Der letzte Admiral 3: Dreigestirn

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Aus der Reihe: Der letzte Admiral #3
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Der letzte Admiral 3: Dreigestirn
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DIRK VAN DEN

BOOM

DER LETZTE

ADMIRAL

3|DREIGESTIRN



DER LETZTE ADMIRAL 3: DREIGESTIRN

wird herausgegeben von Cross Cult, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler; Verantwortlicher Redakteur

und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust; Korrektorat: Peter Schild;

Satz: Rowan Rüster/Cross Cult; Cover Artwork: Arndt Drechsler;

Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice.

Printed in the Czech Republic.

Copyright © 2020 Dirk van den Boom

Originalausgabe

Print ISBN 978-3-96658-311-4 (Oktober 2020) · E-Book ISBN 978-3-96658-312-1 (Oktober 2020)

WWW.CROSS-CULT.DE

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

EPILOG

1

Ryk wachte auf und fühlte sich beschissen.

Schweiß klebte ihm auf der Stirn, und dann dieser Druck im Schädel. Erinnerungsfetzen an einen Albtraum drängten sich ihm auf. Was war aus dem guten alten Vergessen beim Aufwachen geworden? Er war vor einem Großmaul davongerannt, doch er kam nicht von der Stelle. Er steuerte den Wagen von Hoimar, doch wenn er Gas gab, fuhr er nicht schneller, und wenn er bremste, geriet der Wagen außer Kontrolle. Alle schauten ihn immer nur an. Ryk, Ryk, Ryk, sagten sie, voller Aufforderung und Erwartung und stiller Missbilligung. Er wandte sich ratsuchend an Uruhard und erntete Schweigen. Sia lachte nur. Momo schaute weg. Dann wieder ein Großmaul, dann der Eze, wie er den Kopf schüttelte. Wieder ein Großmaul. Ein Kaleidoskop, aus dem er nicht einmal erwacht war, als er es wollte.

Erst später, und so lag er jetzt da. Das Kissen klebte an seiner Haut. Er starrte in die Dunkelheit. Das eindringlichste Bild aus dem Traum, das in ihm nun langsam, langsam verblasste, war dieser Wald an Hivestöcken, dieses einen Planeten bedeckende Gewimmel aus Feindseligkeit, Verhängnis und Übermacht. Das Bild hatte sich ihm wohl eingebrannt. Er wurde es nicht mehr los.

Und die drei Sonnen. Die beiden kleineren hatten sie nicht sofort bemerkt. Versteckt wie kleine Kinder unter dem Rock einer Matrone waren sie aus dem Schatten der großen Zentralsonne hervorgeschlichen, als die Marcus Aurelius ihre Messungen fortgesetzt hatte. Drei Sonnen. So was war offenbar möglich. Ryk kannte sich nicht aus. Er war sehr beeindruckt gewesen, wie sie alle.

Ryk richtete sich auf. Der pelzige Geschmack in seinem Mund war ekelhaft. Er hatte keinen Tropfen Alkohol angerührt, obgleich ihm danach gewesen war. Vielleicht hätte er trinken sollen. Dann wäre er wie ein Toter eingeschlafen, hoffentlich traumlos, und in keinem schlechteren Zustand aufgewacht.

Er schaute auf die Uhr.

Fünf Stunden.

Das erklärte ein wenig, warum er sich so angeschlagen fühlte. Nur fünf Stunden Schlaf. Aber er hatte keinen Weckruf vereinbart. Sein Geist hatte einfach gesagt: Wach auf, es ist genug, ich kann nicht mehr.

»Ryk!«

Sias Stimme, die aus einem Lautsprecher drang, tat etwas weh. Also war es doch nicht sein Geist gewesen. Wenn sie ihn schon aufwecken musste, warum kam sie dann nicht persönlich vorbei? Ein nettes Streicheln, vielleicht ein Kuss und ein bedauernder, liebevoller Blick, wenn er sich aus dem Schlummer kämpfte. Etwas Zuneigung und Trost, ein sanftes Aufwachen. Aber nein, da saß er nun.

»Ryk!!«

Nachdruck. Drängen. Es alarmierte ihn ein wenig.

»Ja, Sia«, sagte er. Seine Stimme klang hohl und schwach, so wie seine Zunge schmeckte.

»Komm hoch. Das musst du dir ansehen.«

Ryk war nun wach. Der Alarm in ihrer Stimme war deutlich zu hören und er hatte die erwünschte Wirkung. Er stand auf, dann Wasser ins Gesicht, einmal den Mund ausgespült. Er rieb sich über die Bartstoppeln, ignorierte sie und schlüpfte in die Kleidung von gestern. Er roch am Hemd. Ging noch.

Augenblicke später, immer noch eine Spur unsicher auf den Beinen, betrat er die Brücke. Alle waren sie da. Uruhard sah genauso zerfleddert aus wie er, Sia wie der junge Morgen und Momo stand wahrscheinlich sowieso die ganze Zeit in der Ecke und schlummerte aufrecht.

»Was gibt es?«

»Das!«

Ryk schaute auf das, was die Monitore zeigten. Erst erkannte er es nicht genau. Es fehlte ihm an Referenzen für das, was dort abgebildet wurde. Etwas im Weltraum. Groß. Sehr symmetrisch. Ganz anders als der Dschungel an Hivestöcken. Er schaute und schaute und fragte sich einen Moment, ob er wirklich richtig wach war oder er nur von einem Traum in einen anderen gewechselt war.

Er sah sich verwirrt um, doch niemand achtete auf ihn.

Sia sprach mit der Automatik. »Hast du die Messungen abgeschlossen?«

Die etwas monotone Stimme antwortete sofort: »Es besteht kein Zweifel. Die Anlage ist inaktiv.«

»Definiere inaktiv.«

Inaktiv vielleicht, ja. Aber auf jeden Fall beeindruckend. Schwarz, matt, mit einer Maserung, die sich nun der scharfen Optik der sich nähernden Fernsonde enthüllte. Exakte Geometrie, perfekt zusammengestellt, ein Mahnmal der technologischen Macht der alten Union und gleichzeitig doch ein Symbol für ihren Untergang. Beeindruckend auch, weil alles so tot war, mehr als ruhig, eine in sich ruhende, bleierne Stille, die von den drei aneinandergesetzten Metallpyramiden ausgestrahlt wurde wie eine stumme Mahnung. Niemand konnte sich dem Eindruck dieses Anblicks entziehen. Ryk am allerwenigsten, der schon nicht mehr genau wusste, wie er all diese Bilder und Entdeckungen verarbeiten sollte. Eine Welt voller Hivestöcke auf der einen Seite, ein Dschungel aus Feinden, mächtiger und bedrohlicher und zahlreicher als alles, was sie bisher gesehen hatten – und drei Pyramiden, alle mit einem exakten Seitenmaß von einem Kilometer, die wiederum angeordnet in einem perfekten Dreieck um die Gaswelt kreisten, auf der anderen. Schwarz. Massiv. Und stumm. Oder, wie die Automatik der Marcus Aurelius es nannte: inaktiv.

Und weil das der Erklärung bedurfte, hatte die Sängerin nachgefragt.

Sia hatte diesen sachlichen Tonfall, der in Ryk immer den Eindruck erweckte, als würde eine Maschine mit einer Maschine reden, und so weit hergeholt war das ja auch nicht. Er entsann sich natürlich anderer Momente, in denen er sich von der sehr menschlichen Seite der Hybriden hatte überzeugen dürfen, und es bedurfte der Erinnerung an diese, um keinen völlig falschen Eindruck von der Sängerin zu behalten.

Die Automatik der Marcus Aurelius jedenfalls kam gut mit Sia aus.

Ryk holte sich einen Kaffee aus dem Automaten auf der Brücke. Er trank das Elixier in kleinen Schlucken und spürte, wie es den Druck in seinem Kopf durch das typische Brennen ersetzte, das zu viel Koffein in ihm auslöste. Er war sich nicht ganz sicher, was besser war. Es war einfach anders.

»Keine Energieemissionen. Keine Strahlung. Keine physische Aktivität. Eine Temperatur nur unwesentlich über der des umgebenden Weltraums.«

»Kein Antrieb?«, vergewisserte sich Sia.

»Es bedarf keiner Kurskorrektur. Die Objekte befinden sich im Lagrange-Punkt. Sie sind fest im Weltall verankert, gehalten durch die sich gegenseitig kompensierenden Schwerkraftfelder des Gasplaneten und des Hauptmondes. Eine ausgesprochen stabile Position. Soll ich mit der Erkundung fortfahren?«

 

Die Frage aller Fragen. Nachdem sie einen Wald an Hives auf dem zweiten Planeten entdeckt hatten, war die nächste Enthüllung nur eine Stunde später gekommen.

Inaktiv. Das war in der Tat sehr technisch und dieser Eindruck wurde durch die Erklärung der Automatik noch verstärkt. Der Begriff, der Ryk einfiel, war »tot«. Wenn das die Forschungsstation war, in der Admiral Rothbard darauf wartete, die Menschheit zu retten, waren die Aussichten nicht sehr rosig.

Das sagte er auch. Er wollte es eigentlich nicht, es fühlte sich an, als würde er damit den Traum angreifen, der sie hierhergeführt hatte, aber es war doch eine logische Schlussfolgerung.

Der ehemalige Wachtmeister aber ließ das nicht gelten. »Vielleicht wartet die Station darauf, dass jemand sie besucht und reaktiviert«, mutmaßte er. »Vielleicht hat sie ihre Arbeit beendet oder sie wartet noch auf etwas Entscheidendes – einen Weckruf, einen Hinweis darauf, dass es noch Menschen gibt, die es zu retten lohnt.«

»Es leben Menschen auf der zweiten Welt. Wir haben sie gesehen!«, erwiderte Ryk, der seine pessimistische Weltsicht nicht ohne Widerspruch aufgeben wollte.

»Gut, ja. Dann werden wir mehr erfahren, wenn wir uns das näher ansehen. Wir sollten die Pyramiden anfliegen, alte Unionscodes senden, uns identifizieren. Wenn dort eine Automatik zuhört, könnte es sein, dass sie aktiv wird. Das ist immer noch die bessere Option, als uns weiter der zweiten Welt zu nähern und in einem Wald aus Hivestöcken zu landen.«

»Dort unten leben Menschen«, begehrte Ryk auf. Die Fernsonden hatten weitere Beobachtungen geliefert und der Befund war eindeutig. Um insgesamt vier eindeutig identifizierte Stöcke, die seltsamerweise wie verdorrt aussahen, hatten sich Siedlungen etabliert, eine davon besonders groß. Sicher absolut nicht vergleichbar mit den Metropolen, eher Dörfern gleich, und ganz offensichtlich bar jeder Reste an Technologie, aber bewohnt. »Und dort unten stehen tote Hives. Das muss doch einen Grund haben. Vielleicht haben die Menschen doch noch einen Weg gefunden, sich zu wehren. Einen Weg, einen Hivestock zum Sterben zu bringen.«

»Also plädierst du dafür, dass wir es unten auf Planet zwei versuchen?«, fragte Sia. Es lag keine Anklage in der Stimme. Sie schien es zumindest ernsthaft als Alternative zu erwägen.

Ryk fühlte sich immer noch nicht körperlich in der Lage, eine so ernsthafte Diskussion zu führen und möglicherweise den Ausschlag für eine ebenso ernsthafte Entscheidung zu geben. Er vergrub sein Gesicht im Kaffeebecher, doch leider fand er dort keine Antwort. Er wusste, dass er keine hatte. Egal wie sie sich entschieden, es konnte alles in Enttäuschung, Konflikt und Gefahr enden.

Verdammt.

Wenn er zu wenig Schlaf bekam, war er unerträglich, so unerträglich, dass er sich selbst nicht mehr leiden konnte. »Ich weiß es doch auch nicht«, war seine kraftlose Antwort.

»Vielleicht wird uns die Entscheidung gerade abgenommen«, sagte Uruhard. Er zeigte auf den Hauptschirm, der nun wieder die Übertragung der Sonden zeigte, die um den zweiten Planeten kreisten. Dort tat sich etwas.

Ein Hivestock fesselte ihre Aufmerksamkeit. Es sah so aus, als gäbe es da unten ein Erdbeben, jedenfalls zitterte das mächtige Bauwerk. Fuhr ein mächtiger Wind durch diesen beängstigenden Dschungel? Es dauerte einen Moment, bis auch Ryk begriff, wessen er da gerade Zeuge wurde.

»Das Ding startet«, flüsterte er schließlich andächtig.

Niemand widersprach ihm. Es wurde mit jedem Moment eindeutiger, dass der Springer recht hatte. Das Zittern des Hivestocks wurde stärker und er schien unnützen Ballast abzuwerfen. Wie abgestorbene Hautpartikel lösten sich Schalen von seiner Hülle und fielen zu Boden. Die Sporenplattform an der Spitze hatte sich geschlossen, so als hätte sich eine Schicht von Hornhaut darübergelegt, und bildete die konisch geformte Bugsektion eines Raumfahrzeugs. In nichts anderes verwandelte sich das Bauwerk in diesem Prozess.

Dann löste es sich vom Boden. Erdreich wurde aufgewirbelt, eine tiefe Wunde in die Kruste geschlagen und Brocken des Bodens purzelten in den tiefen Krater, den der emporsteigende Hivestock hinterließ. Aus dem Heck des Ungetüms schlugen helle Flammen. Ryk beobachtete zum ersten Mal einen aktiven, mobilen Hivestock und der Anblick war geeignet, ihm den Atem zu verschlagen. Nicht mühelos, aber mit großer und beständiger Kraftentfaltung überwand das Monstrum die an ihm zerrende Schwerkraft und stieg durch die Atmosphäre empor, einen hellen Schein um sich herum ausbreitend.

Dann brach das Raumschiff – und um nichts anderes handelte es sich jetzt – durch die obersten Schichten der Lufthülle. Wie von einem unsichtbaren Band befreit beschleunigte der Hive mit immer höheren Werten und schoss förmlich an der beobachtenden Sonde vorbei, die ihre Kameras und Sensoren nachsteuerte, um den Anblick nicht aus dem Fokus zu verlieren.

»Kursberechnung!«, verlangte die ewig pragmatische Sia, während Ryk noch vollauf damit beschäftigt war, mit offenem Mund zu starren und nicht zu wissen, was das alles zu bedeuten hatte.

Die geforderte Berechnung wurde projiziert. Natürlich konnte der Hivestock jederzeit seinen Kurs ändern, aber es sah nicht danach aus, als habe er die Absicht.

»Er hält auf uns zu«, sagte Uruhard mit belegter Stimme.

»Wir sind die Ursache dieses Starts?«, fragte Ryk. Er konnte es nicht glauben. Das kleine Schiff, die paar Leute – deswegen löste man keinen seit ewigen Zeiten tief in der Kruste des Planeten verwurzelten Hivestock von der Oberfläche!

»Das ist doch, wie mit Kanonen auf Spatzen schießen!«, bemühte Uruhard ein antikes Sprichwort.

»Das wäre es«, meinte Sia nachdenklich, »wenn man etwas anderes hätte als Kanonen. Aber ich habe noch nie von kleinen Hiveraumschiffen oder -beibooten gehört, von Drachen fürs Weltall. Oder geben die Aufzeichnungen da etwas her?«

»Nein«, gab Uruhard etwas verblüfft zu. »Nein, absolut nichts. Verdammt. Das stimmt. Kanonen auf Spatzen. Und selbst wenn, dann starten die wahrscheinlich von einer Basis. Wer Weltraumdrachen möchte, braucht einen Drachenträger.«

»Da unten gibt es Tausende von Hivestöcken. Für unseren Feind ist der Start eines einzelnen vielleicht nicht halb so beeindruckend wie für uns«, ergänzte Ryk, der so langsam wieder in der Lage zu sein schien, einen klaren Gedanken zu fassen. »Wenn man so viele Kanonen hat …«

»Was machen wir? Ausweichkurs? Oder umdrehen und fliehen?« Sia kam sofort wieder zum Punkt.

»Zu langsam.«

Alle drehten sich zu Momo, der nach diesen beiden Worten auch schon wieder zufrieden damit war, einen Beitrag zur Diskussion geleistet zu haben. Doch der Defo hatte mehr Aufmerksamkeit gezeigt als sie alle, wie Sia sofort bestätigte.

»Momo hat recht«, sagte sie. »Das sind wahnsinnige Beschleunigungswerte. Selbst wenn wir jetzt voll aufdrehen, können wir trotzdem nicht mehr entkommen. Eine lange Jagd, aber keine erfolgreiche Flucht.«

»Ein Sprung«, schlug Ryk vor. »Wir springen weg und kommen später wieder. Vielleicht beruhigt sich die Lage ja dann.«

»Wir sind bereits zu nah an Massekörpern«, erklärte die Automatik. »Wir müssen eine größere Entfernung von Planeten, möglichst senkrecht zur Ekliptik, erreichen, um den Sprungantrieb auslösen zu können.«

»Die Sporenschiffe des Hives kümmert das nicht«, wandte Uruhard ein.

»Deren Mannschaft ist auch nicht so empfindlich«, erwiderte die Automatik, und für einen winzigen Moment hörte es sich so an, als sei sie schnippisch.

»Gut, in jedem Falle ein Ausweichmanöver und volle Kraft!«, befahl Ryk nun. Es gab keinen Widerspruch, die Marcus Aurelius erzitterte merklich und den Schirmen war zu entnehmen, dass die Kurskorrektur vorgenommen und die Maschinen hochgefahren wurden. Die Beschleunigungswerte des Hivestocks waren immer noch überirdisch, im wahrsten Sinne des Wortes, und sie alle mussten nun die größten Befürchtungen haben, dass …

»Oh!«, machte Sia. Uruhard stieß einen unartikulierten Laut aus. Momo stöhnte leise. Ryk war der Einzige, der schwieg, da er seinen Mund offen stehen hatte und ihm die Kraft fehlte, ihn zu schließen.

Die drei Pyramiden, eben noch still, schwarz und inaktiv, materialisierten genau in der Flugbahn des Hives. Es hatte keinerlei Vorwarnungen gegeben, keinen Start, kein Aufwärmen, keine Beschleunigung, nur ein einziger, schneller Sprung, ein Satz durch Raum und Zeit. Ein Zwinkern der Fortbewegung. Ryk fielen gar nicht genug Worte ein, um diesen beeindruckenden Vorgang angemessen zu beschreiben.

Und dann wurde alles gleich noch viel beeindruckender.

Ein fahlblaues Licht wurde von den Spitzen der Pyramiden ausgestrahlt, ein gleichzeitig intensiver wie doch schwacher Schein, ein seltsamer Widerspruch, der Ryks Sehzentrum in eine gewisse Verwirrung stürzte. Das Licht, eine helle Aureole um die Spitze, waberte auf, und schwebte dann, wie ein höchst betagter Kugelblitz, der nicht mehr so gut zu Fuß war, auf den heranrasenden Hivestock zu.

Und der versuchte auszuweichen.

»Masseträgheit«, sagte Sia. »Das wird nichts.« Sie klang sehr zufrieden.

Ryk wusste nicht genau, was sie meinte, aber er wusste, wie es war, auf einen Triebwurm zu springen und von der Wucht des eigenen Absprungs weitergetragen zu werden, als sei man ein Passagier seines eigenen Körpers. Er war sich nicht darüber im Klaren, ob das der gleiche Effekt war, aber er würde Sia gewiss irgendwann danach fragen. Tatsache war, dass der Hivestock es nicht schaffte, den drei Kugelblitzen zu entkommen, die zielsicher auf das rasende Ungetüm zustrebten und die Haken ignorierten, die dieser zu schlagen versuchte.

»Jetzt!«, rief Sia und es klang sehr erwartungsvoll.

Ryk teilte ihre Begeisterung. Der Hivestock wurde frontal getroffen, das blaue Licht knisterte blitzend über seine Hülle und schien erst einmal in ihn einzudringen, ohne erkennbaren Schaden anzurichten. Doch dann rissen Teile der Außenhaut auf, wie große Krusten über heilenden Wunden.

»Er löst sich auf!«, sagte Uruhard fast andächtig. »Er hat jeden Zusammenhalt verloren, jede Statik, jede Festigkeit. Schaut euch das an!«

Das taten sie alle, wollten keinen Moment dieses wunderbaren Schauspiels verpassen.

Der Hivestock wehrte sich nicht, wie sollte er das auch? Er schoss nicht, welche Waffen ihm auch immer zur Verfügung stehen mochten. Seine Triebwerke erloschen, er glitt weiter in die zuletzt eingeschlagene Richtung. Es war, als hätte er aufgegeben. Er hatte wohl auch gar keine andere Wahl.

Es gab keine weiteren Kugelblitze, das war auch nicht nötig.

Der Hivestock zerbröselte vor ihren Augen, löste sich in klobige Bestandteile auf, in Brocken, die sich voneinander entfernten und auseinanderstrebten und wiederum in weitere Teile zerfielen, ein steter Zersetzungsprozess. Die Sonde hatte sich dem Schauspiel genähert und die hochauflösenden Sensoren übermittelten das Szenario auf die Brücke. Ryk erkannte nun deutlich einzelne Großmäuler, wie sie mit wedelnden Armen, offensichtlich nicht sofort tot, ins Vakuum des Weltalls fielen, orientierungs- und hilflos, wie ihre Bewegungen langsamer wurden, als ihre Widerstandskraft der feindlichen Umgebung schließlich nichts mehr entgegensetzen konnte. Besonders tragisch sah dies bei den Drachen aus, die sich aus der sich auflösenden Spitze lösten und wegflogen, weil sie dachten, dass sie es könnten, dann mit den Flügeln schlugen, die Triebwerke aktivierten und schließlich die Orientierung verloren, als sie starben.

Wenn es Weltraumdrachen gab, machten sie sich nicht mehr die Mühe zu starten. Vielleicht war es für sie eine Ehrensache, mit dem sinkenden Schiff unterzugehen, vielleicht hatten sie auch einfach keine Wahl.

Und sterben, das taten sie alle. Es dauerte nur Minuten, auch wenn es länger wirkte, weil so viel auf einmal passierte und es so viel zu sehen gab.

Dann war nicht mehr viel übrig.

»Der ist hin«, sagte Momo und klang nicht unzufrieden.

Ryk war ebenfalls glücklich, doch er hatte die Pyramiden weiterhin im Blick und stellte etwas fest, das er auch sogleich äußerte: »Die kehren nicht dorthin zurück, wo sie herkamen.«

»Tatsächlich nehmen sie Kurs auf uns«, fügte Sia hinzu. »Wir sind weiterhin in Fluchtbeschleunigung?«

»Die Marcus Aurelius entfernt sich mit voller Kraft!«, erklärte die Automatik.

 

»Äh. Das scheint nicht viel zu nützen.«

Die Pyramiden machten keinen Sprung. Es gab auch kein fahlblaues Leuchten, keine langsamen Kugelblitze und keine sich auflösende Korvette. Ryk flog nicht mit wedelnden Armen im Vakuum umher. Aber sie waren auf die Marcus Aurelius aufmerksam geworden und sahen sich die Sache nun aus der Nähe an.

Es gab kein Entkommen.