Buch lesen: «Abenteuer im Odenwald 1+2», Seite 2

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Kapitel 3
Ausflug zum alten Ort

Morgens hatte Lene noch eine Weile in dem Büchlein gelesen, auch das, was ihre Vorfahren über die Jahre noch beigetragen hatten, aber nichts Weltbewegendes mehr entdeckt. Alte Urkunden wurden immer wieder erwähnt, teils verschollen, teils wiederaufgetaucht aber immer unbeglaubigt - undurchsichtige Besitzverhältnisse, Ungerechtigkeiten, nicht auffindbare Gräber und viel Unerklärliches. Anscheinend hatte sich mancher Vorfahre darin ausgetobt und war so seine Unzufriedenheit mit seinem >langweiligen< Leben, losgeworden. Wenn es ihnen gutgetan hat? Auf jeden Fall, genau das Richtige für mich, dachte Lene lächelnd. Sie erinnerte sich, dass sie bei einem ihrer Ausflüge mit Omas verstorbenen Hund, auf alte Grenzsteine gestoßen war. Diese führten den Berg hinauf, in Richtung Hausen hinter der Sonne, dem verschwundenen Dorf. Vielleicht lag da des Rätsels Lösung. Immerhin war in dem Büchlein immer wieder von dem niedergegangenen Ort Hausen die Rede. Irgendetwas wollte sie tun und so nahm sie sich vor, an diesem Tag noch loszugehen. Sie wollte zu diesen Steinen, um nachzusehen, ob vielleicht noch etwas Lesbares darauf stand und um sie zu fotografieren. Nach dem Frühstück mit Oma, der sie aufgeregt von ihrem Vorhaben erzählt hatte, packte sie einen kleinen Rucksack mit Broten und Wasser, Äpfeln und einer Tafel Schokolade, legte das Büchlein mit hinein und eine Regenjacke für alle Fälle. Der Himmel sah ziemlich düster aus. Man konnte nie wissen, ob man sie brauchte, wenn es so schwülwarm war.

Dann fuhr sie auf den Parkplatz am Buchberg und wanderte los - den Weg nach oben. Sie hielt sich links. Der Neustädter Hof – im Büchlein Nuwenstat genannt - lag in dieser Richtung und die Steine, die nach oben führten, waren auch dort in der Nähe gewesen, als sie sie damals entdeckt hatte. Ziemlich steil hoch war es gegangen. Angestrengt betrachtete sie den Boden, nach einem zugewachsenen Pfad Ausschau haltend, sah suchend in die Höhe, ob nicht Markierungssteine irgendwo zu sehen waren, doch nichts als Hecken, Brombeeren meist, Dornen und Brennnesseln. Halt! Da war doch etwas? Mit einem Ruck blieb sie stehen. Schnell ging sie ein paar Schritte zurück und sah nach oben. Tatsächlich! Einer der Steine war zwischen den Bäumen in einiger Höhe zu erkennen! Er war ziemlich mit Moos überwachsen und daher schwer zu sehen.

Sie trampelte die Brennnesseln etwas beiseite und machte ein Bild davon, dann arbeitete sich langsam nach oben. Immer wenn sie an einem Stein ankam, war der nächste bereits in Sichtweite. Mit der Zeit war sie außer Puste, aber sie hatte ja Zeit. Sie verschnaufte ein wenig und ging langsam weiter. Bei jedem Stein blieb sie stehen und versuchte die Inschrift zu entziffern - oben war ein H -war sie sich sicher – hm, unten ein N und die Zahl 1370 stand darauf. Aha – das könnte ein H für Hausen sein und ein N für Neustadt. Lene machte ein Foto mit ihrem Handy und stieg weiter nach oben. Als sie am höchsten Punkt angekommen war, wollte sie sich kurz ausruhen. Sie blieb stehen und sah ein Stück weiter vorn eine Lichtung. Der Platz in der Mitte sah ganz gut aus, vielleicht fand sich dort sogar ein Baumstumpf oder etwas Ähnliches, um sich darauf zu setzen. Ein schöner Platz und eine ganz besondere Atmosphäre, fand sie - und doch - sie schauderte. Trotz aller Schönheit spürte sie ein unerklärliches Unbehagen. Was war denn das da, am Boden? Sie scharrte mit ihrem Fuß ein paar uralte, morsche Bretter beiseite. Das sah ja komisch aus. Hier sollte ein altes Basaltbergwerk in der Nähe sein. Ob die Bretter wohl dazu gehört hatten?

Kapitel 4
Der Sturz

Aber das hier sah anders aus, nein, das war es ganz sicher nicht. Es sah eher aus, als hätte da jemand eine Falle gebaut. Oder, war es doch eine alte Basaltgrube? Ein Nebeneingang vielleicht? Sie bückte sich, von einem drängenden Gefühl getrieben und löste ein paar Flechten Efeu, die sich darum rankten. Ah, da war eine Latte lose. Vielleicht konnte sie darunter einen Blick hineinwerfen! Mit ganzer Kraft zerrte sie daran, bis sie spürte, dass sie sich löste. Noch einmal fest daran ziehen, dachte sie und tat es – die Latte löste sich und Lene flog mit ihr in der Hand, hintenüber auf ein weiteres, morsches Stück Holz, dann verlor sie den Halt und die Orientierung und rutschte blitzschnell, rückwärts durch ein Loch, in eine Art Schacht. „Au!“ schrie sie erschrocken. „Hilfe!“ Sie war sich nicht sicher, überhaupt nicht sicher, was da passiert war. Schnell bewegte sie Arme und Beine – scheinbar war nichts gebrochen. Außer ein wenig Schmerzen vom Sturz, schien alles unversehrt zu sein. Stockdunkel war es hier drinnen - sie hatte Angst – es gruselte sie. Und es kam ihr irgendwie bekannt vor. Der Traum! Oh je, der Gedanke daran war nicht gerade geeignet ihre Angst zu vertreiben, im Gegenteil! Sie riss sich zusammen und sah sich um. Wer weiß, was noch alles hier unten war. Allerhand Viehzeug, oder Schlimmeres!

Halt! Was war das für ein Geräusch? Das war eindeutig ein Stöhnen! „Ist da jemand?“ flüsterte Lene leise. Irgendwie hatte sie Angst, laut zu fragen. Sie hatte eine Gänsehaut und hoffte im Stillen, sie hätte sich das Stöhnen nur eingebildet. Vorsichtig tastete sie auf dem Boden umher. Da! Da lag jemand! Sie spürte einen groben Stoff und einen warmen Körper. Aber wie sollte jemand hier hineingekommen sein? Sie war doch eben erst durch morsches, aber unversehrtes Holz in dieses Loch gestürzt. Es sei denn, irgendwo führte noch ein Gang seitlich weg. Lene räusperte sich und hob noch einmal an, diesmal etwas lauter und mutiger: „Ist hier jemand?“ Das Stöhnen wurde lauter und dann erklang eine unmutige Stimme heiser: „Frag nicht so dumm Weib, hörtest du mich nicht stöhnen? Ich liege schon seit mindestens zwei Tagen hier drinnen. Seit mich meine Ziehbrüder hierhergeschickt und mir diese Falle gestellt haben, liege ich hier unten schon! Sie wollen mich wohl tot sehen!“ „Dich tot sehen? Bist du denn so wichtig?“ Lene war skeptisch. „Was redest du da, Weib!? Wenn man nichts weiß, sollte man besser ruhig sein und die Gosche halten! Meine Brüder haben sich kaufen lassen, von den Herren von Breuberg. Dafür haben sie meinen Tod und den Verlust unseres Pfaffstangengutes in Kauf genommen“, sagte die Stimme bitter.

„Welches Pfaffstangengut denn?“ erkundigte sich Lene erstaunt. „In Mömlingen?“ „Unsinn!“, tat es der unbekannte Mann entrüstet ab. „Jeder weiß, dass sie das Jagdrecht und die Felder haben wollen. Sie wissen warum. Hier gibt es wunderbares Wild und sogar Bodenschätze!“ Was geht denn mit dem ab? dachte Lene erschrocken. Ich glaube, der hat einen an der Waffel! Nun wurde ihr noch mulmiger zumute und sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. „Wer seid ihr überhaupt und warum sitzt ihr hier in dem Loch?“, traute sie sich schließlich. „Ich bin Wernher von Bache, Ziehsohn von Jorg von Bache und komme aus Nuwenstat und Hausen, wo ich beim Pfaffstangengut mithelfe, welches mein Erbteil ist!“, erklang die Stimme stolz. „Aus Hausen? Aber das ist doch schon ewig ausgestorben“, platzte es aus Lene heraus. „Fast! Ich bin der zweitletzte Einwohner von Hausen“, entgegnete Wernher stolz. „Aha, deswegen sitzt ihr auch hier im Loch!“ konnte sich Lene nicht verkneifen zu sagen. „Hütet eure Zunge Weib! Ich habe alles Recht auf meiner Seite, aber die gräflichen Schurken haben die Kirche und meine schändlichen Brüder gekauft!“

Kapitel 5
Gefangen

„Oh je, ein Verrückter“, ging es Lene durch den Kopf. „Das war einmal“, rief Lene laut. „Inzwischen gibt es so etwas nicht mehr!“ „Wie meinst du das Weib? Natürlich gibt es das, ihr seht mich doch hier sitzen, oder nicht? Ach so nein, natürlich nicht, es ist ja dunkel!“ Das brachte ihr den Rucksack in Erinnerung, mit dem Handy darin und somit einer Lichtquelle. Suchend tastete sie herum, fand jedoch nichts, als den schlechtgelaunten Wernher. „Au, Weib, was fuschelst du herum? Behalte deine Finger bei dir, bei mir gibt es nichts mehr zu holen!“ Lene seufzte ungeduldig und suchte auf der anderen Seite weiter. Nichts! Entweder hatte sie den Rucksack oben bereits abgenommen, oder er war weiter seitlich gefallen bei dem Sturz. Sie überlegte und tastete weiter auf dem Boden herum. Zum Glück war sie nicht verletzt. Ein paar Schrammen würde es geben, aber das war zu verschmerzen. „Da!“ Triumphierend hielt sie ihn in der Hand. Mist! Er war aufgegangen. Sie tastete darin herum und fand einen Apfel und zwei Brote. „Willst du etwas zu essen haben? Hast du Hunger?“

Sie hielt dem mürrischen Wernher ein Brot hin, vergaß dabei jedoch, dass es dunkel war und er nichts sehen konnte. „Hast du denn was?“ brummte Wernher. „Ja, vor deiner Nase, ein Brot - hier!“ Er tastete nun seinerseits herum, bekam das Brot zu fassen, riss es ihr aus der Hand und wickelte es gierig aus. Sie hörte ihn kauen. Von geschlossenem Mund dabei hatte er sicher noch nie gehört. „Schmeckt es?“, fragte sie ihn spitz. „Ja, ganz erstaunlich, das Brot schmeckt wunderbar fein und luftig, der Käse könnte besser sein, aber insgesamt nicht schlecht!“ In Nullkommanichts hatte er anscheinend das Brot verschlungen. „Hast du noch mehr davon?“ „Ja“, stöhnte Lene leise, „aber vielleicht brauche ich ja auch noch etwas. Wer weiß, wann uns jemand findet und wir hier herauskommen!“ „Wir kommen hier nicht mehr heraus“, sagte Wernher mit dumpfer Stimme. „He, sei nicht so miesepetrig, klar kommen wir hier wieder heraus!“ „Miesepetrig?“ Er klang verwirrt. „Ja, mies gelaunt“, schimpfte sie wütend. „Wie bist du eigentlich hier hereingekommen? Der Deckel war zwar morsch, aber ansonsten unversehrt.“ „Morsch?“ rief Wernher entrüstet. „Das gibt es nicht. Sie haben doch den Deckel aus festem Eichenholz erst vor zwei Tagen daraufgelegt. Der kann gar nicht morsch geworden sein in der kurzen Zeit!“ Lene wurde es nun doch mulmig zumute. Das war ganz und gar nicht mehr lustig hier. Irgendetwas stank gewaltig zum Himmel. Sie schüttelte sich unwillig. Wernher sagte leise: „Sie haben mich hier hineingeworfen, damit ich ihnen keine Schwierigkeiten mehr machen kann. Ich bin unbequem für sie. Ohne mich können sie mit der Burg und dem Gut machen, was sie wollen.

Ich bin ein angenommener Sohn von Jorg von Bache, der letztes Jahr, kurz vor meiner Ziehmutter, verstarb. Meine Zieh-Brüder hassen mich und missgönnen mir mein Erbe, das ich von ihren Eltern bekommen habe. Meine Zieheltern vermachten mir den Pfaffstangenhof und den beiden Ziehbrüdern - ihren leiblichen Söhnen - zusammen die Burg Nuwenstat. Das Pfaffstangengut war ein sogenannter Fronhof. Da ich nicht genug erwirtschaften konnte um die Pacht zu bezahlen, wurde er mir abgesprochen. Meine Brüder beschlossen daraufhin wohl, mit den hohen Herren ein Geschäft zu machen und beseitigten mich, indem sie mich in diese Grube stürzten“, sagte Wernher mit bitterer Stimme.

Kapitel 6
Die verschwundene Zeit

„Äh“, meinte Lene vorsichtig. „Welches Jahr meinst du denn?“ „Was meinst du mit welches Jahr, Weib?“ tönte Wernher laut. „Seid ihr nicht bei Sinnen, dass ihr das nicht selber wisst?“ „Doch, meins weiß ich natürlich, aber deines eben nicht!“ Lene klang verzweifelt. Wernher rief nachdrücklich: „Es gibt nur eines, eures und meines sind nicht zwei verschiedene Jahre!“ „Hoffentlich! Bei mir ist es 2017“, sagte Lene leise. „2017? Das kann gar nicht sein - wir haben 1441!“ „Ach du große Scheiße!“, entfuhr es Lene. „Das ist ja furchtbar.“ Entweder war das ein Verrückter, oder etwas war passiert, das es eigentlich gar nicht geben konnte. Was war da nur passiert? Panisch tastete sie jetzt wieder weiter, auf der Suche nach dem Taschenlampenhandy. Sie brauchte unbedingt Licht jetzt, sonst würde sie vor Angst noch verrückt, egal, was sonst noch sonderbar hier war. Gott sei Dank, da lag etwas! Lene zog es zu sich heran und fühlte die vertraute Form ihres Handys. Sie spürte regelrecht, wie ihr Herz einen kleinen Satz machte vor Erleichterung. Mit Licht würde es ihr sicher bessergehen. Sie schaltete es ein und das Display leuchtete schwach auf. „He, was ist denn das für ein Teufelszeug!“ Der Mann wollte ihr das Handy aus der Hand schlagen. Hastig robbte Lene aus seiner Reichweite und schaltete die Taschenlampe an. Ein heller Lichtstrahl zeigte ihr, dass sie mindestens drei Meter tief in einer Art Grube saßen. Erde, Heu, Dreck. So genau wollte sie gar nicht wissen welcher. Und Wernher. Ein gewaltiger, schmutziger Mann mit wahrscheinlich hellen Haaren. Vor lauter Dreck konnte sie die Haarfarbe nicht genau bestimmen. „He, Weib, ihr blendet mich! Was ist das für ein Ding, das ihr da in der Hand habt?“ Der Mann hatte die Augen zugekniffen. „Eine Taschenlampe, an meinem Handy“, erklärte Lene geduldig. „Hä? Ein Händi, mit Taschenlampe?“, ihr sprecht komisch, Frau. Und eure Ausdrucksweise geziemt sich nicht für ein ordentliches Weib! Leuchtet euch mal an. Ich will einmal sehen, mit wem ich es zu tun habe!“ Lene leuchtete sich kurz an, dann schaltete sie aus, der Akku war kostbar. Und sie wollte kein leichtes Ziel sein, falls dieser Wernher sie überwältigen wollte. „Was habt ihr denn da an, Weib? So etwas trägt kein Weib, das etwas auf sich hält. Bauernhosen und nur ein Hemd. So unanständig läuft keine Frau herum, die ich kenne!“ Lene verdrehte genervt die Augen. „Ich sagte doch, ich komme aus dem Jahr 2017 und da laufen alle Frauen so herum.“ Das hatte ihm anscheinend die Sprache verschlagen. Stumm saßen sie da, zu geschockt, um noch etwas zu sagen. Jeder hing fieberhaft seinen Gedanken nach. Das konnte doch nicht so bleiben! Man musste etwas machen! Aber was? Lene beschloss nach gründlichem Nachdenken, in Ermangelung weiterer Alternativen, Wernher zu vertrauen und sagte mit belegter Stimme: „Wernher, ich könnte mit meiner Lampe schauen, ob es nicht doch noch einen Weg nach draußen gibt. Heute Nacht träumte ich von einem ähnlichen Gewölbe und fand einen Weg hinaus. Aber - würdest du bitte mitkommen? Alleine habe ich zu viel Angst und traue mich nicht.“ Eine Weile blieb es still und Lene spürte, dass Wernher nachdachte. Sie fühlte, dass er ihr langsam glaubte, auch wenn es ihm sehr schwerfiel. Kunststück, wem nicht! Lene konnte es ja selbst kaum für möglich halten. Sie kniff sich in den Arm und seufzte. Es fühlte sich an wie ein sonderbarer Traum. Ein Alptraum - nur dass es kein Aufwachen daraus gab, leider. Wernher sagte nun beruhigend: „Ich komme mit euch, Weib und beschütze euch, so gut ich kann, solltet ihr wider Erwarten einen Weg hinausfinden. Angst habe ich auch. Ich verstehe nicht, was hier los ist und das macht mir Angst. Etwas anderes - habt ihr vielleicht auch etwas zu trinken? Ich bin halb verdurstet.“ Er war ja schon zwei Tage länger hier drinnen, fiel es Lene siedend heiß ein, kein Wunder! Sie tastete wieder in ihrer Tasche herum und fand die Flasche mit dem Fruchtschorle. „Hmmm - das schmeckt aber gut“, freute sich Wernher. „Besser als schales Wasser, wie ich es oft bekomme.“ „Schau!“, rief Lene aufgeregt, da ist eine Lücke im Stein - ich glaube, da geht ein Weg hindurch!“

Kapitel 7
Der Weg hinaus

Wernher kroch zu ihr herüber und besah sich die Lücke. „Da könnten wir hindurchkommen. Ihr auf jeden Fall, bei mir müsstet ihr fest ziehen, oder schieben, dann könnte es vielleicht gehen.“ „Los, wir versuchen es!“ Lene wand sich durch die Lücke und stand in einem breiteren Gang. „Seht ihr etwas? Geht es da drüben weiter?“ wollte Wernher ungeduldig wissen. „Ja, ich kann gut stehen hier und breiter ist es auch!“ rief Lene freudig. Wernher schob sich ein Stück durch den Spalt und Lene zerrte und zog so lange an ihm, bis er auch hindurch war. Erleichtert nahm sie seine Hand und führte ihn, mit der Lampe in der Hand, weiter. Eine Kurve, dann wurde der Gang niedriger und sie mussten eine Weile kriechen. Mann, ist das beklemmend, hoffentlich kommen wir bald raus hier, dachte Lene. „Wollt ihr mich nicht vorlassen, Weib? Ich bin der Mann und beschütze euch!“ Er nahm ihr die Lampe aus der Hand und leuchtete. „Das ist ja ein komisches kleines Ding, staunte er. Aber so hell wie das, habe ich noch nichts gesehen, außer der Sonne am Mittag!“ „Warte mal Wernher!“ rief Lene mit erschöpfter Stimme. „Ich kann nicht mehr, ich muss kurz ausruhen und wenn der Traum recht behält, sind wir bald draußen. Aber wo? In deiner oder in meiner Zeit? Das ist die Frage und das macht mir eine Riesenangst!“ „Gut, wir rasten ein wenig“, Wernher ließ sich neben Lene fallen und leuchtete sie an. „Wenn ihr nicht so komische Sachen anhättet, würdet ihr gar nicht so übel aussehen“, meinte er taktvoll. „Du auch nicht!“ rief Lene wütend. „Du siehst in deinen Klamotten, wie ein Hinterwäldler aus!“ „Das bin ich ja auch und stolz darauf!“ Wernher war eingeschnappt. „Ach so, hm.“ Lene betrachtete ihn nachdenklich. Er war mindestens einen Kopf größer als sie mit ihren 165cm und hatte einen Brustkorb wie ein Bodybuilder. Nur, dass der vom Arbeiten kam und nicht von irgendwelchen Fitnessgeräten oder gar Medikamenten. Sicher war er stark wie ein Bulle. Ach ja, die Haare waren wohl wirklich blond, sah sie nun im Lampenschein. Und einen Bart hatte er auch noch. Übel sah er wirklich nicht aus. Vor allem hatte er gute Augen. Lene beschloss, ihm zu vertrauen. Etwas anderes blieb ihr sowieso nicht übrig, wenn sie hier heil wieder herauskommen wollte. Apropos heil heraus. Heraus ja, aber wo? „Was habt ihr denn, Weib? Heult jetzt bloß nicht. Wir werden schon wieder heraus kommen hier!“ Er gab Lene das Handy und sie schaltete das Licht aus. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen sie einen Lichtschein, es musste hinter der Kurve hereinscheinen – etwa die Sonne? Wie in meinem Traum! schoss es Lene durch den Kopf und sie erinnerte sich an ihr beklemmendes Gefühl darin. So ähnlich fühlte sie sich jetzt auch, nur dass sie nicht allein war. Wernher war bei ihr und das war besser, als in ihrem Traum. Es gab ihr ein beruhigendes Gefühl, dass er bei ihr war. Und das beklemmende Surrren aus ihrem Traum fehlte zum Glück auch. Wernher nahm sie an der Hand und zog sie weiter. „Kommt Weib!“ flüsterte er jetzt. „Wir sind bald draußen. Ich schaue erst einmal nach, wo wir sind. Ihr wartet!“ Lene schob wie in ihrem Traum einige Efeuflechten auseinander und Wernher arbeitete sich durch die Lücke hinaus. „Geh nicht weg!“ rief Lene ängstlich, aber leise.“ „Nein, ich bin doch da!“ beruhigte Wernher sie. Ich bleibe bei euch, keine Angst. Kurz darauf rief er: „Kommt heraus, Weib, ich weiß jetzt, wo wir sind!“ „Lene heiß ich, nicht Weib“, sagte Lene ruhig. „Lene ist ein guter Name. Kommt, gebt mir eure Hand!“ Wernher zog sie aus der Lücke nach draußen und Lene sah, dass sie auf einer großen Wiese standen, einer Lichtung. Sie kam ihr vage bekannt vor. Hier war sie schon gewesen! Das Kraftfeld, nannten sie es heute. Manche Menschen stellten sich an bestimmte Stellen dort und ließen sich bestrahlen – sie meinten, die heilenden Erdkräfte würden an verschiedenen Stellen der Lichtung ihre Krankheiten heilen. Es gab ein regelrechtes Raster mit Einzeichnungen, welche Stelle für welche Krankheit heilsam sein würde. Lene sah sich erstaunt um. Der Anblick war ihr vertraut und doch wieder nicht. „Wernher, ich kenne dieses Feld, aber es sieht so anders aus!“ Wernher drehte sich um. „Wie meint ihr das?“ Lene kniff die Augen zusammen: „Na, ich kenne es, aber es sah gestern noch anders aus als jetzt zum Beispiel.“ „Na, ja“ schüttelte Wernher, mit ungläubigen Augen, bedächtig den Kopf. „Anscheinend ist es wohl wirklich so, dass ihr durch irgendein Wunder aus der Zukunft in meine Zeit gekommen seid und deswegen kennt ihr zwar die Gegend hier, aber sie sieht eben ein wenig anders aus, als bei euch.“ Lene schossen vor Anspannung, die Tränen in die Augen. „Oh!“ Mehr brachte sie nicht heraus. Sie konnte nichts mehr sehen vor lauter Tränen und Angst. Was sollte denn nun werden? Sie fühlte sich völlig hilflos. Wernher sah sie an und erkannte sogleich ihren Zustand. Fest nahm er sie in die Arme. „Kommt Lene, ich bin doch da, ihr seid nicht allein. Ich helfe euch. Zusammen werden wir es schaffen, dass ihr wieder in eure Zeit zurückkommen könnt.“ Lene dachte zwar – Wie soll das denn gehen? Es fühlte sich dennoch beruhigend an, fest im Arm gehalten zu werden. Es vermittelte ihr die Sicherheit, die sie gerade dringend benötigte, um bei klarem Verstand zu bleiben und nicht in Panik auszubrechen. „Kommt Lene, ich bringe euch zu meinem Unterschlupf und wir suchen uns erst einmal Speis und Trank. Danach werden wir wieder besser denken können und eine Lösung finden. Lene drückte ihn dankbar und ließ sich auf die Füße ziehen. Vorsichtig um sich schauend, setzten sie ihren Weg fort, weiter nach oben. „Wo gehen wir denn hin?“ Lene konnte kaum folgen, so ein Tempo legte Wernher vor. „Ich weiß einen Brunnen in der Nähe, wo wir frisches Wasser finden und eine kleine verlassene Hütte im Wald, in der früher ein Einsiedler wohnte. Dort können wir uns verstecken heute Nacht. Morgen oder übermorgen suchen wir dann eine Höhle auf, die ich auf meinen Streifzügen fand. Dort sind wir sicherer. Kommt!“ Wernher zog Lene weiter. Sie machten sicher ganz schön Krach, so ungeschickt wie sie sich anstellte. Stolpernd versuchte sie, mit Wernher Schritt zu halten. „Pst!“ Wernher bedeutete ihr, leise zu sein. Ein Pferdefuhrwerk mit Holzladung fuhr den Weg entlang. Die armen Pferde, dachte Lene. Der Wagen war ganz schön voll und sah schwer aus. Als das Fuhrwerk vorbei war, gingen sie weiter. Nicht auf dem Weg, sondern querfeldein, noch weiter hinauf. Konnte denn gar nichts eben sein hier, dachte Lene missmutig.

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