Buch lesen: «Die Collide-Lovestory», Seite 17

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Kapitel 24

Aiden hält wie immer auf dem Parkplatz vor unserem Campus. "Also", seufzt Aiden und lächelt mich leicht an. "Wir sehen uns morgen im Unterricht, okay?"

Ich schürze die Lippen und nicke. Ich kann und will mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass er jetzt geht.

"Hach, Raven", lacht er und umfasst mein Gesicht. "Du bist so süß." Er küsst mich und sofort verfliegt meine schlechte Laune.

Zwar nur für die paar Sekunden, in denen er mich küsst, aber immerhin.

"Bis morgen", versuche ich, mir ein Lächeln zu erzwingen, als er von mir ablässt.

"Bis morgen", lächelt Aiden und küsst mich nochmal kurz auf den Mund.

Er soll es nochmal tun. Und nochmal. Und danach nochmal.

Ich öffne die Tür und steige aus. Als ich Aiden beim Wegfahren zusehe, merke ich sofort diese Leere in mir. Jetzt bin ich wieder hier an diesem doofen Campus und muss warten, damit ich ihn bald wieder sehen kann. Seufzend gehe ich in mein Zimmer und hoffe, das Aby nicht zu Andy gefahren ist, denn ich will gerade wirklich nicht allein sein. Ich will jemanden bei mir haben, auch, wenn es nur Aby ist, die sich ständig über Kopf - und Magenschmerzen beschwert.

Der Tag heute war tatsächlich extrem anstrengend und mir wächst sofort wieder ein Kloß im Hals, wenn ich an das Gespräch mit Doktor McQueen denke. Tammy, die arme, liebe, kleine, süße Tammy wird Juli nicht mehr erleben, sagte er. Und dann muss sie gehen. Ich will mir nicht vorstellen, welche höllischen Schmerzen sie erleiden muss und welche noch auf sie zukommen.

Deswegen glaube ich nicht an irgendeinen beschissenen Gott. Wenn es Gott tatsächlich geben würde, wieso zur Hölle sollte er dann so etwas derartig Abscheuliches einem kleinen Mädchen antun?

Und Elizabeth... wieso sollte er Elizabeth ihre Schreibkunst nehmen? Das ist unfair. Das ist komplett unfair. Aber so ist es nun mal, das Leben ist unfair und niemand kann etwas dagegen machen.

Als ich in meinem Zimmer ankomme, muss ich zu meinem Pech feststellen, dass Aby schläft. Diese Pille verlangt ihr anscheinend ganz schön was ab. Ich hätte mich gefreut, mit ihr reden zu können. Ich hätte ihr gerne erzählt, was Aiden und ich in der Apotheke gemacht haben und ich wollte sie fragen, was sie mit Andy veranstaltet hat, dass sie die Pille danach brauchten.

Seufzend lasse ich mich auf mein Bett fallen, als ich mich bettfertig gemacht habe. Meine Gedanken kreisen nur noch um Aiden und das tut mir auf gar keinen Fall gut. Kurzerhand schnappe ich mir "Als wir unendlich waren" und fange an, August beim Lieben zuzusehen. Das gestaltet sich aber auch nicht so einfach, denn Aiden nicht mit August zu vergleichen, ist strikt unmöglich. Sie sind sich so ähnlich, dass es fast schon unheimlich ist. All die Dinge, die August in diesem Buch sagt, könnten genauso auch von Aiden kommen. Zwar nicht die ganzen Liebesgeständnisse zu seiner Frau, aber der Rest. Identisch.

Um halb zehn gebe ich das Lesen schließlich auf und ich schalte meine Nachtischlampe aus. Ich merke, wie mir der Tag noch in den Knochen hängt und ich möchte einfach, dass er endet. Gerade bin ich unheimlich froh, dass ich heute Morgen schon den Aufsatz für meinen Kurs geschrieben habe, denn wenn ich ihn jetzt geschrieben hätte, wären das noch viel mehr als nur sechs Seiten geworden.

Die ganze Sache ist für mich einfach eine riesige Last, mit der ich noch nicht ganz umzugehen weiß. Ich habe sowieso das Gefühl, dass momentan in meinem Leben alles von meinem bisher eigentlich gut bewachsenen Baum fällt. Margret ist wieder da, Scar hat mich verlassen, Dad hat Geheimnisse vor mir und Tammy wird sterben.

Ich fühle mich wie der Protagonist eines schlechten Dramas und es scheint kein Ende zu nehmen.

-

"Rave."

Nein, ich will weiterschlafen.

"Rave, verdammt, wach auf!"

Etwas wird nach mir geschmissen.

Ich öffne ruckartig die Augen und richte mich auf. "Man, Aby was ist denn?", krächze ich genervt.

"Dein scheiß Handy klingelt, hörst du das nicht?", meckert sie.

Stöhnend greife ich nach meinem Handy auf meinem Nachtisch und sehe darauf.

Aiden ruft an.

Um halb zwei nachts?

Ich runzle die Stirn und drücke auf den grünen Hörer. "Aiden?"

"Raven", sagt er mit gebrochener Stimme.

O Gott, weint er?

"Kannst du kommen? Zu mir?"

Ich halte die Luft an und fasse mir an die Brust. Seine Stimme hört sich so schwach, traurig und gebrochen an, dass ich das Gefühl habe mein Herz spaltet sich gerade in zwei Teile.

Ohne über meine Antwort nachzudenken, antworte ich keuchend: "Klar." Ich stehe schnell auf und greife nach meiner Jeanshose, die über meinem Stuhl hängt. "Ich bin in fünfzehn Minuten da."

"Danke." Ich höre ihn leicht, ganz leicht lächeln.

Ich lege auf und schlüpfe schnell in die Jeans.

"Was wird das jetzt?", fragt Aby und schaltet ihre Nachttischlampe ein.

Hastig ziehe ich mir mein Schlafshirt aus und ziehe mir nur einen Hoody über. "Aby, ich brauche dein Auto."

Sie runzelt die Stirn und lacht auf. "Was?"

Ich ziehe mir meine Schuhe an. "Ich baue keinen Unfall und ja, ich hab auch einen Führerschein. Du bekommst es morgen zurück, versprochen. Aber ich brauche es jetzt." Ich greife nach ihrem Autoschlüssel, der auf dem Schreibtisch liegt und gehe zur Tür.

"Halt, Ra - ", höre ich sie noch rufen, aber ich hab die Tür hinter mir schon zugeschmissen.

Ich sprinte schon fast zu Abys Auto und schließe es nach Luft schnappend auf. Die ganze Fahrt über zwinge ich mich, mir nicht die schlimmsten Dinge auszumalen, die passiert sein könnten, das Aiden dazu bringt mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf zu klingeln und mich zu sich zu beten.

Und wie er klang. So traurig.

Ich parke Abys Auto an den Parkplätzen vor dem Hochhaus, in dem Aiden wohnt und renne in die Lobby. Zum Glück ist hier niemand mehr, denn ich kann mir vorstellen, dass man von außen betrachtet meinen könnte, dass ich ein Mädchen bin, das gerade vor einem Vergewaltiger flüchtet.

Ich steige in den Fahrstuhl und drücke mindestens hundertmal auf die Nummer sieben. Aber dieses doofe Teil regt sich einfach nicht und ich seufze genervt. Kurzerhand gehe ich aus dem Fahrstuhl heraus und renne die Treppen hoch, sieben verdammte Stockwerke. So viel Sport habe ich wahrscheinlich seit der High-School nicht mehr gemacht.

Völlig aus der Puste, aber immer noch voller Enthusiasmus komme ich im siebten Stockwerk an und suche das Zimmer 259.

253,255,257,... Endlich. Vor der Tür schnaufe ich erst mal nach Luft und lehne mich gegen den Türrahmen. Aber ich will keine Zeit verplempern, deshalb klopfe ich zwei Mal leicht gegen die Tür.

Sofort geht die Tür auf und Aiden steht im Türrahmen. Seine Haare sind durcheinander und er sieht aus, als wäre er gerade aus dem Bett gekommen. Seine Miene ist traurig, aber er sieht nicht aus, als hätte er geweint. Zum Glück. Ich will ihn nicht weinen sehen.

"Raven", flüstert er, nimmt mich in den Arm und zieht mich in seine Wohnung.

"Aiden", sage ich leise, als er mich fest an sich drückt. "Was ist los?"

Meine größte Angst ist, dass er mir jetzt sagen wird, dass das Krankenhaus angerufen und Tammy für tot erklärt hat.

Er lässt mich los und ich schließe die Tür hinter mir.

"Aiden, rede doch", flehe ich, als er auf die Couch in seinem Wohnzimmer zu trottet.

Aiden lässt sich seufzend auf die Couch fallen und stemmt seinen Kopf in die Hände. "Ich denke, ich habe einfach jemanden hier gebraucht."

Stirnrunzelnd setze ich mich neben ihn. "Wieso? Was ist passiert?"

Aiden sieht auf und fährt sich durch die Haare. "Was passiert ist? Raven, sieh dich doch um. Alles passiert momentan."

Ich sehe ihn verwirrt an.

"Ich habe so lange Angst gehabt vor diesen Tagen. Ich dachte, ich hätte noch so viel Zeit, weißt du? Aber es geht auf einmal alles so schnell... Und das schlimmste ist, ich weiß nicht, wie ich verdammt nochmal damit umgehen soll."

Jetzt wird mir klar, wovon er redet. Er redet von Tammy... Dass sie bald sterben wird und er hilflos zusehen muss. Sofort wächst ein riesiger Kloß in meinem Hals. Aiden ist so zuverlässig und ruhig mit der ganzen Sache umgegangen und jetzt sehe ich ihn, wie er einen Moment hat, in dem er Schwäche zeigt.

Um ihm das Gefühl zu geben, dass ich da bin und ihm zuhöre, lege ich meine Hand auf seinen Arm. Ich weiß, dass ich jetzt besser nicht reden sollte, sonst fließen wieder die Tränen. Ich bin so eine verflixte Heulsuse.

"Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, Raven. All diese Leute die ich sehe, jede Woche,... sie sterben. Woche um Woche sterben sie alle und jetzt, jetzt stirbt sie. Meine größte beschissene Angst erfüllt sich in den nächsten Wochen und ich bin hilflos. Tammy fragt mich so viele Dinge über die Welt, warum das Meer so weit ist, warum der Himmel blau ist... Und ich wünschte, ich müsste es ihr nicht erzählen, denn sie soll all diese Dinge selbst herausfinden, wenn sie alt ist. Aber das wird sie nicht!" Aiden steht aufgebracht auf und läuft von links nach rechts. Er wischt sich durchs Gesicht und erzählt weiter. "Sie wird nie selbst herausfinden, wie weit das verdammte Meer ist und sie wird nie erlesen können, wieso der Himmel blau ist! Und ich, ich halte sie in meinen Armen und sehe ihr beim Verbluten zu! O Gott, Raven, ich kann das nicht. Ich kann ihr nicht beim Sterben zusehen. Nicht schon wieder...."

Schon wieder?

Aiden hält sich die Hand vor den Mund und stützt sich am Kamin ab. Er scheint einen Nervenzusammenbruch zu bekommen.

Es wundert mich nicht, früher oder später wäre es zu diesem Punkt gekommen.

"Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, was ich tun kann, um es zu ändern. Nichts. Nichts kann ich tun. Fuck, nichts kann ich tun", sagt er leise.

Ihn so zu sehen, wie er vor lauter Schmerz keucht und wütend umher redet verletzt mich. Jetzt weiß ich, wie sich Augusts Frau gefühlt haben muss, als seine Schwester gestorben, er ausgeflippt ist und tagelang geweint hat.

Aiden kann nichts tun, um Tammy zu retten und ich kann nichts tun, um Aiden zu retten. Wir sind gezwungen zuzusehen und zu hoffen, dass alles gut wird. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig.

Ich stehe auf und gehe auf Aiden zu.

Um ehrlich zu sein bewundere ich es, dass er nicht in Tränen ausbricht. Wenn ich so ausflippen würde wie er, hätte ich schon längst ein Meer aus Tränen hinterlassen.

Ich nehme Aidens Hand und ziehe ihn sanft in Richtung der Treppen.

Aiden sieht mich überrascht und verwirrt an, lässt es aber zu.

Ich ziehe ihn die Treppen hoch in sein Schlafzimmer. Ich bin froh, dass ich das Licht nicht anmachen muss, denn der Mond beleuchtet das Zimmer durch die großen Fenster genügend. Schweigend ziehe ich ihn auf die Bettseite, bei der die Decke umgeklappt ist und setze ihn auf das Bett.

Aiden starrt mich eindringlich an und verfolgt jede meiner Bewegungen.

"Leg dich hin", sage ich leise und sehe ihn betrübt an.

Er gehorcht mir und legt sich unter die Decke.

Ich gehe um das Bett herum und will gerade die Tür schließen.

"Wo gehst du hin?", fragt Aiden von Trauer erfüllt.

"Ich mache nur die Tür zu." Ich gehe auf die andere Bettseite und krabble zu ihm unter die Decke.

Aiden dreht sich zu mir und drückt mich fest an sich.

Ich weiß nicht, was das gerade für ein Gefühl ist, aber es fühlt sich stark und befreiend an. Wenn er mich so an sich drückt, fühle ich mich nicht mal wie mich selbst. Die Raven vor dem College hätte es nicht interessiert, ob jemand ausflippt und sie hätte sich erst recht nicht mit jemandem unter eine Decke gelegt. Ich bin nicht ich selbst, das ist die einzige Erklärung dafür, warum meine Arme um ihn geschlungen sind, um ihn zu trösten, während er bricht.

"Danke", flüstert Aiden nach einer Weile und lässt mich leicht los.

Ich presse mich enger an ihn und lege meinen Kopf auf seine Brust. Es ist beruhigend, sein Herz schlagen zu hören. "Aiden, wenn... du über irgendetwas reden möchtest, dann kannst du das einfach tun. Du musst das nicht alles in dich hineinfressen. Das hast doch am Freitag erst zu mir gesagt, als ich wegen meiner Mutter so traurig war."

Aiden atmet tief ein und streichelt mit seiner Hand über meinen Kopf. "Ich weiß, Raven."

"Dann tu es jetzt."

"Habe ich nicht gerade schon eine ganze Rede gehalten?", lacht er leise. Da ist er wieder, der lockere und lustige Aiden.

"Ja, aber lass uns sachlich über alles reden. Zum Beispiel - hm - wieso hatte Tammy diese Narbe an ihrer Schläfe? Die hab ich beim letzten Mal noch nicht gesehen." O Gott, kann ich bitte noch uneinfühlsamer sein?

Aiden atmet tief ein. "Ich kann es dir nicht genau sagen, weil ich es selbst nicht richtig weiß, aber diese Narbe hatte sie auch, als sie das erste Mal auf der Intensivstation lag. Das sind irgendwelche Tests, die sie mit ihr machen und dafür müssen sie ihr halt... den Kopf aufschneiden."

"Oh...", ich bereue es, das gefragt zu haben. „ Und was hat es mit der Geschichte auf sich, dass die Schwestern sie bemalen würden, wenn sie frech ist? Das ist ja total unprofessionell."

Aidens Brust vibriert und er lacht leise. "Das waren nicht die Schwestern, das war ich."

Ich sehe zu ihm auf. "Was?", frage ich ungläubig.

"Tammy war an dem Tag total aufgekratzt und hat ständig die Schwestern angezickt und da dachte ich, dass ihr eine kleine Bemalung mal gut tun würde. Ich hab die Schnurrhaare in ihr Gesicht gemalt als sie geschlafen hat und hab ihr dann erzählt, dass das davon kommt, dass sie so frech war. Seitdem ist sie immer lieb."

Ich schüttle den Kopf. "Das ist unglaublich. Weiß das Dokto - ehm, Robert?"

"Ja, er hat mir geholfen."

Ich lache leise und vergrabe mein Gesicht in seiner Brust. "Du hast echt überall Freunde."

Aiden gähnt und hält sich die Hand vor den Mund. "Offensichtlich. Aber jetzt bin ich todmüde."

Ich schmunzle und ziehe die Decke höher. "Dann schlafen wir jetzt."

Ich höre Aiden lächeln und er legt seinen Arm enger um mich.

Es fühlt sich an, als würden wir perfekt ineinander passen. Wie zwei Puzzleteile, die sich gefunden haben.

"Gute Nacht, Raven", sagt er leise und küsst mich auf meinen Haaransatz.

"Gute Nacht, Aiden."

Kapitel 25

Die Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase und ich wache auf. Langsam öffne ich meine Augen und schaue geradewegs auf Aidens Uhr auf dem Nachttisch. 11:04 Uhr! Ach du Scheiße!

Hastig werfe ich Aidens Arm von meiner Hüfte und springe aus dem Bett.

Aiden stöhnt und dreht sich um. "Raven, pscht."

Entsetzt sehe ich ihn an. "Pscht? Pscht du mich auch! Wir haben elf Uhr und wir verpassen unsere Kurse!" Nervös laufe ich von links nach rechts.

Ich sehe Aidens Schultern zucken. Lacht er?

"Wieso lachst du? Beweg dich!"

Aiden dreht sich um und grinst mich verschlafen an. "Beruhig dich, heute ist keine Schule."

"Was meinst du 'Heute ist keine Schule'?"

"Eigentlich ist die ganze Woche keine Schule. Ist so 'ne Studienwoche für alle Abgänger und da hat niemand Schule. Und jetzt pscht." Er schließt wieder die Augen.

Erleichtert seufze ich und lasse mich aufs Bett fallen. "Wow, so kann man auch einen Tag starten", nuschle ich mit dem Gesicht in die Matratze gedrückt.

"Gibt bessere Methoden."

Ich sehe zu ihm. "Aber hast du heute nicht deine Vorlesung in der Kirche?"

Sofort reißt Aiden die Augen auf und scheint hellwach zu sein. "Scheiße!", flucht er und springt auf. "Ich sollte schon seit sechs Minuten da sein."

Amüsiert sehe ich ihm zu, wie er zu seinem Schrank geht und irgendwelche belanglosen Klamotten rausschmeißt.

"Beeil dich besser, sonst wirst du nächste Nacht bemalt", witzle ich.

Aiden zieht sich sein T-Shirt über den Kopf, das er zum Schlafen anhatte und ich kann die Röte in meinem Kopf nicht zurückhalten, als ich seinen Oberkörper betrachte. Auch, wenn es nur kurz ist, kann ich erkennen, dass er einen fetten Schmetterling auf seinem Bauch tätowiert hat, einen Schmetterling? Das sieht echt scheiße aus.

Aber der Rest ist wie gegossen. Ich hätte niemals gedacht, dass Aiden ohne Shirt noch besser aussehen kann, als er so schon aussieht.

"Ich, ehm, ich werde schon mal runter gehen", sage ich verlegen und wende meinen Blick ab, als er anfängt, sich die Hose herunter zu ziehen. Auch, wenn es sehr einladend aussah, will ich ihm seine Privatsphäre noch gönnen. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn Aiden mir einfach beim Umziehen zusehen würde. Wahrscheinlich würde ich ihn beleidigen und rausschmeißen.

Ich gehe die Treppen herunter und sehe erst jetzt, dass auf seinem Tisch das Buch liegt, dass er schon beim letzten Mal mit in der Kirche hatte. Sicherheitshalber nehme ich es schon mal an mich, damit er es auch nicht vergisst, denn so früh nach dem Aufstehen ist kaum jemand zurechnungsfähig.

"Okay, wir können", sagt Aiden, der angezogen die Treppe heruntergestürzt kommt. Er greift sich die Schlüssel von dem Regal und geht aus der Tür. Natürlich hätte er das Buch vergessen.

Ich gehe ihm schnell hinterher und wir fahren in hohem Tempo zur Kirche.

Vor der Kirche steht - wie erwartet - schon der Minibus des Krankenhauses, nur, dass heute ganz viele Leute darin sitzen.

Aiden steigt schnell aus und geht zu dem Bus. "Sorry, ich hab verschlafen", sagt er und klopft an die Scheibe, wo Tammy sitzt.

Diese sah bis vor einer Sekunde noch traurig aus, aber jetzt erhellt sich ihre Miene und sie grinst breit, als sie Aiden sieht.

"Kein Problem", sagt ein grimmiger, alter Mann, der aus dem Bus steigt. "Ist ja nicht so, als hätte schon der erste abkratzen können, während wir gewartet haben. Da drin bekommt man ja mehr Viren entgegen geschleudert, als im Gesundheitslager der dritten Welt."

Aiden hilft ihm aus dem Bus und lächelt ihm entgegen. "Wie ich sehe, strahlst du heute mal wieder nur Positives aus, Carl."

"Ja ja", brummt Carl und geht mit einem Krückstock zur Kirche.

"Hazza", ruft Tammy und springt aus dem Bus in Aidens Arme. "Ich dachte schon, du kommst heute nicht."

Aiden küsst sie auf die Wange und setzt sie auf dem Boden ab. "Ich würde dich doch niemals mit Carl allein lassen."

Ich höre Carl von weitem laut schnauben und irgendetwas vor sich hin grummeln.

"Aiden, hilfst du Elizabeth? Dann trage ich Bronnie rein", fragt der Sanitäter und klopft Aiden auf die Schulter.

Aiden nickt und steigt in den Bus hinein, um Elizabeth herauszutragen. "Raven, klappst du bitte den Rollstuhl aus dem Kofferraum auf?"

Sofort nicke ich und ziehe den Rollstuhl aus dem Kofferraum und stelle ihn vor Aiden auf, damit er sie dort hinein setzen kann. Ihr Aussehen schockt mich jedes Mal, wenn ich sie sehe. Es scheint, als würde sie jeden Tag mehr abnehmen und kränker werden. Wahrscheinlich entspricht das auch einer Tatsache.

"Hallo, Elizabeth", flüstere ich ihr zu, als ich sie den Berg zur Kirche hochschiebe.

"Raven", höre ich sie leise krächzen.

Als wir alle Sitzkissen im Kreis verteilt haben und uns hinsetzen, sehen Aiden alle erwartungsvoll an.

Dieser weiß erst gar nicht was Sache ist, haut sich aber dann mit der flachen Hand an die Stirn. "Das kann jetzt nicht wahr sein."

"Was denn?", frage ich gespielt unwissend.

"Aiden, sag nicht, dass du wieder das Buch vergessen hast", sagt Bronnie und lacht leicht. Auch sie sieht kränker aus als beim letzten Mal.

Tammy kichert und ich will Aiden nicht länger leiden lassen. Ich ziehe das Buch unter meinem Hoodie hervor und halte es ihm hin.

Er sieht verwirrt von mir zu dem Buch und von dem Buch wieder zu mir. Lächelt dann aber gemeinnützig. "Wow, das war gemein."

"Nun nimm endlich das Buch und lies' vor. Ich bin nicht hier hergekommen, um euch beim Turteln zuzusehen", beschwert sich Carl und klopft mit seinem Krückstock, der bereits auf dem Boden liegt, auf den Boden.

Aiden nimmt mir das Buch ab. "Carl, turteln sagen die Menschen aus diesem Jahrhundert nicht mehr. Du scheinst wohl noch in der falschen Zeit zu leben."

"Du meinst wohl eher im falschen Jahrtausend", ruft eine junge Dame augenrollend.

Carl schnaubt und spitzt die Lippen. "Schweigt! Ihr Kinder müsst erst mal im Krieg gekämpft haben und zehn Tage ohne Essen ausgekommen sein!"

Aiden lacht. "Ist ja gut, Carl. Willst du jetzt weiter ein Griesgram sein oder darf ich endlich anfangen?"

Carl verschränkt die Arme und sieht wütend weg. "Mach halt."

"Endlich", stöhnt Bronnie schmunzelnd.

"Okay", sagt Aiden und öffnet sein Buch.

Sofort lehnt sich Tammy wieder an ihn und am liebsten würde ich mich ebenfalls an ihn kuscheln. Aber es reicht auch nur zu beobachten, wie nahe sich die beiden mal wieder sind.

"Es war einmal...."

Es ist schön Aiden zuzuhören. Immer, wenn etwas Lustiges in der Geschichte passiert, lachen alle. Und wenn etwas Trauriges passiert seufzen alle.

Natürlich bis auf Carl. Der grummelt immer noch vor sich hin.

Schlussendlich kann ich mir niemand anderen zwischen Tammy und mir vorstellen, der diesen kranken Menschen vorliest und es schafft, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Ich denke, dass das etwas ist, das Aiden zu einem einzigartigen Menschen macht. Er gibt sich so viel Mühe und steckt so viel Arbeit in seine Geschichten und kümmert sich so liebevoll um diese Leute, dass man meinen könnte, er hätte ein Herz aus Gold. Was er wahrscheinlich auch hat.

".... Ende", sagt Aiden und klappt sein Buch zu.

"Das war bisher meine Lieblingsgeschichte", grinst Tammy und kuschelt sich unter seinen Arm.

"Das sagst du doch jedes Mal, Süße."

"Sie war heute wirklich gut", lächelt Bronnie und die anderen Stimmen ihr zu.

"Was sagst du Carl? Ich könnte schwören, dass ich da ein kleines Lächeln auf deinen Lippen gesehen hab, während ich gelesen habe", sagt Aiden und streichelt Tammy über den Kopf.

Carl schnaubt. "Sie waren nichts Besonderes."

"Carl, jetzt sag doch einmal die Wahrheit", lacht Bronnie.

Er rollt mit den Augen und verschränkt die Arme. "Sie waren ganz okay...", sagt er mürrisch leise.

"Okay, dann wird's Zeit zu gehen", ruft der Sanitäter und steht von einer Bank an der Wand auf.

Stöhnend stehen die Leute auf, die noch aufstehen können und der Sanitäter will zu Carl gehen und ihm hoch helfen.

"Fassen Sie mich nicht an", knurrt Carl und schlägt seine Hände weg. "Ich bin zwar alt, aber noch nicht halb tot, wie der Rest hier."

Der Sanitäter hebt entschuldigend die Hände und geht von ihm weg. "Aber ich wünschte es", höre ich den Sanitäter leise murmeln, während er zu Bronnie geht.

"Das hab ich gehört!", brüllt Carl und stemmt sich mit seinem Krückstock hoch. "Verzogener Bengel."

Da Aiden schon dabei ist, Elizabeth zu ihrem Rollstuhl zu tragen, hebe ich mit Tammy die Sitzkissen vom Boden auf.

Sie trägt heute wieder das hellblaue Kopftuch, das perfekt zu ihren Augen passt.

"Tammy, bring sie hier rüber", rufe ich ihr zu, als ich gerade die Kiste aufhalte, von der ich weiß, dass Aiden das letzte Mal die Kissen dort verstaut hat.

"Okay", ruft sie zurück und kommt mit drei Kissen in ihren Armen zu mir gejoggt.

Schwer schnaufend kommt sie bei mir an und ihr fallen zwei Kissen herunter. Sie sieht wirklich sehr blass aus und man könnte meinen, sie würde jeden Moment umkippen.

Ich hebe die Kissen auf, nehme ihr das Kissen aus der Hand und verstaue sie in der Kiste. "Ist alles okay?", frage ich sie und knie mich vor sie.

Tammy nickt schwach und ich merke, dass sie leicht hin und her schaukelt. "Ich bin müde", sagt sie leise und lehnt sich an mich.

"Dann bringen wir dich jetzt wieder zurück ins Bett, damit du dich ausschlafen kannst." Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie besorgt ich eigentlich bin. "Du solltest nicht so rennen, okay?", sage ich, während ich sie auf meine Hüfte setze und aufstehe.

Tammy wiegt fast nichts und das macht mich noch unruhiger.

Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter und nickt.

Besorgt betrachte ich sie und versuche diesen Anblick in mich einzusaugen, denn ich weiß nicht, wie lange ich noch die Chance habe, sie zu sehen.

"Ist alles in Ordnung?", fragt Aiden, der neben mir auftaucht. Er streichelt Tammy über den Kopf, die immer noch ihren Kopf auf meiner Schulter liegen und ihre Augen geschlossen hat.

Ich nicke. "Sie ist sehr müde."

Aiden schürzt die Lippen und küsst Tammys Kopf. "Okay. Lass uns gehen."

Wir gehen nach draußen und man merkt deutlich, wie angespannt Aiden ist. Er hat genau so viel Angst wie ich, wahrscheinlich sogar noch mehr.

Ich setze Tammy in ihren Kindersitz im Bus, schnalle sie an und streiche ihr nochmal über die Wange. Du armes, kleines, Mädchen... Ich wünschte, du könntest ewig leben.

Als ich aus dem kleinen Bus steige, lächle ich Aiden zu, der schon an sein Auto gelehnt auf mich wartet, als Zeichen, dass alles okay ist. Wenn auch nur ein bisschen.

"Bis nächste Woche, Aiden", ruft der Sanitäter und winkt uns noch zu, bevor er in den Bus einsteigt. "Und Raven."

Ich winke zurück und wir steigen in Aidens Auto.

"Diese Momente hasse ich", sagt Aiden und lehnt seinen Kopf an die Kopflehne.

Ich seufze und greife nach seiner Hand. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und deshalb will ich ihm einfach zeigen, dass er nicht allein ist.

Er lächelt und drückt meine Hand. "Willst du - "

Sein Handy klingelt.

Stöhnend nimmt er es raus und sieht darauf. "Leon", sagt er mit gerunzelter Stirn und hält es sich ans Ohr. "Was gibt’s? - Ja - Nein, kein Problem - Okay - Raven ist noch bei mir - Alles klar, bis dann."

Ich sehe ihn fragend an. "Was wollte er?"

Aiden legt sein Handy in die Ablage zwischen uns und startet den Motor. "Er will reden. Wegen Sophia."

Oh.

"Also fahren wir jetzt zu ihm?"

Aiden nickt. "Ja, seine Wohnung ist nicht weit weg."

Ich hebe die Brauen. "Das kann interessant werden. Wie hat er geklungen? Weiß er es?"

Aiden zuckt mit den Schultern und hält an einer Ampel. "Er hat sehr... erschöpft geklungen. Denke nicht, dass er es weiß. Wenn, dann wäre er nicht so ruhig gewesen. Er hätte wahrscheinlich rumgeschrien und schon längst gelallt."

Ich runzle die Stirn. "Trinkt er, wenn er traurig ist?"

"Ja, jedes Mal. Vor allem, wenn es um Frauen geht."

"Oh." Ich sehe aus dem Fenster. "Der Arme."

Als wir vor Leons Tür stehen, frage ich Aiden noch: "Sagen wir es ihm? Das mit Sophia."

Er schüttelt den Kopf und betätigt die kleine Klingel neben der Tür. "Besser nicht, aber wir könnten ihn auf den richtigen Pfad bringen."

Ich nicke und fahre mir durch die Haare. Ich sehe immer noch total verschlafen aus. Immerhin habe ich mir heute noch nicht einmal die Haare gekämmt, geschweige denn meine Zähne geputzt. Ich fühle mich wirklich eklig.

Die Tür öffnet sich und ein trauriger Leon in Jogginghose erscheint. "Kommt rein", sagt er, zwingt sich ein kleines Lächeln raus und verschwindet im Wohnzimmer.

Ich nehme zumindest an, dass es das Wohnzimmer ist, denn hier steht eine lange Couch und ein Fernseher mit verschiedenen Regalen auf denen Sporttrophäen stehen. Anscheinend spielt Leon Basketball. Und Baseball, und Football, Fußball und eine Sportart, die ich nicht einmal entziffern kann. Ich wusste gar nicht, dass er so viel Sport macht. Nun ja, das würde seinen durchtrainierten Körper erklären.

Aiden und ich sehen uns hilflos an, streifen unsere Schuhe ab und folgen ihm ins Wohnzimmer auf die Couch. Er setzt sich genau neben mich und Leon liegt weit ausgebreitet auf der anderen Seite.

Es sieht aus, als würde er auf einem Psychologenstuhl liegen und sich gleich die Seele vom Leib reden, während wir seine Psychologen sind.

"Also, erzähl mal, was genau passiert ist", fängt Aiden das Gespräch an und betrachtet Leon.

Jap, es könnte definitiv eine dieser Sitzungen bei einem Psychologen sein. Aiden würde auf jeden Fall einen guten Psychologen abgeben. Okay, er würde wahrscheinlich sowieso alles gut können.

Leon seufzt. "Sophia ist über das Wochenende nach Manchester gefahren - irgend so eine Wellnesskacke. Sie meinte, dass sie mit Claudia und Nadine fährt, aber ich kenne gar keine Claudia und auch keine Nadine. Dabei kenne ich eigentlich sonst alle ihre Freunde. Und dann hat sie sich das ganze Wochenende nicht einmal gemeldet, sie hat sogar meine Anrufe weggedrückt! Ein einziges Mal ist sie an ihr Handy gegangen, meinte dann aber, dass sie gerade keine Zeit hat und hat aufgelegt."

Mir stockt der Atem. Sophia gleicht mehr einer Schlange, als ich dachte. Am liebsten würde ich einfach mit der Wahrheit rausplatzen, um Leons Unwissenheit ein Ende zu setzen. Hilfe suchend sehe ich zu Aiden. Er weiß besser, wie man mit so einer Situation umgeht.

Er nickt mir zu und sagt: "Und bisher hast du immer noch nichts von ihr gehört?"

Leon schüttelt den Kopf und wischt sich durch sein Gesicht. "Nein, nicht ein verdammtes Wort. Bis Freitag lief doch noch alles gut, wieso sollte sie mich denn auf einmal so abblocken? Wahrscheinlich mache ich mir sowieso viel zu viele Gedanken."

Nein, Leon, machst du nicht. Du solltest dir noch viel, viel mehr Gedanken machen.

"Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass Sophia vielleicht - ", sagt Aiden, wird aber von Leon unterbrochen, der sich ruckartig aufrichtet.

"Nein! Nein, nein! Sophia geht nicht fremd!"

"Leon, beruhig dich", sagt Aiden ruhig. "Ich will nur, dass du keine Möglichkeit auslässt."

Leon steht auf und fährt sich aufgebracht durch die Haare. "Du denkst wirklich, dass sie einen anderen hat?"

"Ich weiß es nicht, Leon, aber es könnte sein. So, wie sie sich verhält, könnte es darauf hindeuten. Am besten fährst du einfach mal zu ihr und stellst sie zur Rede."

"Ich glaub das nicht, man. Sophia hat doch gar keinen Grund, fremdzugehen. Wir haben den besten Sex aller Zeiten und - "

"Stell sie einfach zur Rede", unterbricht Aiden ihn zum Glück.

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