Konstruktives Interkulturelles Management

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Im Sinne dieses dynamischen Verständnisses von Kultur stellen Hampden-Turner und Trompenaars (1997), im Rahmen einer von Geert Hofstede im International Journal of Intercultural Relations initiierten wissenschaftlichen Kontroverse, das eher statische (Hofstede) und das eher dynamische (Hampden-Turner/Trompenaars) Konzept von Kulturen und Kulturdimensionen gegenüber (Tab. 27): »Instead of running the risk of getting stuck by perceiving cultures as static points on a dual axis map, we believe that cultures dance from one preferred end to the opposite and back.« (Hampden-Turner/Trompenaars 1997, 27)


Hofstedes Annahme ist, dass …Trompenaars Annahme ist, dass …
… Kulturen statischen Punkten in einem zweiachsigen Diagramm entsprechen.… Kulturen sich zwischen einem bevorzugten Extrem und seinem Gegenteil hin und her bewegen.
… eine Kulturdimension, eine ihr entgegengesetzte ausschließt.… eine Kulturdimension versucht, die ihr entgegengesetzte mit einzubeziehen.
… »unabhängige« Faktoren »abhängige« Variablen erklären.… Wertedimensionen sich in Systemen selbst organisieren, um neue Bedeutungen hervorzubringen.
… anerkannte statistische Verfahren kulturell neutral und wertfrei sind.… anerkannte statistische Verfahren kulturell voreingenommen und wertend sind.
… Kulturen linear sind und in gewisser Weise festgeschriebene Eigenschaften besitzen.… Kulturen Kreisen entsprechen, die ihr entgegengesetzte mit einbeziehen.
… Daten von IBM aussagekräftiger sind als aus akademischer Forschung gewonnene Erkenntnisse, und besser die Herangehensweisen des Managements widerspiegeln.… von IBM gewonnene Daten bloß Imitationen akademischer Forschung sind und die Regelkonformität des Managements widerspiegeln.
… er durch induktives Vorgehen seine Kategorien aus den IBM-Daten ableiten und damit seine eigenen Skalen entwickeln konnte.… Hofstede durch die Wahl eines induktiven Denkansatzes nur diejenigen Skalen reproduziert hat, aus denen IBM bereits seine Fragen abgeleitet hatte.
… es keine bessere Platzierung innerhalb der Quadranten (kombinierter Kulturdimensionen) und somit auch keine Antwort auf die Fragen gibt, wie nun vorzugehen sei und in welche Richtung die Entwicklung stattfinden solle.… es keine bessere Möglichkeit gibt, als, ausgehend von den sieben Dimensionen, gegensätzliche Werte zu integrieren und zum Ausgleich zu bringen sowie auf diese Weise bessere Ergebnisse zu erzielen.
Zu guter Letzt, was voraussichtlich folgen wird, dass …
… A priori Konzepte wie das »Dilemma«-Konzept metaphysische Konstrukte sind, mit keinerlei empirisch begründeter Daseinsberechtigung, überprüfbarer Validität oder Möglichkeiten der Verifizierung.… Dilemmata schon seit der klassischen griechischen Tragödie Teil einer jeden Kultur sind, von den ursprünglichen Gegensätzen im Taoismus, über Shakespeare bis hin zu den Binärcodierungen der Anthropologen der heutigen Zeit.
… alle Kulturen sich unterscheiden, wenngleich diese Abweichungen als relativ signifikant bezüglich der Ausprägung von lediglich vier Variablen verstanden werden können.… alle Kulturen sich mit identischen Dilemmata konfrontiert sehen, sich jedoch hinsichtlich der gefunden Lösungen unterscheiden, welche Gegensätze auf kreative Weise überwinden.

Tab. 27: Grundannahmen und methodische Herangehensweise an kulturvergleichende Forschung bei Hofstede und Hampden-Turner/Trompenaars (Hampden-Turner/Trompenaars, 1997, 156; unsere Übersetzung)

Sozialwissenschaftliche Paradigmen der Interkulturellen Managementforschung

Christoph Barmeyer und Sina Großkopf

Systematisierung sozialwissenschaftlicher Paradigmen

Für das Verständnis von sozialen und kulturellen Phänomenen im Allgemeinen und für die wissenschaftliche Untersuchung von Interkulturalität im Besonderen ist es wichtig, die Grundannahmen und Werte von Wissenschaftlern, Fach- und Führungskräften oder Beratern zu begreifen, um deren Umgang mit der Komplexität der Welt zu erfassen, zu ordnen und zu verstehen.

Paradigmen können als systematische Grundhaltungen bezeichnet werden, wie die Welt wahrgenommen, verstanden und erklärt wird (Kuhn 1976). Es handelt sich um ein geordnetes Bündel von Annahmen und Vorstellungen, anhand derer beobachtbare Phänomene eingeordnet und Fragestellungen behandelt werden. Paradigmen geben einem Forschungsfeld somit einen Rahmen, Orientierungspunkte und Strukturierungsmerkmale, die bewusst oder unbewusst herangezogen werden, um Lösungen in der komplexen und widersprüchlichen (Wissens-)Welt zu generieren.

Der Begriff des Paradigmas stammt aus dem Griechischen παράδειγμα (parádeigma) und bedeutet »sehen, vorzeigen« oder »Beispiel, Muster«. Ein Wissenschaftsparadigma beschreibt »die Struktur der Faktoren und Vorstellungsaspekte, die das mehr oder weniger bewusste Vorverständnis ausmacht, das ein Wissenschaftler seinem Forschungsgebiet entgegenbringt« (Hillmann 1994, 648). Das hier genannte »Vorverständnis« ist Kontext und geistiges Fundament jeder wissenschaftlichen Theorie und somit wichtig zu verstehen, sowohl für den außenstehenden Betrachter, als auch für den theorieschaffenden oder theorietestenden Wissenschaftler:

»In order to understand alternative points of view it is important that a theorist be fully aware of the assumptions upon which his own perspective is based. Such an appreciation involves an intellectual journey, which takes him outside the realm of his own familiar domain. It requires that he become aware of the boundaries, which define his perspective. It requires that he journey into the unexplored. It requires that he become familiar with paradigms which are not his own. Only then can he look back and appreciate in full measure the precise nature of his starting point.« (Burrell/Morgan 1979, ix)

Bekannt wurde der Begriff des Paradigmas durch den US-amerikanischen Wissenschaftler Thomas Samuel Kuhn. In seinem 1962 erstmals erschienenen Werk The Structure of Scientific Revolutions analysierte er den Paradigmenwechsel der Newton’schen Gravitationstheorie hin zur Einstein’schen Relativitätstheorie (Kuhn 1976). Kuhn stieß damit eine weltweite Diskussion über das »Wesen der Wissenschaft« an, die ebenfalls von Forschern aus der Soziologie, Politologie und Psychologie geführt wurde. Ein Wissenschaftsparadigma kann verstanden werden als die Gesamtheit von Erkenntnisinteressen, theoretischen Bezugsrahmen, Fragestellungen und Methoden, die von einer Gruppe von Wissenschaftlern, also zum Beispiel einer Wissenschaftsdisziplin, zum Zweck des Erkenntnisgewinns geteilt wird und einen gewissen Zeitverlauf überdauert (Kuhn 1976). Jedoch können sich Paradigmen durch wissenschaftliche Entwicklungen, neue Erkenntnisse und Einstellungen oder gar Umbrüche lebensweltlicher Zusammenhängen verändern, was Kuhn (1976) als Paradigmenwechsel bezeichnet. Somit kann ein Paradigma auch als ein instruktives und stimulierendes Konstrukt aufgefasst werden (Cedarbaum 1983). Dies wirkt sich auf die Forschung aus: Sowohl theoretische Begriffe als auch die methodische Erfassung und Interpretation empirischer Befunde sind von den jeweiligen vorherrschenden Paradigmen geprägt. Dies trifft auch auf die Interkulturelle Managementforschung zu, denn die Angemessenheit bestimmter Methoden und die Relevanz der Art von Daten und der Erhebung sowie Interpretation hängen mit den zugrunde liegenden Paradigmen zusammen.

Ein Paradigma kann sodann auch wie eine »wissenschaftliche Brille« wirken, durch welche Forscher Phänomene und Problemstellungen betrachten. Durch diese Brille werden bestimmte Aspekte schärfer wahrgenommen, andere weniger scharf. Somit kann es je nach Paradigma zu Verzerrungen in der Wahrnehmung und Beurteilung kommen. Die fortbestehende Koexistenz von Paradigmen in den Geistes- und Sozialwissenschaften scheint nach Schurz (2014) einen Normalzustand darzustellen und führt dazu, dass sich die parallel existierenden Paradigmen eines Forschungsbereichs meist ignorieren oder gar in ideologischer Rivalität zueinander stehen. Eine konstruktive Auseinandersetzung, die zu einer innovativen Theorieentwicklung führen könnte, stellt eher die Ausnahme dar.

Die interdisziplinäre Vielfalt des Interkulturellen Managements findet sich, neben dem multidisziplinären Einfluss, auch in bestehenden Forschungsparadigmen, sprich in den grundlegenden, wissenschaftlichen Ansichten und in der Art, Forschung zu betreiben (Romani 2008). Um in einem konstruktiven Verständnis aus diesem Pluralismus einen Vorteil zu ziehen, bedarf es konzeptueller Strukturierungsmodelle (Scherer 1997).

Ein Paradigmenmodell zur (interkulturellen) Einordnung und Analyse verschiedener Disziplinen sozialwissenschaftlicher Forschung, das eine breite Rezeption in der Organisationsforschung erfahren hat, stammt von den britischen Organisationssoziologen Burrell und Morgan (Abb. 2). In ihrem Werk teilen die Autoren anhand von zwei Dimensionen vier soziologische Paradigmen ein. Zur Konzeption der zwei Extrempositionen der horizontalen ersten Dimension, die die wissenschaftstheoretische Debatte der Sozialwissenschaften abbildet, bedienen sie sich der Bereiche der Wissenschaftstheorie: der Ontologie, Epistemologie und Methodologie. Annahmen zur menschlichen Natur werden als weitere sozialwissenschaftliche Elemente hinzugefügt. Das menschliche Wesen sei dabei entweder durch sein Umfeld bedingt (Objektivismus) oder ein kreatives Geschöpf, welches einen freien Willen besitzt, selbstständig agiert und das Umfeld beeinflussen kann (Subjektivismus) (Burrell/Morgan 1979, 2). Je nachdem welche Positionen zur Ontologie, Epistemologie und menschlichen Natur eingenommen werden, verändert sich die methodologische Herangehensweise einer Untersuchung.

 

Die zweite Dimension betrifft die Debatte des gesellschaftspolitischen Standpunkts der Sozialwissenschaften und befasst sich mit Positionen zur Gesellschaft und ihrer Veränderung (Burrell/Morgan 1979, 10–20). Wird die Gesellschaft akzeptiert wie sie ist oder strebt man nach alternativen Gesellschaftsformen? Forscher, die das eine Extrem der »Sociology of regulation« (Regulierung) vertreten, akzeptieren die bestehende Gesellschaftsform als bestmögliche und konzentrieren sich auf die Suche nach Lösungen innerhalb dieser Grundform. Zielgrößen sind dabei Stabilität und Integration (Burrell/Morgan 1979, 13). Gesellschaft gilt als zusammenhaltende Einheit und es wird untersucht, welche Eigenschaften sie besitzt und wie diese entstanden sind. Außerdem besteht Interesse an den sozialen Kräften, die ein Auseinanderfallen verhindern (Burrell/Morgan 1979). Vertreter der Gegenposition, der »Sociology of radical change« (Wandel), versuchen Spannungsfelder, wie etwa Unterdrückung und die Ungleichheit von Machtbeziehungen, aufzudecken und sich für eine alternative, bessere Gesellschaft einzusetzen. Charakteristisch für die moderne Gesellschaft sind radikaler Wandel, tiefgreifende strukturelle Konflikte und Widersprüche, sowie Dominanzbeziehungen. Menschliche Entwicklung wird durch gegebene Strukturen eingeschränkt.

Indem Burrell und Morgan (1979) diese Dimensionen miteinander in Beziehung setzen, entstehen vier Paradigmen:funktionalistisch, interpretativ, radikal strukturalistisch und radikal humanistisch. Das Paradigmenmodell ist als analytisches Werkzeug zu verstehen und dient der Klassifizierung von Theorien und Grundannahmen.

Das funktionalistische Paradigma sucht rationale Erklärungen für die Sozialordnung, ist pragmatisch und problemorientiert, betont Gleichgewicht und Stabilität in der Gesellschaft und orientiert sich vor allem an den Grundaussagen der Naturwissenschaften (Burrell/Morgan 1979). Dem interpretativen Paradigma wird eine kohäsive, geordnete und integrierte Gesellschaft zugeschrieben und man entwickelt ein Verständnis der Welt, so wie sie ist, um auf diese Weise die sozialen Gegebenheiten aus subjektiven Erfahrungen heraus zu rekonstruieren. Dabei entsteht die soziale Realität aus einem Prozess, der von den Individuen bestimmt wird. Letzteres strebt auch das humanistische Paradigma an, allerdings impliziert dieses radikale Paradigma sozialen Wandel sowie das Überschreiten und Stürzen bestehender sozialer Ordnung als Grundlage für die menschliche Entwicklung. Das zweite radikale Paradigma strukturalistischer Prägung wird mit der marxistischen Theorie in Zusammenhang gebracht und konzentriert sich auf strukturelle Beziehungen innerhalb einer realistischen, sozialen Welt, sowie auf Kräfte- und Machtverhältnisse.


Abb. 2: Paradigmatische Strukturierung der Wissenschaften (übersetzt nach Burrell/Morgan 1979, 22)

Das Modell kann folglich als eine Landkarte gesehen werden, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Wissenschaftsdisziplinen und deren Beziehungen sowie den zugrunde liegenden Referenzrahmen darlegt.

Verortung der Interkulturellen Managementforschung

Die Grundannahmen zentraler Werke und Wissenschaftler der Interkulturellen Managementforschung sollen nun zu diesem Paradigmenmodell von Burrell und Morgan (1979) in Bezug gesetzt werden. Diesen Versuch haben schon Primecz et al. (2009) mit einer Paradigmenanalyse der Cross-Cultural Management-Forschung geleistet, und hierbei auch eine Anregung gegeben, wie sich Interkulturelle Managementforschung theoretisch-methodisch weiterentwickeln kann. Die Einordnung schafft ein Bewusstsein für unterschiedliche paradigmatische Perspektiven und öffnet gleichzeitig den Blick für einen konstruktiven, kritischen Umgang mit vorherrschenden Paradigmen.

Basierend auf Boyacigiller et al. (2004) sowie Sackmann und Phillips (2004) lassen sich drei paradigmatische Strömungen Interkultureller Managementforschung identifizieren:

1.Cross-National Comparison: Vergleicht vor allem Nationalkulturen mit kulturübergreifenden, universalen Dimensionen und ist von einem naturwissenschaftlich-positivistischen Paradigma geprägt.

2.Intercultural Interaction: Begreift Kultur als geteiltes Bedeutungssystem und untersucht konkrete interpersonale Interaktionssituationen. Diese Strömung beruht auf einem interpretativ-konstruktivistischen Paradigma.

3.Multiple Cultures: Berücksichtigt aufgrund zunehmend dynamischer Lebenswirklichkeit vielfältige soziale Milieus und kulturelle Identitäten von Individuen. Auch die Multiple Cultures basieren auf einem interpretativ-konstrukti-vistischen Paradigma.

Abb. 3 verdeutlicht die Positionierung der Strömungen in den paradigmatischen Feldern und ihre relativen Anteile an der gesamten Forschung:

–Im funktionalistischen Paradigma können dem Cross-National-Comparison-Ansatz (1) dabei unter anderem Werke von Hofstede (1980) und House et al. (2004) zugeordnet werden, und dem Intercultural Interaction-Ansatz (2) beispielsweise die Arbeit von Salk (1997).

–Im interpretativen Paradigma können Werke von Geertz (1973), Czarniawska (1986) oder Brannen und Salk (2000), vor allem aus dem Intercultural Interaction-Ansatz (1) verortet werden, aber auch von Hall (1959) aus der Perspektive des Cross-National-Comparison-Ansatzes (1).

–Van Maanen (1988) sowie Clifford und Marcus (1986) repräsentieren schließlich Intercultural-Interaction-Ansätze (2) im radikal-humanistischen Paradigma.

–Dem strukturalistischen Paradigma sei hingegen kein Ansatz zuzuordnen. Primecz et al. (2009) betonen an dieser Stelle – abgesehen von einigen Ausnahmen – die Abwesenheit expliziter Beschäftigung mit Machtverhältnissen und (post-)kolonialen Strukturen in interkulturellen Begebenheiten und rufen zu kritischer Forschung auf.


Abb. 3: Interkulturelle Managementforschung in paradigmatischen Feldern (Primecz et al. (2009, 270). 1 = Cross-National Comparison, 2 = Intercultural Interaction, 3 = Multiple Cultures

Basierend auf dem Befund von Boyacigiller et al. (2004) und nach Einschätzung von Primecz, Romani und Sackmann (2009) nimmt der Cross-National-Comparison-Ansatz in der Interkulturellen Managementforschung eine dominante Stellung ein. Andere »jüngere« Paradigmen in diesem Bereich sind daher entsprechend weniger vertreten. Grundlegende Werke – speziell in der Forschung mit dem Schwerpunkt auf Cross-National Comparison – basieren oft auf dem funktionalistischen Paradigma (Hofstede 1980; Schwartz 2006). Mit Blick auf Halls oder Hofstedes anwendungsorientierte Forschungsarbeiten zu Kulturdimensionen lässt sich deren Nähe zu einem klar erfassbaren und universell anwendbaren Forschungsansatz herausstellen. Es war gewissermaßen das erklärte Ziel dieser grundlegenden und wegweisenden Arbeiten, die Komplexität, die die Konzepte »Kultur« und »Interkulturalität« mit sich bringen, zu reduzieren und die Ergebnisse greifbar zu machen. Kritische und postmoderne Arbeiten hinterfragen diese Modelle, bringen aber in der Regel kein eigenes Modell hervor, das die interkulturelle Realität ähnlich vereinfacht und praktische Implikationen erlauben würde, da die vereinfachende Modelldarstellung auch den Grundsätzen dieser Paradigmen widerspricht. In der Praxis des Interkulturellen Managements und der konstruktiven Gestaltung bedarf es aber gerade solcher komplexitätsreduzierenden Modelle, wie sie häufig in positivistischen Ansätzen entwickelt werden.

Dennoch wird neben dem Lob um Vereinfachung auch Kritik an der bisher dominierenden, eher makroanalytisch und quantitativ orientierten Interkulturellen Managementforschung deutlich: Anstatt konkretes Verhalten in interkulturellen Kontaktsituationen zu erklären, werden eher statisch-abstrakte Generalisierungen betont (Boyacigiller et al. 2004). Hieraus lässt sich folgende Empfehlung ableiten: Die Interkulturelle Managementforschung könnte sich zukünftig mehr an einem subjektivistisch-konstruktivistischen Paradigma orientieren. Ebenso könnten die Mikro- und Mesoebene untersucht werden, auch um die emische Innenperspektive zu betonen sowie ethnorelativistisch und ethnographisch zu arbeiten.

Romani (2008) schlägt in Anlehnung an Deetz (1996) sowie Burrell und Morgan (1979) eine andere Systematisierung mit klarem paradigmatischen Bezug zum Interkulturellen Management vor (Abb. 4).

Der normative, positivistische Ansatz ist vornehmlich in der naturwissenschaftlichen Herangehensweise vertreten. Dieser Bereich befindet sich an der Schnittstelle A-priori/Consensus und zielt auf Identifizierung von Verhaltensmustern und Darstellung von Regelmäßigkeiten sowie prädiktive Modelle ab (Donaldson 2003). Positivistisch orientierte Wissenschaftler im Interkulturellen Management untersuchen den Einfluss nationaler Kulturen und deren Variablen auf Managementpraktiken oder Führungsstile (z. B. Hofstede 1980; House et al. 2004).

Der kritische Ansatz thematisiert verdeckte Machtstrukturen und untersucht deren Einfluss auf die Wirklichkeitskonstruktion (Willmott 1993) an den Achsen A-priori/Dissensus. Wirklichkeit, so die Argumentation, entsteht durch Beziehungen und Interaktionen zwischen verschiedenen sozialen und kulturellen Akteuren und Gruppen und ist in der Regel das Ergebnis unterschiedlicher Interessen.


Abb. 4: Systematisierung ausgewählter Forschungsarbeiten zum Interkulturellen Management (Romani 2008, 37)

Viele Forscher des kritischen Ansatzes sehen sich als Aktivisten und weniger als Berichterstatter. Im Interkulturellen Management untersuchen kritische Studien, wie etwa postkoloniale Machtstrukturen die Managementtheorie und -praxis beeinflussen (Westwood/Jack 2008; Pilhofer 2011; Mahadevan 2017) und wie dies etwa auf die Zusammenarbeit von Expatriates und Mitarbeitern des Gastlandes wirkt (z. B. Fougères/Moulettes 2012).

Der postmoderne Ansatz – Deetz bezeichnet ihn als dialogisch – befindet sich an den Achsen Emergent/Dissensus. Die Postmoderne versteht Realität als durch gesellschaftliche Dynamiken und Sprache konstituiert, wobei die soziale Realität als ein nicht-statisches, fließendes und sich veränderndes Phänomen betrachtet wird. Somit ist die Suche und Feststellung von Regelmäßigkeiten obsolet. Postmoderne Studien des Interkulturellen Managements beschätigen sich beispielsweise mit der Fragestellung, wie Bedeutungszuschreibungen zu Kulturen (Organisationskulturen, Bereichskulturen, Berufskulturen, Genderstudien etc.) Machtungleichheiten reproduzieren können (z. B. Prasad 2009; Ybema/Bruyn 2009).

Der interpretativ arbeitende Ansatz steht an der Schnittstelle Emergent/Consensus und ist hauptsächlich von der kulturanthropologischen Forschung beeinflusst. Statt Prädiktion rückt das Verständnis kultureller Wahrnehmung der Einzelperson und seiner Handlungen in den Vordergrund (Weick 1995; Hatch/Yanow 2003). In dieser Hinsicht ist der interpretative Ansatz mit Triandis’ (1995) Konzept der »subjektiven Kultur« vergleichbar. Der Fokus interpretativer Forschung ist lokal und spezifisch, wobei häufig die Ebene des Individuums dominiert und nicht die Ebene sozialer Strukturen wie Institutionen. Interpretativ ausgerichtete Interkulturelle Managementforschung behandelt Fragen der Existenz unterschiedlicher (kultureller) Bedeutungssysteme und deren Einfluss auf das Verständnis von Arbeit (D’Iribarne 1989, 2009a; Redding 2005).

Wissenschaftliche Paradigmen wirken als implizite Haltungen auf die Einordnung und Bewertung des Interkulturellen Managements. Tab. 28 illustriert idealtypisch die Konsequenzen der Paradigmen anhand der zentralen Elemente auf Kultur, Interkulturalität und Interkulturelles Management.

 

ParadigmaKulturInterkulturalitätInterkulturelles Management
FunktionalistischStatische, klar abgegrenzte »Eigenschaften« und Dimensionen, die meist dekontextualisiert betrachtet werdenIm Hintergrund als Bewusstsein über kulturelle Differenzen vorhandenKultur ist Ressource, die koordiniert und kontrolliert werden kann
InterpretativKontextuell und individuelle abhängige VariableInteraktionsprozess, bei dem Bedeutungen erschaffen und ausgetauscht werdenKultur ist sinngebender Kontext, dem Managementprozesse unterliegen
KritischKultur als Macht- und UngleichheitskategorieUngleichheit beeinflusst alle Interaktionen, wobei die Mächtigen den weniger Mächtigen ihre Regeln und Normen aufoktroyierenKultur codiert implizite Machtstrukturen und Ideologien, die das Management beeinflussen
PostmodernCo-Existenz und Fluidität zahlreicher Kulturen, wie Alter, Beruf, Bereich, Rang, GeschlechtInterkulturalität als Alltag von InteraktionsprozessenKultur manifestiert sich als ungreifbare Komplexität in Organisationen

Tab. 28: Paradigmenwirkung auf das Interkulturelle Management

Konstruktiver Umgang mit multiplen Paradigmen

Um interkulturelle Phänomene in Organisationen besser zu verstehen, ist es im Sinne einer konstruktiven Gestaltung von Interkulturalität sinnvoll, verschiedene Paradigmen nicht strikt voneinander abzugrenzen, sondern diese bewusst in ihrer Vielfalt zu berücksichtigen und zu integrieren (Prasad 2015; Primecz et al. 2015). Dabei existieren drei Positionen:

1.Exklusivität und Inkommensurabilität als Unvereinbarkeit von verschiedenen Paradigmen (Kuhn 1976; Burrell/Morgan 1979): Jedes Paradigma ist getrennt zu sehen, es gibt keine Möglichkeit der Kombination, da die Paradigmen auf unterschiedlichen Annahmen und Logiken aufbauen.

2.Integrativer Umgang: Es wird die Position vertreten »Theorienpluralismus« (Scherer 1997, 69) einzudämmen und zu einer gemeinsamen Grundlage zurückzukehren, um die Entstehung von Wissen weiter voranzutreiben (Romani et al. 2011a).

3.Multi-Paradigmen-Perspektive: Paradigmen sind zwar »separate wissenschaftliche Weltsichten« (Romani et al. 2011a, 434), es besteht aber die Möglichkeit von Austausch und Verbindungen zwischen diesen. Denn, wie auch Kuhn später erkennt, besteht die Möglichkeit des Erlernens der jeweils anderen Paradigmensprache (Romani 2008). Dabei können insbesondere gemeinsame meta-theoretische Positionen Kontaktpunkte schaffen (Primecz et al. 2015).

Um diesen »paradigmatischen Reichtum« zu strukturieren, wurde eine Klassifizierung für den Einsatz multipler Paradigmen mit jeweils zuordenbaren Strategien entwickelt (Lewis/Grimes 1999; Schultz/Hatch 1996):

Neben dem Multiparadigm Review, der durch die illustrierte Darstellung von Paradigmen Orientierung bietet und der Multiparadigm Research, die unterschiedliche Paradigmen auf interkulturelle Sachverhalte parallel oder sequentiell anwendet, ist vor allem die Multiparadigm Theory Building zu nennen. Hier werden die Paradigmen über die Bridging- oder Interplay-Strategie miteinander verbunden (Romani 2008; Romani et al. 2011a). In Abb. 5 werden entsprechende Strategien erklärt.

Die weitreichendste Interplay-Strategie bedarf besonderer Erwähnung. Sie kombiniert die parallele und die Bridging-Strategie, indem sie auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Paradigmen achtet, und bemüht sich, im Sinne des Konstruktiven Interkulturellen Managements über Kompromisse hinaus Lösungen zu finden und die Weiterentwicklung des Wissens voranzutreiben (Schultz/Hatch 1996; Romani 2008; Romani et al. 2011a).

Die Sichtweise, Paradigmen nicht verbinden zu können, führe demnach nur zu fortwährenden »Paradigmenkriegen« (Schultz/Hatch 1996, 551) und die Integration letztlich zur »absoluten Dominanz eines Paradigmas« (Schultz/Hatch 1996, 551). Die Interplay-Strategie allerdings wird im Rahmen der Multi-Paradigmen-Perspektive als Alternative gesehen, die den »Paradigmenkrieg« und die Hegemoniestellung eines einzelnen Paradigmas umgeht, und gleichzeitig Diversität und Orientierungspunkte erzeugt, um so letztlich Lösungen in dieser komplexen und widersprüchlichen Wissenswelt zu generieren.


Abb. 5: Multi-Paradigmen-Strategien (nach Schultz/Hatch 1996; Romani 2008)

Allerdings müssen an dieser Stelle Herausforderungen der bestehenden Multi-Paradigmen-Forschung erwähnt werden:

–Begriffe und Konzepte innerhalb der Paradigmen werden unterschiedlich gebraucht und verlieren dabei häufig an Schärfe.

–Durch das Fehlen eines gemeinsamen Maßes (Inkommensurabilitätsproblem) können Unklarheiten entstehen, welche sich hinderlich auf den interparadigmatischen Austausch auswirken können.

–Eine einzelne Arbeit kann sich nur schwerlich einer Problemstellung nicht über mehrere Paradigmen nähern. In der multiparadigmatischen Analyse besteht dementsprechend die Gefahr der Oberflächlichkeit.

Das zunehmende Bewusstsein bezüglich der Vielfalt bestehender Paradigmen in Forschungsbeiträgen schafft Aufmerksamkeit für die geforderte Kombination paradigmatischer Ansätze, welche wiederum die Diskussion Interkultureller Forschung anregt und vorantreibt. Die Interaktion zwischen Paradigmen als wertvollste Strategie macht Untersuchungen zugänglicher und bereichert auf diese Weise das Interkulturelle Management um neue Einsichten. Die Öffnung des Forschungsfeldes und Auflockerung des paradigmatischen Umgangs verhindert Stagnation und Befangenheit.

Das große Ziel des Feldes könnte es also sein, die Konstruktive Interkulturelle Managementforschung über ein mehrwertbringendes Zusammenspiel unterschiedlicher Paradigmen zu untersuchen. Genau wie in Adlers (1980) Modell zur kulturellen Synergie kann Diversität so als Ressource verstanden werden. Das multiparadigmatische Denken während der komplementären oder gar synergetischen interkulturellen Lösungsfindung eröffnet neuartige Perspektiven, was wiederum zur Veränderung eigener Ansichten beiträgt und auf mehreren Ebenen neue synergetische Dynamiken hervorbringt.

Konstruktives Interkulturelles Management, welches von Natur aus von der dominierenden Problemorientierung im Feld abweicht, bedarf dementsprechend dieser Art von Herangehensweise, um auch auf meta-theoretischer Untersuchungsebene konstruktiv zu agieren und dem eigenen Anspruch multipler Sichtweisen und konstruktiver Lösungsfindungen durch Nutzung verschiedener Blickwinkel gerecht zu werden.

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