Buch lesen: «Unsere Zukunft auf deiner Haut», Seite 4

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Kapitel 6

Es war nicht so, als würde Sam keine Zeit mit seinen Freunden verbringen wollen ‒ sie waren das Einzige, was ihn davon abhielt, völlig zusammenzubrechen, verdammt, je beschissener sich die Dinge bei Maisys Fall entwickelten ‒, aber manchmal brauchte er einfach eine Pause. Manchmal wollte er einfach nicht darüber nachdenken, was außerhalb seiner Wohnung vor sich ging.

Sam hatte den Ausdruck auf Dereks Gesicht gesehen, als er ihm erzählt hatte, was mit Maisys Erzeuger gerade lief, und das war das Letzte, womit er sich im Moment beschäftigen wollte. Derek war wahrscheinlich einer der wenigen Menschen, denen er voll und ganz vertraute, aber Dereks Wunsch zu helfen konnte einen manchmal etwas ersticken.

Als er auf seine Terrasse floh, um ein wenig frische Luft zu schnappen, hörte er, wie sich die Tür einen Moment später erneut öffnete und schloss, und er drehte sich um, um demjenigen, wer auch immer es war, zu sagen, dass er sich verpissen solle. Nur, dass es weder Derek noch James oder Matty waren. Es war Niko, der neue Typ, den Derek mitgebracht hatte und der eindeutig während des Abendessens mit ihm geflirtet hatte. Und Sam wäre der größte Lügner der Welt, wenn er behaupten würde, dass er Niko nicht anziehend fand. Der Typ sah unglaublich gut aus. Muskulöse Arme, die er vielen Stunden im Fitnessstudio zu verdanken hatte, in Kombination mit der viereckigen Brille, die er trug, gaben ihm den Heißer-Bibliothekar-Look, den er unwiderstehlich fand.

Sam ertappte sich dabei, wie er sich an den Bro-Code klammerte, aber dieser Entschluss wurde durch Nikos aufmerksame und intensive Blicke auf eine harte Probe gestellt.

»Du kannst mir ruhig sagen, dass ich mich verpissen soll«, sagte Niko und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Ich habe nur… du siehst so aus, als bräuchtest du jemanden zum Reden, der nicht einer dieser Jungs ist.«

Sam schnaubte und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht, während er sich gegen die feste Rückenlehne seines Rollstuhls sacken ließ. »Ist das so offensichtlich?«

»Ich kann's nachvollziehen. Solche Tage hab ich auch, glaub mir. Wir müssen nicht darüber sprechen, was los ist, wenn du das nicht willst. Wir können einfach nur Müll reden.«

Sam dachte einen Moment darüber nach, dann zuckte er mit den Schultern. »Hast du etwas Bestimmtes im Sinn?«

Niko lächelte leicht und scharrte mit den Füßen. »Darf ich mich setzen?«

»Tu dir keinen Zwang an. Hier draußen gibt es keine Stühle, aber du kannst dich auf den Zementboden hocken, wenn du willst.«

Niko schien das nicht zu stören. Er streckte die Beine auf der Rampe aus und lehnte sich zurück auf seine Arme, damit er zu Sam aufschauen konnte. »Stehst du auf Sport?«

Sams Mundwinkel zuckte und er fühlte, wie sich etwas Warmes in ihm ausbreitete. Die meisten Menschen hatten Angst, über etwas Körperliches mit ihm zu sprechen, als würde die Erinnerung daran, dass er keine der üblichen Sportarten mehr ausüben konnte, ihn wütend machen oder in eine Depression stürzen. Daher konnte er nicht anders, als zu genießen, dass Niko nicht um den heißen Brei herumredete. »Nicht besonders. Und du?«

Niko zuckte mit einer Schultern. »Eishockey manchmal.«

»Hast du eine Lieblingsmannschaft?«, fragte Sam.

Niko biss sich auf die Lippe, als wollte er ein Lächeln verbergen. »Da ich hier wohne, müsste ich wohl Avalanche sagen, aber wenn ich ehrlich bin, interessieren sie mich eigentlich nicht besonders. Und, äh… ich bin in Jersey aufgewachsen, also habe ich mich immer den Devils gegenüber loyal gefühlt.«

»Wer ist dein geheimes Lieblingsteam?«, fragte Sam mit einem winzigen Grinsen.

Niko wirkte überrascht. »Woher zum Teufel weißt du, dass ich ein geheimes Lieblingsteam habe?«

Sam verdrehte die Augen. »Ich bin mit Football aufgewachsen, Mann. Du warst nichts, wenn du nicht das Team deines Bundesstaats unterstützt hast. Aber ich habe auch schnell herausgefunden, dass Loyalität zu deinem Staat Schwachsinn ist und jeder ‒ und damit meine ich wirklich jeder ‒ ein Team hatte, dem er heimlich die Daumen gedrückt hat. Ich vermute mal, dass das nicht nur beim Football so ist. Also… welches ist es? Vertrau mir, dein Geheimnis ist bei mir sicher.«

Niko lachte und schüttelte den Kopf, dabei fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und stöhnte. Laut. »Na gut. Die Habs, weil Carey Price einfach der Hammer ist und ich wahrscheinlich mein linkes Ei hergegeben hätte, um mit ihm auf dem Eis zu stehen.«

Sam blinzelte ein wenig überrascht, weil diese Worte klangen, als hätte es für Niko tatsächlich irgendwann die Möglichkeit gegeben. Aber etwas an seinem Tonfall sagte Sam auch, dass er nicht vollkommen ehrlich war. »Okay«, sagte er gedehnt, »und wer ist jetzt dein richtiges Geheimteam?«

Niko lachte lauter und lehnte sich mit einem noch lauteren Stöhnen zurück. »Scheiße, du bist echt zu gut.« Er schaute zögernd zu seinen Füßen und holte tief Luft. »Wenn du es jemandem verrätst, mach ich dich kalt.«

»Ehrenwort«, sagte Sam mit einem breiten Grinsen und legte sich die Hand aufs Herz.

Niko leckte sich die Lippen, setzte sich auf und zog die Beine an, dabei lehnte er sich zu Sam. »Die Stars.«

»Die sind aus Texas, richtig?«, sagte Sam, nachdem er tief in seinen Erinnerungen gekramt hatte.

»Hm-mh, Dallas«, bestätigte Niko. »Gib einfach mal Tyler Seguins Arsch bei Google ein, dann siehst du, warum.«

Sam blinzelte und lachte dann auf. Er streckte die Hand aus und gab Niko einen Schubs, sodass dieser wieder auf seinem Hintern landete. »Ernsthaft? Ein geiler Arsch reicht aus, damit du einem Team gegenüber loyal bist?«

»Ich habe nie gesagt, dass ich loyal bin, ich habe nur gesagt, dass es ein Geheimnis ist«, antwortete Niko mit einem Grinsen. »Sein Arsch sollte eine Kirche haben, in der ich ihn jeden Tag anbeten kann. Andererseits haben die meisten Eishockeyspieler eine hübsche Kehrseite. Glaub mir. Du musst keinen Sport mögen, um einen ordentlichen Hockey-Hintern zu schätzen zu wissen.«

Sam grinste breit. »Da ist was dran. Ich werde dir wohl glauben müssen.« Er zögerte und fragte dann: »Hast du mal gespielt?«

Die Stimmung änderte sich fast augenblicklich, aber Niko wirkte nicht verärgert, nur nachdenklich, während er seinen Blick zum Himmel richtete. »Früher. Das ist schon sehr lange her.«

Sam war sich sicher, dass mehr dahintersteckte, aber in Nikos Tonfall lag Schmerz und er sagte auch nicht noch mehr dazu, deshalb wechselte er das Thema. »Geht es dir gut, nach allem, was da drin passiert ist?«, erkundigte er sich stattdessen. Bevor Niko fragen konnte, was er meinte, lachte Sam leise auf. »Der Schreck mit James' Bein.«

Niko wandte den Blick ab, als wollte er sich nicht an das Bild von Blut und blankem Fleisch erinnern, als er gedacht hatte, Mat hätte etwas in James' echtes Bein geschnitzt. »Äh, richtig. Es ist…«, er zögerte, »… diese Sache. Blut macht mir echt schwer zu schaffen. Und ich wusste nicht, dass seine Beine amputiert sind.«

»Also lag es nicht daran, dass er Prothesen hat?«, wollte Sam in herausforderndem Tonfall wissen. Er wusste, was zwischen Derek und Niko vorgefallen war, und obwohl er bereit war, dem Typen einen gewissen Vertrauensvorschuss zu geben, konnte er ihn noch nicht richtig einschätzen.

Niko wich Sams Blick nicht aus. »Nein. Es lag nicht an den Prothesen. Als ich im Grundstudium war, hat einer der Jungs in der zweiten Reihe während eines Chemie-Vortrags Nasenbluten bekommen. Nicht einmal sprudelnd, es hat nur ein bisschen getröpfelt. Ich hab rübergeschaut und als Nächstes lag ich auf dem Boden und ein Haufen Leute stand um mich herum und hat versucht, mich erbärmlichen Deppen aufzuwecken. Ich war schon immer so. In meiner Jugend hatte ich ein paar«, er räusperte sich, »wenig schmeichelhafte Spitznamen, denn wenn ich nur an Blut denke, wird es unschön.«

Sam betrachtete ihn noch einen Moment, dann lächelte er. »Alles klar. Aber ich meinte es ernst, was ich gesagt habe. Geht's dir gut? Du hast ausgesehen, als wärst du kurz davor, Derek auf die Schuhe zu kotzen. Und egal, wie dumm du das auch findest, wir alle hier nehmen so etwas ernst.«

Niko rieb sich mit einer Hand übers Gesicht, lächelte aber immer noch. »Als ich gemerkt habe, dass es keine echte Haut ist, ging es mir wieder gut. Ich musste nur mein Gehirn davon überzeugen, dass er nicht das ganze Sofa vollblutet.« Er lächelte Sam sehr sanft an und zuckte mit den Schultern. »Trotzdem danke. Es ist irgendwie schön, dass sich jemand um mich sorgt, statt mich übel zu verspotten.«

»Na ja«, meinte Sam mit einem angedeuteten Grinsen, »ich kann dir nicht versprechen, dass du nicht verspottet wirst. Es wird einfach nur netter gemeint sein als bei manch anderen Leuten.« Als Niko schmunzelte, wandte Sam den Blick wieder den Sternen zu und stieß einen Atemzug aus. »Danke. Ich habe das hier wirklich gebraucht. Ich sollte, ah… du solltest wieder zu Derek zurück. Ich wollte euer Date nicht sprengen.«

»Also, es war nicht wirklich ein Date«, sagte Niko und rieb sich wieder den Nacken. »Ich habe neulich einen ziemlich großen Fehler gemacht und wir haben beschlossen, es noch einmal zu versuchen, aber ich glaube nicht, dass da irgendetwas draus wird. Ich mag ihn sehr, aber es funkt nicht. Verstehst du, was ich meine?«

»Ja«, erwiderte Sam leise, denn er verstand es. Und das Beängstigende daran war, dass er nun etwas Warmes zwischen ihnen spürte, obwohl sie sich nur anschauten. »Du musst aber nicht aufgeben. Derek ist ein toller Kerl.«

»Ja, das ist er. Er hat mir einen verbalen Nackenschlag verpasst und den hatte ich auch verdient.« Niko fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Ich glaube, dass er mich hierher mitgenommen hat, war ein Test.«

Sam hob die Augenbrauen. »Ach ja?«

»Er hat über die Tochter von eurem Boss gesprochen und darüber, dass sie taub ist und er Gebärdensprache lernt. Ich habe ein paar beschissene Kommentare darüber gemacht, dass es doch einfacher wäre, wenn sie sprechen lernen würde. Und das Schlimmste war, mir ist erst ein Licht aufgegangen, als er aufgestanden und einfach gegangen ist. Ich habe ein wenig gegoogelt, als ich wieder zu Hause war, da habe ich gemerkt, wie beschissen meine Einstellung war.« Niko zuckte mit den Schultern und sah aufrichtig zerknirscht aus, obwohl Sam ihm nicht ganz vertraute. Denn er hatte viele Typen getroffen, die nur mit ihm zusammen sein wollten, um sich etwas zu beweisen ‒ dass sie überhaupt kein Problem mit Behinderungen hatten, obwohl es in Wahrheit nichts anderes war als eine krankhafte Faszination.

»Ich verstehe, warum er gegangen ist«, erwiderte Sam. Aber er verstand ebenfalls, warum Derek ihm noch eine Chance gegeben hatte. »Die Leute kapieren es eben nicht. Wenn sie nicht mit einer Behinderung leben, müssen sie auch nicht jeden Tag darüber nachdenken.«

Niko nickte und musterte dann unverhohlen Sams Rollstuhl, anstatt zu versuchen, ihn komplett zu ignorieren. »Wann, äh… wann ist es bei dir passiert?«

Sam lächelte leicht. »Ich war fünfzehn. Ich war ein Trottel und bin mit Freunden durch die Gegend gefahren, mit denen ich mich nicht hätte treffen sollen. Wir hatten einen Unfall, dabei wurde meine untere Wirbelsäule schwer verletzt.«

»Scheiße«, sagte Niko und runzelte die Stirn. »So jung?«

»Ich denke, so hatte ich die Möglichkeit, mich ausgiebig an dieses Leben zu gewöhnen, denn ich lebe schon länger so, als dass ich laufen konnte«, erzählte Sam. »Im Moment habe ich mit einem Sorgerechtsstreit zu tun und ich hatte gehofft, es zu meinem Vorteil nutzen zu können, aber die Schlipsträger versuchen, es gegen mich einzusetzen.«

Niko richtete sich ein wenig auf. »Du hast ein Kind?«

Sam konnte ein strahlendes Lächeln nicht unterdrücken. »Kein leibliches, aber ja. Es ist eine lange, komplizierte Geschichte, über die ich im Moment nicht sprechen möchte, aber sie ist… Mann, sie ist einfach toll. Sie ist bei mir, seit sie ein Baby war. Sie ist jetzt drei und so verdammt schlau und wundervoll und ich… Es war eine harte Woche und es sieht so aus, als würden die nächsten Monate nur noch schlimmer werden.«

Niko blickte finster drein. »Ich habe nicht wirklich Ahnung von Kindern. Meine Schwester hat zwei. Sie lebt mit ihnen in Jersey und dort gehe ich nicht mehr hin, deshalb sehe ich sie kaum, aber sie sind wirklich toll. Und, ähm, hör mal, wenn du Lust hast, dich mit mir zu treffen, weil du eine Auszeit brauchst, dann melde dich einfach. Wir können Kaffee trinken und die Kleine mitnehmen, um Enten zu füttern. Ich weiß, dass es im Fitnessstudio ein paar Yogakurse gibt, in die ich dich wahrscheinlich reinbringen könnte, wenn du willst.«

Sam blinzelte und lachte dann auf. »Ich gebe ab und zu behindertengerechte Fitnesskurse. Hauptsächlich Core-Training und Rollstuhlyoga. In Denver gibt es ein Reha-Zentrum, in dem ich trainiere, wenn ich Zeit habe. Nächstes Wochenende wollen wir versuchen, Ziegenyoga im Park zu organisieren.«

Da horchte Niko auf. »Ziegenyoga?«

»Yoga mit Babyziegen. Die Ziegen machen nicht wirklich Yoga, sie klettern einfach auf einem herum, aber die Leute finden es anscheinend toll. Es ist seltsam entspannend«, sagte Sam mit einem leisen Kichern. »Willst du es dir ansehen?«

Niko wirkte unsicher, aber seine Lippen verzogen sich zu einem richtigen Lächeln, das etwas mit Sams Innerem anstellte, womit er in dem Moment nicht umgehen konnte. »Ist es okay für Leute wie mich, da mitzumachen?«

Sam runzelte die Stirn, bemerkte dann, was Niko wissen wollte, und lachte. »Mit Behinderung oder ohne, das ist den Babyziegen egal.«

Er konnte gerade so einen Hauch von Röte auf Nikos Wangen erkennen, als dieser den Kopf senkte und nickte. »Ich denke, das könnte Spaß machen. Schreibst du mir wegen der Details?«

Sam zögerte nur eine Sekunde, bevor er sein Handy hervorholte. »Gib mir deine Nummer.« Er versuchte, sich nicht von Nikos sanftem Lächeln ablenken zu lassen, als er die Zahlen herunterratterte, und kurz überlegte er, ihn unter einem lustigen Namen in seinen Kontakten zu speichern, doch letztendlich entschied er sich für Niko, der Fitnesstyp, weil es viel sicherer war, ihn auf Abstand zu halten.

Niko zog in Betracht, nicht ans Telefon zu gehen, aber er war an seinem Arbeitsplatz und auch wenn er seinen Gehaltsscheck nicht unbedingt brauchte, wollte er trotzdem nicht gefeuert werden. Zumindest nicht für etwas so Lächerliches wie das Ignorieren von Klienten.

Er holte tief Luft, speicherte die Seite, auf der er sich befand, und klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter. »Niko Pagonis.«

»Ich dachte, du bist vielleicht unterwegs«, erklang Hollands Stimme am anderen Ende der Leitung. »Hast du einen Moment Zeit?«

»Für dich habe ich sogar mehrere«, sagte Niko und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er nahm seine Brille ab und rieb sich die wunden Stellen am Nasenrücken. »Was gibt's?«

»Sie haben dein Angebot angenommen. Ursprünglich wollten sie einen Mietvertrag über zehn Jahre, aber als ich ihnen gesagt habe, dass du bereit bist, das Kapital für die Renovierungsarbeiten unabhängig vom Kredit bereitzustellen, haben sie einem Fünfjahresvertrag mit der Möglichkeit auf Neuverhandlungen nach drei Jahren und eine Kaufoption zugestimmt, wenn das Restaurant gut läuft.«

Niko spürte einen kleinen Stich in der Magengegend, aber nicht so, wie er es bei der Annahme seines Angebots erwartet hätte. Es war der Anfang von etwas, das er wollte ‒ unbedingt wollte ‒, und dennoch fühlte er sich leer. »Perfekt«, sagte er schließlich. »Wann kann ich unterschreiben?«

Holland lachte. »Gib mir zwei Wochen, Kumpel. Ich muss ein paar Gutachter hinzuziehen, um alles zu überprüfen, und wir möchten verschiedene Bauunternehmen dazu bringen, dir für den Umbau einen Kostenvoranschlag zu machen.«

»Du weißt, dass mir die Kosten egal sind«, erinnerte er sie.

Sie seufzte. »Ich weiß das, aber die Bereitschaft, das Geld auszugeben, ist eine Sache. Arschlöcher, die dich übers Ohr hauen wollen, weil du ja genug hast, eine ganz andere. Lass Jane und mich das regeln. Du weißt, dass wir hinter dir stehen und wollen, dass alles klappt. Mach du dir bloß über die Gestaltung Gedanken und überleg dir, wer sich auf die Suche nach einem Chefkoch machen soll.«

Das verblüffte Niko, denn er hatte gedacht, er hätte sich deutlich ausgedrückt. Er war der Meinung, er müsste selbst der Chefkoch sein, wenn er wollte, dass es richtig gemacht wurde. »Holland, ich möchte keinen Fremden hier haben, der die Rezepte meiner Familie zubereitet. Ich möchte mit anpacken.«

»Warum überrascht mich das nicht?«, sagte sie seufzend. »Hör zu, ich verstehe, dass dir das wichtig ist und dass es viele Köche gibt, die ihre eigenen Restaurants besitzen, aber sie haben jemanden, der ihnen zuarbeitet, Süßer. Sie können nicht alles allein machen. Wenn du das versuchst, bist du in weniger als einem Jahr am Boden und der Laden auch. Recherchier ein wenig, hör dich um. Hol dir Ideen ein und melde dich dann bei mir.« Sie holte tief Luft. »Wir können dir am Anfang helfen, okay? Du willst jemanden, der sich mit griechischem Essen auskennt, nicht wahr?«

»Ja, aber ich möchte nicht, dass ein großkotziges europäisches Arschloch von einer französischen Kochschule hierherkommt und glaubt, er oder sie könnte besser kochen als die Leute hier, weil er oder sie einen Monat in Athen verbracht hat.« Er versuchte, seinen Ärger zu dämpfen, aber er konnte nicht anders. »Komm mir nicht mit irgendeinem TV-Koch an.«

»Daran würde ich nicht mal im Traum denken, mein Lieber«, sagte sie in einem Tonfall, der ihn daran erinnerte, dass kein Fernsehkoch seinen Laden freiwillig betreten würde. Nicht, dass es ihn interessierte, wenn er sich lächerlich machte.

Er war nicht irrational ‒ er wollte, dass das hier funktionierte.

»Gib mir einfach etwas Zeit«, sagte er schließlich zu ihr.

»Wie gesagt, es wird mindestens zwei Wochen dauern, bis die Gutachten fertig sind, und dann arbeiten wir mit einem Raumausstatter zusammen. Die Renovierungsarbeiten werden mindestens drei oder vier Monate dauern. Du hast alle Zeit der Welt.« Ihre Stimme und ihre Worte waren beschwichtigender als zuvor und er schaffte es, sich etwas zu beruhigen.

»In Ordnung. Und entschuldige bitte. Es ist nur… es ist das erste Mal, dass ich etwas wirklich nur für mich tun will, und das ist irgendwie überwältigend.« Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und warf dann einen Blick auf die Uhr. Es war gerade Mittag, und obwohl er wahrscheinlich etwas essen sollte, schien eine Runde auf dem Laufband eine weitaus bessere Methode zu sein, um den Kopf freizukriegen.

»Ist schon in Ordnung. Wir stehen hinter dir, alles wird gut. Leute eröffnen ständig Restaurants, Niko.«

»Und müssen ständig welche schließen«, erinnerte er sie, ohne sie mit neuen Geschäftsstatistiken zu überfallen, die sie wahrscheinlich sowieso schon kannte.

»Fairfield braucht dringend die Art von Küche, die du anbieten willst«, erinnerte sie ihn im Gegenzug. »Und mit all den Idioten, die aus Denver kommen, wird es bestimmt gut laufen. Red dir nicht ein, dass du keine Chance hast, bevor du überhaupt angefangen hast, Süßer. Das werden wir nicht zulassen.«

Sie hatte recht mit dem, was sie sagte, aber ihre Worte reichten nicht aus, um ihn endgültig zu überzeugen. Trotzdem wusste er sie zu schätzen. »Vielen Dank. Ich melde mich.«

»In Ordnung. Bis bald.«

Das Gespräch brach ab. Niko stand auf und schnappte sich seine Schlüssel und seinen Geldbeutel, bevor er hinausging. Er schaffte es, jedem aus dem Weg zu gehen, der mit ihm reden wollte, und eilte die Straße hinunter zum Fitnessstudio. Es war nicht weit und er war dankbar, dass niemand versuchte, ihn aufzuhalten, nachdem er seinen Ausweis vorgezeigt und sich umgezogen hatte. Er hatte eine halbe Stunde Zeit und er wollte schwitzen.

Sobald seine Füße das Laufband berührten, begannen seine Gedanken, sich zu klären. Er dachte nicht an das Restaurant, seine Vergangenheit oder sein kaputtes Knie. Er ignorierte den leichten Stich darin, als er etwas schneller lief und sich weiter trieb. Er erhöhte seine Geschwindigkeit und den Widerstand, dann die Neigung. Seine Waden begannen zu brennen und auf seiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen.

Seine Musik war ein leises Summen im Hintergrund und als er die Augen schloss, kam ihm plötzlich ein Bild in den Sinn. Ein Gesicht mit einem scharf geschnittenen Kiefer, ordentlich gepflegten Augenbrauen und vielen Tattoos an den Armen, den Händen und dem Hals.

Sam war eigentlich nicht Nikos Typ. Normalerweise fühlte sich Niko zu lauten, aufdringlichen Typen hingezogen, die es schnell und schmutzig auf dem Rücksitz eines Autos oder in einem schmuddeligen Besenschrank treiben wollten. Auf jeden Fall hatte er sich noch nie zu einem Mann hingezogen gefühlt, der ein Kind hatte. Und der Rollstuhl ‒ er konnte die Bedenken, die ihm kamen, nicht leugnen. Er hatte immer noch daran zu knabbern, dass er sich Derek gegenüber wegen der Gebärdensprache wie ein Arschloch aufgeführt hatte. Wie konnte er sich sicher sein, dass er es bei jemandem wie Sam nicht noch schlimmer machte?

Und dennoch. Und dennoch wollte er es versuchen. Er stellte fest, dass er sich ihre Unterhaltung immer wieder ins Gedächtnis rief und das Echo von Sams leisem Lachen und das tiefe Brummen seiner Stimme hörte. Er hatte an diesem Abend viel mehr als nur eine Textnachricht gewollt, aber Sam hatte ihm keine Versprechungen gemacht und Niko war sich nicht ganz sicher, ob er die Chance verdient hatte, mehr zu verlangen.

Derek schien es nicht zu stören, dass Niko sich für den anderen Mann interessierte, und obwohl sie sich gemeinsam verabschiedet hatten und weggefahren waren, waren sie ohne das Versprechen auseinandergegangen sich wiederzusehen. Das hätte ihn betrüben sollen, aber als er zu Hause angekommen war, hatte er eine Textnachricht auf seinem Handy.

Sam: Yoga, Samstag, 9 Uhr, Rose Garden Park. Sei da oder

Es war vielleicht der nerdigste Dad-Joke, den er jemals gelesen hatte, und doch war er mit einem so breiten Lächeln eingeschlafen, dass seine Wangen schmerzten. Es gab so Vieles, was er über Sam wissen wollte, was er sich erarbeiten wollte. Er wusste nicht, was Sam dachte. Ober er überhaupt auf Männer stand und ob er einem Chaoten wie Niko eine Chance geben würde, aber er wollte in seiner Nähe sein und sein Bestes geben.

Yoga wäre ein Anfang.

Er beendete seinen Lauf mit klopfendem Herzen und verschwitztem Rücken ‒ genau so, wie er es haben wollte. Seine Mittagspause war schon vorbei, aber er glaubte nicht, dass das irgendjemanden interessieren würde, da die meisten der Konten, die er betreute, auf dem aktuellen Stand waren, sodass keiner seiner Klienten einen Grund hatte, sich zu beschweren. Er stieg vom Laufband, sprühte es ein und wischte es ab, bevor er zu den Umkleideräumen ging, aber bevor er um die Ecke bog, schnappte er ein Gespräch an der Rezeption auf.

»…und Sie haben ernsthaft nichts? Ich meine, gibt es eine Möglichkeit, etwas einzurichten?«

»Hören Sie, Ma'am, ich bin mir Ihrer Situation bewusst, aber das ist das Beste, was wir Ihnen anbieten können. Unsere Versicherungspolice deckt einfach keine… Menschen wie Sie ab.«

»Menschen wie mich. Alles klar.«

Etwas an dem niedergeschlagenen, erschöpften Tonfall der Frau hatte ihn neugierig gemacht. Er trat um die Ecke und da sah er sie. Sie saß im Rollstuhl, war für das Fitnessstudio angezogen und hatte hellbraune Haare, die zu einem unordentlichen Knoten gebunden waren. Ihre behandschuhten Hände lagen an den Rädern ihres Stuhls und sie funkelte den Mann an der Rezeption aus dunklen Augen an.

Niko trat vor, bevor er sich dessen bewusst war. Sie drehte sich um und sah ihn sofort widerspenstig an, als er vor ihr stehen blieb. »Ich habe gelauscht«, platzte er heraus.

Ihre Augenbrauen schossen nach oben. »Äh, schön für dich? Ich bin keine Jungfrau und auch nicht in Nöten, also spiel woanders den weißen Ritter.«

Er konnte sein Lachen nicht zurückhalten und sah, wie ihre Lippen ein wenig zuckten. »Das ist nicht… ähm. Ich habe da diesen Freund ‒ eine Art Bekannter, würde ich sagen ‒ er macht Ziegenyoga im Park.«

Sie blinzelte ihn für einen langen Moment an. »Okay?«

»Er sitzt auch im Rollstuhl«, erklärte er. »Er hält manchmal Kurse für Menschen mit Behinderungen ab. Also, äh, ja. Ich dachte, vielleicht…«

»Ja«, sagte sie hastig, die Worte schossen geradezu aus ihr he-raus. »Ernsthaft? Ist das dein Ernst?«

Er rieb sich über den Nacken. »Ich weiß eigentlich nicht viel über das, was er tut, aber neulich hat er mir von einem Yoga-Kurs an diesem Wochenende erzählt.« Er biss sich auf die Lippe und sagte dann: »Willst du mir deine Nummer geben? Dann kann ich dir die Details schreiben.«

Sie kniff die Augen zusammen und schob ihren Stuhl ein Stück zurück. »Hör mal, Mann, das mit dem Yoga ist super hilfreich und so, aber ich bin verlobt.«

Er lachte wieder und seine Wangen brannten. »Nein, ich… Scheiße. Das ist kein Anmachspruch, versprochen. Ich bin schwul. Im Sinne von richtig, richtig schwul.«

Sie errötete leicht und sah nur wenig zerknirscht aus. »Oh.«

»Ich wollte deine Nummer tatsächlich nur für die Kurse. Ich gehe dieses Wochenende zu dem Yoga-Kurs. Am Samstag im Rose Garden Park. Um neun.« Als Beweis zog er sein Handy heraus und zeigte ihr Sams Nachricht auf dem Display.

Sie betrachtete ihn einen Moment lang, zuckte dann mit den Schultern und griff hinter sich nach der Tasche, die an ihrem Rollstuhl hing. Nachdem sie ihr Handy herausgezogen hatte, zögerte sie kurz, schaltete das Display ein und schaute ihn an. »Okay, gib mir deine Nummer und ich werde darüber nachdenken. Ich bin übrigens Kristen.«

Er grinste und rasselte seine Nummer herunter. »Ich bin Niko«, sagte er zu ihr, als er sah, dass sie Möglicherweise gruseliger Fitnessstudiotyp in ihre Kontakte eingab. »Aber das ist auch okay.«

Sie zuckte unbeeindruckt mit den Schultern und änderte den Eintrag nicht. »Du kannst dir deinen richtigen Namen in meinem Telefonbuch verdienen, indem du kein Riesenarschloch bist. Aber ich trainiere seit ein paar Wochen hier und habe nicht viel Hoffnung.«

Nikos Blick zuckte zu dem Mann hinter dem Tresen, der sie beobachtete, als wären sie der neuesten Seifenoper entsprungen, und Ärger stieg in ihm auf. »Willst du mit mir einen Smoothie trinken gehen? Äh, einen platonischen Smoothie. Ich habe nur… es war ein seltsamer Morgen, und wenn dein Tag bisher ähnlich war…« Er verstummte und wedelte mit der Hand in Richtung Rezeption.

Sie funkelte den Kerl noch einmal an und nickte dann. »Normalerweise würde ich dir sagen, dass du dich verpissen sollst, aber die Saftbar hat gerade eine frische Ladung Pfirsiche geliefert bekommen, und ihr Pfirsichkuchen-Smoothie ist zum Niederknien. Im wörtlichen Sinne. Also ja.«

»Gib mir fünf Minuten, um mich kurz frisch zu machen und meine Sachen zu holen. Theoretisch bin ich in meiner Mittagspause und ich glaube nicht, dass ich mich sonderlich beliebt machen würde, wenn ich so stinkend wieder auftauche.« Er ging los, blieb jedoch stehen, als er hörte, wie sie ihm etwas hinterherrief.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da viele Leute beschweren«, meinte sie und grinste, als er sich mit hochgezogenen Brauen zu ihr umdrehte. Sie zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. »Was denn? Idiot oder nicht, du weißt genau, dass dein Arsch der Knaller ist.«

Niko verdrehte die Augen, grinste aber und eilte dann los, um sich umzuziehen. Er fühlte sich ein wenig leichter, als wäre in ihm eine Glühbirne angegangen, die ihm signalisierte, dass er kein vollkommener Versager war. Dass er mit Fremden sprechen und tatsächlich Freunde finden konnte, ohne eine große Sache daraus zu machen. Er war ein funktionierender Mensch, und diese Tatsache musste er einfach nutzen.

Er machte sich schnell frisch und benutzte großzügig Deo, dann schnüffelte er kurz an sich, um sich zu vergewissern, dass er nicht stank, bevor er sich wieder auf den Weg zu Kristen machte. Sie war draußen und telefonierte, als er durch die Türen trat, beendete ihren Anruf aber sofort und gab ihren Rädern einen Stoß in Richtung des Smoothie-Ladens.

»Also meinst du das wirklich ernst? Mit deinem Freund?«, wollte sie wissen, als sie sich dem Eingang näherten. Es hatte sich eine beachtliche Schlange gebildet, aber es war Mittagszeit und, um ehrlich zu sein, war es ihm egal, dass er zu spät kam. Er griff nach der Tür und hielt sie auf, damit sie an ihm vorbeirollen konnte.

»Ja. Wir sind nicht wirklich Freunde. Ich habe ihn neulich durch einen Typen getroffen, mit dem ich ein Blind Date hatte, und wir haben uns gut verstanden, da hat er mir von den verschiedenen Kursen erzählt, die er leitet.«

Sie sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Du hast dich an einen anderen Typen rangemacht, während du ein Date hattest?«

Niko lachte auf. »Es war eher so, dass ich mich bei dem eigentlichen Date wie ein kompletter Arsch verhalten habe und wir beschlossen haben, es noch einmal zu versuchen, aber es hat nicht gefunkt. Sein Freund hingegen…« Niko errötete. Er zuckte die Schultern und schob eine Hand in seine Hosentasche. »Er ist heiß.«

»Der Typ im Rollstuhl?«, hakte sie nach.

Er zuckte erneut mit den Schultern. »Ja. Warum? Ist das komisch?«

»Kommt darauf an«, antwortete sie ehrlich. »Verabredest du dich normalerweise immer mit gehandicapten Männern?«

Niko runzelte die Stirn. »Ich habe das Gefühl, dass ich mich um Kopf und Kragen reden werde, egal, wie meine Antwort lautet. Aber nein, ich bin noch nie mit einem körperlich beeinträchtigten Mann ausgegangen. Macht mich das zu einem Riesenarschloch?«

Sie grinste leicht und schüttelte den Kopf. »Ich habe eine Weile gebraucht, um wirklich zu glauben, dass mein Verlobter es ernst mit mir meint und nicht wegen eines seltsamen Behindertenfetischs mit mir zusammen sein will.«

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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