Buch lesen: «Ein Königshaus aus der Schweiz», Seite 3

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DER AUFSTIEG ZUR MACHT. RUDOLF VON HABSBURG
Vom armen Grafen zum mächtigen König 1240–1291

Der grosse Sprung

«Herrgott im Himmel, sitze fest, sonst nimmt Dir dieser Rudolf Deinen Platz!» Diese Worte legte der Chronist Matthias von Neuenburg dem Basler Bischof Heinrich von Neuenburg in den Mund. Er soll sie ausgesprochen haben, als er 1273 von der Wahl des Grafen Rudolf von Habsburg zum deutschen König vernahm.

Seit Mitte Juli 1273 liegt Graf Rudolf von Habsburg mit seinem Kriegsgefolge vor Basel und belagert die Stadt. Aus dem Norden hat er seinen breisgauischen Anhang mobilisiert, der gegen die Stadt vorrückt. Das habsburgische Gefolge plündert die Umgebung. Der Bischof selbst, der nicht sicher ist, ob seine Stadt im Falle eines Ausfalls zu ihm stehen würde, wagt keinen Ausfall. In dieser Situation, wahrscheinlich in der Nacht vom 20. September, erscheint im Lager Rudolfs der Burggraf Friedrich von Nürnberg. Er ist von den Kurfürsten am Rhein ausgesandt worden, um Rudolf von Habsburg die deutsche Königskrone anzutragen. Rudolf überlegt nicht lange. Er sendet den Burggrafen umgehend in die belagerte Stadt, um einen Waffenstillstand zu vereinbaren. In den folgenden Tagen entlässt Rudolf seine Streitmacht bis auf das engste Gefolge und macht sich rheinabwärts auf, die Krone entgegenzunehmen. Basel und die bisher feindseligen benachbarten Städte wie Rheinfelden, Neuenburg am Rhein oder Breisach öffnen ihm bereitwillig ihre Tore.1 Der bereits 55-jährige Graf, ein Aufsteiger aus dem deutschen Südwesten, steht plötzlich an der Spitze des Reichs. Seit mehr als 20 Jahren hatte das deutsche Reich keinen König mehr aus den eigenen Reihen gehabt, nur Fremde waren gewählt worden, die selten oder gar nie im Kernland zwischen Basel und Köln aufgetaucht waren. Das Interregnum war beendet. Die späteren Chronisten überschlugen sich in positiven Darstellungen über den neuen König: Er sei von Gott erwählt, an Tugenden vollkommen, witzig und klug, ein Schirmer von Witwen und Waisen, aber auch bescheiden.2

Der September 1273 war ein erster Höhepunkt einer bereits erfolgreichen Karriere, die aus dem kleinen Grafen im Elsass und Aargau innerhalb von 30 Jahren einen mächtigen Mitspieler im ehemaligen Herzogtum Schwaben gemacht hatte. In den folgenden Jahren als König schaffte es Rudolf von Habsburg nicht nur, seinen bisherigen Aufstieg abzusichern, sondern er gewann in Österreich ein grosses Herzogtum. Er legte damit den Grundstein für das weltumspannende Reich, das sich die Habsburger in den folgenden Jahrhunderten aufbauten. Ein aussergewöhnliches Leben eines aussergewöhnlichen Menschen, der in seinem Leben fast alles richtig gemacht hatte. Wie es begonnen hat und auf welchem Weg Rudolf von Habsburg zur deutschen Königskrone kam, ist der Stoff für die nächsten Kapitel.

Der Beginn im Jahr 1240: ein Aufstieg im Windschatten der Staufer

Rudolf IV. von Habsburg trat im Jahr 1240 mit 22 Jahren das väterliche Erbe an, nachdem sein Vater, Albrecht IV., von seiner Fahrt ins Heilige Land nicht mehr zurückgekehrt war. Die Besitzteilung, die die Brüder Albrecht IV. und Rudolf III. 1232 vorgenommen hatten, hatte Unfrieden in die Familie gebracht. Sechs Jahre später, 1238/39, wurde die Teilung mit einem Schiedsspruch unter der Leitung des Bischofs Lütold von Basel präzisiert. Viele Details in der komplizierten Ausscheidung von Gütern, Rechten und Leuten mussten deutlicher gefasst werden. Vor allem die Vogteirechte und die Rechte an Eigenleuten waren alles andere als klar gewesen. Dies widerspiegelt die in dieser Zeit allgemein noch sehr unsicheren Herrschaftsverhältnisse, die nur vereinzelt in schriftlicher Form vorlagen. Die Auseinandersetzung mit seinen Verwandten auf dem Stein zu Laufenburg war in den ersten Jahren als Familienoberhaupt für Rudolf IV. ein zentrales Element seiner Politik. Und dieser Konflikt, aus dem er klar als der Stärkere hervorging, fand vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um das staufische Königtum statt, in der sich die Familie in verschiedenen Lagern wiederfand. Auf das Ende der staufischen Könige und das nachfolgende Interregnum muss jetzt kurz eingegangen werden.

Wie bereits sein Vater Albrecht und sein Grossvater Rudolf der Alte war Rudolf IV. ein treuer Anhänger der staufischen Könige. Der Legende nach soll er Patenkind des Stauferkönigs Friedrich II. gewesen sein. Der 1220 zum Kaiser gewählte Friedrich stand vor allem in Italien in scharfem Gegensatz zur Kurie. Am 20. März 1239 hatte Papst Gregor IX. gegen Friedrich II. bereits zum zweiten Mal den Kirchenbann ausgesprochen. Damit waren seine Untertanen von den geleisteten Treueeiden befreit. Friedrich residierte in seinen süditalienischen Besitzungen. Im Reich nördlich der Alpen war sein jüngerer Sohn Konrad IV. zum König gewählt worden, nachdem der ältere, Heinrich VII., bei seinem Vater in Ungnade gefallen war.

Der päpstliche Bann hatte vorerst wenig Auswirkungen. Für den noch unmündigen Konrad führte der Erzbischof Siegfried von Mainz die Regierungsgeschäfte. Siegfried von Mainz wandte sich jedoch 1241 zusammen mit dem Erzbischof Konrad von Köln von der Stauferdynastie ab. Damit begann der Kampf um das Königtum nördlich der Alpen. Die staufische Opposition war vorerst noch zu schwach. Mit der formellen Absetzung von Friedrich II. auf dem Konzil von Lyon am 17. Juni 1245 durch Papst Innozenz IV. brach aber der Konflikt voll aus. Die rheinischen Bischöfe wählten den Grafen Heinrich von Raspe aus Thüringen zum Gegenkönig. Friedrich II. und Konrad konnten sich aber vorerst mit der Hilfe der schwäbischen Städte und Adligen noch einmal durchsetzen. Der Gegenkönig musste einen Vorstoss nach Süden abbrechen und sich nach Thüringen zurückziehen. Er starb kurz darauf zu Beginn des Jahres 1247.

Die staufische Opposition wählte nun bereits im Frühling 1247 einen neuen Gegenkönig, den 19-jährigen Wilhelm von Holland. Der neue König erreichte zwar die Krönung in Aachen, vermochte sich am Mittelrhein rund um Frankfurt und in Schwaben aber nicht durchzusetzen. Das Blatt wandte sich erst zu ungunsten der Staufer, als Friedrich II. am 13. Dezember 1250 überraschend in Süditalien verstarb. Sein Sohn Konrad verliess 1251 den Norden, um das väterliche Erbe in Sizilien anzutreten. Konrad konnte sich zwar in Süditalien etablieren, verstarb aber bereits 1254 an einer Fieberkrankheit. In Sizilien vermochte sich sein Halbbruder Manfred als Regent noch einige Jahre zu halten, bis es der päpstlichen Partei gelang, mit Karl von Anjou, dem Bruder des französischen Königs, einen starken Gegenpart aufzubauen. Manfred kam schliesslich 1266 in der Schlacht bei Benevent um.

Nördlich der Alpen brach die staufische Herrschaft rasch zusammen. Konrads Sohn Konradin war erst zweijährig und blieb unter der Vormundschaft seines Schwiegervaters Otto und dessen Sohn Ludwig von Bayern. Der Gegenkönig Wilhelm von Holland schloss Frieden mit dem Bayernherzog, und auch die wichtigen rheinischen Reichsstädte wie Frankfurt und Hagenau arrangierten sich mit der neuen Situation. Damit war die staufische Partei neutralisiert. Wilhelm von Holland kam aber bereits 1256 bei einem Feldzug gegen die Friesen um. Über einen Nachfolger konnten sich die geistlichen und weltlichen Reichsfürsten nicht einigen. Es kam zu einer Doppelwahl: König Alfons von Kastilien und Graf Richard von Cornwall, der Bruder des englischen Königs, wurden gewählt. Beide Kandidaten waren mit den deutschen Königshäusern der Staufer und der Welfen verwandt und hatten deshalb die Legitimation für das Amt. Aber beide Kandidaten erhielten keine päpstliche Zustimmung und auch keine Anerkennung im Reich. Richard von Cornwall konnte sich zwar in Aachen krönen lassen, überschritt aber nie den Rhein. Alfons von Kastilien war überhaupt nie präsent nördlich der Alpen. Es war diese Ausgangslage, die man später als Beginn der königslosen Zeit, des Interregnums, bezeichnete.

Die alte Bischofsstadt Basel am Rheinknie – hier das Münster – wäre 1273 beinahe von Rudolf von Habsburg vereinnahmt worden. Rudolf und vor allem seine Gattin Gertrud von Hohenberg, die sich nach der Krönung Anna nannte, hielten sich oft in Basel auf. Anna wurde zusammen mit ihrem kurz nach der Geburt verstorbenen Sohn Karl im Basler Münster begraben, wo auch der Sohn von Rudolf, Hartmann, seine letzte Ruhestätte fand. Er war 1281 bei Rheinau in der Nähe von Breisach ertrunken.

Die Habsburger standen in diesem Kampf der Staufer gegen die Opposition im Reich auf zwei Seiten. Rudolf IV. von der älteren Linie blieb staufertreu, sein Onkel Rudolf III. von Habsburg-Laufenburg schloss sich der Opposition an. Zu Beginn der 1240er-Jahre, als die antistaufische Opposition sich noch nicht durchgesetzt hatte, versuchte Rudolf IV. die Positionen in seinem engeren Umfeld zu verbessern. Seine wichtigsten Stützpunkte waren in dieser Zeit Brugg und die festen Plätze am Oberrhein wie zum Beispiel die Limburg am Kaiserstuhl. Nach 1240 sind verschiedene Kontakte zu den Staufern bezeugt. Rudolf war 1241 bei Friedrich II. in Norditalien, als dieser Faenza belagerte. An diese Begegnung mit dem Kaiser haben die Chronisten eine Legende geknüpft. Matthias von Neuenburg liess den kaiserlichen Astrologen das Ende des staufischen Hauses und den künftigen Aufstieg der Habsburger prognostizieren. Gemäss den Colmarer Chronisten soll Rudolf 1243 den Ritterschlag von Friedrichs Sohn, Konrad IV., in Colmar empfangen haben. All diese in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts aufgeschriebenen Geschichten hatten den Zweck, das Vorleben des künftigen Königs als möglichst königsnah darzustellen. Damit sollte eine Kontinuität von den Staufern zu den Habsburgern hergestellt werden, die den Anspruch der Habsburger auf das Königtum legitimierte.3

Die schwelenden Konflikte innerhalb der beiden Familienzweige eskalierten in den folgenden Jahren und gerieten zu einer eigentlichen Fehde. Gemäss den Colmarer Chronisten plünderte Vetter Gottfried I. von Habsburg-Laufenburg 1243 das feste Haus Rudolfs in Brugg.4 Der «Turm» zu Brugg war in der Teilung 1238/39 der älteren Linie zugesprochen worden. Wir finden Rudolf im Sommer 1245 wieder bei Kaiser Friedrich in Verona, wahrscheinlich in Begleitung seines jüngeren Bruders Hartmann. Die Spuren von Hartmann verlieren sich in den folgenden Jahren in Italien. Er blieb im Gefolge Friedrichs und scheint in den Kämpfen mit der kaiserlichen Opposition in den Jahren um 1250 umgekommen zu sein.

Nördlich der Alpen blieben neben den Habsburgern vor allem die Städte Zürich, Bern, Schaffhausen und Konstanz den Staufern treu. Sie standen auf der Gegenseite der papsttreuen Kyburger, des bedeutendsten Adelsgeschlechts im Mittelland. Rudolf der Schweigsame und sein Sohn Gottfried von Habsburg-Laufenburg hatten sich definitiv auf die päpstliche Seite geschlagen. Allerdings starb Rudolf 1249 mitten in den Auseinandersetzungen. Zwischen Bern und Luzern fanden fehdeartige Kämpfe statt. Unter solchen «Kriegen» muss man sich primär Feldzüge von kleineren Gruppen vorstellen, die mit Plünderung und Brandschatzung versuchten, den Gegner zu schädigen. Offene Schlachten oder Belagerungen gehörten kaum dazu. Die daran beteiligten Kontingente waren zu klein und hatten keine Ausrüstung, mit der man einen festen Platz hätte einschliessen können. Luzern zählte mit dem Kloster St. Leodegar im Hof, dessen Mutterkloster Murbach unter der Vogtei der Habsburg-Laufenburger stand, zur päpstlichen Partei. In der Hausteilung von 1238/39 hatten die beiden Brüder Albrecht IV. und Rudolf III. noch die gemeinsame Verwaltung der Vogtei über Murbach vereinbart. Es scheint, dass die Laufenburger Linie die Rechte in Luzern und in der Innerschweiz wahrzunehmen versuchte. Die Städte Bern und Luzern verständigten sich dann im Mai 1251 auf einen Frieden. Rudolf IV. von Habsburg wie auch Bern und Zürich standen seit 1248 aber unter päpstlichem Bann. Die den Habsburgern nahestehenden Klöster Muri und Wettingen konnten nur deshalb Gottesdienst halten, weil der Laufenburger den Papst darum gebeten hatte. Als Anhänger der antistaufischen Opposition konnte er dies tun.5

Im Dezember 1250 war Kaiser Friedrich II. verstorben, und sein Sohn Konrad IV. versuchte, sich gegen die wachsende Opposition zu halten. Rudolf von Habsburg weilte im Mai und August 1251 bei König Konrad in Speyer und Nürnberg. Er erhielt vom König die Zölle in Unterbüheln bei Nambsheim am Rhein südlich von Breisach und in der Freudenau an der Aare verliehen. An beiden Orten muss eine Brücke oder zumindest eine Fähre bestanden haben. Freudenau war alter Besitz des Stifts Säckingen, das wahrscheinlich seit dem Lenzburger Erbe von 1173 unter habsburgischer Vogtei stand. Auf der Brücke bei Freudenau – «in ponte Vrodinowe» – stellten die Brüder Rudolf IV. und Albrecht V. von Habsburg am 10. Mai 1252 eine Urkunde aus, in der sie dem Kloster Wettingen ein Stück Land bei Dietikon abtraten als Ersatz für den im Krieg zugefügten Schaden. Dabei wird es um die Fehden zwischen Staufer-Anhängern und antistaufischer Opposition gegangen sein.6 Zeugen dieser Urkunde waren die Truchsessen von Habsburg, Angehörige der Herren von Wolen und Tegerfelden, aber auch drei Bürger von Brugg, also lokale habsburgische Dienstleute. Der Übergang in der Freudenau wurde in dieser Zeit gebaut, bestand aber nur einige wenige Jahrzehnte. Die archäologischen Ausgrabungen der Burgstelle in der Freudenau haben gezeigt, dass der Ort im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts ausgebaut und verstärkt wurde, wahrscheinlich durch Dienstleute der Habsburger, die allerdings nicht namentlich bekannt sind.7 Die Verleihung der zwei Zölle am Rhein und an der Aare weisen darauf hin, dass Rudolf von Habsburg gezielt versuchte, die Herrschaft in seinen Stammlanden zu verstärken und zu verdichten. Die Freudenau liegt unweit des habsburgischen Zentrums Brugg und gegenüber der Burg Besserstein auf dem Geissberg. Der Zoll bei Nambsheim lag mitten im habsburgischen Stammland am Oberrhein. Zölle bedeuteten lukrative Einkünfte.

Nachdem König Konrad IV. im Oktober 1251 nach Italien gezogen war und drei Jahre später in Süditalien verstarb, mussten sich seine Anhänger im Reich neu orientieren. Es gibt Hinweise darauf, dass Rudolf Ende 1252 und anfangs 1253 bei Konrad in Süditalien war, im Lauf des Jahres aber wieder in den Norden reiste. In den Königsurkunden dieser Zeit wird Rudolf als «familiaris» des Königs bezeichnet, ein Hinweis auf seine enge Beziehung zu Konrad. Zurück im Norden führte Rudolf eine der vielen Fehden dieser Jahre gegen die bischöfliche Stadt Basel, die neben dem Bischof von Strassburg eine der Hauptkonkurrentinnen war in seinem Bestreben, seine Stammlande im Aargau und am Rhein abzusichern. Eine leider undatierte Notiz aus dem ehemaligen österreichischen Archiv in Baden, das 1415 von den Eidgenossen geplündert und teilweise vernichtet wurde, weist auf ein Gegengeschäft hin, das König Konrad Rudolf von Habsburg angeblich anbot.8 Er sollte Rheinfelden gewinnen, das in den Händen des Basler Bischofs war, und Konrad stellt ihm dafür ein Pfand auf die Städte Kaysersberg und Breisach in Aussicht. Wäre der Schachzug gelungen, hätten dem Habsburger Rheinfelden und neu auch Rechte im Schwarzwald, insbesondere die Vogtei über das Kloster St. Blasien, gehört. Kaysersberg war in diesen Jahren in den Händen von Strassburg, Breisach lavierte zwischen den Staufern und dem Bischof von Basel. Im Verlauf seiner Fehde mit Basel plünderten die Anhänger Rudolfs ein Frauenkloster ausserhalb der Stadt, was von Seiten des Papstes Innozenz IV. die Androhung der Exkommunikation nach sich zog. Mit der Nachricht vom Tod Konrads überstürzten sich nun aber die Ereignisse. Rudolf von Habsburg blieb in dieser Situation nichts anderes übrig, als rasch mit seinen Kontrahenten Frieden zu schliessen. Ende September 1254 befand sich Rudolf bereits in Basel, zusammen mit seinem Bruder Albrecht, dem Basler Domherrn, in freundlicher Absicht.9 Das Jahr 1254 bedeutete für Rudolf eine Wende. Er versöhnte sich mit seinen Vettern, und sie beendeten die innerfamiliäre Fehde.

Die Geschichte der Basler Fehde von 1253/54 liest sich wie ein erstes Kapitel in den Auseinandersetzungen mit dem Bischof von Basel 20 Jahre später. Und sie ist ein erstes Indiz für den Erwerb oder die Okkupation der Vogtei über das Kloster St. Blasien und die freien Leute im Schwarzwald, die Rudolf in den Jahren nach der Fehde glückte. Diese Geschichte verdeutlicht aber vor allem ein ganz entscheidendes quellenkritisches Problem. Der Umgang mit Verpfändungen, Verkäufen und Verleihungen hatte in dieser Zeit weit weniger mit realen Verhältnissen als mit Ansprüchen zu tun. Die Könige verpfändeten Dinge, die sie gar nicht besassen, die vielmehr im realen Besitz eines Konkurrenten waren, wie im Fall von Breisach und Kaysersberg. Mit den Verpfändungen erkaufte sich der König die Gefolgschaft eines Getreuen, hier jene Rudolfs von Habsburg, der dann selbst dafür schauen musste, wie er zu seinem Pfand und den Einkünften daraus kam. Das heisst, er musste zuerst mit den Basler und Strassburger Bischöfen Krieg führen oder ihnen das königliche Pfand, das ihnen eigentlich gar nicht zustand, abkaufen.

Die beiden Habsburger Familien und die Innerschweiz

In der traditionellen eidgenössischen Geschichtsschreibung werden die Anfänge des Gegensatzes und der Feindschaft zwischen Habsburg und den Eidgenossen in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts gelegt. Die Habsburger hätten mit den Grafschaftsrechten im westlichen Zürichgau und im Aargau auch Vogteirechte über die Innerschweiz, im Besonderen über Schwyz und Unterwalden, in der Hand gehabt. Zudem sei mit der Zähringer Erbschaft 1218 die Reichsvogtei Uri an die Habsburger gelangt. Diese habe König Heinrich VII. 1231 zurückgekauft und das Tal Uri damit reichsfrei gemacht.10 Diese Sicht kann aus heutiger Perspektive nicht mehr aufrechterhalten werden. Es ist ein Geschichtsbild, das zu stark von Aegidius Tschudis Überlieferung aus dem 16. Jahrhundert bestimmt wird, der wie auch seine Nachfolger die Situation des späten 14. und 15. Jahrhunderts auf die Frühzeit rückprojizierte und damit eine Tradition schuf, die nicht belegbar ist. Tschudi ging davon aus, dass die drei Talschaften Uri, Schwyz und Unterwalden von Anfang an die gleichen Rechte und Privilegien besessen haben und dass zu Habsburg quasi eine naturgegebene Erbfeindschaft bestanden habe. Eindrückliches Beispiel dafür ist die sogenannte Rücknahme von Uri an das Reich von Ende Mai 1231.11 Tschudi überliefert eine in Hagenau ausgestellte Urkunde von Heinrich VII. – ein Original existiert nicht oder nicht mehr –, in der der König das Tal Uri an das Reich zurücknahm und versprach, die Vogtei über Uri nie mehr an andere zu verleihen oder zu verpfänden. Diese Rücknahme wird in Beziehung gebracht mit dem Reichsinteresse am Gotthard, der in den Jahren zuvor mit dem Weg durch die Schöllenen geöffnet worden war. Dieser Vorgang kann zwar nicht ganz ausgeschlossen werden, und König Heinrich war in jenen Tagen in der Gegend zwischen Strassburg und Speyer präsent. Die sogenannte Urner Reichsfreiheit bleibt aber spekulativ. Genauso spekulativ ist eine Bestätigung des neu gewählten Königs Rudolf von Habsburg vom Januar 1274, die er in Colmar ausgestellt haben soll. Sie ist ebenfalls nur von Tschudi überliefert und lässt sich in Uri nicht nachweisen. Allerdings war das Urner Archiv im 19. Jahrhundert von einem Brand betroffen, und es ist möglich, dass die Quellen, die diese Privilegien verbürgen, damals zerstört worden sind. Rudolf IV. war 1257 als Schiedsrichter in einer Fehde zwischen den Urner Familien Izeli und Gruoba angerufen worden. Er trat hier als Landgraf im Elsass auf und nicht als Inhaber irgendwelcher landesherrlicher Rechte in Uri. Als Schlichter in diesem Konflikt scheint er aber über genügend Ansehen und Autorität verfügt zu haben.12

Gesicherter erscheint die Schwyzer Urkunde vom Dezember 1240, in der Kaiser Friedrich II. in Faenza die Leute des Tales Schwyz als freie Leute unter den Schutz des Reichs stellte.13 Die Urkunde von Faenza wird damit begründet, dass die Schwyzer treu zu den Staufern gehalten hätten – sie standen in kaiserlichem Sold – und Rudolf der Schweigsame von Habsburg-Laufenburg als möglicher Inhaber von Vogteirechten in Schwyz zur staufischen Opposition gehörte.14 Eine päpstliche Urkunde vom August 1247 weist darauf hin, dass Rudolf III. von Habsburg-Laufenburg – Kaiser Friedrich II. war unterdessen vom Papst abgesetzt worden – über den Heiligen Stuhl versuchte, Druck auf die Schwyzer und Unterwaldner auszuüben, da diese immer noch staufertreu waren. Der Papst drohte mit dem Kirchenbann, sollten sie nicht die Rechte des Habsburgers anerkennen. Es ist möglich, dass in diesen Konflikten Rudolf IV. gegen die Interessen seines Onkels Rudolf III. auf Seiten der Schwyzer gestanden hat.15

Reichsfreiheit bedeutete aber nicht einfach die direkte Unterstellung unter den König. Die Könige delegierten ihre Herrschaft vielmehr, indem sie Reichsvögte einsetzten, die für die Eintreibung der Steuern und die Friedenswahrung verantwortlich waren. Die Habsburger sind als Inhaber solcher Reichsvogteirechte in der Innerschweiz, mit Ausnahme der Spekulation um Uri zwischen 1218 und 1231, nicht belegt. Zu den Grafschaftsrechten im Zürichgau und im Aargau mit Bezug auf die Innerschweiz sind nur wenige Indizien vorhanden. Zum Marchenstreit zwischen den Leuten von Schwyz und Einsiedeln zwischen 1213 und 1216 ist ein Schiedsspruch vom 11. Juni 1217 überliefert, in dem Graf Rudolf der Alte von Habsburg als «von rechter Erbschaft rechter Vogt und Schirmherr der Leute von Schwiz» den Konflikt schlichtete. Der Spruch liegt allerdings nicht im Original vor, sondern als Abschrift beziehungsweise in deutscher Übersetzung aus dem 13. oder 14. Jahrhundert, und ist mit grosser Wahrscheinlichkeit eine spätere Fälschung.16 Eine Engelberger Urkunde von 1240 deutet auf habsburgische Vogteirechte über Leute freien Standes in Unterwalden hin.17 Die Hausteilung von 1238/39 erwähnt solche Rechte. Damals wurde insbesondere um den Besitz des Hauses zu Stans gestritten. Die beiden Habsburger Linien teilten sich neu die Grafschaftsrechte im Zürichgau (Habsburg-Laufenburg) und im Aargau (ältere Linie Habsburg). Der Bürgenstock wurde dabei nach der Tradition zur Grafschaft Aargau gezählt, das restliche Unterwalden offenbar zum Zürichgau. Zwei Urkunden von 1256 und 1257 zeigen den Bürgenberg (Bürgenstock) unter der Jurisdiktion der Grafschaft Aargau.17 Zu dieser Zeit hatten sich die beiden Habsburger Linien wieder einander angenähert. Nachdem die staufische Sache verloren schien, arrangierte sich Rudolf IV. mit seinem Vetter Gottfried. In zwei Engelberger Urkunden von 1257 treten die Brüder Gottfried und Eberhard von der Laufenburger Linie zusammen mit dem Vetter Rudolf bei Verkäufen von Einkünften in Alpnach und Sarnen auf.18

Ob die Habsburger Rechte in Unterwalden letztlich als Grafschaftsrechte oder lediglich als Vogteirechte über Güter und Leute des Klosters im Hof in Luzern anzusprechen sind, lässt sich nicht entscheiden. Die Vogtei über Murbach-Luzern übten die Habsburger auf jeden Fall aus. Eine Murbacher Quelle vom August 1259 spricht dabei von der Vogtei über die Höfe in Langensand, Horw, Kriens, Stans, Malters, Littau, Emmen, Meggen und Küssnacht sowie über die im Aargau gelegenen Höfe Lunkhofen, Holderbank, Rein und Elfingen.19 Über die reale Ausübung dieser Vogteirechte ist aber kaum etwas bekannt. Die Herren von Rothenburg und von Wolhusen spielten dabei eine Rolle. Markwart von Wolhusen zum Beispiel tritt einige Jahre später in Vertretung des nun König gewordenen Rudolfs als Richter im Aargau und im Zürichgau bei einem Konflikt zwischen dem Kloster Engelberg und dem Tal Uri auf.20

Auf jeden Fall war die Präsenz der Habsburger in den 1240er- und 1250er-Jahren in der Innerschweiz schwach. Der Aufbau eines neuen Herrschaftszentrums auf der Neuhabsburg bei Meggen blieb, falls Rudolf III. von Habsburg-Laufenburg ein solches überhaupt geplant hat, in den Anfängen stecken.21 Spätestens nach seinem Tod 1249 veränderte sich der Schwerpunkt der Habsburg-Laufenburger. Gottfried I. konzentrierte sich auf den Stammsitz in Laufenburg.

Den Schwarzwald im Visier

Gleichzeitig mit dem Ausbau von Brugg zu Beginn des 13. Jahrhunderts war auch Laufenburg zu einem Herrschaftssitz ausgebaut worden. Das Schiedsurteil in einem Streit zwischen der Äbtissin von Säckingen und Rudolf dem Alten von Habsburg aus dem Jahr 1207, in dem die beiden Burgen in Laufenburg dem Habsburger als ewiges Lehen von Säckingen vergeben werden, weist in den Details darauf hin, dass die Familie in der Stadt regelmässig abstieg.22 Mit der Hausteilung in den 1230er-Jahren ging Laufenburg an die jüngere Linie von Rudolf dem Schweigsamen.

Laufenburg lenkt den Blick auf den Schwarzwald, in dem Rudolf IV. nach 1240 ein erstes Mal auf beispielhafte Weise seine Art von Machtanspruch demonstrierte. Im Mittelpunkt stand dabei das Albtal, das sich vom Hochrhein in Richtung des Reichsklosters St. Blasien in den Schwarzwald hinaufzieht. Letzlich ging es dabei um die Kontrolle über das Kerngebiet des Schwarzwalds. Die Colmarer Chronisten, dem späteren König freundlich gesinnt, berichten von einem aggressiven Vorgehen Rudolfs gegen die Konkurrenten aus der Familie der Tiefenstein-Teufen, und zwar weil Rudolf «sich in Armut und Elend befand». Vielleicht bezog sich das Wort «Armut» auf die kürzlich erfolgte Hausteilung.

Die Herren von Tiefenstein hatten im Raum des Aargaus, des nördlichen Zürichgaus und des Schwarzwalds grösseren Besitz. Wie andernorts auch war nach dem Aussterben der Zähringer 1218 die Reichsvogtei im Schwarzwald an das Reich zurückgefallen und scheint von König Friedrich II. nicht unmittelbar weiterverliehen worden zu sein. Damit war der Weg frei für die konkurrierenden Adligen. Der mächtigere Habsburger bedrängte offenbar die schwächeren Tiefensteiner, obwohl beide staufertreue Königsvasallen waren. Vielleicht machte Rudolf als Graf im Elsass und im Aargau übergeordnete Herrschaftsrechte geltend. Diethelm I. und Hugo II. von Tiefenstein übertrugen deshalb ihren Besitz im Albtal an die Klöster St. Blasien und Stein am Rhein, behielten sich aber die Vogteirechte darüber vor – ein gängiges Vorgehen in solchen Situationen. Mit der Übertragung an eine geistliche Institution, die sogenannte tote Hand, wurde der Besitz dem Zugriff des Konkurrenten entzogen. Mit dem Vorbehalt der Vogteirechte sicherten sich die Tiefensteiner so aber die landesherrliche Gewalt. Zur Tiefensteiner Übertragung gehörte unter anderem Neuenzell im Albtal, das als Propstei von Stein am Rhein durch Diethelm I. gegründet worden war. Der Nachfahre des Stifters, Kuno II., trat um 1240 in den Johanniterorden ein. Dies scheint für den jungen Rudolf von Habsburg der Moment gewesen zu sein, gegen die Tiefensteiner vorzugehen. Hugo III. von Tiefenstein, Sohn von Kuno II., versuchte sich gegen die Okkupation der Vogteien durch den Habsburger zu wehren, worauf dieser einen Hinterhalt inszenieren und im Jahr 1243 den Konkurrenten ermorden liess. Nicht genug damit, nötigte Rudolf das Kloster Stein am Rhein schliesslich, die von den Tiefensteiner Vorfahren gemachten Schenkungen an ihn abzutreten.23

Die Tiefensteiner Fehde ist eine typische Ausmarchung in dieser Zeit, in der sich die konkurrierenden Adligen oder Städte das Fehlen einer friedenswahrenden Reichsgewalt zunutze machten, um ihren Einflussbereich auszudehnen. Rudolf von Habsburg erscheint in dieser Fehde aber nicht als arm und elend, wie ihn die Chronisten schildern, sondern er agierte aus einer Position der Stärke, im Wissen darum, das staufische Königtum im Rücken zu haben.

Die Strategie Rudolfs im südlichen Schwarzwald fand in den nächsten Jahren ihre Fortsetzung, allerdings wahrscheinlich erst, nachdem die Wirren um die Nachfolge der Staufer vorüber waren. Ob er schon 1254 die Vogtei über das Kloster St. Blasien erlangen konnte, ist nicht abschliessend gesichert, aber wahrscheinlich. Mit der Vogtei über St. Blasien, den Gütern und Rechten über die freien Leute des Schwarzwaldes, die er sich im Tiefensteiner Konflikt erstritten hatte, und der Vogtei über das Stift Säckingen hatte sich Rudolf am Hochrhein vollends etabliert. Als festen Stützpunkt muss er in diesen Jahren die Stadt Waldshut gegründet haben, die 1256 erstmals bezeugt ist und die schon im Namen ihren Zweck verkündet.24 Waldshut ist ein erstes Zeugnis einer verstärkten Städtepolitik der Habsburger. Die Privilegierung von Bremgarten gehört vermutlich in dieselbe Zeit. Auf die konsequente Förderung der Städte als feste Plätze des Landes in den folgenden Jahrzehnten wird noch zurückzukommen sein.


Das Mitte des 9. Jahrhunderts erstmals erwähnte Reichskloster St. Blasien wird heute durch den barocken Klosterbau und den klassizistischen Dom aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominiert. Das Kloster besass bis 1798 vor allem im nördlichen Aargau grossen Grundbesitz und stand wahrscheinlich seit der Mitte des 13. Jahrhunderts unter der Vogtei der Habsburger.

Eine späte Heirat

Ebenfalls 1254 ging Rudolf im bereits fortgeschrittenen Alter von 36 Jahren eine Ehe ein. Heiraten war für die Adelsgeschlechter jener Zeit keine private Angelegenheit, sondern Politik. Verwandtschaft diente zur Sicherung der eigenen Stellung. Rudolf scheint vor 1254 bereits einen unehelichen Sohn gezeugt zu haben, über dessen Mutter allerdings nichts bekannt ist. Er soll ihn später mit Besitz und Einkünften versorgt, aber von irgendwelchen Erbansprüchen ausgeschlossen haben. Rudolf heiratete zu Beginn des Jahres 1254 Gertrud von Hohenberg. Die Hohenberg hatten ihren Stammsitz auf der schwäbischen Alp im Quellgebiet des Neckars und waren verwandt mit den Zollern, gehörten also wie die Habsburger in die alte Zähringer-Gefolgschaft. Gertrud von Hohenberg brachte als Heiratsgut Besitz im Elsass in die Ehe: das Albrechtstal (Val de Villé) nordwestlich von Schlettstadt (Sélestat). Das Tal führt zum Col de Saales, der als Übergang zum Herzogtum Lothringen von Bedeutung war. Der Hohenberg-Besitz stammte aus der Verwandtschaft mit den Ortenberg, die um das Jahr 1000 mitten im Tal das Kloster Hugshofen (Honcourt) bei St-Martin gegründet hatten. Die Ortenberg konnten ihre Abkunft von den uns schon bekannten Etichonen, den Herzögen des Elsass, herleiten. Albrecht II. von Habsburg, der uns 1114 bei König Heinrich V. in Basel begegnet ist, war verheiratet mit Judenta von Ortenberg-Hirrlingen, die aus derselben Familie stammte. Bereits 1258 erscheinen die Habsburger als Inhaber der Klostervogtei von Hugshofen. Die im 12. Jahrhundert entstandene, achteckige Abteikirche, die Ende des 18. Jahrhunderts zerstört wurde, scheint übrigens in Anlehnung an Ottmarsheim erbaut worden zu sein. Hoch über Schlettstadt sind heute noch die markanten Ruinen von Ortenburg und Ramstein zu sehen. Ortenburg wurde von Rudolf zwischen 1262 und 1265 als starke Festung am Ausgang des Albrechtstals gebaut.25 Das Heiratsgut von Gertrud von Hohenberg schloss an althabsburgischen Besitz in Schwerwiller bei Schlettstadt an.

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