenn sich das Kind an Bord der Kincaid befand, war es an einer anderen Stelle untergebracht.

Über zwanzig Jahre lang hatte Tarzan den Dschungel ohne menschliche Gesellschaft durchstreift und in dieser Zeit gelernt, die Dinge zu nehmen, wie sie kamen. Auch jetzt begann er weder zu toben, noch sein Schicksal zu verwünschen, sondern harrte gelassen der Dinge, die da kommen würden.

Plötzlich durchlief ein Beben den Schiffsrumpf, und er hörte das Geräusch der Schrauben. Das Schiff hatte Fahrt auf genommen! Wohin, welchem Schicksal trug es ihn entgegen? Während er noch nach der Antwort suchte, vernahm er über den Maschinengeräuschen einen andern Laut, der sein Herz für Sekunden zum Stocken brachte.

Klar und schrill ertönte vom Deck der Schrei einer Frau in Todesangst.

Zweites Kapitel: Gestrandet

Kurz nachdem Tarzan und sein unbekannter Führer im Schatten des Kais verschwunden waren, eilte eine tief verschleierte weibliche Gestalt durch die schmale Gasse und betrat das Lokal, das die beiden Männer Sekunden zuvor verlassen hatten.

Sie blieb im Eingang stehen und sah sich um, dann bahnte sie sich einen Weg zwischen den lärmenden und trinkenden Matrosen und fragte das Mädchen, das an der Bar bediente: »Haben Sie einen großen, gut gekleideten Mann gesehen, der mit einem anderen Gast das Lokal verließ?«

 

Das Mädchen bejahte die Frage, konnte aber die Richtung nicht angeben, in die sich die beiden entfernt hatten. Ein Matrose, der die Unterhaltung mitangehört hatte, wandte sich an die Frau und erklärte, die beiden gesehen zu haben.

»Zeigen Sie mir die Richtung, in die sie gingen«, sagte die Frau und drückte dem Mann eine Münze in die Hand.

Er führte sie aus dem Lokal und schritt schnell mit ihr auf den Kai zu. Sekunden später sahen sie das kleine Boot, das sich draußen dem Dampfer näherte.

»Dort sind sie«, sagte der Mann und deutete aufs Wasser hinaus.

»Zehn Pfund, wenn Sie ein Boot finden und mich zu dem Dampfer rudern!«, rief die Frau erregt.

»Dann schnell«, erwiderte der Matrose. »Wir müssen uns beeilen, wenn wir die Kincaid erreichen wollen, bevor sie abfährt. Sie hat schon seit drei Stunden Dampf aufgemacht und offensichtlich nur noch auf diesen einen Passagier gewartet. Ich habe noch vor einer halben Stunde mit einem der Besatzungsmitglieder gesprochen.«

Schnell gingen sie zum Ende des Kais, wo ein kleines Boot vertäut lag. Der Matrose half der Frau hinein, dann schwang er sich selbst hinab und legte sich in die Riemen. Als sie an der Seite des Dampfers anlangten, forderte er seine Bezahlung, und die Frau drückte ihm, ohne nachzuzählen, mehrere Banknoten in die ausgestreckte Hand. Dann half er ihr auf die Strickleiter und sah ihr nach, bis sie das Deck betreten hatte. Das Geld in seiner Hand veranlasste ihn, nicht gleich die Rückfahrt anzutreten. Man bekam nicht oft einen Passagier, dem die Banknoten so locker saßen. Vielleicht hatte die Dame später den Wunsch, wieder an Land gebracht zu werden.

Bald darauf wurde der Anker gelichtet, die Schrauben begannen sich zu drehen, die Kincaid nahm Kurs auf das offene Meer. Der Matrose hörte einen gellenden Schrei vom Deck des Schiffes und zuckte die Achseln.

»Verdammtes Pech«, murmelte er. »Hätte ich ihr doch vorher das ganze Geld abgenommen.«

Als Jane Clayton das Deck betrat, schien ihr, als sei das Schiff völlig verlassen. Sie sah keine Menschenseele und machte sich daran, nach ihrem Mann zu suchen. Eine schmale Treppe brachte sie unter Deck und zur Hauptkabine, neben der die Kabinen der Schiffsoffiziere lagen. Sie riss Tür um Tür auf, aber nur gähnende Leere und Schweigen antworteten ihr. In ihrem Eifer entging es ihr, dass eine Tür einen Spalt geöffnet und gleich wieder geschlossen wurde. Sie erreichte diese Tür und fand sie ebenfalls unverschlossen. Kaum hatte sie einen Schritt in den dunklen Raum getan, als ein kräftiger Arm sich um ihre Schultern legte und sie ins Innere zog.

Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Gleich darauf legte sich ihr eine breite Hand auf den Mund, und eine spöttische Männerstimme sagte:

»Nicht doch, nicht doch! Erst wenn wir weiter draußen sind. Dann können Sie schreien, bis Sie heiser sind.«

Lady Greystoke wandte sich um und blickte in ein wohlbekanntes Gesicht. Sie zuckte zurück, als habe ein Peitschenhieb sie getroffen.

»Nikolas Rokoff! Monsieur Thuran!«, rief sie aus.

»Ihr ergebener Bewunderer«, erwiderte der Russe und deutete eine ironische Verbeugung an.

»Mein kleiner Junge - wo ist er?«, fragte Jane mit zitternder Stimme. »Geben Sie ihn mir wieder! Wie können Sie so grausam sein? Sagen Sie mir, wo mein Junge ist. Ist er auf diesem Schiff? Bitte, lassen Sie mich zu ihm!«

»Wenn Sie tun, was wir von Ihnen verlangen, wird ihm nichts zustoßen«, sagte Rokoff. »Vergessen Sie nicht, dass es Ihre eigene Schuld ist, dass Sie hier sind. Sie sind freiwillig an Bord gekommen und müssen die Folgen tragen. Ich hatte nie damit gerechnet, dass mir das Glück so hold sein würde.«

Nach diesen Worten verließ er die Kabine und verschloss die Tür hinter sich. Mehrere Tage lang sah Jane ihn nicht, ohne zu ahnen, dass Rokoff nur seekrank in seiner Kabine lag. Ihr einziger Besuch in dieser Zeit war ein mürrischer Schwede, der Koch der Kincaid, der ihr das Essen brachte. Der Mann war groß und grobknochig, trug einen langen gelben Schnurrbart und hatte ständig schmutzige Fingernägel. Sein Anblick allein genügte Jane, ihr jeden Appetit zu verderben, aber sie bemühte sich, ihre wahren Gefühle zu verbergen und ihm immer ein freundliches Gesicht zu zeigen.

Während der angstvollen Tage, die folgten, drehten sich alle Gedanken Janes um zwei Fragen - wo befand sich ihr Sohn, und was war mit Tarzan geschehen? Sie war überzeugt, dass sich das Kind an Bord des Schiffes befand, aber sie wusste nicht, wie sich Tarzans Geschick gestaltet hatte. Natürlich kannte sie den Hass, den der Russe für ihren Mann empfand, und sie konnte sich nur einen Grund denken, warum man ihn an Bord gelockt hatte. Rokoff wollte sich des verhassten Gegners ohne Gefahr entledigen und zugleich Rache dafür nehmen, dass er durch die Aussage des anderen ins Gefängnis gebracht worden war.

Inzwischen lag Tarzan in der Dunkelheit seiner Zelle, ohne zu ahnen, dass Jane sich in der Kabine über ihm befand. Der gleiche Schwede, der Jane bediente, brachte auch ihm die Mahlzeiten, aber jeder Versuch, mit ihm in ein Gespräch zu kommen, endete mit einem Misserfolg.

Wochen, die wie Monate erschienen, vergingen. Nur einmal legte die Kincaid an, um Kohle zu bunkern, und setzte die Fahrt ins Ungewisse nach kurzem Aufenthalt fort.

Rokoff hatte Jane, seit er sie in die kleine Kabine geschlossen hatte, nur einmal besucht. Dieser Besuch verfolgte den Zweck, sie zu überreden, ihm einen großen Scheck auszuschreiben, wofür er als Gegenleistung versprach, ihre Sicherheit und Heimkehr nach London zu garantieren.

»Sobald Sie mich, meinen Sohn und meinen Mann unversehrt in irgendeinem zivilisierten Hafen an Land setzen, werde ich Ihnen das Doppelte von dem, was Sie verlangen, in Gold bezahlen«, erwiderte Jane. »Bis dahin werden Sie nicht einen roten Heller erhalten.«

»Sie werden mir den Scheck geben, den ich verlange«, sagte Rokoff zynisch. »Tun Sie es nicht, so werden weder Sie, noch Ihr Sohn und Ihr Mann je wieder festen Boden betreten, ganz zu schweigen von einem zivilisierten Hafen.«

Jane blickte ihn kühl an. »Ich traue Ihnen nicht«, sagte sie. »Welche Garantie habe ich, dass Sie nur meinen Scheck nehmen und nicht daran denken, Ihren Teil der Vereinbarung einzuhalten?«

Achselzuckend wandte der Russe sich der Kabinentür zu. »Sie werden sich meiner Forderung nicht widersetzen«, zischte er gehässig. »Vergessen Sie nicht, dass ich Ihren Sohn habe, und denken Sie, wenn Sie seine qualvollen Schreie hören, daran, dass er nur wegen Ihrer Halsstarrigkeit leiden muss.«

»Das dürfen Sie nicht tun!«, rief Jane entsetzt. »Sie werden es nicht tun - nicht einmal Sie können so grausam sein.«

»Nicht ich bin grausam, sondern Sie«, erwiderte der Russe. »Ihnen scheint Geld mehr wert zu sein als Ihr kleiner Sohn.«

Die Unterredung endete damit, dass Jane einen Scheck über eine hohe Summe ausstellte. Nikolas Rokoff verließ die Kabine mit zufriedenem Lächeln.

Am Tage darauf wurde die Tür zu Tarzans Zelle geöffnet. Tarzan blickte auf und sah das Gesicht Paulvitschs in dem hellen Viereck.

»Kommen Sie herauf«, befahl der Russe. »Vergessen Sie aber nicht, dass man Sie niederschießt, sobald Sie mich oder ein anderes Besatzungsmitglied anzugreifen versuchen.«

Leichtfüßig stieg Tarzan an Deck und sah sich von einem halben Dutzend Matrosen umringt, die mit Gewehren und Pistolen bewaffnet waren. Ihm gegenüber stand Alexis Paulvitsch. Tarzan blickte sich nach Rokoff um, sah ihn aber nicht. Dennoch war er überzeugt, dass der andere sich an Bord des Schiffes befand.

»Lord Greystoke«, begann der Russe, »Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, dass Sie in diese Lage geraten sind, weil Sie nicht davon abließen, sich in die Angelegenheiten Monsieur Rokoffs zu mischen. Wie Sie sich vorstellen können, hat Monsieur Rokoff erhebliche Mittel aufwenden müssen, um diese kleine Expedition zu ermöglichen, und da Sie deren einzige Ursache sind, hat er das Verlangen, sich an Ihnen schadlos zu halten. Darüber hinaus können Sie erhebliche Unannehmlichkeiten für Ihre Frau und Ihren Sohn verhindern, sich zugleich das eigene Leben sichern und die Freiheit wiedergewinnen, indem Sie auf unsere Forderungen eingehen.«

»Wie hoch ist die Summe?«, fragte Tarzan. »Und welche Garantie habe ich, dass Sie zu Ihren Versprechen stehen? Nach allem, was sich bisher ereignete, habe ich keinen Anlass, zwei Halunken wie Ihnen zu trauen.«

Der Russe errötete. »Sie sollten vorsichtiger sein und in Ihrer Lage keine Beleidigungen aussprechen«, sagte er warnend. »Was die Garantie betrifft, werden Sie sich mit meinem Wort begnügen müssen. Wenn Sie nicht ein noch größerer Narr sind, als wir annehmen, so können Sie sich denken, dass es uns Vergnügen bereiten würde, diesen Männern den Befehl zum Feuern zu geben. Wenn wir davon absehen, so nur darum, weil wir andere Pläne mit Ihnen haben, Pläne, in denen Sie nur lebend eine Rolle spielen können.«

»Beantworten Sie mir eine Frage«, sagte Tarzan, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend. »Befindet sich mein Sohn an Bord dieses Schiffes?«

»Nein«, erwiderte Alexis Paulvitsch, »Ihr Sohn ist nicht an Bord, aber in guten Händen. Wir werden ihn erst dann töten, wenn Sie sich weigern, unseren Forderungen zu entsprechen. Sie sehen, dass es in Ihrer Hand liegt, Ihr Leben und das Ihres Sohnes zu retten.«

»Also gut.« Tarzan wusste, dass die beiden Männer nicht zögern würden, ihre finsteren Drohungen auszuführen. Er zog Scheckbuch und Feder und wiederholte seine Frage: »Wie hoch ist der Betrag, den Sie fordern?«