Buch lesen: «Weihnachtsmärchen», Seite 3

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und Hut abnehmend.

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»Wir hatten gestern abend viel zurecht zu machen«, antwortete

das Mädchen,

»und mußten heute mit al em fertig werden, Mutter.«

»Nun, es schadet nichts, da du doch da bist«, sagte Mrs.

Cratchit. »Setz dich ans Feuer, liebes Kind, und wärme dich.«

»Nein, nein, der Vater kommt«, riefen die beiden kleinen

Cratchits, die überall zu gleicher Zeit waren. »Versteck dich,

Martha, versteck dich!«

Martha, versteck dich!«

Martha versteckte sich, und jetzt trat Bob herein, der Vater.

Wenigstens drei Fuß, ungerechnet der Fransen, hing der Schal

auf seine Brust herab, und die abgetragenen Kleider waren

geflickt und gebürstet, um ihnen ein Ansehen zu geben. Tiny Tim

saß auf seiner Schulter. Der arme Tiny Tim! Er trug eine kleine

Krücke, und seine Glieder wurden von eisernen Schienen

gestützt.

»Nun, wo ist unsere Martha?« rief Bob Cratchit und schaute im

Zimmer herum.

»Sie kommt nicht«, sagte Mrs. Cratchit.

»Sie kommt nicht?« sagte Bob mit einem plötzlichen Absinken

seiner fröhlichen Laune; denn er war den ganzen Weg von der

Kirche Tims Pferd gewesen und in vollem Laufe nach Hause

gerannt. »Sie kommt nicht zum Weihnachtsabend?«

Martha wol te ihm keinen Schmerz verursachen, selbst nicht aus

Scherz, und so trat sie hinter der Tür hervor und schlang die

Arme um seinen Hals, während die beiden kleinen Cratchits sich

Tiny Tims bemächtigten und ihn nach dem Waschhaus trugen,

damit er den Pudding im Kessel singen höre.

»Und wie hat sich der kleine Tim aufgeführt?« fragte Mrs.

Cratchit, als sie Bob wegen seiner Leichtgläubigkeit geneckt und

Bob seine Tochter nach Herzens lust geküßt hatte.

Bob seine Tochter nach Herzens lust geküßt hatte.

»Wie ein Goldkind«, sagte Bob, »und noch besser. Ich weiß

nicht, wie es kommt, aber er wird jetzt so träumerisch vom

Alleinsitzen und sinnt sich die seltsamsten Dinge zurecht. Heute,

als wir nach Hause gingen, sagte er, er hoffe, die Leute sähen ihn

in der Kirche, denn er sei ein Krüppel, und es wäre vielleicht gut

für sie, sich am Christtag an den zu erinnern, der einst Lahme

gehen und Blinde sehen machte.«

Bobs Stimme zitterte, als er dies sagte, und zitterte noch mehr,

als er hinzufügte, daß Tiny Tim stärker und gesünder werden

würde.

Man hörte jetzt seine kleine Krücke auf dem Fußboden, und ehe

noch mehr gesprochen ward, war Tim wieder da und wurde von

seinem Bruder und seiner Schwester nach seinem Stuhl neben

dem Feuer geführt. Während jetzt Bob, seine Rockaufschläge

zur Schonung in die Höhe krempelnd - als ob es möglich

gewesen wäre, sie noch mehr abzutragen -, in einer Bowle aus

Gin und Zitronen eine heiße Mischung zubereitete und sie

umrührte und wieder an das Feuer setzte, damit s ie s ich warm

halte, gingen Master Peter und die zwei 41

allgegenwärtigen kleinen Cratchits die Gans holen, mit der sie

bald in feierlichem Zug zurückkehrten.

Daraufhin erhob sich ein solcher Lärm, als wäre eine Gans der

Daraufhin erhob sich ein solcher Lärm, als wäre eine Gans der

seltenste al er Vögel, ein gefiedertes Wunder, gegen das ein

schwarzer Schwan etwas ganz Gewöhnliches ist - und wirklich

war sie es auch in diesem Hause. Mrs. Cratchit ließ die

Bratenbrühe aufwallen, Master Peter schmorte die Kartoffeln mit

unglaublichem Eifer, Miß Belinda machte die Apfelsauce süß,

Martha wischte die gewärmten Tel er ab, Bob nahm Tiny Tim

neben sich in eine behagliche Ecke am Tisch, die beiden kleinen

Cratchits stellten die Stühle zurecht, wobei sie sich nicht

vergaßen, und nahmen ihren Posten ein, den Löffel in den Mund

steckend, um nicht nach Gans zu schreien, ehe die Reihe an sie

kam. Endlich wurde das Gericht aufgetragen und das Tischgebet

gesprochen. Darauf folgte eine atemlose Pause, als Mrs. Cratchit

das Vorschneidemesser langsam von der Spitze bis zum Heft

betrachtete und sich anschickte, es der Gans in die Brust zu

stoßen. Aber, als s ie es tat und sich der langerwartete Strom der

Füllung ergoß, ertönte um den ganzen Tisch ein freudiges

Gemurmel, und selbst Tiny Tim, durch die beiden kleinen

Cratchits in Feuer gebracht, schlug mit dem Heft seines Messers

auf den Tisch und rief ein schwaches Hurra.

Nie hatte es so eine Gans gegeben. Bob sagte, er glaube nicht,

daß jemals eine solche Gans gebraten worden sei. Ihre Zartheit

und ihr Fett, ihre Größe und ihre Billigkeit waren der Gegenstand

allgemeiner Bewunderung. Mit Hilfe der Apfelsauce und der

geschmorten Kartoffeln gab sie ein hinreichendes Mahl für die

ganze Familie. Und als Mrs. Cratchit einen einzigen kleinen

Knochen noch auf der Schüssel liegen sah, sagte sie mit großer

Knochen noch auf der Schüssel liegen sah, sagte sie mit großer

Freude, sie hätten doch nicht alles aufgegessen! Aber jeder von

ihnen hatte genug, und die kleinen Cratchits waren bis an die

Augenbrauen mit Salbei und Zwiebeln eingesalbt. jetzt wurden

die Teller von Miß Belinda gewechselt, und Mrs. Cratchit verließ

das Zimmer allein, denn sie war zu unruhig, Zeugen dulden zu

können, wenn sie den Pudding herausnahm und hereinbrachte.

Wenn er nicht ausgebacken wäre! Wenn er beim Herausnehmen

in Stücke zerfiele! Wenn jemand über die Mauer des

Hinterhauses geklettert wäre und ihn gestohlen hätte, während

sie sich an der Gans erquickten - ein Gedanke, bei dem die

beiden kleinen Cratchits vor Schrecken bleich wurden.

Hallo, eine Dampfwolke! Der Pudding war aus dem Kessel

genommen. Ein Geruch, wie an einem Waschtag! Das war die

Serviette. Ein Geruch wie in einem Speisehaus, mit einem

Pastetenbäcker auf der einen und einer Wäscherin auf der

andern Seite! Das war der Pudding. Nach einer halben Minute

trat Mrs.

Cratchit herein, aufgeregt, aber stolz lächelnd und vor sich den

Pudding haltend, hart und fest wie eine gefleckte Kanonenkugel,

in einem Viertelquart Rum flammend und in der Mitte mit der

festlichen Stechpalme geschmückt.

Oh, welch wunderbarer Pudding! Bob Cratchit erklärte mit

ruhiger und sicherer Stimme, er halte das für das größte

Kochkunststück, das Mrs. Cratchit 42

Kochkunststück, das Mrs. Cratchit 42

seit ihrer Heirat geliefert habe. Mrs. Cratchit meinte, da die Last

von ihrem Herzen sei, wol e sie nur gestehen, daß sie wegen der

Menge des Mehls gar sehr in Angst gewesen sei. jeder hatte

darüber etwas zu sagen, aber keiner sagte oder dachte, es sei

doch ein zu kleiner Pudding für eine so große Familie. Das wäre

offenbare Ketzerei gewesen. jeder Cratchit würde sich geschämt

haben, an so etwas nur zu denken.

Endlich waren sie mit dem Essen fertig, der Tisch war

abgedeckt, der Herd gesäubert und das Feuer geschürt. Das

Gemisch im Krug wurde gekostet und für fertig erklärt, Äpfel

und Apfelsinen auf den Tisch gesetzt und ein paar Hände voll

Kastanien auf das Feuer geschüttet. Dann setzte sich die ganze

Familie Cratchit um den Kamin in einem Kreis, wie es Bob

Cratchit nannte, obgleich es eigentlich nur ein Halbkreis war,

Bob in die Mitte und neben ihm der Gläservorrat der Familie:

zwei Paßgläser und ein Milchkännchen ohne Henkel.

Diese Gefäße aber hielten das heiße Gemisch aus dem Krug so

gut, als wären es goldene Pokale gewesen, und Bob schenkte

mit strahlenden Blicken ein, während die Kastanien auf dem

Feuer spuckten und platzten. Dann schlug Bob den Toast vor.

»Uns allen eine fröhliche Weihnacht, meine Lieben! Gott segne

uns!«

Die ganze Familie wiederholte den Toast.

»Gott segne jeden von uns!« sagte Tiny Tim, der letzte von al en.

Er saß dicht neben dem Vater auf seinem Stühlchen, Bob hielt

seine kleine welke Hand in der seinigen, als ob er das Kind liebte

und wünschte, es bei sich zu behalten, aber fürchte, es könnte

ihm bald genommen werden.

»Geist«, sprach Scrooge mit einer Teilnahme, wie er sie noch nie

empfunden hatte, »sag mir, wird Tiny Tim am Leben bleiben?«

»Ich sehe einen leeren Stuhl in der Kaminecke«, antwortete der

Geist, »und eine Krücke ohne Besitzer, sorgfältig aufbewahrt.

Wenn die Zukunft diese Schatten nicht ändert, wird das Kind

sterben.«

»Nein, nein«, drängte Scrooge. »Ach nein, guter Geist, sag, daß

es am Leben bleiben wird.«

»Wenn die Zukunft diese Schatten nicht verändert«, antwortete

der Geist abermals, »wird kein anderer meines Geschlechtes das

Kind noch hier finden.

Was tut es auch? Wenn es sterben muß, ist es besser, es tue es

gleich und vermindere die überflüssige Bevölkerung.«

Scrooge senkte das Haupt, da er seine eigenen Worte von dem

Geist hörte, und fühlte sich überwältigt von Reue und Schmerz.

Geist hörte, und fühlte sich überwältigt von Reue und Schmerz.

»Mensch«, sprach der Geist, »wenn du ein menschliches Herz

hast und kein steinernes, so hüte dich, so heuchlerisch zu reden,

bis du weißt, was und wo dieser Überfluß ist. Willst du

entscheiden, welche Menschen leben, welche 43

Menschen sterben sol en? Vielleicht bist du in den Augen des

Himmels unwürdiger und unfähiger zu leben als Millionen gleich

dieses armen Mannes Kind. O Gott! Solch Gewürm auf einem

Blättlein reden zu hören über zuviel Leben unter seinen hungrigen

Brüdern im Staub!«

Scrooge nahm des Geistes Vorwurf demütig hin und schlug die

Augen nieder, aber er blickte schnel wieder in die Höhe, als er

seinen Namen nennen hörte.

»Es lebe Mr. Scrooge!« sagte Bob, »Mr. Scrooge, der Schöpfer

dieses Festes!«

»Der Schöpfer dieses Festes, wahrhaftig!« rief Mrs. Cratchit mit

glühendem Gesicht. »Ich wol te, ich hätte ihn hier. Ich wol te ihm

ein Stück von meiner Meinung zu kosten geben, und ich hoffe,

sie würde ihm schmecken.«

»Liebe Frau«, sagte Bob beschwichtigend, »die Kinder! - Es ist

Weihnachten.«

»Freilich muß es Weihnachten sein«, sagte sie, »wenn man auf

»Freilich muß es Weihnachten sein«, sagte sie, »wenn man auf

die Gesundheit eines so niederträchtigen, geizigen, fühllosen

Menschen, wie Scrooge ist, trinken kann. Und du weißt es,

Robert, daß er so ist, niemand weiß es besser als du!«

»Liebe Frau«, antwortete Bob mild, »es ist Weihnachten.«

»Ich will auf seine Gesundheit trinken, dir und dem Feste zu

Gefallen,« sagte Mrs. Cratchit, »nicht seinetwegen. Möge er

lange leben! Ein fröhliches Weihnachten und ein glückliches

neues Jahr! - Er wird sehr fröhlich und sehr glücklich sein, das

glaub ich.«

Die Kinder tranken nach ihr. Es war das erste, was sie an

diesem Abend ohne Herzlichkeit und Wärme taten. Tiny Tim

trank zuletzt, aber er gab keinen Pfifferling darum. Scrooge war

das Schreckbild der Familie. Die Erwähnung seines Namens

warf über al e einen düsteren Schatten, der volle fünf Minuten

zum Verschwinden brauchte.

Als er weg war, waren sie zehnmal lustiger als vorher, schon weil

sie Scrooge los waren, den Schrecklichen. Bob Cratchit

erzählte, daß er eine Stelle für Peter in Aussicht habe, die diesem

ganze fünf und einen halben Shilling wöchentlich eintragen werde.

Die beiden kleinen Cratchits lachten fürchterlich bei dem

Gedanken, Peter als Geschäftsmann zu sehen; und Peter selbst

blickte gedankenvol zwischen seinen Kragenenden hervor in das

Feuer, als überlege er, in welchen Aktien wohl am besten seine

Feuer, als überlege er, in welchen Aktien wohl am besten seine

Ersparnisse anzulegen seien, wenn er in Besitz dieser

unglaublichen Summe käme. Martha, die bei einer Putzmacherin

Gehilfin war, erzählte ihnen, was für Arbeit sie jetzt mache und

wieviel Stunden sie in der guten Zeit arbeiten müsse und wie sie

morgen früh auszuschlafen gedenke; denn morgen war für sie ein

Feiertag. Auch erzählte sie, wie sie vor einigen Tagen eine Gräfin

und einen Lord gesehen, und daß der Lord fast so groß wie

Peter gewesen sei; bei diesen Worten zupfte Peter seinen

Hemdkragen so in die Höhe, daß sein Kopf darin verschwand.

Während dieser ganzen Zeit gingen Punsch und reife Kastanien

um, und dazwischen sang Tiny Tim mit 44

seiner klagenden Stimme ein Lied von einem Kind, das sich im

Schnee verlaufen: und sang es recht hübsch.

In al edem war nichts Besonderes. Es waren keine hübschen

Gesichter in der Familie; sie waren nicht schön angezogen, ihre

Schuhe waren nichts weniger als wasserdicht, ihre Kleider waren

ärmlich, und Peter mochte wohl das Innere eines

Pfandleiherladens kennen. Aber sie waren glücklich, voller Dank

für ihre bescheidenen Freuden, einig untereinander und zufrieden:

und als ihre Gestalten verblichen und in dem scheidenden Lichte

der Fackel des Geistes noch glücklicher aussahen, verweilte

Scrooges Auge immer noch auf ihnen und hing vor al em an Tiny

Tim.

Es war jetzt ganz dunkel geworden, und es fiel ein starker

Schnee; und als Scrooge und der Geist durch die Straßen

Schnee; und als Scrooge und der Geist durch die Straßen

gingen, leuchtete der Glanz der lodernden Feuer in Küchen,

Putzstuben und Gemächern al er Art über alle Maßen

wundervoll. Hier zeigte die flackernde Flamme die

Vorbereitungen zu einem traulichen Mahl, die heißen Teller, wie

sie sich vor dem Feuer durch und durch wärmten, und die

dunkelroten Gardinen, bereit, Kälte und Nacht auszuschließen.

Dort liefen alle Kinder des Hauses auf die verschneite Straße

hinaus, ihren verheirateten Schwestern, Brüdern, Vettern, Basen,

Onkeln und Tanten entgegen, um sie zuerst zu begrüßen. Hier

zeigten sich an den Fenstern Schatten versammelter Gäste; dort

eine Gruppe hübscher Mädchen in Pelzkragen und Pelzstiefeln,

alle zugleich redend und mit leichten Schritten in eines Nachbars

Haus eilend. Wehe dem Junggesel en, der sie dort strahlend

eintreten sah - und sie wußten es, die durchtriebenen kleinen

Hexen!

Wenn man nach der Zahl der Leute hätte urteilen wollen, die zu

freundschaftlichen Besuchen eilten, hätte man glauben mögen, es

sei niemand da, sie zu bewillkommnen. Aber statt dessen

erwartete jedes Haus Gäste und in jedem Kamin loderte die

Flamme. Wie s ich der Geist freute! Wie er seine breite Brust

entblößte und seine volle Hand auftat und dahinschwebte,

freigebig seine heitere und harmlose Fröhlichkeit über alles in

seinem Bereich ausschüttend!

Selbst der Laternenanzünder, der durch die dunklen Straßen

rannte, um ihre trüben Nebel mit Licht zu erhellen, und der

rannte, um ihre trüben Nebel mit Licht zu erhellen, und der

bereits herausgeputzt war, um den Abend irgendwo zuzubringen,

lachte laut auf, als er den Geist vorüberschweben fühlte.

Und jetzt, ohne daß vorher der Geist etwas gesagt hätte, standen

sie auf einer kahlen, öden Heide, wo ungeheure Felsblöcke

verstreut lagen, als wäre hier eine Begräbnisstätte von Riesen.

Und Wasser breitete sich aus, wo es nur Lust hatte -

oder es hätte sich ausgebreitet, wenn es der Frost nicht

gefangengehalten hätte; und nichts wuchs dort als Moos und

Gestrüpp und hartes, spitzes Gras. Tief im Westen hatte die

untergehende Sonne einen Streifen glühenden Rots gelassen, der

einen Augenblick auf die öde Steppe niedertauchte, wie ein

zürnendes Auge, und immer tiefer und tiefer sank, bis er sich im

Dunkel der tiefsten Nacht verlor.

»Was ist das für ein Ort?« fragte Scrooge.

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»Ein Ort, wo Bergleute in den Tiefen der Erde arbeiten«,

antwortete der Geist.

»Aber sie kennen mich. Sieh!«

Ein Licht strahlte aus dem Fenster einer Hütte, und sie

schwebten schnel darauf zu. Hier fanden s ie eine fröhliche

Gesellschaft um ein wärmendes Feuer sitzen: ein alter, alter

Gesellschaft um ein wärmendes Feuer sitzen: ein alter, alter

Mann und eine greise Frau mit ihren Kindern und Enkeln und

Urenkeln, alle in festlichen Kleidern. Der Alte sang ein

Weihnachtslied mit einer Stimme, die nur selten das Heulen des

Windes auf der Einöde übertönte; es war schon ein sehr altes

Lied gewesen, als er noch ein Knabe war; und von Zeit zu Zeit

fielen sie alle im Chor ein. Und stets, wenn ihre Stimmen

ertönten, wurde der Alte lebendig und laut; und immer, wenn sie

aufhörten, sank seine Kraft wieder. Der Geist verweilte hier

nicht, sondern befahl Scrooge, sich an seinem Gewand zu halten.

Sie schwebten über die Öde, aber wohin? Doch nicht aufs

Meer? Aufs Meer! Zu seinem Schrecken sah Scrooge eine

Reihe graus ig steiler Klippen und hinter sich das Land

verschwinden, und sein Ohr wurde betäubt von dem Donner der

Wogen, wie sie unten in den grausenden Höhlen, die s ie genagt

hatten, heulten und brüllten und wüteten und mit wildem Grimm

die Erde zu unterwühlen trachteten.

Auf einer öden, halb im Wasser versunkenen Klippe, gewiß eine

Meile vom Land entfernt stand ein einsamer Leuchtturm. Das

ganze trostlose Jahr hindurch umschäumten und umtol ten ihn die

Wogen. Große Haufen von Seekraut umgaben seinen Fuß, und

Sturmvögel - man konnte glauben, daß sie vom Winde geboren

waren wie das Seekraut von den Wellen - Sturmvögel hoben

und senkten sich um seine Spitze, wie die wogenden Wellen

unten.

Aber selbst hier hatten die zwei Turmwächter ein Feuer

Aber selbst hier hatten die zwei Turmwächter ein Feuer

angezündet, das durch das Guckloch in der dicken, steinernen

Mauer einen hellglänzenden Streifen auf die nächtliche See warf.

Die harten Hände sich über den Tisch hinreichend, an dem sie

saßen, wünschten sie einander fröhliche Weihnachten und stießen

mit den Grogbechern darauf an. Und einer der beiden, der

Ältere noch dazu, mit einem Gesicht von Sturm und Wetter

gebräunt und gefurcht, wie die Galionsfigur eines alten Schiffes,

stimmte ein mächtiges Lied an, das wie ein Sturmwind erdröhnte.

Immer noch schwebte der Geist über die dunkelwogende See

dahin, immer weiter und weiter, bis sie, wie der Geist zu Scrooge

sagte, fern jeder Küste, sich auf einem Schiff niederließen. Sie

standen neben dem Steuermann an dem Rad, dem Ausguck

vorn, neben den Offizieren, die gerade Wache hatten. Wie

dunkle, gespenstige Gestalten standen diese auf ihrem Posten,

aber jeder von ihnen summte ein Weihnachtslied, oder hatte

einen Weihnachtsgedanken, oder sprach leise zu seinem

Kameraden von einem früheren Weihnachtsabend und

heimatlichen Hoffnungen, die s ich daran knüpften. Und jeder

einzelne an Bord, wachend oder schlafend, gut oder schlecht,

hatte an diesem Tag ein herzlicheres Wort für seine Kameraden

gehabt als an jedem andern Tag des Jahres und ihn wenigstens

einigermaßen gefeiert; und hatte an die gedacht, die sich jetzt in

der 46

Ferne seiner erinnerten, und hatte gewußt, daß sie jetzt seiner

freundlich gedächten.

freundlich gedächten.

Eine große Überraschung war es für Scrooge -während er dem

Stöhnen des Windes lauschte und darüber nachdachte, wie es

doch schauerlich sei, durch die öde Nacht über einen

unbekannten Abgrund dahinzugleiten, der Geheimnisse barg, so

tief wie der Tod - eine große Überraschung war es für Scrooge

sage ich, plötzlich ein herzliches Lachen zu vernehmen. Noch

größer war Scrooges Überraschung, als er darin das Lachen

seines eigenen Neffen erkannte und sich in einem hellen,

behaglich warmen Zimmer wiederfand, während der Geist an

seiner Seite stand und mit beifälligem, mildem Lächeln auf diesen

Neffen herabblickte.

»Haha!« lachte Scrooges Neffe. »Hahaha!«

Wenn jemand durch einen sehr unwahrscheinlichen Zufall einen

Menschen weiß, der glücklicher lachen kann als Scrooges Neffe,

so kann ich nur sagen, ich möchte ihn auch kennenlernen. Stellt

mich ihm vor, und ich werde mit ihm Freundschaft pflegen.

Es ist doch eine gerechte und schöne Anordnung, daß, wie

Krankheit und Kummer, auch in der ganzen weiten Welt nichts

so unwiderstehlich ansteckend ist wie Lachen und Fröhlichkeit.

Als Scrooges Neffe lachte und sich den Bauch hielt und mit dem

Kopf wackelte und die allermerkwürdigsten Gesichter schnitt,

lachte Scrooges Nichte so herzlich wie er. Und die versammelten

Freunde, nicht faul, fielen in den Lachchor ein.

Freunde, nicht faul, fielen in den Lachchor ein.

»Haha! Haha! Haha!«

»Er sagte, Weihnachten sei dummes Zeug, so wahr ich lebe«, rief

Scrooges Neffe. »Und er glaubt es auch.«

»Die Schande ist um so größer für ihn, Fred«, sagte Scrooges

Nichte entrüstet.

Gott segne die Frauen! Sie tun nie etwas halb. Sie sind immer in

vollem Ernst.

Sie war hübsch, sehr hübsch. Sie hatte ein liebliches,

schelmisches Gesicht, einen frischen vollen Mund, der zum

Küssen gemacht schien - wie er es ohne Zweifel auch war; al e

Arten lieber kleiner Grübchen um das Kinn, die

ineinanderflossen, wenn sie lachte, und das sonnenhel ste Paar

Augen, das je erblickt werden konnte. Ja, sie war reizend,

liebenswürdig, bezaubernd.

»Er ist ein komischer alter Herr«, sagte Scrooges Neffe, »das ist

wahr, und nicht so angenehm, wie er sein könnte. Doch seine

Fehler bestrafen nur ihn selbst, und ich habe keinen Grund,

etwas gegen ihn zu sagen.«

»Er muß doch sehr reich sein, Fred«, meinte Scrooges Nichte.

»Wenigstens sagst du es immer.«

»Und wenn schon, Liebste!« sprach Scrooges Neffe.

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»Sein Reichtum nützt ihm nichts. Er tut nichts Gutes damit. Er

macht sich selbst nicht einmal das Leben damit angenehm. Er hat

nicht einmal das Vergnügen zu denken - hahaha -, daß er uns am

Ende damit eine Freude machen wird.«

»Ich habe keine Geduld mit ihm«, bemerkte Scrooges Nichte.

Die Schwester von Scrooges Nichte und al e die andern Damen

waren derselben Meinung.

»Oh, ich habe Geduld«, sagte Scrooges Neffe. »Mir tut er leid;

ich könnte nicht böse auf ihn werden, selbst wenn ich's

versuchte. Wer leidet unter seiner bösen Laune? Er selber allein,

sonst niemand. jetzt hat er sich's in den Kopf gesetzt, uns nicht

leiden zu können, und will unsere Einladung zum Mittagessen

nicht annehmen. Was ist die Folge davon? Er verliert nicht viel an

unserm Essen.«

»Nun, ich meine, er verliert ein sehr gutes Essen«, unterbrach ihn

Scrooges Nichte. Die andern sagten dasselbe, und man konnte

ihr Urteil darüber nicht bestreiten, weil sie eben zu essen

aufgehört hatten und jetzt mit dem Dessert bei Lampenlicht um

den Kamin saßen.

»Nun, es freut mich, das zu hören«, sagte Scrooges Neffe, »weil

»Nun, es freut mich, das zu hören«, sagte Scrooges Neffe, »weil

ich kein großes Vertrauen in diese jungen Hausfrauen setze. Was

sagen Sie dazu, Topper?«

Ganz klar war's, Topper hatte ein Auge auf eine der Schwestern

von Scrooges Nichte geworfen, denn er antwortete, ein

Junggesel e sei ein unglücklicher, heimatloser Mensch, der kein

Recht habe, eine Meinung darüber auszusprechen: Worte, bei

denen die Schwester von Scrooges Nichte - die Runde mit dem

Spitzkragen, nicht die mit der Rose im Haar - rot wurde.

»Weiter, weiter, Fred!« sagte Scrooges Nichte, in die Hände

klatschend. »Er bringt nie zu Ende, was er angefangen hat! Er ist

ein so närrisches Kerlchen.«

Scrooges Neffe schwelgte in einem andern Gelächter, und es

war unmöglich, sich von der Ansteckung fern zu halten, obgleich

es die runde Schwester sogar mit Riechsalz versuchte; sein

Beispiel wurde einstimmig nachgeahmt.

»Ich wol te nur sagen«, meinte Scrooges Neffe, »daß die Folge

seines Mißfallens an uns und seiner Weigerung, mit uns fröhlich

zu sein, die ist, daß er einige angenehme Augenblicke verliert, die

ihm nichts schaden würden. Gewiß verliert er angenehmere

Unterhaltung, als ihm seine eigenen Gedanken in seinem

dumpfigen alten Kontor oder in seiner Wohnung bereiten. Ich

versuche ihm jedes Jahr Gelegenheit dazu zu geben, mag es ihm

nun gefal en oder nicht, denn er dauert mich. Er mag auf

nun gefal en oder nicht, denn er dauert mich. Er mag auf

Weihnachten schimpfen, bis er stirbt, aber er muß doch endlich

besser davon denken, wenn er mich jedes Jahr in guter Laune zu

ihm kommen sieht, mit den Worten: ›Onkel Scrooge, wie geht es

Ihnen?‹ -

Wenn es ihm nur den Gedanken einflößt, seinem armen Kommis

fünfzig Pfund zu hinterlassen, so ist das doch wenigstens etwas:

und ich glaube, ich packte ihn gestern.«

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Jetzt war an ihnen die Reihe zu lachen bei dem Gedanken, daß

er Scrooge gepackt hätte. Aber da er durch und durch gutmütig

war und sich nicht viel darum kümmerte, worüber sie lachten,

wenn sie überhaupt lachten, so stimmte er in ihre Fröhlichkeit mit

ein und ließ die Flasche wacker herumgehen.

Nach dem Tee kam Musik an die Reihe. Denn es war eine

musikalische Familie, und sie wußten, was sie taten, wenn sie

einen Glee oder Catch sangen, darauf könnt ihr euch verlassen,

namentlich Topper, der den Baß nach Noten brummen konnte,

ohne daß die großen Adern auf der Stirn anschwollen oder sich

sein Gesicht rötete. Scrooges Nichte spielte die Harfe recht gut,

und spielte unter anderen Stücken auch ein kleines Liedchen (ein

bloßes Nichts, ihr hättet es in zwei Minuten pfeifen gelernt), das

jenes Kind oft gesungen hatte, von dem Scrooge aus der Schule

geholt worden war, wie ihm der Geist der vergangenen

Weihnachten gezeigt hatte. Als Scrooge dies Liedchen hörte, trat

Weihnachten gezeigt hatte. Als Scrooge dies Liedchen hörte, trat

alles, was ihm der Geist gezeigt hatte, abermals vor seine Seele:

er wurde weicher und weicher und dachte, wenn er es vor

Jahren hätte oft hören können, so hätte er die freundlichen Seiten

des Lebens genießen können, ohne erst zu Marleys Geist seine

Zuflucht um Belehrung nehmen zu müssen.

Aber sie widmeten nicht den ganzen Abend der Musik. Nach

einer Welle fingen sie Pfänderspiele an, denn es ist gut, zuweilen

Kind zu sein, und vorzüglich zu Weihnachten, da der Urheber

dieses Festes selbst noch ein Kind war. Doch halt, erst spielten s

ie Blindekuh. Und ich glaube ebensowenig, daß Topper wirklich

blind war, wie ich glaube, er habe Augen in seinen Stiefeln. Ich

vermute, die Sache war zwischen ihm und Scrooges Neffen

abgekartet, und der Geist der diesjährigen Weihnachten wußte

es wohl! Die Art, wie er die runde Schwester in dem

Spitzenkragen verfolgte, war eine Beleidigung aller menschlichen

Leichtgläubigkeit. Wo sie ging, ging auch er, die Feuereisen

umstoßend, über Stühle stolpernd, an das Piano anrennend, sich

in den Gardinen verwickelnd. Immer wußte er, wo die runde

Schwester war. Wenn jemand gegen ihn gefallen wäre, wie es

einige machten, oder sich vor ihn hingestellt hätte, würde er getan

haben, als bemühe er sich, ihn zu ergreifen, wäre aber

augenblicklich umgekehrt, der runden Schwester nach. Sie rief

oft, das sei nicht ehrlich, und das war es auch in der Tat nicht.

Aber endlich hatte er sie gefunden und ungeachtet ihres

Sträubens zwängte er sie in eine Ecke, aus der keine Flucht

möglich war; und da wurde seine Aufführung ganz abscheulich.

möglich war; und da wurde seine Aufführung ganz abscheulich.

Denn sein Vorgeben, er kenne sie nicht, er müsse erst ihren

Kopfputz anfassen und, um sie zu erkennen, einen gewissen Ring

auf ihrem Finger und eine gewisse Kette um ihren Hals befühlen,

war ganz, ganz abscheulich! Und gewiß sagte sie ihm auch

tüchtig ihre Meinung darüber, denn als ein anderer Blinder an der

Reihe war, tuschelten sie hinter den Gardinen sehr vertraut

miteinander.

Scrooges Nichte nahm nicht teil an dem Blindekuhspiel, sondern

saß gemütlich in einer traulichen Ecke in einem Lehnstuhl mit

einem Fußbänkchen davor, und der Geist und Scrooge standen

dicht hinter ihr. Aber bei den Pfänderspielen tat sie mit und liebte

ihre Liebe mit allen Buchstaben des 49

Alphabets zur allgemeinen Bewunderung. Auch in dem Spiel

›Wie, Wann und Wo‹ war sie sehr tüchtig und stellte zur

geheimen Freude von Scrooges Neffen ihre Schwestern gar sehr

in den Schatten, obgleich sie auch ganz gescheite Mädchen

waren, wie es uns Topper hätte versichern können. Es mochten

ungefähr zwanzig Personen da sein, junge und alte, aber sie

spielten alle, und auch Scrooge spielte mit; denn in seiner

Teilnahme an den Vorgängen ganz vergessend, daß ihnen seine

Stimme nicht hörbar war, gab er oft seine Antwort auf die

Fragen ganz laut und riet auch oft ganz richtig.

Dem Geist gefiel es sehr gut, ihn in dieser Laune zu sehen, und er

blickte ihn so freundlich an, daß ihn Scrooge wie ein Knabe bat,

blickte ihn so freundlich an, daß ihn Scrooge wie ein Knabe bat,

noch warten zu dürfen, bis die Gäste fortgingen. Aber der Geist

sagte, dies könne nicht geschehen.

»Es fängt ein neues Spiel an«, sagte Scrooge. »Nur eine einzige

halbe Stunde, Geist.«

Es war ein Spiel, das man ›Ja und Nein‹ nennt, wo Scrooges

Neffe sich etwas zu denken hatte und die anderen erraten

mußten, was; auf ihre Fragen brauchte er dann nur mit Ja oder

Nein zu antworten. Die schnell aufeinanderfolgenden Fragen, die

ihm vorgelegt wurden, ergaben denn endlich, daß er sich ein

Geschöpf dachte -. ein lebendiges Wesen, ein häßliches, wildes

Geschöpf, das zuweilen brumme und zuweilen spreche und sich

in London aufhalte und in den Straßen herumlaufe und nicht für

€4,99

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Umfang:
490 S. 1 Illustration
ISBN:
9783754179857
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
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