Tarzan – Band 3 – Tarzans Tiere

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Aus der Reihe: Tarzan bei Null Papier #3
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Tarzan – Band 3 – Tarzans Tiere
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Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 3 – Tarzans Tiere

Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 3 – Tarzans Tiere

(The Beasts of Tarzan)

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021

Übersetzung: J. Schulze, Tony Kellen

EV: Pegasus Verlag, Wetzlar, 1951 (272 S.)

1. Auflage, ISBN 978-3-962817-99-2

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Inhaltsverzeichnis

Der Raub des Kin­des

Nach Afri­ka ent­führt

Wil­de Tie­re in der Bucht

Shee­ta, der Leo­pard

Mu­gam­bi, der Häupt­ling der Wa­gam­bi

Tar­zans furchter­re­gen­der Tier­trupp

In der Wild­nis ver­ra­ten

Der To­de­stanz

Ja­nes Flucht ins Un­ge­wis­se

Von sei­nen Tie­ren be­freit

Tam­bud­za, die Alte

Von al­len ver­las­sen

Die Ur­wald­nacht

Al­lein im Dschun­gel

Den Ugam­bi hin­ab

In der Schlamm­höh­le der Kro­ko­di­le

Nacht­kampf auf der »Kin­caid«

Paw­lo­wi­tsch

Die »Kin­caid« brennt

Wie­der auf der Dschun­gel­in­sel

Das Ge­setz des Dschun­gels

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Jür­gen Schul­ze

Tar­zan bei Null Pa­pier

  Tar­zan – Band 1 – Tar­zan und die wei­ße Frau

  Tar­zan – Band 2 – Tar­zans Rück­kehr

  Tar­zan – Band 3 – Tar­zans Tie­re

  Tar­zan – Band 4 – Tar­zans Sohn

  Tar­zan – Band 5 – Der Schatz von Opar

  Tar­zan – Band 6 – Tar­zans Dschun­gel­ge­schich­ten

Der Raub des Kindes

Die gan­ze Sa­che bleibt eben in Dun­kel gehüllt, sag­te d’Ar­not. Ich weiß es aus bes­ter Quel­le: Po­li­zei und Ge­heim­agen­ten ha­ben nicht den ge­rings­ten An­halts­punkt, wie das al­les an­ge­zet­telt wur­de. Das ein­zi­ge, was alle wis­sen: Ni­ko­laus Ro­koff ist flüch­tig.

John Clay­ton, Lord Grey­sto­ke – der Af­fen-Tar­zan – saß schwei­gend in der Woh­nung sei­nes Freun­des, des Leut­nants d’Ar­not, in Pa­ris. Tief in Ge­dan­ken ver­sun­ken starr­te er auf die Spit­ze sei­nes ta­del­lo­sen Schuhs. Mehr als ge­nug ging ihm durch den Kopf, Erin­ne­run­gen wa­ren wach ge­wor­den durch die­se Flucht sei­nes Erz­fein­des aus dem fran­zö­si­schen Mi­li­tär­ge­fäng­nis, wo er ja eben­so sehr nach der Zeu­gen­aus­sa­ge des Af­fen­menschen und wie nach dem Rich­ter­spruch für sein gan­zes Le­ben hin­ge­hör­te.

Er dach­te dar­an, wie Ro­koff mehr als ein­mal ihn um je­den Preis be­sei­ti­gen woll­te, und war fest über­zeugt, dass al­les, was die­ser Mann bis­her ge­tan, zwei­fel­los nichts be­deu­ten könn­te im Ver­gleich zu den Rän­ken, die sein Hirn jetzt schmie­de­te, da er wie­der frei war. Sei­ne Frau und sei­nen klei­nen Sohn hat­te Tar­zan kürz­lich nach Lon­don ge­bracht. Woll­te er ih­nen doch die Un­be­quem­lich­kei­ten und Ge­fah­ren der Re­gen­zeit auf sei­nen aus­ge­dehn­ten Be­sit­zun­gen in Uzi­ri er­spa­ren. Uzi­ri –, das war das Land der wil­den Wa­zi­ri-Krie­ger in Afri­ka, de­ren wei­te Ge­bie­te der Af­fen­mensch einst als Häupt­ling der Wa­zi­ri be­herrsch­te und in das er als rei­cher Lord zu­rück­ge­kehrt war.

Nur zu ei­nem kur­z­en Be­such war er jetzt zu sei­nem al­ten Freund über den Kanal ge­fah­ren, – da türm­te die Nach­richt von der Flucht des Rus­sen auch schon schwe­re Schat­ten auf. Ob­wohl kaum erst in Pa­ris an­ge­kom­men, er­wog er die so­for­ti­ge Rück­kehr nach Lon­don.

Nicht für mich selbst fürch­te ich, Paul, so brach er end­lich das Schwei­gen. Oft habe ich Ro­koffs An­schlä­ge auf mein Le­ben ver­ei­telt, aber jetzt gilt es mehr. Täu­sche ich mich nicht in dem Men­schen, so wird er es jetzt zu­nächst we­ni­ger auf mich als auf mei­ne Frau und mein Kind ab­se­hen. Denn er weiß zwei­fel­los, dass er da­mit die schlimms­ten Qua­len auf mich häu­fen kann. Nein, ich muss au­gen­blick­lich zu ih­nen zu­rück, ich muss bei ih­nen blei­ben, bis Ro­koff wie­der hin­ter Schloss und Rie­gel ist. Oder – bis er nicht mehr ist.

*

Wäh­rend sie in Pa­ris mit ei­nem Ent­schluss ran­gen, hat­ten zwei an­de­re Män­ner in ei­nem klei­nen Lon­do­ner Vor­stadt­hau­se et­was mit­ein­an­der ab­zu­ma­chen. Fins­ter husch­ten ihre Bli­cke hin und her. Der eine trug einen Bart, dem an­de­ren spross­ten nur ei­ni­ge spär­li­che Stop­peln, und die Bläs­se im Ge­sicht schi­en län­ge­re Be­kannt­schaft mit Ker­ker­luft zu ver­ra­ten. Eben die­ser wand­te sich jetzt an sei­nen Hel­fers­hel­fer:

Du musst un­be­dingt dei­nen Bart ab­neh­men las­sen, Ale­xei; du wirst sonst ohne wei­te­res er­kannt. In die­ser Stun­de noch tren­nen sich un­se­re Wege. Tref­fen wir uns wie­der, das heißt also an Bord der »Kin­caid«, – dann ha­ben wir hof­fent­lich un­se­re bei­den ver­ehr­ten Pas­sa­gie­re mit, die kaum ah­nen, was für eine an­ge­neh­me Rei­se wir für sie aus­ge­dacht ha­ben!

In zwei Stun­den wer­de ich mit dem einen nach Do­ver un­ter­wegs sein. Folgst du ge­nau mei­nen An­wei­sun­gen, wirst du mor­gen Nacht mit dem an­de­ren nach­kom­men. Vor­aus­ge­setzt na­tür­lich, dass er so schnell wie­der nach Lon­don zu­rück­fährt, wie ich ver­mu­te.

Al­ler­lei Ge­winn und Ver­gnü­gen und was sonst noch an gu­ten Din­gen mög­lich ist, wird un­se­re Mühe loh­nen, lie­ber Ale­xei. Das ha­ben wir vor al­lem dem dum­men Fran­zo­sen zu dan­ken. So lan­ge hat man die Tat­sa­che mei­ner Flucht glück­lich ge­heim­ge­hal­ten, dass ich reich­lich Ge­le­gen­heit hat­te, un­ser net­tes Aben­teu­er bis ins kleins­te vor­zu­be­rei­ten. Es ist kaum zu be­fürch­ten, dass ir­gen­det­was schief geht! Un­se­re Plä­ne wird nichts durch­kreu­zen. Also: Leb wohl – und Glück zu!

Drei Stun­den spä­ter kam ein Bote die Trep­pe zur Woh­nung des Leut­nants Paul d’Ar­not hin­auf.

Te­le­gramm für Lord Grey­sto­ke, ver­mel­de­te er dem Be­diens­te­ten, der so­fort an der Türe er­schie­nen war. Wohnt die­ser Herr hier?

Der Die­ner be­stä­tig­te, gab dem Bo­ten die Empfangs­be­schei­ni­gung und über­reich­te Tar­zan, wie Lord Grey­sto­ke sich noch im­mer gern nann­te, das Te­le­gramm. Der war ge­ra­de bei den letz­ten Vor­be­rei­tun­gen für sei­ne Abrei­se nach Lon­don.

Auf­rei­ßen und Le­sen war ei­nes. Er wur­de lei­chen­blass – –

Da, lies Paul, fuhr er auf und gab d’Ar­not das Blatt. Schon al­les im Gan­ge!

Der Freund nahm das Te­le­gramm und las:

Jack un­ter Mit­hil­fe des neu­en Die­ners aus dem Gar­ten ge­raubt. Komm so­fort. Jane.

*

Tar­zan war vom Bahn­hof nach sei­ner Woh­nung ge­eilt, im Sturm­schritt ging es die Trep­pe nach oben. An der Türe traf er sei­ne Frau; sie war trä­nen­los – aber ver­zwei­felt. Rasch be­rich­te­te Jane ih­rem Mann, was sie bis­her über den Raub des Jun­gen hat­te er­fah­ren kön­nen:

Das Kin­der­mäd­chen hät­te ihn vor dem Hau­se in der Son­ne spa­zie­ren ge­fah­ren; plötz­lich sei an der nächs­ten Stra­ßen­e­cke eine ge­schlos­se­ne Au­to­drosch­ke auf­ge­taucht. Das Mäd­chen hät­te im Vor­über­ge­hen nur flüch­tig nach dem Auto ge­schaut. Son­der­ba­rer­wei­se sei nie­mand aus­ge­stie­gen, das Auto habe viel­mehr dicht am Prell­stein mit wei­ter­lau­fen­dem Mo­tor ge­hal­ten. Es hät­te ge­schie­nen, als war­te man auf je­man­den aus dem Hau­se, vor dem es stand.

Fast un­mit­tel­bar nach­her sei Karl, der neue Haus­meis­ter des Grey­stok­schen Hau­ses, her­bei­ge­eilt ge­kom­men. Er habe dem Mäd­chen zu­ge­ru­fen, die gnä­di­ge Frau wün­sche das Kin­der­mäd­chen auf einen Au­gen­blick zu spre­chen. Sie sol­le den klei­nen Jack nur sei­ner Ob­hut über­las­sen, bis sie zu­rück sei.

 

Das Kin­der­mäd­chen sag­te aus, sie habe nicht den lei­ses­ten Ver­dacht aus den Wor­ten des Die­ners schöp­fen kön­nen. Am Tor­weg zum Hau­se sei ihr dann aber ein­ge­fal­len, dass sie ihn hät­te dar­auf auf­merk­sam ma­chen müs­sen, den Kin­der­wa­gen ja nicht so zu dre­hen, dass die Son­nen­strah­len un­mit­tel­bar die Au­gen des Klei­nen trä­fen.

Sie habe sich um­ge­wandt, um dies dem Man­ne zu­zu­ru­fen, und nun mit Ent­set­zen ge­se­hen, wie er in sehr ra­schem Tem­po mit dem Kin­der­wa­gen auf die Stra­ßen­e­cke zu­ge­rast sei. Im glei­chen Au­gen­blick sei auch schon die Tür des Au­tos von in­nen ge­öff­net wor­den, und ein dunkles Ge­sicht für eine Se­kun­de im Rah­men der Türe auf­ge­taucht.

Ganz in­stink­tiv sei es jetzt über sie ge­kom­men, dass dem Kin­de hier eine Ge­fahr dro­he. Ein Schrei, und sie sei die Trep­pe hin­ab zur Stra­ße ge­stürzt, auf die Au­to­drosch­ke zu. Karl habe ge­ra­de den Klei­nen der dunklen Ge­stalt ins Auto hin­ein­ge­scho­ben. Kurz ehe sie das Auto er­reicht habe, sei Karl zu sei­nem Hel­fers­hel­fer hin­ein­ge­sprun­gen und habe die Tür hin­ter sich zu­ge­schla­gen. In­zwi­schen hät­te der Chauf­feur die Ma­schi­ne in Be­we­gung set­zen wol­len. Es sei aber ir­gen­det­was nicht in Ord­nung ge­we­sen – ge­ra­de als ob die Ma­schen des schänd­li­chen Net­zes sich nicht hät­ten schlie­ßen wol­len! Die­se Ver­zö­ge­rung – er drück­te den He­bel auf rück­wärts, und das Auto roll­te auch ei­ni­ge Me­ter zu­rück, ehe er wie­der nach vor­wärts um­schal­te­te –, die­ser kur­ze Auf­ent­halt habe ge­nügt, das Kin­der­mäd­chen bis ne­ben das Auto kom­men zu las­sen.

Sie sei auf das Tritt­brett ge­sprun­gen und habe ver­sucht, den Klei­nen dem Frem­den aus den Ar­men zu rei­ßen. Schrei­end und rin­gend habe sie sich fest­ge­klam­mert, als das Auto los­fuhr, und – sie sei­en kaum am Grey­stok­schen Hau­se vor­über­ge­we­sen –, da hät­te Karl ihr einen schwe­ren Schlag ins Ge­sicht ver­setzt und sie aufs Pflas­ter hin­ab­ge­sto­ßen.

Dienst­bo­ten und Be­woh­ner der Nach­bar­häu­ser sei­en na­tür­lich auf den Lärm hin auf die Stra­ße ge­stürzt. Auch Jane sei Zeu­ge des mu­ti­gen Ver­hal­tens des Mäd­chens ge­we­sen, sie habe so­gar selbst ver­sucht, das in vol­ler Fahrt be­find­li­che Auto ein­zu­ho­len, doch es sei schon zu spät ge­we­sen.

Das war’s, was alle wuss­ten. Lady Grey­sto­ke hat­te noch nicht ein­mal dar­über nach­den­ken kön­nen, wer ei­gent­lich der An­stif­ter die­ser ruch­lo­sen Tat sein moch­te. Jetzt er­fuhr sie durch ih­ren Gat­ten, dass Ni­ko­laus Ro­koff, den man für im­mer un­schäd­lich ge­macht zu ha­ben mein­te, aus dem fran­zö­si­schen Ge­fäng­nis ent­flo­hen war – – –

Tar­zan be­riet mit sei­ner Frau, wie man nun am klügs­ten vor­ge­hen kön­ne. Da läu­te­te das Te­le­fon ne­ben­an im Biblio­thek­zim­mer. Tar­zan nahm so­fort den Hö­rer. Lord Grey­sto­ke dort? Es war eine männ­li­che Stim­me, die so frag­te. Ja, hier.

Ihr Sohn ist ge­raubt wor­den, fuhr der an­de­re fort. Ich al­lein kann Ih­nen hel­fen, wenn Sie ihn wie­der­ha­ben wol­len. Na­tür­lich bin ich bei der gan­zen Ver­schwö­rung da­bei. Die Sa­che liegt al­ler­dings jetzt so, dass die an­de­ren mich um mei­nen Ge­winn brin­gen wol­len. Gut, ich wer­de das quitt ma­chen: ich will da­für Ih­nen hel­fen. Eine Be­din­gung frei­lich: Sie dür­fen mich auf kei­nen Fall in eine et­wai­ge ge­richt­li­che Un­ter­su­chung hin­ein­zie­hen. Wie stel­len Sie sich zu mei­nem Vor­schlag?

Sie brau­chen ab­so­lut nichts zu fürch­ten, wenn Sie mir tat­säch­lich zei­gen kön­nen, wo man mein Kind ver­steckt hält, er­wi­der­te der Af­fen­mensch.

Ab­ge­macht, kam es von drü­ben. Sie müs­sen aber un­be­dingt ohne Beglei­tung er­schei­nen. Es ist ge­nug, wenn ich mich auf Sie al­lein ver­las­se. Ich kann un­mög­lich dul­den, dass drit­te Per­so­nen mich se­hen.

Wo und wann tref­fen wir uns? frag­te Tar­zan.

Der an­de­re nann­te die Stra­ße und eine Wirt­schaft im Ha­fen­vier­tel von Do­ver, dem Tum­mel­platz von Ma­tro­sen, Ha­fen­ar­bei­tern und al­ler­lei Ge­sin­del.

Kom­men Sie heu­te Abend um zehn Uhr. Aber ja nicht eher! Ihr Sohn ist in­zwi­schen gut auf­ge­ho­ben; ich will Sie dann nach dem Ver­steck füh­ren, ohne dass es je­mand merkt. Und noch­mals: Kom­men Sie ja al­lein und las­sen Sie die Kri­mi­nal­po­li­zei aus dem Spie­le. Ich ken­ne Sie per­sön­lich. Ich wer­de Sie auch erst ge­nau be­ob­ach­ten. Tau­chen Sie in Beglei­tung auf oder müss­te ich ir­gend so et­was Ver­däch­ti­ges wie Ge­heim­po­li­zis­ten im Ge­län­de wit­tern, dann ist al­les aus. Mich fin­den Sie je­den­falls nicht, und um Ihren Sohn ist es ge­sche­hen. Schluss!

Drü­ben wur­de die Ver­bin­dung ge­trennt.

Tar­zan wie­der­hol­te sei­ner Frau das We­sent­li­che. Sie bat fle­hent­lich, er sol­le sie mit­neh­men, doch er wehr­te ab. Das lie­fe ja bloß dar­auf hin­aus, dass je­ner Mann sei­ne Dro­hung wahr ma­che und die Hil­fe ver­sa­ge, wenn er nicht tat­säch­lich al­lein käme. So trenn­ten sie sich. Tar­zan eil­te nach Do­ver. Sie blieb auf und woll­te war­ten, bis er ihr die ers­te Nach­richt über den Er­folg ge­ben wür­de – –

Und sie ver­sank in Ge­dan­ken. Was moch­te ih­nen bei­den wohl be­geg­nen, bis sie sich wie­der­sä­hen? Und wie wür­de ihre wei­te­re Zu­kunft aus­se­hen – – Doch, was konn­te es jetzt noch nüt­zen, Pro­phe­tin zu spie­len?

Vor zehn Mi­nu­ten hat­te sie ihr Mann ver­las­sen. Jane ging auf den wei­chen sei­de­nen Tep­pi­chen der Biblio­thek er­regt auf und ab. Sie hat­te kei­ne Ruhe mehr, ihr Mut­ter­herz poch­te wild. Den Erst­ge­bo­re­nen hat­te man ihr ge­raubt, und nun schwank­te sie qual­voll zwi­schen Furcht und Hoff­nung. Wenn sie al­les rein ver­stan­des­mä­ßig an­sah: Ja, es wür­de jetzt gut ge­hen: Tar­zan kam al­lein, wie es je­ner ge­heim­nis­vol­le Frem­de ge­wünscht hat­te. Doch ir­gend­ei­ne dunkle Stim­me in ih­rem In­nern ließ den Ver­dacht nicht ru­hen, dass schlimms­te Ge­fah­ren bei­den droh­ten, ganz be­stimmt bei­den, Mann und Kind! Je mehr sie nach­dach­te, umso mehr wuchs in ihr die Über­zeu­gung, dass die­ser te­le­fo­ni­sche An­ruf nur ein Trick der Räu­ber war, um Zeit zu ge­win­nen und sie bei­de von den nö­tigs­ten Maß­nah­men ab­zu­hal­ten. In­zwi­schen wür­de man den Klei­nen ir­gend­wo si­cher ver­steckt oder gar aus Eng­land weg­ge­schleppt ha­ben. Vi­el­leicht war es auch eine Fal­le? Wur­de auch Tar­zan jetzt in die Hand je­nes un­ver­söhn­li­chen Ro­koff ge­spielt? Sie such­te die­sen Ge­dan­ken in sei­ner gan­zen Furcht­bar­keit zu fas­sen. Er­schüt­tert blieb sie mit schre­ckens­star­ren Au­gen ste­hen, und blitz­ar­tig kam ihr der Ent­schluss. Ein Blick auf die Stand­uhr in der Ni­sche. Sie fühl­te die Zeit im Schlag je­der Se­kun­de da­hin­ei­len.

Nahm sie den Zug nach Do­ver, den auch Tar­zan ge­nom­men hat­te? Dazu war es schon zu spät.

Nein, sie wür­de den an­de­ren Weg ein­schla­gen. Es war zwar wei­ter; aber sie wür­de recht­zei­tig am Kanal­ha­fen sein, noch be­vor die Uhr zum Glo­cken­schlag der Stun­de an­setz­te, die der Frem­de ih­rem Man­ne be­stimmt hat­te.

Sie rief Mäd­chen und Chauf­feur und gab rasch ihre An­wei­sun­gen. Schon zehn Mi­nu­ten spä­ter ras­te sie im Auto durch be­leb­te Stra­ßen zum Bahn­hof.

*

Es war drei­vier­tel zehn Uhr abends. Tar­zan trat in die schmut­zi­ge Ha­fen­knei­pe in Do­ver ein; dump­fe Wol­ken von Dunst und Qualm ström­ten ihm ent­ge­gen. Ein Mann, stark mas­kiert, wies ihn nach der Stra­ße.

Kom­men Sie, Lord, tu­schel­te der Un­be­kann­te.

Der Af­fen­mensch wand­te sich und folg­te in die spär­lich be­leuch­te­te Gas­se. Mit der sonst üb­li­chen Be­zeich­nung »Stra­ße« hät­te man ihr wirk­lich zu viel Ehre an­ge­tan.

Sie wa­ren am Ende. Der an­de­re steu­er­te gleich dort­hin, wo ih­nen noch grö­ße­re Fins­ter­nis ent­ge­gen­starr­te. Man war am Kai. Hochauf­ge­sta­pel­te Bal­len, Kis­ten und Käs­ten war­fen weit­hin tie­fe Schat­ten. Hier mach­te er Halt.

Wo steckt nun mein Jun­ge? frag­te Grey­sto­ke.

Dort drü­ben, Sie se­hen die Lich­ter des klei­nen Damp­fers, er­wi­der­te der an­de­re.

Trotz der Fins­ter­nis such­te Tar­zan die Züge sei­nes Füh­rers ge­nau­er zu mus­tern. Er glaub­te, den Mann noch nie ge­se­hen zu ha­ben. Hät­te er auch nur ge­ahnt, dass er Ale­xei Paw­lo­wi­tsch vor sich hat­te – nichts als ge­mei­nen Ver­rat und lau­ern­de Ge­fahr wür­de er in je­der Be­we­gung die­ses Men­schen ge­wit­tert ha­ben.

Das Kind ist jetzt un­be­wacht, fuhr der Frem­de fort. Die Her­ren Räu­ber füh­len sich völ­lig si­cher. Nur ein paar von den Spitz­bu­ben sind üb­ri­gens an Bord der »Kin­caid«. Aber die habe ich schon ge­hö­rig mit Schnaps be­ar­bei­tet, sie sind für ein paar Stun­den ver­sorgt, da kann sich kei­ner mehr rüh­ren. Also, ge­hen wir. Sie neh­men Ihr Kind und kön­nen ver­schwin­den, ohne das Ge­rings­te be­fürch­ten zu müs­sen.

Tar­zan nick­te zu­stim­mend.

Also los, sag­te er nur.

Ein Boot war am Kai fest­ge­macht, sie stie­gen ein, und Paw­lo­wi­tsch ru­der­te rasch auf den Damp­fer zu. Di­cke schwar­ze Rauch­fah­nen quol­len aus dem Schorn­stein. Tar­zan be­ach­te­te dies nicht im Ge­rings­ten. Sei­ne Ge­dan­ken wa­ren ein­zig und al­lein auf das ge­rich­tet, was er fie­bernd er­war­te­te: Schon in we­ni­gen Mi­nu­ten wür­de er sei­nen Klei­nen wie­der in den Ar­men hal­ten! Vom Schiff hing eine Strick­lei­ter her­ab. Vor­sich­tig klet­ter­ten sie fast laut­los an Deck. Oben gin­gen sie schnell nach ach­tern. Der Rus­se zeig­te auf eine Luke. Dort ist der Jun­ge ver­steckt, sag­te er. Bes­ser, Sie ho­len ihn selbst. Er wird dann kaum schrei­en und könn­te auch er­schre­cken, wenn ein Frem­der ihn auf den Arm nimmt. Ich will da­für hier oben auf­pas­sen. Tar­zan war völ­lig im Ban­ne sei­ner nun fast er­füll­ten Hoff­nung. Den Jun­gen soll­te er wie­der­ha­ben! Und so ent­ging ihm al­les, was auf die­ser »Kin­caid« ge­heim­nis­voll und ver­däch­tig er­schei­nen muss­te: Kein Mensch auf Deck, und da­bei das Schiff un­ter Dampf. Mehr noch: Die ge­wal­ti­gen Rauch­schwa­den deu­te­ten doch of­fen­sicht­lich dar­auf hin, dass man be­reit war, je­den Au­gen­blick in See zu ge­hen. Nichts, rein gar nichts mach­te ihn stut­zig. Nur der eine ein­zi­ge Ge­dan­ke, dass er im nächs­ten Au­gen­blick schon dies kost­ba­re klei­ne Ge­schöpf in sei­nen Ar­men ha­ben wür­de, schi­en in ihm Raum zu ha­ben.

Hin­ab in die Fins­ter­nis schwang sich der Af­fen­mensch, doch kaum hat­te er den Rand der Lu­ken­öff­nung los­ge­las­sen, da schlug der schwe­re De­ckel kra­chend über ihm zu – –

Er be­griff so­fort, dass er ei­nem heim­tücki­schen An­schlag zum Op­fer ge­fal­len war. Sei­nen Sohn wie­der­fin­den? Gar nicht dar­an zu den­ken. Er selbst hat­te sich in die Hän­de sei­ner Fein­de ge­stürzt. Mit al­len Kräf­ten such­te er den De­ckel der Luke zu er­rei­chen. Vi­el­leicht konn­te er ihn noch nach oben drücken – – Doch ver­geb­lich. Er zün­de­te ein Streich­holz an und fand sich in ei­nem Raum, den man an­schei­nend vom Haup­traum be­son­ders ab­ge­teilt hat­te. Der Lu­ken­de­ckel über ihm der ein­zi­ge Zu­gang – –; es war son­nen­klar: man hat­te dies hier ein­zig und al­lein für ihn als Ker­ker aus­ge­dacht.

Nichts und nie­mand wa­ren hier wei­ter. Und das Kind? Wäre es wirk­lich an Bord der »Kin­caid«, dann über­all, nur nicht hier.

Vom Kind zum Man­ne war er her­an­ge­wach­sen mit­ten in der Wild­nis und fern von je­dem mensch­li­chen We­sen, über zwan­zig Jah­re lang. Ei­nes hat­te er da vor al­lem ge­lernt in die­sen Jah­ren, in de­nen al­les im Men­schen so köst­lich jung und emp­fäng­lich ist: Er hat­te ge­lernt, Freud und Leid, Glück und Un­glück so zu neh­men, wie die wil­den Tie­re sich mit ih­ren Ge­schi­cken ab­fin­den. Kein Ra­sen also jetzt, kein Sichauf­bäu­men ge­gen die­sen Schick­sals­schlag. Ge­las­sen und wa­chen Au­ges war­te­te er, was nun wohl fol­gen wür­de. Das Men­schen­mög­li­che soll­te je­den­falls ge­tan wer­den, er wür­de sich schon zu hel­fen wis­sen. Ge­wis­sen­haft un­ter­such­te er sein Ge­fäng­nis. Er tas­te­te die Plan­ken von oben bis un­ten ab, die­se elen­den Ker­ker­wän­de, und such­te dann ab­zu­schät­zen, wie hoch der Lu­ken­de­ckel ei­gent­lich über ihm lie­ge.

Plötz­lich fühl­te er das Stamp­fen der Ma­schi­ne, das Sur­ren der Schrau­ben. Man fuhr also? Wo­hin – – wo­hin – –?

Und mit­ten in die­sem Wir­bel sei­ner Ge­dan­ken, in dies Zit­tern und den Lärm der Ma­schi­nen drang plötz­lich ein Et­was, dass es ihm eis­kalt den Rücken hin­a­b­lief: Ein un­heim­lich gel­len­der Schrei oben auf Deck, ein Krei­schen, wie von ei­nem zu Tode er­schro­cke­nen Wei­be – – –