Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane)

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Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane)
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Inhalt

  Impressum

  Band #011: Die Erleuchteten

  Prolog

  Band #012: Verschollen im Nexoversum

  Prolog

  Band #013: Das Leid der Schluttnicks

  Prolog

  Band #014: Phönix

  Prolog

  Band #015: Die abwartende Dominanz

  Prolog

  Band #016: Ansarek

  Prolog

  Band #017: Das Anande-Komplott

  Prolog

  Band #018: Präludium

  Prolog

  Epilog

  Band #019: Die Knotenwelt

  Prolog

  Band #020: Sankt Salusa

  Prolog

  Atlantis Verlag



Impressum

Eine Veröffentlichung des

Atlantis-Verlages, Stolberg

Oktober 2021


Alle Rechte vorbehalten.

© Dirk van den Boom & Thorsten Pankau


Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin


Titelbild: Klaus G. Schimanski

Umschlaggestaltung: Timo Kümmel

Lektorat und Satz: André Piotrowski


ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-809-0


Die Romane in diesem Band sind auch einzeln als Paperback und E-Book überall im Handel erhältlich.


Besuchen Sie uns im Internet:

www.atlantis-verlag.de

Band #011: Die Erleuchteten



Prolog

Die Etablierung der Rettungsabteilung des Freien Raumcorps ist nur unter großen Schwierigkeiten gelungen: Ein ausrangierter Kreuzer und eine zum Teil völlig unerfahrene Besatzung wurde in eine Feuertaufe geschickt, die beinahe in einer Katastrophe geendet hätte. Doch die zusammengewürfelte Crew hat sich als überlebensfähig erwiesen und trotz aller Intrigen, die sich im Hintergrund unheilvoll zusammenbrauen und sich bereits in einem hinterhältigen Angriff offenbart haben, steht die Crew der Ikarus hinter ihrem neuen Auftrag: zu helfen, wo sonst niemand zu Hilfe eilen kann, egal wie schwierig die Situation ist. Die Gefahren ihrer Arbeit wurden schnell offensichtlich: Sally McLennane, die Leiterin der Abteilung, fiel beinahe einem Mordanschlag zum Opfer und bei der Rettungsaktion um das weiße Raumschiff wurden die Crewmitglieder nicht nur mit ihren ureigenen Ängsten, sondern auch mit im Geheimen operierenden Waffenhändlern konfrontiert. Ein geheimnisvolles Wesen namens Lear trat auf die Bühne, doch seine Absichten sind noch unklar. Der Versuch, einen verschollen geglaubten Forscher zu retten, führte zur Konfrontation mit dem Gott der Danari – und zu einer Reise in die Vergangenheit. Auf der abstürzenden Spielhölle, einer Raumstation voller Ganoven und Vergnügungssüchtiger, hatte die Crew der Ikarus Daten über ein Sonnensystem außerhalb des erforschten Raumes gewonnen – und die Neugierde darauf, was in diesem Sonnensystem zu finden ist, führt schließlich zur Requiem, zur Vernichtung der Ikarus I. Gebeutelt und von Selbstvorwürfen geplagt, sind unsere Helden nach Vortex Outpost zurückgekehrt. Dort konnte sie sich bei der Verteidigung eines Konvois und schließlich beim Angriff auf die Station durch die Gegner Sally McLennanes im Raumcorps Verdienste erwerben: Die Verschwörung brach zusammen und Sally wurde wieder zur Corpsdirektorin ernannt. Zum neuen Chef der Rettungsabteilung wurde Captain Roderick Sentenza befördert. Nach turbulenten Ereignissen auf Cerios III, die die Crew mit einer Chance mit einer – leider – verhängnisvollen Unsterblichkeit in Berührung brachte, scheinen die Ereignisse einem Höhepunkt entgegenzustreben – und alles beginnt mit dem Seer’Tak City-Blues, wo man erstmals auf die Hintermänner einer galaktischen Verschwörung trifft und auf die Outsider, deren genaue Pläne noch im Dunkeln liegen. Bevor man sich diesem Problem widmen kann, taucht gleich ein weiteres auf – das der Erleuchteten …

Die Enge wirkte auf einmal bedrückend. Sonst war sie es gewohnt, in dem Schrein zu arbeiten, auch mit den anderen zusammen. Doch die Gewissheit, dass etwas schiefgelaufen war, nagte in ihr.

Nova blinzelte leicht in das Halbdunkel hinein. Die anderen Suchenden hockten noch immer seelenruhig im Kreis um das Cernum in ihrer Mitte. Der ruhige Atem der anderen war das einzige Geräusch im Tempelraum. Zu früheren Zeiten, dachte Nova, hätte man vielleicht das leise Knistern abbrennender Fackeln oder Kerzen vernommen, doch heute gab es dimmbare Glimmerstäbe. Der schwachviolette Schein wurde von den Gesichtern der anderen sieben reflektiert. Sie hatten ihre Lider geschlossen. Mit Ausnahme Prosperos.

Der füllige Akolyth blickte unverwandt in Novas Richtung. Auch er musste die Veränderung wahrgenommen haben. Doch als sich Novas Lippen teilten, schüttelte er kaum merklich den Kopf. Sein Blick gab ihr zu verstehen, dass es nicht ratsam war, das heilige Gebet zu unterbrechen. Nova sah, wie die anderen Suchenden noch immer stumm meditierten, und fügte sich. Sie schloss die Augen, versuchte, ihren Atem zu beruhigen, doch sie fand nicht mehr in ihren Rhythmus. Das bohrende Gefühl, dass etwas Schreckliches geschehen war, wollte nicht weichen.

Sie lugte unter ihren zu einem Spalt geschlossenen Lidern hindurch und stellte fest, dass auch Prospero wieder ins Gebet versunken war. Nova spähte nach links zum Schrein. Von zwei Glimmerstäben flankiert, ruhte dort die Büste des Erlösers: kein Schnitzwerk, keine Skulptur aus Stein, sondern die dreidimensionale Holografie des charismatischsten Mannes, den Nova je kennengelernt hatte. Seinetwegen war sie in den Orden eingetreten.

Die junge Frau versuchte es noch einmal mit ihrer Atmung. Kam es ihr nur so vor oder war die Luft tatsächlich dünner geworden. Stimmte irgendetwas nicht mit der Wiederaufbereitung? Hatte es eine Panne gegeben?

Finde zu dir!, ermahnte eine innere Stimme sie. Warum war sie nur mit ihren Gedanken bei allem anderen als dem Gebet?

Dann hörte sie es! Es klang wie das ferne Säuseln einer auf- und abschwellenden Brandung. Zuerst glaubte sie, sich das Geräusch nur einzubilden, doch als auch Akolyth Prospero und ein weiterer Suchender die Lider hoben und lauschten, wusste sie, dass der Laut durch das massive Portal drang. Im übrigen Schiff mochte der dröhnende Alarm überlaut wahrnehmbar sein, doch hier im Tempelraum waren sie weitgehend von äußeren Einflüssen abgeschottet, um sich voller Konzentration dem Gebet hinzugeben.

Der Suchende neben Prospero machte Anstalten, sich zu erheben, doch die Hand des Akolythen schnellte vor und legte sich auf den Unterarm des anderen. Verwirrt blickte der Mann zur Seite, begegnete dem leichten Kopfschütteln des Priesterjüngers und hielt inne. Sein Blick aber verriet, dass er sich keineswegs beruhigt hatte.

Nova sah zum Portal: eine aus Titaniumlegierung geschaffene Doppeltür, dichter als alles andere, was je von Menschenhand erschaffen worden war. Die Erbauer der Zuflucht hatten ganze Arbeit geleistet, als sie die Tempelräume planten. Nichts und niemand sollte die Jünger bei ihren Messen und Gottesdiensten stören.

Für einen Augenblick fragte sich Nova, ob die Tempelräume auch bei der völligen Zerstörung der Zuflucht noch intakt bleiben würden. Sie erschrak über ihren eigenen Gedanken. Ein feines Kribbeln lief ihr den Rücken hinunter und ein eisiger Schauer stellte ihre Nackenhaare auf.

Zwei weitere Suchende öffneten irritiert ihre Augen. Auch sie mussten den Alarm wahrgenommen haben – oder registrierten den schneller gewordenen Atem Prosperos. Ein Anflug von Panik trat in sein Gesicht, als er sah, dass weitere der Gläubigen ihr Gebet unterbrachen. Das war unerhört und noch nie in ihrer Gemeinschaft vorgekommen!

 

Obwohl Nova wusste, dass ihr eine schwere Bestrafung bevorstand, wollte sie sich kurz entschlossen erheben und zum Portal gehen, um nach dem Rechten zu sehen. Doch einer der Suchenden kam ihr zuvor. Der Mann – seinen Namen kannte sie nicht, denn er war erst heute ihrer Gebetsgruppe zugeteilt worden – tapste barfuß zum Tor. Auch wenn er sich noch so sehr bemühte, leise zu sein, klangen seine Schritte dumpf im Tempelraum wider. Die Laute holten auch die letzten Meditierenden aus ihrer Trance.

Prosperos fahler Teint wich einem kräftigen Rot, während ihm die Augen vor Empörung beinahe überquollen.

»Allmächtiger Erlöser!«, entfuhr es ihm und im selben Moment schien er zu bemerken, dass es seine Worte waren, die die Andacht endgültig störten. Ein Sakrileg ohnegleichen, für das er sich wahrscheinlich heute Abend bei der Buße selbst geißeln würde.

Der Mann an der Tür hatte sein Ohr dicht an den Stahl gelegt und lauschte. Ein Raunen ging durch die anderen Anwesenden, zwei von ihnen wagten es sogar, miteinander zu sprechen, was Akolyth Prospero fast an den Rand des Wahnsinns trieb.

»Es ist der Alarm«, bestätigte der Mann am Portal Novas Vermutung.

»Was kann da passiert sein?«, fragte eine Frau neben Nova.

Nun sah sich der Akolyth genötigt, doch aufzustehen. Er hob beschwichtigend die Hände. »Suchende, bewahrt Ruhe!«

»Aber der Alarm …«, meldete sich nun Nova zu Wort und fing sich einen strafenden Blick Prosperos ein. Der füllige Mann strich sich verzweifelt durch das kaum mehr vorhandene dunkle Haar. Sein Blick irrte zum Abbild des Erlösers, als erhoffe er sich dringende Antworten von höherer Stelle. Ihm war anzusehen, dass er der Situation nicht gewachsen war. In erster Linie interessierte ihn nicht der Alarm, sondern die abrupte Unterbrechung ihrer Gebetsstunde, obwohl sie noch zwei Zyklen vor sich hatten.

Akolyth Prospero zupfte sich die gelbe Robe seines Amts zurecht und ging zum Schrein hinüber. Er murmelte leise Worte zum Holo des Erlösers und wandte sich dann zum Gebetskreis um. »Was immer draußen geschieht, wir sind nicht allein. Der Erlöser ist bei uns und wird uns beschützen. Wir sind hier sicher in seinen geheiligten Räumen, in seiner Obhut. Lasst uns ihm weiter huldigen und für seine Gnade beten.«

Der Mann an der Tür nickte bekräftigend und kehrte zu seinem angestammten Platz zurück. Ein Seufzen ging durch die Gruppe der anderen. Prosperos Worte hatten sie ermutigt. Selbst Nova entspannte sich ein wenig und begann automatisch wieder mit ihren Atemübungen, ohne jedoch die Augen zu schließen.

»Großer Erlöser!«, stieß jemand plötzlich hervor. Neun Augenpaare richteten auf den Schrein. Prospero sah verdutzt drein; erst als er den Blicken der anderen folgte, schnappte er erregt nach Luft, verdrehte die Augen und knickte in den Knien ein. Ohnmächtig schlug er auf dem Boden auf.

Nova erfasste die Bedeutung von dem, was geschehen war! Zweifelnd starrte sie in den Schrein, in dem nunmehr nur noch zwei Glimmerstäbe glühten.

Die holografische Büste des Erlösers war erloschen.


Tage wie dieser kündigten sich nicht an. Tage wie dieser geschahen einfach.

Unverhofft. Gnadenlos.

Roderick Sentenza fuhr mit schierem Unglauben hoch, als die Alarmsirenen durch das Schiff gellten. Vor nicht einmal drei Minuten hatte er sich ermattet auf seine Koje geworfen, nachdem die Ikarus zwei Einsätze direkt hintereinander geflogen war. Das Schicksal schien ihm keine Ruhe zu gönnen.

Schlaftrunken schwang er die Beine über den Rand seines Betts und wankte zum Sprechgerät der Bordkommunikation.

»Sentenza hier«, murmelte er halblaut vor sich hin. »Was ist nun schon wieder los?«

»Wir empfangen einen Notruf, Captain«, meldete sich Arthur Trooid von der Brücke. »Ein automatisches Signal von …«

»Ich komme!«, unterbrach Sentenza den Droiden. Der Chef der Rettungsabteilung knöpfte kurz seine Uniformjacke zu. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich vor dem Schlafengehen auszuziehen.

Wozu auch?, raunte ihm die höhnische Stimme seines Unterbewusstseins zu.

Müde rieb sich Sentenza das Gesicht und verließ sein Quartier. Auf dem Weg zur Brücke rekapitulierte er die letzte Woche. Soweit er sich zurückerinnern konnte, war es die schlimmste seines Lebens gewesen. Selbst der Dienst in der Raummarine des Multimperiums war dagegen ein Zuckerschlecken.

Vor fünf Tagen war die Ikarus von Vortex Outpost zu einem Bergungseinsatz ausgerückt. Die Crew musste die Überlebenden eines Raumschiffsabsturzes bergen. Die Unglücklichen waren auf einem Asteroiden notgelandet.

Fünf Tage, sinnierte Sentenza und bog in den Gang ein, der direkt zum Gehirn seines Schiffs führte. Die Ikarus hatte die Geretteten auf einem nahen, bewohnten Planeten des Freien Raumcorps abgesetzt und war im Begriff gewesen, wieder nach Vortex Outpost zurückzukehren, als sie gebeten wurden, in einer Kolonie das Strahlungsleck eines solaren Kraftwerks zu reparieren. Danach musste ein Raumer mit Treibstoff versorgt, anschließend medizinische Versorgungsgüter nach Aurelius IV transportiert werden. Sentenza erinnerte sich nicht mehr an jedes Detail, glaubte aber, dass sie innerhalb der letzten fünf Tage acht Einzeleinsätze geflogen waren, ohne zwischendurch auf Vortex Outpost eine Pause gemacht zu haben.

Gott, nicht mal die Anzahl der Missionen bekomme ich noch auf die Reihe …

Die Crew war förmlich am Ende und hatte die Grenzen ihrer Belastbarkeit längst überschritten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Erste von ihnen zusammenbrach.

Sentenza betrat die Kommandozentrale der Ikarus. Wie gewohnt saß Trooid am Steuer und übernahm gleichzeitig die Navigation. Thorpa behielt die Sensoren im Auge. Deutlich waren diesem die Strapazen anzumerken. Seine Bewegungen kamen schleppend und die astähnlichen Extremitäten hingen träge an seinem Leib herunter.

Die dienstbeflissene Chefingenieurin des Rettungsteams war bereits vor ihrem Captain auf der Brücke eingetroffen.

Als sie ihn sah, zwinkerte sie ihm zu.

Sentenza nickte in Sonjas Richtung. Ihr Anblick ließ ihn für einen Moment wieder aufleben, auch wenn ihre Züge kaum mehr von Lebendigkeit zeugten. DiMersi war ebenso erschöpft wie er. Dunkle Ringe hatten sich unter ihre Augen gelegt und ihre Haut war so blass, dass sie fast heller als ihr weißes Haar wirkte.

Roderick Sentenza ließ sich in seinen Sessel fallen. Kurz drohten ihm einfach die Augen zuzufallen, doch er zwang sich, wach zu bleiben. Er fragte sich, wie lange er dies noch schaffen würde, wann sein Kreislauf versagte und er einfach im Stehen einschlief.

»Okay, was haben wir, Trooid?«

»Automatisiertes Standardnotrufsignal«, teilte der Droid mit, ohne seinen Blick von den Instrumenten zu nehmen. »Entfernung etwa drei Lichtjahre.«

»Gibt es kein anderes Schiff in der Nähe, das helfen könnte?«, fragte Sentenza, obwohl er glaubte, die Antwort zu erahnen. Wenn sie nicht bald eine Pause einlegten, würden sich zwangsläufig Fehler in ihr Handeln einschleichen – Fehler, die sowohl für sie, als auch für die zu Rettenden schlimme Folgen haben konnten.

»Negativ.«

Sentenzas Mundwinkel sanken enttäuscht nach unten. Er warf Sonja DiMersi einen Hilfe suchenden Blick zu, doch die Ingenieurin quittierte dies nur mit einem Schulterzucken.

»Wo ist Weenderveen?«

»In seinem Quartier«, antwortete Thorpa ungerührt.

»Und er hat nicht auf den Alarm reagiert?«, wunderte sich Sentenza.

»Ich glaube, er brauchte vornehmlich das, von dem wir alle im Moment zu wenig bekommen«, sagte der Pentakka mit müder Stimme. »Schlaf.«

Wie wahr, wie wahr, dachte der Captain. Na schön, soll er schlafen …

»Und er hatte wohl die Nase voll von den Turteltäubchen, wie er sich äußerte«, fügte Thorpa hinzu.

Sentenza seufzte. Er und Sonja hatten es den anderen in den letzten zwei Wochen sicherlich nicht leicht gemacht. Nachdem sie auf Seer’Tak City zusammengefunden hatten, waren sie unzertrennlich geworden und hatten keinen Moment ausgelassen, um nicht ihrer Liebe zueinander zu frönen – sehr zum Leidwesen der restlichen Besatzung. Vielleicht waren ihre Gefühle auch nur so intensiv, um die Trauer fortzuspülen, die in ihnen allen saß. Immerhin hatte ein Crewmitglied sein Leben gelassen. Sentenza gab zu, dass er bisher nicht viel von An’ta gehalten hatte und er einfach zu wenig über sie wusste, um Sympathien für die Grey zu empfinden. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass jemand aus der Besatzung unter seinem Kommando gestorben war. Und ohne An’tas Aufopferung wäre wahrscheinlich Sonja jetzt nicht mehr am Leben.

Sentenza wischte die quälenden Gedanken beiseite und drückte die Taste des Interkoms auf seiner Sessellehne. »Dr. Anande, wie geht es Ihren beiden Patienten?«

Anande antwortete nicht sofort. Ein leises Stöhnen war zu vernehmen, dann ein Räuspern. Die Stimme des Doktors hörte sich verschlafen an.

»Alles bestens. Die Wunden sind versorgt und werden in einigen Wochen wieder verheilt sein. Ich habe beiden ein Beruhigungsmittel gegeben. Sie schlafen jetzt … etwas, was ich auch gerne tun würde.« Die letzten Worte waren kaum mehr als ein Nuscheln, doch Captain Sentenza hatte sie sehr wohl gehört. Er konnte es dem Doc nicht verübeln und wäre am liebsten selbst nach Vortex Outpost zurückgekehrt. Aber ihr Job war es zu helfen. Und solange sie noch stehen konnten, würden sie ihn ausüben.

Sentenza hatte die beiden Patienten ihrer letzten Rettungsmission nicht vergessen. Der Vorfall lag erst wenige Stunden zurück, auch wenn es dem Captain schien, als seien die beiden Opfer schon seit Tagen an Bord. Es handelte sich um einen Priester und seinen Adepten, die im Auftrag der Amtskirche von St. Salusa unterwegs waren, um neu entdeckten Kolonien den galaktischen Glauben zu bringen. Ihr Schiff war von Piraten angegriffen und schwer beschädigt worden. Die Ikarus traf gerade zur rechten Zeit ein, um die Räuber am Entern des Raumers zu hindern. Sie waren auf Fluchtkurs gegangen, als die Ikarus aus dem Hyperraum fiel. Dennoch kam für den Piloten, seinen zweiten Mann und den Navigator des Missionsbootes jedwede Hilfe zu spät. Nur der Priester und sein Schüler konnten lebend aus dem Wrack geborgen werden.

»Na schön, Trooid, aktivieren Sie den Hyperantrieb und nehmen Sie Kurs auf das Notsignal.«

»Aye, aye, Sir!«

Sentenza lehnte sich in seinem Sessel zurück. Sie würden drei Stunden brauchen, um die Distanz zum havarierten Schiff zu überbrücken.

Drei Stunden …

Ihm fielen die Lider zu. Noch in derselben Sekunde schreckte er wieder hoch und blickte sich schuldbewusst um. Sonja und Thorpa schauten auf und selbst Trooid schwang in seinem Sessel herum, als er das plötzliche und heftige Einatmen des Captains vernahm, der aus dem Sekundenschlaf hochschreckte.

»Captain, ich schlage vor, Sie, Sonja und Thorpa nutzen unseren Hyperflug, um sich ein wenig auszuruhen. Falls irgendetwas geschehen sollte, dem ich nicht gewachsen bin, kann ich Sie immer noch wecken.«

Thorpa wartete die Zustimmung Sentenzas erst gar nicht ab. Er hastete so schnell von der Brücke, dass er am Ausgang fast stolperte. Mit seinen Ästen raschelnd entfernte er sich.

Roderick stand auf, nickte Trooid dankbar zu und zog sich ebenfalls zurück. Er war nicht überrascht, als der Türsummer seiner Kabine erklang, kaum dass er sich hingelegt hatte.

»Noch ein Plätzchen frei?«, fragte Sonja und trat ohne Aufforderung ins Quartier.

Sentenza hörte die Frage kaum noch. Er machte sich auch nicht die Mühe, noch einmal die Augen zu öffnen. Der Schlaf übermannte ihn sprichwörtlich.


»Es ist ihre verdammte Pflicht, mir zu helfen!«

Das Kreischen dröhnte schrill aus den Lautsprechern des Kom-Systems, während sich die Hautfarbe des Anrufers von einem zarten Rosa in ein dunkles Violett gewandelt hatte.

 

Der Mann war zweifelsohne Borusianer. Der Teint und der Stachelkamm auf seinem haarlosen Kopf sprachen dafür. Die roten, anscheinend pupillenlosen Augen des Aufgebrachten funkelten drohend, doch Captain Milton Losian ließ sich dadurch nicht einschüchtern.

»Oder?«, schrie der andere und wartete vergeblich auf eine Antwort.

Losian faltete die Hände ineinander und wartete ab, bis der Borusianer seine Schimpfkanonade beendet hatte und nicht mehr wusste, welche eher harmlose Unflätigkeit er dem anderen noch entgegenwerfen konnte.

»Sind Sie jetzt fertig?«, fragte der ehemalige Corpscaptain.

Obwohl Losian längst pensioniert war, sein Alter die sechzig weit überschritten hatte, dachte er nicht daran, sich irgendwo auf einen paradiesischen Planeten zurückzuziehen, um seinen Lebensabend zu genießen. Er hatte Sally McLennane mit Rat und Tat zur Seite gestanden, sowohl während ihrer Amtszeit im Corpsdirektorium als auch während ihres Exils auf Vortex Outpost. Dass er nun immer noch im Outer Rim saß und Sally längst in ihr früheres Amt zurückgekehrt war, lag vornehmlich an den Aufgaben der Rettungsabteilung. Losian hatte für Sentenza und seine Crew Sympathien entwickelt und sich entschlossen, die von Sally gegründete Einrichtung zu unterstützen. Er hatte sich nie Illusionen darüber gemacht, dass er die Leitung übernehmen könnte – daran dachte er nicht einmal im Traum. Er war zu alt für diesen Posten. Aber beratende Funktionen konnte er allemal erfüllen – und er sah in der Rettungsabteilung eine Zukunft, die sich zu unterstützen lohnte.

»Ich? Ich fange gerade erst an!«, keifte der Borusianer.

»Unser Rettungskreuzer befindet sich auf einer Mission und ist derzeit nicht verfügbar«, wiederholte Losian die Fakten, die er dem Borusianer bereits vor Augen gehalten hatte.

»Das ist mir egal«, fauchte der andere. »Sie haben eine Rettungsabteilung und müssen mich retten!«

»Dann warten Sie eben so lange, bis unser Team wieder hier ist«, folgerte Losian und schmunzelte in sich hinein. Eben erst hatte er über Hyperkanal Trooids Meldung hereinbekommen, dass die Ikarus einem weiteren Notsignal nachgegangen war und sobald nicht zurückkommen konnte.

Verdammt, sie sind schon fast eine Woche da draußen, dachte er bei sich, während der Borusianer wieder einen Schwall von Verwünschungen und Flüchen losließ, die den Captain in keiner Weise berührten.

»Sie sind sich darüber im Klaren, dass Rettungseinsätze kostenpflichtig sind?«, erkundigte sich Losian wie beiläufig.

Der Borusianer verstummte jäh. Seine Gesichtsfarbe wechselte schlagartig von Tiefviolett zu einem blassen Pink.

»Wie bitte?«, ließ er leise vernehmen.

»Welchen Teil von kostenpflichtig haben Sie nicht verstanden?«

»Aber … das ist doch die Höhe!«

»Sehen Sie, unsere Leute müssen bezahlt werden, die Unterkünfte und Hangars auf dieser Station müssen unterhalten werden. Reparaturen, Treibstoff, Ersatzteile – all dies kostet Geld. Zwar wird ein Großteil der Finanzen durch die Corpsdirektion getragen, doch dies auch nur so lange, bis die Rettungsabteilung auf eigenen Füßen stehen kann. Nach den ersten Einsätzen haben wir einen Gebührenkatalog eingeführt. Also, sind Sie bereit, für die Kosten Ihrer Rettung aufzukommen?«

Losians Ausführungen entsprachen der Wahrheit, wenn auch nur teilweise. Ein großer der Teil der Rettungsabteilung wurde durch dem Corps angeschlossene Konzerne und Organisationen unterstützt. Damit sicherten sie sich die Bergung eigener Schiffe zu. Dennoch dachte das Freie Raumcorps stets profitorientiert. Warum sollten sie für ihre Dienste nicht ein Entgelt verlangen? Der Gebührenkatalog, den Losian angeblich konsultiert hatte, war natürlich noch rein fiktiv, aber je länger er sich mit dem Gedanken befasste, desto mehr gefiel er ihm.

»Äh … ich … wie hoch … was müsste ich denn …?«

Losian beugte sich über ein Tischterminal und tippte einige Zahlen ein. Nichtssagende Zahlen, doch für den Borusianer musste es aussehen, als stelle er komplizierte Kalkulationen an. »Nun«, meinte er, »da hätten wir die Anforderung eines Ersatzraumers, das Gehalt des Piloten, der nicht zur Rettungsabteilung gehört, der Flug bis zum Sprungtor, Leerflug zurück zur Station, Ausfallzeit von Schiff und Pilot, Kosten für den Treibstoff … mit dreihundert Credits sind Sie dabei.«

Der Borusianer schluckte. Seine Lider flatterten, ein Zeichen für seine Nervosität.

»Dreihundert?«

»Plus fünf Prozent aller Umsätze, die Sie auf Vortex Outpost tätigen«, ergänzte Losian schadenfroh.

»Ich … ich … also schön«, stotterte der Borusianer.

»Haben Sie eine Onlineverbindung zu Ihrer Bank?«

»Ob ich was habe?«

»Wir bitten Sie um Vorkasse.«

»Tun Sie das auch, wenn mein Schiff kurz vor der Explosion steht?«

In deinem Fall würde ich die Frage sogar mit Ja beantworten, dachte Losian.

Die Borusianer waren für ihre Hinterhältigkeit bekannt. Es war gut möglich, dass man ihm den Treibstoff brachte und er sich dann einfach durch das Sprungtor absetzte, ohne zu zahlen. Aber wer dumm genug war, ohne genügend Treibstoff aufzubrechen, der musste halt für seine Fehler aufkommen.

Vor sich hin grummelnd, veranlasste der Borusianer eine Eilüberweisung auf eines der Corpskonten und verlangte dann barsch zu wissen, wann er mit dem Treibstoff rechnen könnte.

Milton Losian würgte das Gespräch ab und stellte eine interne Verbindung zur Stationsleitung her. Das Gesicht Dane Hellermans erschien auf dem Schirm.

»Captain?«

»Ich brauche Ihre Hilfe, Commander«, sagte Losian ohne Umschweife. »Die Ikarus ist noch immer tief draußen im Raum und wir haben bereits einige Anfragen für Hilfsleistungen innerhalb des Stationsbereiches.«

Hellerman grinste, als ahne er, worauf Losian hinauswollte.

»Ist das so lustig?«, fragte der Captain.

»Ich habe mich schon gewundert, warum Sie nicht eher an uns herangetreten sind«, gestand Hellerman. »Sie brauchen ein Schiff.«

»Und einen Piloten. Lieutenant Ash hat schon für uns gearbeitet. Können Sie ihn bis zur Rückkehr der Ikarus zusammen mit einem Versorgungsshuttle freistellen?«

»Solange die Umlagen für den Spritverbrauch des Shuttles auf Ihre Kosten gehen … ja.«

Losian nickte. »Danke, Commander.«

Nachdem er den Borusianer beruhigt, Lieutenant Ash kurz informiert und eingewiesen hatte, lehnte sich Captain Losian im Sessel von Sentenzas Büro zurück und starrte an die Decke. So konnte es nicht weitergehen. Die Ikarus und das Schiff der Pronth-Hegemonie waren nicht in der Lage, alle Rettungseinsätze allein auszuführen. Von Tag zu Tag strömten mehr Schiffe denn je aus dem Sprungtor und flogen Vortex Outpost an. Die Arbeit wuchs ihnen langsam über den Kopf. Vielleicht war es ratsam, sich bald Gedanken über eine zweite Schicht zu machen.

Oder ein zweites Schiff, sagte sich Losian im Stillen. Er würde diese Idee bei der nächsten Unterhaltung mit Sally zur Sprache bringen. Der bisherige Erfolg der Rettungsabteilung rechtfertigte eine solche Maßnahme – dessen war er sich sicher.


Das Summen riss ihn unsanft aus dem tiefen Schlummer, der seinetwegen hätte ewig währen können.

Sentenza öffnete die Augen, kniff sie aber sofort wieder zusammen, als er in das Leselicht über seiner Koje blickte.

Trooid!

Der Droid schien keine Rücksicht zu kennen. Tastend suchte Sentenza nach dem Schalter, fand ihn und dimmte das Leselicht auf ein erträgliches Maß herunter. Stöhnend richtete er sich halb im Bett auf und stellt fest, dass Sonja auf seiner Brust lag. Im Gegensatz zu ihm hatte sie es noch geschafft, sich ihrer Uniform zu entledigen und die Einzelstücke kreuz und quer in seiner Kabine zu verteilen. Sie war nackt.

Sentenza schob sie sanft beiseite und entlockte ihr ein leises Brummen. Sie rekelte sich kurz, schlief aber weiter, das aufdringliche Summen ignorierend.

Gähnend schleppte sich Roderick Sentenza zum Interkom und schaltete zur Zentrale durch.

»Sagen Sie um Gottes willen nicht, dass die drei Stunden schon vorüber sind!«

»Tut mir leid, Captain«, antwortete Trooids Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir erreichen die Zielkoordinaten in einer Viertelstunde. Ich dachte, Sie wollen sich vorher vielleicht noch ein wenig frisch machen.«

Sentenza ließ die Sprechtaste los und schlurfte nach nebenan in die Duschkabine. Auf dem Weg fiel sein Blick noch einmal auf Sonja. Die Bettdecke war von ihrem Körper gerutscht und präsentierte sie so, wie die Natur sie geschaffen hatte: schlank, athletisch gebaut, aber mit weiblichen Vorzügen an genau den richtigen Stellen, die sich ein Mann wünschte. Im Dienst waren ihm ihre weiblichen Attribute kaum aufgefallen, da sie vornehmlich die weit geschnittene Borduniform trug, die geschickt ihre Formen verbarg.

Der Captain hielt inne und drehte sich zur Koje um. Er beugte sich über Sonja und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Sie lächelte im Schlaf. Sentenza musterte die unzähligen Krusten und Narben, die von der Folter auf Seer’Tak City herrührten. Ein Teil von ihnen würde vollständig verheilen, andere ihr bis ans Lebensende erhalten bleiben.

Sie ist schön, dachte Sentenza und starrte seine neue Gefährtin verträumt an. Hier und da stahlen sich ein paar Falten in die Züge der Vierzigjährigen, doch dies unterstrich ihre Attraktivität eher. Sie hatte ihre schneeweißen Haare, die sie seit dem Oremi-Unglück raspelkurz getragen hatte, wieder nachwachsen lassen. Eigentlich erst, seit sie mit Sentenza zusammen war.

Er löste sich von ihrem Anblick, doch da schlug sie die Augen auf und blinzelte.

»Wsch ischt …?«, nuschelte sie im Halbschlaf.

»Wir müssen raus«, sagte er.

»Schon?«

»Sieht so aus. Ich gehe duschen.«

»Warte nicht auf mich.«

Sentenza lächelte und wandte sich ab. Als er nach zehn Minuten aus der Kabine trat und das eiskalte Wasser an seinem nackten Körper heruntertropfte, fühlte er sich kein bisschen erfrischt. Er hätte sich sofort wieder ins Bett legen können. Zu seiner Überraschung war Sonja fort. Er sah auf die Uhr. Sie würden jeden Moment aus dem Hyperraum treten. Besser, er zog sich an.

Auf der Brücke saß Arthur Trooid unverändert am Steuerpult, als Roderick Sentenza sie betrat. Er beneidete den Droiden fast für seine Fähigkeit, keinen Schlaf zu benötigen. Sonja war ebenfalls anwesend. Sie trug eine frische Uniform und duftete nach Jasmin. Sentenza trat näher an sie heran, als es für einen vorgesetzten Offizier schicklich gewesen wäre.