Buch lesen: «Touché - und andere Generationengeschichten», Seite 2

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Als mein Vater mich verließ

JGM

An dem Tag, an dem mein Vater mich verlies, änderte sich alles. Alles in mir und alles um mich herum. Abgesehen von dem Schmerz in meinem Körper, machten sich Tausende von Gedanken auf den Weg durch meine Nerven- und Gehirnzellen, machten sich breit in jeder Ecke meines Hirns, rauschten mir durch den Kopf. Warum? Wieso? Das kann nicht sein. Der letzte Kontakt, der letzte Satz, die letzte Umarmung.

Ich wusste schon, als mein Handy klingelte und ich sah, dass es meine Mutter war, dass etwas passiert sein musste. Sonst hätte sie mich niemals während meines Urlaubs angerufen. Doch dass es etwas derartig Brutales war, erwartete ich nicht. Ich hörte ihre Worte und spürte, wie mein Herz durch einen heißen, brennenden, explosionsartigen Stoß mit Schmerz infiziert wurde, der langsam in jede meiner körpereigenen Zellen kroch.

Schmerz. Unendlicher Schmerz, nur Weinen und Schreien, kaum Atmen. Mir war so schlecht, Übelkeit, mein ganzer Körper tat weh. Von jetzt auf gleich. Nur eine Sekunde im Leben und sie änderte es von Grund auf. Ich sah Palmen, die im Wind wehten, Hauswände, die von der kanarischen Sonne bestrahlt wurden, Fenster mit hässlichen Vorhängen, Autos, die vor unserem Apartment hin und herfuhren, als hätte sich nichts geändert.

Nichts kann ihren Rhythmus durchbrechen. Mich hingegen hatte gerade Etwas mit einer derartigen Wucht durcheilt, dass ich mich wunderte, dass mein Herz noch schlug und meine Lunge noch atmete, sogar schneller als normal. Ich konnte nicht klar denken. Alle Gedanken mischten sich in einen riesigen Chaosball zusammen, der durch mein Gehirn tobte. Als würden meine Gedanken Karussell fahren und einen Heidenspaß haben.

Nur ich nicht. Ich fühlte mich, als würde mein Kopf platzen. Ich riss einige Kleider von mir. Ich konnte nicht atmen. Ich schrie und weinte. Mein Körper wollte ausbrechen, fliehen, vor diesem Schmerz. Aber er konnte nicht. Er war gefangen in sich selbst. Immer wieder erinnerte ich mich an die Worte meiner Mutter: »Es ist was ganz Schlimmes passiert! Der Papa ist gestorben.«

Mein Vater: mein Berater, Vertrauter, Aufmunterer, Scherzkeks und weiser Mann. Der, der immer eine Lösung kannte. Der, der fühlen konnte, was ich fühlte. Der, der mir so nah war, wie kaum jemand in meinem Leben. Immer wieder sagte ich mir: »Das kann nicht sein. Das kann nicht sein ... Und wenn es wahr ist, dann schaffe ich das nicht. Das überlebe ich nicht. Papa, du warst doch gerade noch da!«

Gerade eben, vor ein paar Sekunden war meine Welt noch in Ordnung, als ich in der Küche stand und eine Tomate schnitt, und jetzt das. Schlagartig wurde mir klar, dass mein bisheriges Leben hier endete und nun ein ganz anderes Leben begann. Eins, dass ich gar nicht wollte und nicht kannte. Die 30 Jahre, die ich lebte, kannte ich schließlich nur mit meinem Vater. Er war immer Teil, immer da. Er war Teil meiner Identität. Wie sollte mein Ich ohne ihn funktionieren?

Innerlich zerrieselte dieses in ein Häufchen Elend. Über 3 Stunden konnte ich nicht aufhören zu weinen. Mein Freund hielt mir die selbstgemachte spanische Tortilla unter die Nase und bat mich, einen Happen zu essen. Ich konnte nicht. Die Tortilla schmeckte nach Tod. Ich rief wieder und wieder das Handy meines Vaters an, weil ich nun beschlossen hatte, es nicht zu glauben. Er würde bestimmt rangehen. Nach dem 5. Mal gab ich auf. Die Stimme, die ich hörte, war die meines Vaters, doch kam sie von einem Tonband und sprach immer wieder dieselben Worte: »Sie sind verbunden mit der Mobilbox von …« und er füllte die Lücke schwungvoll mit seinem Namen. Ich konnte nicht aufhören, seine Stimme zu hören.

Es war mittlerweile spät abends. Mein Freund half mir, zu duschen. Mein Körper war wie gelähmt. Immer wieder brach der Schmerz aus mir heraus. Nicht mal ein paar Minuten schaffte ich ohne Weinen. Der Schock hemmte meine Bewegungen, aber mein Kopf rauchte noch immer. Als ich im Bett lag und schlafen sollte, machte ich kein Auge zu. Nichts auch nur Annäherndes wie Entspannung war möglich. Wenn mir die Augen mal aus Erschöpfung zufielen, öffnete ich sie schreckhaft wieder. In meinem Kopf tobte es: Wo bist du Papa? Wo bist du? Irgendwann schlummerte ich leicht weg. Mit jedem Aufwachen schrie ich innerlich wie ein Kind: Wo bist du Papa?

Es wurde hell. In meinem tranceartigen Zustand schlug die schlimme Nachricht erneut durch und ich konnte nichts als Weinen. Wieder wurde mir schlagartig unglaublich übel und ich konnte mich nur quälend hin und her wälzen. Mein Freund zwang mich zum Aufstehen, zum Essen und zum Rausgehen. Wir machten einen Spaziergang durch den Ort, am Hafen vorbei und am Strand. Zu viele Rentner. Alles grauhaarige Männer, die es sich in der Sonne gut gehen ließen. Ich konnte sie kaum ansehen. Ich entwickelte einen derartigen Hass und eine Wut auf sie. Wieso war es meinem Vater verwehrt geblieben so alt zu werden? Was ist das für eine verdammt ungerechte Welt? Gut, dass ich meine Sonnenbrille trug, die die Männer vor meinen boshaften Blicken schützten und zuließ, dass ich mich etwas von der Welt distanzieren konnte. Irgendwann hielt ich die Heiterkeit und das einfache Fortschreiten der Welt nicht mehr aus und ging zurück zum Apartment.

Natürlich brachen wir den Urlaub ab und flogen so schnell es ging zurück. Ich ertappte mich dabei, wie ich darüber nachdachte, überhaupt zurückzufliegen. Ich dachte: »Ach Papa hätte bestimmt gewollt, dass ich bleibe.« Im selben Moment fiel mir auf, wie absurd dieser Gedanke war. Als wäre es ein Geburtstag oder eine sonstige Veranstaltung, die ich verpasste. Natürlich musste ich zurück. Das, was mich zu diesem Gedanken verleitet hatte, war die absolut tiefgreifende Angst vor dem, was jetzt alles auf mich zukommen würde und davor, der Tatsache ins Auge zu sehen. Wir gaben das Auto zurück, checkten am Flughafen ein. Jeder Kontakt mit Menschen war eine absolute Herausforderung, als hätte ich es verlernt.

Ich musste mich zusammenreißen, nicht die Fassung zu verlieren und überhaupt ein vernünftiges Wort herauszubekommen. Zudem fragte ich mich, ob mein Gegenüber mir nicht sofort ansehen müsste, dass bei mir etwas ganz und gar nicht stimmte. Im Wartesaal schob ich mir wieder meine Sonnenbrille auf die Nase und weinte heimlich an der Schulter meines Freundes. Auch im Flugzeug nahm ich sie nicht ab. Ich brauchte Abstand von dieser grausamen Welt. Würden wir jetzt abstürzen, war es mir egal. Dann würde ich vielleicht wenigstens Papa nochmal sehen.

Vielleicht würde ich zu ihm kommen? Dieser Gedanke nahm mir zum ersten Mal jegliche Flugangst. Wieder machte ich kein Auge zu. Ich konnte nur starren. Ich starrte und beobachtete die Menschen in den vorderen Reihen. Eine Frau mit Kind, die ein paar Mal auf Toilette ging und sich hin und wieder mit Sitznachbarn unterhielt, welche sich an ihrem Baby erfreuten.

Ich überlegte mir, ob diese Frau eigentlich wusste, wie gut es ihr gerade ging.

Mit Oma Pischke beim Frauenarzt

Freidenker

An vorn son Tach treff ich Oma Pischke an Milchwagen. »Moin Freidenker,« sacht Oma Pischke.

Ich sach: »Moin Oma. Hömma, Oma Pischke. Wat trinks du eigentlich soviel Milch. Du bis doch schon Schlachtvieh, von wegen Kalzium.« Oma: »Hör mich auf, Freidenker. Dat is wegen mein Frauenarzt. Der sacht, dat ich dann fürn Opa schön geschmeidich bleib, woll.« Ich sach: »Oma Pischke, ihr spielt doch im Bett nur noch, auf welche Seite er fällt.« Oma: »Nix Freidenker. Der Opa hat ne gesunde Alters-Starre.« Ich sach: »Ich frach gätz nich, wo du die Milch zu dir nimmst, Oma.«

Dann fracht Oma mich: »Freidenker, kannse mich heute zum Frauenarzt begleiten? Der Opa hängt mit seine Starre im Schlafzimmer fest.«

»Ja sichär, Oma,« sach ich. Um sechs Stunden vor Zwanzich Uhr sitzen Oma und ich innen PT Cruiser. Die Mucke auf volle Pulle. Oma Pischke hat sich ZZ Top, Gimmi all your lovin, gewünscht.

Als Ziel hat Oma die Gartenstraße 32 oder 23 angegeben. »Ich erkenn dat Gebäude wieder, Freidenker. Der letzte Besuch is erst drei Jahre her.« Ich sach: »Wat is denn bei sonne Oma noch zu untersuchen ?« Oma sacht: »Dat war keine Untersuchung, Junge. Ich hab mich fürn Opa anne schlechten Teile piercen lassen.« Ich sach: »Du has Ringe inne schlechten Teile, Oma ?«

»Ne, nich ganz, Freidenker. Ich hab mich für Opa tackern lassen, damit der den Wech schneller findet, woll.«

Dann sind wir an ät Ziel und ich bremse inne 30er Zone von 120 auf Null. Oma schlächt leicht mit de Birne auf ät Armaturenbrett. Ich sach: »Siehse Oma. Wir sind da. Nummer 23, woll.«

Oma Pischkes Augen drehen sich nen bisken nach innen, wie bei meinen treuen Gefährten, mein Hund Ballou. »Allät in Ordnung, Oma?« Oma nickt und ich sach ihr nix von dem Horn, dat auf ihre linke Stirnseite an wachsen is.

Dann gehen wir zum Eingang. Auffem Schild steht: »Habe-kei-ne; Ah-Nung. Akkupunktur, Reiki, Massage, Tiefentherapie.«

Ich sach zur Oma: »Hier sind wir richtich Oma. Dat die dat Tiefentherapie nennen, find ich schon klasse, woll.« Oma nickt und dat Hörnchen wächst.

Dann gehen wir innen Frauentempel rein. Gleich kommt uns sonne Lotusblüte, mit ein Duft von Lavendel, entgegen und fracht: »Guten Tag. Dalf ich nach ihlem Namen flagen.« Ich sach: »Hömma, dein Duft kenn ich doch von mein Stinkebäumchen aussem PT Cruiser, woll. Und sichel dalfse nach den Namen flagen. Und den melkse dil gut, woll. Wil sind angemeldet.«

Velstölt und knullend bringt uns der duftende Wok ins Behandlungszimmer. Ich bleib draußen vorm Vorhang, mit ein chinesischen Drachen, sitzen. Ich denk noch so: »Da wird schon so manche bei de Untersuchung Feuer gespuckt haben, woll.«

Dann erklingt dreimal der Ton einer Klangschale. Ich sach: »Oma, ham se dich getroffen.«

Nix, keine Antwort. Dann beginnt schon die Behandlung. Ein weibliche Stimme sagt: »Wir beginnen jetzt mit einer Massage, damit die verkrampften Stellen sich lösen können.«

Ich denk so bei mich: »Wenn dat ma mein Urologe so machen würde.«

Oma fängt an zu stöhnen und ich überlege für einen Moment, ob ich Opa Pischke nich schon jetzt aussem Schlafzimmer hole. Dann höre ich die weibliche Stimme wieder: »Sehl schön. Es ist alles sehl schön weich und ich spüle die innele Öffnung.« Ich denke, mit ein Bild vonne Oma Pischke in mein Kopp: »Die Ärztin muß nen verdammt langen Arm haben. Vielleicht war die ma Tierärztin, woll.«

Die weibliche Stimme: »So, nun setzten wil in die weichen Stellen die Nadeln. Es welden alle 24 Sinnespunkte genadelt.«

Als ich dat gehört habe, bin ich ma zwischendurch schnell nach vorne und hab mich fürn Seminar angemeldet, woll. Dann wieder vor Omas Kabine. Als ich da ankomme is ät ein Nebel.

Und dat stinkt nach ein Rauch, wie ausse Kirche, den die immer aus ihrem Locheimer inne Gemeinde schütten. Ich sach: »Oma, wat rauchse denn für ein Kraut. Hasse dem Paster die Kippen geklaut ?«

Oma stöhnt und ät kommt keine Antwort. Dann wieder die weibliche Stimme: »Sehl schön. Ich nehme jetzt die Nadel wiedel laus und dann schmielen wil die Stelle mit Heilelde ein.«

Ab diesen Moment konnte ich als technisch geprächter Freidenker wieder inne Frauenwelt mithalten, woll. Dat is ne 1a Versiegelung, die Oma Pischke da bekommt. Hier isse inne richtigen Hände, da bin ich mir sicher.

Dann kommt Oma Pischke ausse Kabine. Ne, nich kommt. Oma Pischke schwebt. Und dat Horn anne Stirn is wie aussem nix verschwunden. Und sie stink genauso wie mein Lavendelbaum in PT Cruiser. Ich sach: »Is der Kanal wieder frei, Oma.« Oma Pischke grinst mich an und sacht: »Alles is wieder frei, mein Denker. Ich will jetzt so schnell wie möglich zu Opa Pischke.«

Dat is noch Liebe, denke ich. Nich ma ein paar Stunden könnse auseinander sein...

An gleichen Abend von son Tach geh ich mit Ballou noch ne Runde. Bei Pischkes steht der Krankenwagen vor der Tür. Ich krich Angst wegen Oma Pischke. Bestimmt wegen dat Horn und den Aufprall innen PT Cruiser, denke ich. Dann kommen se raus, mit den nackigen Opa Pischke auffe Trage. Die Alters-Starre zu den Sternen aufgerichtet und 15 Eisbeutel drum herum.

Ich sach: »Wat is los, Opa Pischke. Bisse mit deine Starre inne Heilerde stecken geblieben.«

Opa Pischke zeigt mir seinen knorrigen Mittelfinger und stöhnt: »Freidenker, dich krich ich noch, woll.«

Ballou guckt mich fragend an. Ich sach zu ihm: »Dat mit der Inklusion müssen wir aber noch ein bisken üben.« Dann gehen wir weiter und hören das nimmer endende Stöhnen von Oma Pischke bis in die Tiefen des Sauerlandes.

Die Mancinis und der Bardolino

Hermann Bauer

Gerne höre ich auch heute noch auf den Rat des Ehepaares Sonja und Pietro Mancini. Ob die Probleme klein oder groß sind, die Mancinis finden immer einen Ausweg.

Sonja und Pietro Mancini sind schon weit über 80 Jahre alt. Im Herzen sind sie aber jung und modern geblieben. Pietro Mancini hatte einen Beruf, in dem er in der ganzen Welt herumkam. Er lebte viele Jahre mit seiner Sonja in Asien und Südamerika. Heute wohnen die beiden am Münchner Stadtrand, direkt am Ufer des Starnberger Sees. Ein breiter Kiesweg führt zu der geräumigen Villa.

Ich sitze in einem schwarzen Ledersessel und betrachte das Kaminfeuer. Kein Wohnzimmer strahlt eine solche Gemütlichkeit und Geborgenheit aus wie dieses. Und ich war schon in vielen Wohnzimmern zu Gast.

Pietro schenkt mir einen Rotwein ein, traditionell seine Hausmarke, einen Bardolino. Pietro meint, es gäbe bessere Rotweine, aber seit sich Sonja aus München und Pietro aus Sirmione am Gardasee vor ewigen Zeiten bei einem Glas Bardolino kennen lernten, sind sie der Rebsorte treu geblieben, denn so wärmen sie ihr Verliebtsein immer wieder auf.

Wir stoßen alle an, und Sonja bemerkt: »Es wird höchste Zeit, dass wir mal wieder gemeinsam einen netten Abend verbringen.«

Pietro steht auf, was ihm große Mühe bereitet. Wie so viele Senioren hat auch er Schwierigkeiten mit seinen Beinen. Sie tragen ihn nicht mehr so gut.

Er geht zum Kamin, bückt sich und greift nach dem Korb, um Holz zu holen. Ich springe auf, um ihm die Arbeit abzunehmen. Aber schon steht Sonja neben mir und bittet uns, beide wieder Platz zu nehmen, denn sie möchte Brennholz holen. Sie lässt sich nicht von mir helfen.

Als sie wieder das Zimmer betritt, geht Pietro auf sie zu, bedankt sich bei ihr und drückt ihr ein Küsschen auf die Wange.

Ich bin gerührt. Es ist jedes Mal eine Freude für mich zu sehen, wie glücklich und harmonisch die beiden immer noch sind – nach so vielen Ehejahren.

Ich trinke einen Schluck Wein und frage sie: »Was ist eigentlich das Geheimnis eurer glücklichen Ehe?« Beide lächeln sich an, und Pietro antwortet: »Ein Geheimnis gibt es da sicher nicht. Die Ehe ist ein Bündnis, das gehegt und gepflegt werden muss. Für manche ist die Ehe bzw. die Liebe lediglich ein Boogie-Woogie der Hormone. Wenn solche Bindungen dann scheitern, muss man sich nicht wundern.« Sonja nickt und fährt fort: »Leider sind die meisten Menschen nicht auf die Ehe vorbereitet. Pietro und ich waren es auch nicht. Als wir vor über 60 Jahren heirateten, hatten wir keine Ahnung. Wir wussten nicht, wie man über seine Gefühle und Empfindungen spricht, wie man Kritik einsteckt und Kritik übt, ohne den anderen gleich in Bausch und Bogen zu verdammen. Oder wie man konstruktiv streitet und es schafft, auch mal nachzugeben, Probleme auch mal eine Weile im Raum stehen zu lassen, um einen günstigeren Augenblick zu ihrer Bewältigung abzuwarten. Die ersten Jahre waren deshalb ziemlich schwierig, und der Haussegen hing oft schief.«

Pietro geht in die Küche. Er kramt aus dem hintersten Eck einen Gegenstand hervor, bringt ihn mit ins Wohnzimmer, reicht ihn mir und sagt: »Vielleicht gibt es doch ein Geheimnis unserer glücklichen Ehe – dies hier hat eine Menge dazu beigetragen.«

Gespannt wartet er auf eine Reaktion von mir. Ich bin jedoch ratlos. Was er mir in die Hand gedrückt hat, ist eine uralte vergammelte Bratpfanne. Sie ist nicht schön, der Boden schon angebrannt und der Henkel wackelt.

Sonja lacht und erzählt: »Diese Pfanne ist schon sehr alt. Ich habe sie bei einem alten Italiener auf einem Markt am Gardasee gekauft. Dieser Mann sagte zu mir, in Deutschland sei die Ehe mit einer heißen Pfanne zu vergleichen, die man auf eine kalte Platte stelle und die nach und nach abkühle. In Italien sei die Ehe eine kalte Pfanne, die man auf eine heiße Platte oder Feuerstelle stelle, so dass sie sich langsam erwärme und immer heißer werde. Diese Worte haben mir damals sehr gut gefallen, und bis heute habe ich sie nicht vergessen.«

Pietro unterbricht Sonja und stellt klar: »Nicht, dass unsere Ehe zu Anfang ein kalte Pfanne gewesen wäre, ganz im Gegenteil, dazu bin ich viel zu temperamentvoll. Aber ich glaube, dass viel zu viele Menschen lediglich darauf hoffen, dass sich die Anfangshitze möglichst lange hält, anstatt immer wieder kräftig nachzuheizen. So verstehe ich die Ehe: Die Freundschaft vertiefen, sich immer näher kommen, sich immer besser verstehen lernen.«

Verträumt beobachte ich, wie die lodernden Flammen auf die gerade aufgelegten Holzscheite übergreifen.

Sonja unterbricht die Stille: »Wir reden oft über Ehe und Partnerschaft. Und wenn jemand Schwierigkeiten hat, so wie du, versuchen wir ihm zu helfen.« Dabei schaut sie mir tief in die Augen. Pietro legt seine Hand auf meine Schulter und sagt: »Ich finde es wichtig, auch von anderen Menschen zu hören, welche Probleme sie haben. Zu sehen, wie sie damit umgehen, das hilft auch uns weiter.«

Ich bin nicht in der Stimmung, jetzt über die Schulprobleme meiner Kinder zu sprechen. Auch nicht über die voraussichtliche Kündigung unserer Mietwohnung, den Wahnsinnsstress in der Firma und schon gar nicht über meine momentane Ehekrise. Da kann mir keiner helfen, denke ich mir, da muss man eben durch.

Also trinke ich mein Glas leer, stehe auf, gehe wie ein Tiger in seinem Käfig nervös auf und ab und sage etwas vorwurfsvoll: »Das alles hört sich recht einfach an, ist jedoch, wie alles Üben, eine schwierige Arbeit. Es erfordert eine Menge Geduld.« Ich bedanke mich für den netten Abend und möchte mich verabschieden.

Sonja reagiert überhaupt nicht und holt noch eine zweite Flasche Bardolino aus der Küche. Pietro kommentiert trocken: »Setz dich.«

Sonja reicht Pietro die Flasche und den Korkenzieher. Er öffnet die Flasche und gießt allen die Gläser nach.

Ich fühle mich unausgeglichen und ausgelaugt vom beruflichen und häuslichen Ärger.

Der Hausherr deutet mit seinem Zeigefinger auf die Vitrine mit den vielen Schnitzereien, Statuen und Vasen. »Jedes Stück teilt eine Geschichte mit«, sagt er. »In welches Land sollen wir dich heute entführen? Nach Thailand, Indonesien, Indien, Guatemala, Mexiko, Peru...?«

Er greift sich aus der Vitrine eine Holzfigur, hält sie in den Händen, betrachtet sie immer wieder von allen Seiten, und dann erzählen beide über Indonesien. Das klingt alles so echt, als ob ich damals selbst dabei gewesen wäre.

Ich schließe meine Augen, und manchmal habe ich das Gefühl, als könnte ich sogar die Gerüche der Speisen, von denen sie mir erzählen, wahrnehmen. So vergesse ich für einige Stunden meine Sorgen. Wie machen die beiden das nur? Die Erzählungen wirken auf mich wie eine Hypnose und Seelenmassage zugleich. Nach etwa vier Stunden verabschiede ich mich und trete den Heimweg an.

Zu Hause fragt mich meine Frau: »War es nett? Haben die beiden wieder über ihre Auslandsabenteuer gesprochen? Haben sie dir wieder ihren billigen Rotwein angeboten? Außer Erdnüssen haben sie dir vermutlich nichts zum Essen angeboten, stimmt’s? Von Millionären kann man das Sparen lernen.«

Ich nicke mit dem Kopf: »Ja, es war wieder sehr schön. Diesmal haben sie mich mit nach Indonesien genommen. Aber sie haben mir auch eine kleine Geschichte über eine italienische Bratpfanne erzählt. Diese Erzählung gefiel mir am besten. Willst du sie hören?«

Verständnislos schaut meine Frau mich an, wobei sie erwidert: »Heute nicht mehr. Ich bin schon zu müde. Vielleicht morgen. Dann erzähle ich dir auch eine Geschichte über Pfannen, Kochtöpfe, Bestecke, Teller, Tassen und Gläser, die ich heute abgespült habe, während du dich amüsiert hast. Ich gehe jetzt ins Bett. Gute Nacht.«

Ich bin noch nicht müde. Zu viele Gedanken wirbeln in meinem Kopf herum. Dabei denke ich an eine kühle Bratpfanne und wünsche mir, sie möge sich noch einmal erwärmen und vielleicht sogar sehr heiß werden.

Der kostenlose Auszug ist beendet.