Wie Schneeflocken im Wind

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Er war ja anscheinend ganz nett, aber das war Antonio auch gewesen. Und Langley ebenfalls. Sie vertraute seitdem niemandem mehr, und schon gar nicht ihrem eigenen Urteil.

Sie griff nach Micahs Hand, ging zur Verandatreppe und antwortete: „Nein, vielen Dank. Wir kommen schon zurecht.“

Die Stelle zwischen seinen Augenbrauen kräuselte sich, und er sagte in besorgtem Ton: „Aber es wird bald dunkel, und es gefällt mir gar nicht, dass Sie ganz umsonst hergekommen sind.“

„Machen Sie sich darüber bloß keine Gedanken“, entgegnete sie, aber fünf Minuten später fragte sie sich, ob diese Entscheidung richtig gewesen war, denn sie zitterte so heftig, dass ihre Zähne klapperten. Micah hatte angefangen zu quengeln, und sie hatten noch nicht einmal die lange Auffahrt zurück zur Hauptstraße hinter sich. Wie sollten sie es da den ganzen Weg zurück in die Stadt zu ihrem Auto schaffen?

„Ach, mein Kleiner. Mir ist auch so kalt“, sagte sie.

Und hungrig war sie ebenfalls, aber das erwähnte sie lieber nicht, weil er seinen eigenen Hunger vielleicht noch gar nicht bemerkt hatte. Beau hatte recht. Die Sonne war hinter den Hügeln verschwunden, und es wurde dunkel. Der Weg zurück in die Stadt war weit, das Café schloss um sechs, und sie bezweifelte, dass es in der Kleinstadt etwas gab, das länger geöffnet hatte. Sie hatte eine kleine Kirche gesehen, aber die war sicher verschlossen, und eine Obdachlosenunterkunft gab es wahrscheinlich auch nicht. Dafür war die Stadt einfach zu klein.

Herr … Gott. Jetzt wünschte sich Eden Martelli schon eine Obdachlosenunterkunft. Wie hatte es nur so weit kommen können?

Wieder wimmerte Micah, und sie beugte sich nach unten, um ihn auf den Arm zu nehmen.

„Na, brauchst du eine Pause, Jack?“

Er legte sein Gesicht an ihren Hals, und sie spürte den Gegensatz zwischen seinen kalten Wangen und dem warmen Atem. Als sie endlich wieder die Hügelkuppe erreicht hatten, taten ihr die Arme und der Rücken weh, ihre Lunge brannte, sie spürte ihre Zehen nicht mehr und blieb keuchend und völlig außer Atem stehen. Sie beugte sich noch einmal nach vorn, um Micah wieder abzusetzen, aber er klammerte sich wimmernd an ihrem Hals fest. Der arme Kleine.

Du kannst dich nicht einmal richtig um deinen Sohn kümmern. Was bist du bloß für eine Mutter?

Doch sie verscheuchte diese Stimme in ihrem Inneren, ging neben Micah in die Hocke und schloss ihn in die Arme. Solange sie nachdachte, konnte sie ihn ebenso gut auch wärmen.

Sie schaute sich in der immer dunkler werdenden Gegend um, so als könnte wie durch Zauberhand plötzlich eine Blockhütte auftauchen. Es war unmöglich, es zu Fuß bis ganz zurück in die Stadt zu schaffen, und Micah musste unbedingt aus der Kälte raus. Auf dem Hinweg waren sie zwar an ein paar Häusern vorbeigekommen, aber sie würde sich hüten, irgendwelchen Fremden zu vertrauen.

Ein Stückchen weiter die Straße entlang fiel ihr dann plötzlich wieder der Schuppen ein, an dem sie vorbeigekommen waren. Er war sehr klein und wahrscheinlich auch verschlossen, aber wenn es sein musste, würde sie eben ein Fenster einschlagen. Sie würde es Beau Callahan irgendwann wieder ersetzen.


FÜNF

Beau beendete das Telefongespräch, während er rückwärts von der Auffahrt vor Paiges Haus auf die Straße fuhr. Ihr gemeinsamer Abend war durch den Anruf vorzeitig beendet worden, was allerdings nicht hieß, dass es zuvor besonders gut gelaufen wäre.

Paige war an diesem Abend nicht gut drauf gewesen wegen des Hundenotfalls, mit dem sie zu tun gehabt hatte, und dann hatte Beau auch noch den Fehler gemacht zu erwähnen, dass auf der Farm ihre Hilfe gebraucht würde. Sie hatte ihm daraufhin ganz klar gesagt, dass sie mit ihrer eigenen Arbeit genug zu tun habe und nicht einspringen könne. Noch schlimmer war es dann mit dem Anruf von Tante Trudy geworden, den er gerade bekommen hatte.

Er gab Gas, während er per Schnellwahl Zacs Nummer wählte.

Beim vierten Läuten ging sein Bruder an sein Handy.

„Ich habe schlechte Nachrichten“, sagte Beau. Im Hintergrund hörte er die Stimmen der Gäste des Roadhouse und einen laufenden Fernseher. „Hast du kurz Zeit?“

„Klar. Was ist denn los?“

„Tante Trudy hat gerade angerufen. Ihre Krankenversicherung zahlt den Aufenthalt in der Rehaklinik nicht.“

„Und was bedeutet das?“, erkundigte sich Zac.

„Das bedeutet, dass wir die Tausende von Dollars hinblättern müssten, die es kosten würde. Sie kommt morgen nach Hause.“

„Und was ist mit ihren Therapien?“

„Die finden jetzt zweimal wöchentlich ambulant statt. Die Kosten werden von der Versicherung übernommen, aber sie braucht jemanden, der sie versorgt und zu den Therapien begleitet.“

„Also da kann ich wirklich nicht helfen“, sagte Zac betrübt.

„Es müsste ja auch jemand sein, der die ganze Zeit bei ihr bleiben kann, Zac“, sagte Beau seufzend.

Das konnte doch alles nicht wahr sein. Ausgerechnet jetzt, wo jede Hand draußen für den Weihnachtsbaumverkauf gebraucht wurde. Der Zeitpunkt hätte nicht schlechter sein können.

„Riley könnte doch …“, wollte Zac vorschlagen, aber Beau unterbrach ihn und sagte:

„Den brauche ich draußen für den Transport der Bäume und den Verkauf. Er ist die einzige erfahrene Hilfe, die ich habe.“

„Und ich nehme an, dass Paige auch keine Zeit hat, oder?“, erkundigte sich Zac jetzt.

Darauf gab es nur ein dickes, fettes Nein. „Wir müssen jemanden einstellen, und Tante Trudy muss nach unten ziehen. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass sie das Bein nicht belastet und dass sie sich aus der Küche fernhält“, berichtete Beau weiter.

„Oh Gott, sie wird uns in den Wahnsinn treiben“, bemerkte sein Bruder nur.

„Ja, das glaube ich auch“, pflichtete er ihm bei.

„Hast du gesagt morgen?“, fragte Zac noch einmal nach.

„Ja, genau. Kennst du jemanden, der auf der Suche nach einem Betreuerjob ist?“, fragte er, und in dem Moment fiel Beau die Frau wieder ein, die am Spätnachmittag auf seiner Veranda aufgetaucht war und nach einem Job gefragt hatte. Wenn sie gute Referenzen hatte, konnte sie ja vielleicht …

Sie hatte kurzes blondes Haar, hellbraune Augen und ein Engelsgesicht. Das Gesicht eines sehr schüchternen und verzweifelten Engels.

„Ich überlege mir was“, sagte Zac. „Ich rufe dich vor dem Gottesdienst an.“

„Das klingt gut“, saget Beau, beendete das Gespräch und bog schon ein paar Minuten später wieder in seine Einfahrt, in Gedanken immer noch bei der Logistik der nötigen Umzüge innerhalb des Hauses. Es gab auf der Rückseite des Hauses ein Esszimmer für offizielle Anlässe, das eigentlich nie benutzt wurde, mit einem Gästebad. Dorthin würde er Tante Trudy umquartieren. Aber wohin dann mit der Esszimmereinrichtung?

Natürlich – es gab ja noch den Schuppen, in dem der Generator stand, aber sonst nur jede Menge alter Krempel aufbewahrt wurde. Kisten voller alter Bücher und kaputte alte Geräte, die sein Vater nicht entsorgt hatte. Er musste dort einfach Platz schaffen, denn Tante Trudy würde einen Anfall bekommen, wenn er beim Umräumen Möbel verschrammte. Am besten erledigte er die Sache sofort, noch heute Abend.

Er bog also auf den schmalen Weg zu dem Schuppen ab, der noch nicht geräumt war, aber bis jetzt waren auch erst ein paar Zentimeter Schnee gefallen.

Als das Scheinwerferlicht auf die Schneefläche vor ihm fiel, runzelte er erstaunt die Stirn, denn da waren Fußspuren. Die mussten von der Frau mit dem Kind stammen, die vorhin da gewesen waren, aber eigentlich konnte das auch nicht sein, denn es waren nur zwei Füße, deren Größe schwierig zu schätzen war, weil schon wieder neuer Schnee darauf gefallen war.

Und dann sah er im Scheinwerferlicht den Schuppen und eine eingeschlagene Fensterscheibe neben der Tür.

„Was um Himmels willen …“

Er nahm den Gang raus, stieg aus und dachte an den teuren Generator, der dort stand. Wenn der weg war, hatte er ein Problem, denn er hatte kein Geld, einen neuen zu kaufen. Eigentlich war Summer Harbor ein ziemlich sicherer Ort, aber als ehemaliger Hilfssheriff wusste er von jedem einzelnen Zwischenfall. Ganz zu schweigen von dem Mord, den es vor kurzem in Folly Shoals gegeben hatte. Da wurde man schon vorsichtig.


Als Eden das Motorengeräusch hörte, sprang sie auf. Das war ein Auto, das da näher kam. Ihr Herz begann zu rasen, und ihr Atem wurde schnell und flach, als ein Lichtkegel über das zerbrochene Fenster glitt und dann wieder verschwand, sodass es wieder dunkel war um sie her.

Der Farmbesitzer konnte noch nicht wieder zurück sein, denn er war ja erst vor etwas über einer Stunde mit dem Truck weggefahren. Und dafür, dass noch jemand in dem dunklen Schuppen arbeiten wollte, war es eigentlich zu spät. Angst fuhr ihr in die Glieder, und sie begann am ganzen Körper zu zittern.

Das war bestimmt Langley, das schrie ihr Instinkt förmlich. Er hatte sie gefunden. Sie konnte ihn geradezu riechen, den beißenden Zigarettengeruch und den süßlichen Geruch der Gewürznelken, die er immer lutschte.

„Wach auf, Micah!“, sagte sie, tastete nach ihrem Sohn, hob ihn hoch und stellte ihn auf die Füße. Ihre Arme zitterten, und sie hörte das Pochen ihres Herzens laut wie eine Trommel in den Ohren.

 

Es gab eine Hintertür, durch die sie entwischen konnten, aber weit würden sie nicht kommen, denn mit Micah war sie nicht schnell genug. Sie musste deshalb bleiben und kämpfen, damit er Zeit hatte wegzulaufen. Das war seine einzige Chance.

Sie zog ihn zur Hintertür und stolperte dabei über irgendetwas, das auf dem Holzboden lag. Micah wimmerte wieder.

„Es ist jemand da. Du musst weglaufen, mein Schatz“, flüsterte sie und packte ihn so fest bei den Schultern, dass ihre Finger in seiner wattierten Jacke versanken, während sie ihn durchdringend ansah. „Hast du verstanden? Renn in den Wald, in diese Richtung. Immer weiter. Bleib nicht stehen, egal, was passiert. Halte dich von der Straße fern. Beim ersten Haus, das du siehst, klopf an und bitte um Hilfe, ja?“

Dann entriegelte sie die Hintertür, zog daran und geriet in Panik, als sie sich nicht öffnen ließ. Komm schon!, zischte sie ungeduldig, und schließlich ging sie quietschend auf. Draußen war immer noch das Brummen des Motors zu hören, und es fielen Schatten auf die Rückseite des Gebäudes.

Sie schob Micah vor sich her und flüsterte: „Lauf, Micah! Lauf schnell und bleib nicht stehen!“ Sie schaute der kleinen Gestalt nach, bis sie im Schatten des Waldes verschwunden war.

Bitte, Gott!

Hinter ihr rüttelte jemand am Türknauf der Vordertür. Sie wirbelte herum und starrte in die Dunkelheit. Sie hatte zwar abgeschlossen, aber das nützte jetzt gar nichts, weil ja das Fenster daneben eingeschlagen war. Sie tastete nach etwas, womit sie sich verteidigen konnte, und erinnerte sich an die rostige alte Schaufel, die sie in einer Ecke gesehen hatte.

In dem Moment, als sie nach der Schaufel griff, ging die Tür auf, und dann hörte sie hinter sich Schritte.

Bitte!, flehte sie, tastete im Dunkeln herum und stieß dabei Sachen um, die polternd zu ihren Füßen auf dem Boden landeten.

Sie packte den stabilen Holzgriff der Schaufel genau in dem Moment mit beiden Händen, als jemand sie von hinten umklammerte, sodass sie ihre Arme nicht mehr bewegen konnte. Doch sie trat mit aller Kraft nach hinten und traf ein Schienbein. Auch den Fußrücken des Eindringlings versuchte sie zu treffen, verfehlte ihn aber, und sein Griff wurde so fest, dass es wehtat.

„Schluss jetzt!“, sagte er. „Hör sofort auf damit!“

Sie schlug daraufhin mit der Schaufel nach hinten auf seine Beine, und es war ein dumpfer Aufprall zu hören, als sie traf.

Er stöhnte laut auf, ließ sie aber trotzdem nicht los. „Ich habe gesagt, dass du aufhören sollst.“

Doch sie musste weiterkämpfen, denn jede Sekunde, die sie hier durchhielt, bedeutete mehr Zeit zum Weglaufen für Micah. Sie erinnerte sich jetzt an ihr Training mit Walter, beugte sich einmal kurz vor und ließ dann ihren Kopf so schnell und heftig, wie sie konnte, nach hinten schnellen.

Wieder stöhnte der Mann hinter ihr laut auf, als sie ihn traf, aber auch an ihrem Hinterkopf explodierte jetzt förmlich ein Schmerz. Sie drehte und wand sich, und das Adrenalin in ihrem Blut verlieh ihr ungeheure Kräfte, doch es gelang ihr trotzdem nicht, sich aus seiner eisenharten Umklammerung zu befreien.

Er hob sie mit beiden Armen hoch, sodass sie keinen Bodenkontakt mehr hatte, und sie trat und wand sich, während er mit ihr vorwärtsging. Irgendwann stand sie dann mit dem Gesicht zur Wand, und das rohe Holz schnitt ihr in die Wangen.

„So, es reicht jetzt! Verhalte dich ruhig, oder ich rufe die Polizei!“, hörte sie ihn sagen.

Diese Worte sorgten dafür, dass sie sich auf der Stelle beruhigte. Ihr Atem ging stoßweise, ihre Lunge brannte, und irgendetwas an der Wand bohrte sich zwischen ihre Rippen.

Ganz langsam ließ er sie mit einem Arm los, als traue er dem Frieden noch nicht so recht. Sie spürte seinen Atem an ihrem einen Ohr und seine stoppelige Haut wie Schmirgelpapier an ihrer. Sie hörte ein leises Klicken, und die trübe Glühbirne ging flackernd an. Eden schloss die Augen und betete.

Beau hatte sie an ihrer Jacke gepackt, damit sie ihm nicht entwischen konnte, während er das Licht einschaltete. Der Größe nach zu urteilen, hatte er da irgendeinen Jugendlichen auf Abwegen erwischt, der außerdem auch noch ziemlich rauflustig war, das musste Beau schon sagen.

Die Hände des Jungen hielten immer noch den Schaufelstiel fest, aber Beau sagte mit zusammengebissenen Zähnen: „Jetzt lass schon endlich los!“, und entriss dem Jungen die Schaufel, die daraufhin polternd zu Boden fiel.

„So, du kleine Ratte, was glaubst du eigentlich …“, dabei drehte er den Jugendlichen mit einem Ruck zu sich herum, und seine Worte erstarben ihm auf den Lippen. Unter dem verbogenen Schirm der Baseballkappe hervor schauten ihn weit aufgerissene hellbraune Augen an – braune Augen, die er kannte: die braunen Augen einer Frau.

Er trat einen Schritt zurück, ließ die Hände sinken und sagte völlig entgeistert: „Ach … Sie sind das. Ich … Mist … sind Sie verletzt?“

„Es tut mir leid!“, sagte sie mit panischem Blick. „Ich verschwinde auch sofort.“

Als sie jetzt an die Wand gekauert dasaß, schaute er ihr ins Gesicht, dachte daran, wie fest er sie angepackt hatte, und ihm wurde ganz anders.

„Moment mal!“, sagte Beau plötzlich und schaute sich in dem Raum um. „Wo ist denn Ihr Sohn?“

Als sie daraufhin zur Hintertür hinaus in den Fichtenwald rannte, hatte er das Gefühl, dass sie einfach weiterrennen würde, wenn sie ihr Kind gefunden hatte.

„Jack“, rief sie. „Es ist alles in Ordnung, Jack.“

Beau lief hinterher und schaltete die Taschenlampenfunktion seines Handys ein. Der eisige Wind blies durch seine Jacke hindurch und brannte auf seinen Wangen. Jedenfalls war es kein Abend, an dem man sich gern im Freien aufhielt.

Warum sie wohl in dem Schuppen gewesen war? Vielleicht hatte sie vorgehabt, ihn zu bestehlen. Oder sie hatte einfach nicht gewusst, wohin. Aber gab es so etwas überhaupt? Und dann noch bei jemandem wie ihr mit dem hellblonden Haar und dem Engelsgesicht?

Das Licht seiner Handylampe leuchtete jetzt vor ihm zwischen den Bäumen hindurch, und er sah die Mutter und ihr Kind. Sie kauerte neben ihrem Sohn, dessen Hose bis zu den Knien durchnässt war von Schnee, hielt ihn fest im Arm und murmelte ihm beruhigende Worte ins Ohr. Dabei streichelte sie ihm die ganze Zeit sein nasses Gesicht.

Mit Panik im Blick zeigte der Junge zurück in Richtung des Schuppens, und seine Mutter schien seine Gesten auf Anhieb zu verstehen.

„Keine Sorge, mein Schatz, wir gehen noch einmal zurück und holen deinen Teddy“, sagte sie. Dann stand sie auf und erklärte Beau mit zittriger Stimme: „Er hat seinen Teddy dagelassen, den braucht er unbedingt. Ich gehe ihn holen, ja?“

„Ja, natürlich“, sagte Beau, und als er ihnen dann folgte, gingen ihm tausend Fragen durch den Kopf. Wieder beim Schuppen angekommen, sprach er die wichtigste davon aus.

„Was machen Sie eigentlich hier?“, fragte er, und der pochende Schmerz in seiner Nase bewirkte, dass die Frage heftiger herauskam, als er beabsichtigt hatte.

Der Junge hob seinen Teddybären vom Boden auf und drückte sich dann wieder ganz fest an seine Mutter.

Sie legte ihm den Arm um die Schultern und sagte: „Es tut mir leid. Das mit dem Fenster tut mir wirklich leid. Ich bezahle es, sobald ich kann. Versprochen. Wir wussten nur nicht, wohin.“

Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte dann: „Aber hier können Sie nicht bleiben.“

„Vielleicht nur diese Nacht? Bitte … Wir machen auch wirklich keinen Ärger …“

„Das habe ich doch gar nicht gemeint. Wir haben minus fünf Grad, und die Temperatur sinkt weiter. Es gibt hier keine Heizung, kein fließendes Wasser … Gibt es jemanden, den ich für Sie anrufen könnte?“

„Nein, es gibt niemanden. Wir sind allein, und wir kommen auch zurecht. Ich … also wir brauchen nur einen Platz zum Schlafen. Nur für heute Nacht. Das hier genügt uns. Es ist sogar mehr, als wir brauchen.“

Er wusste natürlich nicht, wie sie sonst lebte, aber der Schuppen hier genügte jedenfalls nicht – nicht einmal in den milden Sommermonaten hier in der Gegend, und schon gar nicht mitten im Winter.

Er kratzte sich im Nacken und packte dann mit einer Hand eine dicke Haarsträhne am Hinterkopf. „Bei mir im Haus ist zurzeit gerade ein Zimmer frei. Meine Tante ist nicht zu Hause und …“

„Nein. Nein. Vielen Dank, das ist sehr großzügig von Ihnen, aber …“

Dass sie einen Rückzieher machte, sah er schon an ihrem Blick, bevor dann ihr Körper folgte.

„Wir machen uns lieber wieder auf den Weg. Wir …“

„Wohin wollen Sie denn? Es ist beinahe Mitternacht, und alles hat geschlossen. Kennen Sie denn jemanden in der Stadt?“

„Nein, aber …“

„Ich nehme mal an, dass ein Hotel keine Option ist, oder?“

Sie schüttelte den Kopf, und auf ihren Wangen bildeten sich zwei rote Flecken. „Wir hatten Geld, aber das ist uns heute Nachmittag gestohlen worden.“

Er runzelte die Stirn und fragte: „Haben Sie denn wenigstens Anzeige erstattet?“

„Nein“, antwortete sie und schaute zu Boden, sodass er sehen konnte, wie ihre langen Wimpern die hübschen Augen verdeckten. „So viel war es auch gar nicht.“

Er fragte sich, ob sie log oder ihr die ganze Sache einfach nur peinlich war. „Sie sollten den Diebstahl aber trotzdem anzeigen. Ich kann gern bei der Polizei …“

„Nein. Vielen Dank. Ich komme wirklich zurecht“, sagte sie und griff nach der Türklinke.

„Warten Sie. Sie können nicht wieder dort hinaus in die Kälte gehen“, sagte er. „Hören Sie, meine Freundin hat in ihrer Wohnung ein freies Zimmer, und ich bin sicher, sie wäre bereit, sie für eine Nacht unterzubringen.“ Das stimmte – vorausgesetzt, sie brachte ihn nicht um, weil er sie weckte.

Sie zögerte kurz, blieb in der Tür stehen und sagte: „Ich glaube, ich möchte das lieber nicht.“

Er spürte, dass sie sich jeden Moment einverstanden erklären würde, und sagte deshalb: „Ach, kommen Sie schon, wo wollen Sie denn sonst bleiben?“ Er schaute hinunter auf das Kind, das vor Kälte zitternd seinen abgeliebten blauen Teddy an sich drückte, und appellierte an ihr Mutterherz, als er sagte: „Der Kleine braucht einen Platz, wo er sich aufwärmen und schlafen kann und morgen ein gutes Frühstück bekommt. Wobei das bei Paige wahrscheinlich aus einem Schälchen Lucky Charms bestehen wird.“

Da leuchteten die Augen des Jungen auf, und er schaute zu seiner Mama hinauf, was sie auch registrierte. Beau fragte sich, ob sie wohl heute schon etwas gegessen hatte. Kein Wunder, dass sie so verzweifelt einen Job suchte.

„Sind Sie ganz sicher, dass es ihr nichts ausmacht?“, fragte sie immer noch ein bisschen zögerlich.

Er hielt sein Handy hoch und sagte: „Ich kann sie sofort anrufen.“ Und dann wartete er mit hochgezogenen Augenbrauen, bis sie mit einem Nicken zustimmte. Er drückte auf einen Knopf auf seinem Handy und ging dann von ihnen weg zur Eingangstür, um ungestört sprechen zu können, sagte aber vorher noch: „Nicht weggehen.“

Sie schaute ihn wachsam wie ein verwundetes Tier an.

„Versprochen?“, fragte er sicherheitshalber noch einmal nach.

Sie nickte. Mehr konnte er nicht erwarten.