Zuerst, als Tarzan die zottigen Menschenaffen gewahrte, war es ihm wie ein Hoffnungsschimmer vorgekommen: Vielleicht hatte ihn doch die Laune irgendeines unergründlichen Schicksals nun gerade zu seinem alten Stamme zurückgeführt? Aber als er jetzt näher hinsah, war er überzeugt, dass ihm hier doch andere gegenüberstanden.
Unermüdlich kreiste das Ungetüm weiter, hartnäckig blieb es in seiner drohenden Haltung, und ab und zu schien es jetzt zu einem plötzlichen Vorstoß anzusetzen. Als wären sie zwei Hunde, die einander zum ersten Male in den Weg liefen, so kam es ihm vor. Dann fiel ihm mit einem Male ein, dass er doch probieren müsse, ob eigentlich die Sprache dieses Affenstammes irgendetwas Gemeinsames mit der seiner alten Genossen aufweise. Und so wandte er sich in Kerschaks wohlbekannten Lauten an sein Gegenüber. Wer bist du? fragte er. Wer wagt sich gegen den Affen-Tarzan?
Überraschung flammte in des struppigen Ungeheuers Augen auf.
Akut bin ich, kam die Antwort von drüben.
Wie Tarzan vermutete: Ganz die gleichen ureinfachen Laute, wie die seines alten Stammes, bei dem er die ersten zwanzig Jahre seines Lebens zugebracht! So wenig entwickelt jedes Wort, dass es gar nicht anders sein konnte.
Akut bin ich, sagte der Affe. Molak ist tot, jetzt bin ich der König. Fort mit dir, oder ich werde dich töten.
Du sahst, wie leicht ich Molak tötete, erwiderte Tarzan. Verlangte ich König zu sein, ginge es dir ebenso. Aber der Affen-Tarzan will nicht über den Stamm der Akuts herrschen. Nichts weiter will er als friedlich leben in seinem Lande. Wir wollen Freunde sein. Der Affen-Tarzan kann euch helfen, ihr könnt dem Affen-Tarzan helfen.
Du kannst Akut nicht töten, entgegnete der andere. Niemand ist so groß wie Akut. Hättest du Molak nicht getötet, würde Akut es getan haben, denn Akut war gerüstet, die Macht an sich zu reißen.
Der Affenmensch antwortete hierauf nur mit einem mächtigen Sprung nach dem Gegner, dessen Wachsamkeit während dieses Wortwechsels nachgelassen hatte.
Im Bruchteil eines Augenblicks hatte der Weiße den Riesenaffen am Handgelenk gepackt und, ehe der sich irgendwie zur Wehr setzen konnte, im Wirbel herumgerissen. Sogleich auch schwang er sich auf dessen breiten Nacken und begann ihn am Halse zu würgen.
Und wie er einst Terkop sich für Tod oder Leben entscheiden ließ, so bot Tarzan jetzt Akut die Wahl zwischen Sein oder Nichtsein; denn er fühlte, dass jener ihm vielleicht als mächtiger Verbündeter schließlich einmal nützen könne. Einen anderen Ausweg gab es nicht: Akut in Freundschaft mit ihm oder – tot, genau so ins Jenseits befördert wie er es eben bei seinem bisher unbesiegten König gesehen hatte.
»Ka-goda?« raunte Tarzan dem Affen zu.
Dieselbe Frage hatte er einst an Terkop gerichtet. In der Affensprache bedeutet das so viel wie: Ergibst du dich?
Akut dämmerte auf, wie er vorhin Molaks Wirbel krachen gehört, und ein eisiges Schaudern überlief ihn. Er zögerte noch. Sollte er so auf sein Königsrecht verzichten? Doch alle Befreiungsversuche waren vergeblich. Ein plötzlich verstärkter Druck auf sein Genick zwang das »Ka-goda!« von des zu Tode Gequälten Lippen.
Tarzan lockerte ein wenig die eiserne Klammer. Akut, du sollst König sein, sagte er. Sagte Tarzan dir nicht, dass ihn nicht nach der Königswürde verlangt? So oft nur jemand dein Recht anzutasten sucht: Tarzan wird dir ein Helfer im Streite sein.
Der Affenmensch erhob sich, und Akut kam langsam wieder in die Höhe. Zornig schüttelte er sein Haupt und trottete zu seinen Stammesgenossen. Er musterte einen nach dem anderen, besonders die stärkeren unter ihnen; vielleicht, dass er auch dort einen Rivalen fürchtete?
Aber keiner rührte sich, sie wichen ihm förmlich aus und verschwanden fast augenblicklich in der Richtung, aus der sie gekommen, zurück in den Dschungel … Und Tarzan war wieder allein am Strande.
Die Wunden, die Molak ihm geschlagen, schmerzten wohl etwas, doch was kümmerte ihn das? Gelassen und tapfer ertrug er es, wie die wilden Tiere auch. Die hatten ihn gelehrt, im Dschungel so zu leben, wie es alle taten, die dort ihre Heimat hatten.
Vor allem brauchte er jetzt freilich Waffen zu Angriff und Abwehr; das war ihm klar. Genugsam war er gewarnt: Der Zwischenfall mit den Affen und das wilde, wenn auch noch ferne Brüllen Numas, des Löwen, und Sheetas, des Leoparden! Wohlbehagen und bequeme Sicherheit würde es hier fürs erste nicht geben …
Ja, das war einfach Rückkehr zu seinem alten Leben, zu immer neuen Gefahren, zu Jagen und Gejagtwerden. Furchtbare Tiere würden sich an ihn heranschleichen, ganz wie damals, und niemals – nicht bei hellichtem Tage noch in stockdunklen Nächten – würde er jene einfachen Waffen beiseitelegen können, die er sich jetzt wieder mit bloßer Hand aus dem, was die Natur zu bieten hatte, zurechtbasteln musste. Am Strande stieß er auf ein halbverwittertes brüchiges Felsstück; unter unsäglichen Mühen und nach vielen Fehlschlägen gelang es ihm, ein schmales Stück gleichsam herabzusplittern: Etwa fünfundzwanzig Zentimeter lang war es und dabei nur etwa dreiviertel Zentimeter im Durchmesser. Nach dem einen Ende zu verjüngte es sich fast zu einer richtigen Spitze: kein Zweifel, er hatte ein Ding, das die Dienste eines Messers versehen konnte. Nun ging’s auf die Suche in den Dschungel. Da war ein Hartholzbaum irgendwo vom Sturme zu Fall gebracht! Ein schmaler, gutgewachsener Ast wurde mit der leider recht stumpfen Waffe abgesägt. Dann bohrte er ein enges rundes Loch in den Stamm des Waldriesen und stopfte trockene Borkensplitter hinein. Rittlings auf dem Stamme sitzend, führte er nun seinen Stab mit der Spitze in die Höhlung und drehte ihn in raschem Wirbel zwischen den dicht und doch lose angelegten Handflächen hin und her.
Nicht lange, da ringelte leichter blauer Rauch aus dem Zunder hervor, und einen Augenblick später schon loderte ein helles Flämmchen. Ein paar Zweige und dürre Äste nährten das Feuer, und bald sah Tarzan, wie es sich in des Baumes morscher Höhle immer mehr entfaltete.
In diesen Flammen ließ er von seiner Messerklinge, die er hin und wieder befeuchtete, kleine Teile absplittern.
Auf solche Weise wollte er seinem allzu unfertigen Jagdmesser eine einigermaßen scharfe Schneide geben. Nicht auf einmal würde ihm dies Kunststück gelingen, das wusste er, und so war er heilfroh, als er endlich wenigstens eine scharfe Schneidefläche von etwa zehn Zentimeter Länge geschaffen hatte. Nun konnte er das Messer besser brauchen und schnitt sich damit denn auch gleich einen langen elastischen Bogen, einen Messergriff, einen handfesten Knüttel und viele Pfeile zurecht.
In den Zweigen eines mächtigen Baumes, der in der Nähe eines kleinen Flusses gen Himmel ragte, barg er dies alles und richtete sich dort oben ein von Palmenblättern überdachtes Lager her.
Schon krochen die Schatten der Dämmerung herauf. Tarzan verspürte heftigen Hunger.
Während eines kurzen Abstechers über den Fluss entdeckte er in einiger Entfernung von seinem Baume eine Tränke, wo sich – nach den Fußspuren im schlammigen Boden zu urteilen – eine Fülle der verschiedensten Tiere regelmäßig tummelten. Dorthin trieb der Hunger den Affenmenschen.
Er schwang sich leicht und behände wie ein Äffchen durch die Baumkronen, und, so schwer auch alles, was er in den letzten Tagen und Wochen erlebt, auf seinem Inneren lastete, er empfand es doch als ein Glück, der alten Freiheit seiner Jugendjahre wiedergegeben zu sein. Augenblicklich verfiel er wieder in die tausenderlei kleinen Gewohnheiten zurück, die wohl in Wirklichkeit mehr ein Teil seiner selbst waren als jene dünne Tünche, die wenige Jahre der Zivilisation und Gemeinschaft mit der weißen Welt über ihn gezogen hatten. Ja, ein dünner Anstrich war es wohl nur gewesen, der die Ecken und Kanten dieses Tiermenschen, der sich Affen-Tarzan nannte, überdeckt hatte.
Mäuschenstill duckte er sich jetzt im unteren Geäst eines Baumriesen dicht über dem Wildpfad, seine scharfen Augen bohrten sich in das Dickicht, aus dem jeden Augenblick sein Opfer und damit das erwünschte Nachtessen hervorbrechen konnte.
Er brauchte nicht lange zu warten.
Kaum hatte er es sich auf seinem Baumsitz ein wenig bequem gemacht und die gelenkigen Beine dicht an den Körper herangezogen, da duckte sich unten auch schon der Löwe zum Sprunge, denn Bara, der Hirsch, war zur Tränke unterwegs, um endlich den Durst zu stillen.
Doch nicht Bara allein. Andere folgten ihm, von denen Bara nichts ahnte.
Tarzan aber entging von seinem erhöhten Hinterhalte aus keine Bewegung. Er wusste genau, was es mit dem auf sich hatte, der sich immer etwa hundert Meter hinter dem arglosen Tiere durch das Dschungelgestrüpp vorarbeitete: Irgendein Raubtier war es, das ebenso beutehungrig wie Tarzan dem flinken Bara nachstellte. Aber wer?
Numa vielleicht? Oder Sheeta, der Leopard?
Es könnte noch so werden, dachte Tarzan, dass ihm seine Mahlzeit entschlüpfte, wenn Bara jetzt nicht etwas schneller zur Tränke zog.
Und es kam auch so. Der Hirsch mochte irgendwie seinen Verfolger gewittert haben, denn plötzlich hielt er zitternd inne und brach dann in blitzschneller Wendung gerade auf den Fluss und auf Tarzan zu durch das Dickicht. Er wollte durch die seichte Furt das andere Ufer gewinnen; drüben würde er dann dem Verfolger entschwinden.
Kaum hundert Meter war Numa hinter ihm.
Tarzan konnte den Löwen jetzt deutlich sehen, Bara jagte gerade direkt unter dem Baumsitz vorüber.
Sollte er es wagen? Und noch hatte der hungrige Tarzan sich diese stumme Frage nicht recht beantwortet, da schwang er sich auch schon von seinem Sitz herab, direkt auf den gehetzten Hirsch. Im nächsten Augenblick würde Numa sich auf sie beide stürzen, schoss es dem Affenmenschen durch den Kopf, und wollte er heute und überhaupt je wieder etwas zu beißen bekommen, so hieß es rasch handeln.
Kaum hatte der Hirsch ihn auf seinem glatten, weichen Fell verspürt, brach er auch schon auf die Knie nieder. Tarzan aber packte ihn am Geweih und riss ihm mit einem einzigen blitzschnellen Ruck den Kopf herum, bis das Genick krachte.
Wütend brüllte der Löwe hinter ihm … Den Hirsch gepackt und dann hinauf auf den nächsten starken Ast, das war für Tarzan das Werk weniger Augenblicke.
Gerade als Numa im Sprunge heranschnellte, konnte er sich und seine Beute aus dem Bereiche der furchtbaren Tatzen retten.
Dumpf dröhnend fiel das betrogene Katzentier zu Boden. Der Affen-Tarzan aber brachte seinen »Braten« weiter nach oben ins Geäst. Da war er sicher. Und dann schaute er mit spöttischem Lächeln auf das Raubtier, das mit seinen funkelnden gelben Augen von unten heraufstarrte. Wie ein Junge konnte er sich nicht genug damit tun, die leckere Beute seinem Gegner zu zeigen. Dann ging er schmunzelnd an seine Mahlzeit, während der Löwe unten knurrend auf und ab trottete. Es schmeckte Tarzan wieder einmal ausgezeichnet.
Gesättigt verwahrte er die Reste seiner Beute auf einer hohen Astgabel seines Baumes und eilte dann, vom rachedurstigen Numa noch lange verfolgt, durch die Baumkronen zurück zu seinem Baumlager. Dort schlief er, bis die Sonne wieder hoch am Himmel stand.
Die nächsten Tage beschäftigte sich Tarzan damit, seine Waffenausrüstung zu vervollständigen und den Dschungel zu erkunden. Sehnen des Hirsches, der ihm seine erste Abendmahlzeit hier geliefert hatte, wurden auf den Bogen gespannt. Besser dazu wären Sheetas getrocknete Gedärme gewesen, aber er war doch vorerst zufrieden. Es hieß eben warten, bis ihm einmal durch glücklichen Zufall eine der großen Katzen zum Opfer fiel.
Er flocht sich auch einen langen Grasstrick – genau wie den, mit dem er vor vielen Jahren den bösen Tublat erwürgt hatte. Was hatte er als kleiner Affenjunge mit dieser wundervollen Waffe nicht alles anstellen können!
Scheide und Griff für sein Jagdmesser wurden fertig, dann auch ein Köcher für die Pfeile und aus Baras Fell Gürtel und Lendenschurz. Dann machte er sich auf die Wanderung, um endlich etwas mehr über das Land in Erfahrung zu bringen, nach dem er nun einmal verschlagen war. Er merkte wohl, dass er nicht an der ihm altbekannten Westküste Afrikas sein konnte, denn die Sonne erhob sich allmorgendlich aus dem Meere und glitt erst dann hoch über den Dschungel dahin. Das Meer im Osten!
Andrerseits war er sich darüber klar, dass er auch nicht an der Ostküste Afrikas sein könne. Es war sicher, dass die »Kincaid« nicht durch das Mittelländische Meer, den Suezkanal und das Rote Meer ihren Weg genommen hatte. Auch die Fahrt um das Kap der Guten Hoffnung war in dieser kurzen Zeit unmöglich. Dann war es auch undenkbar, dass man den Atlantischen Ozean durchquert und ihn auf irgendeiner unbewohnten Insel Südamerikas ausgesetzt haben sollte. Numa, der Löwe, war ja hier. Das konnte also auf keinen Fall zutreffen. Wo mochte er denn nun eigentlich sein?
Tarzan zog einsam durch den Dschungel dahin, immer in gewissem Abstand vom Strande. Wenn er nur etwas Gesellschaft gehabt hätte! Er bedauerte es allmählich, dass er sich nicht neulich den Affen angeschlossen hatte. Nichts hatte er wieder von ihnen seit jenem ersten Tage gesehen, an dem er im Grunde noch den ganzen Ballast der Kulturwelt mit sich schleppte.
Jetzt war er schon bald wieder ganz der alte Tarzan. Wenn er auch fühlte, dass er nur wenig gemeinsame Interessen mit diesen großen Menschenaffen haben könnte: Sie schienen ihm doch wenigstens besser als nichts zu sein.
Ohne zu hasten, bahnte er sich seinen Weg bald unten am Boden, bald zwischen den herabhängenden Zweigen. Da fand er Früchte, dort schob er einen Baumstamm beiseite oder stieß auf eine kleine Beute.
Eine Meile oder mehr mochte er an diesem Tage so zurückgelegt haben, als ihm der Wind Sheetas Nahen ankündigte.
Gerade Sheeta, der Leopard! Noch nie war er ihm so willkommen gewesen: Die Därme der großen Katze sollten ihm für seinen Bogen gerade recht sein und das Fell für einen Köcher und einen neuen Lendenschurz. Während er bisher beinahe gedankenlos dahergeschlendert war, verkörperte er jetzt geradezu lautlose Spannung und größte Vorsicht.
Rasch und doch leise arbeitete er sich auf der Fährte der wilden Katze durch die Büsche, und trotz all seiner edlen Abkunft schien seine ganze wildwütige Art der des wilden Raubtiers, an das er sich jetzt heranpirschte, völlig verwandt zu sein.
Tarzan überlegte noch, wie er das Tier überlisten könne, als ihm ein Windhauch von rechts neue Witterung brachte: Dem durchdringenden Geruch nach mussten mehrere große Affen in der Nähe sein.
Der Leopard hatte sich in den unteren Ästen eines Baumriesen hinter den Stamm geduckt. Er gewahrte unten in einiger Entfernung Akut mit seinen Genossen, wie sie es sich in einer Waldlichtung gut sein ließen. Einige schliefen, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, andere sprangen herum, rissen die Rinde von den Bäumen und holten sich leckere Maden und Käfer zum Schmause.
Akut war Sheeta am nächsten.
Die große Katze lag geduckt auf einem dicken Ast, dessen dichtes Laubwerk sie den Blicken des Affen verbergen musste. Geduldig wartete sie, dass der Menschenaffe auf Sprungweite herankäme.
Vorsichtig kroch Tarzan hinüber. Jetzt war er dicht über dem Leoparden und zückte mit der Linken seine scharfe Steinklinge. Viel lieber hätte er zu seinem Fangstrick gegriffen, doch zu dicht war die Blätterwand zwischen ihm und der mächtigen Katze. Der Wurf würde wahrscheinlich sein Ziel verfehlt haben.
Akut hatte sich inzwischen direkt auf den Baum zu bewegt, in dessen Zweigen der Tod auf ihn lauerte. Der Leopard schob sich leise noch ein Stück auf dem Aste vorwärts, bis er fast genau über ihm war. Ein wütendes Rollen – und er setzte an, um sich auf den großen Affen herabzuschnellen. Allein noch den Bruchteil einer Sekunde zuvor hatte sich ein anderes Raubtier über ihn gestürzt: Unheimlich und wild übertönte dessen Kampfschrei sein Brüllen.
Als Akut, zu Tode erschrocken, aufblickte, sah er den Leoparden und auf dessen Rücken jenen weißen Affen, der ihn neulich am großen Wasser zum Kampfe herausforderte.
Die Zähne des Affenmenschen hatten sich fest in Sheetas Nacken verbissen, sein rechter Arm spannte sich eisern um die vor Wut bebende Kehle, und in der Linken schwang er einen schlanken Steindolch, holte aus und bohrte ihn mit mächtigem Stoße dicht hinter dem linken Blatt in den Leib des Leoparden. Ein lauter Krach, und die beiden sausten auf die Erde nieder. Akut konnte gerade noch rasch zur Seite springen; er wäre sonst von der Last der kämpfenden Dschungelungeheuer erdrückt worden.
Schrecklich erklang Sheetas Knurren und Brüllen, doch zähe und ohne einen Laut von sich zu geben, klammerte sich der weiße Affe an sein Opfer.
Immer und immer wieder hatte der Steindolch rücksichtslos das blanke Fell durchbohrt, tief hatte er sich hineingesenkt – da, ein letztes verzweifeltes Sichaufbäumen, ein letztes Brüllen – – – das Raubtier überschlug sich und rollte zur Seite. Mochten seine Muskeln in stummem Kampfe noch zucken – – bald lag es still – – verendet.
Der Affenmensch aber setzte den Fuß auf seine Beute, riss sein Haupt hoch zurück – und wieder einmal hallte sein wildgewaltiger Siegerschrei über den Dschungel.
Akut und seine Stammesgenossen blickten starr vor Entsetzen und Bewunderung auf Sheeta, den Getöteten, und auf jene geschmeidige starke Mannesgestalt, die ihn bezwungen.
Tarzan brach zuerst das Schweigen.
Er hatte Akut das Leben gerettet, doch nicht umsonst. Er kannte jedoch die Grenzen des Affenverstandes nur zu gut und wusste, dass er die ganze Bedeutung dieser Tat den Menschenaffen erst einmal gehörig klar machen müsse. Sie würden ihm sonst kaum so nützen können, wie er es erhoffte.
Ich bin der Affen-Tarzan, rief er. Ein großer Jäger bin ich und ein mächtiger Kämpfer. Am großen Wasser schonte ich Akut. Hätte ich ihn getötet, wäre ich euer König. Und jetzt? Vor Sheetas reißenden Pranken habe ich Akut wieder vom Tode gerettet.
Sind Akut oder die Seinen in Gefahr, dann sollen sie Tarzan rufen …, – und der Affenmensch erhob seine Stimme zu jenem furchtbaren Schrei, mit dem Kerschaks Stamm die fernen Genossen zurücklockte, so oft Gefahren drohten.
Und, fuhr er fort, wenn ihr vom Stamme Akuts diesen Notschrei Tarzans hört, dann sollt ihr daran denken, was er für Akut getan, und, so schnell es irgend geht, zu ihm eilen. Wollt ihr das?
Huh! kam Akuts Zustimmung, und wie in einem Chor tönte es von allen Seiten: Huh!
Dann setzten die Affen ihre Nahrungssuche fort, als sei inzwischen gar nichts weiter vorgefallen. Und John Clayton, Lord Greystoke, schmauste mit.
Es war merkwürdig, dass Akut kaum von seiner Seite wich und ihn öfters mit seinen kleinen blutunterlaufenen Augen voll eigenartiger Bewunderung ansah. Und mit einem Male tat er, was Tarzan während all der langen Jahre, die er früher unter den Affen zugebracht, niemals erlebt hatte: Akut hatte einen ganz besonderen Leckerbissen gefunden – und gab ihn Tarzan!
Wenn nun der ganze Stamm auf die Jagd auszog, war Tarzan stets dabei: Grell stach sein glänzender Körper gegen die schwarzbraunen, zottigen Felle seiner Gefährten ab. Oft kamen sie wohl einander auch ins Gehege, wenn sie den Dschungel durchstreiften, aber die Affen hielten es bereits für ausgemacht, dass er zu ihnen gehörte, ja dass er genau wie Akut zu respektieren war.
Es passierte wohl, dass er einer Äffin und ihrem Jungen zu nahe kam und dass sie dann unter Knurren ihre großen Fangzähne zeigte; oder dass ihn ein frecher Jungaffe anfuhr, weil er von Tarzan bei seiner Mahlzeit gestört zu werden glaubte. Doch so und ähnlich ging es allen anderen vom Stamme auch.
Tarzan fühlte sich also im Allgemeinen bei diesen wilden Tieren wie zu Hause. Wenn eine Äffin ihm mit drohender Geste begegnete, wich er jedes Mal aus. Das machten sie alle so, abgesehen von gelegentlichen stärkeren Wutausbrüchen, bei denen dann das Tierisch-Rohe die Oberhand gewann. Ab und zu knurrte er schließlich einen besonders unverschämten Jungaffen gehörig an und zeigte ihm seine Zähne, just so, wie sie es selbst gewohnt waren. So fiel er ganz wieder in seine alte gewohnte Lebensweise zurück. Leicht, geradezu selbstverständlich, vollzog sich diese Wandlung, als hätte er nie irgendetwas mit denen seines eigenen Blutes gemein gehabt.
Den größten Teil der Woche war er mit seinen neuen Freunden auf der Jagd im Dschungel. Er freute sich, nun wieder Gefährten um sich zu haben, und außerdem hoffte er, sich so am sichersten einen Platz in ihrem reichlich kurzen Gedächtnis zu sichern. Wusste er doch aus Erfahrung, wie vorteilhaft es einmal sein konnte, auf die Hilfe dieser kraftvollen und furchtgebietenden Tiere rechnen zu dürfen.
Als er der Überzeugung war, dass sich sein Bild ihnen genugsam eingeprägt haben müsse, beschloss er, die Erkundung der Gegend wieder aufzunehmen. So zog er eines Tages in der Frühe nordwärts, immer in gewissem Abstand vom Meere. Rasch strebte er voran, bis die Nacht sich niedersenkte.
Im Dämmern des nächsten Morgens ging er zum Strande. Doch nicht wie neulich erhob sich die Sonnenkugel heute aus den Wassern: Aus dem Dschungel zu seiner Rechten kam sie emporgestiegen! Er schloss daraus, dass die Küste hier nach Westen abbog. Am zweiten Tage kam er fast ebenso schnell vorwärts, oft gar noch schneller: Wie ein Eichhörnchen kletterte er auf halber Höhe der Bäume durch die weiten Wälder. Heute Abend sank die Sonne zum Meer hinab … Was er im Stillen befürchtet, bestätigte sich: Rokoff hatte ihn auf einer Insel ausgesetzt!
Das hatte dieser Schuft natürlich gewusst! Und hätte der Russe noch irgendein grausameres Schicksal für ihn ausdenken können, er hätte es ihm bestimmt; das war gewiss. Konnte es überhaupt etwas Furchtbareres geben als für ein ganzes Leben auf diese unbewohnte Insel verbannt zu sein?
Rokoff musste zweifellos von hier aus direkt auf den Kontinent zugesteuert sein. Dort würde er kurzerhand und ohne Schwierigkeiten den kleinen Jack wilden Pflegeeltern ausgeliefert haben …, so lautete ja die Drohung auf jenem geheimnisvollen Zettel!
Tarzan schauderte bei dem Gedanken an die Leiden, die dem Kleinen unter den grausamen Wilden beschieden sein mussten, wenn er es auch nicht für ausgeschlossen hielt, dass Jack nicht gerade den größten Rohlingen in die Hände gefallen wäre. Oft waren ihm ja auch Wilde zu Gesicht gekommen, die durchaus menschlich handelten. Aber im ganzen blieb ihr Leben doch eben nur eine Reihe von Raubzügen, Gefahren und Quälereien.
Ein Kannibale, ein wilder Menschenfresser sein kleiner Jack! Furchtbarer Gedanke!
Mit zugefeilten Zähnen, die Nase durchbohrt und das zarte Gesicht grässlich tätowiert!
Tarzan seufzte tief. Könnte er jetzt diesen teuflischen Russen mit seinen nervigen Fingern erwürgen!
Und Jane!
Zweifel, Furcht und Ungewissheit mussten sie foltern, sie würde sich vor Qualen winden. Unendlich schlimmer ihre Lage im Vergleich zu der seinen! Er wusste eines seiner Lieben wenigstens daheim sicher geborgen, und sie? Keine Ahnung konnte sie haben über das Wo und Wie von Mann und Kind … Für Tarzan war es immerhin gut, dass er die volle Wahrheit nicht einmal ahnte. Tausendfache Qualen wären ihm nicht erspart geblieben. –
Langsam streifte er in Gedanken versunken durch das Dickicht. Plötzlich vernahm er heftiges Scharren, doch konnte er sich nicht erklären, wovon dieses Geräusch herrühre.
Vorsichtig folgte er dem Lärm und bald stieß er auf einen starken Leoparden, der sich unter einem gestürzten Baum festgeklemmt hatte.
Das Raubtier empfing Tarzan mit grimmigem Geknurr und suchte sich mit allen Kräften aus seiner üblen Lage zu befreien. Kaum eine Handbreit kam es jedoch von der Stelle: Ein starker Ast lag quer über seinem Rücken, und die Füße waren im wilden Gewirr der Zweige gefesselt.
Der Affenmensch näherte sich der hilflosen Katze und griff zum Bogen. Er wollte sie töten, ehe sie dem langsamen Hungertode verfiel. Doch eine plötzliche Laune ließ ihn innehalten, als die Sehne schon zum tödlichen Schwung ausholte.
Warum dem armen Geschöpf Leben und Freiheit rauben, wenn er ihm beides so leicht wiederschenken konnte? Er sah ja, dass der Leopard sich mit allen vieren um seine Freiheit mühte: Sie waren also heil geblieben, und auch das Rückgrat schien unverletzt. Da war nichts gebrochen.
Er tat den Pfeil in den Köcher zurück, hing den Bogen wieder über die Schulter und trat noch näher an das eingeklemmte Tier heran. Mit seinen Lippen ahmte er das schmeichelnde Schnurren großer Katzen nach, mit dem sie einander gewöhnlich ihr Wohlbehagen bezeugen. Es schien ihm das der beste Weg, um sich mit Sheeta freundschaftlich zu verständigen.
Der Leopard ließ auch gleich sein Knurren und sah dem Affenmenschen fast fragend in die Augen.
Wenn Tarzan jetzt die wuchtige Last von Sheetas Rücken wälzen wollte, musste er unbedingt so nahe an das Tier herangehen, dass es ihn in seine langen, scharfen Krallen bekam. Dann wäre er ihm nach vollbrachtem Werk auf Gnade und Ungnade ausgeliefert … Doch Tarzan kannte keine Furcht. Hatte er sich einmal entschieden, schritt er immer rasch und rücksichtslos zur Tat.
Ohne zu zögern, sprang er mitten in das wirre Geäst dicht neben den Leoparden. Immer noch klang das begütigende Schnurren von seinen Lippen. Die Katze wandte den Kopf und starrte ihn fragend an. Ihre langen Pranken waren weit geöffnet, wie es ihm schien, mehr in Erwartung als zum Angriff bereit.
Tarzan schob seine rechte Schulter unter den Stamm, eines seiner nackten Beine dicht gegen das seidige Fell der Katze gepresst.
Langsam streckten sich seine gewaltigen Muskeln, und immer mehr hoben sich Baumstamm und wirres Gezweig. Sowie der Leopard nicht mehr den vollen Druck der Last verspürte, kroch er schleunigst darunter hervor. Tarzan ließ den Stamm zur Erde zurückfallen, und die beiden wilden Tiere standen sich Auge in Auge gegenüber.
Ein grimmiges Lächeln lag auf den Lippen des Affenmenschen, denn er wusste, dass er nun sein Leben ganz in die Hand jenes furchtbaren Dschungeltieres gegeben hatte. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sich die Katze im gleichen Augenblick, in dem sie ihre Freiheit wiederfühlte, über ihn gestürzt hätte.
Doch sie tat es nicht; sie stand in einiger Entfernung und schien zu warten, bis der Affenmensch wieder aus dem wilden Durcheinander der Zweige herauskam. Jetzt war Tarzan draußen, nur drei Schritte vom Leoparden. Sollte er in die Bäume hinter sich bis in die höchsten Kronen hinaufklimmen, weil Sheeta ihm dahin nicht folgen konnte?
Irgendeine Eingebung – fast war es Tollkühnheit zu nennen – bestimmte ihn, sich dem Tiere freundlich zu nähern und zu sehen, ob in ihm so etwas wie Dankbarkeit stecke. Dann konnten sie sich ja miteinander vertragen.
Er ging näher: Die große Katze wich seitlich aus, und der Affenmensch folgte ihrer Fährte, nur einen Fußbreit hinter ihr. Als er dann durch den Wald davonschritt, kam der Leopard ihm nach, wie ein Hund sich zu seinem Herrn hält.
Tarzan konnte sich erst lange nicht darüber klar werden, ob das Tier ihm aus einer gewissen dankbaren Anhänglichkeit folgte oder um sich doch noch auf ihn zu stürzen, sobald der Hunger sich meldete.