Buch lesen: «Abenteuer im Odenwald 1+2», Seite 5

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Kapitel 18
Besuch bei Verwandten

Wernher brach kurz darauf auf, um seine Verwandten, um Hilfe zu bitten. „Bleib schön in der Höhle, bis ich wiederkomme, hörst du, meine Mäd?“ „Was - Mäd? Den Ausdruck kenne ich noch von meinem Opa!“„Ja, ein Kosewort“, wand sich Wernher verlegen. Er strich ihr noch einmal übers Haar, woraufhin sie sich stürmisch in seine Arme warf, ihn festhielt, und dabei über seine Wange streichelte. „Komm ja gesund wieder, mein Lieber, gell!“ Lene schniefte. „Klar komm ich wieder, ich lass dich doch nicht allein!“ Wernher wirkte sehr überzeugend, wie er so den Brustkorb herausstreckte und Lene wurde etwas ruhiger zumute. Dann brach er endlich auf. Um nicht zu viel zu denken, ging Lene daran, ihren Rucksack in Ruhe auszuräumen und alles ordentlich wieder einzuräumen, anstatt es nur hineinzuwerfen, wie zuvor. Sie legte die Decke glatt und schüttete den ganzen Inhalt auf einmal darauf. Da kam noch so einiges zum Vorschein, was sich als nützlich erweisen konnte. Das Büchlein war auch noch drinnen gewesen! Das hatte sie ganz vergessen. Da konnten sie nachlesen, was heutzutage von früher bekannt und erforscht worden war. Lene nahm es nachdenklich in die Hand und blätterte es schnell durch. Wenn Wernher wiederkam, würde sie es ihn lesen lassen, oder ihm daraus vorlesen. Konnte er Druckschrift lesen? Konnte er überhaupt lesen? Lene hatte keine Ahnung. Ah! Der Kugelschreiber klemmte auch an der letzten Seite. Sie hatte vorgehabt, etwas hineinzuschreiben nach ihrem Erkundungsgang, doch bisher war sie noch nicht dazu gekommen. Sozusagen waren die Ereignisse über sie hereingebrochen und hatten ihr Leben, so wie sie es gekannt hatte, auf den Kopf gestellt. Außerdem war alles so unglaublich, was sie hier erlebt hatte, dass sie es erst noch im Kopf sortieren und dann ganz in Ruhe niederschreiben wollte. Doch dafür hatte sie bisher noch keine Zeit gefunden. Sie musste erst einmal zu sich kommen. Das würde sie alles später nachholen, es war jetzt nicht wichtig. Im Seitenfach links, steckte noch ein Beutelchen Studentenfutter. Wunderbar für den Hunger. Die Rosinen, hm -ihr lief schon beim Gedanken daran, das Wasser schier im Munde zusammen - aber nein, sie wollte es zusammen mit Wernher genießen und beherrschte sich. Ein Päckchen Tempos war auch dabei, schade, dass es nicht mehr waren. Die konnte man für vieles gebrauchen. Angefangen von Wundauflagen, bis hin zu Klopapier war alles Mögliche dabei. Sie lächelte zufrieden in sich hinein. Ein Haargummi, ein Haarspängelchen, das war auch nicht zu verachten. Und ein Halstuch, das Beste von allem. Sie legte es sich um und sogleich fühlte sie sich getröstet und wunderbar warm. Sie räumte die Höhle ein wenig auf, schüttelte die Decke aus und setzte sich dann in die Ecke, um zu lesen. Bis zum Nachmittag hatte sie das Büchlein ausgelesen. Die Oma hatte auch etwas hineingeschrieben. Sie (die Oma) wäre vermutlich verwandt mit den Erlebachern und deswegen das Bach im Namen ihres Urgroßvaters mütterlicherseits, der mit Namen Erlebach hieß. Aha, dann war sie, Lene ja auch verwandt mit jenen Erlebachern zu denen Wernher gerade unterwegs war? Hoffentlich nahmen sie ihn freundlich auf und halfen ihm. Sie machte sich Sorgen. Wer weiß, was für ein Gesocks überall hier herumlief. Ohne Wernher fühlte sie sich nirgends sicher und hatte große Angst, dass ihm etwas passieren könnte und sie hier sitzen und es nicht einmal wissen würde. Bis sie verschimmelt wäre. Ihr dröhnte der Kopf. Nein, rief sie sich zur Ordnung. Du lässt solche schlechten Gedanken erst gar nicht zu. Sie nahm wieder das Büchlein in die Hand und fing an zu schreiben, wie sie ins das Loch gefallen war und was sie seitdem erlebt hatte. Das würde ihr kein Mensch glauben. Sie würden sie umgehend in die Klapse stecken. Wenn ihr jemand so eine phantastische Story erzählen würde, würde sie auch denken, derjenige habe eine Meise, milde ausgedrückt. Hoffentlich würde Wernher bald zurückkommen. Lenes Angst wuchs, dass ihm etwas passiert sein könnte. Lange würde sie es in dieser Höhle alleine nicht mehr aushalten!

Kapitel 19
Oma macht sich Sorgen

Frau Faust lief von einem Zimmer ins nächste und wieder zurück. Zum gefühlt hundertsten Mal durchsuchte sie Lenes Zimmer - nichts – Mist! Wo konnte sie nur sein? Sie war nun schon seit drei Tagen verschwunden. Helga Faust wusste nur, dass sie sich für das Büchlein interessiert hatte und die Gegend erkunden wollte - Moment mal, das Büchlein! Schnell lief Helga zum Bücherregal – das Büchlein! Es war weg! Stimmt, Lene hatte gefragt, ob sie es eine Weile haben könnte, erinnerte sie sich wieder und in Lenes Zimmer hatte sie es auch nicht gefunden. Also hatte sie recht und das Büchlein spielte eine Rolle. Fieberhaft überlegte sie, worum es genau darin ging. Hm, um irgendeine Urkunde über ein Gebiet in der Nähe des Buchberges, fiel ihr ein. Lene hatte davon gesprochen, es sich genauer anzusehen. Sofort rief Frau Faust die Polizei an, bei der sie am Tag zuvor schon ihre Enkelin als vermisst gemeldet hatte: „Herr Dietz, ich weiß jetzt, wohin meine Enkelin gegangen sein könnte!“ „Wohin denn, Frau Faust?“ Der junge Herr Dietz hatte wenig Geduld. Sicher hielt er sie für verrückt. Aber sie musste es ihm sagen. „Ich habe daheim im Regal ein Büchlein über alte Urkunden stehen. Das hat meine Enkelin gestern gelesen und eine Bemerkung gemacht, als ob sie in der Gegend etwas nachsehen wollte, die alten Urkunden betreffend. Ich vermute mal, sie ist wirklich dorthin gefahren und ihr ist dort unterwegs etwas zugestoßen!“ Frau Faust fing an zu schluchzen. Deutlich war zu spüren, dass Herrn Dietz das sehr peinlich war. Als neuer Kommissar und frisch zugezogen, hatte er noch nicht so viel Erfahrung, wie er mit emotionalen Angehörigen vermisster Personen umgehen sollte. „Beruhigen sie sich, Frau Faust, das kriegen wir schon hin. Ich werde gleich selbst bei ihnen vorbeikommen. Dann können sie mir die Gegend zeigen, von der sie sprechen!“ Erleichtert brachte Frau Faust nur ein „Danke“ heraus. Seit sie dem jungen Kommissar gestern von dem Anruf ihrer Enkelin erzählt hatte, hielt er sie wahrscheinlich für bekloppt und nun noch die Sache mit der alten Urkunde. Das fehlte noch, um sein Bild von ihr als hysterische alter Frau abzurunden. Aber Frau Faust spürte genau, dass es damit zusammenhing.

Kapitel 20
Allein in der Höhle

Lene hatte sich ein wenig hingelegt und einen Schluck Wasser getrunken. Viel wollte sie nicht trinken, denn wenn sie zur Toilette müsste, hätte sie ein Problem in der Höhle. Es war nicht gerade das Holiday Inn hier, mit seinen prachtvollen Badezimmern! Wo blieb er nur, so langsam müsste Wernher doch wieder zurückkommen! Ihr war ganz weinerlich zumute. Was, wenn er gar nicht mehr zurückkam, wenn ihm etwas zugestoßen war? Er hatte Feinde, mächtige Feinde sogar. Sie drehte sich herum und stand auf. Drei Schritte in der Breite und sechs in der Länge. Größer war die Höhle nicht. Es war zum Verrücktwerden! Sollte sie noch einmal versuchen, Oma anzurufen? Aber in der Höhle hatte sie sicher noch weniger Chancen auf Empfang. Nein, dazu musste sie heraus aus der Höhle. Wenn sie nur ganz kurz hinausginge und versuchen würde zu telefonieren, könnte doch nichts passieren, oder? Sie machte sich selber Mut. Dann fiel ihr wieder ein, was Wernher gesagt hatte. Er hatte ihr fest eingebläut, in der Höhle zu bleiben, egal wie lange er weg wäre. Ja, klar, aber er musste das ja auch nicht aushalten. Er war schon stundenlang weg! Das konnte doch kein normaler Mensch aushalten! Sie ging jetzt hinaus, koste es, was es wolle! Langsam stand sie auf und nahm das Handy in die Hand. Den Rucksack ließ sie lieber hier. Sie versteckte ihn unter der Decke und ging langsam zum Ausgang. Vorsichtig lugte sie um die Ecke – nichts! Noch ein Stück vor, ganz leise. Oh! Die Sonne schien – wie schön! Sie lächelte. Noch ein Schritt nach draußen. Alles friedlich, keiner da. Na also! Lene schaltete das Handy ein und ging ein Stück, bis zu den Bäumen. Es war ein Balken zu sehen. Oder eher ein halber, denn er war dauernd wieder weg. Sie wählte aufgeregt Omas Nummer. Es tutete, sie hörte es genau. Vor Aufregung kniff sie die Augen zusammen und lauschte angestrengt. Mist, der Anrufbeantworter! „Oma, ich bin in eine andere Zeit geraten, oben auf dem Buchberg. Bitte hilf mir! Ich hab dich lieb!“

Kapitel 21
Gefangen!

„Halt stehenbleiben!“ vernahm sie plötzlich eine laute Stimme. Oh je, jemand hatte sie wohl reden gehört! Erschrocken schaltete sie sofort das Handy aus und warf es unauffällig hinter ihrem Rücken ins Gebüsch. Wenn das einer sah, wer weiß was sie mit ihr machen würden! Sie würden sie für eine Hexe oder Zauberin halten und damals gab es kein Erbarmen. Zu eindringlich war ihr noch der Besuch, mit der Schule, im Rothenburger Kriminalmuseum in Erinnerung, mit all den mittelalterlichen Folterwerkzeugen, die sie bei den armen Frauen damals angewendet hatten. Deshalb senkte sie demütig den Kopf und sagte leise: „Guten Tag, werter Herr, ich bin nur ein Wanderer und auf der Suche nach Pilzen und Heidelbeeren.“. Schwere Schritte erklangen auf dem federnden Waldboden und ein Mann in Uniform kam hinter den Bäumen hervor. „Wen haben wir denn da?“ rief er drohend und sah sie misstrauisch an. Lene rutschte das Herz in die Hose. Was sollte sie nur sagen? „Ich bin ein junger Wanderbursche!“ rief sie mit zitternder Stimme. Das war das Erste, das ihr in den Sinn gekommen war. „Aha, ein Wanderbursche.“ Der uniformierte Mann zog seine buschigen Augenbrauen zusammen. Lene beschloss sofort, dass er ihr unsympathisch war. „Und was tust du bei uns hier?“ Der Buschbrauenmann stand nun ganz nah bei ihr und sah ihr streng ins Gesicht. „Äh, wie gesagt, ich suche Heidelbeeren und Pilze!“ Lene fuhr sich nervös durch die Haare. Mist, sie hatte keine Mütze auf! „So, so, Pilze und Beeren! Schon etwas gefunden?“ bellte er unfreundlich. „Ja, aber schon alle aufgegessen“, brachte Lene ängstlich hervor. Nur nichts anmerken lassen, beschwor sie sich fieberhaft. „Aha, wer weiß, das kann ja jeder sagen!“ Er glaubte ihr anscheinend nicht. „Na, ich nehme dich erst einmal mit, zu unserem Amt. Wie ein Wanderbursche siehst du mir nicht gerade aus. Eher wie ein grünes Bürschchen, kaum der Mutterbrust entwöhnt. Ein Milchbubi!“ Er lachte dröhnend. Eine Gänsehaut überlief Lene. Ihr war es egal wofür er sie halten mochte, so lange er ihr nichts antat. Sie hoffte, dass er nichts Schlimmes mit ihr vorhatte. Schließlich hatte sie keine Ahnung von seinem „Amt“ und so richtig geheuer, war er ihr auch nicht. Er packte sie grob am Arm und zerrte sie durch das Dickicht zur Straße, oder besser ausgedrückt - einem befestigten Weg. Nun sah er Lene deutlicher und stieß erstaunt heraus: „Was hast du denn da an? Sind das neue Beinkleider? So welche habe ich ja noch nie gesehen!“ „Ja, die sind neu“, meinte Lene zaghaft. „Die habe ich von einem Verwandten aus Frankreich bekommen. Dort tragen sie nur solche Hosen jetzt.“ „Aha, nur solche Hosen sagst du? Ich habe noch keinen Franzosen mit den Dingern gesehen, obwohl ich in meinem Leben schon einige Franzmänner gesehen habe!“ „Na, ja in der dortigen Gegend aber schon, meinte Lene lauter. Dort braucht man sehr stabilen Stoff, so wie der, den ich anhabe.“ „Aha“, nickte der Mann mit skeptischem Blick. „So will ich dir glauben. Also los, ein bisschen schneller, wenn ich bitten darf du lahme Ente! Ich will heute noch ankommen!“ Der Mann zerrte Lene grob hinter sich her, bis zu einem Pferd mit Wagen. Dort warf er sie ohne Federlesens hinauf und band sie am Wagenrand fest, damit sie nicht fliehen konnte. „So ein Mist aber auch“, durchfuhr es Lene verzweifelt. Was würde Wernher nur denken, wenn sie nicht mehr da war, wenn er zurückkam? Fast hätte sie geheult, aber sie bezwang sich. Das konnte sie sich jetzt nicht leisten. Sie musste sehen, wohin sie fuhren, damit sie wieder zurückfinden würde, falls sie fliehen konnte. Falls! Sie seufzte laut. „Was seufzt du denn wie ein altes Waschweib, Bursche? Wir werden dir schon Mores beibringen. Ich kann einen Burschen brauchen, der mir die Schuhe putzt und die Kleidung in Ordnung hält. Meine Frau ist schon wieder guter Hoffnung. Wenn sie noch eine Weile so weiter hofft, platzt unser Häuschen aus allen Nähten!“ „Daran seid ihr aber auch nicht ganz unschuldig, Herr Wachtmeister!“ Lenes Mund war wieder einmal schneller als ihr Hirn. „Auch noch frech der Herr, wie? Das wird dir schon noch vergehen. Wenn du erst ein paarmal die Peitsche geschmeckt hast, wirst du schon parieren!“ Der Wachtmeister fitzte mit seiner Peitsche nach hinten, dass das Pferd erschrak und einen Satz machte. Lene beschloss bestürzt, sich ganz ruhig zu verhalten um den Wachtmeister nicht weiter zu reizen.

Kapitel 22
Im Gefängnis

Nun rumpelten sie über Waldwege und Kopfsteinpflaster in ein Dorf hinein. Ein paar Häuser - Bäcker und Metzger gab es anscheinend auch, ein Gefängnis, eine Kirche - das wars. Oh je, Lene hatte mehr Angst als Vaterlandsliebe. Der Karren hielt vor dem Gefängnis, was Lene nur unschwer an der Gittertür erkennen konnte und der ungeschlachte Wachtmeister warf Lene hinunter in den Dreck. Den Strick der an ihrem Handgelenk befestigt war, hielt er fest in der Hand, so dass sie nicht weglaufen konnte. Ihr Arm war schon ganz aufgeschürft und blutete. Er zog sie hinter sich her ins Gefängnis, das nur aus einem Raum bestand, abgeteilt durch ein Gitter. „Wenn du vernünftig geworden bist, lasse ich dich heraus, dann kannst du dich nützlich machen!“ Er lachte polternd. „Wollen doch mal sehen ob du nicht zu etwas gut bist!“ Er gab ihr einen heftigen Stoß, woraufhin Lene auf einen Haufen Stroh in der Ecke fiel, das einen sehr zweifelhaften Geruch ausströmte. Iiiieeeh! Aber sie war jetzt so fertig, dass sie nicht lange darüber nachdenken konnte und sich einfach auf der Erde niederließ. Was sollte Wernher nur denken, wenn er sie nicht mehr vorfand in der Höhle. Hoffentlich hob er die Decke und sah den Rucksack. Und das Handy? Wenn das verloren ging, war ihre letzte Verbindung in ihre eigene Zeit abgerissen. Lene weinte bitterlich. „Was heulst du, du Memme! Bist du ein Mann oder ein Waschweib?“ Der Wachtmeister baute sich grinsend vor ihr auf. „Ich glaube ich werde mal ein paar Gassenjungen zu dir hineinschicken. Die werden dich etwas aufpolieren. Dann hast du eher Grund zum Heulen!“ Lene musste nur noch mehr heulen. Nein, was für ein erbarmungsloser Grobian. Ihr Wernher war so lieb, obwohl er aus dieser Zeit kam, doch dieses Subjekt hier, war kaum noch als Mensch zu bezeichnen! Der Wachtmeister ging vor die Tür und ließ einen gellenden Pfiff ertönen. „Gassenjungen, wollte ihr ein bisschen Spaß haben?“ Eilig rannten ein paar verdreckte, zerlumpte Jungen herbei. Sie waren etwa so groß wie Lene, wenn nicht größer. „Da drinnen liegt ein feiger Wanderbursche. Der heult nach seiner Mama. Dem könnt ihr ein bisschen zeigen was Heimweh ist. Wollt ihr? Ihr bekommt auch ein Stück Brot von mir!“ Eifrig nickten die Jungen und Lene wurde ganz übel, als sie das sah.

Kapitel 23
Wo ist Lene?

Als Wernher zurückkam zu ihrer Höhle, spürte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Es war nur ein Gefühl, doch die trogen ihn fast nie. Er besaß einen sechsten Sinn für Gefahr, der selten versagte. Vorsichtig schlich er sich hinter den umstehenden Bäumen heran. Alles war ruhig - zu ruhig! Er fühlte genau, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Sicherheitshalber warf er einen Stein vor die Höhle. Wenn jemand da wäre, würde er sich daraufhin sicher rühren - jedoch – nichts! Er hatte es gewusst! Dieses leichtsinnige Weibsbild! Zornig vergaß er nun jede Vorsicht und rannte hinein. Wie erwartet fand er sie verlassen vor. Lenes Gegenwart war noch flüchtig zu spüren, aber sie war fort. Wernher hockte sich vor die Decke und nahm sie auf, schüttelte sie aus und legte sie zusammen. Er konnte sich nicht ausruhen, er musste sie suchen, sie war in Gefahr in dieser Zeit, die nicht die Ihre war. Sie kannte sich in den Sitten und Gebräuchen seiner Zeit nicht aus und konnte daher auch Gefahren nicht richtig einschätzen. Er legte die Decke zusammen und sah den Rucksack im Stroh liegen. Wenn sie freiwillig gegangen wäre, hätte sie ihn ganz bestimmt mitgenommen. Schnell hob er ihn auf und durchsuchte ihn. Lene hatte tatsächlich noch etwas zu Essen gefunden, sah er. Aber wie er sie kannte, wollte sie ihm die Hälfte davon geben und hatte sicher noch nichts davon verspeist. Wie sollte sie da genug Kraft haben, um sich retten zu können! Seine Sorgen wuchsen immer mehr. Gedankenabwesend tastete er im Rucksack herum, da fühlte er etwas Festes und zog es heraus. Ein Büchlein! Er schlug es schnell auf und begann aufgeregt zu lesen. Die Schrift war zwar etwas anders als er es gewohnt war, aber eher einfacher gehalten, als in seiner Zeit und was er nicht kannte, wurde durch den Sinn deutlich, den das Gelesene ergab. Fasziniert las er die erste Seite, das Geschriebene handelte sogar von seiner Zeit! Doch dann legte er es entschlossen zur Seite - Lene war jetzt wichtiger - das Büchlein konnte er auch später noch lesen. Er verstaute es wieder im Rucksack und machte sich auf den Weg. Vor der Höhle sah er sich vorsichtig um – es war nichts zu sehen und alles ruhig. Er ließ sich langsam nieder und robbte durch ein Gebüsch, als er weiter vorne etwas in der Sonne glitzern sah. Was war denn das? Ein Stein? Er fasste vorsichtig danach und hielt Lenes Handy, wie sie das komische Ding immer nannte, in der Hand! Aufgebracht schüttelte er den Kopf - jetzt konnte er sich denken, was passiert war! Sie hatte wohl mit dem Ding hier gestanden und versucht, ihre Oma anzurufen. Wenn sie diesmal auch so laut gebrüllt hatte, wie letztes Mal, als sie mit ihrer Oma gesprochen hatte, war es kein Wunder, dass sie jemand gehört und entdeckt hatte. Verzweifelt steckte Wernher das Handy in den Rucksack und lief weiter. Er sah das niedergedrückte Gras und folgte den Spuren bis zum befestigten Weg. Dort waren frische Rillen in der Erde zu erkennen, von einem Pferdefuhrwerk, die in Richtung Elsaffen (heutiges Elsenfeld) führten. Sorgenvoll die Stirn runzelnd, folgte er den Spuren. Hoffentlich kam er noch rechtzeitig, um Lene zu beschützen und Schlimmeres zu verhüten! Seine arme Lene, sie kannte sich doch mit den Gepflogenheiten in seiner Zeit noch nicht aus, was sehr gefährlich sein konnte – sogar lebensgefährlich! Besorgt lief er schneller und versuchte die schlimmsten Gedanken zu verdrängen. Er musste seinen Kopf gebrauchen, sonst hatten sie keine Chance.

Kapitel 24
Der Buchberg

Frau Faust stieg zu dem jungen Kommissar ins Auto und sie fuhren langsam los. „Sie müssen da vorne drehen, junger Mann!“ Oma wies ihm ungeduldig den Weg. „Richtung Hainstadt geht es zum Buchberg!“ Der Kommissar sah Frau Faust unfreundlich an, bevor er ihren Anweisungen folgte. „Da vorne links und weiter über die Mümlingbrücke, sehen sie es?“ Lenes Oma deutete zappelig mit der ganzen Hand geradeaus. „Da ist gleich ein Parkplatz, aber es ist noch ein großes Stück zu laufen. Können wir nicht noch ein Stück fahren? Sie sind doch das Gesetz!“ Der Kommissar raufte sich genervt die Haare, dann fuhr er vorsichtig über die alte Brücke. „Halt! Ach du lieber Gott! Da steht Lenes Auto!“ Frau Faust wies aufgeregt, auf den silbernen Opel, der einsam an der Böschung, direkt neben den beiden Ruhebänken stand. Sie stiegen schnell aus und Frau Faust zerrte wild an der Tür, die natürlich nicht aufging. Durch die Fenster konnte man auch nichts erkennen. „Es hat keinen Sinn, Frau Faust, wir müssen ein Stück weiter hoch und den Berg hinauf. Vielleicht finden wir dort etwas. Wenn sie hier in der Nähe in Schwierigkeiten wäre, hätte uns bestimmt schon jemand benachrichtigt!“ „In Schwierigkeiten? Was denn für Schwierigkeiten?“ Frau Faust begann zu zittern und bekam es mit der Angst zu tun. Der Kommissar, der sich über seine Taktlosigkeit selbst ärgerte, legte ihr begütigend die Hand auf den Arm und fuhr nach Omas Anweisungen erst ein gutes Stück hoch und dann nach links. „Sie meinte, sie hätte dort vor ein paar Jahren Markierungssteine gesehen, die einen Weg nach oben kennzeichnen würden. Dort oben war nämlich einmal ein Dorf, das verlassen wurde im 15. Jahrhundert, mit dem Ortsnamen, Hausen hinter der Sonne.“ Der Oma tat es gut, über die Umgebung zu sprechen, es verhinderte, dass sie in Panik verfiel. Herr Dietz hielt am Weg, der hier breit genug war, rechts an und folgte der Oma, die bereits den Weg, der steil nach oben führte, erklomm. „Wo soll denn das sein?“ Herr Dietz schwitzte jetzt schon. So oft war er nicht an der frischen Luft und seine Kondition ließ sehr zu wünschen übrig, wie er missmutig bemerkte. „Da!“, rief Oma aufgeregt, „da oben ist ein Stein.“ Mürrisch betrachtete der Kommissar das bezeichnete Objekt. „Das ist aber noch sehr weit oben. Wie kommen wir denn da hin?“ „Laufen!“ erklärte Lenes Oma kategorisch. „Immer geradezu, junger Mann, bis ganz nach oben. Dort werden wir hoffentlich bald mehr wissen!“ Keuchend arbeiteten sich die beiden weiter hinauf, bis sie endlich kurz darauf am ersten Stein anlangten. „Sehen sie? Es steht ein „H“ drauf wie Hausen und unten ein „M“ wie Mömlingen, oder ist es ein N? Wie Neustädter Hof? Na egal, es ist jedenfalls richtig, denn sie hat mir gesagt, dass die Steine nach oben führen würden, einen Weg entlang sozusagen - und ich sehe auch schon den nächsten Stein, dort weiter vorn!“ „Weiter oben meinen sie wohl!“ brummte Herr Dietz missgelaunt. Warum hatte er das nur nicht seine Kollegen machen lassen. Die hätten sich ruhig auch einmal bewegen können, bevor sie noch am Schreibtischstuhl festwuchsen und immer fetter werden würden! Es folgten noch fünf ähnliche Steine, immer der nächste in Sichtabstand vom vorherigen und sie waren nun fast ganz oben angelangt. Keine Spur von Lene. „Lene!“ rief Oma laut und verzweifelt. „Leeeneee!“ Nichts. Das konnte doch nicht wahr sein! „Wir suchen das Gelände ab“, bestimmte Oma, ganz so, als wäre sie die Chefin von Herrn Dietz. „Da vorne ist eine Lichtung. Ich meine, Lene hätte etwas von einer Lichtung erzählt!“ Die Oma eilte aufgeregt weiter, bis fast zur Mitte der Waldwiese. „Da ist etwas!“ Sie wies auf die hölzerne Abdeckung eines Schachtes und sah, dass ein Holz zerbrochen war. „Sehen sie, da könnte sie hindurchgefallen sein!“ Herr Dietz bückte sich und lugte durch die Lücke in die Grube hinunter. „Moment mal!“ Er zog sein Handy aus der Tasche und schaltete die Taschenlampe an. Bedauernd wandte er sich zu Frau Faust um. „Nichts zu sehen, dort unten!“ „Das kann nicht sein! Ich spüre, dass da etwas sein muss. Sie war dort unten, das weiß ich genau!“ Frau Faust schluchzte fast. „Frau Faust steigern sie sich da nicht in etwas hinein. Das wäre fatal und gar nicht gut, denn wenn wir Lene finden, braucht sie ihre Oma bei Kräften!“ Frau Faust riss dem überraschten Kommissar das Handy aus der Hand und leuchtete selbst hinunter. „Sehen Sie! Das sieht aus, als hätte da jemand dort unten gelegen, alles ist ganz plattgewalzt und zerwühlt!“ „Das kann schon sein, Frau Faust, aber wo ist sie dann hin? Es könnte auch ein Tier gewesen sein, ein Eichhörnchen oder irgendeines, das klettern kann.“ Die Oma sah ihn aufgebracht an. „Hören sie endlich auf mit ihrem blöden Frau Faust! Sagen sie Helga, das klingt viel normaler und menschlicher! Ich brauche jetzt einen mitfühlenden Menschen, der mir hilft und keinen besserwisserischen Bürokraten!“ „Gut Helga, aber es ist trotzdem nichts zu sehen.“ Der Kommissar stand seufzend auf. „Können wir nicht morgen noch einmal herkommen, mit einer Leiter, Herr Dietz?“ „Sagen Sie Armin, das klingt menschlicher.“ Herr Dietz lächelte sie freundlich an. „Gut Armin, aber bitte, können wir nochmal schauen mit einer Leiter? Bitte!“ Herr Dietz schüttelte brummend den Kopf. „Also gut, Helga, sie geben ja doch keine Ruhe, dann aber bitte morgen. Heute schaffe ich so eine Gewalttour nicht noch einmal.“ Er sah sie fragend an. „Morgen um 10 Uhr, einverstanden?“ „Einverstanden Armin, morgen um 10 Uhr. Ich stehe pünktlich, in Fahrtrichtung zum Buchberg, am Straßenrand!“ „Hand drauf!“ Helga schüttelte ihm kräftig die Hand und dann machten sich die beiden erschöpft an den Abstieg und rutschten und schlidderten mehr schlecht, als recht, den Hang hinunter. „Morgen bringe ich eine Leiter mit und eine gute Taschenlampe, damit wir auch etwas sehen!“ Lenes Oma sah ihn bewundernd an und war ihm so dankbar, dass sie ihn hätte umarmen können. Ach, dachte sie kurz entschlossen - was solls, und drückte den Kommissar kurz liebevoll an sich.

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