Konstruktives Interkulturelles Management

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Internationalisierung von Organisationen als Kontext der Interkulturalität

Makrokontext: Internationalisierung und Globalisierung

Der Kontext jeglicher Interkultureller Managementforschung ist das Phänomen, das mit Internationalisierung und Globalisierung bezeichnet wird: das Zusammenrücken verschiedener Kontinente und Länder, das Miteinanderumgehen von Personen unterschiedlicher Herkunft, die bewusste Nutzung der gesamten Welt als politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Tätigkeitsfeld. Dass diese Internationalisierung und Globalisierung ein Ergebnis der technologischen Entwicklung von der Mobilität bis hin zur Kommunikation ist, liegt auf der Hand. Beide Begriffe, die sich auch synonym verwenden lassen, verweisen auf die Gleichzeitigkeit von Passivität und Aktivität (Tab. 2):

–Passivität betrifft die Verwischung von Grenzen, denen Akteure weltweit ausgesetzt sind. So tragen der Anstieg internationaler Migration oder die Möglichkeiten der kommunikativen Erreichbarkeit von Menschen untereinander zur Internationalisierung ihrer Kontexte bei.

–Aktivität hingegen betrifft die gezielte Verwischung von Grenzen, die durch Akteure absichtsvoll betrieben wird. Immer mehr Organisationen weiten ihre ökonomischen Aktivitäten (Unternehmen) und nicht-ökonomischen Aktivitäten (Non-Profit-Organisationen) auf immer weitere Regionen der Welt aus.


Beispiel Passivität: ZuwanderungBeispiel Aktivität: Export
»Deutschland schrumpft, heißt es in allen Prognosen. In Wahrheit aber nimmt die Bevölkerung in den letzten Jahren zu. Der Grund: Nicht die Zahl der Geburten, wohl aber die Zahl der Zuwanderer entwickelt sich im Saldo positiv: plus 430.000 Menschen im Jahr 2013, plus 500.000 Menschen 2014.« (Handelsblatt, 4. August 2014)»Nichts scheint die hiesige Exportindustrie stoppen zu können. 2014 haben deutsche Unternehmen so viele Waren in alle Welt geliefert wie nie zuvor. Wie das Statistische Bundesamt gestern mitteilte, setzten die Firmen Produkte im Wert von 1,13 Billionen Euro im Ausland ab – ein Plus von 3,7 Prozent zum Vorjahr.« (Handelsblatt, 10. Februar 2015)

Tab. 2: Beispiele zu Passivität und Aktivität von Internationalisierung und Globalisierung

In der Konsequenz intensivieren sich mit Internationalisierung und Globalisierung grenzüberschreitende Kontakte, soziokulturelle Diversität in Gesellschaften und soziokulturelle Diversität innerhalb von Organisationen: »Immer wieder bestätigt auch der triviale Kern, der sich im Inneren des Begriffs verbirgt: die Welt wird zusehends ›kleiner‹ und Entferntes wird immer stärker miteinander verknüpft. Zugleich wird sie ›größer‹, weil wir noch niemals weitere Horizonte überschauen konnten« (Osterhammel/Petersson 2012, 8). Der Kontakt zwischen Nationen und ihren Gesellschaften intensiviert sich kontinuierlich durch komplexe Transfer- und Diffusionsprozesse sowie durch Migration. Die Nationen reagieren darauf, indem sie aktiv mitgestalten – etwa durch die Einrichtung von Regeln und Institutionen, die auf einer dem Nationalstaat übergeordneten Ebene angesiedelt sind, der Supranationalisierung (Sorge 2009, 10).

Die Forschung zu Internationalisierung und Globalisierung befasst sich mit internationalen Verflechtungen, und zwar häufig in kritischer Weise mit deren politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Ursachen und Effekten. Hierzu gehört vor allem die Kritik an globalen Machtstrukturen, ausgelöst, entwickelt und aufrechterhalten durch bestimmte Nationalstaaten oder durch multinationale Unternehmen, die zu gesellschaftlicher Ungleichheit und ökonomischen Asymmetrien beitragen: »Globale Verflechtungen werden von Staaten, Firmen, Gruppen, Individuen aufgebaut, erhalten, umgeformt und zerstört. Sie sind Gegenstand von Interessenkonflikten und Politik. Sie produzieren Gewinner und Verlierer – gleiches gilt allerdings auch für die Zerstörung globaler Strukturen« (Osterhammel/Petersson 2012, 112). Es kommen Dynamiken der Entnationalisierung oder Denationalisierung in Gang, die zu Macht- und Bedeutungsverlust von Nationalstaaten führen können, wie es etwa der Soziologe Ulrich Beck betont: »Globalisierung ermöglicht, was vielleicht im Kapitalismus latent immer galt, aber im Stadium einer sozialstaatlich-demokratischen Bändigung verdeckt blieb: dass die Unternehmen, insbesondere die global agierenden, nicht nur eine Schlüsselrolle in der Gestaltung der Wirtschaft, sondern der Gesellschaft insgesamt innehaben […]. Die global agierende Wirtschaft untergräbt die Grundlagen der Nationalökonomie und der Nationalstaaten« (Beck 1997, 14).

Globalisierung ist dabei kein neues Phänomen – in der Vergangenheit trug bereits der europäische Kolonialismus Züge der Globalisierung –, sondern hat durch die Modernisierung ein neues Ausmaß angenommen: »Globalisierung hängt mit Modernisierung eng zusammen. Strukturbildende Fernverpflichtungen gab es schon in vormoderner Zeit. Aber erst die kulturelle Kreativität der europäischen Moderne – Stichworte wären Rationalität, Organisationen, Industrie, Kommunikationstechnologie – ermöglichte Verflechtungen von neuartiger Reichweite und Intensität. Umgekehrt spielte sich die Entfaltung der europäischen Modernen von Anfang an in einem globalen Rahmen ab. Asien, China und die islamische Welt, später die beiden Amerikas, Afrika und die Südsee – sie alle lieferten Bezugspunkte für den Selbstentwurf Europas als einer universalen Zivilisation« (Osterhammel/Petersson 2012, 112).

Eine zentrale Forschungsfrage der Internationalisierung betrifft »Konvergenz versus Divergenz«: Nähern sich die Wege, wie internationale Organisationen und ihre Akteure mit kultureller Vielfalt umgehen, durch Diffusions- und Transferprozesse einander an (Konvergenz), oder bilden sich kulturspezifisch unterschiedliche Wege der Bewältigung kultureller Vielfalt heraus (Divergenz)? Die Konvergenzthese geht von einer Angleichung kultureller und institutioneller Merkmale aus und besagt, dass Organisationen und Management rationale Muster zur Lösung betrieblicher Probleme aufweisen und dass das Streben nach Effizienz keinen Spielraum für unterschiedliche kulturelle Lösungen zulässt. Die Divergenzthese dagegen unterstellt eine Zunahme kultureller und institutioneller Merkmale; deshalb müssen Organisationen und Management den nationalen kulturellen Gegebenheiten Rechnung tragen, um erfolgreich zu sein (Tab. 3). Seit Jahrzehnten findet diese Diskussion statt (Albert 1991; Whitley 1999; D’Iribarne 2001; Kieser/Walgenbach 2010; Adler 2008; Sorge 2009; Barmeyer/Öttl 2011; Scholz 2014a). So herrschte lange Zeit in der Managementlehre und Organisationsforschung die Annahme, Managementmodelle und -praktiken seien universell, was sich in den Debatten zwischen den Positionen Culture Free (Hickson/McMillan 1981; Maurice/Sorge 2000) und Culture Bound (Hofstede 1980; D’Iribarne 1989) niederschlug.


KonvergenzDivergenz
AussageAbnahme bzw. Angleichung kultureller UnterschiedeZunahme bzw. Beständigkeit kultureller Unterschiede
Konsequenzkulturelle Homogenitätkulturelle Heterogenität
Vertreter»Universalisten«»Kulturalisten«
ManagementManagement existiert unabhängig vom kulturellen UmfeldManagement ist geprägt vom kulturellen Umfeld
GefahrenNegierung des Einflussfaktors Kultur kann zu interkulturellen Missverständnissen und Problemen führenÜberbewertung des Einflussfaktors Kultur kann zu einseitigen, nachträglich vorgeschobenen Erklärungsmustern führen

Tab. 3: Konvergenz und Divergenz im Interkulturellen Management (Barmeyer 2000, 38)

Die ethnozentrische Haltung, Kulturunterschiede im Management zu unterschätzen, basiert auf einer der Konvergenzthese entsprechenden »Ähnlichkeitsannahme« (Barmeyer 2012a). Diese trifft vor allem auf Gesellschaften zu, die geografisch oder kulturell nah erscheinen. Je intensiver aber die Beschäftigung mit einer anderen Kultur ist, desto größer kann das Bewusstsein der Unterschiedlichkeit werden, was die Divergenzthese stützt: »Many cultures that appear quite similar on the surface, frequently prove to be extraordinarily different on closer examination« (Hall 1983, 7).

Verschiedene weltweit vergleichende Länder-Studien und Indizes wie Corruption Perception Index, Doing Business, Global Innovation Index, Global Creativity Index oder Global Gender Gap Report weisen auf ausgeprägte kulturelle und institutionelle Divergenzen hin, die Auswirkungen auf internationale Organisationen haben können: Während angelsächsische und nordwesteuropäische Unternehmen beispielsweise strenge Compliance-Vorschriften bezüglich Korruption aufweisen, werden in anderen Ländern durch sogenanntes »korruptes« Verhalten (Geschenke, Einladungen, »Schmiergeld«) Geschäfte überhaupt erst möglich. Ebenso schränken administrative Barrieren die Tätigkeit von Organisationen ein oder können sie sogar behindern. Auch Kreativität und Innovation sind in den Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Diese Unterschiedlichkeit trifft auch auf Geschlechterverhältnisse, insbesondere Rollenerwartungen und Karrierechancen, von Frauen und Männern in Organisationen zu.

Sicherlich weisen diese weltweiten Länderindizes, die übrigens meist von westlichen Organisationen erstellt werden, auch eine kulturelle Abweichung auf: Dazu gehört die Grundannahme der Transparenz und Vergleichbarkeit von gesammelten Daten auf Grundlage eines positivistischen Paradigmas, samt dem Glauben an die Erstellung etischer Vergleichskategorien. Trotz aller Kritik geben diese Länder-Indizes eine gewisse Orientierung und zeigen die bestehende kulturelle Divergenz auf, mit der sich international agierende Organisationen beschäftigen müssen.

 

Mesokontext: Internationale Organisation

Als soziale Gebilde (Mayntz 1963; Chanlat 1990) sind Organisationen zentrale Orte zwischenmenschlichen, beruflichen und auch interkulturellen Handelns. Eine Organisation wird verstanden als soziales System von Akteuren, die Ressourcen und Kompetenzen aufweisen und unter bestimmten strukturellen und strategischen Voraussetzungen zur Erreichung von Zielen beitragen (March/Simon 1958; Mayntz 1963; Schreyögg 2012). Der Stellenwert von Organisationen im menschlichen Leben ist prägend:

»Wir leben in einer Organisationsgesellschaft. Die meisten von uns sind in einer Organisation auf die Welt gekommen, und die meisten von uns werden in einer sterben. Zwischen diesen Ereignissen haben wir sehr viel mit Organisationen zu tun. In Organisationen werden wir erzogen und ausgebildet. Fast alle Produkte und Dienstleistungen, die wir erwerben, stammen von Organisationen. Organisationen sind unausweichlich. Organisationen bestimmen weitgehend, welche Leistungen uns zur Verfügung stehen, und sie legen auch fest, zu welchen Bedingungen wir diese Leistungen in Anspruch nehmen können. Dies hat sowohl ganz konkrete, unmittelbare Konsequenzen für unser persönliches Verhalten als auch weitreichende gesamtgesellschaftliche Implikationen.« (Kieser/Walgenbach 2010, 24–25)

Insofern umschließt das Konzept Organisation nicht nur Unternehmen, die eine Gewinnabsicht verfolgen, sondern auch andere soziale Systeme wie Schulen und Hochschulen, Krankenhäuser, Behörden und Verwaltungen oder internationale Organisationen.

In diesem Buch stehen vor allem erwerbswirtschaftliche Organisationen, Unternehmen, im Vordergrund. Dies hat zum einen mit der Tradition des Interkulturellen Managements zu tun, das sich in der Vergangenheit vor allem auf Unternehmen bezogen hat (Smith et al. 2008). Zum anderen sind die meisten empirischen Arbeiten in Unternehmenskontexten entstanden; wenn auch zunehmend Forschungen zur Interkulturalität in Behörden (wie etwa Polizei oder Bundeswehr), in öffentlichen Betrieben und auch in NGOs (nicht-staatliche Organisationen) entstehen. Viele Merkmale von Organisationen, wie Ziele, Strategien, Strukturen, Prozesse und Kulturen, die sich in sozialen Systemen generell finden, gelten für erwerbswirtschaftliche und andere Formen von Organisationen.

Internationalisierung und Globalisierung haben in vielerlei Hinsicht das traditionelle Weltbild der kohärenten, kontinuierlich gewachsenen und relativ stabilen Organisation ins Wanken gebracht. Globalisierung bedeutet, Aktivitäten mit weltweiten Märkten von Kunden und Shareholdern und damit auch weltweiter Wettbewerb um Marktanteile, Produkte, Dienstleistungen und Mitarbeiter. Organisationen, vor allem multinationale Unternehmen, entwickeln sich somit durch Zunahme ihrer Geschäftstätigkeit nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland, etwa durch die Gründung oder den Erwerb von Tochtergesellschaften (Schmid 1996). Dies führt dazu, dass so manches Unternehmen vom »Heimspieler« zum »Global Player« wurde und sowohl mit interkulturellen externen Herausforderungen internationaler Märkte als auch mit interkulturellen internen Anforderungen von Organisationen und Mitarbeitern konfrontiert ist.

Um dem steigenden Konkurrenzdruck standzuhalten, suchen Unternehmen nach adäquaten wettbewerbsfähigen Globalisierungsstrategien. Dabei lautet die Strategie der Unternehmen vor allem: Marktmacht und scheinbare Stabilität durch Größe sowie geographische und funktionale Diversifizierung. Dies schlägt sich in den angestrebten internationalen Kooperationsformen nieder. Hier hat in den letzten Jahren nicht nur die Intensität der Kooperationsbeziehungen zugenommen, sondern ebenso wurden viele der bisher vorherrschenden lockeren Kooperationsformen durch organisationelle Veränderungen und Zusammenschlüsse, wie etwa Unternehmensübernahmen, Joint-Ventures und Fusionen, abgelöst (Urban/Mayrhofer 2001).

Die Gestaltung einer internationalen Organisation hängt unter anderem von der strategischen Ausrichtung, aber auch von der Landes-, Branchen- und Organisationskultur ab (Perlmutter 1969; Bartlett/Ghoshal 1997; Evans et al. 1989; Wächter/Peters 2004). Diese komplexen Konstellationen haben dazu geführt, dass weltweit tätige Großunternehmen bei ihrer Geschäftstätigkeit häufig kostenintensive Misserfolge und Überraschungen erfuhren, wie es in der Vergangenheit erfolglose Zusammenschlüsse wie Alcatel-Lucent, BMW-Rover, DaimlerChrysler, Renault-Volvo, Siemens-Areva, VW-Suzuki gezeigt haben. Gründe für diese Misserfolge werden von Führungskräften, Unternehmensberatern und Wissenschaftlern seit Jahren im Rahmen des Interkulturellen Managements untersucht. Dabei scheinen sowohl Unterschiede der National- als auch der Organisationskultur wie auch die von den beteiligten Akteuren erfahrene Interkulturalität eine Rolle zu spielen. Gleichwohl existieren, wenn auch weniger, erfolgreiche internationale Fusionen oder Allianzen, wie Airbus, Air-France-KLM oder Renault-Nissan, denen es gelungen ist, mit den interkulturellen Herausforderungen konstruktiv umzugehen.

Angestrebt werden häufig »internationale Synergieeffekte« – also, dass sich die internationale Kooperation durch sinnvolle Ergänzung kultureller Eigenheiten und durch vielfache Nutzung einmal definierter Verfahren im Sinne einer lohnenden Investition amortisiert. Dass Synergie nicht so einfach zu erreichen ist, zeigen kostenintensive »Überraschungen« im Rahmen von Internationalisierungsaktivitäten.

An betriebswirtschaftlichen Erklärungen für Misserfolge und Kapitalvernichtung bei Auslandsengagements mangelt es nicht: Begründet werden sie häufig durch die ungünstige Wirtschaftslage, Strategie- und Marketingfehler, unüberschaubare finanzielle Situation, Sachzwänge oder persönliche Unstimmigkeiten zwischen Entscheidungsträgern. Wenn diese Begründungen nicht plausibel genug erscheinen und der Leidensdruck der Betroffenen im Unternehmen zunimmt und zu Ratlosigkeit und Demotivation führt, werden »Kultur« oder »kulturelle Unterschiede« zum Thema. Erst dann – und meist zu spät – kommt die Erkenntnis, dass nicht Unternehmen kooperieren und fusionieren, sondern Mitarbeiter, also Menschen, mit spezifischen kulturabhängigen Werten, Wünschen, Zielen, Erwartungen, Maßstäben und Verhaltensweisen, die das Management generell und die Arbeit in Organisationen prägen. Somit weisen internationale Fusionen einen höheren Komplexitätsgrad als nationale Fusionen auf, da nicht nur (a) verschiedene Mitarbeiter und (b) Organisationskulturen aufeinandertreffen, sondern auch (c) verschiedene Landeskulturen.

Die Internationalisierungsaktivitäten internationaler Organisationen betreffen viele Handlungsfelder:

–Organisationen verknüpfen ihr Handeln und auch die Handelnden grenzüberschreitend (Transnationalisierung). Dabei steuern sie bewusst ihre internationale Verflechtung (Kutschker/Schmid 2011; Urban/Mayrhofer 2011).

–Das multinationale Unternehmen (MNU) wird zur zentralen Organisationseinheit einer globalisierten Weltwirtschaft (Geppert/Mayer 2006; Heidenreich 2012).

–Die Komplexität zur Steuerung multinationaler Unternehmen nimmt mit der Vielfalt der Muttergesellschaft-Tochtergesellschaft-Beziehungen zu.

–Die Ressourcenbeschaffung betrifft – insbesondere im Hinblick auf das Personal – verschiedene kulturelle und institutionelle Kontexte.

–Internationalisierungsstrategien bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Prozessgestaltung und Anpassung an die Konsequenzen der Internationalisierung.

Festzuhalten bleibt: So universell wie oft dargestellt sind Organisationen nicht. In einer konstruktivistischen Sicht auf Organisationen finden diese »vor allem in den Köpfen der Organisationsmitglieder statt« (Kieser/Walgenbach 2007, 59). Strukturen und Prozesse von Organisationen existieren und funktionieren erst durch die subjektiven geteilten Vorstellungen der Akteure, der Organisationsmitglieder. Diese konstruieren eine soziale Wirklichkeit (Berger/Luckmann 1966; Luhmann 1984), indem sie kommunizieren, interagieren und gegenseitiges Verhalten interpretieren (Chanlat 1990; Hammerschmidt 1997). In diesem Sinne verstehen March und Simon (1958) Organisationen nicht nur als funktionale bürokratische maschinengleiche Systeme, sondern als eine Kombination von sozialen Rollen und Verhaltensweisen mit dazugehörigen Haltungen, Wahrnehmungen, Werten, Erfahrungen und Zielen, die auf einem kollektiven Gedächtnis beruhen: »Organisationen sind somit keine objektiven Gegebenheiten, sondern beruhen im Wesentlichen auf den Kognitionen von Organisationsmitgliedern.« (Kieser/Walgenbach 2007, 60). Damit wird der Bezug zu Kultur und Interkulturalität deutlich:

»Organizations are cultural constructs and, at the end of the day, any social system is a set of relationships between actors. The essence of these relationships is communication. Communication is the transport of information and information is the carrier of meaning. Since culture is the system of shared meaning, the organization is essentially a cultural construct.« (Trompenaars 2003, 183)

So beschäftigen sich einige Vertreter der vergleichenden Organisationsforschung (Chanlat 1990; Gmür 2006) mit unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen an eine Organisation. Eine anschauliche Gegenüberstellung präsentieren Amado, Faucheux und Laurent (1991) mit ihrer Differenzierung in eine funktionale Organisationssicht, die unter anderem in anglophonen, germanophonen und skandinavischen Kontexten verbreitet ist, und in eine personenorientierte Organisationssicht, welche in romanischen und ostasiatischen Kontexten anzutreffen ist. Die funktionale, heterarchisch geprägte Organisation versteht sich als ein Aufgabensystem, das primär dazu da ist, durch die Delegation von Aufgaben und Verantwortung Ziele zu erreichen. Sie setzt Instrumente ein, die ein hohes Maß an Partizipation und Eigenverantwortung voraussetzen und fördern, wie MBO (Management by objectives), Empowerment, 360°-Feedback und Matrix-Organisation. Im Kontrast hierzu versteht sich die personenorientierte Organisation als soziales System, das horizontal durch intensive gemeinschaftliche Beziehungen und vertikal durch ausgeprägte hierarchische Autoritäten der Akteure gekennzeichnet ist. Die personenorientierte Organisation zielt darauf ab, Ordnung und Leistungsfähigkeit durch eindeutige hierarchische Strukturen der Autoritätsbeziehungen herbeizuführen. Die funktionale Organisation dagegen strebt nach Ordnung und Leistungsfähigkeit durch eine heterarchische Verteilung der aufgabenbezogenen Verantwortung der Akteure (Tab. 4).


Funktionale SichtweisePersonenorientierte Sichtweise
Die Organisation wird in erster Linie als ein System wahrgenommen, in dem Aufgaben zu erfüllen, Funktionen zu akzeptieren und Ziele zu erreichen sind.Die Organisation wird in erster Linie als ein soziales System verstanden, das eine Gemeinschaft von Personen, die an einem Projekt arbeitet, vereint.
Strukturen werden nach ihren Aktivitäten und Aufgaben definiert.Strukturen werden nach dem Grad der Autorität und des Status definiert.
Funktionale Positionierung der Akteure innerhalb der Struktur.Soziale Positionierung der Akteure innerhalb der Struktur.
Management muss Aufgaben koordinieren und Verantwortlichkeiten definieren.Management muss Beziehungen zwischen den Akteuren koordinieren und Spielräume von Autorität definieren.
Wer ist für was verantwortlich?Wer hat über wen eine Autoritätsbefugnis?
Autorität liegt in der Funktion. Sie wird begrenzt und unpersönlich ausgeübt.Autorität ist das Attribut einer Person. Sie wird diffus, allgemein und personalisiert ausgeübt.

Tab. 4: Implizite Modelle von Organisationen (Amado et al. 1991, 82, Auszug, unsere Übersetzung)

Exemplarisch für viele weitere Organisationsmodelle dienen diese kontrastiv dargestellten Organisationsmodelle als Beispiele divergierender Annahmen und Vorstellungen, die Auswirkungen auf das Interkulturelle Management haben: Die funktional-fachliche Organisation der »geölten Maschine« (Hofstede/Hofstede 2005) funktioniert beständig und gleichmäßig, wenn Ziele und Regeln geklärt sind. Sie eignet sich zur gleichberechtigten Wissenszirkulation und zur effizienten Kooperation und bedarf keiner Präsenz einer personalisierten Autorität. Fraglich ist, wie flexibel und schnell diese Organisationsform auf unerwartete Kontextveränderungen eingehen kann.

 

Die hierarchisch-personenorientierte Organisation hat einen ungleichmäßigeren Rhythmus, bietet jedoch auch arbiträre Spielräume: Das stark hierarchisch und starr wirkende Organisationsmodell der »Pyramide von Menschen« (Hofstede/Hofstede 2005) wird vom Modell der personenorientierten Sichtweise durch Flexibilisierung relativiert. Verzögerungen im »bürokratischen System« samt deren Nachteilen werden durch schnelle und kontextangepasste Entscheidungen der Entscheidungsträger an der Spitze ausgeglichen. Gegenüber Veränderungen kann schnell und flexibel reagiert werden.

Um eine internationale Organisation im strategischen Sinne zu managen, bieten sich Internationalisierungsstrategien an. Das prägnanteste und älteste Modell der Unternehmensinternationalisierung stammt von Perlmutter (1969). Es eignet sich besonders zur Darstellung verschiedener Gestaltungsoptionen des interkulturellen Managements, weil die beschriebenen idealtypischen Strategien treffend die verschiedenen Haltungen zur kulturellen Vielfalt und Interkulturalität (Bennett 1993) verdeutlichen.

Perlmutter (1969) unterscheidet drei – später vier – idealtypische Orientierungen, die als Grundstrategien der Organisationsinternationalisierung gelten und die auch für die konstruktive Gestaltung von Interkulturalität wichtig sind (Tab. 5):

–Die ethnozentrische Orientierung, auch »home country attitude«, geht von der Überlegenheit der Muttergesellschaft gegenüber den Tochtergesellschaften hinsichtlich Strategien und Maßnahmen aus. Strategien, Entscheidungen, aber auch Prozesse und Managementmethoden werden als universell angesehen und deshalb von der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaften – häufig als Top-down-Prozess – übertragen. Der Vorteil einer Vereinheitlichung birgt den Nachteil mit sich, dass die spezifischen Bedürfnisse der Auslandsgesellschaften nicht genügend berücksichtigt werden.

–Die polyzentrische Orientierung, auch »host country orientation«, berücksichtigt zahlreiche – auch kulturelle – Unterschiede zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften. Die Existenz verschiedener Denk- und Arbeitsstile, von denen keiner innerhalb des Unternehmensverbundes Priorität genießt, wird akzeptiert. Tochtergesellschaften treffen Entscheidungen demzufolge dezentral und autonom, das heißt ohne Eingriffe der Muttergesellschaft, um landesspezifische Strategien und Methoden lokal umzusetzen. Management findet unabhängig in den jeweiligen Tochtergesellschaften statt. Zentraler Vorteil ist das kontextangepasste Management in den Auslandsgesellschaften; dem gegenüber steht der Nachteil, dass eine Einheitlichkeit und Standardisierung in der internationalen Organisation fehlt.

–Die geozentrische Orientierung abstrahiert von lokalen und nationalen Besonderheiten und strebt eine weltweite Integration der Unternehmensaktivitäten an. Die kompetentesten Manager werden »regardless of their nationality« (Perlmutter 1969, 14) als entscheidungstragende Akteure im ganzen Konzern, also auch in Tochtergesellschaften, eingesetzt. Individuelle Kernkompetenzen werden somit weltweit besser genutzt. Der geozentrische Ansatz kombiniert idealtypischerweise die Vorteile des ethnozentrischen und polyzentrischen Ansatzes.

–Die regiozentrische Orientierung ähnelt der geozentrischen Orientierung, bezieht sich aber dabei auf kleinere, in sich homogene Kulturräume.


EthnozentrischPolyzentrischGeozentrisch
KomplexitätIn der Muttergesellschaft hoch, sonst niedrigUnterschiedlichÜberall hoch, auch wegen Interdependenzen
EntscheidungsfindungNur in der MuttergesellschaftWeniger in der MuttergesellschaftGemeinschaftliche Entscheidungsfindung
KontrolleStandards von der Muttergesellschaft werden exportiertDezentral bestimmte MechanismenUniverselle Standards
KommunikationTop Down, also Anweisungen von Mutter zu TochterWenig zwischen Mutter und Tochter, zwischen Töchtern kaumZwischen allen Einheiten, Mutter ist (nur) gleichberechtigter Partner

Tab. 5: Konsequenzen der Grundstrategien von Perlmutter (1969, 11–14)

Die drei EPG-Grundstrategien (ethnocentric, polycentric, geocentric) existieren nicht in Reinformen, sondern sind meist Kombinationen. Jedoch weisen international agierende Organisationen deutliche Ausprägungen hinsichtlich der einen oder anderen Strategie auf. Strukturell und funktional lassen sich die Grundstrategien etwa auf die Ausrichtung von Bereichen und Abteilungen anwenden. Dabei kann innerhalb einer internationalen Organisation eine große Varietät und Koexistenz an Orientierungen existieren: So können die Bereiche Forschung & Entwicklung ethnozentrisch ausgerichtet sein, Marketing und Vertrieb dagegen polyzentrisch und die Produktion geozentrisch. Auch können die jeweiligen Internationalisierungsstrategien prozessual als Entwicklungsmodell vom Ethnozentrismus über den Polyzentrismus zum Geozentrismus verstanden werden: In der Anfangszeit ihrer Internationalisierung ist die Organisationen noch sehr ethnozentrisch und steuert alles von der Zentrale aus. Mit der Zeit aber werden Verantwortungen zunehmend an die Auslandsgesellschaften abgegeben (Barmeyer 2010).

Die Grundstrategien haben in der Folge ähnliche Klassifikationen nach sich gezogen (z. B. Bartlett/Ghoshal 1997, mit internationalen, multinationalen, globalen und transnationalen Unternehmen).

Wird die Realität internationaler Mutter-Tochter-Beziehungen betrachtet, so lässt sich feststellen, dass viele Unternehmen weltweit zwar als Organisation agieren, die Bandbreite der – interkulturellen – Interaktionen jedoch recht begrenzt bzw. nur auf bestimmte »einfache« Unternehmensfunktionen reduziert ist. Strategisch wichtige Funktionen wie Strategie, Forschung & Entwicklung oder internationales Personalmanagement, also solche mit hoher intellektueller Wertschöpfung, die von kultureller Vielfalt im Sinne der Kombination von Perspektiven- und Ideenreichtum profitieren, sind nach wie vor stark auf die Muttergesellschaft konzentriert und damit ethnozentrisch geprägt und greifen selten auf das vielfältige und große organisationsinterne Reservoir von Ressourcen der eigenen Mitarbeiter der Auslandsgesellschaften zurück.

Viele multinationale Unternehmen ignorieren oder verharmlosen den Einfluss von Kultur auf ihre Aktivität. Nur wenigen gelingt es, daraus Nutzen zu ziehen. Wie Tab. 6 zeigt, eignet sich geozentrische Orientierung am besten zur konstruktiven Gestaltung eines synergetischen interkulturellen Managements: Sie ermöglicht die pluralistische, gleichberechtigte und komplementäre Kombination verschiedenster Sichtweisen, Strategien, Handlungsoptionen und Ressourcen. Jedoch ist sie schwierig umzusetzen. Nicht zuletzt deshalb ist sie in der Realität bislang nur selten anzutreffen.


IgnorierenVerharmlosenNutzen
Annahme: Kultur istirrelevantein Problemein Wettbewerbsvorteil
Beziehung zwischen Mutter- und TochtergesellschaftenEthnozentrischPolyzentrischGeozentrisch
Erwarteter VorteilStandardisierungLokalisierungInnovation
LeistungskriterienEffizienzAnpassungsfähigkeitSynergie
Größte HerausforderungAkzeptanz gewinnenKohärenz erreichenUnterschiede nutzen
Größtes ProblemInflexibilitätFragmentierungKonfusion

Tab. 6: Strategien im Umgang mit kultureller Vielfalt (Schneider/Barsoux 1997, 211, Auszug, unsere Übersetzung)

Interessanterweise stehen sich zwei unterschiedliche Entwicklungen gegenüber, die auf Organisationen wirken.

Zum einen findet Interkulturelles Management in Organisationen in spezifischen Kontexten statt, die die handelnden Akteure prägen und dazu führen, dass sich bestimmte Normen, Werte und Strukturen, die die Arbeitsbeziehungen beeinflussen, herausbilden (D’Iribarne 2001). Nationale Kontexte können aufgrund einer spezifischen historischen Entwicklung und einem dominierenden Rechts-, Sprach- und Kommunikationssystem einen gewissen Grad an Homogenität aufweisen (Hofstede 1980; Whitley 1999). In diesen Kontexten haben sich durch Erfahrungen bestimmte Merkmale und erfolgreiche (kulturelle) Muster des Denkens und Handelns entwickelt und verfestigt, wie es Wissenschaftler unterschiedlicher Epochen und Disziplinen konstatieren (Parsons 1952; Elias 1979; Ammon 1989; Porter 1985; D’Iribarne 2001). Der nationale Kontext hat folglich einen Einfluss auf Organisationen generell und die Führung von Kooperationen im Besonderen.