Buch lesen: «Drachenwispern», Seite 4

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Mit offenem Mund lauschte Ardun ihren Worten und versuchte zu verstehen, was er da hörte. Es war ein gut bekanntes Geheimnis, dass viele Bewohner der verschiedenen Länder in der Lage waren Magie zu manipulieren. Dennoch …

»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, wie uns das weiterhilft«, gab er kleinlaut zu.

Lians Lächeln wurde noch breiter und unter Arduns aufmerksamen Blick begann sie damit, eine längliche Mulde auszuheben, die sie dann mit flachen Steinen auslegte. Als Nächstes griff sie zu ihrem Schlauch und füllte die Mulde mit Wasser und legte aus ihrem Beutel einige gewöhnliche Kohlestücke hinein. Die Steine verhinderten, dass die Flüssigkeit sofort versickern konnte, aber sie waren nur ein Provisorium, sodass die Wassermenge abnahm, wenn auch nur sehr langsam. Doch als die Elfe nun ihre Hände ausstreckte und die Handflächen sanft auf die Wasserfläche legte, stoppte der Abfluss und das Wasser schien zu erstarren. Fasziniert beugte Ardun sich näher, während das Wasser sich langsam zu verändern begann. Zunächst wandelte sich die Farbe. Die Oberfläche wurde erst stahlgrau, dann fast durchsichtig, ehe sie zu einem glänzend silbrig wurde. Gleichzeitig komprimierte sich die Masse des Wassers. Es wurde immer fester zusammengedrückt, bis es an manchen Stellen nur noch eine hauchdünne Scheibe war. Ardun war gefesselt von dem Schauspiel, bemerkte aber dennoch die Schweißperlen auf Lians Stirn und die Anstrengung in ihrem Blick. Einen kurzen Augenblick wandte er seinen Blick von dem Wasser ab und betrachtete das Gesicht der Elfe, da sackte sie plötzlich schwer atmend in sich zusammen. Erschöpft keuchte sie hervor:

»Es ist vollbracht.«

Neugierig sah Ardun in das Becken. Das Wasser war verschwunden. Stattdessen lag auf den Steinen eine schmale Klinge, etwas länger als sein Unterarm, und sie glänzte wie ein einsamer Stern in der Nacht. Der Griff war kunstvoll gewunden und mit mystischen Mustern versehen. Es war der schönste Dolch, den Ardun je gesehen hatte. Vorsichtig streckte er die Hand danach aus, hielt dann aber inne und sah fragend zu Lian. Diese nickte ihm aufmunternd zu und so hob er ehrfürchtig die Waffe aus dem Becken. Sie war unglaublich leicht und schmiegte sich perfekt in seine Hand Probeweise machte er ein paar Bewegungen und hielt freudig verblüfft inne. Die Elfe hatte nicht zu viel versprochen, als sie meinte, es handle sich um eine Verlängerung seines Armes. Leicht wie eine Feder und doch hart wie Diamant kam ihm die Klinge vor. Es war ein Meisterwerk. Ein königliches Geschenk. Unendlich dankbar drehte er sich zu Lian herum. Nie zuvor hatte er etwas Wertvolles sein Eigen nennen können. Und nun schenkte ihm diese Elfe eine solche Kostabarkeit. Jetzt brannte er umso mehr darauf zu lernen, diese Waffe auch zu gebrauchen. Und doch konnte er nicht anders, als zu versuchen, das Geschehene zu verstehen. Daher fragte er die Elfe begierig:

»Wozu war die Kohle vonnöten?«

Lian wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, ehe sie antwortete: »Wenn ich nur Wasser verwendet hätte, um die Waffe zu erschaffen, wäre sie in deinen Händen nutzlos, da du das Wasser nicht kontrollieren kannst. Daher habe ich Kohle hinzugefügt, die ich durch die Komprimierung des sie umgebenden Wassers einem extremen Druck ausgesetzt habe. Dadurch ist ein Diamant entstanden, den ich mit dem Wasser verbunden habe und so einen neuen Stoff, eine einzigartige Legierung erschaffen habe.« Ardun war schwer beeindruckt von den Fähigkeiten Lians, aber er konnte es sich dennoch nicht verkneifen, spöttisch zu entgegnen: »Wenn Diamanten wirklich nur Kohle sind, dann wären die Menschen in den Städten allesamt reich!« Lian bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick, ehe sie tadelte: »Natürlich ist Kohle kein Diamant! Aber tausende von Jahren können sie unter der Erde zu Diamanten werden lassen. Alles, was ich getan habe, war, einen enormen Druck zu erzeugen und somit diesen natürlichen Prozess zu beschleunigen. Und wie du siehst, hat es durchaus funktioniert.«

Ardun senkte entschuldigend den Kopf und strich über die Klinge. Sie fühlte sich wunderbar kühl an. Seine Finger wanderten bis zur Spitze und dann langsam die Schneide hinab. Sie war schärfer als alles, was er bisher kennengelernt hatte, und ein roter Blutstropfen löste sich von seinem Finger, da er sich die Haut aufgeritzt hatte. Zufrieden lächelnd machte er sich daran, einige überflüssige Lederstücke von seinem Sattel abzutrennen, um daraus eine behelfsmäßige Scheide zu formen, die er mit Ranken an seinem Gürtel befestigte. Nun fühlte er sich für alles gerüstet, was da auch kommen mochte.

9

Elynia war schon weit früher an den Stadttoren, als nötig gewesen wäre. Beladen war sie nur mit einem kleinen Bündel, ihren Waffen und leichter Reisekleidung. Der Morgen verging und auch die verabredete Stunde kam und ging, ohne dass sie Gesellschaft bekam. Hinter sich hörte sie die Stadt erwachen. Zunächst ertönten die Fanfaren der morgendlichen Wachablöse, dann das Rumpeln der Karren, als der Markt eröffnet wurde und zuletzt das Trappeln tausender Füße, als der Rest der Bevölkerung aus seinem Schlummer erwachte. Die junge Elfe lauschte aufmerksam, doch sie sah nicht zurück. Sie hatte eine Entscheidung getroffen und würde die Reichsstadt auf unbestimmte Zeit verlassen, vielleicht sogar für immer. Daher wollte sie sich den Abschied nicht unnötig noch schwerer machen. Deshalb wandte sie den Bauten abweisend den straff durchgedrückten Rücken zu.

»Willst du nicht noch einen letzten Blick auf deine Heimat werfen?«, ertönte plötzlich eine gehässige Stimme hinter ihr, »du wirst sie garantiert nie wiedersehen.«

Elynia ging nicht auf den feindseligen Ton ein und entgegnete schlicht: »Ich habe bereits Abschied genommen.« Der Mensch trat mit gelangweilter Miene vor sie und zuckte belanglos mit den Schultern. Dann wandte er sich ab und entfernte sich gemütlich in Richtung Norden von der Elfenhochburg. Er hatte nichts gesagt, daher nahm Elynia an, dass sie ihm folgen sollte. Eine Weile trottete sie ihm hinterher, ohne dass der Mann ein Wort mit ihr sprach oder sie auch nur eines Blickes würdigte. Irgendwann hielt sie es dann nicht mehr aus und beschwerte sich vorwurfsvoll:

»Was habe ich Euch getan?«

Als der Mensch sie daraufhin tatsächlich ansah, spiegelte sein Gesicht ernsthafte Überraschung wider und er antwortete stirnrunzelnd: »Nichts.«

Und damit war die Sache für ihn wohl geklärt und er ging ohne ein weiteres Wort weiter. Elynia starrte ihm fassungslos hinterher. Wie konnte er sich nur so abweisend ihr gegenüber verhalten und im selben Atemzug behaupten, sie habe ihm nichts getan? Auch ohne sie anzusehen, erkannte er wohl ihr Unverständnis und erklärte weiter:

»Ich habe nichts gegen dich persönlich, sondern gegen das Elfenpack ganz allgemein, allen voraus gegen diesen arrogante Mistkerl Eldor, der sich auch noch König schimpft. Er denkt, das wäre alles nur ein Spiel und wie ein trotziges Kind, welches am Verlieren ist, versucht er, sich um seinen Tribut herumzudrücken. Als wären wir nur zum Spaß da!«

»Nun ja, wir leben in der längsten Friedensperiode seit Beginn der großen Aufzeichnungen, wozu benötigt Ihr also die ganzen Soldaten?«, wandte Elynia ein.

Der Mann drehte sich zu ihr um und bedachte sie mit einem verächtlichen Blick.

»Ihr wisst nichts!«, spie er aufbrausend, »wir befinden uns in einem Krieg von solchem Grauen, dass es dir nachts schreckliche Albträume bereiten und dich selbst bei hellem Sonnenschein noch erschaudern lassen würde! Deshalb ist es auch unnötig, Sympathie für dich zu empfinden oder nett zu dir zu sein, denn du wirst sowieso bald sterben. Und wenn du mich schon stören musst und etwas von mir willst, dann wirst du mich gefälligst mit Meister Ruben ansprechen.«

Schockiert registrierte Elynia, wie sehr dieser Mann von Hass und Bitterkeit zerfressen war. Sie zweifelte nicht an seinen Worten über einen grausamen Krieg, obwohl sie das erste Mal davon hörte, denn wer so wurde wie dieser Mann, der musste schon Fürchterliches durchlebt haben. Von nun an vermied sie es, ihn anzusprechen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ und übte sich in Schweigen. Allerdings war ihr diese Kunst zuwider und es dauerte nicht lange, da wuchs in ihr wieder die Neugierde, so lange, bis sie es nicht mehr aushielt und sie das Schweigen zwischen ihnen erneut brach.

»Wohin gehen wir? Und wie lange wird unsere Reise dauern?«

Diese Fragen erschienen ihr unverfänglich und es brannte ihr unter den Nägeln zu erfahren, wie lange sie die bedrückende Anwesenheit des Meisters noch zu ertragen hatte.

»Zu den Schwarzbachgrotten«, kam die monotone Antwort.

Elynias Herz tat einen kleinen Hüpfer und mit plötzlich aufkommender Gänsehaut fröstelte sie. Einen Moment hoffte sie darauf, dass Meister Ruben das Gesagte als einen Scherz entlarvte, doch er tat es nicht. Und tatsächlich stimmte die Richtung, in die sie liefen, mit der Lage der Grotten überein. Trotzdem konnte dies nicht der Ernst des Menschen sein. Die Schwarzbachgrotten waren ein verbotener Ort, den niemand betreten durfte. Dennoch stand es nicht unter Strafe, es doch zu tun, denn wer dieses Wagnis einging, wurde nie wieder gesehen.

»Wir können nicht an diesen Ort gehen, er ist verflucht!«, appellierte sie an den Verstand des Zauberers, doch diesem konnte sie nur ein amüsiertes Lächeln entlocken.

»Dann kehr doch um«, höhnte er.

Natürlich konnte Elynia nicht wieder zurückgehen und sie beschwerte sich nicht weiter, aber in dieser Nacht erschienen ihr im Traum all die Monster aus den Erzählungen, die sich um den Schwarzbachgrund rankten. Als sie am nächsten Morgen schweißgebadet erwachte, war sie bereits etliche Male zerfleischt und hinterrücks erschlagen worden oder in finstere Felsspalten voller Knochen gestürzt. Allerdings hütete die Elfe sich tunlichst, dem Zauberer davon zu erzählen, denn auf den Hohn des Meisters konnte sie getrost verzichten. Drei weitere Tage vergingen, in denen sie alle Warnungen ignorierten, die am Wegrand zum Schutz von Wanderern aufgestellt worden waren, dann blickte sie geradewegs in den undurchdringlichen Schlund der Grotten. Sie fraßen sich als zahlreiche Stollen und Tunnel in den Halbspitz, einen uralten verwitterten Tafelberg. Der Zugang, in den sie nun spähte, war hinter Blättern und Ranken verborgen gewesen und Elynia hätte ihn nicht einmal bemerkt, wenn Meister Ruben nicht zielstrebig darauf zugesteuert wäre.

»Die Geschichten sind nur Legenden«, stellte der Zauberer klar und trat in die Dunkelheit.

Doch trotz dieser Beteuerung zögerte Elynia, ihm zu folgen. Ein ungutes Gefühl hatte sie beschlichen und es schien ihr, dass der sachte Luftzug nach ihr griff und sie nach innen zog. Zögerlich gab sie dem Zerren nach und redete sich ein, dass ihr Verstand ihr nur Streiche spielte, wegen der vielen Gruselgeschichten über diesen Ort. Sie tat einen tiefen Atemzug, dann trat sie in die Dunkelheit. Trotz ihrer guten Augen konnte sie gerade genug erkennen, um bis zu der ersten nahen Biegung des Ganges zu sehen, an der Meister Ruben auf sie wartete. Ein modriger Geruch schlug ihr entgegen und sie beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Doch als sie die Ecke umwunden hatten, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie hatte einen dunklen Ort voller Gefahren erwartet, aber stattdessen wurde sie mit einer unvorstellbaren Schönheit konfrontiert, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Hier war die Dunkelheit schlagartig einem sanften Licht gewichen, welches von den Wänden ausgestrahlt wurde. Diese bestanden nicht etwa aus kargem Stein, sondern waren aus klarem Kristall. Und darin eingeschlossen schimmerten erstarrte Feuer in verschiedenen Farben, die das Leuchten erzeugten. Fasziniert strich Elynia über die glatte Kristalloberfläche. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einer Bewegung erregt. In einer Wasserlache zu ihren Füßen wuselten einige der seltsamsten Lebewesen, die sie je gesehen hatte. Sie waren etwa so lang wie ihr Unterarm, nackt und sahen aus wie mutierte Lurche.

»Grottenolme«, kommentierte der Zauberer ihre Entdeckung, »diese Überlebenskünstler benötigen nur alle paar Jahre etwas Nahrung. Gefährlicheren Lebewesen wirst du auf unserem Weg nicht begegnen und jetzt komm, trödle nicht!«

Sie folgte ihm durch die Höhle. An einigen Stellen zweigten weitere Gänge ab, doch sie ignorierten diese. Dann aber blieb Elynia vor einem schmalen Gang stehen und spitzte die Ohren. Sie glaubte, von irgendwo aus diesem Stollen eine helle Melodie gehört zu haben. Zunächst wurde sie enttäuscht und vernahm nur das Pochen ihres eigenen Blutes in den Ohren, doch dann war das Geräusch wieder da. Es klang fröhlich und einladend. Die Elfe machte einen Schritt in den Gang hinein. Dann noch einen. Sie wollte ergründen, woher die schöne Musik stammte. Da packte sie grob eine Hand am Oberarm und riss sie zurück. Das wutentbrannte Gesicht Meister Rubens erschien direkt vor ihrem. Der Zauberer funkelte sie an und zischte: »Ich sagte, auf unserem Weg wird dir nichts Gefährliches begegnen. Das gilt aber nicht für die restlichen Pfade!«

»Aber sagtet Ihr nicht, die Schauergeschichten seien nur Legenden?«

Er sah sie mit unergründlichem Blick an, dann antwortete er leise: »Und die besten Legenden sind jene, die wahr sind!« Nach dieser untrüglichen Warnung war Elynia darauf bedacht, niemals mehr als einige Schritte hinter dem Meister zurückzufallen und die Wände nur noch aus der Ferne zu betrachten. Der mürrische Mensch führte sie immer weiter und mit beschleunigten Schritten tiefer in die Grotten hinein, bis sie vor einem See aus pechschwarzem Wasser standen. Verblüfft starrte die Elfe auf die undurchdringliche Oberfläche. Sie hätte nicht gedacht, dass es in den Schwarzgrundgrotten solche Gewässer gab.

»Spring rein!«, befahl der Zauberer ihr unsanft.

Elynia sah ihn entsetzt an. Jetzt war sie sich sicher. Der Mensch war völlig übergeschnappt! Niemand konnte wissen, welche Ungetüme sie unter dieser schwarzen Decke erwarteten. Sie überlegte kurz, wobei ihre Überlebenschancen besser standen, bei einem Sprung in den See oder einem Kampf mit dem Zauberer. Sie entschied sich, auf Zeit zu spielen.

»Wieso sollte ich das tun?«, verlangte sie störrisch zu erfahren.

Der Mann verdrehte entnervt die Augen.

»Diese Gewässer sind auf magische Weise mit einem Becken in Celion verbunden, dir wird nichts geschehen.« Elynia war noch immer unsicher. Sie verstand nichts von Magie und konnte nicht einschätzen, wann der Meister die Wahrheit sprach und wann er log. Andererseits gab es viele Theorien, wie die Aquiron ihre Truppen so schnell von A nach B bewegen konnten und diese Erklärung erschien ihr einigermaßen plausibel. Immer noch verharrte Elynia zögernd. Offenbar einen Moment zu lange, denn dem Zauber war wohl der Geduldsfaden gerissen. Er stellte sich direkt hinter sie an den Rand und verpasste ihr einen kräftigen Stoß in den Rücken. Kopfüber stürzte sie in das kalte Nass. Blind und wild um sich schlagend, versuchte sie, wieder an die Oberfläche zu gelangen, doch all ihre Bemühungen waren vergebens und sie wurde unweigerlich weiter in die Tiefe gerissen. Die Elfe war umgeben von erdrückender Finsternis. Die Luft in ihren Lungen wurde langsam knapp und ihr Herz hämmerte wie verrückt. Ihr wurde schwindelig. Und dann war es vorbei. Mit einem Mal war sie umgeben von grellem Licht und ihr Kopf durchstieß die Wasseroberfläche. Gierig füllte sie ihre Lungen mit frischem Sauerstoff. Dann erst sah sie sich um. Sie befand sich in einem gigantischen, flachen Wasserbecken, welches sich in einem noch größeren marmornen Badehaus befand. Die hohe Decke wurde von drei dicken Säulen gestützt, welche mit farbenfreudigen Malereien bedeckt waren. Von der Decke tropften tausende Wassertränen in das Gefäß, in dem auch sie nun hockte. Wie in Zeitlupe fielen sie zu ihr herab und verbanden sich mit dem Wasser um sie herum. Elynia senkte ihren Blick zum Boden des Badehauses. Flache Stufen führten aus dem Wasser, welches eine angenehme Temperatur hatte. Vorsichtig erklomm Elynia die Stufen und trat aus dem Becken. Die nasse Kleidung klebte ihr eng am Leib und das Haar hing ihr triefend ins Gesicht, während sich zu ihren Füßen eine immer weiter anwachsende Wasserlache bildete und so die Perfektion der blankpolierten Fliesen störte. Elynia blickte sich um. Hinter ihr stieg Meister Ruben gemessenen Schrittes aus dem Wasser. Seltsamerweise war seine Kleidung völlig trocken, wodurch sie sich in ihren triefenden Stoffen etwas fehl am Platz fühlte. Es musste bei dieser Form zu reisen irgendeinen Kniff geben, einen einfachen Trick, welcher die Feuchtigkeit abhielt, aber der Zauberer hatte wohl vergessen, ihn ihr gegenüber zu erwähnen. Oder auch nicht. Dem spöttischen Blick in seinen Augen nach zu urteilen, hatte er es ihr mit Absicht verschwiegen, um sie zu ärgern. Sie wie üblich ignorierend schritt der Meister zu einer kleinen Tür, nur um noch einmal kurz stehen zu bleiben.

»Willkommen in Celion, dem Zuhause und Ausbildungszentrum der Aquiron. Jetzt können sich andere mit dir Plagegeist herumschlagen.«

10

»Beweg deine Füße!«, rief Lian unwirsch, während Ardun unsanft auf dem Hosenboden landete.

Zwei Tage waren vergangen seit ihrer ersten Rast und die Elfe hatte ihn für fit genug befunden, um mit dem Training zu beginnen. Gerade hatte sie ihm einen kräftigen Stoß gegen die Brust verpasst, der Ardun nach hinten stürzen ließ.

»Du brauchst immer einen sicheren Stand, sonst wirst du selbst mit der besten Technik noch verlieren! Nur ein Stümper lässt sich von solch einem Stoß umwerfen«, tadelte sie ihn streng.

Derweil rappelte Ardun sich wieder auf und massierte sich die schmerzenden Rippen dort, wo der Stoß ihn getroffen hatte. Er hatte sich schnell an den forschen Umgang der Elfe gewohnt und gelernt, dass er beim Training weder Rücksicht noch aufmunternde Worte von ihr erwarten durfte, denn ihre Lektionen waren geprägt von Spott und Demütigungen. Dies fing schon damit an, dass er seinen Dolch benutzte, mit dem man problemlos Sehnen, Fleisch und auch Knochen durchtrennen konnte, und sie sich nur eines einfachen Stockes bediente, denn sie laufe eher Gefahr, sich selbst zu verletzten, als von ihm getroffen zu werden, wie sie gerne betonte. Doch obwohl er in seinem Stolz gekränkt war, konnte Ardun nicht anders, als Sympathie für seine Lehrerin zu empfinden, da er wusste, dass sie es nicht tat, um ihn zu beleidigen. Ihre Methoden erwuchsen vielmehr aus einer tiefen Überzeugung, die sie ihm bei jeder Gelegenheit einbläute: »Der Feind wird dich niemals schonen. Wieso sollte ich es also tun und dich unvorbereitet durch die Welt ziehen lassen? Wenn ich jemanden etwas lehre, übernehme ich damit auch Verantwortung für ihn.« Und vermutlich hatte sie damit sogar recht. Nun kam sie zu ihm herüber und zeigte ihm, wie er solch peinliche Stürze zukünftig vermeiden konnte.

»Du musst die Füße immer ungefähr schulterbreit haben«, erklärte sie, während sie das Gesagte mit einer Vorführung untermalte, »dann kannst du wie ein Fels in der Brandung stehen. Wenn ein Angreifer auf dich zustürmt, verlagere das Gewicht in die Fußballen, um der Wucht standhalten zu können. Wenn du hinten auf den Fersen stehen bleibst, wird ein Angriff dich umwerfen, so wie es gerade auch geschehen ist. Und wenn du einen Stoß blockst, halte den Arm so vor dich, damit du dich mit deinem ganzen Gewicht gegen die Attacke lehnen kannst.«

Sie zeigte ihm die beschriebene Bewegung und führte den Arm in einem rechten Winkel vor die Brust. Dann befahl sie ihm, in die Bereitschaftsstellung zu gehen, welche sie ihm zu Beginn des Trainings gezeigt hatte. Als sie mit seinem Stand zufrieden war, nickte sie und erklärte, dass sie ein weiteres Mal einen Stoß gegen ihn führen würde. Ardun nickte. Seine Aufgabe war es, den Stoß zu blocken. Er konzentrierte sich auf seine Füße und verlagerte sein Gewicht nach vorne, wie sie es ihm gezeigt hatte. Dann wartete er. Blitzschnell zuckte der Stock in den Händen der Elfe nach oben und schoss auf ihn zu. Doch diesmal war er darauf vorbereitet und riss reaktionsschnell den Dolch hoch. Die Kraft hinter dem Angriff war deutlich zu spüren, aber dennoch zögerte er, sich mit seinem gesamten Gewicht dagegenzulehnen. Das Ergebnis war, dass er einige Schritte nach hinten stolperte, aber es schaffte, auf den Beinen zu bleiben. Grimmig straffte Ardun die Schultern und bedeutete Lian, es noch einmal zu tun. Diesmal warf er sich mit aller Kraft gegen den Stoß, den sie führte, der noch stärker war als der erste. Der Kies unter seinen Schuhen knirschte, aber seine Füße bewegten sich kein Stück vom Fleck und er stand weiterhin stabil. Zufrieden grinste er, da traf ihn plötzlich ein zweiter Stoß von der Seite. Völlig unvorbereitet strauchelte Ardun wild mit den Armen rudernd und landete ein weiteres Mal an diesem Abend auf dem Boden.

»Ruhe dich niemals auf deinen Lorbeeren aus, sonst findest du bald einen schnellen Tod«, lautete das strenge Urteil der Elfe.

Aber dann half sie ihm mit dem Anflug eines Lächelns auf und lobte: »Gut gemacht.«

Dankbar nickte Ardun ihr zu. Dann machte er sich daran, die Satteltaschen zu durchwühlen und alles hervorzuholen, was er für ein Nachtlager benötigte. Sie hatten bereits vor der Trainingseinheit gegessen und er ging nicht davon aus, dass sie sich noch lange unterhalten würden, da Lian mit voranschreitendem Abend immer ungesprächiger wurde. Daher wunderte es ihn, dass sie ihre Satteltaschen gepackt hielt und sogar Anstalten machte, das Feuer auszutreten.

»Wir werden nicht hier unser Lager aufschlagen?«, fragte er verwirrt.

Die Elfe schüttelte den Kopf und entgegnete angespannt:

»Das hatte ich zwar eigentlich vor, aber wir müssen wohl umdisponieren. Siehst du die orange Blume dort?«

Ardun betrachtete das Gewächs zu ihren Füßen. Es war eine hübsche Blume, deren Blätter in einem hellen Orange erschienen, die mit Linien von dunklerem Orange durchzogen wurden. Sie war zweifelsohne sehr schön anzusehen und hätte sich gut in einem Strauß gemacht, aber er verstand nicht, weshalb dies ein Grund war, ihr Lager abzubrechen. Es sei denn, sie hatte eine tiefere Bedeutung.

»Ist diese Blume denn etwas Schlechtes?«, fragte er deshalb, auch wenn er nicht daran glaubte.

Lian schüttelte den Kopf und gab zu: »Die Blume selbst ist weder gut noch schlecht. Allerdings bereitet es mir Unbehagen, dass sie hier steht. Es ist eine Zweilichtrose. Diese Blumen sind sehr beliebt an Königshöfen, da sie äußerst selten sind. Ich kenne nur zwei Orte, an denen welche wachsen. Und das ist einerseits der Garten Celions, der aber noch weit entfernt ist, und andererseits der Murùn, ein gigantisches Waldgebiet. Dass die Rose aber hier blüht, bedeutet, dass wir eben diesem Wald schon viel näher sind, als ich dachte. Ich hatte erst übermorgen Mittag damit gerechnet, seinen Rand zu erreichen, aber es scheint, als hätten wir in den letzten zwei Tagen mehr Strecke zurückgelegt, als ich vermutet habe. Oder aber seine Ausläufer sind gewachsen, seit ich das letzte Mal hier war.«

Irgendwo in Arduns Hinterkopf klingelte es. Ihm fiel eine alte Geschichte ein, mit der man früher versucht hatte, ihn vor dem dunklen Wald zu schrecken.

»Bedenke«, hatte man ihm erzählt, »was, wenn der Wald dich des Nachts verschlingt? Weißt du denn nicht, dass es einen sagenumwobenen Wald gibt, den Murùn? Es heißt, wer sich dort nächtens hineinwagt, wird nie wieder gesehen. Der Wald selbst verleibt sich alle unglücklichen Seelen ein, die diesen törichten Fehler begehen. Und angeblich war der Wald Wackensteins einst mit ihm verbunden, also verlasse nicht die Mauern, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist!«

Anfangs hatte Ardun sich selbst in der Stadt noch vor dem bösen Wald gefürchtet, doch nachdem er einmal des Nachts von Idan dort ausgesetzt worden war und ihm nichts geschehen war, obwohl er sich vor Schrecken starr unter einen Baum gekauert hatte, lernte er die Stille unter den Bäumen zu lieben und nicht zu fürchten. Lian jedoch schien wahrhaftig beunruhigt.

»Ihr glaubt doch nicht etwa die alten Geschichten, die sich die Menschen über den Wald erzählen?«, fragte er sie ungläubig.

Ein amüsiertes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und sie schüttelte beruhigend den Kopf.

»Keine Sorge«, sagte sie, »dem Alter, um an menschenfressende Wälder zu glauben, bin ich bereits vor hundert Jahren entwachsen. Aber häufig haben solche Mythen einen wahren Kern und es stimmt tatsächlich, dass viele nächtliche Wanderer dort ihr Leben lassen, auch wenn dies nichts mit gefräßigen Bäumen zu tun hat. Das Problem in diesem Wald sind die Irrlichter.«

»Irrlichter?«, echote Ardun zweifelnd. Lian nickte.

»Es gibt etliche Wesen, die du für nicht real hältst. Sobald du erst einmal den Aquiron beigetreten bist, wirst du nur allzu schnell merken, dass die Welt größer ist, als du denkt. Aber zunächst muss dich das noch nicht beunruhigen. Die Irrlichter allerdings schon. Sie kommen des Nachts heraus und suchen nach Wanderern, die sie vom Weg abbringen können. Dabei kommt ihnen ihre äußerst lästige Fähigkeit zugute. Sie schwirren nämlich keineswegs wie Glühwürmchen herum und verwirren nur mit ihrem Leuchten, sondern sie können jegliche Gestalt annehmen und auch ihren Geruch und ihre Stimme verändern.«

Ardun konnte nicht anders, als beeindruckt zu sein. Er kannte einige Menschen, die für solch eine Fähigkeit bereitwillig töten würden.

»Aber wieso reisen wir in der Nacht weiter, wenn die Irrlichter gerade in der Dunkelheit so gefährlich sind?«, wandte er ein.

»Weil wir zu zweit sind. Wenn einer von uns auf die List der Irrlichter hereinfällt, kann der andere ihn vor einer Dummheit bewahren. Wenn wir aber hier lagern und schlafen und sie nur einen von uns wecken, ist die Gefahr viel größer, dass es ihnen gelingt, uns zu verzaubern.«

Das leuchtete Ardun ein, dennoch packte er nur unwillig seine Satteltaschen neu und blickte sehnsüchtig auf das weiche Gras zu seinen Füßen. Er hätte sich gerne dort hingelegt und geschlafen, erst recht nach der Trainingseinheit, aber es sollte wohl nicht sein. Stattdessen half er Lian, die Überreste der Feuerstelle zu beseitigen und erklomm dann mit einiger Mühe den Sattel seines Pferdes. Obenauf rückte er behutsam den Stoff seiner Hose so zurecht, dass sie einen kleinen Puffer zum Sattel bildete, damit er sich nicht wieder den Schorf an seinen Beinen aufrieb.

Trotz seiner Müdigkeit genoss Ardun den nächtlichen Ritt. Denn die Dunkelheit war erfüllt von den Geräuschen unzähliger Tiere und er lauschte fasziniert dem Schreien der Eulen, dem Zirpen der Grillen und dem Rascheln kleiner Pfoten im Laub. Zusammen ergab es ein himmlisches Konzert der Natur, welches ihn in seinen Bann zog. Und nachdem sie den Wald erreicht hatten und an seiner Grenze entlangritten, mischte sich dazu der seichte Wind unter den Bäumen, der die Kronen leicht wiegen ließ, und Ardun erblickte Wesen, die er nie zuvor gesehen hatte. Zwar waren unter ihnen keine Irrlichter, was einen kleinen Teil von ihm enttäuscht ließ, da er seine Neugierde auf die mystischen Wesen kaum zügeln konnte, aber dafür sah er allerlei Käfer und Glühwürmchen, die den Schutz des Waldes verließen und als kleine Lichtpunkte vor seinem Gesicht schwebten. Er fand die Nacht so schön, dass er eine leichte Trauer verspürte, als der Horizont sich langsam rötlich färbte und der Morgen dämmerte. Die Tierchen versteckten sich wieder im Dickicht und als die Sonne zu steigen begann, waren Ardun und die Elfe erneut die einzigen Lebewesen weit und breit. Nun, da ihn der Zauber der Nacht nicht mehr fesselte, kehrte auch die Müdigkeit in seinen Körper zurück und er hatte Schwierigkeiten, sich aufrecht im Sattel zu halten. Er schielte zu Lian hinüber, deren Haltung keine Erschöpfung verriet. Doch er bemerkte die leichten Ringe unter ihren Augen, die diesen Anblick Lüge straften. Umso erleichterter war er, als in der Ferne eine große Hütte auftauchte, auf die sie zuzusteuern schienen. Wie er schon bald erkennen konnte, handelte es sich um eine Herberge, denn auf einem verwitterten Schild vor der Tür stand in abgeblätterten Lettern: »Zum lachenden Irrfahrer«.

Gleich neben dem Haus befand sich ein kleiner Stall für die Tiere der Reisenden, in dem auch sie nun ihre Pferde anbanden, ehe sie die Schenke betraten. Der Raum war schlicht eingerichtet und es waren auch nur wenige Gäste da, drei Männer an einem Ecktisch und eine Frau an einem anderen Tisch. Lian lenkte ihre Schritte zum Tresen und Ardun folgte ihr. Dahinter stand ein kleiner Wirt mit sehr großem Bauch, der ein milchiges Glas mit einem schmutzigen Tuch polierte, ohne dass es den Anschein hatte, als achte er wirklich auf seine Hände.

»Hättet Ihr wohl ein Zimmer für den Tag?«, fragte die Elfe höflich.

Der Mann zeigte ein zahnloses Grinsen und nickte.

»Kein eigenes Zimmer für den Burschen?«, fragte er dann spöttisch.

Ardun sah abwartend zu Lian, welche den Kopf schüttelte und dem Wirt einige Münzen hinlegte.

»Ein Zimmer wird reichen.«

Der Mann zuckte mit den Schultern und kam hinter dem Tresen hervor, um sie ein Stockwerk nach oben zu ihrem Zimmer zu führen. Nachdem er es geöffnet hatte, reichte er Lian den Schlüssel und sagte noch: »Ihr könntet bessere Gesellschaft bekommen.«

Dabei versuchte er sich wohl an einem anzüglichen Blick, der aber eher einer Grimasse glich. Die Elfe hatte seiner nur ein schmales Lächeln übrig, ehe sie ihm die Tür vor der Nase schloss. Ardun sah sich kurz um. Der Raum war klein, hatte nur zwei Betten und ein schmales Fenster. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ er sich auf eines der Betten fallen ohne sich an den Flecken auf dem Laken zu stören und schlief beinahe sofort ein.

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