Konstruktives Interkulturelles Management

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Zum anderen lösen sich – aufgrund von Internationalisierung und Digitalisierung – klassische Organisationshierarchien, Abteilungs- und Funktions-Strukturen immer mehr auf und verschieben sich hin zu mehr dynamischeren, prozessualen Strukturen (Kieser/Walgenbach 2007; Heidenreich et al. 2012). Somit findet auch die interkulturelle Zusammenarbeit zunehmend in zeitlich begrenzten Kooperationen, meist komplexen Projekten, statt. Als Beispiele könnten die Entwicklung einer neuen U-Bahn in einer europäischen Hauptstadt durch das Unternehmen Siemens, die Produktion des Großraum-Flugzeugs Airbus A380 oder auch eine Filmproduktion bei ARTE genannt werden.

Mikrokontext: Internationales Management

In dem Maße, wie »Kultur« Einzug in das Management hält, haben Fach- und Führungskräfte mit der Gestaltung von »soft facts« zu tun. Es geht nicht mehr allein um finanzielle Kennzahlen und strategische Erfolge, sondern auch um die Befindlichkeiten der Beteiligten. Dass diese nicht immer einfach zu bewältigen sind, spiegelt sich im Bedarf von Führungskräften an interkulturellen Hinweisen ›how to handle my colleagues and managers‹ ebenso wider wie an Gestaltungstipps für die Leitung internationaler Teams, die Durchführung eines internationalen Projektmanagements oder die Auslandsentsendung von Mitarbeitern.

Alle Gestaltungsfelder des Interkulturellen Managements bergen Fallen. Beispielsweise ist die Durchführung eines 360°-Feedbacks nicht kulturinvariant, sondern hochgradig kulturabhängig und unterliegt der Gefahr kultureller Fehlinterpretation: So wird in einigen Ländern davon ausgegangen, es handele sich um eine objektive, ehrliche Bewertung, wohingegen in anderen Ländern im Sinne einer subjektiven Bewertung die Grundposition gilt »Wir werden doch nicht den Chef kritisieren – das ist gefährlich. Entweder wir antworten gar nicht oder wir geben nur eine positive, nette Evaluation zum Vorgesetzten ab«. Die Interkulturelle Managementforschung zeigt, dass in Ländern mit flachen und informellen Hierarchiebeziehungen wie in skandinavischen, germanophonen oder angelsächsischen Ländern ein Instrument wie das 360°-Feedback erfolgreicher eingesetzt werden kann, als in Ländern, in denen formelle Hierarchiebeziehungen bestehen, wie in romanischen, arabischen oder ostasiatischen Kulturräumen. An diesem Beispiel wird bereits deutlich, dass das Erreichen einer Lösung von interkulturellen Problemen, die alle beteiligten Seiten zufriedenstellt oder sogar durch Komplementarität zur unternehmerischen Wertschöpfung führt, sehr schwierig ist.

Das 360°-Feedback

Im Rahmen einer europäischen Fusion, an der Franzosen, Spanier, Engländer und Deutsche beteiligt sind, wird versucht, Personalmanagement-Instrumente zu harmonisieren, um zwischen den Landesgesellschaften ein internes Benchmarking zu ermöglichen und Kosten zu senken. Es wird das aus den USA stammende 360°-Feedback eingeführt, das eine Weiterentwicklung der Gleichgestelltenbeurteilung ist. Während bei der Gleichgestelltenbeurteilung sich hierarchisch gleichgestellte Personen hinsichtlich Verhalten und Leistung beurteilen, erfolgt beim 360°-Feedback die Beurteilung von hierarchisch nachgeordneten (z. B. die Sekretärin), von übergeordneten Stellen (z. B. die Chefin) oder sogar von Kunden. Neben der Personalentwicklung geht es um die Verbesserung der internen Kommunikationsstrukturen und der Unternehmenskultur. Das 360°-Feedback wurde zeitgleich in den vier Ländern eingeführt – mit unterschiedlichen Ergebnissen: Während in Deutschland und England die Beurteilungsbefragungen relativ reibungslos durchgeführt wurden, gab es teilweise große Widerstände in Spanien. In Frankreich dagegen fielen die Beurteilungen fast alle überdurchschnittlich positiv aus. Mit den vorliegenden heterogenen und unvollständigen Ergebnissen war ein Benchmarking nicht möglich.

Quelle: Barmeyer (2003b)

Im Vordergrund des Interkulturellen Managements steht der Umgang mit »Diversity«, also mit kultureller Vielfalt (Genkova/Ringeisen 2016; Kammhuber 2017). Die Konsequenz der organisationalen Interkulturalisierung für Mitarbeiter in Organisationen beschreibt der CEO von Renault-Nissan, Carlos Ghosn, wie folgt:

»More and more, managers are dealing with different cultures. Companies are going global, and teams are spread across the globe. If you are head of engineering, you have to deal with divisions in Vietnam, India, China, or Russia, and you have to work across cultures. You have to know how to motivate people who speak different languages, who have different cultural contexts, who have different sensitivities and habits. You have to get prepared to deal with teams who are multicultural, to work with people who do not all think the same way as you do.« (Ghosn; Zitat aus Stahl/Brannen 2013, 495)

Führungskräfte üben sich zwangsläufig in interkultureller Interaktion, sind hierin aber mit Missverständnissen und Irritationen konfrontiert und häufig damit überfordert, Interkulturalität konstruktiv zu gestalten. Dies führt nicht nur zur Demotivation von Führungskräften und Mitarbeitern in solchen Kontexten, sondern auch zur Entstehung hoher psychologischer und finanzieller Kosten. Als Reaktion hierauf entsteht ein Markt interkultureller Spezialisten, die internationalen Unternehmen ihre Leistungen anbieten: Unternehmensberater auf der einen Seite, Forscher im Feld des Interkulturellen Managements auf der anderen Seite (Romani/Szkudlarek 2013).

Sehr geehrter Herr Professor Barmeyer,

angesichts der Fusion unseres Unternehmens mit einem europäischen Konzern mit Sitz in Paris möchten wir für unser gesamtes Unternehmen eine Einführungsveranstaltung in die französische Unternehmenskultur vornehmen. Folgende Themen könnten berücksichtigt werden:

–Erzeugung einer positiven Grundeinstimmung, um die Mitarbeiter für die Umstrukturierung zu motivieren

–Existierende Bedenken und Sorgen abbauen

–Schaffen von Aufgeschlossenheit

–Was sind Besonderheiten der französischen Arbeitskultur, insbesondere in Abgrenzung zu unserer deutschen Wahrnehmung?

Wenn Sie sich vorstellen können, als Frankreichspezialist eine derartige Einführung für uns vorzubereiten und durchzuführen, würden wir uns sehr freuen, von Ihnen zu hören.

Im Rahmen der Internationalisierung sind Fach- und Führungskräfte in internationalen Organisationen zentrale Akteure der Gestaltung konstruktiver Interkulturalität. Dies wird in diesem Buch in Theorie und Anwendung anhand zahlreicher Themenbereiche, Illustrationen und unter Rückbezug konzeptioneller Bezugsrahmen behandelt.

Interkulturelle Managementforschung

Genese: Entstehung des Forschungsfelds

Die Interkulturelle Managementforschung ist relativ jung. Ab den 1960er Jahren hat sie sich von Nordamerika und Westeuropa aus mittlerweile vor allem in angelsächsischen, skandinavischen, deutschsprachigen und frankophonen Ländern verbreitet – und mit ihr die faszinierende Idee, Management nicht allein als betriebswirtschaftliche Herausforderung zu begreifen, sondern zudem als kulturabhängiges Gestaltungsfeld, in dem interkulturelle Interaktion vom Management berücksichtigt werden muss. Um die Geschichte dieses Forschungsfelds nachzuvollziehen, bietet es sich an, auf bereits vorhandene Einteilungen zur Entwicklung zurückzugreifen.

Aus der Perspektive der Managementforschung zeichnet Scholz (2014a, 900) einen Weg nach, der von einer betriebswirtschaftlichen »Kulturignoranz« über verschiedene Zwischenphasen bis hin zu einer Integration von Kultur in die Wirtschaftsforschung führt (Tab. 7). Er konzentriert sich damit auf die Rezeption kultureller Themen in der klassischen Managementforschung. Der beschriebene Entwicklungspfad spiegelt den »Paradigmenwechsel der Managementlehre von der Analyse ökonomischer, nach Nutzenmaximierung orientierter Leistungsprinzipien hin zur wertorientierten und verhaltenswissenschaftlichen Betrachtungen organisationalen Handelns von Mitarbeitern wider« (Barmeyer 2000, 99).


ZeitAusgangsebeneStadiumBetrachtungsweise
bis 1960betriebswirtschaftliche »Kulturignoranz«Kultur als nicht-existierendes Phänomen
ab 1960MakroebeneCross-Cultural Managementkulturfreier Managementansatz kulturgebundener Managementansatz (Landeskultur als unabhängige Variable)
ab 1970Comparative ManagementWechselbeziehungen zwischen Landeskultur und Managementverhalten
ab 1980MikroebeneUnternehmenskulturforschungUntersuchung/Beeinflussung der Unternehmenskultur weitgehend ohne landeskulturellen Kontext:a)Ansatz der (individuellen) Verhaltensforschungb)organisationstheoretischer Ansatzc)Ansatz des strategischen Managements
ab 1990Makro- und MikroebeneKulturintegrationWechselbeziehungen zwischen Unternehmens- und Landeskultur
ab 2000GlobalebeneKulturpointillismuskleinste Kultureinheiten in einem grenzenlosen Raum, die je nach Perspektive zu unterschiedlichen Kulturansichten führen
ab 2010eingebettete MikroebeneKultursituativitätUnternehmen gestalten in Abhängigkeit von Strategie und Kontext bewusst ihre individuelle Kultur

Tab. 7: Entwicklungspfad der Management-Kulturforschung (Scholz 2014a, 900)

Adler (1983) wählt eine andere Perspektive, welche die Suchrichtung der Interkulturellen Managementforschung im Zeitverlauf nachzeichnet (Tab. 8). Von der Suche nach Ähnlichkeiten des Managens in verschiedenen Kulturräumen verschiebt sich der Fokus nach und nach auf die Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden im Management verschiedener Länder als für Unternehmen bewusst nutzbare Ressource. Unterschiedlichkeit wird nicht länger als Defizit verstanden, sondern als Wertschöpfungspotenzial (Barmeyer 2012a, 118–119).

 

ForschungKulturbezug der StudienAnsatz in Bezug auf Ähnlichkeit und UnterschiedlichkeitZentrale Forschungsfrage
EngStudien in einzelnen KulturenAngenommene ÄhnlichkeitWie verhalten sich Menschen in Organisationen bei ihrer Arbeit? Obwohl die Ergebnisse nur anwendbar sind für das Management in einer Kultur, wird angenommen, dass sie für das Management in vielen Kulturen gelten.
EthnozentrischStudien in einer zweiten KulturSuche nach ÄhnlichkeitKönnen Theorien aus dem eigenen Stammland im Ausland angewendet werden? Kann eine Theorie für Organisationen in einem Land A auf Organisationen in einem Land B übertragen werden?
PolyzentrischStudien in vielen KulturenSuche nach UnterschiedlichkeitWie arbeiten Manager und wie verhalten sich Mitarbeiter in einem Land X? Welche Muster der organisationalen Beziehungen herrschen in einem Land X vor?
VergleichendStudien zur Gegenüberstellung vieler KulturenSuche nach Ähnlichkeit und UnterschiedlichkeitInwieweit sind Managementstile und Mitarbeiterverhalten über Kulturen hinweg ähnlich oder verschieden? Welche Theorien gelten kulturübergreifend und welche nicht?
GeozentrischInternationale ManagementstudienSuche nach ÄhnlichkeitWie funktionieren multinationale Organisationen?
SynergetischInterkulturelle ManagementstudienNutzung von Ähnlichkeit und Unterschieden als RessourceWie kann die interkulturelle Interaktion in einer nationalen oder einer internationalen Organisation gemanagt werden? Wie kann eine Organisation Strukturen und Prozesse gestalten, die eine effektive Zusammenarbeit mit Mitgliedern aller Kulturen ermöglichen?

Tab. 8: Typologien kulturorientierter Management-Studien (Adler 1983, 30–31, Auszug, unsere Übersetzung)

Wieder eine andere Perspektive nehmen Boyacigiller et al. (2004, 102–138) zunächst für die internationale Kulturforschung sowie später Sackmann und Phillips (2004) für die Interkulturelle Managementforschung ein: Sie unterscheiden die drei Hauptströmungen (1.) nationenübergreifender Kulturvergleich, (2.) interkulturelle Interaktion und (3.) multiple Kulturen (Tab. 9). Wichtig ist für sie der Einfluss des jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontexts:

–Die Strömung nationenübergreifender Kulturvergleich (Cross-National Comparison) versteht Kultur als Ausdruck der jeweiligen Nationalität, die Individuen durch Sozialisation erfahren. Dementsprechend vergleichen meist quantitativ-statistisch angelegte Studien Nationalkulturen, um kulturübergreifende, universelle Kulturdimensionen zu verdeutlichen, wie dies etwa Hofstede (1980) und die GLOBE-Studie (House et al. 2004) tun.

–Die Strömung interkulturelle Interaktion (Intercultural Interaction) versteht Kultur als das in einer Gemeinschaft geteilte Bedeutungssystem, das aus einer Innenperspektive der Akteure und an konkreten Interaktionssituationen manifest wird. Dementsprechend betrachten induktiv angelegte, qualitative Feldstudien insbesondere, wie kulturelle Passung zwischen den Interaktionspartnern sozial konstruiert und ausgehandelt wird.

–Die Strömung multiple Kulturen (Multiple Cultures) setzt an den Individuen an, die in zunehmend fragmentierten und dynamischen Lebenswirklichkeiten multiple kulturelle Identitäten ausbilden, die der Vielfalt ihrer kulturellen Referenzsysteme und sozialer Milieus entsprechen. Dementsprechend untersuchen vornehmlich interpretativ-emische Studien Identitätsbildungsprozesse in Mikrokontexten, also beispielsweise Subkulturen auf Gruppenebene.

In jüngster Zeit führen die in »westlichen« Gesellschaften beobachtbaren spätmodernen »postmaterialistischen« (Inglehart 1998) oder »singularistischen« (Reckwitz 2017) Entwicklungen zu einer Aufwertung der plurikulturellen Multiple-Kulturen-Ansätze (z. B. Mahadevan 2012), was sich auch in der Entwicklung des Diversity Management-Ansatzes (Cox 1993; Özbilgin/Tatli 2008; Genkova/Ringeisen 2016) widerspiegelt.


Nationenübergreifender KulturvergleichInterkulturelle InteraktionMultiple Kulturen
Die Entstehung der Strömung begünstigender Kontext–Nach dem 2. Weltkrieg–Aufkommen multinationaler Unternehmen–US-amerikanische Praktiken als Vorbild–Aufkommen des Vergleichenden Managements–Nationalstaat als zentraler wirtschaftlicher Akteur–Sich verändernde Balance der globalen wirtschaftlichen Macht–Dramatischer Anstieg ausländischer Direktinvestitionen (Joint Ventures, Auslandsniederlassungen, multinationale Unternehmen)–Verschmelzung nationaler Grenzen–Zunehmende Globalisierung–Zunehmende strategische Allianzen in nationalen Grenzen/über nationale Grenzen hinweg–Wachsende globale Mobilität von Menschen–Wachsende Beachtung von Identitätsunterschieden
Theorien, Annahmen, Modelle–Nationalstaat = »Kultur«–Kulturelle Identität als eine gegebene, einheitliche, unveränderliche individuelle Eigenschaft–Kulturelle Konvergenzthese–Suche nach universell anwendbaren Kulturdimensionen–Kultur = sozial konstruiert–Nationalkultur/-identität ist von entscheidender Wichtigkeit–Emergente/ausgehandelte Kultur abgeleitet aus•organisationaler Kulturforschung•interpretativem Paradigma•anthropologischen Theorien•interkulturellem Kommunikationsmodell–Kultur = kollektives, sozial konstruiertes Phänomen–Organisationen = Multiplikation von Kulturen–Individuen können sich mit vielen Kulturen identifizieren–Das Wechseln zwischen kulturellen Gruppen und Identitäten ist eine empirische Fragestellung
Beitrag zum Wissensstand–Kultur ist lenkbar – Generalisierungen, Kulturcluster–Nationenübergreifende Überprüfung organisationaler Theorien, Prozesse und Praktiken–Entwicklung von Kulturdimensionen und Kulturkategorien–Begrenztes Set an Kulturdimensionen kann von anderen Disziplinen genutzt werden–Wichtigkeit der Kontextanalyse–Prozessorientierung–Emergente »ausgehandelte« Kultur–Lenkung der Aufmerksamkeit auf interkulturelle Kommunikation am Arbeitsplatz–»Dichte Beschreibung« kultureller Kontexte–Brückenfunktion zur Strömung multiple Kulturen–Erkennt Kultur als sozial konstruiert–Fokus auf Sinngebung und praktische Anwendbarkeit–Wertschätzung kultureller Unterschiedlichkeit und Ähnlichkeit–Wahrnehmung der Komplexität von persönlicher Identität und Paradoxien in Organisationen–Möglichkeit zur Synergieerzielung–Identifikation von Fähigkeiten, die für die Arbeit in multikulturellen Umgebungen benötigt werden–Methodenvielfalt

Tab. 9: Hauptströmungen der Kulturforschung im Interkulturellen Management (Sackmann/Phillips 2004, Auszug, unsere Übersetzung)

Aktuell ist die Interkulturelle Managementforschung interdisziplinär angelegt (Chanlat/Pierre 2018). Dies musste sich allerdings erst in einem Konvergenzprozess der beteiligten Disziplinen entwickeln. Die disziplinären Wurzeln liegen in zwei Wissenschaftsgebieten, die nach und nach integriert wurden: den Sozial- und Kulturwissenschaften auf der einen Seite und den Wirtschaftswissenschaften auf der anderen Seite (Tab. 10). Die einzelnen Disziplinen beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Intensität mit dem Thema Kultur und Interkulturalität in Organisationen.


Sozial- und KulturwissenschaftenWirtschaftswissenschaften
Disziplinen–Kulturanthropologie/Ethnologie (Kluckhohn/Strodtbeck 1961; Hall 1959; Chanlat 1990; Chanlat/Pierre 2018; Moosmüller 2004; Roth 2004; Romani 2008; van Maanen 2011; Mahadevan 2017)–Soziologie (Parsons 1952; D’Iribarne 1989)–Sozialpsychologie (Thomas 2003c; Berry 1990; Triandis 1995; Thomas 2008)–Interkulturelle Philosophie (Demorgon 1989; 1998)–Interkulturelle Kommunikation (Rogers et al. 2002; Lüsebrink 2005; Müller-Jacquier 2004)–Internationales Management (Dülfer 2001; Usunier 1992; 1998; Perlitz 1993; Welge/Holtbrügge 1998; Urban/Mayrhofer 2011; Kutschker/Schmid 2011)–Kulturvergleichendes Management (Hofstede 1980; Keller 1982; Usunier 1992; Sorge 2004a)–Interkulturelles Management (Adler 1986; Bergemann/Sourisseaux 1992; Trompenaars 1993; Schneider/Barsoux 1997; Barmeyer 2000; Chevrier 2003a; Scholz/Stein 2013; Mayrhofer 2017; Holden et al. 2015a)
Erkenntnisinteresse–Historische Perspektive auf kulturelle Begegnungen–Individuelle und Gruppenreaktionen auf Verschiedenheit–Quellen interkultureller Missverständnisse–Internationalität wirtschaftlicher Organisationen und ihrer Aktivitäten–Kontrastierung kulturell geprägter Management- und Arbeitspraktiken–Erfolgsstrategien im globalisierten Wirtschaftssystem
Dominantes Paradigma–Interpretativ-verstehend–Qualitative Empirie–Objektiviert-gestaltend, funktionalistisch–Quantitative Empirie

Tab. 10: Wissenschaftsgebiete der Interkulturellen Managementforschung

Die Integration verschiedener Disziplinen zur Interkulturellen Managementforschung konnte bewusster erfolgen, nachdem die Unterschiede zwischen verschiedenen disziplinären Ansätzen herausgearbeitet und benannt wurden. So unterscheidet Sorge (2004b) als die hauptsächlichen Ansätze der kulturvergleichenden Organisationsforschung Kulturalismus, Symbolischer Interaktionismus und Institutionalismus, dem sich eklektische Ansätze zugesellen (Tab. 11).


AnsatzAussageKulturAutoren
KulturalismusGeht davon aus, dass sich Gesellschaften »vor allem hinsichtlich ihrer grundlegenden Werte unterscheiden« (Sorge 2004b, 718)System von Werthaltungen einer GemeinschaftHofstede 1980, 2001
Symbolischer InteraktionismusFragt nach der »qualitativen Besonderheit von Handlungen und Strukturen aus dem gemeinten, inter-subjektiv geteilten und sozial auf andere Handelnde und Artefakte bezogenen Sinn« (Sorge 2004b, 719)Symboliken, Handlungspraktiken und Wissensbestände von GemeinschaftenBerger/Luckmann 1966; D’Iribarne 1989
InstitutionalismusUntersucht »die in Institutionen wurzelnden Wege der Koordination und Steuerung von Transaktionen in und zwischen Unternehmen« (Sorge 2004b, 719)Überdauernde Handlungspraktiken, die zur Legitimitätswahrung entwickelt, übernommen und modifiziert werdenWhitley 1999; Hall/Soskice 2001
Eklektische Ansätze, wie z. B. gesellschaftlicher Effekt»Auf einer hauptsächlich interaktionistischen Grundlage der Wechselwirkungen zwischen Handlungs- oder Sinnsystemen einerseits und der wechselseitigen Konstituierung von Akteuren (mit Wissen und Orientierungen) sowie inter-subjektiven Artefakten anderseits werden gesellschaftliche Verschiedenheiten in der Gestaltung von verschiedenartigen Gebilden und Handlungen erklärt« (Sorge 2004b, 720)Kultur als interaktionistische Wechselwirkungen zwischen Handlungs- und Sinnsystemen sowie den Akteuren selbstMaurice et al. 1982; Maurice/Sorge 2000

Tab. 11: Ansätze kulturvergleichender Organisationsforschung (nach Sorge 2004b, 718)

Dass sich auf dem Weg der interdisziplinären Zusammenführung der Interkulturellen Managementforschung Friktionen in Bezug auf grundlegende Paradigmen, Forschungsannahmen und Methoden zeigen würden, war zu erwarten: Die jeweils disziplinären Sozialisationen üben eine hohe Prägekraft aus (Schmid/Oesterle 2009). Obwohl dieser interdisziplinäre Abgleich noch nicht abgeschlossen ist, ergibt sich gerade hieraus die Stärke der Interkulturellen Managementforschung: Sie macht Interkulturalität in Bezug auf Organisationen und Management in einer Weise verständlich, dass interpretative, sozial konstruierte Einsichten mit strategisch-ökonomischen Kalkülen abgestimmt werden können.

 

Die interdisziplinäre Konvergenz zeigt sich besonders anschaulich an der Institutionalisierung der Interkulturellen Managementforschung. So werden Publikationen aus diesem Feld disziplinübergreifend wahrgenommen und auf internationalen Konferenzen zur Interkulturellen Managementforschung treffen sich inzwischen Sozial- und Kulturwissenschaftler mit Wirtschaftswissenschaftlern zu einem Diskurs, der nicht primär ihre Unterschiedlichkeit in den Vordergrund stellt. Als anerkannte Publikationsorgane dienen spezifische Zeitschriften wie etwa Cross-Cultural & Strategic Management, International Journal of Cross-Cultural Management, European Journal of Cross-Cultural Competence and Management, International Journal of Intercultural Relations und Journal of Intercultural Communication Research. Auch wissenschaftliche Vereinigungen wie IACCM (International Association of Cross-Cultural Competence and Management) und SIETAR (Society for Intercultural Education, Training and Research) sind wichtige Foren, die ausgehend von der Forschung teilweise immer stärker die Praxis interkulturellen Trainings und interkultureller Beratung durchdringen. An Hochschulen ist Interkulturelles Management inzwischen ein etabliertes Fach, für das attraktive Studiengänge bestehen.

Gegenwart: Gegenstandsbereich der Forschung

Das Objekt der Interkulturellen Managementforschung ist das Interkulturelle Management. Seine Definition ist nicht einheitlich, verweist aber durchgehend auf einen spezifischen Kontext, Akteure, ihr Verhalten und ihr Zielsystem (Tab. 12).


AutorDefinition
Adler 1986, 10–11»Cross-Cultural Management studies the behavior of people in organizations around the world and trains people to work in organizations with employees and client populations from several cultures. It describes organizational behavior within countries and cultures; compares organizational behavior across countries and cultures; and, perhaps most importantly, seeks to understand and improve the interaction of co-workers, clients, suppliers, and alliance partners from different countries and cultures.«
Bergmann 1993, 197»Es geht beim interkulturellem Management um das Gestalten der Zusammenarbeit von Personen, die auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen eine Situation: verschieden wahrnehmen (Perzeption), sie verschieden erleben (Fühlen) und, auf sie verschieden reagieren (Handeln), wobei wir, ohne Kultur definieren zu wollen, davon ausgehen, dass man in der Tat, sowohl das System gesellschaftlicher Verhaltensweisen, als auch das ihm zu Grunde liegende Wert- und Sinnsystem berücksichtigen muss.«
Kumar 1995, 684»Von interkulturellem Management spricht man dann, wenn Managementaufgaben in (interkultureller) Interaktion mit Menschen aus fremden Kulturen oder/und mit fremdkultureller Umwelt wahrgenommen werden. Dabei ist stets die Frage immanent – und insofern als (latenter) Bestandteil der Definition anzusehen –, ob die eigenen Lösungsmuster im Rahmen der interkulturellen Interaktion gültig sind oder angepasst werden müssen, um die angestrebten Ziele zu erreichen.«
Barmeyer 2012a, 118»Forschungs- und Praxisfeld, das sich mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Fach- und Führungskräften verschiedenkultureller Zugehörigkeit im Rahmen interpersonaler Interaktionen und organisationaler Prozesse beschäftigt und sich auf Theorien und Konzepte der Sozial- und Kulturwissenschaften stützt. Im Rahmen von Managementaktivitäten (wie Strategie, Organisation, Planung, Führung, Kontrolle usw.) werden diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten anhand von Wahrnehmungsmustern, Grundannahmen, Denkhaltungen und Arbeitsweisen deutlich.«

Tab. 12: Definitionen Interkulturellen Managements

Diese Definitionen machen deutlich, dass dem Interkulturellen Management ein kulturalistisches Paradigma zugrunde liegt, das Kultur als einen zentralen Einflussfaktor auf Arbeitsverhalten und Organisationen (Strukturen, Prozesse, Kultur und Strategien) ansieht. Demzufolge kann Wissen über Logiken und Funktionsweisen von Kultur und Interkulturalität zu einer konstruktiveren Zusammenarbeit beitragen. Zentrales Anliegen ist somit, interkulturelle Beziehungen in Organisationen zu (1.) beschreiben und zu (2.) analysieren, um sie bewusst konstruktiv zu (3.) gestalten. Kultur ist zudem ein Erklärungsfaktor für menschliches Verhalten, für Kommunikation und Kooperationen in und zwischen Organisationen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob und wie die eigenen Lösungsmuster im Rahmen der interkulturellen Interaktion gültig sind oder angepasst werden müssen, um die angestrebten Ziele zu erreichen. In diesem Sinne stehen – interkulturelle – Kommunikations- und Interaktionsprozesse und ihre Wirkung beim Gegenüber im Mittelpunkt.

Als Wissenschaft verfolgt die Interkulturelle Managementforschung drei Ziele:

–wissenschaftliche Ziele (Empirismus und Rationalismus): das Analysieren, Verstehen und Erklären kultureller Spezifika, kultureller Unterschiede und interkultureller Interaktionen;

–praxisorientierte Ziele (Pragmatismus): das konstruktive Gestalten von Kulturkontakten, um persönliche und organisationale Ziele leichter zu erreichen;

–gesellschaftliche Ziele (Humanismus): das Beitragen zu friedvollem Miteinander und Völkerverständigung durch Verständnis für kulturelle Unterschiedlichkeit in einem humanistischen Sinn.

Dabei bezieht sie sich auf die gesamte Breite des Managementhandelns. Klassische Themenbereiche des Interkulturellen Managements in Lehrbüchern (Adler 1986; Schneider et al. 2014; Thomas/Peterson 2015) oder Sammelwerken (Bhagat/Steers 2009; Chanlat et al. 2013; Holden et al. 2015a; Mayrhofer 2017) betreffen die interkulturelle Führung von Menschen, die Organisation von Unternehmen im internationalen Kontext sowie das Personalmanagement in einem von interkulturellen Dynamiken geprägten Arbeitskontext (Tab. 13).


FührungFührungsverhalten und -stilInterpersonale Kommunikation und InteraktionFührungseinstellungenWerthaltungenArbeitsverhalten und Arbeitszufriedenheit Verhalten in Arbeitsgruppen
OrganisationPlanungsprozesseEntscheidungsstilUmsetzungsprozesseKommunikationsprozesse und InformationsprozesseArbeitsteilungOrganisationsentwicklungOrganisationskultur
PersonalmanagementPersonalbeschaffung und -auswahlPersonalbeurteilungAnreiz- und EntlohnungssystemePersonalentwicklungAuslandsentsendung und ReintegrationIntegration von Mitarbeitern aus anderen Kulturen

Tab. 13: Bereiche kulturvergleichender und Interkultureller Managementforschung (angelehnt an Holzmüller 1995, 46)

Wichtig zur Abgrenzung der Interkulturellen Managementforschung ist es zu bestimmen, was sie nicht ist. So ist sie weder ein Sammelsurium verwunderlicher oder erheiternder Anekdoten interkultureller Begegnungen und kulturellen Besonderheiten noch eine Sammlung konkreter Handlungsempfehlungen »How to do business with …« für den Umgang mit anderskulturellen Menschen. Sie lässt sich nicht auf die Erforschung der Auslandsentsendung von Mitarbeitern in multinationalen Unternehmen reduzieren. Und Interkulturelle Managementforschung ist auch nicht mit einer Grundnormativität versehen, etwa im Sinne von »Man muss sich an andere Kulturen immer anpassen«. Vielmehr ist sie ein faszinierendes, interdisziplinäres und ganzheitliches Forschungs- und Praxisfeld, das durch seine Vielfalt, Komplexität und Multiperspektivität ein systemisches Herangehen erfordert.

Zukunft: Forschungsherausforderungen

Einerseits hat sich Interkulturelle Managementforschung als wichtiges internationales Forschungsfeld etabliert: »Few can doubt the importance of cross-cultural management as a field of ever greater significance in the pantheon of academic management disciplines, and their related streams of literature. It has in recent years matured in both depth and scope.« (Holden et al. 2015b, xlv)

Andererseits kann Interkulturelle Managementforschung als ein sich weiterentwickelndes Forschungsgebiet angesehen werden (Barmeyer 2004a). Mit dem Zuwachs an Erkenntnis können auch Forschungslücken, Forschungsdesiderate und Forschungskritik klarer benannt und konstruktiv angegangen werden. In einer solchen Phase kritischer (Selbst-)Reflektion befindet sich die Interkulturelle Managementforschung zurzeit. In dieser Phase kommen auch die kulturellen Dynamiken im Weltmaßstab – sei es in der Politik, der Gesellschaft, dem Ökosystem oder der Religion – zum Tragen, die ihrerseits vielfältige Herausforderungen an Fragestellungen, Untersuchungen und Lösungsvorschläge mit sich bringen.

Zukünftige Herausforderungen der Interkulturellen Managementforschung setzen an den gängigen Kritiken an, die vielfach geäußert werden. Diese spiegeln – im Sinne eines Überblicks – die zehn kritischen Feststellungen wider, die wesentliche Grundcharakteristika der bisherigen Interkulturellen Managementforschung aufgreifen, hinterfragen und Perspektiven aufzeigen (Tab. 14). Einzelne ausgewählte Aspekte werden in den nachfolgenden Abschnitten ein wenig vertieft.


Zielrichtung von KritikKritische Feststellung zur bisherigen Interkulturellen ManagementforschungAntworten (unter anderem in diesem Buch)
(1) GrundparadigmaHäufig steht das positivistische Paradigma im Vordergrund, das Kultur und interkulturelle Beziehungen als messbar und von außen deterministisch gestaltbar ansieht. Es dominiert die quantitative Forschung.Stellenwert des interpretativen Paradigmas, das davon ausgeht, dass Kultur erlebt und beobachtet und von innen mitgestaltet werden muss, nimmt zu. Qualitative Forschung gewinnt an Bedeutung.
(2) ErkenntnisinteresseInterkulturelle Managementforschung zielt häufig entweder auf rein theoretische oder auf rein praxisorientierte Erkenntnisse ab.Verzahnung von Theorie und Praxis nimmt zu.
(3) Kulturelle Prägung der ForschungDominanz westlicher und US-amerikanischer Forschung mit Paradigmen, Modellen, Instrumenten und untersuchten Grundgesamtheiten führt zu einer systematischen Verzerrung (Bias) der Forschungsergebnisse.Forschungen aus nicht-westlichen Ländern und mit Bezug auf nicht-westliche Kontexte werden verstärkt berücksichtigt.
(4) InterdisziplinaritätBislang dominieren in diesem Forschungsgebiet noch zu stark die zwei monodisziplinären Felder »Interkulturforschung« und »Managementforschung«.Interdisziplinarität der Interkulturellen Managementforschung nimmt aktuell zu.
(5) Zugrunde gelegtes KulturkonzeptVorrangig werden simplifizierende, statische Kulturkonzepte verwendet.Interkulturelle Managementforschung weitet sich auf offene, dynamische Kulturkonzepte aus.
(6) TerminologieEs findet eine Verwechslung und Vermischung verschiedener Begriffe wie Kultur, kulturspezifisch, Kulturvergleich und Interkulturalität statt. Die Begrifflichkeit ist teilweise beliebig, teilweise inhaltsleer.Saubere Trennung in Kulturspezifika, Kulturvergleich und interkulturelle Führung (»Interkultureller Dreischritt«) dient der klaren Konzeption der Interkulturellen Managementforschung.
(7) ReferenzsystemEs wird zu wenig differenziert, auf welcher Aggregationsebene Interaktionen stattfinden, ob sie also individuell, gruppenbezogen oder gesamtkulturell erfolgen.Geschichtet-differenzierte Analyse einzelner Akteure, sozialer Systeme (wie zum Beispiel Organisationen) und ganzer Gesellschaften (»Drei-Ebenen-Modell«) ist notwendig.
(8) NutzenerwartungVielfach sollen konkrete, häufig operative Probleme im Rahmen gegebener Kulturbedingungen gelöst werden können.Verschiebung in Richtung komplementär-synergetischer Lösungen, die zudem strategischer gedacht und damit langfristiger gestaltet werden, ist zu beobachten.
(9) GeneralisierungsanspruchHäufig werden aus empirischen Befunden universelle, dekontextualisierte Schlussfolgerungen abgeleitet.Moderner Forschungsansatz wählt einen holistisch-systemischen Betrachtungsfokus und kontextualisiert bewusst, beispielsweise auf der Organisationsebene.
(10) LegitimitätLegitimität von wirtschaftlicher Rationalität und Umgang mit Kultur wird vorausgesetzt und nicht hinterfragt.Kritische Ansätze wie die Critical Management Studies und die kritische Kulturtheorie hinterfragen den Zweck der Forschung.

Tab. 14: Zehn kritische Feststellungen und Antworten zur Interkulturellen Managementforschung