Buch lesen: «Grundeinkommen von A bis Z», Seite 3

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Aufmerksamkeit
Ökonomie ist die Lehre vom Umgang mit knappen Gütern. Früher war es der Boden für die Nahrungsmitteler­zeugung, Kohle zur Dampferzeugung als Maschinenantrieb und Finanzkapital für Investitionen in Infrastruktur, Handel und Produktion. Im Zeitalter des materiellen Über­flusses ist heute die Aufmerksamkeit der Konsumenten das ­knappe – und deshalb kostbare – Wirtschaftsgut.

Aufmerksamkeit ist das knappe Gut unserer Zeit. Das beschreibt der US-Investor Albert Wenger in seinem Buch «Die Welt nach dem Kapitalismus». So umfassend wie der Übergang von der Agrarwirtschaft zu Industrie und Kapitalwirtschaft ist laut Wenger jetzt der Übergang von der Kapital­wirtschaft zur digitalen Industrie. Und dazu gehört für ihn ein bedingungsloses Grundeinkommen: als humanistischer Boden der Veränderung und des Fortschritts zu mehr Möglichkeiten.

«Wie viele Menschen arbeiten heute im erweiterten Sinne für Banken und die Finanzindustrie? Weltweit Abermillionen», sagte Albert Wenger in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin «brand eins». «Wie viele beschäftigen sich damit, welcher Asteroid die Erde treffen könnte und was eventuell rechtzeitig dagegen zu tun wäre? Es sind weniger, als in einer McDonalds-Filiale arbeiten.» Wie viele Menschen richten ihre Aufmerksamkeit auf den Klimawandel und was dagegen zu tun ist? Wenger meint: «Auch hier stehen Bedrohung und Aufmerksamkeit in einem grotesk schlechten Verhältnis. Wir verschwenden unendlich viel Zeit mit Ab­lenkungsübungen. Stattdessen sollten wir uns öfter fragen, was wir wirklich mit dem Leben anfangen wollen.» Vollbeschäftigung in klassischer Arbeit hält Albert Wenger in Anbetracht des technischen Fortschritts für «schlichtweg anachronistisch. Stattdessen werden wir viel mehr Zeit haben, über Sinnvolles nachzudenken», so Wenger weiter. «Wir haben die historische Chance, Wissen und Kultur in einem Umfang zu erzeugen und zu teilen, der bisher undenkbar war.»

Arbeit ist Anwendung von Aufmerksamkeit. Die Arbeit richtet die Aufmerksamkeit auf etwas. Sie kann auch Aufmerksamkeit in den Sand setzen. Wie sich Arbeit selbst verzehrt und Aufmerksamkeit hohl dreht, bespricht der Anthropologe David Graeber von der London School of Economics in seinem Buch «Bürokratie. Die Utopie der Regeln». Dar­in rechnet er vor, dass ein Drittel der Arbeitszeit heute für ­unproduktive Administration verwendet werde. Für das Ausfüllen von Formularen, Anträgen, für Benchmarking, Con­trolling, Evaluationen. Im Gesundheitswesen, an den Universitäten, in der Wirtschaft, in der Verwaltung sowieso. Auch Computer und Softwareprogramme würden den Menschen zum Administrator machen. Nach «der Überwindung des schrecklichen, bürokratischen Sozialismus und nach dem triumphalen Sieg der Freiheit und des Marktes», so Graeber, sei der Kapitalismus zu eben der Fantasie tötenden bürokratischen Technologie geworden, die zuvor dem technokratischen Sozialismus zugeschrieben wurde. Kreativität und Initiative würden zwar beschworen, doch wer damit aufwarte, habe die geringsten Aussichten, dafür eine finanzielle Unterstützung zu finden. Die administrative Notwendigkeit sei vom Mittel zum Zweck geworden. Der neoliberale Kapitalismus stehe dem Fortschritt im Weg. Er bremse die Kreativität aus, verhindere echte Innovation, hebele die Demokratie aus und schaffe neben gigantischen Einkommen für wenige nicht mehr Wohlstand für alle, so Graeber. Das also, womit der Kapitalismus sich rechtfertige, erfülle er nicht mehr.

Soll das heißen, dass der Kapitalismus sich überlebt hat in dem, wie er geworden ist? Wohin geht die Aufmerksamkeit?

In der Arbeit für das materielle Überleben stellte sich die Frage nach der Aufmerksamkeit noch nicht als eigene Frage. In der auftrags- und weisungsgebundenen Arbeit auch nicht. Die Frage nach der Aufmerksamkeit stellt sich mit zunehmender Selbstverantwortung und Individualisierung einerseits und mit einem Rückgang klassischer Arbeit und klassischer Hierarchien andererseits. Sie stellt sich mit der Digitalisierung und der Zunahme an Information – mit der Fülle an Möglichkeiten in der realen wie in der virtuellen Welt. Sie stellt sich mit neuen Herausforderungen, die im Mainstream wie im Bezahlsystem nicht genug vorkommen. Sie stellt sich für die kulturelle Entwicklung.

Die Aufmerksamkeit an sich zu ziehen, sie zu analysieren und als Besitz zu vermarkten, ist das große Geschäft der digi­talen Ökonomie, der Apps und Internetplattformen wie beispielsweise Google, Facebook, iTunes. Ist das Software-Programm erst einmal entwickelt, gehen die sogenannten Grenzkosten gegen null. Das heißt, die Vervielfältigung und der Verkauf des Produktes und deren Anwendung sind ohne weitere Kosten unendlich möglich. Ohne weitere Kosten heißt ohne weitere menschliche Arbeit. Kapital und Arbeit sind entkoppelt.

Vereinfacht fasst Albert Wenger seine These, dass Aufmerksamkeit heute die knappe Ressource ist, etwa so zusammen: Zur Zeit der Sammler und Jäger war Essen die knappe Ressource. Mit der Agrarwirtschaft wurde Boden die knappe Ressource. Da der Anbau noch wenig effizient war, brauchte man viel Land, um genügend Überschüsse für einen Herrscher und für Soldaten zu produzieren. Wozu brauchte man die Soldaten? Um andere davon abzuhalten, einem das eigene Land zu nehmen und um selbst mehr Land zu erobern. Mit der Industrialisierung wurden Bodenschätze und Kapital zur knappen Ressource. Da man im Vergleich zu heute in der Produktion noch ungeschickt war, brauchte man viel Kapital für große Fabriken und Maschinen mit vergleichsweise geringer Produktivität. Kapital und Arbeit waren an­einander gekoppelt. Es waren viele Menschen nötig, um mit den Maschinen, Transportmitteln und Werkstoffen zu ar­bei­­ten.

Doch die Vorstellungen der Agrarwirtschaft lebten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts weiter. Kriege wurden zur Eroberung von Land und Boden geführt. Und Kriege und Re­volutionen begleiteten den Übergang zur Industrialisierung, weil altes Denken und alte Besitzstände das Neue nicht verstanden und die Bedingungen für alle nicht auf die neue Zeit umstellen wollten. So kann es wieder sein beim Übergang vom Industriezeitalter und seinem Kapitalismus in die digitale Ökonomie. Heute ist Kapital nicht mehr knapp. Und ein immer größerer Anteil der Produktion von Gütern und Dienstleistungen braucht heute vergleichsweise wenig Kapital. Zudem ist Kapital viel weniger an menschliche Arbeit gekoppelt – das heißt an ein Einkommen für Menschen – wenn Menschen nicht nur mit Maschinen arbeiten, sondern wenn Maschinen und Programme selbständig vollständige Ar­beits­bereiche übernehmen.

Damit wird Aufmerksamkeit zur knappen Ressource. Zum einen, weil es weniger um die Produktion geht als um die Vermarktung der Aufmerksamkeit der User und Konsumenten. Zum anderen, weil es um den eigenen noch ungeschickten und wenig effizienten Umgang mit der eigenen Aufmerksamkeit geht. Der Umgang mit der eigenen Aufmerksamkeit ist wenig geübt.

In der Schule, der Ausbildung und der Arbeit ging es lange um Disziplinierung von außen, darum, die Aufmerksamkeit zu trimmen auf von außen gesetzte Ziele und Inhalte. Die selbst geführte, eigene Aufmerksamkeit war das, was wegzutrainieren war. Für die Freizeit stehen der amputierten eigenen Aufmerksamkeit Unterhaltungsprogramme zur Verfügung. Da die Unfähigkeit zur eigenen Aufmerksamkeit und die Bedeutungslosigkeit der eigenen Aufmerksamkeit so fest in die Köpfe gesetzt wurde, wird in der Digitalisierung von vielen ebenfalls nur Freizeit gesehen. Genauso werden die Möglichkeiten, die ein bedingungsloses Grundeinkommen eröffnet, von vielen nur als Zeit für Hobby und Ferien interpretiert. Das entspricht einem Arbeitsbegriff ohne den Wert eigener Aufmerksamkeit.

Menschen würden sich um das versammeln, was knapp ist, sagt Albert Wenger. In der Digitalisierung sieht er eine Befreiung der Menschen zu mehr Möglichkeiten. Doch der Boden dazu muss eine Renaissance der humanistischen Werte sein. Das ist für ihn das bedingungslose Grundeinkommen. Die Rahmenbedingungen für alle müssen den neuen Bedingungen entsprechen. Auch damit der Übergang vom Kapitalismus in das digitale Zeitalter nicht so viele Kriege und Gewalt bringt. Denn, staut man Entwicklungen, quält man die Menschen. In der technokratischen Behandlung der Sozialleistungen ist das zu sehen. Auch Gewalt und Kriege sind in ihrem neuen Auftreten bereits zu sehen. Dem digitalen Zeitalter muss eine menschliche Klärung vorausgehen wie die Aufklärung im 18. Jahrhundert der Industrialisierung.

Bedingungslosigkeit
Bedingungslos ist eigentlich ein intimer Begriff. ­Dies macht es nicht einfach, ihn mit einem alltäglichen ­Einkommen in Verbindung zu bringen. ­Während die einen ­glauben, dass die Grundlagen des Lebens bedingungslos zur Verfügung stehen, sagen andere, dass es dieses Phänomen in der Realität gar nicht gäbe.

«Wie absurd dieser Vorschlag zu einem bedingungslosen Einkommen ist», sagt Roger Köppel, Chefredaktor des Schweizer Magazins «Die Weltwoche», «sieht man schon an dem Wort bedingungslos. Bedingungslosigkeit gibt es gar nicht, nichts ist bedingungslos.»

«Bedingungslose Liebe ist das Größte in dieser Welt. Wer sie bekommt, hat großes Glück», sagt Warren Buffet, einer der reichsten Männer der Welt. «Mein Vater hat immer an mich geglaubt und mich unterstützt. (…) Meine Kinder bekommen bedingungslose Liebe, wie ich sie von meinem Vater bekommen habe.»

Liebe ist bedingungslos. Sie ist ein bedingungsloses ganzes Interesse am anderen Menschen, das ihn aus sich selbst her­aus bejaht.

Was hat es also mit diesem intimen Begriff auf sich? Wie fühlt sich bedingungslos eigentlich an? Ist das offen? Ist das schwach? Ist das Hingabe? Geht da was los? Ist das aufgehend?

Bedingungslosigkeit – ist das ein Raum um einen herum, der haltlos und bedrohlich ist? Oder ist das ein Raum, der aus einem selbst heraus aufgeht?

Bedingungslos muss es sein, wenn man auf einen neuen Gedanken kommen will. Sonst spinnt man nur den alten weiter. Der spinnt sich weiter bis zu einer Ideologie.

Bedingungslos ist der Moment des Schöpferischen bei gleichzeitig voller eigener Präsenz.

Kann man die Bedingungslosigkeit zu einem Bestandteil des Volkseinkommens machen?

Praxis der Bedingungslosigkeit

Von der «Zukunftsstiftung Soziales Leben» in Deutschland wurden Menschen mit einem Förderbetrag unterstützt, der keine Auflagen hatte. Der Betrag war 500 Euro pro Monat. Er wurde über drei Jahre ohne Ergebniserwartung und ohne Bedingungen ausgezahlt. Nur mit einem Interesse begleitet am anderen Menschen. Das war sehr schwierig, weil man bei ei­nem Zuspruch von Geld doch immer in Versuchung ist, nach der Effizienz zu fragen. Ist das denn auch sinnvoll? Lohnt sich das? Eine Sache oder ein Projekt zu fördern, ja, aber wie fördert man einen Menschen? Eben nur bedingungslos. (Dabei ist jede Förderung einer Stiftung letztlich nichts anderes als Einkommen für Menschen.)

Da diese Stiftung weniger eine Antragsstiftung war, sondern auf Menschen zuging, die im weitesten Sinne gemeinnützig tätig waren, die ihrer Intention nachgingen und dies nicht in erster Linie profitorientiert, kam es auch dazu, dass jemand sich fragte: Wofür bekomme ich jetzt dieses Geld? Bei einem Antrag oder Auftrag ist das klar. Aber hier, zu was verpflichte ich mich da, wenn ich von denen Geld annehme, das keine Gegenleistung fordert? Ist das eine Verpflichtung zu etwas, was ich nicht weiß? Ist das wie bei der Mafia oder einer Sekte? Wird man da als ganze Person eingekauft?

Diese Befürchtung haben manche auch beim bedingungslosen Grundeinkommen. Eine unausgesprochene Loya­litätsverpflichtung. In reichen Golfstaaten, wo es ein frei gegebenes Einkommen für die Landeskinder gibt, ist es das. Es ist wie ein Familieneinkommen.

Jemand, der von der Stiftung gefördert wurde, erzählte, dass er diesen Einkommensbetrag ohne Verpflichtung nach einigen Monaten wie ein Brennglas auf die Selbstverantwortung erlebt habe. Weil da nichts war, was ihm die Verantwortung abnahm, wie bei einem Auftrag. Und da, sagte er, merkt man erst, wie viele Handbremsen man angezogen hat, wie viele Gründe man hat, nicht wirklich das Optimale aus sich und den eigenen Fähigkeiten zu machen. Zu bemerken, dass man diese Gründe nicht haben muss, das dauert eine Weile.

Wie kommt das Neue in die Welt? Das war eine Frage in der Stiftung. Das Bedingungslose schafft einen freien Raum, in dem das Neue in die Welt kommen kann. Was war nun das Neue? Einige der Geförderten machten das weiter, was sie vorher gemacht hatten. Aber – sagten sie: besser. Weil so ein bedingungsloser Betrag nicht nur Geld ist, sondern einen besonderen Zuspruch transportiert: eine «Wärmequalität». Manche der Geförderten gingen auf die Bedingungslosigkeit gar nicht ein. Sie nahmen das Geld als Erleichterung dankend an.

Schenken ist bedingungslos, wenn es Schenken ist, dann gibt man bedingungslos.

Dass man nicht einfach etwas schenken kann, das denken viele. Dass man sehen kann, ist geschenkt. Die Augen sind geschenkt. Dass man denken und empfinden kann, ist geschenkt. Das Schenken der Natur ist ein anderes als das Schenken bei Menschen. Bei Menschen ist es eine individuelle Beziehung.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Geschenk. Es ist für alle aus einer allgemeinen gesellschaftlichen Übereinstimmung. Es bezieht sich auf die Lebensgrundlage. Es ist eine gesetzliche Regelung zu einem Zweck. Der Mensch ist nicht ein Mittel für etwas, sondern er selbst ist der Zweck. Er ist das, worum es geht. Von ihm geht es aus, und zu ihm geht es hin. Ein Grundeinkommen kann eine Voraussetzung bilden, nicht ein Ergebnis.

Ein Recht auf das Bedingungslose?

Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Schenken, aber es enthält einen Aspekt davon. Es ist kein individueller Vorgang zwischen Zweien. Es garantiert die Lebensgrundlage aus demokratischer Übereinkunft. Das heißt, es ist ein de­mo­kratisch-rechtliches Einkommen. Es geht in die Richtung ei­nes «sozialen oder wirtschaftlichen Bürgerrechtes», wie es Prof. Peter Ulrich sagt, emeritierter Ordinarius für Wirtschaftsethik an der Universität in St. Gallen. Ein Recht auf ein Einkommen, ja. Aber darauf, dass es bedingungslos ist? Ein Recht auf Freiheit? Kann es das in der Form für alle gleich und ohne Ansehen der Person geben?

Wenn man etwas bedingungslos gibt, sagen einige Kritiker, dann muss ein persönlicher direkter Zusammenhang da sein. Ein bedingungsloser Einkommensbetrag ist ein Eingriff in die Biografie. Dadurch ändern sich die Bezüge und die Lebenssituation eines Menschen. Das ist verantwortungslos, wenn es nicht eingebettet ist in ein persönliches Verhältnis und eine persönliche Begleitung.

Ohne es so zu nennen, ist das auch die Kritik der vielen, die fürchten, dass dann viele nicht mehr arbeiten. Man kennt die Leute ja nicht und man müsste ein Grundeinkommen auch denen gönnen, von denen man gar nichts hält. Bedingungslosigkeit setzt Vertrauen voraus. Das kann man nicht allen geben. In der allgemeinen Ordnung braucht es Rechte und Pflichten, die das Verhalten regeln. Etwas derart Bedingungsloses ist da ein Sprengsatz.

Care-Arbeit
Das bedingungslose Grundeinkommen polarisiert ­Feministinnen und Gleichstellungsbefürworter: Die einen fürchten das Grundeinkommen als Quasilohn der Care-Arbeit und verbinden damit die Rückkehr ­zu alten ­Rollenbildern. Die anderen sehen das Grundeinkommen als Fortschritt auf dem Weg zur Gleichstellung. Dabei wird übersehen, dass ein Grundeinkommen keine ­Lösung für irgendein bestimmtes Problem ist.

Care-Arbeit heißt Sorgearbeit und meint Hausarbeit, häusliche Pflege und Betreuung von Kindern, von kranken und betagten Menschen. Diese Arbeit, bei der sich Menschen um Menschen kümmern, macht in der Schweiz laut Berechnungen der Schweizer Ökonomin Mascha Madörin mehr Arbeitsstunden aus als die Erwerbsarbeit. Care-Arbeit wird zum größten Teil von Frauen geleistet, und sie ist zum größten Teil unbezahlt. Care-Arbeit macht den bezahlten Arbeitsanteil in der Gesellschaft, die Erwerbsarbeit, erst möglich. Sie ist der unbezahlte Teil der Wirtschaft. Allerdings wird sie von de­nen, die sich für ihren wirtschaftlichen Erfolg loben, oft ignoriert.

Es ist skurril: Care-Arbeit macht mehr als die Hälfte des notwendigen Arbeitsvolumens in der Gesellschaft aus und wird nicht gesehen, wenn über Arbeit debattiert wird. Sie wird auch übersehen, wenn über fehlende Arbeitsanreize bei einem Grundeinkommen spekuliert wird. Sie ist Arbeit um des anderen Menschen willen. Heilende Arbeit, bildende Arbeit, seelische, erzieherische Arbeit. Ohne sie wird niemand groß, die «Arbeitskräfte» kommen nicht aus dem Nichts. Mit der Diskussion um das Grundeinkommen ist diese Arbeit vermehrt in den Blick geraten, sichtbarer geworden, da ja – vereinfacht – auch Hausfrau oder Hausmann ein Grundeinkommen erhielten. Aber die möglichen Folgen sind umstritten.

Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung?

«Wir müssen Care-Arbeit auf andere Weise ermöglichen, als diejenigen Menschen, die sie erledigen, mit dem Existenzminimum abzuspeisen. Und genau das ist der Fall, wenn das Grundeinkommen als Ermöglichung von häuslicher Care-Arbeit betrachtet wird», sagt die Innovatorin Nadja Schnetzler aus Biel. «Die Sorge vieler Feministinnen ist, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen auch ein Rückschritt sein könnte, weil die Gefahr besteht, dass es als Quasilohn für häusliche Care-Arbeit angesehen wird. Frauen haben sich Gleichberechtigung und Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts hart erkämpft. Männer legen bis heute im Beruf einen viel größeren Wert auf Status und Einkommen, während es Frauen vor allem wichtig ist, dass sie etwas tun, was für sie und für andere sinnvoll ist. (…) Männer entscheiden sich aus diesem Grund wesentlich seltener als Frauen dafür, ihre Erwerbsarbeit aufzugeben oder zu reduzieren, wenn es zum Beispiel notwendig wird, für Kinder, die älter werdenden Eltern oder Schwiegereltern zu sorgen», so Nadja Schnetzler. «Frauen würden mehrheitlich das tun, was zu tun ist, und sich mit dem Grund­einkommen zufriedengeben, während Männer Status und Verdienst folgen. (…) Ein Grundeinkommen könnte zu einer Zweiklassengesellschaft führen, weil es das Dilemma nicht aufhebt, dass Menschen sich zwischen Geld, Karriere und öffentlichem Einfluss auf der einen und Sorgearbeit auf der anderen Seite zu entscheiden haben.»

So kann es betrachtet werden. Das bedingungslose Grundeinkommen ist tatsächlich keine Lösung für irgendein bestimmtes Problem, auch nicht für die mangelnde Gleichberechtigung. Es schafft mehr Möglichkeiten; wie sie genutzt werden, entscheiden die Menschen. Probleme, die unter den alten Bedingungen unter der Oberfläche blieben, könnten sichtbar werden durch die veränderten Grundbedingungen. Das Grundeinkommen ist keine Bezahlung, auch keine Bezahlung für Care-Arbeit. Aber was würden die neuen Bedingungen verändern?

Eine «Herdprämie»?

«Stellen Sie sich vor, was es kosten würde, wenn wir alle Hilfe für Betagte, Kranke, Behinderte und junge Menschen mit Löhnen bezahlen müssten», sagte die Ständerätin Anita Fetz aus Basel in der Parlamentsdebatte über das bedingungslose Grundeinkommen.

Wieso verdient ein Banker mehr als jemand, der in häuslicher Pflege für einen kranken Menschen da ist? Letzterer leistet vielleicht mehr. Leistung muss sich lohnen? Immerzu bezogen auf leistungsgerechte Bezahlung? Ist diese immer wiederholte Forderung blind oder zynisch? «Vielleicht ist den meisten Männern die Relevanz jener eher unsichtbaren Seite der Ökonomie, die sich nicht im Bruttosozialprodukt und nicht in der Steuerpolitik niederschlägt, sondern im sogenannten Privaten stattfindet, nicht bewusst», meint Nadja Schnetzler.

Leben wir heute in dieser Zweiklassengesellschaft? Das ist die Aussage. Haben Frauen sich Gleichberechtigung und Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt nur mit der Not einer zu knappen Haushaltskasse erkämpfen können? Ist das der Gedanke bei der Angst, ein Grundeinkommen könne als «Herdprämie» wirken? Weil der Mann dann sagen könnte: Du bleibst jetzt zu Hause, musst nicht mehr für Geld arbeiten gehen, wir haben ja nun dein Grundeinkommen, ich verdiene mehr Geld, du bleibst am Herd und bei den Kindern. Spricht da die Angst, dass die Emanzipation auf dünnen Beinen steht und sich nicht aus sich heraus behaupten kann?

Auch heute noch werden Frauen oft für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt als Männer. Da sie es sind, welche die Kinder bekommen, fehlen sie rund um die Geburt für eine gewisse Zeit im Erwerbsleben. Viele Frauen arbeiten Teilzeit. Das ist die Situation heute. Und mit einem bedingungslosen Grundeinkommen?

«Damit wären fünfzig Jahre Frauenemanzipation zerstört», sagt die Ökonomiedozentin Amalia Mirante aus Lugano. Weil das Grundeinkommen die Frauen vom Arbeitsmarkt nähme. Aber Erwerbsarbeit bedeute auch Zugehörigkeit zur Gesellschaft und nicht nur eigenes Geld.

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