Buch lesen: «Seewölfe Paket 8», Seite 2

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„Damit hat keiner gerechnet, Sir, wir …“

„Schweigen Sie! Lassen Sie feuern, sofort!“

Drake wußte selbst, daß der beim Gegner keinen Treffer mehr landen konnte, aber seine Wut war grenzenlos, daß der Don ihn einfach so übertölpelt hatte, und darum tobte er seinen englischen Dickschädel auf dem Achterkastell aus.

Fenner gab den Befehl zum Feuern sofort weiter, und die verstörten Leute befolgten ihn blindlings, aus Angst vor der scharfen, erbarmungslosen Stimme des Admirals und seines Stabschefs.

Die „Elizabeth Bonaventura“ erbebte unter dem Abschluß einer gewaltigen Breitseite, die tonnenweise Eisen und Blei wahllos in die Gegend spie.

Eine Pulverwand entstand vor dem Schanzkleid, die der Wind jedoch rasch auseinandertrieb.

Fenner registrierte aus den Augenwinkeln, daß die Kugeln in einer Entfernung von mindestens zweihundert Yards in die See klatschten und dort gewaltige Fontänen hochrissen.

Er wollte sagen: Nicht getroffen, Sir, aber das verkniff er sich im letzten Augenblick, als er Drakes Gesicht sah. Das hatte jetzt seine weiße Farbe verloren und wirkte blutrot.

„Das ist mir noch nie passiert“, fauchte Drake. „Dabei hatten wir das Überraschungsmoment einwandfrei auf unserer Seite. Wie konnte das geschehen, Mister Fenner? Was sind das für Satansbraten, die uns mit einem einzigen Schuß den Bugspriet einschließlich der Segel wegschießen?“

„Ein Zufallstreffer, Sir“, versuchte Fenner den aufgebrachten Admiral zu beruhigen, aber Drake war noch lange nicht so weit, daß er seine Ruhe wiedergefunden hatte.

„Ja, ein Zufallstreffer!“ schrie er. „Nur nutzt uns diese Erkenntnis verdammt wenig. Wie stehen wir da! Weshalb ließen Sie das Feuer nicht eher eröffnen, Mister Fenner?“

„Ich handelte nach Ihren Anweisungen, Sir! Sie betonten ausdrücklich, das Feuer erst dann zu eröffnen, wenn …“

Drake winkte erbittert ab. Er sei ein Mann, wie er sich ausdrückte, der es nicht gewohnt sei, sich hinterrücks und heimtückisch übertölpeln zu lassen.

„Der Schiffszimmermann soll mir einen genauen Bericht darüber geben, wie es am Bug aussieht, und bis wann der Schaden behoben sein kann. Veranlassen Sie das Mister Fenner!“

„Sofort, Sir!“

Fenner schickte einen Läufer nach vorn, der den Schiffszimmermann instruierte, doch der hatte mittlerweile schon aus eigenem Entschluß gehandelt und sich den Schaden besehen.

Drake griff, immer noch hochrot im Gesicht und vor Zorn bebend, nach dem Spektiv und richtete es auf das andere Schiff, das ihnen diese überraschende und peinliche Niederlage beschert hatte.

In Drakes Augen war es eine Niederlage, ihm, dem Admiral des Flaggschiffs Ihrer Majestät, den Bugspriet und die Segel wegzuschießen. Und das ohne jede Warnung, überfallartig, „heimtückisch und hinterrücks“. Daß er das gleiche vorgehabt hatte, übersah er dabei in seiner Wut.

„Wir werden diesen Kerlen folgen, Mister Fenner, auch ohne Bugspriet und Blinde. Er ist auf Ostkurs gegangen und muß zwangsläufig kreuzen. Mit Gottes Hilfe werden wir ihn unter Land erwischen. Die vorderen Drehbassen werden ausgerichtet, und sobald er in deren Bereich gelangt, zertrümmern wir ihm das Heck. Spätestens unter Land werden wir ihn stellen. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich den Kapitän dieser Galeone hier auf dem Achterdeck vor mir knien sehe.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderte Fenner beklommen. Er wurde das dumpfe Gefühl nicht los, es hier mit einem ganz besonders ausgekochten Burschen zu tun zu haben.

Nein, diesen Makel konnten sie als Engländer nicht auf sich sitzen lassen, solche Kleinigkeiten verkraftete der unbeugsame und harte Sir Francis Drake nicht. Er ließ sich nicht beschämen, zumindest von keinem Spanier oder Portugiesen, dazu hatte er schon zu viele von ihnen vor seinen Rohren gehabt.

So etwas untergrub seinen guten Ruf und stärkte nicht gerade die Moral seiner Leute. Deshalb setzte er sich verbissen und stur auf die Fährte der Galeone, die ihnen immer noch das Heck zeigte.

Der Schiffszimmermann erschien auf dem Achterkastell und erstattete seine Meldung.

„Die Bugspiere einschließlich eines Teiles des Klüverbaumes ist weggeschossen, Sir“, sagte er. „Es läßt sich mit Bordmitteln nur sehr schwer beheben, aber ich werde es selbstverständlich sofort in Angriff nehmen. Wir haben eine Ersatz-Spiere an Bord, und der Segelmacher hat auch noch Rahsegel vorrätig.“

Drake hörte mit steinernem Gesicht zu. Schließlich nickte er.

„Gehen Sie gleich an die Arbeit, Mister Blake, und suchen Sie sich so viele Leute aus, wie Sie benötigen. Ich wünsche, daß die Blinde und Oberblinde bald wieder gefahren werden können. Sie werden es schon schaffen, die Bugsprietstange einzusetzen, daran zweifle ich keine Sekunde. Vorrang haben jedoch die Waffenmeister an den vorderen Drehbassen. Passen Sie auf, daß Sie denen nicht ins Gehege geraten, Mister Blake!“

„Aye, aye, Sir!“

Der Zimmermann, ein sonst rauhbautziger Bursche, verbeugte sich und eilte davon. Er hatte einen Heidenrespekt vor dem Admiral, und so verärgert wie heute hatte er ihn noch nie erlebt.

Erst nach und nach beruhigte sich der Admiral, aber jeder sah, daß es innerlich in ihm kochte und brodelte. Von da an ließ er auch die fremde Galeone keine Sekunde mehr aus den Augen.

Er hatte diesen Gegner unterschätzt, das gestand er sich selbst etwas später vorbehaltlos ein, und jetzt galt es, diese Scharte wieder auszuwetzen.

Ein zweites Mal sollte ihm das nicht mehr passieren.

Die „Elizabeth Bonaventura“ drehte noch weiter in den Wind und jagte dem anderen Schiff nach, das in eigenartigen Schlägen zu kreuzen begann.

Drake runzelte die Stirn und fragte sich was dieser Bursche wohl mit seinen merkwürdigen Kreuzschlägen bezweckte. Auf diese Art und Weise konnte er ihm nicht entwischen, das kostete ihn nur Zeit.

Und weit und breit war kein anderes Schiff zu sehen, das diesem Spanier eventuell helfen konnte.

Nach einer Weile wechselte der Gegner erneut den Kurs. Er drehte von Ost auf Ostsüdost und schließlich nach Südost.

Drake und Fenner verfolgten das Manöver aus schmalen Augen.

„Zweifellos segelt dieser Bastard schneller als wir, aber er hat Angst, in den Bereich unserer Geschütze zu geraten. Hat der Stückmeister sofort wieder nachladen lassen?“

„Wir sind gefechtsbereit, Sir“, antwortete Fenner diensteifrig und hoffte, daß die üble Laune des Admirals bald vorübergehen möge, denn jetzt schienen Drake die Manöver des anderen brennend zu interessieren.

„Sehr gut, ich denke, diesmal pakken wir ihn von der anderen Seite. Geben Sie Befehl auf die Stationen, aber warten Sie noch einen Augenblick, Mister Fenner, ich will sehen, wie er manövriert, um ihn besser packen zu können.“

„Er segelt stur Südostkurs, Sir. Wenn wir nach Süd …“

Drake sah seinen Stabschef gelassen an.

„Ich weiß, was ich zu tun habe, Mister Fenner“, sagte er kühl und einigermaßen beherrscht. „Wir gehen wieder auf Südkurs und verlegen ihm den Weg. Sollte er erneut den Kurs ändern, haben wir nicht viel verloren. Er gerät damit in den Bereich unserer Kanonen.“

„Dann werden wir es ihm heimzahlen, Sir“, versprach Fenner mit grimmigem Gesicht. „Sollen wir die englische Flagge zeigen?“

Drake überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf.

„Noch nicht, erst wenn wir ihn vor den Rohren haben.“

Hasard blickte wieder durch das Spektiv und nickte anerkennend.

„Ein zäher Bursche, das muß man ihm lassen. Seit wir ihm die Blinde weggeschossen haben, ist bei ihm an Bord der Teufel los, und jetzt will er es wissen.“

„Er segelt wie der Teufel hinter uns her“, sagte Ben und grinste. „Wie ein wütender, bis zum Bersten angefüllter Teufel, aber er schafft es nicht, wir sind schneller.“

Er sah, wie der Seewolf die Lippen verzog, bis man seine weißen Zähne blitzen sah. Ja, jetzt war dieser schwarzhaarige Satan wieder in seinem Element, jetzt dachte er mit Haken und Ösen, um den Gegner aufs Kreuz zu legen, nachdem er mit ihm Katze und Maus gespielt hatte.

„Pete! Kursänderung auf Ostsüdost. Die anderen an die Brassen und Schoten, aber noch nicht dichter holen. Wir ändern später noch einmal den Kurs auf Südost.“

Brighton und Big Old Shane warfen sich einen Blick zu. Der alte Waffenschmied von der Feste Arwenack, stieß dem Bootsmann leicht den Daumen in die Rippen.

„Sieh ihn dir an“, sagte er mit seiner tiefen Stimme. „Sieh ihn dir genau an, diesen Teufelsbraten. Weißt du, was er jetzt gerade ausheckt?“

Brighton brauchte immer erst etwas Anlauf, bis er in Fahrt geriet, aber dann war er voll da.

„Ich kann es mir denken“, sagte er leise, „er will den Burschen in die Falle locken. Aber es ist ein Spanier oder ein Portugiese, und ich nehme an, daß der sich hier noch besser auskennt als wir. So einfach wird das nicht gelingen.“

„Abwarten, Ben. Der Bursche ist blind vor Wut, ihm geht es nur darum, die Scharte auszuwetzen, und ein blindwütiger Gegner begeht Fehler und bemerkt sie meist zu spät. Früher oder später wird er aufbrummen.“

Hasard drehte sich um und klemmte das Spektiv unter die Achselhöhle.

„Der Name ist kaum zu erkennen“, sagte er, „irgend etwas mit ‚naventura‘ am Ende. Liegt der Kurs an, Pete?“

„Liegt an, Sir!“

„Du weißt, daß du jetzt höllisch aufpassen mußt“, schärfte der Seewolf seinem besten Rudergänger noch einmal ein. „Ich lasse jetzt die Blinde wegnehmen, damit du bessere Sicht hast. Zwei Mann stehen auf der Bank und geben dir Zeichen, für alle Fälle.“

Die große Sandbank, die sie jetzt umsegelten, sah man kaum. Aber das Wasser auf ihr war nicht tiefer als eineinhalb Faden. Pete Ballie segelte die „Isabella“ hart daran vorbei, bis ihm von der Back aus Zeichen gegeben wurden, daß das Wasser wieder tiefer wurde.

„Neuer Kurs Südost!“ rief Hasard.

Die Segel wurden getrimmt, der Wind fiel jetzt dwars ein. Der Seewolf blickte wieder zu der Galeone hinüber.

„Ich hoffe, daß er in seinem Eifer versuchen wird, uns den Weg zu verlegen“, sagte er ruhig. „Wenn er sich hier allerdings sehr gut auskennt, fällt er nicht darauf herein. Ändert er aber den Kurs auf Süd, dann brummt er auf und wir können uns die Hände reiben.“

„Und wenn nicht?“ fragte Ben.

„Dann haben wir ihn ein bißchen geärgert und versuchen es später noch einmal.“

Ein paar Minuten vergingen, in denen fast alle gespannt nach dem Segler blickten.

„Er fällt ab!“ schrie Dan begeistert. „Er geht tatsächlich auf Südkurs.“ Hasard stemmte die Fäuste in die Hüften und ließ keinen Blick mehr von dem Schiff.

Gleich darauf hörten sie ihn lachen, so laut, wie er schon lange nicht mehr gelacht hatte. Es war ein höhnisches Lachen voller Schadenfreude, in das die Seewölfe sofort einfielen. Die „Isabella“ erzitterte unter diesem Höllengelächter, und ein paar der Männer krümmten sich und höhnten über den Gegner, denn der bäumte sich plötzlich auf, als er die Sandbank rammte. Und dann saß er fest.

Francis Drake bemühte sich immer noch, seinen Zorn zu unterdrükken. Nach außen hin schaffte er es auch, aber innerlich fühlte er sich mit Wut bis zum Bersten angefüllt.

Man sah es ihm an, wenn er, die Hände auf dem Rücken verschränkt, von einer Seite zur anderen lief, an dem fast reglos stehenden Fenner vorbei, vor dem Schanzkleid wieder umkehrte und seine rastlose Wanderung erneut aufnahm.

Es ging ihm alles nicht schnell genug, er wollte dem Spuk ein Ende bereiten, und so blieb er ruckartig stehen, als von der Back her ein heller Schrei gellte.

Drake verstand ihn nicht. Er blickte irritiert nach vorn und sah dann Fenner an.

In diesem Augenblick hob eine unsichtbare Riesenfaust die „Elizabeth Bonaventura“ ruckartig aus dem Wasser und stoppte sie auf der Stelle.

Der Stoß war so gewaltig, daß die Masten erzitterten, die Rahen wild zu schwingen begannen und auf Deck zu stürzen drohten: Wie durch ein Wunder blieben sie oben.

Dafür warf der Stoß die Männer um. Das Schiff erzitterte in allen Spanten und Fugen, knirschend, krachend und schlurfend wühlte es sich in den Sand.

Drake kippte nach vorn, verlor den Halt und stürzte, streckte jedoch noch geistesgegenwärtig die Hände vor und milderte seinen plötzlichen Sturz dadurch etwas ab.

Thomas Fenner verlor das Gleichgewicht und knallte in voller Länge auf die Planken, und als er schmerzhaft das Gesicht verzog, fiel der Rudergänger wie ein nasser Sack über ihn.

Drake versuchte, sich einigermaßen würdevoll zu erheben. Er hatte das Gefühl, jemand habe ihm ein glühendes Messer ins Herz gestoßen.

Er verspürte keinerlei Schmerz, aber die Erkenntnis, wie ein blutiger Anfänger auf eine Sandbank gelaufen zu sein, versetzte ihm einen so nachhaltigen Schock, daß er geraume Zeit keine Worte fand. Er stand nur da, zutiefst gedemütigt. Er fühlte sich von Gott persönlich bestraft und verachtet, und dann stieg der Zorn in ihm hoch wie eine Riesenwoge, die ihn überschwemmte.

Was die schockierten Männer vorhin erlebt hatten, war nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt sahen und hörten.

Niemand entsann sich, den Admiral schon einmal in einer ähnlichen Verfassung gesehen zu haben.

Der stämmige, untersetzte Mann brüllte und tobte, hob beide Fäuste hoch und schüttelte sie in ohnmächtigem Zorn. Vor Zorn bebend und lauthals fluchend drohte er allen, die er sah, bis ihm nach einer Weile buchstäblich die Luft ausging und er sich fast heiser geschrien hatte.

Fenner schlich geknickt davon, brüllte den Profos an und befahl ihm laut, er solle endlich die verdammten Segel ins Gei hängen, oder ob er wünsche, daß sich die lausige Galeone noch tiefer in den Sand wühlen solle.

Die Männer arbeiteten schweigend und bedrückt und beeilten sich höllisch, denn jetzt würde der große Tanz erst richtig beginnen. Sie kannten Drake, der brauchte einen Schuldigen, auch wenn er sich selbst genügend Mitschuld gab. Niemand wollte jetzt mit dem Rudergänger tauschen, denn dem ging es mit Sicherheit zuerst an den Kragen.

Brüllend verlangte Drake, man solle Flagge zeigen, um sich zu erkennen geben.

Aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis die englische Flagge hochgezogen wurde.

Die „Isabella“ hatte inzwischen angeluvt, war durch den Wind gegangen und lief jetzt mit achterlicher Brise Westkurs, in Richtung der gestrandeten Galeone.

Die Kanonen waren feuerbereit, die Stückpforten hochgezogen. Die Seewölfe lauerten darauf, sofort zu feuern, sobald die gestrandete Galeone das Feuer eröffnen würde.

„Er wird es nicht wagen, zu feuern“, versicherte Carberry. „Denn dann weiß er genau, was ihm blüht. Wir können ihn in aller Ruhe auseinandernehmen, und so dämlich wird der Don nicht sein, denn jetzt ist er so hilflos wie ein Säugling.“

„Zeigt dem Kerl unsere Flagge“, befahl Hasard, „damit er weiß, mit welch ehrenwerten Leuten er es zu tun hat. Der Schreck wird ihm in die Knochen fahren, und wir werden ihn zum Streichen seiner eigenen Flagge auffordern, falls er sie zeigt.“

Die „Isabella“ segelte weiter. Die Entfernung schmolz ziemlich schnell zusammen, als Hasard plötzlich die Augen zusammenkniff und angestrengt zu dem vermeintlichen Spanier starrte.

Dort ging jetzt ebenfalls die Flagge hoch. Sie wurde als gebundenes Päckchen hochgezogen, ein harter Ruck an der Flaggleine, und sie entfaltete sich und wehte aus.

Hasard verschluckte sich fast. Er drehte sich verblüfft um und sah seine Männer an.

„Was seht ihr?“ fragte er rauh.

„Die – die englische Flagge“, stammelte Dan O’Flynn konsterniert. „Das ist sicher ein Trick“, setzte er hinzu.

Stumm und verdattert sahen sich die Männer an, blickten dann wieder auf die englische Flagge der Galeone und schüttelten immer wieder die Köpfe, als könnten sie es nicht begreifen.

„Wenn das stimmt“, murmelte der Seewolf, „dann haben wir unsere eigenen Landsleute unter Feuer genommen, wir Idioten!“

Er ließ Segel wegnehmen und die „Isabella“ wieder in den Wind drehen, denn jetzt wollte er es genau wissen.

Gleich groß war die Verblüffung auf dem Flaggschiff, als die heransegelnde Galeone die englische Flagge zeigte.

Drake, dem fast die Galle platzte, kriegte einen neuen Schock. Schnaufend stieß er die Luft aus und umklammerte mit seinen Händen die Schmuckbalustrade, bis seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

„Dieser Bastard“, murmelte er fassungslos. „Dieser lausige Kerl! Wenn das ein Engländer ist, lasse ich mit dem Kapitän dieser Galeone das Deck aufwischen. Das ist die größte Schweinerei, die mir je passiert ist. Das ist einfach unbegreiflich.“

„Sollen wir ihm eine Breitseite verpassen, Sir?“ fragte Fenner mit hochrotem Kopf. „Da steckt doch sicherlich ein Trick dahinter, die schießen uns jetzt zusammen.“

„Nein, wir feuern nicht“, sagte Drake entschieden. „Er wird vermutlich damit rechnen und sich vorbereitet haben. Wenn sich jedoch da drüben auch nur ein einziger Schuß löst, jagen wir alles Eisen aus den Rohren.“

Aber drüben löste sich kein Schuß. Die Segel wurden aufgegeit bis auf die Fock und dann ging die Galeone in den Wind.

Zum ersten Male sah Drake den Namen des Schiffes.

„Isabella VIII.“ stand dort, und dieser Name ließ den Admiral plötzlich sehr nachdenklich werden und etwas in ihm anklingen, das schon lange der Vergangenheit angehörte.

3.

Die Aufregungen rissen nicht ab. Sie häuften sich in geradezu grotesker Weise.

Hasard, der durch überlegtes Taktieren die Vorteile immer auf seiner Seite hatte und den Gegner wie eine Marionette bewegte, erhielt jetzt fast einen Schlag ins Gesicht, als er den grimmigen untersetzten Mann mit dem rötlichbraunen Spitzbart erkannte.

Die Erkenntnis, Francis Drake vor sich zu haben, warf ihn fast um.

Er erkannte ihn auf Anhieb, dieses unverwechselbare Gesicht, die harten grauen Augen, die so kühl blikken konnten, und die stämmige Figur.

Blitzartig rollten längst vergangene Ereignisse vor seinem geistigen Auge ab.

Er starrte Drake in die Augen, der starrte genauso entgeistert zurück, und in diesem Augenblick rollten die Ereignisse noch einmal vor Hasard ab.

Hasard war auf die „Marygold“, die Drake damals befehligte, gepreßt worden, zusammen mit dem damaligen Bürschchen Daniel O’Flynn, dem vorlauten rotzfrechen Bengel. Dort hatte er auch zum ersten Male den Profos Edwin Carberry kennengelernt, der sich seiner damals so „liebevoll“ angenommen hatte. Bei der dann folgenden Prügelei zog Carberry den kürzeren, und Hasard verschaffte sich den ersten Respekt.

Die drei Jahre dauernde erste Weltumsegelung begann, bis Hasard das Kommando über die „Isabella“ erhielt. An der Westküste Südamerikas stießen die beiden unnachgiebigen Männer dann hart zusammen. Anlaß war der Profos Carberry, der auf Drakes Befehl und nach einem Bordgericht den Höfling Thomas Doughty wegen schwerer Verfehlungen hatte köpfen müssen.

Der Bruder des Hingerichteten, John Doughty, sann auf Rache, bis seine Stunde endlich kam.

In dieser Sturmnacht hatte Carberry Wache, und als die Gischt über die „Golden Hind“ stäubte, kriegte er einen Stoß ins Kreuz und flog über Bord. Carberry gelang es, sich am nachgeschleppten Beiboot festzuklammern, doch Doughty war das nicht entgangen, und so kappte er kurzerhand die Leine und ließ das Boot treiben. Erst nach unglaublichen Strapazen erreichte Carberry Land und geriet an die Spanier, die ihn fast zu Tode folterten, bis der Seewolf ihn in Trujillo befreite. Was der Profos dabei durchgestanden hatte, war mit Worten kaum noch zu beschreiben.

Kurz darauf traf der Seewolf wieder mit Drake zusammen. Seine Forderung, den verbrecherischen Doughty vor ein Bordgericht zu stellen, lehnte Drake kategorisch ab.

Daraufhin entstand das schwere Zerwürfnis zwischen den beiden Männern, aber Drake stellte sich vor Doughty und dachte nicht daran, ihn zu bestrafen.

Hasard wandte sich verächtlich von ihm ab, und er glaubte noch heute, Drakes letzte Worte zu hören.

„Hier trennen sich nun also unsere Wege, Killigrew!“

„Grüßen Sie den Mörder“, hatte der Seewolf kalt erwidert, „eines Tages hole ich ihn mir vor die Klinge, und dann erhält er das, was Sie zu feige sind, hier zu vollbringen!“

Drake steckte diese moralische Ohrfeige mit verbissenem Gesicht ein, aber er vergaß sie nie, denn er war nachtragend und trotzig, obwohl Hasard das moralische Recht auf seiner Seite hatte. Drake war nicht der Mann, der vergessen konnte, zumal Hasard sich vor den Profos stellte – in Drakes Augen eine Unmöglichkeit, denn der Profos zählte nach seiner Ansicht zum gemeinen Schiffsvolk und stand rangmäßig weit unter dem Höfling Doughty.

Von da an hatten sich die Wege der beiden Männer getrennt und sie sahen sich nicht mehr wieder – bis zum heutigen Tag.

Drakes Innerstes wurde tief erschüttert, als auch er den Mann erkannte. Die langen schwarzen Haare, in denen der Wind spielte, die eisblauen Augen, die ihn spöttisch und zugleich auch höhnisch musterten, die Narbe, die auf der Stirn begann und sich bis zur Wange zog.

Der Seewolf! Philip Hasard Killigrew! Der wilde unnachgiebige Kerl, der aus einer ganz bestimmten Sorte Eisen geschmiedet war, dieser unbeugsame, harte Bursche, der ihn gedemütigt hatte und dann stolz davongesegelt war.

Nein, Drake hatte ihn nicht vergessen, auch den grimmig blickenden narbengesichtigen Kerl nicht, der neben ihm stand, breit wie eine Rah, und dessen narbiges Gesicht sich ebenfalls zu einem ganz infamen Grinsen verzog.

Drake hielt mühsam die Tränen blanker Wut zurück, die seine grauen Augen wässerig werden ließen. Ein buntes Kaleidoskop wirbelte durch seinen Schädel und verursachte eine Rebellion in seinem Magen. Gedankensplitter schossen ihm durch den Kopf, zusammenhanglos, verwirrend. Bugspriet, Sandbank, aufgelaufen, auf den miesen, hinterhältigen Trick dieses überlegenen Kerls hereingefallen, der es sich ohne weiteres erlauben konnte, zu grinsen und ihm, dem Admiral des Flaggschiffes, blanken Hohn an den Kopf zu werfen.

Das ging Drake unter die Haut, das hinterließ brennende Wunden, die nicht zu heilen waren, das demütigte ihn zutiefst, ließ ihn klein und häßlich werden und zugleich vor Wut kochen.

Seine Erbitterung äußerte sich in einem Ächzlaut, der qualvoll aus seinem zuckenden Mund brach. Er fühlte sich wie ein Seekranker, dessen Magen längst leer war und sich in Krämpfen wand.

Dieser schwarzhaarige Bastard, dachte er benommen. Was niemand wagte, er wagte es, er schoß ihm die Blinde weg, lockte ihn schlitzohrig hinter sich her, ließ ihn eiskalt auf eine Sandbank auflaufen und kehrte dann siegessicher zurück, um ihn zu verspotten.

Hatte er es vielleicht anders verdient, dachte Drake bitter. War er nicht wie ein Narr hinter diesem Killigrew hergesegelt und prompt in die Falle gelaufen? Bestand dieser dreimal verfluchte Killigrew nicht aus ständig neuen Tricks?

Er glaubte, die Mannschaft tuscheln zu hören, wie sie verächtlich über ihn grinsten, wie er an Ehre und Ansehen verlor, von einem lausigen Bastard derart geleimt und schachmatt gesetzt worden zu sein.

Aber die Demütigungen gingen noch weiter.

Carberry, der Profos der ehemaligen „Golden Hind“, unter seinem, Drakes, Befehl stehend, bog sich, hielt sich die Pranken vor den Bauch und begann so schauerlich laut und brüllend zu lachen, daß Francis Drake in heller Wut zum Degen griff und ihn aus der Scheide riß.

Das schien diesen häßlichen narbigen Kerl aber nur noch mehr zu amüsieren, denn jetzt sprang er auf seinen mächtigen Beinen in die Höhe, lachte, bis ihm Tränen in die Augen traten und er sich nicht mehr beruhigen konnte.

Ein verdammtes Schiff voller brüllender und hüpfender Gestalten, dachte Drake, denn jetzt fiel der ganze Chor ein, zeigte zu der aufgelaufenen Galeone, erkannte Francis Drake natürlich auch und lachte, lachte immer schauriger. Und auf der „Elizabeth Bonaventura“ standen sie da, geknickt, beschämt, gedemütigt und mußten sich das Gebrüll dieser Horde rot- schwarz- und blondhaariger Decksaffen anhören, ob sie wollten oder nicht.

Drake war wie betäubt, und er zuckte zusammen, als auf der „Isabella“ der Anker klatschend ins Wasser fiel.

„Sie, Killigrew!“ tobte Drake und schüttelte die Faust, weiß vor grenzenloser Wut im Gesicht. „Das werden Sie büßen, das verspreche ich Ihnen, so wahr ich hier stehe! Dafür gibt es keine Entschuldigung, niemals! Weshalb haben Sie nicht die englische Flagge gezeigt, um diesen Irrtum zu vermeiden!“

Haßerfüllt starrte er in die eisblauen Augen des Seewolfs, der ihn überlegen grinsend musterte, und dem man seine Gedanken fast an der Stirn ablesen konnte.

Seine Stimme durchfuhr Drake wie der Schlag einer Peitsche. Sie klang spottend und trotzdem sehr gelassen.

„Weshalb taten sie das nicht, Sir? Hatten Sie keine Zeit mehr dazu? Nein, natürlich nicht, Sie mußten ja wie ein blutiger Anfänger die Sandbank entern!“

Wieder gab es unter den rauhen Kerlen Gelächter, das der Seewolf mit einer Handbewegung stoppte.

„Ich befehle Ihnen …“ brüllte Drake.

Doch die kühle Stimme unterbrach ihn wieder. „Sie haben mir nichts zu befehlen, Sir, nicht soviel!“ Hasard schnippte mit den Fingern. „Ich bin Ihnen nicht unterstellt, und ich habe auch nicht die Absicht, mich Ihnen jemals unterzuordnen. Das nur zu Ihrer Information! Ich bin und bleibe ein freier Mann, solange bis mich der Teufel holt.“

„Selbst dem wird er sich nicht unterordnen, Sir!“ schrie Carberry mit seiner Donnerstimme dazwischen, und wieder begann lautes Gelächter und brandete wie eine heiße Woge herüber.

„Hoffentlich holt der Teufel Sie heute noch“, zischte Drake in verständlicher Erregung. Immer wieder mußte er sich zusammenreißen, um sich nicht mit lautem Gebrüll über diese elende Schmach ins Meer zu stürzen und zur „Isabella“ hinüberzuschwimmen.

Der Seewolf stand breitbeinig auf dem Achterdeck und lachte. Er empfand diese Situation als köstlich, und er nutzte sie auch rigoros aus, so wie es andere an seiner Stelle auch getan hätten.

Drake erhielt nur die Quittung für sein damaliges Verhalten, egal welchen Rang er auch heute bekleiden mochte. Der Seewolf dachte nicht daran, vor einem Admiral zu kuschen.

„Man sollte sich seinen vermeintlichen Gegner vorher immer sehr genau ansehen, ehrenwerter Sir.“ höhnte er. „Sonst beißt man auf Eisen, und das hat schon so manchen, die Zähne gekostet. Ich will aber nicht nachtragend sein, Sir. Selbstverständlich bin ich gern bereit, Sie von der Sandbank wieder herunterzuziehen. Wir haben ja Erfahrung darin, oder haben Sie vergessen, daß ich Sie damals in Irland, im Blackwater, schon einmal von einer Sandbank geholt habe? Das war die ‚Marygold‘, wenn ich mich richtig entsinne, Sir. Und es war wieder einmal Ihr Starrsinn, der Sie auflaufen ließ, obwohl ich Sie warnte, nicht zu dicht unter Land zu segeln.“

Der Hohn aus den Worten troff wie zäher Sirup über Francis Drake.

Dieser schwarzhaarige Bastard verstand es meisterhaft, ihm vor der gesamten Mannschaft den Rest zu geben. Er deckte schonungslos seine Schwächen auf, die Drake bemüht war, zu verbergen.

Drakes Nerven vibrierten, auf die anderen wirkte er wie ein Pulverfaß, an dem die Lunte brannte.

Er legte alle Kraft in seine Stimme und brüllte: „Scheren Sie sich zum Teufel, Killigrew, fahren Sie zur Hölle! Ich verzichte auf Ihre Hilfe, ich pfeife darauf. Holen Sie den Anker auf, und verschwinden Sie aus meiner Nähe, sonst lasse ich, bei Gott, eine Breitseite auf Sie feuern!“

Hasard lachte stoßartig auf.

„Ehrenwerter Sir!“ rief er zurück. „Sie wollen doch nicht leichtsinnig das Leben Ihrer Crew und das Ihrer Seesoldaten aufs Spiel setzen! Tun Sie, was Sie nicht lassen können, aber ich verspreche Ihnen, daß Ihre ‚Elizabeth Bonaventura‘ anschließend nur noch aus einigen rauchenden Planken besteht! Sie wissen, daß ich mein Wort halte!“

Drake blickte hilflos auf Fenner, der diese Ungehörigkeit des Seewolfs als permanente Ohrfeigen empfand und mit den Zähnen knirschte.

Er hätte vor Wut heulen können, und deutete mit dem Daumen aufs Batteriedeck hinunter, wo die Geschütze standen. Dabei legte er fragend den Kopf schief.

„Ich sollte ihn wirklich zusammenschießen lassen“, murmelte der Admiral. „Dieser impertinente Kerl geistert wie ein Alptraum durch mein Leben.“

„Eine Breitseite ist schnell abgefeuert, Sir“, sagte Thomas Fenner hitzig. „Er kann nur acht Kanonen einsetzen, wir hingegen können ihn total in die Luft blasen.“

Drake schüttelte müde und entsagungsvoll den Kopf.

„Er hat irgendeinen Trumpf in der Hand, das weiß ich, denn sonst könnte er nicht so selbstsicher auftreten. Nein, nein, es geht nicht, daß sich Engländer von Iberiens Küsten gegenseitig bekriegen. Unsere Situation ist prekär genug, Fenner. Wir werden genug zu tun haben, um uns aus dieser Lage selbst zu befreien.“

Fenner hatte den Admiral noch nie so demoralisiert gesehen, und so wandte er sich mit einem Schulterzucken ab.

„Befehlen Sie ihm noch einmal, zu verschwinden!“ rief Drake dem Mann nach.

Fenner trat ans Schanzkleid und brüllte ebenfalls aus voller Kraft hinüber: „Der Admiral verlangt, daß sie augenblicklich verschwinden, Killigrew! Ein drittes Mal wird die Aufforderung nicht wiederholt!“

„So sparen Sie wenigstens den Atem!“ rief Hasard zurück. „Aber wir werden trotzdem bleiben, richten Sie das dem ehrenwerten Admiral aus. Wir werden ihn beschützen, damit kein Malheur passiert, wenn hier Spanier oder Portugiesen aufkreuzen. Wir werden über euch wachen wie besorgte Väter.“

„Jawohl, Sir!“ brüllte der Profos. „Wir behüten euch wie eine Mutter ohne Brust, denn was wollt ihr gegen die Dons ausrichten! Ihr werdet ja nicht mal mit einem fertig! Ihr seht ja nicht einmal die Sandbänke, wenn nicht ständig einer mit der Laterne vor dem Schiff hergeht und euch leuchtet!“

Erneut brandete wieherndes Gebrüll auf. Auf der „Isabella“ amüsierte man sich köstlich, wogegen man auf dem Flaggschiff pausenlos Ohrfeigen einsteckte und nicht der geringste Anlaß bestand, auch nur verschämt zu grinsen.

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Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
2062 S. 21 Illustrationen
ISBN:
9783954394975
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
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