Buch lesen: «Grundeinkommen von A bis Z», Seite 2

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Anreize
Das bedingungslose Grundeinkommen setzt falsche ­Anreize, heißt es oft. Und zwar den Anreiz, kein Geld zu verdienen. Weil man schon ein Grundeinkommen hat. Kein Geld zu verdienen wird gleichgesetzt damit, nicht zu arbeiten. Ein bedingungsloses Einkommen, heißt es, setzt also den Anreiz, nicht zu arbeiten. Doch das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Preis für die Arbeit. Die mathematischen Formeln der Spieltheorie – Kooperation nur, wenn es den eigenen egoistischen Zwecken dient – stößt beim Thema Arbeit an Grenzen.

Preise sind als Anreize das wichtigste Steuerelement für menschliches Verhalten. Das ist die ökonomische Denkweise. Ein Einkommen ist ein Preis für Arbeit, und für diesen Preis tun Menschen etwas. Ohne Preis kein Fleiß: So könnte man das Sprichwort drehen. Wo kein Verdienst ist, da tun Menschen nichts. Der Preis bestimmt, ob Menschen etwas tun oder nicht.

Ein bedingungsloses Einkommen ist ein Verdienst, für den man nichts tun muss, man bekommt ihn einfach so. Damit widerspricht das bedingungslose Einkommen der Reizwirkung anderer Einkommen, weil es im System der Anreize auftritt als Preis ohne Gegenleistung. Darum heißt es, es würde den Wert der Arbeit schmälern. Weil Arbeit gleichgesetzt wird mit Tätigkeit für einen Preis. In diesem System wäre das bedingungslose Einkommen folgerichtig ein Negativanreiz. Ein Anreiz, nichts zu tun.

Die klassische Ökonomie baut auf das Anreizsystem. Laut Definition ist das Anreizsystem die Summe aller bewusst gestalteten Bedingungen, mit denen auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter einzuwirken ist.

Mit Anreizen sind immer äußere Anreize gemeint, in der Regel Geld. Also nicht Anreize, die in einer Sache selbst liegen wie Sinn, Schönheit oder eine Erfahrung, etwa das Erlebnis, anderen helfen zu können. Die Anreize im Modell der klassischen Ökonomie setzen immer auf den Egoismus. Der Egoismus ist der eigentliche Antrieb, und der Egoismus wird reduziert auf das Ziel, Geld zu verdienen. Darum heißt es auch, dass der Sinn eines Unternehmens der Profit sei. Also nicht, et­was zu tun, was anderen das Leben erleichtert und ihre Möglichkeiten erweitert.

Mit Anreizen arbeiten die Werbung, die Boni, die Partner­vermittlung, die Tourismusbranche, auch Bildung und Erziehung. Anreize sind aus dem Leben nicht wegzudenken, unsere Sinnesorganisation ist darauf angelegt. Anreize bringen ja auch etwas Schönes in die Welt. Die Farben und Düfte der Blumen sind Anreize für Insekten. Bei Tieren wirken Anreize instinktiv. Um dieses allgemeine Thema der Anreize soll es hier nicht gehen. Auch nicht darum, dass Bezahlung und Ehre Anreize sein können. Sondern um das Anreizsystem in seiner mathematischen Form der Ökonomie, die sich mit Wirtschaft gleichsetzt. Mit dem Egoismus als Grundannahme organisiert sie die Berechenbarkeit in einem postulierten Krieg von «jedem gegen jeden».

In seinem Buch «Ego: Das Spiel des Lebens», beschreibt Frank Schirrmacher, bis 2014 Mitherausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», wie sich diese Theorie der Ökonomie entwickelt hat. In der frühen Zeit des Kalten Krieges saßen die Soldaten vor ihren Radarschirmen und beobachteten ununterbrochen, ob irgendwo ein Objekt auftaucht, das auf einen feindlichen Atomangriff hinweisen könnte. Dieses Spähen nach winzigsten Anzeichen im Bewusstsein der ungeheuren realen Gefahr war nicht auszuhalten. Die Soldaten wurden paranoid und kippten um, wenn sie vom Stuhl aufstanden. Die Lösung des Problems war: Es darf nicht als echt aufgefasst werden. Es muss wie ein Spiel sein: Auf dem Bildschirm sieht man einen Pokerspieler, der blufft, täuscht, der wie man selbst das beste Blatt in der Hand haben will und einen zu Fehlern verführt. Und man selbst ist für den anderen auch so ein Pokerspieler auf dem Radar. Die Prämisse für das Verhalten im Kalten Krieg lautete: Ich suche immer und absolut den eigenen Vorteil. Ich täusche, und das Spiel ist immer verdeckt. Ich weiß, dass der Gegner es genauso macht und dass er weiß, dass ich es so mache. Keiner tut je etwas anderes als das, was ihm Vorteile bringt. Dem anderen lasse ich einen Vorteil nur, wenn mir selbst daraus ein Vorteil erwächst.

Das freundliche Wort dafür ist: Spieltheorie. Und die Spieltheorie ist ein Fach der Ökonomie geworden. «Geistlose Zielgerichtetheit» nannte der Spieltheoretiker John Maynard Smith (1920–2004) das. Das Nash-Equilibrium des Mathe­ma­tikers John Forbes Nash (1928–2015) hat die Spieltheorie als Verhaltensmuster für die Ökonomie etabliert. John Nashs Postulat war: Ich muss vom Schlimmstmöglichen ausgehen – für die anderen wie für mich –, um zu einer rationalen Lösung zu kommen. Ich muss davon ausgehen, dass jeder unbeirrbar seinen Vorteil verfolgt, und ich muss die Vorteile aller im Auge haben, um meinen zu optimieren. Nash setzte seine Erkenntnis, dass der Mensch ein «rationaler Egoist» sei, in mathematische Gleichungen um, die alles Verhalten unter dieser Voraussetzung berechenbar machen.

«Die Spieltheorie ist viel geeigneter für Automaten als für Menschen», so Nir Vulkan, einer der Vordenker der elektronischen Märkte.

«Denn nur, wenn man als Prämisse akzeptiert, dass jeder nur aus Eigennutz handelt, kann man die ganze Komplexität menschlichen Verhaltens in die Sprache der Mathematik übersetzen», so Schirrmacher. Die Ökonomie denkt seither den Menschen als diese mathematische Abstraktion, als sei es dessen wahre Natur. Die Folge ist, «dass diese Theorie nicht nur Handeln beschreibt, sondern Handeln erzwingt. (…) Sie postuliert nicht nur Egoisten, sie produziert sie», schrieb Frank Schirrmacher. Die Theorie wurde mit der Wirklichkeit verwechselt und schaffte ab da selber Wirklichkeit. Die Spiel­figur des Kalten Krieges und die Theorie vom rationalen Egoisten wurden zum Alter Ego, welches den Menschen vorgesetzt und in das sie hineingezogen wurden. Die Computersimulation steht plötzlich da als Ur- und Vorbild für den Menschen.

Es geht nicht nur darum, wie Ökonomen Menschen in ihren Systemen denken. Sondern es geht darum, wie weit man selber sich so denkt. Und wie sehr denkt man andere so?

Die Frage tritt beim bedingungslosen Grundeinkommen auf. Es tritt bei vielen Diskussionen zutage, dass die Gleichsetzung des Menschen mit dem Homo oeconomicus Allgemeingut geworden ist. Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein beiläufiger Vorschlag zu einer anderen Einkommensordnung, sondern wirft die Frage nach dem Menschen auf. Der Mensch wird zu dem, als was er sich zu denken vermag. Und er macht andere zu dem, als was er sie denkt.

«Dass man nur ist, was man tut, und dass man nur tut, wofür es einen Markt gibt, und dass es nur einen Markt gibt für das, wofür man bezahlt wird, ist das Mantra der neuen Identität», so Schirrmacher. «Die Moderne hatte – mit Sigmund Freud & Co. und mit wachsenden moralischen Widersprüchen des kapitalistischen Systems – das ‹Ich› aufgelöst.» Vernünftig zu denken heißt in dem System der Ökonomie: «Lerne so zu denken und zu handeln, dass du immer nur von dem Eigeninteresse aller ausgehst.» Die Spielfigur, die anstelle dessen, was ein Mensch ist, zum Ego-Prinzip für alles geworden ist, nennt Frank Schirrmacher «Nummer 2». «Zu den ‹Charaktereigenschaften› von Nummer 2, Egoismus und Profitmaximierung, kommt noch eine dritte hinzu: die pure Angst. Sie entspringt einer Logik, die im Kalten Krieg wieder und wieder durchgespielt wurde: Vernünftiges Verhalten des Gegners entsteht nicht durch vernünftige Argumente, sondern durch Drohungen und Angst vor Vernichtung.»

Wenn die Erwerbsarbeit ideologisch hochgehalten wird in der Art, wie Schirrmacher es beschreibt, dann wird ein Wert der Arbeit hochgehalten gegen die Freiheit der menschlichen Arbeit. Was in diesem Hochhalten der Anreize als Eigenverantwortung bezeichnet wird, ist «Nummer 2».

Die lateinische Phrase «Do ut des» stammt aus der Rechtsprechung und bedeutet: Ich gebe, damit du gibst. Es ist eine Rechtsformel für gegenseitige Verträge. Wenn dies zur grundsätzlichen Strategie sozialen Verhaltens wird, ergibt sich das Dogma der Gegenleistung, Leistung nur gegen Leistung. Was in einigen Fällen seine Berechtigung hat, wird dann auf alles angewendet. Und jeder ist Teil davon. Wir sind nicht betroffen? «Die Welt als mathematischer Zustand, bei dem alles seine Funktion hat», so nennt es Frank Schirrmacher.

Es könnte so aussehen, als wäre das bedingungslose Grundeinkommen ein Gegenpol zur Ökonomisierung. Aber vielleicht gießt das bedingungslose Grundeinkommen auch Öl ins Feuer einer Entwicklung, die Frank Schirrmacher mahnend so beschreibt: «In einer Welt, in der der Informationskapitalismus das Innere des Kopfes vermarktet, (…) ist die Verflüssigung von Zahlen, Identitäten, Lebenswegen, Berufen das Gebot der Stunde.» Selbstmaximierung, jeder ein Unternehmer. «Der neue Kapitalismus aber hat es geschafft, die Verantwortung auf das Ich der Menschen abzuwälzen.» Wenn erst mal jeder akzeptiert, so Schirrmacher, dass er es nur sich selbst zuzuschreiben hat oder mangelndem Glück, wenn er als Verlierer vom Platz geht, dann kann das Pokerspiel erst richtig beginnen.

Veränderungen in der Arbeitswelt und im Sozialen durch technische Entwicklungen werden hingenommen wie eine höhere Bestimmung. So kann auch die Einführung eines Grundeinkommens zu einer automatischen Folge der Automatisierung geraten ohne weitere Bewusstseinsleistung der Menschen. «Wie heute aller soziale Wandel beschrieben wird als das Ergebnis eines technologischen Determinismus», sagt Frank Schirrmacher. Um diesen Unterschied geht es: technologischer Determinismus oder Eigenleistung der Menschen? Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine parallele Entwicklung zur Digitalisierung. Aber es ist nicht dieselbe Entwicklung. Es ist insofern ein Gegengewicht zur Digitalisierung, als es beim bedingungslosen Grundeinkommen dar­um geht, dass der Mensch in der Entwicklung bleibt.

Das bedingungslose Grundeinkommen geht nicht von einer naiven Sichtweise aus, in welcher der Mensch von Natur aus hilfreich und gut ist. Jede Entscheidung, die ein Mensch fällt, richtet sich nach dem, was er für das Beste hält. Das heißt, worin er für sich seinen maximalen Vorteil sieht. Ob er nun Kranke pflegt oder an der Börse spekuliert. Er richtet sich nach dem, worin er seine Werte, Leidenschaften, Ziele am besten umsetzen und erleben kann. Das kann jeder bei ehrlichem Hinschauen auf sich selbst bemerken. Dieser Egoismus kann verschiedene Richtungen und Färbungen annehmen und sich auch in Selbstlosigkeit wandeln.

Im ökonomischen Anreizsystem wird der Egoismus festgelegt auf Geldgewinn. Das System sorgt dann dafür, dass dieser fixierte Egoismus zum Nutzen aller gelenkt wird und im Endeffekt Züge der Selbstlosigkeit annimmt. Aber nicht vom Individuum aus. Der Unterschied zu dem, was das bedingungslose Grundeinkommen anspricht, ist nicht moralischer Art. Intrinsische Motivation, Motivation aus eigenem Antrieb, ist moralisch nicht besser als extrinsische Motivation, Motivation durch äußere Anreize. Der Unterschied besteht darin, den Egoismus einerseits in seiner Vielfalt und Wandelbarkeit beim Menschen zu belassen und anderseits den Egoismus in seine Verantwortung zu nehmen, anstatt den Menschen festzuschreiben auf eine einzige Art des «rationalen» Egoismus. Dies, um der Berechenbarkeit Futter zu geben und den Menschen zur arbeitenden Funktionseinheit für die Allgemeinheit machen zu wollen.

Rational sind die Entscheidungen zum eigenen Vorteil längst nicht immer. Und den Vorteil aller anderen hat man dabei auch nicht unbedingt im Blick. Hat man ihn im Blick, so kommt es tatsächlich eher zum eigenen Vorteil. Der Un­ter­schied ist, ob das ein System regelt oder ob ich das selbst erleben kann und mich daran entwickle. Selbstlosigkeit zeigen Menschen zum Beispiel gerade in unvorhergesehenen Ex­trem­situationen, in denen sie keinen Vorteil mehr erwarten können.

Prof. Bruno Frey von der Universität Zürich ist einer der Pioniere der ökonomischen Glücksforschung und führend in der Kulturökonomie. Seine Forschung belegt, dass Anreiz­systeme eine toxische Wirkung haben auf die intrinsische Mo­tivation. Sie bringen sie zum Erliegen. Dem Gedanken des ­bedingungslosen Grundeinkommens kann er deshalb etwas abgewinnen. Aber Anreize, sagt Bruno Frey, seien nicht per se schlecht. Es komme auf die richtige Balance an zwischen intrinsischer Motivation und äußeren Anreizen.

«Bezahlung verändert Motive und Motivation», sagt Josef Brusa, CEO des gleichnamigen Schweizer Technologieun­ter­nehmens. Wenn Mitarbeiter immer auf die Bezahlung schauen, dann sind sie nicht voll bei der Sache. «Erfolgsprämien werden spätestens beim dritten Mal als selbstverständlich erwartet. Wenn sie dann nicht mehr gezahlt werden oder geringer sind, ist der Motivationseffekt negativ.»

Eine groß angelegte amerikanische Studie bei Schüle­rinnen und Schülern unter dem Titel «Leveraging Behavioral Economics to Improve Educational Performance» von 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass Geld als Anreiz motiviert, wenn der Betrag hoch genug ist. Und wenn er zeitlich nahe zur belohnten oder geforderten Leistung gegeben wird. Nicht monetäre Anreize wie Pokale und Auszeichnungen haben allerdings einen weit höheren Motivationseffekt. Andere Studien belegen nicht nur die erste Wirkung, sondern auch die weiteren Folgen von monetären Anreizen bei Kindern: Einer Gruppe Kindern wurden in einem Experiment für das Spielen eines bestimmten Spiels, das sie gerne spielten, Geld gegeben. Einer anderen Gruppe, die dasselbe Spiel spielte, nicht. Die Motivation zum Spielen war in der ersten Gruppe durch die Bezahlung nun geringfügig größer als in der zweiten. Nach einer Weile wurde in der ersten Gruppe die Bezahlung verringert. Das führte zu leichten Irritationen und anfänglicher Unlust. Als die Bezahlung ganz eingestellt wurde, hörten die Kinder auf zu spielen. In der zweiten Gruppe spielten sie weiter. Der Wert oder Sinn und die Lust am Spielen waren in der ersten Gruppe auf die Bezahlung selbst übergegangen. Keine Bezahlung? Warum dann noch dieses Spiel spielen? Der ausbleibende Anreiz hinterlässt Leere. Nicht nur für das eine Spiel, sondern überhaupt für das Spielen hat das Folgen.

Wäre das bei einem bedingungslosen Grundeinkommen auch so? Der ausbleibende Anreiz hinterlässt Leere? Weitere Experimente wurden in ähnlicher Art durchgeführt. Einem Kind, das munter malte, wird für ein Bild Geld gegeben. Zunächst freut sich das Kind und nimmt das Geld als Anreiz für ein nächstes schönes Bild. Nach einigen Malen erhält es kein Geld mehr für sein Bild. Nun denkt das Kind, es habe schlecht gemalt. Der ausbleibende Lohn wird zum Tadel und frustriert. Das Malen wird zur Mühe, die man lässt, wenn keine Belohnung stattfindet.

Kann man sagen: Anreizsysteme schaffen Dopingfälle? Das sind Leistungen, die man später aus seiner Biografie streichen muss. Es waren nicht die eigenen. Keine bleibenden Werte.

Das Hochhalten des Anreizes, eines äußeren und nicht in der Sache liegenden Anreizes, stärkt nicht, sondern verführt zu etwas, was man selbst nicht wollen kann. Bei vielen bereits in der Schule. Das ist keine gute Basis für nachhaltige Ergebnisse. Es irritiert den Sinn und korrumpiert den Willen.

Das bedingungslose Grundeinkommen steht nicht gegen extrinsische Motivation. Auch Geld als Anreiz und Berechenbarkeit haben einen Wert. Aber das Grundeinkommen gibt der inneren Motivation einen größeren Raum, indem es die pure Existenzangst beseitigt und einem die Verantwortung für das eigene Tun nicht abnimmt.

Arbeitsplätze
Es gibt zwei gute Nachrichten: Erstens werden uns laut ­verschiedener Prognosen in den nächsten zwei Dekaden ­Maschinen und Computer bis zur Hälfte der heutigen Jobs abnehmen. Zweitens wird es genug zu tun geben für alle: vor ­allem Arbeiten, die Persönlichkeit verlangen und individuell Sinn stiften. Das Grundeinkommen wäre nüchtern betrachtet die Basis der kommenden ­Leistungsgesellschaft.

Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Demoscope vom Dezember 2015 würden mit einem bedingungslosen Grundeinkommen insgesamt 90 % weiterhin erwerbstätig sein, 34 % der Erwerbstätigen würden weniger arbeiten wollen. 40 % möchten sich mehr in der Freiwilligenarbeit engagieren, 53 % möchten mehr Zeit mit der Familie verbringen, 54 % möchten sich mehr weiterbilden. 13 % würden gerne den Arbeitsplatz wechseln und 22 % wollen sich selbständig machen.

Die Frage, wer mit einem bedingungslosen Grundeinkommen noch arbeitet, muss man differenzieren. Sie betrifft nicht die unbezahlte Arbeit, die über die Hälfte aller geleisteten Arbeitsstunden ausmacht und das Gemeinwesen trägt. Also Freiwilligenarbeit, Care-Arbeit, Hausarbeit. Diese Arbeiten würden eher aufgewertet. Sie betrifft nicht die gut bezahlte Arbeit. Der gewohnte Lebensstandard, die laufenden Kosten und auch das Selbstverständnis lassen einen nicht einfach auf die Einkommenshöhe nur eines Grundeinkommens umsteigen. Das Grundeinkommen ist kein Grund, eine eigene Arbeit aufzugeben. Weniger gut bezahlte Arbeiten, die aber letztlich doch gerne gemacht werden, die zumindest lieber gemacht werden, als zuhause zu sitzen, werden mit einem bedingungslosen Grundeinkommensbetrag auch weiterhin gemacht werden. Die Frage: «Wer arbeitet dann noch?» betrifft alle Arbeitsstellen, in denen Menschen ihre soziale Einbindung haben und eine Aufgabe sehen. Warum sollte jemand sein Lebensumfeld am Arbeitsplatz verlassen, nur weil die Existenz bedingungslos gesichert ist?

Wie sieht es aus bei der ungeliebten und gering bezahlten Arbeit – der sogenannten Drecksarbeit? Wenn sie unverzichtbar ist, ist sie gesellschaftlich wertvoll und müsste mehr Wertschätzung erfahren. Sie wird besser bezahlt werden müssen, wenn sie sonst niemand macht. Die Arbeitsbedingungen müss­ten verbessert werden, damit Menschen sie machen. Häufig sind solche Arbeiten für die Menschen, die sie tun, nicht Drecksarbeiten, sondern sie sehen einigen Sinn darin und haben andere Erlebnisse, als Außenstehende wissen kön­nen. Bei manchen Arbeiten kann man sich nicht vorstellen, dass man selbst sie freiwillig täte, und also auch nicht, dass ein anderer das macht. Das trägt zur Geringschätzung dieser Arbeiten bei und leider auch zur Geringschätzung derer, die sie tun.

Die Frage, wer dann noch arbeitet, reduziert sich letztlich auf diejenigen, die auch heute schon nichts tun. Die also auch nicht in irgendeiner Weise künstlerisch oder im sozialen Umfeld tätig sind und auch nicht einer noch so eigenar­tigen Idee nachgehen. Statistisch gesehen ist das heute ein ganz kleiner Teil der Bevölkerung. Den wird es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen vielleicht auch geben.

Laut einer Studie der Oxford Martin School vom Dezember 2013 werden innerhalb der nächsten zwanzig Jahre etwa die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze von Robotern, Datenplattformen und Algorithmen übernommen. Betroffen sind alle Branchen in allen Bereichen, wo sich Arbeit quantifizieren, analysieren und digitalisieren lässt. Was nicht ersetzt werden kann, sind laut der Studie Tätigkeiten, die Empathie, Überzeugungskraft, Originalität, Verhandlungsgeschick oder besondere motorische Fähigkeiten brauchen.

Was viele Ingenieure, Konzernchefs, Wissenschaftler weltweit über diese sogenannte Industrialisierung 4.0 sagen, zeigt Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, in Bezug auf die Schweiz auf: «Zuerst wirbelte die Digitalisierung die Medien durch, nun die Banken. Das Gesundheitswesen und die Bildung werden bald erfasst. (…) In der Schweiz fallen 200 000 Bürojobs weg. Der Mittelstand löst sich auf. Der tragende Pfeiler unserer Demokratie ist bedroht. (…) Jeder Einzelne muss bereit sein, sich ständig weiterzubilden. Und der Staat soll Strukturen schaffen, die allen ein unternehmerisches Verhalten ermöglichen. Die Zukunft gehört nicht den großen, sondern den eigenen Firmen. (…) Das Volk muss die Regeln setzen, auch für die Wirtschaft. Da sich alles so schnell ändert, besteht die Gefahr, dass Firmen Regeln setzen und ihre Regeln automatisch Gesetz werden. Nötig sind politische Prozesse, die ständige Anpassungen der Regeln an die Entwicklungen zulassen. (…) Der Wettbewerb der Zukunft wird ein Wettbewerb der Systeme sein, nicht der Produkte.» Damit meint Klaus Schwab auch eine Neustrukturierung in der Einkommensregel wie zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen.

«Neugierig auf die Welt zu sein, mit Wandel und Veränderungen umzugehen, dauerhaft lernen zu können, Veränderungen einordnen zu können im Kontext», das hält Klaus Wellershoff, Präsident des Volkswirtschaftlichen Instituts an der Universität St. Gallen HSG, für die wichtigsten Eigenschaften, die Jugendliche lernen sollten und die auch für uns alle gelten.

Aber kommt es wirklich so, wie die Vorhersagen es zeigen? Betrifft uns das?

Die Digitalisierung verändert nicht nur das, was man sich vorstellen kann. Die Veränderungen in der Wirtschaft werden so groß sein wie dereinst beim Wandel von der Agrarwirtschaft zur Kapitalwirtschaft. Die Landwirtschaft gibt es immer noch. Effizienter als früher, nicht weniger wichtig, aber sie macht nicht mehr den Schwerpunkt der Arbeit für die meisten aus.

Was Klaus Wellershoff voraussagt, bedeutet, dass sich ein Schwerpunkt der menschlichen Arbeit in den nächsten Jahrzehnten bei personenbezogenen Dienstleistungen, kultureller und künstlerischer Arbeit auch im Kontext mit sozialer Gestaltung herausbilden wird. Mehr selbständige Arbeiten als heute, mehr Projektarbeiten und wechselnde Zusammenarbeit.

Das hieße nicht, dass wir alle dann nur ein Grundeinkommen hätten. Aber das Grundeinkommen könnte unentbehrlich und förderlich sein bei Übergängen und dabei, etwas aufzubauen, sich neu zu orientieren und in neuen Arbeiten auch zu einem guten Gesamteinkommen zu kommen. Es wäre, nüchtern betrachtet, die Basis der kommenden Leistungsgesellschaft.