Buch lesen: «Die Collide-Lovestory», Seite 7

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Kapitel 11

Aby wollte keine Zeit mehr verlieren und hat uns alle in das Gebäude gejagt.

Drinnen hat uns auch schon ein Mitarbeiter - der Aby auch schon zu kennen scheint - begrüßt und uns in die Kabinen zum Umziehen geschickt. Wir haben solche Ganzkörperanzüge bekommen, die die Rennfahrer immer tragen. Für mich natürlich in Kindergröße. Wie sollte es auch anders sein? Ich muss mir ständig Aiden in diesem Anzug vorstellen. Wahrscheinlich sieht er noch besser darin aus.

Joe und ich verstehen uns super. Während des Umziehens hat sie ständig Späße mit mir gemacht, um Aby aufzumuntern. Es hat super funktioniert, denn Aby lächelt jetzt wieder.

"Ich werde schon mal zu den anderen gehen. Ich schwitze mich sonst in diesem Ding tot", lasse ich Joe und Aby wissen und gehe aus der Kabine heraus.

Ich sehe mich hilflos um und suche den Eingang zur Kartbahn.

"Raven!" Aiden winkt mich vom anderen Ende des Ganges zu sich. In meiner Vorstellung sah er definitiv nicht so gut aus, wie in echt. Mir wird gleich noch viel wärmer, denn dieser Anzug steht im super und dazu noch seine Ray Ban Sonnenbrille. Seufz.

Ich gehe lächelnd zu ihm. "Sag mir bitte, dass die Bahn draußen ist, sonst schmelze ich noch."

Aiden sieht mich von oben bis unten an und lächelt dann. "Ja, sie ist draußen." Er öffnet die große Tür nach draußen.

Jetzt sehe ich auch schon die Bahn. Sie ist größer als ich gedacht habe. Bestimmt so groß wie ein Fußballfeld und es sieht extrem aufregend aus. "Hammer", keuche ich, als Aiden und ich zu dem Mitarbeiter gehen, der in einem Häuschen steht.

"O ja, ich liebe es hier. Das ist das Beste, wenn Aby Liebeskummer hat."

Ich sehe ihn stirnrunzelnd an. "Das ist gemein."

"Nein, ich bin immer für Aby da, auch wenn sie fünfzig Mal im Monat verlassen wird."

"Gut."

"Ach, Bender, du besuchst uns auch mal wieder!", ruft der Mitarbeiter aus dem Häuschen, als wir uns auf eine Bank in der Nähe setzen, um auf die anderen zu warten.

"Ja, es war mal wieder soweit!", ruft er zurück.

Ich verdrehe die Augen. Natürlich kennt er ihn.

"Ist Aby auch da?", fragt der Mitarbeiter. Ich schätze ihn auf Anfang zwanzig.

"Ja, sie sollte gleich - da hinten kommt sie schon", meint Aiden und zeigt auf Aby, Leon, Lucas, Noah und Joe, die auf uns zugelaufen kommen. Von weitem sehen sie aus wie diese Leute, die bei Rennfahrern die Reifen wechseln. Bei dieser Vorstellung muss ich leicht lachen.

"Dima - also der Mitarbeiter - steht total auf Aby, musst du wissen", flüstert Aiden mir zu.

"Und Aby weiß das?"

"Ja." Er lacht. "Und sie gibt ihm jedes Mal wieder aufs Neue einen Korb. Aber wie sagt man so schön? Um die Liebe soll man kämpfen. Und Dima scheint ein engagierter Kämpfer zu sein."

"So, seid ihr bereit?" Aby steht so entschlossen vor uns, dass man meinen könnte, sie wollte in den Krieg ziehen, statt Kart zu fahren.

"Jawoll, Sir!", sagt Lucas und hebt seine Hand zu seiner Stirn. Dafür bekommt er ein paar Lacher von uns.

"Okay, los geht's", sagt Joe und schlendert zu den schon bereitstehenden Karts. Wir folgen ihr und setzen uns alle in eines der Fahrzeuge.

"Müssen wir nicht erst eingewiesen werden, bevor wir losfahren?", frage ich Aiden, der im Kart neben mir sitzt.

"Nein, wir sind hier Stammgäste. Die Leute kennen uns und wissen, dass wir fahren können. Aber wenn du unbedingt eine Einweisung br - "

"Nein, brauch ich nicht. Ich kann fahren." Stolz ziehe ich mir den weißen Helm über.

Aiden zieht sich jetzt auch den Helm auf. "Dann solltest du jetzt besser nicht Letzter werden. Zumindest Lucas solltest du überholen, er ist nämlich elendig schlecht im Kartfahren."

"Und wer gewinnt immer?", frage ich, während ich meinen Helm enger stelle und mir meine Sonnenbrille erneut aufsetze.

Aiden startet sein Kart. "Ich", sagt er und fährt zum Start.

Hätte ich mir ja eigentlich denken können.

Ich stelle mich mit den anderen ebenfalls an den Start und Dima stellt sich an den Rand und hebt eine Fahne. "Okay! Drei! Zwei!"

"Für Cam, diesen Wichser!", schreit Joe und gibt einmal im Stand Gas.

Dima lacht kurz und schreit dann: "Eins! Und los!" Er schwingt die Fahne.

Alle fahren mit Vollgas los. Ich halte mich relativ weit hinten, weil ich sehe, dass Noah und Leon versuchen, sich gegenseitig aus der Bahn zu schmeißen. Lucas ist schon gleich bei der ersten Kurve gegen die Reifen gefahren, die die Strecken trennen. Aby fährt hinter mir und Joe ist ganz vorne, dicht gefolgt von Aiden.

Wir brettern um die Kurven als gäbe es kein Morgen und ich habe unheimlichen Spaß. Schon als ich klein war, bin ich mit meinem Dad öfters Kartfahren gegangen und ich habe die Geschwindigkeit schon damals vergöttert.

Leon schafft es Noah zum Drehen zu bringen und somit zum Stoppen. "Arschloch!!", schreit Noah ihm lachend hinterher, während Leon ihm den Mittelfinger entgegenstreckt.

Ich lache und fahre neben Leon und somit hinter Joe und Aiden her. Von Lucas ist keine Spur. Leon sieht mich von der Seite an, grinst und drängt mich an den Rand. Ich schramme in einer Kurve kurz an den Rand und verliere fast die Kontrolle über mein Kart, fange mich dann aber wieder. Ich ramme Leon zurück und er stößt volles Rohr gegen die Reifen. Er lacht und schüttelt mit dem Kopf. Er holt einmal aus und will geradewegs wieder gegen mich fahren, ich bin jedoch schneller, mache eine Vollbremsung, woraufhin er gegen den Rand knallt und sich um seine eigene Achse dreht. Ich höre ihn noch leise fluchen, fahre dann aber triumphierend weiter. Ich habe es also noch drauf. Jetzt wird es Zeit Erster zu werden.

Aiden scheint gerade mit Joe um den ersten Platz zu kämpfen, er ist ihr dicht auf den Fersen. Ich nutze seinen Windschatten und fahre genau neben ihn. Er sieht mich von der Seite an und nickt mir provozierend zu. Ich sehe ihn schelmisch grinsend an und dränge ihn jetzt an den Rand.

Er schüttelt lachend den Kopf und rammt mich einmal leicht.

Joe fährt über einen Ast, der auf der Fahrbahn liegt, dieser verheddert sich in ihren Reifen und ihr Kart fängt langsam an zu stoppen. "SHIT!", flucht sie laut und haut auf ihr Lenkrad.

Jetzt gibt es also nur noch Aiden und mich, denn Aby ist noch mindestens hundert Meter hinter uns. Ich sehe das Ziel schon von weitem und Aiden und ich sind immer noch gleich auf. Mir kommt ein Tipp meines Dads in den Sinn, den er mir mal verraten hat, als ich noch klein war. So kann man den Gegner locker aus dem Konzept bringen.

Ohne viel nachzudenken gebe ich Vollgas und trete gleichzeitig ein wenig auf die Bremse. Ich rieche schon den Rauch, der um mich aufsteigt und tue so, als wüsste ich nicht, was hier gerade passiert. "Scheiße, Aiden!", schreie ich und zeige hektisch auf mein Kart.

"Du rauchst!", ruft Aiden mir entsetzt zu, deutet auf meine Hinterreifen und verlangsamt sich. Ich wusste, dass er darauf hereinfällt.

Ich fahre ebenfalls langsamer, halte aber immer noch die Bremse, damit der Rauch stärker wird.

"Raven, du musst von dem Ding runter!" Er verlangsamt sein Kart.

Ich nicke und passe mich seiner Geschwindigkeit an.

Aby kommt uns immer näher und da ich es nicht riskieren kann, dass sie Erster wird, trete ich kurzerhand voll aufs Gas und düse vor Aidens Augen einfach davon. Dennoch entging mir währenddessen nicht sein verdutztes Gesicht.

Im Ziel angekommen stelle ich mich an den Rand und warte auf die anderen. Aby kommt nach mir und danach Aiden. Noah ist vierter, dann Leon und Lucas ist immer noch am Fahren. Joe kämpft immer noch mit dem Ast.

"Wow, ich wusste gar nicht, dass du das so gut kannst", sagt Aby erstaunt, während sie neben mir hält und ihren Helm abzieht.

Ich ziehe meinen Helm ebenfalls ab und grinse stolz. "Ich sagte doch, dass ich früher oft mit meinem Dad gefahren bin."

Aiden kommt jetzt ebenfalls angefahren, hält neben Aby und zieht sich den Helm ab. "Ich kann nicht glauben, was gerade passiert ist." Er lacht und schüttelt seine Haare zurecht.

"Rave hat dich fertig gemacht, das ist passiert", meint Noah, der neben mir hält und mir auf die Schulter klopft.

Ich setze mein breitestes Gewinnerlächeln auf und zeige es Aiden stolz.

"Okay, sofort eine Revanche!", schreit Leon, der gerade angefahren kommt. "Diesen Verlust lasse ich auf keinen Fall auf mir sitzen. Mich haben zwei Mädchen überholt!"

"Mach dir nichts draus, man. Sie haben uns alle überholt", lacht Noah und steigt aus seinem Kart.

Wir setzen uns auf eine Bank in der Nähe und beobachten Lucas, der immer noch mit der Strecke und den Kurven kämpft und lachen uns halb tot. Nachdem Joe und Lucas auch endlich ins Ziel gekommen sind, fahren wir noch einige Runden. Dann stehen wir schließlich in der Abenddämmerung vor dem Gebäude.

"Danke, Leute", seufzt Aby und schließt ihr Auto auf. "Das hab ich heute wirklich gebraucht."

"Wissen wir doch", sagt Leon und nimmt Aby zum Abschied nochmal in den Arm.

"Ich würde dir ja anbieten, deinem Ex-Lover ein paar zu verpassen, aber er ist auch mein Matheprofessor. Ich denke nicht, dass das besonders intelligent wäre", lacht Noah und nimmt Aby auch in den Arm. Ich wusste gar nicht, dass Noah so etwas tun würde.

"Nein, ist schon in Ordnung", kichert Aby.

"Noah und ich gehen aber jetzt, ich muss noch zu meiner Freundin", bemerkt Leon, "Haut rein!" Noah nickt und sie fahren davon.

"Lucas und ich machen uns jetzt auch vom Acker", meint Joe, umarmt Aby und flüstert ihr noch etwas Undeutliches ins Ohr. "Normalerweise umarme ich niemanden so lange, also gewöhn´ dich besser nicht an den Anblick." Sie klopft mir wieder kumpelhaft auf die Schulter.

Ich lache und verabschiede mich von Lucas und Joe. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich in so kurzer Zeit mit allen so dermaßen gut verstehen werde. Und ich muss zugeben, dass ich unheimlichen Spaß mit ihnen hatte. Am liebsten würde ich jeden Tag so etwas machen.

"Aiden", seufzt Aby und sieht ihn betroffen an. Ihre Laune scheint sich im Minutentakt zu ändern. "Kannst du Rave vielleicht zum Campus fahren? Ich will jetzt noch in die Bibliothek."

Mein inneres Ich macht Luftsprünge und schreit: JA JA JA! Äußerlich jedoch lasse ich mir nichts anmerken, sondern warte nur auf Aidens Antwort.

"Klar, kein Problem", meint er und nimmt Aby ebenfalls in den Arm. Dann sieht er zu mir. "Na dann los, Raven."

"Bis später, Aby." Ich winke ihr zu und folge Aiden zu seinem Auto.

Aby lächelt und steigt in ihr Auto.

"So schnell landest du also wieder in meinem Wagen", bemerkt Aiden und startet den Motor.

"Ganz offensichtlich."

"Ich weiß auch schon, wo wir hinfahren werden."

"Zum Campus?"

"Später, ja. Wir haben gerade mal sieben Uhr."

"Na und? Morgen ist Schule."

Aiden verdreht die Augen und biegt in eine Einfahrt. "Raven, was hab ich dir gestern noch gesagt?"

"Nicht so spießig sein", murmle ich und sinke tiefer in den Sitz.

"Richtig, also lass´ dich einfach überraschen. Übrigens war das eine reife Leistung auf der Bahn."

"Mein Dad hat mir den Trick gezeigt, als ich noch klein war", erkläre ich grinsend.

Aiden lächelt leicht und hält an einer roten Ampel an. "Du bist aufregender als du denkst, Raven."

Ich lächle zurück und schaue aus dem Fenster. Ich hab keine Ahnung was das zwischen Aiden und mir ist, aber ich wünschte, ich wüsste es. Es ist komisch zu wissen, dass ich bei Aiden ständig Herzrasen bekomme und es macht mir, um ehrlich zu sein, tierische Angst. Ich bin unheimlich froh, dass Aiden und ich uns so gut verstehen, aber ich weiß nicht, wie weit das gehen soll. Auch, wenn meine Meinung sich zum Leben und den Menschen verändert hat, habe ich dennoch Angst, dass ich so ende wie mein Vater. Oder Aby. Ich möchte nicht schreien und weinen müssen, weil mich die Person, die ich eigentlich mag, verletzt hat. Man kann es auch in den Büchern lesen. Menschen lernen einander kennen, sie verlieben sich, tun sich weh und bleiben am Ende mit gebrochenem Herzen zurück.

Es ist schon komisch, überhaupt darüber nachzudenken, weil ich Aiden immer noch kaum kenne. Ich weiß nur das Grundlegende. Ich kenne keine Geheimnisse, die vielleicht mehr über ihn aussagen, über seine Persönlichkeit und sein Handeln. Ich habe keine Ahnung, wieso er so ist, wie er ist und vielleicht sollte ich Angst haben, es herauszufinden.

"Woran denkst du?", unterbricht Aiden stirnrunzelnd meine Gedanken.

Ich atme einmal tief ein und schaue wieder nach vorne. "Ich hab mich nur gefragt, wo du mit mir hinwillst", lüge ich.

Kapitel 12

"Sieh genau hin", meint Aiden und nickt geradeaus.

Ich sehe mich um, kann aber nichts Verdächtiges erkennen. Stirnrunzelnd sehe ich ihn an.

Aiden seufzt amüsiert und fährt weiter, weil die Ampel auf Grün springt. "Sieh genauer hin."

An uns zieht ein Schild mit der Aufschrift SILVERLAKE - Schnell - und Tretbootverleih vorbei.

"Du willst an den See fahren?", frage ich mit erhobenen Brauen.

"Jap. Dort kann man den Sonnenuntergang richtig gut sehen."

Mein inneres Ich schmilzt gerade davon. "Hoffnungsloser Romantiker, wie ich schon sagte." Ich schmunzle.

Aiden zuckt selbstgefällig mit den Schultern. "Ich zeige dir lediglich mehr von ‚So etwas'."

Wir kommen an einem großen Parkplatz mit einem großen Holzhaus an, vor dem einige Leute sitzen und etwas essen und trinken. Aiden führt mich in die Gaststätte und geht zu der Theke, an der eine Mitarbeiterin steht. Ich schätze sie auf Ende dreißig, "Aiden, dich hab ich hier schon ewig nicht mehr gesehen." Ihr Lächeln strahlt eine enorme Sympathie aus.

Warum wundere ich mich eigentlich noch darüber, dass Aiden jemanden kennt?

"Es hat heute mal wieder gepasst", sagt er freundlich. "Wo ist denn Dad?" Arbeitet sein Vater hier?

"Er ist unten am See bei den Booten und weist gerade eine Familie ein. Heute ist ganz schön viel los hier“, antwortet die Frau und wischt mit einem Lappen über die Theke.

Aiden nickt und sieht jetzt zu mir herab. "Mein Dad arbeitet hier. Glaubst du er hat noch ein Boot für uns übrig?", richtet er sich jetzt wieder an die Mitarbeiterin.

"Na klar, vor allem, wenn er deine hübsche Begleitung sieht", lächelt sie und sieht mich freundlich an.

Ich lächle zurück und werde leicht rot.

"Susan, sag so etwas besser nicht, sie kann nicht mit Komplimenten umgehen", neckt Aiden mich.

Ich stupse ihn leicht von der Seite an und werfe ihm einen bösen Blick zu.

Susan sieht grinsend zwischen ihm und mir hin und her. Ihre Miene verblasst dann aber und sie sieht auf einmal ernst zu Aiden. "Mit Pete ist es in letzter Zeit immer schlimmer geworden. Er weiß immer noch nicht, wie er ... damit umgehen soll."

Wovon redet sie? Fragend sehe ich sie und Aiden an. Aiden sieht Susan erschrocken an und schüttelt mit dem Kopf. Susan räuspert sich und redet dann weiter: "Wie auch immer. Er ist unten."

Aiden nickt und ich lächle ihr zum Abschied noch leicht zu. Das eben war wirklich merkwürdig. Wieso hat Aiden so komisch reagiert?

"Da ist er", sagt er und zeigt auf den See, an dem mehrere Leute auf einem Steg stehen. Der See ist wirklich schön und Aiden hatte Recht, als er sagte, dass man hier den Sonnenuntergang gut sehen kann.

"Es ist wirklich schön", sage ich und folge ihm über einen Steinweg.

"Sage ich doch." Er lächelt selbstgefällig und schaut in Richtung Horizont.

Wir laufen auf den Steg, auf dem ein älterer Mann - ungefähr Anfang fünfzig - in Shorts und blauem Shirt, mit der Aufschrift 'SILVERLAKE' steht. Ich nehme an, es ist Aidens Vater. Die Familie, mit der er gerade noch geredet hat, steigt gerade in ein Boot und Aidens Vater startet den Motor.

"Dad!", ruft Aiden und winkt ihm zu.

Aidens Vater sieht in unsere Richtung und grinst sofort breit, als er uns erblickt. Er hat genau das gleiche Lächeln wie Aiden. Das macht ihn mir sofort sympathisch. Als die Familie mit dem Boot losfährt, kommt er auf uns zu. "Oh man, Aiden", sagt er und nimmt Aiden in den Arm. "Schön dich mal wieder zu sehen." Sie lösen sich aus der Umarmung und Aidens Vater sieht zu mir. "Und wie ich sehe, hast du endlich mal eine weibliche Begleitung mitgebracht." Er lächelt warm und hält mir seine Hand hin.

"Hallo, Mister Bender, ich bin Ravely", lächle ich und schüttle seine Hand. "Es ist wirklich schön hier."

"Danke. Das monatelange Aufbauen hat sich wirklich gelohnt." Er zeigt auf den Steg gegenüber von uns. "Allein das bisschen Holz hat uns zwei Monate harte Arbeit gekostet. Übrigens kannst du mich Pete nennen." Gehört die ganze Anlage etwa Aidens Vater? Ich meine Pete. Das würde Aidens teures Auto erklären.

Aiden stöhnt auf. "Okay, Dad, ich komme auch schon gleich zu meinem Anliegen. Ich will Raven die unwiderstehliche Aussicht zeigen und dafür bräuchte ich ein Boot."

Pete nickt und zeigt auf ein Boot, das an dem Steg angebunden ist. "Da habt ihr gerade noch Glück gehabt, das ist nämlich das letzte."

Er will gerade das Seil abwickeln, das das Boot an dem Steg hält, doch Aiden nimmt es ihm ab und sagt: "Lass nur, ich mach das."

Ich freue mich, dass die beiden sich so gut verstehen, obwohl Aidens Eltern getrennt sind. Ich wünschte, bei mir wäre es auch so.

"Und Raven?", sagt Pete jetzt an mich gerichtet, "Bist du auch auf der ZOS?"

"Ja, ich studiere englische Literatur."

"Noch so ein Schreiberling“, stellt er staunend fest.

Ich nicke belustigt. "Genau." Aiden kämpft immer noch mit dem Seil. Ich beobachte ihn schmunzelnd.

"Ist das dein erstes Jahr?", fragt Pete weiter.

"Ja."

"Und gefällt es dir?"

"Es war schon immer mein größter Traum auf die ZOS gehen zu dürfen, also wäre es eine Schande, wenn es mir nicht gefallen würde."

Pete stimmt mit in mein Lachen ein. "Du hast Recht." Er ist wirklich nett, ich mag ihn.

"So", stöhnt Aiden und bekommt dadurch unsere Aufmerksamkeit. "Alles bereit, wir können."

Ich nicke und lächle Pete noch zu, bevor ich zu Aiden ins Boot steige.

"Viel Spaß und mach keine Dummheiten, Aiden!" Er zeigt mit erhobenem Finger auf Aiden. "Ich warne dich, ich meine es ernst!"

"Ja, Dad!", lacht Aiden und startet den Motor. Ich setze mich auf einen eingebauten Sitz und binde meine Haare zu einem Zopf. "Halt dich fest!", ruft Aiden mir zu und fährt los.

Mit einem Ruck fahren wir über den See. Es ist unglaublich schön hier. Die Luft riecht wunderbar nach Natur und der Wind weht mir um die Ohren. Um den See herum ist nur Wald. Das macht es alles nur noch schöner. Das Wasser sieht überhaupt nicht schmutzig aus, es ist rein und sauber. Aiden steuert das Boot um eine lange Kurve, sodass man den Blick auf den kompletten Himmel hat. Kilometerweit vor uns kann man einen kleinen Wasserfall erkennen. Der Himmel ist bereits in ein tiefes rot getränkt und es ist kaum eine Wolke zu sehen.

Aiden stoppt den Motor, "Wir sind da."

"Es ist wirklich unglaublich", staune ich und starre an dem Wasser vorbei in den Himmel.

"Also hab ich dir hiermit nicht den Abend versaut?", fragt er und fasst sich gespielt ans Herz.

"Nein, hast du nicht" Mein Blick ist noch immer auf den rosafarbenen Himmel über uns gerichtet. "Ganz und gar nicht."

Ich spüre wie das Leder der Sitze neben mir nach unten gedrückt wird, weil Aiden sich neben mich setzt und den Kopf in den Nacken legt, seine Augen schließt und seine Sonnenbrille in sein T-Shirt klemmt. "Als ich hier vor Jahren zum ersten Mal war, hab ich mich sofort in diesen See verliebt. Die alten Besitzer der Gaststätte wollten erst alles abreißen, aber dann hat mein Dad beschlossen einfach alles zu kaufen, auf meinen Wunsch. Es hat zwar jede Menge Geld gekostet, aber es hat sich gelohnt."

"Ich bin froh, dass dein Vater auf dich gehört hat." Gemütlich lasse ich mich in die Bank hinter dem Steuer sinken. Ich muss wieder an das Gespräch mit Susan denken. Was hatte sie bloß damit gemeint, als sie sagte, dass es mit ihm immer schlimmer werde und er nicht wisse, wie er 'damit' umgehen soll? Ich würde Aiden unglaublich gerne danach fragen, aber ich denke, dass es noch zu früh ist. Immerhin sind wir nicht schon jahrelang befreundet.

Die Sonne verschwindet immer weiter hinter dem Horizont und ich wünschte sie könnte noch länger da bleiben, wo sie gerade steht. Ich schätze, dass sie in fünfzehn Minuten komplett verschwunden ist.

"Erzähl mir ein Geheimnis", meint Aiden.

Ich sehe ihn stirnrunzelnd an. "Ein Geheimnis?"

"Ja, irgendetwas, das niemand weiß."

"Dann ist es doch aber kein Geheimnis mehr."

Aiden zuckt mit den Schultern und hat die Augen immer noch geschlossen. "Ich werde es niemandem erzählen."

Ich überlege. "Ich habe mal einen Füller aus einem Drogeriegeschäft geklaut."

Aiden lacht laut auf und richtet sich auf. "Raven, ich wusste gar nicht, dass du kriminell bist."

"Ich war damals sieben", erzähle ich und verdrehe die Augen.

"Du hattest mit sieben schon das Bedürfnis Schulutensilien aus Läden zu stehlen? Was warst du denn für ein fanatischer Streber?"

"Hey! Einen Laptop hatte ich damals noch nicht und ich wollte nicht mit Bleistiften schreiben. Ich mochte schon damals das Kratzen der Spitze auf dem Papier, als ich das erste Mal mit einem Füller meines Vaters geschrieben habe."

"Klingt nach einer aufregenden Kindheit."

Ich seufze und lehne meinen Kopf an den Rand des Bootes und schließe die Augen. "Ich wusste eben schon von klein auf, was ich will."

Die Sonne wird immer kleiner und die Temperatur fängt an zu sinken.

Aiden lehnt sich jetzt auch zurück. "Was haben denn deine Freunde dazu gesagt?"

Ich zucke mit den Schultern. "Ich hatte nie wirklich Freunde."

"Du meinst"- Aiden richtet sich wieder auf und sieht mich ernst an - "du hast schon von klein auf jegliche Freundschaften abgeblockt?"

Ich öffne meine Augen und sage: "Ich musste nichts abblocken, was mir nicht angeboten wurde."

"Du willst mir doch nicht erzählen, dass du absolut keine Freunde hattest, bevor du aufs College gekommen bist."

"Ich hatte Scar, sie ist meine beste Freundin."

"Und dein Freund in der zehnten Klasse, von dem du damals in der Bar erzählt hast? Was war mit ihm?"

"Er war nur eine gezwungene Erfahrung. Scar hatte damals ständig wechselnde Freunde und ich hab mich quasi dazu genötigt gefühlt, auch endlich einen zu haben. Aber eigentlich konnte ich ihn nie ausstehen. Er war ein Arsch."

"Wieso?"

"Er hat ...", sage ich unsicher. "Ach, ist doch egal." Ich richte mich auf und reibe mir über die Arme, um mich aufzuwärmen.

"Was hat er?"

Ich wische mir unsicher über die Stirn. Wieso ist er so neugierig? Und wieso denke ich tatsächlich darüber nach, mit ihm über solch intime Erfahrungen zu sprechen? Er hat irgendetwas an sich haben, das mich offenherziger macht. Normal ist das definitiv nicht. Schließlich seufze ich ergeben. "Er fand es immer total bescheuert, dass ich geschrieben habe und hat sich ständig über mich lustig gemacht, wenn er bei mir zuhause war und die vollgeschrieben Blöcke und meine Bücher gesehen hat. Er hat immer gesagt, dass so etwas nur Loser ohne Freunde machen. Loser, die sich ihre eigenen Freunde erschaffen müssen, um nicht allein zu sein." Meine Stimme ist leise. Es ist das erste Mal, dass ich das jemandem erzähle. Und erst jetzt fällt mir auf, wie sehr mich das eigentlich verletzt hat. Ich atme einmal tief. "Ich hab mir das fünf Monate angehört. Bis ... nun ja, bis er mit mir geschlafen hat." Vor Aiden ist mir das unheimlich unangenehm und ich fühle mich wie eine Schlampe. "Er meinte, dass ich erst einen richtigen Freund habe, wenn ich mit ihm schlafe und dann hab ich es einfach getan. Vorher hab ich mir total die Kante gegeben." Ich lache bitter, versunken in diesen schrecklichen Erinnerungen. "Er hat überall rumerzählt, wie ich nackt aussehe und ich - ich zitiere - 'Unter ihm gejammert habe, wie eine Jungfrau'. Er wusste nicht, dass ich Jungfrau war, es war mir immer unangenehm, weil er schon so viel Erfahrung hatte und ich ... naja, keine. Daraufhin habe ich mich endlich von ihm getrennt."

Aiden sieht mich mitleidig an. Es ist das erste Mal, dass ich so einen Gesichtsausdruck bei ihm sehe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn mag oder nicht. Ich will, dass er mich anlächelt und nicht, dass er mich besorgt anblickt. Er merkt, dass ich friere, zieht eine Decke aus einem Kasten und legt sie um uns beide. "Und dann? War alles wieder gut?", fragt er leise.

Ich starre auf meine Hände und schüttle mit dem Kopf. "Zwei Tage später hat er bei uns geklingelt, als ich nicht Zuhause war. Mein Vater wusste nicht, dass wir nicht mehr zusammen waren und hat ihn in mein Zimmer gelassen, damit er auf mich warten konnte. Das Resultat war, dass er alle meine Blöcke und Bücher mitgenommen hat und sie in seinem Garten verbrannt hat."

Aiden reißt entsetzt seine Augen auf und atmet erschrocken die Luft ein.

"Er hat mir nichts gelassen. Kein einziges Stück Papier. Von der ersten bis zur zehnten Klasse, es war alles weg." Meine Stimme bricht ab und erst jetzt merke ich, dass mir eine Träne über die Wange rinnt. Ich hätte niemals gedacht, dass mich die ganze Sache so verletzlich macht. Nachdem ich mich von ihm getrennt habe, habe ich mich nicht mehr damit befasst, sondern habe einfach weiter gemacht.

"Oh Gott", lache ich und wische mir die Träne schnell von der Wange. "Ich sitze hier und weine wie ein Idiot, tut mir leid."

"Du weinst nicht wie ein Idiot", sagt Aiden leise und sieht mir in die Augen. "Das macht dich nur viel lebendiger."

Die Sonne ist mittlerweile komplett untergangen und der Himmel wird immer dunkler. Man hört nichts, außer das Fließen des Wassers.

Ich sehe in Aidens Augen und verliere mich fast in ihnen. Dieses unglaubliche grün. Ich sehe auf seine Lippen. Ich würde ihn unheimlich gerne Küssen. O, wie unheimlich gerne ich ihn küssen würde und erfahren würde, wonach er schmeckt und wie sich seine vollen rosa Lippen auf meinen anfühlen. Ich fühle mich Aiden gerade unglaublich nah und das ist im Moment alles was zählt. Ich habe keine Ahnung, ob sein Herz schwarz oder blau ist und ich weiß auch nicht ob er nachts süße Träume oder Alpträume hat. Wahrscheinlich werde ich nie herausfinden, worüber er schreibt und an was er denkt, wenn er lächelt. Aber wenn ich sein Lächeln sehe, in all meinen durcheinander geratenen Gedanken, weiß ich eine Sache über ihn: Ich mag ihn. Ja, ich mag ihn.

Und da muss ich an meinen Dad denken. Und an Scar und Aby. Sie alle sind traurige Menschen, weil sie ständig verlassen werden. Ich will nicht einer von ihnen sein.

"Ich habe gerade solche Angst", flüstere ich zu Aiden.

"Wovor hast du Angst?", fragt er mich leise.

Dass ich mich in dich verliebe.

Ich wende mich von seinem Blick ab und sehe auf das Wasser. "Ich will nicht weinen müssen, weil ich verletzt werde. Ich will nicht wie Aby enden oder all die verlassenen Frauen aus den Büchern, die dachten, sie tun das Richtige … Ich will nicht verletzt werden. Davor habe ich am meisten Angst", hauche ich bedrückt.

"Raven", flüstert er und ich sehe ihn wieder an. In seinem Blick spiegeln sich so viele Emotionen, dass ich nicht einmal bestimmen könnte, welche es sind. "Ich werde dich nicht verletzen."

"Woher weiß ich das?"

Aiden atmet einmal tief ein und streichelt sanft meine Wange. "Das weißt du nicht, aber du musst versuchen mir zu vertrauen."

Ich will ihn küssen. Ich will ihn so sehr küssen. Aber ich weiß nun mal nicht, was passieren würde, wenn wir uns küssen. Die Situation danach wäre komisch und das möchte ich nicht. Ich will noch mehr von Aiden kennenlernen. Ich will ihn besser kennenlernen.

"Ich vertraue dir." Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauchen.

Aiden lächelt leicht und streicht mit dem Daumen über meine Unterlippe.

Mein Herz scheint jede Sekunde zu explodieren und meine Kopfhaut fängt an zu kribbeln. Schon mit dieser kleinen Berührung macht er ein Wrack aus mir.

"Wir sollten uns nicht küssen", sagt Aiden und sieht auf meine Lippen. Sofort sticht etwas in meiner Brust. Er will mich nicht küssen? Er nimmt seine Hand zurück und sieht lächelnd auf das Wasser. "Du bist mehr wert, als irgendein Kuss auf einem See." Wie meint er das? Hat er etwa schon einige Mädchen hier auf diesem See geküsst? Bei der Vorstellung, wie er ein anderes Mädchen küsst, dreht sich sofort mein Magen um. Ich bin total verwirrt und beobachte, wie er aufsteht und den Schlüssel des Bootes dreht. "Wir sollten wieder zurück. Es wird langsam dunkel."

"Okay", sage ich leise. Ich lasse mich in dem Sitz nach hinten fallen und versuche mir meine Enttäuschung nicht ansehen zu lassen. Findet er mich nicht attraktiv?

Aiden startet den Motor und fährt los.

Der Wind ist so kühl, dass ich mich tiefer in der Decke einwickle und ihn beobachte wie er das Boot lenkt.

Ich frage mich, was Aiden gerade denkt. Er hätte mich eben einfach küssen können und wahrscheinlich hätte ich nicht einmal etwas dagegen gemacht. Aber er hat es nicht getan. Er hat es einfach nicht getan. Ist das etwas Gutes oder Schlechtes? 'Du bist mehr wert, als irgendein Kuss auf einem See', das ist doch eigentlich nichts Schlechtes. Oder?

Aiden und ich haben bis zum Weg in sein Auto kein Wort mehr gesprochen und das macht mich ein wenig nervös.

"Ich will nicht, dass es jetzt so komisch ist", murmle ich, während Aiden gerade auf die Bundesstraße biegt.

Ich spüre seinen Blick auf mir. "Dann lass es uns nicht komisch werden."

Schnell überlege ich. "Glaubst du, dass Abys Herz diesmal schlimmer gebrochen ist als sonst? Ich meine, sie hat wirklich viel geweint", sage ich, um ein Gesprächsthema zu finden.

"Nein. Es war dieses Mal sogar noch recht ertragbar. Es gibt Tage, an denen sie zu mir nach Hause gestürmt ist und Sachen kaputt gemacht hat."

"Ernsthaft?"

"Ja", lacht er. "Aber keine wichtigen Dinge. Nur ein paar Kissen zerrupft, Papier zerrissen. Aber das, was sie eben mit ihrer Kraft kaputt machen kann."

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