Tarzans Tiere

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Tarzans Tiere

Edgar Rice Burroughs

Inhaltsverzeichnis

Der Raub des Kindes

Nach Afrika entführt

Wilde Tiere in der Bucht

Sheeta, der Leopard

Mugambi, der Häuptling der Wagambi

Tarzans furchterregender Tiertrupp

In der Wildnis verraten

Der Todestanz

Janes Flucht ins Ungewisse

Von seinen Tieren befreit

Tambudza, die Alte

Von allen verlassen

Die Urwaldnacht

Allein in der Dschungel

Den Ugambi hinab

In der Schlammhöhle der Krokodile

Nachtkampf auf der »Kincaid«

Pawlowitsch

Die »Kincaid« brennt

Wieder auf der Dschungelinsel

Das Gesetz der Dschungel

Impressum

Der Raub des Kindes

Die ganze Sache bleibt eben in Dunkel gehüllt, sagte d'Arnot. Ich weiß es aus bester Quelle: Polizei und Geheimagenten haben nicht den geringsten Anhaltspunkt, wie das alles angezettelt wurde. Das einzige, was alle wissen: Nikolaus Rokoff ist flüchtig.

John Clayton, Lord Greystoke – der Affen-Tarzan – saß schweigend in der Wohnung seines Freundes, des Leutnants Paul d'Arnot, in Paris. Tief in Gedanken versunken starrte er auf die Spitze seines tadellosen Schuhs. Mehr als genug ging ihm durch den Kopf, Erinnerungen waren wach geworden durch diese Flucht seines Erzfeindes aus dem französischen Militärgefängnis, wo er ja ebenso sehr nach der Zeugenaussage des Affenmenschen und wie nach dem Richterspruch für sein ganzes Leben hingehörte.

Er dachte daran, wie Rokoff mehr als einmal ihn um jeden Preis beseitigen wollte, und war fest überzeugt, daß alles, was dieser Mann bisher getan, zweifellos nichts bedeuten könnte im Vergleich zu den Ränken, die sein Hirn jetzt schmiedete, da er wieder frei war.

Seine Frau und seinen kleinen Sohn hatte Tarzan kürzlich nach London gebracht. Wollte er ihnen doch die Unbequemlichkeiten und Gefahren der Regenzeit auf seinen ausgedehnten Besitzungen in Uziri ersparen. Uziri –, das war das Land der wilden Waziri-Krieger in Afrika, deren weite Gebiete der Affenmensch einst als Häuptling der Waziri beherrschte und in das er als reicher Lord zurückgekehrt war.

Nur zu einem kurzen Besuch war er jetzt zu seinem alten Freund über den Kanal gefahren, – da türmte die Nachricht von der Flucht des Russen auch schon schwere Schatten auf. Obwohl kaum erst in Paris angekommen, erwog er die sofortige Rückkehr nach London.

Nicht für mich selbst fürchte ich, Paul, so brach er endlich das Schweigen. Oft habe ich Rokoffs Anschläge auf mein Leben vereitelt, aber jetzt gilt es mehr. Täusche ich mich nicht in dem Menschen, so wird er es jetzt zunächst weniger auf mich als auf meine Frau und mein Kind absehen. Denn er weiß zweifellos, daß er damit die schlimmsten Qualen auf mich häufen kann. Nein, ich muß augenblicklich zu ihnen zurück, ich muß bei ihnen bleiben, bis Rokoff wieder hinter Schloß und Riegel ist. Oder – bis er nicht mehr ist.

*

Während sie in Paris mit einem Entschluß rangen, hatten zwei andere Männer in einem kleinen Londoner Vorstadthause etwas miteinander abzumachen. Finster huschten ihre Blicke hin und her. Der eine trug einen Bart, dem anderen sproßten nur einige spärliche Stoppeln, und die Blässe im Gesicht schien längere Bekanntschaft mit Kerkerluft zu verraten. Eben dieser wandte sich jetzt an seinen Helfershelfer:

Du mußt unbedingt deinen Bart abnehmen lassen, Alexei; du wirst sonst ohne weiteres erkannt. In dieser Stunde noch trennen sich unsere Wege. Treffen wir uns wieder, das heißt also an Bord der »Kincaid«, – dann haben wir hoffentlich unsere beiden verehrten Passagiere mit, die kaum ahnen, was für eine angenehme Reise wir für sie ausgedacht haben!

In zwei Stunden werde ich mit dem einen nach Dover unterwegs sein. Folgst du genau meinen Anweisungen, wirst du morgen Nacht mit dem andern nachkommen. Vorausgesetzt natürlich, daß er so schnell wieder nach London zurückfährt, wie ich vermute.

Allerlei Gewinn und Vergnügen und was sonst noch an guten Dingen möglich ist, wird unsere Mühe lohnen, lieber Alexei. Das haben wir vor allem dem dummen Franzosen zu danken. So lange hat man die Tatsache meiner Flucht glücklich geheimgehalten, daß ich reichlich Gelegenheit hatte, unser nettes Abenteuer bis ins kleinste vorzubereiten. Es ist kaum zu befürchten, daß irgendetwas schief geht! Unsere Pläne wird nichts durchkreuzen. Also: Leb wohl – und Glück zu!

Drei Stunden später kam ein Bote die Treppe zur Wohnung des Leutnants Paul d'Arnot hinauf.

Telegramm für Lord Greystoke, vermeldete er dem Bediensteten, der sofort an der Türe erschienen war. Wohnt dieser Herr hier?

Der Diener bestätigte, gab dem Boten die Empfangsbescheinigung und überreichte Tarzan, wie Lord Greystoke sich noch immer gern nannte, das Telegramm. Der war gerade bei den letzten Vorbereitungen für seine Abreise nach London.

Aufreißen und Lesen war eines. Er wurde leichenblaß – –

Da, lies Paul, fuhr er auf und gab d'Arnot das Blatt. Schon alles im Gange!

Der Freund nahm das Telegramm und las:

Jack unter Mithilfe des neuen Dieners aus dem Garten geraubt. Komm sofort.

Jane.

*

Tarzan war vom Bahnhof nach seiner Wohnung geeilt, im Sturmschritt ging es die Treppe nach oben. An der Türe traf er seine Frau; sie war tränenlos – aber verzweifelt. Rasch berichtete Jane ihrem Mann, was sie bisher über den Raub des Jungen hatte erfahren können:

Das Kindermädchen hätte ihn vor dem Hause in der Sonne spazieren gefahren; plötzlich sei an der nächsten Straßenecke eine geschlossene Autodroschke aufgetaucht. Das Mädchen hätte im Vorübergehen nur flüchtig nach dem Auto geschaut. Sonderbarerweise sei niemand ausgestiegen, das Auto habe vielmehr dicht am Prellstein mit weiterlaufendem Motor gehalten. Es hätte geschienen, als warte man auf jemanden aus dem Hause, vor dem es stand.

Fast unmittelbar nachher sei Charles, der neue Hausmeister des Greystokschen Hauses, herbeigeeilt gekommen. Er habe dem Mädchen zugerufen, die gnädige Frau wünsche das Kindermädchen auf einen Augenblick zu sprechen. Sie solle den kleinen Jack nur seiner Obhut überlassen, bis sie zurück sei.

Das Kindermädchen sagte aus, sie habe nicht den leisesten Verdacht aus den Worten des Dieners schöpfen können. Am Torweg zum Hause sei ihr dann aber eingefallen, daß sie ihn hätte darauf aufmerksam machen müssen, den Kinderwagen ja nicht so zu drehen, daß die Sonnenstrahlen unmittelbar die Augen des Kleinen träfen.

Sie habe sich umgewandt, um dies dem Manne zuzurufen, und nun mit Entsetzen gesehen, wie er in sehr raschem Tempo mit dem Kinderwagen auf die Straßenecke zugerast sei. Im gleichen Augenblick sei auch schon die Tür des Autos von innen geöffnet worden, und ein dunkles Gesicht für eine Sekunde im Rahmen der Türe aufgetaucht.

Ganz instinktiv sei es jetzt über sie gekommen, daß dem Kinde hier eine Gefahr drohe. Ein Schrei, und sie sei die Treppe hinab zur Straße gestürzt, auf die Autodroschke zu. Charles habe gerade den Kleinen der dunklen Gestalt ins Auto hineingeschoben. Kurz ehe sie das Auto erreicht habe, sei Charles zu seinem Helfershelfer hineingesprungen und habe die Tür hinter sich zugeschlagen. Inzwischen hätte der Chauffeur die Maschine in Bewegung setzen wollen. Es sei aber anscheinend irgend etwas nicht in Ordnung gewesen – gerade als ob die Maschen des schändlichen Netzes sich nicht hätten schließen wollen! Diese Verzögerung – er drückte den Hebel auf rückwärts, und das Auto rollte auch einige Meter zurück, ehe er wieder nach vorwärts umschaltete –, dieser kurze Aufenthalt habe genügt, das Kindermädchen bis neben das Auto kommen zu lassen.

Sie sei auf das Trittbrett gesprungen und habe versucht, den Kleinen dem Fremden aus den Armen zu reißen. Schreiend und ringend habe sie sich festgeklammert, als das Auto losfuhr, und – sie seien kaum am Greystokeschen Hause vorübergewesen –, da hätte Charles ihr einen schweren Schlag ins Gesicht versetzt und sie aufs Pflaster hinabgestoßen.

 

Dienstboten und Bewohner der Nachbarhäuser seien natürlich auf den Lärm hin auf die Straße gestürzt. Auch Jane sei Zeuge des mutigen Verhaltens des Mädchens gewesen, sie habe sogar selbst versucht, das in voller Fahrt befindliche Auto einzuholen, doch es sei schon zu spät gewesen.

Das war's, was alle wußten. Lady Greystoke hatte noch nicht einmal darüber nachdenken können, wer eigentlich der Anstifter dieser ruchlosen Tat sein mochte. Jetzt erfuhr sie durch ihren Gatten, daß Nikolaus Rokoff, den man für immer unschädlich gemacht zu haben meinte, aus dem französischen Gefängnis entflohen war – – –

Tarzan beriet mit seiner Frau, wie man nun am klügsten vorgehen könne. Da läutete das Telephon nebenan im Bibliothekzimmer. Tarzan nahm sofort den Hörer. Lord Greystoke dort? Es war eine männliche Stimme, die so fragte. Ja, hier.

Ihr Sohn ist geraubt worden, fuhr der andere fort. Ich allein kann Ihnen helfen, wenn Sie ihn wieder haben wollen. Natürlich bin ich bei der ganzen Verschwörung dabei. Die Sache liegt allerdings jetzt so, daß die andern mich um meinen Gewinn bringen wollen. Gut, ich werde das quitt machen: ich will dafür Ihnen helfen. Eine Bedingung freilich: Sie dürfen mich auf keinen Fall in eine etwaige gerichtliche Untersuchung hineinziehen. Wie stellen Sie sich zu meinem Vorschlag?

Sie brauchen absolut nichts zu fürchten, wenn Sie mir tatsächlich zeigen können, wo man mein Kind versteckt hält, erwiderte der Affenmensch.

Abgemacht, kam es von drüben. Sie müssen aber unbedingt ohne Begleitung erscheinen. Es ist genug, wenn ich mich auf Sie allein verlasse. Ich kann unmöglich dulden, daß dritte Personen mich sehen.

Wo und wann treffen wir uns? fragte Tarzan.

Der andere nannte die Straße und eine Wirtschaft im Hafenviertel von Dover, dem Tummelplatz von Matrosen, Hafenarbeitern und allerlei Gesindel.

Kommen Sie heute abend um zehn Uhr. Aber ja nicht eher! Ihr Sohn ist inzwischen gut aufgehoben; ich will Sie dann nach dem Versteck führen, ohne daß es jemand merkt. Und nochmals: Kommen Sie ja allein und lassen Sie die Kriminalpolizei aus dem Spiele. Ich kenne Sie persönlich. Ich werde Sie auch erst genau beobachten. Tauchen Sie in Begleitung auf oder müßte ich irgend so etwas Verdächtiges wie Geheimpolizisten im Gelände wittern, dann ist alles aus. Mich finden Sie dann jedenfalls nicht, und um Ihren Sohn ist es geschehen. Schluß!

Drüben wurde die Verbindung getrennt.

Tarzan wiederholte seiner Frau das Wesentliche. Sie bat flehentlich, er solle sie mitnehmen, doch er wehrte ab. Das liefe ja bloß darauf hinaus, daß jener Mann seine Drohung wahr mache und die Hilfe versage, wenn er nicht tatsächlich allein käme. So trennten sie sich. Tarzan eilte nach Dover. Sie blieb aus und wollte warten, bis er ihr die erste Nachricht über den Erfolg geben würde – –

Und sie versank in Gedanken. Was mochte ihnen beiden wohl begegnen, bis sie sich wiedersähen? Und wie würde ihre weitere Zukunft aussehen – – Doch, was konnte es jetzt noch nützen, Prophetin zu spielen?

Vor zehn Minuten hatte sie ihr Mann verlassen. Jane ging auf den weichen seidenen Teppichen der Bibliothek erregt auf und ab. Sie hatte keine Ruhe mehr, ihr Mutterherz pochte wild. Den Erstgeborenen hatte man ihr geraubt, und nun schwankte sie qualvoll zwischen Furcht und Hoffnung. Wenn sie alles rein verstandesmäßig ansah: Ja, es würde jetzt gut gehen: Tarzan kam allein, wie es jener geheimnisvolle Fremde gewünscht hatte. Doch irgendeine dunkle Stimme in ihrem Innern ließ den Verdacht nicht ruhen, daß schlimmste Gefahren beiden drohten, ganz bestimmt beiden, Mann und Kind! Je mehr sie nachdachte, um so mehr wuchs in ihr die Überzeugung, daß dieser telephonische Anruf nur ein Trick der Räuber war, um Zeit zu gewinnen und sie beide von den nötigsten Maßnahmen abzuhalten. Inzwischen würde man den Kleinen irgendwo sicher versteckt oder gar aus England weggeschleppt haben. Vielleicht war es auch eine Falle? Wurde auch Tarzan jetzt in die Hand jenes unversöhnlichen Rokoff gespielt? Sie suchte diesen Gedanken in seiner ganzen Furchtbarkeit zu fassen. Erschüttert blieb sie mit schreckensstarren Augen stehen, und blitzartig kam ihr der Entschluß. Ein Blick auf die Standuhr in der Nische. Sie fühlte die Zeit im Schlag jeder Sekunde dahineilen.

Nahm sie den Zug nach Dover, den auch Tarzan genommen hatte? Dazu war es schon zu spät.

Nein, sie würde den anderen Weg einschlagen. Es war zwar weiter; aber sie würde rechtzeitig am Kanalhafen sein, noch bevor die Uhr zum Glockenschlag der Stunde ansetzte, die der Fremde ihrem Manne bestimmt hatte.

Sie rief Mädchen und Chauffeur und gab rasch ihre Anweisungen. Schon zehn Minuten später raste sie im Auto durch belebte Straßen zum Bahnhof.

*

Es war dreiviertel zehn Uhr abends. Tarzan trat in die schmutzige Hafenkneipe in Dover ein; dumpfe Wolken von Dunst und Qualm strömten ihm entgegen. Ein Mann, stark maskiert, wies ihn nach der Straße.

Kommen Sie, Lord, tuschelte der Unbekannte.

Der Affenmensch wandte sich und folgte in die spärlich beleuchtete Gasse. Mit der sonst üblichen Bezeichnung »Straße« hätte man ihr wirklich zu viel Ehre angetan.

Sie waren am Ende. Der andere steuerte gleich dorthin, wo ihnen noch größere Finsternis entgegenstarrte. Man war am Kai. Hochaufgestapelte Ballen, Kisten und Kästen warfen weithin tiefe Schatten. Hier machte er Halt.

Wo steckt nun mein Junge? fragte Greystoke.

Dort drüben, Sie sehen die Lichter des kleinen Dampfers, erwiderte der andere.

Trotz der Finsternis suchte Tarzan die Züge seines Führers genauer zu mustern. Er glaubte, den Mann noch nie gesehen zu haben. Hätte er auch nur geahnt, daß er Alexei Pawlowitsch vor sich hatte – nichts als gemeinen Verrat und lauernde Gefahr würde er in jeder Bewegung dieses Menschen gewittert haben.

Das Kind ist jetzt unbewacht, fuhr der Fremde fort. Die Herren Räuber fühlen sich völlig sicher. Nur ein paar von den Spitzbuben sind übrigens an Bord der »Kincaid«. Aber die habe ich schon gehörig mit Schnaps bearbeitet, sie sind für ein paar Stunden versorgt, da kann sich keiner mehr rühren. Also, gehen wir. Sie nehmen ihr Kind und können verschwinden, ohne das Geringste befürchten zu müssen.

Tarzan nickte zustimmend.

Also los, sagte er nur.

Ein Boot war am Kai festgemacht, sie stiegen ein, und Pawlowitsch ruderte rasch auf den Dampfer zu. Dicke schwarze Rauchfahnen quollen aus dem Schornstein. Tarzan beachtete dies nicht im geringsten. Seine Gedanken waren einzig und allein auf das gerichtet, was er fiebernd erwartete: Schon in wenigen Minuten würde er seinen Kleinen wieder in den Armen halten!

Vom Schiff hing eine Strickleiter herab. Vorsichtig kletterten sie fast lautlos an Deck. Oben gingen sie schnell nach achtern. Der Russe zeigte auf eine Luke.

Dort ist der Junge versteckt, sagte er. Besser, Sie holen ihn selbst. Er wird dann kaum schreien und könnte auch erschrecken, wenn ein Fremder ihn auf den Arm nimmt. Ich will dafür hier oben aufpassen.

Tarzan war völlig im Banne seiner nun fast erfüllten Hoffnung. Den Jungen sollte er wiederhaben! Und so entging ihm alles, was auf dieser »Kincaid« geheimnisvoll und verdächtig erscheinen mußte: Kein Mensch auf Deck, und dabei das Schiff unter Dampf. Mehr noch: Die gewaltige Rauchschwaden deuteten doch offensichtlich darauf hin, daß man bereit war, jeden Augenblick in See zu gehen. Nichts, rein gar nichts machte ihn stutzig. Nur der eine einzige Gedanke, daß er im nächsten Augenblick schon dies kostbare kleine Geschöpf in seinen Armen haben würde, schien in ihm Raum zu haben.

Hinab in die Finsternis schwang sich der Affenmensch, doch kaum hatte er den Rand der Lukenöffnung losgelassen, da schlug der schwere Deckel krachend über ihm zu – –

Er begriff sofort, daß er einem heimtückischen Anschlag zum Opfer gefallen war. Seinen Sohn wiederfinden? Gar nicht daran zu denken. Er selbst hatte sich in die Hände seiner Feinde gestürzt. Mit allen Kräften suchte er den Deckel der Luke zu erreichen. Vielleicht konnte er ihn noch nach oben drücken – – Doch vergeblich. Er zündete ein Streichholz an und fand sich in einem Raum, den man anscheinend vom Hauptraum besonders abgeteilt hatte. Der Lukendeckel über ihm der einzige Zugang – –; es war sonnenklar: man hatte dies hier einzig und allein für ihn als Kerker ausgedacht. Nichts und niemand waren hier weiter. Und das Kind? Wäre es wirklich an Bord der »Kincaid«, dann überall, nur nicht hier.

Vom Kind zum Manne war er herangewachsen mitten in der Wildnis und fern jedem menschlichen Wesen, über zwanzig Jahre lang. Eines hatte er da vor allem gelernt in diesen Jahren, in denen alles im Menschen so köstlich jung und empfänglich ist: Er hatte gelernt, Freud und Leid, Glück und Unglück so zu nehmen, wie die wilden Tiere sich mit ihren Geschicken abfinden. Kein Rasen also jetzt, kein Sichaufbäumen gegen diesen Schicksalsschlag. Gelassen und wachen Auges wartete er, was nun wohl folgen würde. Das Menschenmögliche sollte jedenfalls getan werden, er würde sich schon zu helfen wissen. Gewissenhaft untersuchte er sein Gefängnis. Er tastete die Planken von oben bis unten ab, diese elenden Kerkerwände, und suchte dann abzuschätzen, wie hoch der Lukendeckel eigentlich über ihm liege.

Plötzlich fühlte er das Stampfen der Maschine, das Surren der Schrauben. Man fuhr also? Wohin – –, wohin – –?

Und mitten in diesem Wirbel seiner Gedanken, in dies Zittern und den Lärm der Maschinen drang plötzlich ein Etwas, daß es ihm eiskalt den Rücken hinablief: Ein unheimlich gellender Schrei oben auf Deck, ein Kreischen, wie von einem zu Tode erschrockenen Weibe – – –

Nach Afrika entführt

Gerade als Tarzan mit seinem Begleiter im Dunkel der Kaianlagen verschwand, war eine tief in Schleier gehüllte Dame eilig in die enge Gasse eingebogen, nicht weit mehr von der Kneipe, die die beiden eben verlassen hatten.

Sie blieb stehen, sah sich um und schien befriedigt. Endlich war sie da. Sie faßte Mut und trat in die Winkelkneipe ein.

Halbbetrunkene Matrosen und »Kai-Ratten« blickten von ihren Tischen auf. Das war etwas Neues: eine vornehm gekleidete Dame hier mitten unter ihnen. Sie ging sofort auf die Kellnerin am Schanktisch zu. Die hatte bereits ihre glücklichere Schwester mit neidischem Blick aufs Korn genommen.

Haben Sie einen großen, gutgekleideten Herrn hier gesehen? fragte sie. Er muß vor einer Minute noch hier gewesen sein. Muß sich hier mit jemanden getroffen haben und dann mit ihm fort sein. Die Kellnerin bestätigte dies. Wohin sie gegangen seien, könne sie nicht sagen.

Ein Matrose hatte zugehört; er kam heran und versicherte, wie er gerade in die Kneipe hereingegangen, seien zwei Männer nach dem Kai fortgeschlendert.

In welcher Richtung? Die Dame drückte ihm rasch ein Trinkgeld in die Hand. Der Bursche zog sie sogleich auf die Straße. Sie wandten sich zum Kai und, wie sie so am Wasser entlang eilten, beobachteten sie, daß ein kleines Boot gerade in den dichten Schatten eines Dampfers untertauchte. Es schien nicht weit zu sein.

Da sind sie ja, flüsterte der Matrose ihr zu.

Zehn Pfund für ein Boot und wenn Sie mich gleich auf dies Schiff hinüberbringen! Wie ein Aufschrei klang das.

Schnell also, bestätigte er. Donnerwetter, das muß gut gehen, wenn wir die »Kincaid« noch fassen! Seit drei Stunden schon steht sie unter Dampf. Gerade auf den da haben sie noch gewartet. Ich hab's gehört, vor einer Stunde. Da erzählte einer von der Mannschaft was ...

Mit diesen Worten waren sie am Ende der Kaimauer. Ein Boot war dort festgemacht; er half ihr hinein, schwang sich nach und ruderte los. Sie jagten nur so durch die Fluten dahin.

Am Schiff forderte der Mann sein Geld.

Sie zählte gar nicht, mit einem Griff drückte sie ihm ein Bündel Banknoten in die ausgestreckte Hand. Gleich der erste Blick mochte ihn überzeugt haben, daß er mehr als genug bezahlt sei. So half er ihr die Strickleiter hinauf, und wartete mit dem Boot dicht am Schiff. Das Geschäft sollte ihm nicht entgehen! Vielleicht würde die noble Dame auch wieder an Land zurückwollen?

Aber fast im gleichen Augenblick dröhnte die Hilfsmaschine, er hörte das Klirren einer Kette und das Knarren der Winde. Kein Zweifel, die »Kincaid« lichtete den Anker. Und schon setzten sich auch die Schrauben in Bewegung. Langsam glitt der Dampfer von ihm weg. Hinaus in den Kanal.

 

Er wandte sich, um zum Kai zurückzurudern. Da, eine Frauenstimme, ein Schrei. Das war auf Deck. Komische Sache! murmelte er vor sich hin. Ich sollte mir genarrt vorkommen, hätt' ich nicht dieses hübsche Paketchen da. –

*

Jane war oben an Deck angelangt. Die »Kincaid« schien völlig verlassen. Keine Spur von denen, die sie suchte; einfach nichts war zu sehen. Und doch, wozu sich aufhalten! Die Hoffnung beflügelt ihre Schritte, gewiß, die bloße Hoffnung, Mann und Kind hier wiederzufinden.

Sie stürzte nach der Kajüte, die halb über das Deck herausragte. Es ging eine kleine Treppe in den Hauptraum hinab, und auf der anderen Seite lagen sicher die kleineren Offizierskabinen. Sie stutzte. Vor ihr mußte sich eben rasch eine Tür geschlossen haben, so klang es. Sie durchschritt den ganzen Hauptraum der Länge nach, dann dämpfte sie ihre Schritte. Sie horchte an jeder Tür und suchte die Klinke leise niederzudrücken. Still war es, unheimlich still. Nur ihre Nerven schienen aufs höchste gereizt. Wild pochte ihr zu Tode gemartertes Herz, und es wollte ihr vorkommen, als müsse diese wogende Stimme ihres Blutes wie ein mächtiger Alarm bis in alle Winkel dieses Schiffes dringen ...

Eine Tür nach der andern tat sich vor ihr auf, und immer wieder stand sie vor derselben unheimlichen Leere. Äußere Eindrücke schienen sie nicht mehr zu treffen. Sie merkte nicht, daß plötzlich Leben in das Schiff kam, daß die Maschinen stampften und die Schrauben das Wasser peitschten.

Die letzte Tür rechts stieß sie eben auf; da wurde sie von einem starken Männerarm gepackt. Finstere Blicke funkelten ihr entgegen, dann wurde sie in die Kabine hineingezerrt.

Bis ins Mark erschrocken über diesen plötzlichen und unerwarteten Überfall entrang sich ihrer Brust ein einziger durchdringender Schrei, dann preßte der Rohling seine Faust auf ihren Mund.

Ruhe, du liebes Ding, du, herrschte er sie an. Erst wollen wir mal ein Stückchen weiter von Land weg sein. Kannst dir dann meinetwegen dein ganzes reizendes Herz aus dem Leibe schreien.

Die Lady drehte sich um. Sie sah einem struppigen Menschen dicht in die bösen Augen. Da ließ der Druck seiner Faust langsam nach. Ein neuer Schrecken durchzitterte sie. Das war der also – –. Sie wich zurück.

Nikolaus Rokoff! Herr Thuran! Sie hier? rief sie laut.

Ihr gehorsamster Diener, erwiderte der Russe und verbeugte sich leicht.

Sie würdigte seine anzüglichen Schmeicheleien keines Wortes. Wo ist er? fragte sie kurz. Ich will ihn sehen. Nikolaus Rokoff, wie können Sie so grausam sein, eben Sie gerade? Kennen Sie keine Barmherzigkeit? Haben Sie denn nicht wenigstens ein Fünkchen Mitgefühl? Kommen Sie, sagen Sie mir, wo er ist. Ist er überhaupt hier an Bord? O, bitte, wenn Sie überhaupt noch ein Herz im Leibe haben, geben Sie mir meinen Jungen wieder!

Nichts soll Ihnen geschehen, wenn Sie meinen Befehlen folgen, entgegnete Rokoff. Übrigens: Es ist nur Ihre höchst eigene Schuld, daß Sie hier sind. Ich stelle fest. Sie sind aus freien Stücken erschienen. Die Folgen müssen Sie selbst tragen.

Er murmelte noch, ohne daß sie es hätte hören können, so etwas wie: Donnerwetter, solch verteufeltes Glück kann auch ich bloß haben ... Dann ging er an Deck, nachdem er die Tür sorgfältig verschlossen hatte. Sie war gefangen. Tagelang ließ er sich nicht wieder sehen. Der Wahrheit die Ehre: Nikolaus Rokoff konnte das Seefahren nicht vertragen, und dieweil die »Kincaid« von Anfang an sich bei schwerster See vorwärtsarbeiten mußte, lag der Russe in seiner Koje fest. Die Seekrankheit mochte ihn übel gepackt haben.

In der Zwischenzeit kam ihr nur ein und dieselbe Person zu Gesicht: Der Koch der »Kincaid«, ein ungeschlachter, wenig angenehmer Mensch, der regelmäßig das Essen brachte; er war Schwede und nannte sich Sven Anderssen. In seinen kleinen, blauen Augen lag immer ein unruhiges Flackern, das sich auch auf seine ganze Erscheinung übertrug. Katzenartig sein Gang, und dieser Eindruck verstärkte sich noch, weil er stets mit einem Küchenmesser im Schürzengurt auftauchte. Dazu war er schmutzig von oben bis unten. Das Messer schien übrigens so eine Art Abzeichen seiner Zunft zu sein. Nie konnte sie sich des Gedankens erwehren, daß es nur des geringsten Anstoßes bedurft hätte, sein noch harmloses Getue in eindeutige Bösartigkeit zu wandeln.

Obwohl er meist mürrisch daherkam, zwang sie sich doch immer zu einem leichten Lächeln. Auch ein paar Dankesworte versäumte sie nie, wenn er ihr das schlechte Essen brachte, das sie oft genug einfach durch die Lichtluke hinausbeförderte, sobald die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war. Zwei Fragen hatten die arme Jane die langen qualvollen Stunden seit ihrer Gefangennahme immer und immer wieder beschäftigt. Wo mochte ihr Tarzan sein und wo der arme Kleine? Sie war fest überzeugt, daß das Kind auf der »Kincaid« sei, wenn anders es überhaupt noch am Leben war. Aber Tarzan? Wie sollte er noch unter den Lebenden sein können, hier, wo er gleichsam in des Teufels Küche geraten?

Sie wußte ja um den abgründigen Haß des Russen gegen ihren Mann, und nur so ließ sich diese Verschleppung hierher begreifen: Hier hatte man ihn sicher. Rache, Rache, galt es, denn er hatte es ja gewagt, Rokoffs Weg zu kreuzen und seine Schandtaten zu verhindern; er allein hätte es ja in der Hand gehabt, Rokoff wieder dem französischen Kerker zuzuführen.

*

Tarzan lag in seiner finsteren Haft. Hätte er nur ahnen können, daß sein Weib das gleiche Schicksal teilte, gerade in der Kabine über ihm!

Derselbe Schwede brachte auch ihm das Essen. Es war jedoch nichts aus dem Manne herauszubringen, so oft Tarzan auch ein Gespräch anzuknüpfen suchte. Erst hatte er erfahren wollen, ob das Kind an Bord wäre; doch auf jede derartige Frage kam immer nur dieselbe Antwort: Wird sich alles früh genug finden. Nur nicht so stürmisch! –

So ließ Tarzan nach einigen Versuchen das Fragen.

Wochen schienen Monate, der kleine Dampfer stampfte immer noch im gleichen Takte vorwärts, und vor beiden Gefangenen stand stumm die große Frage: Wohin? Wie lange noch? Einmal wurden Kohlen übergenommen. Man war vor Anker gegangen. Doch nach ein paar Stunden war das Schiff schon wieder auf der Fahrt, als müsse es ewig so gehen ...

Einmal nur hatte Rokoff sich nach Jane umgesehen, seit er sie in die winzige Koje eingesperrt. Abgezehrt und hohläugig kam er angewankt. Ja, die Seekrankheit! Er wollte von ihr auch nur eine Unterschrift. Einen Scheck über eine hohe Summe heischte er, und als Entgelt bot er ihr sichere Rückkehr nach England, das heißt für ihre Person.

Nur wenn Sie dies für meinen Mann, mein Kind und für mich garantieren, entgegnete sie sofort. Das Doppelte sollen Sie dann in blankem Golde haben, sonst keinen Penny, nicht mal im Traume.

Sie geben einfach, was ich verlange, verstehen Sie! Und mit gesteigerter Wut fuhr er fort: Oder –, keines von Ihnen Dreien wird je wieder festen Boden unter die Füße bekommen, nicht einmal bei den Wilden.

Ich möchte Ihnen doch nicht trauen, erwiderte sie. Wie kann ich auch? Ich habe ja nicht die geringste Gewißheit dafür, daß Sie nicht einfach mein Geld einstecken und dann doch rücksichtslos tun, was Ihnen gerade beliebt.

Darauf sagte er nur: Ich verlange, Sie tun einfach das, was ich befehle. Er wandte sich schon zum Gehen.

Aber denken Sie daran: Ich habe Ihr Kind in meiner Gewalt. Gut: wenn Sie das Wimmern solch eines kleinen, zu Tode gemarterten Geschöpfchens mitanhören können, nur zu! Trösten Sie sich dann gefälligst damit, daß das Kind – übrigens Ihr Kind – seine Qualen Ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken hat.

Nein, niemals, schrie sie. Sie ..., Sie ...! So unsagbar roh und grausam ...!

Ich und grausam? entgegnete er. Sie sind grausam. Sie allein, weil Sie das Schicksal Ihres Kindes von einem Fetzen Geld abhängig machen.

Jane setzte einen hohen Betrag ein und gab Rokoff den Scheck mit der Unterschrift. Genugtuung lag in seinen Zügen, als er schmunzelnd die Koje verließ.

Am nächsten Tage wurde der Luckendeckel zu Tarzans Häupten geöffnet; Pawlowitsch erschien mit dem Kopfe in dem Ausschnitt, durch den das Licht sich nur so hereindrängte.

Marsch, heraus, befahl der Russe. Aber Achtung! Bei der geringsten Tätlichkeit mir oder einem anderen gegenüber werden Sie einfach niedergeknallt.

Behend schwang sich der Affenmensch an Deck. Ein halbes Dutzend Matrosen, mit Gewehr oder Pistole bewaffnet, bildete in einiger Entfernung einen Kreis um ihn. Pawlowitsch trat dicht an ihn heran.

Tarzans Blicke suchten Rokoff. Er mußte an Bord sein. Jedoch vergeblich, er konnte ihn nicht entdecken.

Der Russe begann: Lord Greystoke, Sie haben sich fortwährend und ohne Berechtigung in Herrn Rokoffs Angelegenheiten eingemischt. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Sie nunmehr dies Unheil über sich und Ihre Familie heraufbeschworen haben. Alles Ihr höchsteigenes Werk. Sie begreifen: Die ganze Sache hat Herrn Rokoff ein schweres Stück Geld gekostet. Ich meine diese ganze »Expedition« hier. Sie sind der allein Schuldige. Sie haben also für alle Kosten voll auszukommen. Nur wenn Sie Herrn Rokoffs durchaus gerechte Forderungen erfüllen, können Sie das Schlimmste von Frau und Kind abwenden und sich selbst Leben und Freiheit sichern.