Buch lesen: «Sieben Helden», Seite 2

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„Wenn das stimmt, dann sind das keine guten Nachrichten, fürwahr“, meinte Vater Jakobus.

„Warum nicht?“, fragte Johannes, „die drei sahen nun auch nicht so gefährlich aus, daß sich Euer ganzes Dorf vor ihnen fürchten muss. Ehrlich gesagt, in ihrem komischen Aufzug sahen die ein bisschen albern aus.“

Vater Jakobus Miene wurde ernst.

„Albern? Nein, Franco ist bestimmt ein verschlagener Lump und gar nicht albern, fürwahr– und sie sind auch nicht nur zu dritt. Du musst wirklich von weit her kommen, wenn du noch nie vom Admiral, seinem Statthalter Franco und seinen Banditen gehört hast. Es sind bestimmt an die fünfzig von ihnen, die unser Dorf immer wieder heimsuchen.“

„Sie kommen nun schon seit ein paar Jahren zu uns, wie aus dem Nichts tauchten sie eines Tages mit ihren Säbeln, Lanzen und Messern im Dorf auf und nahmen mit, was sie tragen konnten,“ ergänzte Mutter Grethe. „Und wehe dem, der ihnen nicht gibt, was sie verlangen, dem ergeht es übel.“

„Manchmal kommen sie wochenlang gar nicht, dann kurz hintereinander gleich mehrmals. Deswegen behalten wir die Umgebung im Auge, denn bevor sie alle zusammen kommen, schicken sie stets erst ein paar von ihnen voraus, um festzustellen, ob es etwas zu holen gibt und ob fürstlichen Soldaten im Dorf sind, die uns schützen könnten“, fügte Gregor hinzu. „So wissen wir wenigstens, wann sie kommen, auch wenn wir nichts dagegen unternehmen können.“

„Warum ruft ihr dann nicht schnell die Soldaten an, wenn die Banditen gerade wieder in der Nähe sind, damit sie kommen, um euch zu helfen?“, fragte Johannes.

„Die nächste Garnison mit Soldaten ist drei Tagesritte entfernt, wie willst du dahin rufen? Und selbst wenn die Soldaten schnell genug hier wären, sie könnten nicht lange bleiben. Der Admiral würde einfach warten, bis sie wieder abgezogen sind, und erst dann über uns herfallen“, erklärte Vater Jakobus. „Einmal, da hatten wir Soldaten hier, einen Boten hatten wir zur Garnison losgeschickt, der sie dann zu uns führte. Und keiner der Banditen ließ sich bei uns blicken. Erst nachdem die Soldaten wieder fort waren, kamen sie zu uns und der Admiral setzte uns umso mehr zu.“

Johannes hatte sich mittlerweile überlegt, daß es in einem Haus ohne elektrischen Strom natürlich auch kein Telefon geben konnte, mit dem man mal eben die Polizei oder Soldaten zu Hilfe hätte holen können. Kein Telefon, kein Fernseher, kein Radio und keine Kaffeemaschine, das Dorf lebte wirklich noch halb im Mittelalter. Kein Wunder, daß er draußen keine Autos und Traktoren, sondern nur Pferdekarren gesehen hatte. Mutter Grethe faltetet ihre Hände und sagte leise: „Ja, wir haben gelernt mit dieser Plage zu leben, es werden auch wieder bessere Zeiten kommen“.

„Gar nichts wird kommen“, sagte da Marie energisch, die bis jetzt nur zugehört hatte. „Die Banditen werden immer wiederkommen, so lange bis hier endlich jemand den Mut hat, sich ihnen in den Weg zu stellen. Was kann es für die denn Besseres geben, als ein Dorf voller Angsthasen, die sich einfach so nach Strich und Faden ausplündern lassen? Die müssten ja schön blöd sein!“

„Marie, sprich' nicht so!“, antwortete Vater Jakobus streng. „wer soll sich diesen Verbrechern denn in den Weg stellen? Franz, der Schreiner? Schneider Matthias mit Nadel und Faden? Oder die Bauern mit Heugabeln und Dreschflegeln? Gegen fünfzig Mann mit schweren Säbeln, die ihr Leben lang nichts anderes getan haben, als zu rauben, zu prügeln und zu streiten und die nichts zu verlieren haben, weder Ehre noch Anstand? Nein, alleine schaffen wir das nicht, fürwahr!“

„Wir haben es ja noch nie versucht“, warf Gregor ein, „vielleicht suchen sich die Banditen ja ein anderes Dorf zum Ausnehmen, wenn sie bei uns nur ein einziges Mal auf Widerstand treffen.“

„Ja, vielleicht müssen aber einige von uns dabei auch daran glauben – meint ihr, es reicht wenn wir uns hinstellen und sagen 'So, liebe Banditen, sucht Euch doch bitte ein anderes Dorf zum Ausplündern, wir haben dazu jetzt keine Lust mehr. Haut ab oder wir ziehen Euch eins mit der Ochsenpeitsche über?' Der Admiral wird Euch schon Mores lehren. Ihr habt leicht reden, ihr tragt ja nicht die Verantwortung für das Dorf und die Familien. Schluss damit jetzt.“

Gregor, Marie und Johannes sahen sich an, sagten aber nichts mehr. Mutter Grethe begann, schweigend den Tisch abzuräumen und Vater Jakobus stopfte sich sein Pfeifchen.

„Johannes, du solltest über Nacht bei uns bleiben“, sagte er. „Das ist klüger, wenn sich die Banditen in der Nähe herumtreiben. Morgen bringen wir dich sicher aus dem Dorf, wir geben dir ordentlichen Proviant mit und dann kannst du weiter deines Weges ziehen. Du schläfst bei Gregor in der Kammer.“ Jakobus lehnte sich zurück und zog genüsslich an seiner Pfeife.

„Komm', wir gehen nochmal raus und sehen nach den Hühnern“, sagte Gregor zu Johannes und zog ihn mit nach draußen. Gemeinsam gingen sie zum Stall hinüber, wo noch einige Hennen nach Körnern pickten.

„Nachts müssen die alle rein, sonst holt sie der Fuchs“, erklärte Gregor. Nachdem sie noch ein paar Eier eingesammelt und die Hühner in den Stall gescheucht hatten, setzten sie sich auf einen Holzstamm und sahen, wie Marie die Wäsche hinter dem Haus aufhing, die Mutter Grethe inzwischen gewaschen hatte.

„Morgen früh sind deine Sachen wieder trocken, falls du dann weiter willst, während hier wieder alle darauf warten, dem Admiral und seinen Schergen die halbe Ernte und ihr Hab und Gut in die Hand drücken zu dürfen“, sagte Marie zu Johannes. Gregor seufzte.

„Klar will ich weiter, ich muss doch irgendwie wieder nach Hause kommen“, sagte Johannes und überlegt wieder, ob er Gregor von seinem Traum mit dem merkwürdigen alten Mann und von der verzauberten Schaukel, die ihn hierher in Gregors Dorf gebracht hatte, erzählen sollte. Aber würde Gregor ihn nicht einfach für verrückt halten, wenn er ihm jetzt die Geschichte vom Zauberonkel mit einem Eichhörnchen auf dem Hut auftischte? Lieber nicht. Vielleicht wäre es besser, einfach schlafen zu gehen, morgen früh auf zu wachen und festzustellen, daß auch das Dorf mit seinen Bewohnern und den Banditen nur ein Traum gewesen war. Und so gingen sie alle zu Bett. Das ganze Dorf schlief tief und fest und ahnte noch nicht, daß es eine kurze Nacht werden würde.

4. Der Admiral

Die laue Sommernacht war noch kaum zu Ende, als in der Nähe des Dorfes das Wiehern von Pferden zu hören war. Eine Gruppe von Reitern in langen schwarzen Mänteln bahnte sich in der ersten Morgendämmerung ihren Weg durch die Wiesen und Felder, während am Himmel noch der blasse Vollmond zu sehen war. Auf einer Anhöhe blieben sie stehen, ein Pferd neben dem anderen, und blickten auf das noch schlafende Dorf hinab. Einer der Reiter gab mit der Hand ein Zeichen und sie ritten weiter, weiter hinunter zum Dorf. Als erster der Dorfbewohner war an diesem Morgen der alte Habakuk auf den Beinen, weil er am Dorfsee angeln wollte und die Fische früh am Morgen am besten beißen. Mit der Angel in der rechten und einem Eimer in der linken Hand hatte er sich gerade auf den Weg gemacht, als er auf der Anhöhe über dem Dorf einen großen Schatten wahrnahm. Als er genauer hinsah, erkannte er die Reiter, die auf dem Weg hinunter zum Dorf waren. Er ließ sofort Angel und Eimer fallen und rannte zurück ins Dorf, so schnell er konnte. Und als er wieder bei den Häusern angekommen war, da rief er nach Leibeskräften:

„Sie kommen! Sie kommen!“

Obwohl noch fast alle Dorfbewohner in ihren Betten lagen, so wie auch Johannes und Gregors Familie, stimmten immer mehr Menschen in den Ruf des alten Habakuk ein. Sie sprangen aus ihren Betten, zogen sich schnell etwas an und liefen hinaus auf den Dorfplatz. Im Haus des Schmiedes war Marie die schnellste, flugs hatte sie ihr Kleid angezogen und rief immer wieder durch das ganze Haus:

„Die Banditen kommen! Die schwarzen Banditen kommen!“

Auch Johannes und Gregor waren schnell auf den Beinen und rannten nach draußen. Sie trugen noch ihre Nachthemden, rissen die gewaschenen Hosen von der Wäscheleine und zogen sie schnell an. Auf dem Dorfplatz hatte sich schon eine Menschenmenge gebildet, die Dorfbewohner wirkten nervös und angespannt und redeten wild durcheinander. Die schwarzen Reiter waren mittlerweile am Dorf angekommen. Etwa die Hälfte von ihnen bezog rings um das Dorf Posten, die andere Hälfte ritt in das Dorf hinein. Angeführt wurden sie von zwei Reitern, die etwas Abstand von den anderen hielten. Einen der beiden hatte Johannes schon am Vortag gesehen, es war derjenige, den Gregor immer Franco genannt hatte. Er war wieder ganz in Schwarz gekleidet, so wie alle anderen Reiter auch. Nur der Reiter, der an seiner Seite ins Dorf gekommen war, trug keine schwarze Kleidung. Dieser war auffallend bunt angezogen: Er trug einen purpur-roten Mantel mit goldenen Knöpfen und goldenen Schulterstücken, darunter eine weiße Reiterhose und beeindruckend glänzende Reitstiefel. Sein Hut war zwar auch schwarz, aber mit einem bunten Federbusch und einer Art Medaillon versehen. Sein Säbel war blank poliert und hatte einen goldenen, reich verzierten Griff.

„Der Papagei da ist der Admiral, der Anführer der Halunken“, flüsterte Gregor Johannes zu. „Er tut immer sehr vornehm, ist aber genau so ein Lump wie die anderen.“

Die beiden standen etwas abseits in der Nähe des Hühnerstalls, konnten aber gut sehen, was auf dem Dorfplatz vor sich ging. Franco und der Admiral stiegen von ihren Pferden, stellten sich mitten auf den Dorfplatz und sahen sich die Dorfbewohner an, die sich rund um sie versammelt hatten. Zwar waren die Dorfbewohner alle neugierig, achteten aber darauf, den Banditen nicht näher zu kommen als unbedingt nötig. Denn die Burschen wirkten allesamt verwegen und bedrohlich und man sah ihnen an, daß sie in ihrem Leben wohl kaum jemals einem Streit ausgewichen waren. Neben dem großen und dünnen Franco wirkte der Admiral eher klein und etwas dick, war aber durchaus schwungvoll vom Pferd abgestiegen. „Franco, wo ist der Bürgermeister unserer lieben Freunde?“, fragte der Admiral seinen Begleiter, „Er soll sich zu uns gesellen, wir haben doch zu reden!“

Franco gab zwei anderen Banditen ein Zeichen, woraufhin diese ebenfalls von ihren Pferden sprangen und zu dem Haus liefen, das wohl dem Bürgermeister gehören musste. Noch bevor sie am Haus angekommen waren, kam ihnen ein kleiner Mann mit fast kahlem Kopf und Schnurrbart entgegen, der sich noch im Laufen die Hose hochzog.

„Ich komme schon, Herr Admiral, ich komme schon!“, rief er Franco und dem Admiral zu. Die beiden abkommandierten Banditen nahmen ihn in Empfang und führten ihn zur Mitte des Dorfplatzes.

„Das ist der Bürgermeister Leopold, der größte Angsthase und Bückling im ganzen Dorf“, flüsterte Gregor wieder.

„Guten Morgen, mein lieber Leopold“, begrüßte der Admiral den Bürgermeister, zog dabei seinen Hut und deutet eine Verbeugung an. Auch der Bürgermeister verbeugte sich, einmal vor dem Admiral, einmal vor Franco.

„Herr Admiral, auch ich begrüße Euch“, begann er noch etwas außer Atem, „zu so früher Stunde haben wir Euch freilich nicht erwartet. Seid auch Ihr gegrüßt, Herr Franco!“

„Morgenstund' hat Gold im Mund, so heißt es doch bei euch fleißigen Bauern und Handwerkern, nicht wahr?“, antwortete der Admiral. „Meine Männer brauchen ab und zu auch einen frühen Ausritt, damit sie nicht träge werden. Ich hoffe, wir haben nicht Eure Nachtruhe gestört?“

„Aber nein, Herr Admiral, auch unser Tagwerk beginnt für gewöhnlich bei Sonnenaufgang, beim ersten Hahnenschrei.“

„Bestens, mein lieber Leopold, bestens! Denn wir müssen reden.“

Franco nickte zustimmend und befahl den erstbesten Dorfbewohnern, die ihm in den Blick kamen: „He, ihr beiden, wir brauchen einen Tisch und drei Stühle, bringt sie uns her!“

Die beiden waren offenbar Vater und Sohn und zögerten einen Moment, der Aufforderung des Banditen nachzukommen.

„Na los, worauf wartet ihr?“, setzte Franco nach, „Oder wünscht ihr vielleicht, daß euch meine Männer dabei behilflich sind?“

Das klang weit weniger freundlich, als man hätte meinen können. Es dauerte nicht mehr lange, bis die beiden Tisch und Stühle in die Mitte des Dorfplatzes gestellt hatten und sich der Admiral, Franco und der Bürgermeister hingesetzt hatten und miteinander zu reden begannen.

„Los, Johannes, wir gehen näher heran, hier kann man sie nicht verstehen. Ich will wissen, was sie besprechen“, sagte Gregor zu Johannes. Mutter Grethe, die mit Jakobus und Marie mittlerweile auch vor dem Haus stand, wollte die beiden noch zurückhalten, schaffte es aber nicht mehr. Gregor und Johannes gingen weiter nach vorne bis sie hören konnten, worüber am Tisch geredet wurde.

„Bürgermeister, wir waren lange nicht bei Euch im Dorf zu Gast, da dachten wir, es wäre wieder einmal Zeit. Und wie es der Zufall so will, sind unsere Vorräte fast alle aufgebraucht“, begann der Admiral. „Wir haben in den nächsten Wochen viel vor und meine Männer werden hungrig und durstig sein und brauchen dieses und jenes. Ich hoffe, ich kann wieder auf die Hilfe Eures Dorfes zählen?“

„Gewiss könnt Ihr das, Herr Admiral, gewiss. Was können wir für Euch tun?“

„Nun, wir brauchen das Übliche: Mehl, Zucker, Wein, Kartoffeln, Kleidung, Leder - Ihr wisst schon, allerhand Zeug des täglichen Bedarfs. Franco hat die Männer nach ihren Wünschen gefragt und alles notiert. Zeig' dem Bürgermeister die Liste, Franco!“

Franco griff in seine Manteltasche und reichte dem Bürgermeister ein großes Stück Papier. Der Bürgermeister sah sich die Liste an, griff sich ans Kinn und machte einen nachdenklichen Eindruck. Ein Kätzchen lief in diesem Augenblick quer über den Dorfplatz hinüber zu dem Tisch, an dem die drei saßen. Der Admiral nahm es, setzte es sich auf den Schoß und begann, ihm den Nacken zu kraulen.

„Das ist sehr viel, Herr Admiral, soviel haben wir heute gar nicht hier, versteht Ihr, allein die zwölf Säcke Mehl, die müssen wir doch erst noch mahlen“, murmelte der Bürgermeister und blickte dabei starr auf das Blatt Papier.

„Ich weiß, mein lieber Leopold, deswegen kommen wir auch in sieben Tagen wieder, bringen ein oder zwei Pferdewagen mit und holen dann alles in Ruhe ab. Solange habt Ihr Zeit, alles vorzubereiten. Das werdet Ihr doch schaffen? Wir wollen doch beide nicht, daß meine Männer enttäuscht und vielleicht wütend werden, was meint Ihr?“, erwiderte der Admiral und lächelte den Bürgermeister an. Einige der Banditen, die sich im Dorf aufgebaut hatten, fanden das offenbar lustig und lachten.

„Nein, nein, gewiss nicht, sieben Tage müssten reichten, Herr Admiral“, beruhigte der Bürgermeister den Admiral und nickte eifrig.

„Das freut mich. Euer Dorf kann sich glücklich schätzen, einen so klugen Bürgermeister zu haben, der schnell erkennt, was das Beste für das Dorf ist und dafür sorgt, daß die ihm anvertrauten Bürger auch entsprechend handeln.“

Der Admiral hob seinen Hut und fuhr sich durch das Haar. Dabei schweifte sein Blick durch das Dorf und da erblickte er Gregor und Johannes.

„He, du Junge dort, komm' doch bitte einmal zu uns!“, rief er zu den beiden hinüber und winkte Johannes zu sich. „Ja, du mit den blauen Hosen!“.

Johannes wusste einen Moment lang nicht, was er tun sollte.

„Los, geh schon, sonst gibt es noch Ärger“, sagte Gregor und schob Johannes etwas nach vorne. „Geh' einfach zu ihm hin, keine Angst zeigen.“

Johannes überlegte nicht lange genug, um Angst zu bekommen und ging zum Tisch hinüber, wo der Admiral auf ihn wartete.

„Ein erstaunliches Beinkleid trägst du da“, stellte der Admiral fest. „Das Tuch ist von enormer Festigkeit und das Blau geradezu enorm! Sag, wie nennt sich dieser Stoff, mein Sohn?“

Johannes hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht, schließlich war zumindest für ihn die Hose die normalste Sache von der Welt.

„Das ist eine Jeans-Hose, nichts besonderes“, antwortete er entsprechend knapp. Johannes bemerkte, daß sowohl der Admiral als auch Franco eine Tätowierung in Form eines Wappens mit gekreuzten Säbeln am Unterarm trugen. Das musste das Zeichen der Banditen sein, das auch Gregor bei ihrer ersten Begegnung an seinem Arm gesucht hatte. Der Admiral zog die Augenbrauen hoch und nickte.

„So, so, eine Dschiehns-Hose und nichts besonderes. Das ist mir neu, euer Dorf versteht sich wirklich auf sein Handwerk. Wie du sicher bemerkt hast, bevorzuge ich im Gegensatz zu meinen Männern durchaus farbenfrohe Kleidung, schließlich ist das Leben oft grau und trüb genug. Und dieses Blau finde ich äußerst kleidsam. Franco, ergänze bitte die Liste: Eine, oder besser gleich zwei, von diesen Dschiehns-Hosen für meine Wenigkeit.“

Dabei erhob er sich und gab Johannes das Kätzchen. Er wandte sich noch einmal dem Bürgermeister zu: „Sieben Tage, mein Bester, vergesst es nicht. Und jetzt, meine lieben Leute, nehmt ein gutes Frühstück, der Tag ist noch lang.“

Er gab seinen Leuten ein Zeichen, schwang sich auf sein Pferd und grüßte die Dorfbewohner noch einmal mit gezogenem Hut. Auch Franco stieg auf sein Pferd, zog seinen Säbel und rief laut in die Runde:

„Sieben Tage, sieben Tage – und heute ist schon der erste!“

Einen Moment später hatte die ganze Bande das Dorf wieder genau so schnell verlassen, wie sie gekommen war. Johannes stand immer noch mit dem Kätzchen auf dem Arm neben dem Tisch, während der Bürgermeister weiter auf die jetzt um einen Punkt längere Liste starrte. Die Dorfbewohner sahen den Banditen nach, die gerade über die Anhöhe hinweg ritten und danach außer Sicht waren. Einige von ihnen gingen hinüber zum Bürgermeister, um auch zu sehen, was die Banditen alles auf die Liste gesetzt hatten. Die anderen gingen nachdenklich zurück zu ihren Häusern, so wie auch Gregor und Johannes es taten.

5. Der Pullover

Kaum saßen alle beim Frühstück zusammen, da machte Marie ihrem Unmut Luft.„Habt ihr wieder diesen Leopold gesehen, wie er vor dem Admiral herum gekrochen ist? So ein Jammerlappen, kein Wunder, daß dieses feige Dorf ausgerechnet den zum Bürgermeister gemacht hat. Ja, Herr Admiral, gewiss Herr Admiral, untertänigster Diener, Herr Admiral – bah, widerliches Geschleime. Der sollte diesem eitlen Gockel endlich einmal da hinschicken, wo der Pfeffer wächst!“

Jakobus blickte schon wieder böse zu seiner Tochter, doch bevor er sie wieder zurecht weisen konnte, fragte Johannes schnell: „Warum nennt ihr den Typen eigentlich 'Admiral' ? Admirale gibt es doch nur auf dem Meer.“

„Um den Admiral ranken sich viele Geschichten“, antwortete Gregor.

„Eine besagt, er sei mit seinen Männern eines Tages mit einem großen Schiff, dessen Kapitän er war, irgendwo an der Küste gestrandet. Das Schiff wäre zerschellt und dann hätten sie einfach an Land ihr mieses Geschäft weiter betrieben. Vielleicht wird er auch nur wegen der Uniform so genannt, aber ob er die wirklich einmal als echter Admiral getragen hat oder auch nur irgendwo gestohlen hat, das weiß niemand ganz genau.“

„Das ist auch ganz egal, ob der nun eine echter Kapitän oder Admiral ist oder nicht, am Ende ist er doch nur ein gemeiner Räuber und Dieb, da ändert auch sein vornehmes Getue und sein hübsches Mäntelchen nichts!“, meinte Marie immer noch erbost und machte ein wütendes Gesicht.

„Dann sehen sie also doch nicht zufällig wie Piraten aus“, meinte Johannes. „Und wie geht es jetzt weiter, bis sie in einer Woche zurückkommen?“

„Der Bürgermeister wird im Dorf von Haus zu Haus gehen und jedem erklären, was er zur Bestellung beizutragen hat: Der Müller das Mehl, der Schneider ein paar neue schwarze Mäntel und jetzt auch blaue Hosen, der Sattler neues Zaumzeug und so weiter und so weiter. Und Vater wird erfahren, wie viele Hufeisen, Steigbügel und Sporen er anzufertigen hat. Und dann legen sich alle ins Zeug, um alles pünktlich fertig zu haben. So geschieht es immer“, erklärte Mutter Grethe. „Wir können froh sein, daß der Bürgermeister sich so sehr bemüht, Unheil vom Dorf abzuhalten.“

„Unheil abhalten?“, fragte Marie spöttisch, „das Unheil ist doch allein diese Lumpenbande selber, die werden wir kaum vom Dorf abhalten, wenn wir immer auf Knien vor ihnen herumrutschen und ihnen jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Hinaus geprügelt gehören die, ein für alle Mal!“

„Lass mal, Marie“, versuchte Gregor sie zu beruhigen, „so einfach ist das nun auch nicht, der Bürgermeister kann sich kaum allein gegen den Admiral stellen, da muss das Dorf schon zusammenstehen.“

Vater Jakobus nickte Gregor zu und stand vom Tisch auf: „Jetzt müssen wir erst einmal zusammenstehen, um in den sieben Tagen unsere Arbeit zu erledigen. Ich werde sehen, was mein Anteil dabei ist. Und ihr beiden könnt Euren Kampf gegen die Halunken am Besten beginnen, indem ihr endlich eure Nachthemden auszieht.“

Er nahm seine Lederschürze vom Kleiderhaken und ging hinaus. Johannes und Gregor trugen tatsächlich immer noch ihre Nachthemden über den Hosen, in der Aufregung am frühen Morgen hatten sie das völlig vergessen. Sie gingen hinaus zur Wäscheleine, um sich dort umzuziehen. Gregor zog sein Hemd an und Johannes seinen Pullover, auf dem man ohne den ganzen Staub und Dreck jetzt wieder die Weltraum-Motive erkennen konnte. Gregor schaute sich die Abbildungen an.

„Du trägst wirklich ungewöhnliche Kleidung, da hat der Admiral schon Recht“, sagte er. „Und was sind das eigentlich für eigenartige Bilder?“

Johannes blickte an sich herunter und zeigte nacheinander auf die Bilder auf seinem Pullover. „Na, das ist die Erde, das der Mond und das ist der Planet Saturn. Was denkst du denn, was das ist?“

„Den Mond erkenne ich auch. Und das runde Blaue da soll unsere Erde sein? So ein Unsinn.“ Gregor zeigte zur Anhöhe hinüber, danach zu den Weiden und Feldern ringsum das Dorf. „Blau, ich sehe hier nichts Blaues, nur grüne Wiesen und Wälder!“

„Die Erde ist zu zwei Dritteln mit Ozeanen bedeckt, deswegen sieht sie, vom Weltraum gesehen, so blau aus, das weiß doch jeder. Die grünen Wiesen und Felder - das sind die Flecken dazwischen, Afrika, Amerika und die anderen Kontinente.“ erklärte Johannes. Aber Gregor sah ihn nur verwundert an und tippte sich an die Stirn.

„Was für ein Weltraum? Wo soll der denn sein? Kann man da rein gehen, in deinen Welt-Raum?“

„Weltraum eben, die Sterne, die Sonne, der Mond und alles. Stell dich auf den Mond und die Erde sieht von dort so aus wie eine blaue Murmel“, fuhr Johannes leicht ungeduldig fort. Gregor begann zu lachen:

„Auf den Mond stellen? Wer hat sich auf den Mond gestellt und zur Erde gesehen? Du etwa? Ich glaube, du hast gestern Abend wohl noch heimlich von Vaters Wein getrunken, so einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Kein Mensch hat jemals die Erde von oben gesehen, selbst der höchste Berg reicht dafür nicht!“

Johannes schüttelte den Kopf. „Euer ganzes Dorf hat scheinbar von vielen Dingen noch nichts gehört, nichts von Telefonen, nichts von Traktoren! Dieser Admiral hat offenbar noch nie eine gewöhnliche Jeans gesehen und ihr habt kein elektrisches Licht und keine Fernsehapparate – ist vielleicht wirklich kein Wunder, daß ihr auch noch nie ein Bild von der Erde gesehen habt!“

„Natürlich haben wir einen Fernsehapparat, warte!“ entgegnete Gregor und lief ins Haus. Einen Moment später kam er mit einem langen Fernrohr in der Hand zurück: „Hier, sieh, da hast du einen Fernsehapparat!“

Johannes rollte mit den Augen. „Das ist doch kein Fernsehapparat, das ist ein altes Fernrohr.“

„Ja, natürlich, eben ein Apparat, um in die Ferne zu sehen, ein Fernsehapparat. Mit dem hat einmal ein Reisender Vater für das Beschlagen seines Pferdes bezahlt“, erwiderte Gregor während er durch das Fernrohr zur Anhöhe hinüber sah.

Jetzt musste Johannes lachen und nahm das Fernrohr in die Hand und sah hindurch: „Ich meine einen anderen Fernsehapparat, der steht im Wohnzimmer und man kann damit, ach, wie soll ich das erklären?“.

Johannes bemerkte, daß es wohl zwecklos sein würde, Gregor Aufbau und Funktion eines Fernsehapparates zu erklären, wenn im Dorf schon elektrischer Strom unbekannt war.

„Dann nimm doch deinen Fernsehapparat und schau heute Nacht zum Himmel, da kannst du dann vielleicht wenigstens den hier entdecken“, sagte er und zeigte dabei auf den Saturn auf seinem Pullover. Als er das sagte, wurde Gregor plötzlich kreidebleich und starrte dabei schweigend und mit weit aufgerissenen Augen auf den Pullover.

„Ich Dummkopf!“, stammelte er, nachdem er sich vom ersten Schreck erholt hatte, „ich riesengroßer Dummkopf, daß ich das nicht sofort gesehen habe. Los, schnell wir müssen wieder zu den anderen. Geh' zu Mutter und Marie, ich hole Vater, schnell!“

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