Buch lesen: «Praxishandbuch Open Source», Seite 3

Schriftart:

1. Wie naiver Einsatz kostenloser Software Ihr Unternehmen bedrohen kann

5

 – Die FOSS Idealisten wollten die Software-Entwicklung von den Beschränkungen des Urheberrechts befreien, knüpften die Freiheit aber an Bedingungen.

 – Alternativlosigkeit von FOSS wird schnell behauptet, sollte aber kritisch hinterfragt werden.

 – Vor- und Nachteile sollten bei einem Einsatz von FOSS gut abgewogen werden, insbesondere wenn es kommerziell lizenzierte Alternativen gibt.

 – Neben Rufschäden drohen auch gerichtliche Verfahren bei FOSS Lizenzverletzungen.

6

Welche Motivation steckt hinter dem FOSS Konzept? Die urheber- und patentrechtlichen Beschränkungen von kommerzieller Software stellen sich als Hinderungsgrund für die kreative Entfaltung dar. Hätten nicht alle mehr davon, wenn jeder auf die bestehende Software aufsetzen könnte und dann seine eigenen Ergebnisse ebenfalls wieder im Source Code bereitstellt? Die Grundidee war einfach und altruistisch. Der Idealismus stößt jedoch an Grenzen, wenn sich zwar alle bedienen wollen, wichtige Fortentwicklungen dann jedoch unter kommerziellen Lizenzen verwertet wurden. So wurde die gegenseitige Freizügigkeit zur einklagbaren Bedingung.

a) Am Anfang stand die Idee: Freiheit von Copyrightzwängen

7

Der Entwickler Richard Stallman war einer der ersten, der die Idee von FOSS prägte. Zur Erläuterung verwies er darauf, dass das Konzept „frei“ i.S.v. Freiheiten, nicht i.S.v. nur kostenfrei bedeuten soll.

„To understand the concept, you should think of ‚free‘ as in ‚free speech‘, not as in ‚free beer‘.“

ist das wesentliche, von Stallman entwickelte Leitmotiv der FOSS Community.5 Mit verfügbarem Source Code könnten alle Entwickler an der Lösung aller Probleme und für alle benötigten Funktionen weltweit zusammenarbeiten, ohne dass jemand Wissen für sich behält.

aa) Wie sich FOSS verbreitet hat

8

Von diesem Ideal ist die heutige Realität jedoch deutlich entfernt. Der Gedanke, Geld für Software-Entwicklung auszugeben und die Ergebnisse dann an die Konkurrenz zu verschenken, erscheint in vielen Branchen noch immer einigermaßen abwegig. Hinzu kommt die Sorge vor der Aufdeckung von Sicherheitslücken, wenn Code offengelegt wird. Zwar wird viel FOSS eingesetzt, häufig aber eingebettet in kommerziellen Code.

9

Zur Jahrtausendwende war FOSS Software schon weit verbreitet, für manche seriösen Anwender aber gleichwohl anrüchig. Software-Anwender wollten einen Lizenzgeber haben, den sie in Haftung nehmen können, wenn etwas an der Software nicht funktioniert. Nur Freaks, die sich von Pizza und Cola ernährten, betrieben Linux Server zuhause, während seriöse Unternehmen mit viel Mühe Windows NT-Server am Laufen hielten. Die Entscheidung für FOSS Anwendungen war nicht alternativlos, erfolgte häufig aus einer bewussten Entscheidung zugunsten der Quelloffenheit und im Konsens mit dem Grundprinzip, dass man im Gegenzug zur kostenlosen Zurverfügungstellung der Software auch seine Bearbeitungen an die Community zurückspielen werde. In den folgenden Dekaden entstanden eine Kommerzialisierung von FOSS und eine Entkopplung von diesem altruistischen Grundverständnis.

10

Heutige Software-Entwickler beginnen ihren Beruf mit der Überzeugung, dass die Mehrheit aller Entwicklungsaufgaben unter Einbindung einer FOSS Komponente gelöst werden könne. Der Gedanke, auf FOSS zu verzichten und stattdessen alles von Hand zu programmieren, erscheint so absurd wie der Vorschlag an den Bäcker, sein eigenes Mehl zu mahlen. Während die Open Source Communities zwar gewachsen sind, wuchs aber auch der Anteil der kommerziellen Anwender, die unter keinen Umständen ihre eigenen Software-Quellen offen bereitstellen würden. Diese unterschiedlichen Einstellungen spielen eine Rolle bei der Auslegung der Lizenzen, wenn der Wortlaut nicht ausreicht und auf den mutmaßlichen Willen des Lizenzgebers abgestellt werden soll. Hier wird in beide Richtungen leidenschaftlich argumentiert, dass die FOSS Lizenz entweder jegliche kommerzielle Nutzung ohne unüberwindbare Hindernisse zulassen wollte oder anderseits der vollständige Support für einen Austausch gewährleistet sein muss.

bb) Wo FOSS verzichtbar ist und wo nicht

11

Software-Entwickler haben gelegentlich Mühe, ihren Inhouse-Juristen zu erklären, dass ein kompletter Verzicht von FOSS genauso wenig denkbar ist wie der Vorschlag, auf sämtliche Copyleft Lizenzen zu verzichten. Wer sich auf ein Linux Ökosystem eingelassen hat, kann den Einsatz von GPL nicht kategorisch ausschließen. Das einfache Modell, Lizenzen in Gut und Böse einzuteilen, hält dem Realitätscheck nicht lange stand. Wohl dem, der bei Entwicklung seiner Lizenzrichtlinien rechtzeitig mit seinen Entwicklern gesprochen hat.

12

Basic: Copyleft (siehe Rn. 225ff.)

Das ist das zentrale Prinzip des FOSS Ideals. Hat die Lizenz ein Copyleft, so muss ein von der FOSS Komponente „abgeleitetes Werk“ ebenfalls unter den Bedingungen der FOSS Lizenz verfügbar gemacht werden. Es gibt Lizenzen mit strengem Copyleft, die dieses Prinzip voll umsetzen, andere mit beschränktem Copyleft, die teils Ausnahmen vorsehen, sowie Lizenzen ohne Copyleft, die nur die Einhaltung anderer Bedingungen vorsehen. In der Regel wollen Unternehmen Copyleft vermeiden, um eigenen bzw. proprietären Code nicht im Source Code unter einer FOSS Lizenz freigeben zu müssen, damit sie die Lizenzvorgaben einhalten.

13

Auf der anderen Seite wird das Argument der technischen Notwendigkeit und Alternativlosigkeit viel zu häufig hingenommen. Wer sich dann im nächsten Schritt auch sagen lässt, dass die Einhaltung der theoretischen Bedingungen praktisch oder wirtschaftlich unmöglich ist, findet sich im Dilemma, zwischen Lizenzverstoß und Lästigkeit entscheiden zu müssen. Man solle doch pragmatisch sein, statt Probleme zu schaffen, wettert der CTO gegenüber der Rechtsabteilung und diese antwortet dann mit einer Strafbarkeitswarnung an den CEO. Diese Eskalation ist am Ende peinlich, wenn sich später herausstellt, dass eine legale Lösung nur aus Unfähigkeit übersehen wurde.

14

Zugegeben, an FOSS kommt man kaum vorbei, sobald ein Stromverbraucher mehr macht, als einen Wolfram-Draht zu erwärmen. Früher konnte man die typischen Einsatzfelder von FOSS noch mit Linux Servern beschreiben, während eingebettete Software häufiger individuell programmierte Software enthielt. Mit dem Internet der Dinge ist kaum noch eine Anwendung zu primitiv, um nicht mit FOSS umgesetzt zu werden. Eine Glühbirne kommt heute mit WLAN-Empfang auf FOSS Basis und synchronisiert das Programm mit Heizung, Kamera und Lautsprecher, ebenso das ferngesteuerte Sexspielzeug. Was kommuniziert, enthält vermutlich auch FOSS.

15

Kommerzielle Betriebssysteme wie iOS oder Windows enthalten bereits selbst FOSS und die dafür geschriebenen Anwendungsprogramme erst recht. Selbst die Steuerung einer Sieben-Segment-Anzeige wird gelegentlich mit FOSS realisiert. Wenn man FOSS freie Systeme sucht, müsste man daher schon auf die analoge Ebene des Operationsverstärkers zurückgehen – der enthält garantiert keine FOSS.

16

Es gibt jedoch auch leistungsfähige Realtime Betriebssysteme, die ohne Copyleft Lizenzen auskommen, dafür aber Lizenzgebühren kosten. Teilweise geben Rechtsinhaber die gleiche Anwendung unter FOSS Lizenz oder unter kommerzieller Lizenz heraus, so dass der Verzicht auf Copyleft Effekt gegen Gebühr gekauft werden kann. Bei vielen Libraries gibt es alternative Komponenten unter liberalen Lizenzen, was manchmal erst spät im Entwicklungsprozess bemerkt wird. Juristen sind daher gut beraten, bei behaupteter Alternativlosigkeit genauer hinzuschauen.

17

Basic: Begriffsklärung Software/Komponente/Produkt/Projekt/Library/File

Im Bereich FOSS werden viele Begriffe unterschiedlich eingesetzt. Wir verwenden als zentrale Bezeichnung FOSS Komponente für das einzelne urheberrechtlich geschützte Werk, das abgrenzbar für die Software-Entwicklung eingesetzt wird. Parallel werden auch die Begriffe FOSS, Produkt oder Projekt verwendet. Gerade die Internetauftritte von FOSS Komponenten werden häufig als Projekthomepages bezeichnet und bei entsprechender Community die Gemeinschaft/Komponente oft als Projekt. Ist die Komponente unselbstständig, wird sie häufig als Library bezeichnet (typisches Format ist eine .dll-Datei).

Eine FOSS Komponente besteht aus einer Vielzahl einzelner Files, die Zeilen von Header Informationen und Code beinhalten. Sie enthält ggf. weitere Komponenten oder Komponentenbestandteile, sogenannte Abhängigkeiten oder Dependencies. Teils sind diese nicht direkt in den Code einbezogen, sondern werden erst beim Kompilierungsvorgang, also der Umwandlung des Source Code in ein Kompilat, hinzugezogen.

Wir setzen den Begriff Produkt nicht für die einzelne Komponente ein, sondern wenn wir das Ergebnis der Zusammenstellung der Komponenten ggf. auch mit proprietärem Code bezeichnen wollen. Also ist damit quasi das Endergebnis der Programmiervorgänge gemeint. Alternativ wird das auch als Projekt bezeichnet. Projekt nutzen wir jedoch als Referenz für den gesamten Entwicklungsvorgang, insbesondere mit Bezug auf die Zeitschienen.

b) In welchen Fällen kostenlose Software teuer werden kann

18

FOSS gewinnt nicht nur Territorium in Wegwerf-Hardware, sondern auch in hochspezialisierten und hochpreisigen Steuergeräten für Maschinen oder Fahrzeuge. Ein Entscheidungsträger, der für die nächste Gerätegeneration einen Wechsel von vorwiegend proprietär lizenzierten Systemen zu FOSS beschließt, kennt die technischen Vorzüge und die ersparten Lizenzkosten sehr genau. Die rechtlichen Kosten treffen einige Hersteller aber trotzdem unvorbereitet und verdienen eine frühere Betrachtung.

19

Viele FOSS Entwickler verkennen zum Zeitpunkt der Systementscheidungen den Entwicklungsaufwand, der für eine lizenzkonforme Umsetzung erforderlich ist. Gerade bei der tiefen Einbindung von Copyleft Komponenten ist die Freigabe von eigenem Source Code manchmal nicht zu verhindern. Wer diese Software nicht freigeben will oder kann, weil sie ihm gar nicht selbst gehört, findet sich in einer Sackgasse und nimmt entweder Rechtsverletzungen in Kauf oder revidiert seine Software-Auswahl.

20

Wenn die gleiche Software unter Dual License gegen Lizenzgebühr oder unter Copyleft Lizenz angeboten wird, entfällt einerseits das Argument der Alternativlosigkeit, andererseits erhöht sich das Risiko der Rechtsverfolgung, da der Rechtsinhaber eher geneigt ist, Verletzungen der FOSS Variante zu verfolgen und Schadensersatz auf Grundlage der Lizenzanalogie einzufordern.

21

Auf der Seite der Schadenspotenziale sollte kalkuliert werden, welche Auswirkungen ein erfolgreich geltend gemachter Unterlassungsanspruch hätte. Ein solcher Anspruch sorgt bis zum Austausch der Software mindestens zu einem Auslieferungsstopp, u.U. auch zu einem Produktrückruf. Eine solche Rückrufpflicht ergibt sich für bereits veräußerte Gegenstände nicht automatisch aus dem Unterlassungsanspruch, mittelbar jedoch aus den Gewährleistungsansprüchen, wenn das nunmehr illegale Werk vom Käufer nicht mehr weitergegeben werden kann. Der Importeur einer Webcam mag dieses Risiko niedriger einschätzen als ein Automobilhersteller, dem die Stilllegung seiner Flotte droht. Im Business-to-Business-Bereich wiederum können Nachbesserungsaufwände im Rahmen von Wartungsverträgen zu verschmerzen sein.

22

Bei Umsetzung der künftig vorgeschriebenen Over-the-Air-Updates ergeben sich leichtere Korrekturmöglichkeiten für heilbare Lizenzverletzungen wie beispielsweise fehlende Pflichtangaben. Soweit jedoch die Lizenzkonformität nur durch Freigabe von eigenem Source Code erreicht werden kann, kann dies schon alleine daran scheitern, dass der Lizenzverletzer gar nicht über die notwendigen Rechte verfügt, um den entsprechenden Code unter einer FOSS Lizenz freizugeben.

23

Basic: Pflichtangaben und Source Code Freigabe (siehe Rn. 765ff.)

Die FOSS Lizenzen unterscheiden sich teils deutlich im Regelungsgehalt und Umfang der Regelungen, insbesondere bzgl. des Copyleft. So gut wie alle FOSS Lizenzen fordern jedoch für Verwertungshandlungen eine Auflistung von bestimmten Angaben, wir nennen sie Pflichtangaben. Es handelt sich meist um Copyright Hinweise, Lizenztexte und teils weitere Angaben wie z.B. Informationen zur Veränderung.

Copyleft Lizenzen fordern in der Regel die Mitlieferung oder dasAngebot der Mitlieferung des Source Code der FOSS Komponente unter der entsprechenden Lizenz, auch wenn das Copyleft für verbundene oder veränderte Software nicht greift. Greift Copyleft, muss entsprechend auch der veränderte oder verbundene Code bereitgestellt werden.

24

Wer selbst innerhalb einer Zulieferkette FOSS einsetzt, muss in seiner Kalkulation berücksichtigen, dass er für die Schäden seines Kunden haftet, soweit es ihm nicht gelingt, diese Haftungen vertraglich zuverlässig auszuschließen, worauf wir in diesem Buch noch eingehen werden. Natürlich sind die Zeiten vorbei, in denen Rechtsabteilungen apodiktisch jeglichen Einsatz von FOSS verboten haben. Andererseits verbietet sich der kritiklose ungeprüfte Einsatz.

c) Was schlimmstenfalls passieren kann

25

Die Rechtsabteilungen haben selbstverständlich im Blick, wie wahrscheinlich und groß die drohenden Schadensszenarien sind. Eines ist meist eindeutig klar: Eigener proprietärer Code soll nicht in großem Umfang unter einer FOSS Lizenz freigegeben werden. Die Vorgabe, Copyrightvermerke zusammen mit der jeweiligen Lizenz bei Weitergabe beizufügen, nehmen die Verwender meist schon deutlich weniger ernst. In der Praxis kommt häufig die Frage, ob das denn überhaupt jemand merkt und dann tatsächlich auch noch verfolgt.

aa) Häufiger Irrtum: Copyleft führt automatisch zur Freigabe als FOSS

26

Die Geschichte ist so dramatisch, dass sie in fast jedem FOSS Vortrag vorkommt. Sie ist trotzdem falsch. Es wird behauptet, dass die Auslösung des Copyleft Effekts dazu führt, dass die eigene Software – infiziert von einer winzigen Dosis Copyleft – auch zum Copyleft Zombie wird. Auf dieser Grundlage wird dann die Freigabe des kompletten kommerziellen Produkts gefordert, das entsprechend infiziert ist. Richtig ist, dass Werke, die von Copyleft lizenzierten Werken abgeleitet werden, ebenfalls unter Copyleft Lizenz gestellt werden müssen, um die Lizenzbedingung zu erfüllen (siehe hierzu Rn. 225ff.). Es gibt jedoch keinen Automatismus.

27

Der Rechtsinhaber hat die Wahl, die Copyleft Lizenz dadurch zu erfüllen, dass er seine eigene Software auch unter gleiche Lizenz stellt oder auf die Vorzüge der FOSS Lizenz, insbesondere auf das gewährte Nutzungsrecht zu verzichten. Das mag sich nach einem Dilemma anhören, da die Verletzung der Lizenz Rechtsnachteile bedeuten kann; es ist aber gleichwohl die Entscheidung des Rechtsinhabers, ob er die Freigabe seines Code und der FOSS Lizenz vornehmen will oder nicht. Dass kein Automatismus bestehen kann, ergibt sich schon alleine aus dem Umstand, dass der Verwerter möglicherweise gar nicht in der Lage ist, eine Lizenzierung unter einer FOSS Lizenz vorzunehmen. Wäre es anders, könnte man eine fremde kommerzielle Software mal eben mit GPL infizieren, so dass sie dann für jedermann frei nutzbar wäre.

28

Der Gedanke hält sich gleichwohl hartnäckig und liegt sogar der Entscheidung des LG Berlin im Fall AVM ./. Cybits (Surfsitter)6 zugrunde. Das an mehreren Stellen angreifbare Urteil (siehe ausführlich Rn. 605ff.) geht davon aus, dass der Hersteller der Fritzbox keine Unterlassungsansprüche gegen Cybits geltend machen darf, wenn das linux-basierte FritzOS verändert wird. Die Richter statuierten, dass mit Copyleft Effekt infizierte Software quasi „vogelfrei“ wird und der Rechtsinhaber seine Ansprüche aus dem Urheberrecht verlieren soll. Anders ausgedrückt sollen Sammelwerke, die aus FOSS bestehen, als Ganzes den Bedingungen der FOSS mit Copyleft Effekt unterliegen. Spätere Rechtsprechung hat diesen Fehler erkannt und auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung und dem Unclean-Hands-Einwand Einwendungen gegen das Verwertungsrecht zurückgewiesen.7

29

Die Möglichkeiten für Lizenznehmer, wegen FOSS Verstößen Kostenfreiheit zu erlangen, sind etwas kleiner als angenommen. FOSS Lizenzen können nur die Instrumente des Urheberrechts einsetzen. Das Sanktionsarsenal beschränkt sich daher darauf, das kostenlos gewährte Nutzungsrecht an der FOSS entfallen zu lassen. Die Lizenz kann keine zusätzlichen Nutzungsrechte für jedermann an proprietärer Software erzeugen.

bb) Ungenutztes Schädigungspotenzial der Rechtsinhaber

30

Die „offene“ Verbreitung von FOSS bietet Vorteile, aber zugleich nicht zu unterschätzende Risiken, weniger für den Anwender als vielmehr für denjenigen, der FOSS für die eigene Entwicklung einsetzen und auch an Endkunden vertreiben will.

(1) Rechtlicher Fokus

31

Die Lizenzbedingungen der jeweiligen FOSS legen die urheberrechtlichen Rahmenbedingungen fest, unter denen der Entwickler der Software bzw. deren Rechtsinhaber anderen Nutzungsrechte an der FOSS einräumen will. Da die FOSS Lizenzbedingungen auf diese Weise die Ausübung des Urheberrechts konkretisieren, stellt jede Verletzung der Lizenzbedingungen eine Urheberrechtsverletzung dar, die urheberrechtliche Ansprüche der §§ 69f, 69a Abs. 4 i.V.m. §§ 97ff. UrhG auslöst, sofern die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind (siehe auch Rn. 499ff.).8

32

Automatischer Rechtsfortfall oder inhaltliche Beschränkung?

Die Geltendmachung von urheberrechtlichen Ansprüchen durch den Urheber wegen lizenzwidriger FOSS Nutzung hängt im Wesentlichen davon ab, ob das lizenzwidrige Verhalten zu einem Wegfall der durch die FOSS Lizenz eingeräumten Nutzungsrechte führt ober ob eine bloße Verletzung vertraglicher Pflichten vorliegt, was den Rechtsinhaber auf die bloße Durchsetzung von schuldrechtrechtlichen Ansprüchen gegen den Verletzer beschränken würde. Beispielsweise regelt die GPL-2.0 in Ziff. 4 einen automatischen Rechtsfortfall bei lizenzwidriger Nutzung, stellt aber lediglich eine vertragliche Regelung dar. Daher wird in der Literatur diskutiert, welche rechtlichen Folgen sich aus dieser Klausel ergeben.

Während einige Autoren von einer inhaltlichen Beschränkung der Nutzungsrechte i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 2 UrhG ausgehen,9 nimmt die h.M. eine auflösend bedingte Rechtseinräumung nach § 158 Abs. 2 BGB an.10 Im Ergebnis kann der GPL-2.0 nicht nur eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung der Lizenzbedingungen entnommen werden, so dass die h.M. zutreffend davon ausgeht, dass dem Lizenznehmer die Nutzungsrechte unter der auflösenden Bedingungen eingeräumt werden, dass dieser sich an die Lizenzbedingungen hält (siehe Rn. 152f.). Wird gegen die Pflichten verstoßen, fallen die Nutzungsrechte automatisch ex nunc weg und der Lizenznehmer begeht eine Urheberrechtsverletzung, wenn er die Software entgegen den Lizenzbedingungen vertreibt.11

(2) Realitätsfokus

33

Eine „Massenabmahnwelle“ der FOSS Entwickler ist bisher nicht losgebrochen, aber in Anbetracht des doch weitreichenden FOSS Einsatzes in Produkten aller Art künftig nicht per se ausgeschlossen. Die Konsequenzen aus der auch gerichtlichen Verfolgung der bei lizenzwidrigem FOSS Einsatz entstehenden Ansprüche können recht weitreichend sein. So ist u.U. der Rückruf ganzer Produktserien, in denen FOSS Komponenten ohne Einhaltung der Lizenzbedingungen implementiert sind, nicht undenkbar. Dies kann nicht zuletzt immense wirtschaftliche Schäden und Reputationsverluste für die in Anspruch genommenen Unternehmen nach sich ziehen.

34

Die entstehenden rechtlichen Risiken sind abhängig von der Strenge der jeweiligen FOSS Lizenz und von dem Pflichtenprogramm, das von den Lizenzbedingungen vorgeschriebenen ist und durch eine Weitergabe der jeweiligen FOSS z.B. in einem Endprodukt ausgelöst wird. Dies betrifft v.a. den Vertrieb der FOSS an Endkunden. Das rechtliche Risiko wird zusätzlich erhöht, wenn FOSS Komponenten mit proprietären Programmkomponenten z.B. verbunden im Rahmen von sogenannten Value added Produkten12 vertrieben werden. Handelt es sich bei der verbundenen oder auch nur bei Installation und Ausführung interagierenden FOSS um eine solche mit angeordnetem strengem Copyleft (wie z.B. bei der GPL-2.0 oder GPL-3.0 der Fall), so ist u.U. der Vertrieb nur gestattet, wenn alle Programme, die von der GPL Software abgeleitet sind, ebenfalls unter die GPL gestellt werden (siehe weiterführend Rn. 234ff.).

35

Die deutsche Rechtsprechung hat noch immer keinen gemeinsamen Nenner gefunden; v.a. zur Reichweite des Copyleft Effekts der GPL fehlen Entscheidungen, soweit ersichtlich, bisher völlig.13 Jedoch ist ein Großteil der Entscheidungen der letzten Jahre (siehe Rn. 36ff. und ausführlich Anhang Rn. 837.)14 zugunsten der Rechtsinhaber von FOSS ergangen, die von den jeweiligen Prozess-Kontrahenten ohne Beachtung der jeweiligen FOSS Lizenzbedingungen und damit urheberrechtswidrig eingesetzt worden ist. Die bisherigen FOSS Urteile schärfen daher den Fokus hinsichtlich der sich tatsächlich auch in der Praxis realisierenden Rechtsrisiken und fördern immer mehr das Bedürfnis von Unternehmen unterschiedlichster Wirtschaftszweige nach FOSS Compliance. Diese verfolgt das Ziel, einen kontrollierten Einsatz von FOSS und deren rechtskonformen Vertrieb v.a. in Verbindung mit Value added Produkten oder in eingebetteten Systemen zu ermöglichen.

Genres und Tags
Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
555 S. 43 Illustrationen
ISBN:
9783800593842
Rechteinhaber:
Bookwire
Download-Format:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip