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Weil Schottlands Herz für die Freiheit schlägt

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Elizabeth nahm George wieder in Augenschein. Ein roter Fleck prangte unter dem Auge. Der König lag auf seinem Schoß, ein süffisantes Lächeln auf seinem Mund. „Ihr habt mich belogen!“, wurde ihr auf einmal klar. „Von wegen Ihr wüsstet nicht, wieso Vater beim König war. Raus mit der Sprache, bevor Ihr platzt.“

„Ihr kennt mich gut.“

„Euch weniger, aber Verschlagenheit ist eine Eigenschaft, die mir ziemlich geläufig ist.“

„Es geht um Bruce“, antwortete er bereitwillig, als hätte er die ganze Zeit auf seinen Einsatz gewartet. „Euer Vater ist nicht begeistert von Euren Ambitionen, ihn zu ehelichen. Er hofft, dass es König Edward gelingt, Euch davon abzubringen.“

„An Edward wird er sich die Zähne ausbeißen“, entgegnete sie voller Schadenfreude. „An mir genauso und nebenbei gesagt: Je mehr Vater dagegen ist, desto mehr spornt mich das an.“

„Was, wenn ich Euch sage, dass ich die Ansicht Eures Vaters teile?“

„Das ändert natürlich alles“, sagte sie in honigsüßem Ton.

„Ich meine es ernst, Elizabeth.“

„Ich auch“, entgegnete sie kalt. „Robert und ich gehören zusammen. Das lasse ich mir weder von Euch noch von jemand anders ausreden.“

„Ihr kennt meinen Einfluss.“

„Worauf spielt Ihr an? Auf Eure vier Marionetten? Steward hat sich erhängt, nachdem man seinen Sohn aufgeschlitzt hat. Patrick the Bruce verjubelt sein ganzes Vermögen in Freudenhäusern, Green kann sich vor Fettleibigkeit kaum bewegen und Montfort hält eher zu Robert als zu Euch. Wenigstens dieser Mann weiß, auf welcher Seite er stehen muss.“ In Wahrheit konnte sie Montfort nicht ausstehen, weil er ihr ständig Avancen machte. Als sie sich im letzten Jahr auf einem Hofball begegnet waren, hatte er sie mit Blicken förmlich ausgezogen. Obwohl sie keine Kostverächterin war und der Einfluss dieses Mannes - besonders auf Robert - von Vorteil sein konnte, ignorierte sie seine Annäherungsversuche, denn er hatte die Attraktivität einer Ratte.

„Montfort steht auf meiner Seite, so lange er nichts von unserer Affäre weiß“, erwiderte George. „Er ist in Euch verliebt und beklagt sich oft über Eure Distanziertheit. Aber das ist nicht mein Problem, und davon abgesehen habe ich weitaus einflussreichere Verbündete, Elizabeth.“

„Glaubt Ihr? Nun, auch mein Arm ist ziemlich lang, werter George. Womöglich länger als Euer Blick reicht.“ Kurz fixierte sie die Spielfiguren. „Ihr spielt gern mit Eurem Leben, wie es aussieht.“

„Lady Isabella von Mar ist meine Nichte“, lenkte er ein, obwohl sein Ton drohend blieb.

„Und sie ist Roberts Verlobte, ich weiß. Habt Ihr etwas, das wirklich von Belang ist?“

„Meine Familie unterstützt diese Verbindung. Eure tut das nicht.“

„Mutter will, dass ich glücklich bin. Was andere sagen interessiert mich nicht.“

„Und ich will, dass Isabella glücklich ist. Sie bedeutet mir sehr viel.“

Elizabeth lachte trocken auf. „Glaubt Ihr selbst, was Ihr da sagt? Nicht ein Wort davon ist wahr! Ihr seid zu tieferen Gefühlen weniger fähig als eine Schmalzfliege. Aus Euch spricht lediglich der Wunsch, den künftigen König von Schottland in Eurer Familie zu haben. Es würde den Stammbaum derer von Mar erheblich adeln.“

„Balliol ist König.“

„Was nur eine Frage der Zeit ist. Das wissen wir alle, Ihr zuallererst. Robert wird ihm bald den Thron streitig machen. Er ist kein Mann, der sich auf Dauer fernhalten lässt.“

George legte den König auf den Tisch, bevor er sich erhob und einige Schritte hin und her ging. Dabei verschränkte er die Arme im Rücken. „Was redet Ihr da? Robert the Bruce ist ein Weichling, er wird es nie zum König bringen. Nebenbei gefragt: Wie könnte ein Mann wie er ein solches Vorhaben bewerkstelligen? Will er Balliol etwa mit einer Rose vom Thron stürzen?“

„Dennoch haltet Ihr an seiner Verbindung mit Lady Isabella fest. Beleidigt mich deswegen nicht länger, indem Ihr versucht, mich für dumm zu verkaufen. Einige Einwände mögen zutreffen, aber alles was Robert braucht ist eine starke Frau an seiner Seite.“

„Die hat Bruce.“

„Lady Isabella ist für ihre Nachgiebigkeit bekannt. Eine Frau mit laschem Händedruck, während ich zupacken kann.“

„Ihr solltet mich ebenfalls nicht für dumm verkaufen. Euch geht es letztlich auch nur um den Thron. Von wegen Euch würde Politik nicht interessieren.“

„Wenn sie mir persönliche Vorteile verschafft, ist das Gegenteil der Fall. Insofern hätte ich nichts dagegen schottische Königin zu werden, denn warum sollte ich mich mit der Hälfte begnügen, wenn ich alles haben kann? Den Thron und die Liebe?“

George blieb vor ihr stehen. „Liebe? Das ist nicht Euer Ernst.“

„Weshalb nicht?“

„Weil Ihr aus demselben Holz geschnitzt seid wie ich. Ihr könnt nicht lieben.“

„Oh doch, George.“ Elizabeth erhob sich. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter voneinander. „Ich kann es, und bin mir sicher, Ihr konntet es ebenso. Liege ich richtig in der Annahme, dass Eure Gefühlskälte auf einer tiefen Enttäuschung beruht?“ Als sich sein Gesicht verschloss, wusste Elizabeth, dass sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. „Wer ist sie? Kenne ich sie?“

„Die Frau verkehrt nicht in unseren Kreisen.“

„Ist sie eine Hure?“

Elizabeth schrie auf, als er ihr Handgelenk ergriff und schmerzhaft zudrückte. „Diese Frau hat Ehrgefühl, Schönheit und Wärme.“

„Umso besser verstehe ich, weshalb sie den Platz an Eurer Seite meidet“, fauchte Elizabeth. „Aber ich habe nichts dagegen, wenn Ihr in Gedanken bei Ihr seid, sobald Ihr mich besteigt. Na los, worauf wartet Ihr? Schließt Eure Augen und küsst sie. Nehmt Euch, was Euch gehören sollte. Ohne Rücksicht.“ Elizabeths Atem ging keuchend, weil sein Aufstöhnen ihre Erregung steigerte. „Ihr könnt mich sogar bei ihrem Namen nennen, wenn das Eure Leidenschaft anregt.“

Er ließ sie los. Ungeduldig schob er ihr Kleid hoch und küsste sie hart auf den Mund. Dabei drängte er sie auf den Stuhl zurück, bog ihre Schenkel auseinander und öffnete die Schnüre seiner Hose. Erwartungsvoll schaute Elizabeth auf sein steifes Glied, bevor er in sie stieß. „Margarete, oh Margarete“, rief er aus, und plötzlich wurde sein Gesicht zu einer Grimasse. Seine Stöße wurden ungeahnt hart, doch das steigerte Elizabeths Lust. „Wie konntest du diesen Wallace heiraten?“, zischte er, bevor er sie in Besitz nahm wie nie zuvor …

Jodie saß vor dem Fenster. Der Himmel schwitzte Düsterkeit aus. Zwielicht beherrschte die verschneite Landschaft und schien sogar ins Haus vorzudringen, obwohl Kerzen die Stube erhellten. Die frischen Scheite knackten mitsamt dem Reisig, den die Mutter hineinwarf.

„Soll ich dir wirklich nicht helfen?“, fragte Jodie und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Gleichzeitig fragte sie sich, weshalb die Mutter sie herunterzitiert hatte.

„Nein, ich muss ohnehin kurz verschnaufen.“ Seufzend erhob sich ihre Mutter und setzte sich in den abgewetterten Stuhl vor dem Edelholztisch. Ihr Kinnband flatterte, als würde jemand auf den zarten Stoff hauchen. Abwesend fuhr sie sich an die weiße Haube, unter der sie ihr Haar verbarg. Dabei betrachtete sie das Paar neuer Lederschuhe auf dem Tisch. Einen davon nahm sie in die Hand und drehte ihn mit der Naht nach innen.

„Vater wird es nicht gefallen, dass du schon wieder Schuhe für William machst.“

„Wer sollte es ihm verraten?“

„Natürlich, wer soll es ihm verraten“, murmelte Jodie und fuhr lauter fort. „Nirgends sind Geheimnisse so gut aufgehoben wie in unserer Familie.“

Abrupt hob die Mutter den Kopf. Ihre Hände zitterten. „Manche Dinge sind nicht einfach zu erklären. Man weiß nie, was man damit auslöst.“

„Einen Versuch wäre es wert.“ Jodie richtete sich etwas auf.

„Manchmal geschieht etwas im Leben, das so tiefgreifend ist, dass man es am liebsten vergessen möchte.“ Ihre Mutter legte den Schuh auf den Tisch. „Dazu gehört auch der Tod deines Bruders. Malcolm hat seine Liebe zu Schottland bitter bezahlt.“ Traurigkeit lag in ihrer Stimme, trotzdem wuchs Jodies Ungeduld. „Was gäbe ich darum, meinen Jungen noch einmal sehen zu dürfen.“

„Hast du mich deswegen holen lassen? Um mit mir über Malcolm zu reden? Oder ist da etwas anderes?“

Sie schaute Jodie an, als verstünde sie die Frage nicht. „Ich wollte mich lediglich mit meiner Tochter unterhalten.“

„Gut, dann lass uns reden, Mutter. Darüber, wie lange du mich noch hier festhalten willst.“ Jodie war von der Heftigkeit ihrer Worte selbst überrascht, aber sie konnte nicht anders. Einerseits fühlte sie sich erschöpft, andererseits hielt sie diese Scheinheiligkeit einfach nicht mehr aus. „Hast du dich deshalb geweigert, mir Lesen und Schreiben beizubringen, obwohl ich dich förmlich angebettelt habe, es zu tun? Um mich noch enger an dich zu binden? Ganz ehrlich, Mutter, ich will das alles nicht mehr.“

„Möchtest du mir absichtlich wehtun?“

„Natürlich nicht“, versicherte Jodie, der die harten Worte schon wieder leidtaten. „Dafür liebe ich dich zu sehr. Aber versteh mich bitte. Ich möchte endlich am Leben teilnehmen. Natürlich weiß ich, dass du nur mein Bestes willst, aber was glaubst du hält mich noch hier? Deine Verbote? Vaters Distanz? Gestern hat er mir sogar eine Ohrfeige gegeben.“

„Alan hat dich geohrfeigt?“ Ihre Stimme war kaum hörbar.

„Das ist nicht schlimmer als sein Desinteresse.“ Jodie holte schnell Luft, bevor sie der Mut verließ. „Ich habe beschlossen, euer Schweigen zu respektieren. Aber im Gegenzug solltet ihr respektieren, dass ich endlich ein eigenständiges Leben führen möchte. Keinen Tag länger als nötig halte ich es hier aus.“

Die Mutter war kreidebleich geworden. „Hat dein Vater mit dir gesprochen?“

 

„Nein, warum?“ Jodie faltete ihre Hände ineinander. „Ich schätze, ihn trifft es zuletzt wenn ich fortgehen würde. Deswegen werde ich ihn bitten mich zu verheiraten. Ich muss endlich meinen eigenen Weg gehen.“

Die Mutter zog sich die Haube vom Kopf. „Du hast ja recht“, lenkte sie unerwartet ein und legte die Haube auf den Tisch. Ihr erneutes Seufzen schien aus dem tiefsten Inneren zu kommen. „Als … uns diese Männer überfallen haben“, begann sie mit brüchiger Stimme und wich ihrem Blick aus, „das war kein …“

Lautes Gepolter drang zu ihnen. Ein Blick in das verschlossene Gesicht der Mutter sagte alles. Der Mut, endlich alles zu sagen, war so schnell verschwunden wie er gekommen war. Jodie wäre John und dem Vater am liebsten an die Kehle gesprungen, als sie plaudernd zur Tür hereinkamen. Wie eine ertappte Sünderin erhob sich die Mutter und strich sich das braune Kleid glatt.

„Sieh an, die Damen des Hauses lungern faul herum, während wir für das Abendessen gesorgt haben“, stellte John fest und spitzte die wulstigen Lippen. Seine Wangen hatten die Frische des Winters, die braunen Augen funkelten und die abstehenden Ohren glühten. Über seine rechte Schulter lagen zwei tote Kaninchen, die er an den Pfoten festhielt. An seiner Hand klebte eingetrocknetes Blut wie auch am erdfarbenen weiten Umhang. Die Gugel hing schräg auf dem Kopf, unter der sein schwarzer Haarschopf hervorlugte. Auf der hohen Stirn zeigten sich Spuren feuchter Erde. Johns Blick war stolz wie der eines Triumphators, der nicht zwei hilflose Tiere erlegt hatte, sondern bedrohliche Drachen.

„Was für ein herrlicher Tag.“ Schwungvoll entledigte sich Jodies Vater seines Bogens und legte ihn auf den Tisch. Dann fiel sein Blick auf die Schuhe und er runzelte die Stirn. „Neu?“, fragte er, während er den feuchten Umhang auszog und ihn mit Nachdruck auf die Schuhe warf. Seine gute Laune war wie fortgeblasen. „Der Größe nach zu urteilen wieder einmal für William. Schade um das gute Rindsleder und die vergeudete Zeit.“ Der Vater schnaufte einige Male tief durch, als müsste er sich zur Ruhe zwingen. „Wie viele zum Teufel willst du noch für ihn machen? William streunt wie ein Verfolgter durch die Wälder und ich bin es leid, mich seinetwegen vor jedermann rechtfertigen zu müssen.“

Die Mutter fasste sich ans Herz. „Wie sprichst du von deinem Sohn?“

„Genauso, wie es ihm gebührt.“

„Versündige dich nicht, Alan Wallace!“

„Ach, hör doch auf. Eine umfassende Bildung habe ich dem Lümmel ermöglicht, aber was tut er? Lebt seine Abscheu gegen die Engländer aus, ohne dabei an uns zu denken. Sein rücksichtsloses Handeln bringt uns alle in Gefahr.“

„Du bist so …“, die Mutter stockte und hob hilflos die Arme. „Ich bin stolz auf ihn. Auf jedes unserer Kinder. Und William tut das, was tausende Schotten machen: Er tritt für die Freiheit unseres Vaterlandes ein. Wenn du mich fragst, hat er mehr Mumm in den Knochen als manch anderer, der sich nur mit einer Ohrfeige zu helfen weiß.“

Die Zornesfalte auf der Stirn des Vaters vertiefte sich. „Pack die Schuhe weg! So lange sich William nicht besinnt, will ich ihn weder im Haus haben noch seinen Namen hören. Und jetzt sag in der Küche Bescheid. Comyn und Menteith haben ihren Besuch angekündigt. Sie werden zum Abendessen eintreffen.“

„Comyn und Menteith? Was wollen sie hier?“ Die Mutter griff zu ihrer Haube.

„Männersache.“ Schlurfenden Schrittes verließ Jodies Vater das Zimmer, der blass gewordene John folgte ihm. Nach einigem Zögern verließ auch die Mutter den Raum. Als sich die Tür schloss, war Jodie den Tränen nahe. Selbst die klägliche Scherbe, die von ihrer Familie übriggeblieben war, zerbrach vor allen Augen. Wie konnten ihre Eltern das zulassen?

Zornig warf Elizabeth den Brief auf das zerwühlte Bett. „Zum Teufel, Mutter, das kannst du nicht allen Ernstes von mir verlangen!“, wütete sie, wobei sich ihr strafender Blick auf die alte Marquise heftete, die in der Ecke des Zimmers auf ihren Einsatz wartete. „Was gafft Ihr so?“

„Habt Ihr eine schlechte Nachricht erhalten?“ Die heisere Stimme der Hofdame schürte Elizabeths Wut. Ihre geduckte Haltung, der Geruch nach Siechtum und die unnütze Frage taten ihr Übriges. Andererseits war sie die Einzige, deren Nähe sie ertrug. Die Alte zog stets dieselben Roben an, als würde sie sie bis zum bitteren Ende auftragen wollen. Dabei hieß es, dass sie vermögend sei. Aber ihr vernachlässigtes Äußeres machte sie erträglicher, wobei das schönste Kleid ohnehin nichts genützt hätte. Die verknöcherte Marquise hatte ihr Leben fast hinter sich, was man ihr deutlich ansah.

„Eure Beobachtungsgabe ist bemerkenswert, Marquise.“

Beschämt senkte sie den rattengrauen Kopf. „Verzeiht, ich wollte Euch nicht zu nahe treten.“

„Immerhin seid Ihr einsichtig.“ Elizabeth schnappte sich das Pergament und warf es in die heiße Glut im Steinkamin. Zufrieden schaute sie zu, wie sich der Brief aufrollte und an den Rändern braun verfärbte. Feiner Rauch kräuselte sich in die Höhe.

Bisher hatte sie sich über jede Nachricht ihrer Mutter gefreut, weil ihr jede Zeile Geborgenheit schenkte, von Sehnsucht und Liebe sprach. Diesmal hatte sie jedoch einen Bittbrief erhalten. Inständig flehte die Mutter sie darin an, sich die Sache mit Robert zu überlegen, da der Vater fuchsteufelswild sei. Lebhaft konnte sich Elizabeth vorstellen, was das für ihre Mutter bedeutete. Genau deswegen war sie wütend. Weil ihm die Mutter nicht die Stirn bot, obwohl sie ihr vor der Abreise das Versprechen abgenommen hatte. Vielmehr ließ sie sich wieder vom Vater vor den Karren spannen. Sicher, sie zog es vermutlich vor, ihm nach dem Mund zu reden statt sich schlagen zu lassen, aber war ihr das Glück der Tochter so egal? Etwas mehr Kampfeslust hätte ihr durchaus gut gestanden, aber ein Wort von ihm und sie knickte ein wie ein Grashalm. Dabei hatte sie versichert, ihre Pläne zu unterstützen und es hatte gutgetan, mit jemandem über die Liebe zu Robert reden zu können. Das konnte sie sich allerdings künftig sparen, weil es klar auf der Hand lag, dass der Vater jeden Brief abfangen würde. Also war sie ab jetzt auf sich allein gestellt.

Als vom Pergament nur noch graue Asche übrig war, wandte sie sich wieder der Marquise zu. „Fragt nach, ob Robert the Bruce inzwischen angekommen ist.“ Edward hatte ihr kein Sterbenswörtchen davon gesagt, dass Robert heute im Schloss erwartet wurde. Wäre die Marquise nicht gewesen, hätte sie nichts gewusst. So viel dazu, dass ihr der König seine Unterstützung zugesagt hatte. Glaubte er denn, dass sie Robert aus der Ferne erobern würde?

„Sehr wohl, Mylady.“ Die Marquise knickste, bevor sie den Raum verließ. Elizabeth stellte sich zum Frisiertisch und griff zum Zinnkrug. Den bereitgestellten Becher übersah sie geflissentlich und trank ein paar Schlucke des schweren Weins, bevor sie den Krug wieder neben die Schmuckschatulle stellte. Mit dem Handrücken wischte sie sich über den Mund und ordnete dann die Falten ihres roten Seidenkleides. Das Haar hatte ihr die Marquise kunstvoll hochgesteckt und sie trug den schweren Familienschmuck: Eine Goldkette mit Smaragden und dazu passende Ohrringe. Heute würde sie nichts dem Zufall überlassen, sondern selbst die Initiative ergreifen. Auch wenn sie in Roberts Gegenwart regelmäßig ihre übliche Courage verließ. Aber mit etwas Wein im Magen würde sie bestimmt sicherer auftreten.

Zehn Minuten später durchquerte Elizabeth mit klopfendem Herzen das Schloss. Ihr war etwas schummrig, was sicher von der Hektik kam. Von der Marquise war sie darüber informiert worden, dass Robert seit einer Stunde im Schloss war, jedoch umgehend nach Glamis Castle weiterreisen wollte. Wo er sich mit dem König aufhielt, wusste die Marquise allerdings nicht zu sagen. Wie ärgerlich! Das Schloss war so weitläufig, dass sie auf ihr Glück setzen musste.

Das Seidenkleid raschelte über den Boden, als Elizabeth am Robing Room vorbeiging. Daneben befand sich die Royal Gallery, in der sich einige Würdenträger aufhielten. Hastig nickte sie ihnen zu und eilte weiter. Auch in den nächsten Räumlichkeiten fehlte von den beiden jede Spur, aber als sie sich dem Prince’s Chamber näherte, hörte sie Roberts wohlklingende Stimme. Ihr Puls raste förmlich als sie anklopfte, und ohne eine Antwort abzuwarten betrat sie das Vorzimmer. Eine Holzvertäfelung schmückte die Wände, ließ den Raum aber auf erdrückende Weise kleiner wirken. Ein wuchtiger Dunkelholztisch stand in der Mitte, sechs Stühle mit Brokatbezug reihten sich um ihn. An den Mauern hingen riesige Gemälde. Die meisten zeigten Edward mit seinem Schwert. Er ließ sich gern gemäß der Artussage malen.

„Elizabeth, Euer Besuch ist ungünstig.“ Edward lehnte vor dem raumhohen Fenster und zog die Nase kraus, doch sie blickte sofort zu Robert, der sich ihr zuwandte und sich schließlich erhob.

„Das ist mir durchaus bewusst, mein König“, erwiderte sie und trat auf Robert zu, den der Geruch frischer Winterluft umwehte. „Dennoch wollte ich es mir nicht nehmen lassen, Robert the Bruce persönlich zu begrüßen.“

Als Robert ihre entgegengestreckte Hand ergriff und küsste, brannte die Stelle auf der Haut wie Feuer. Nie zuvor hatte sie solche Empfindungen gehabt. Wie erstarrt schaute sie ihn an, als er sich wieder aufgerichtet hatte und ihre Hand losließ. Als wäre sie willenlos, verlor sie sich in seinen unergründlichen Bernsteinaugen. Das dunkelblonde Haar fiel ihm in die Stirn und reichte bis zu den Schultern. Ein gepflegter Vollbart zierte sein jungenhaftes Gesicht, in dem sich markante Züge andeuteten. Die Natur hatte die Zeit seiner Abwesenheit auf verschwenderische Weise genutzt und ihn noch attraktiver gemacht.

„Ihr starrt mich an wie einen Geist, Teuerste.“

Elizabeth riss sich zusammen. „Entschuldigt, ich war in Gedanken.“

„Worüber zerbrecht Ihr Euch den hübschen Kopf?“

Er fand sie hübsch! Ein guter Anfang, obwohl ihr das Wort schön besser gefallen hätte. Aber immerhin, es war ein Anfang. „Über Englands politische Lage und Schottlands Rolle darin“, schnitt sie auf.

Ein Schmunzeln lag um Roberts Lippen. „Ihr interessiert Euch für Politik?“

Sie nickte. „Mir ist bewusst, dass das eigentlich den Männern vorbehalten ist, aber ich finde solche Dinge spannender als dass ich wie andere Frauen über Schmuck oder die neueste Mode debattieren möchte.“

„Tatsächlich?“ Der spöttische Klang in seiner Stimme irritierte sie.

„Ihr dürft Euch gerne selbst ein Bild über mich machen. Ich hätte Zeit.“

„Eine Meinung über Euch habe ich mir schon gebildet, Lady Elizabeth. Wir sind uns ja häufig genug über den Weg gelaufen.“ Nun lachte Robert leise auf. „Fast scheint es, als würdet Ihr meine Gegenwart suchen.“

„Und wenn es so wäre?“ Den lasziven Blick hatte sie tausendmal vor dem Spiegel geübt. Robert zog einen Stuhl unter dem Tisch heraus und bedeutete ihr, sich zu setzen. Erfreut folgte Elizabeth seiner Aufforderung, wobei sie kurz auf das Dokument und das Tintenfass auf dem Tisch blickte. „Ihr seid sehr aufmerksam und überaus charmant.“

„Eine Tugend, die viele Frauen an mir schätzen“, lobte sich Robert selbst, was Edward mit einem genervten Stöhnen quittierte und in Elizabeth die Eifersucht schürte.

„Können wir fortfahren?“, gab der König übellaunig von sich. „Ich habe nicht ewig Zeit.“

Robert deutete auf Elizabeth. „In Gegenwart einer Dame wäre es äußerst unhöflich, über Geschäfte zu sprechen.“

„Ihr habt Elizabeth gehört. Sie hat eine Schwäche für Männerdomänen.“ Edward warf ihr einen höhnischen Blick zu. „Außerdem schadet es nicht, wenn ich eine Zeugin habe. Ihr seid ziemlich wankelmütig.“ Edward verließ seinen Platz und beugte sich wenige Augenblicke später über den Tisch, um Robert das Dokument zuzuschieben.

„Ich habe den Treueschwur bereits dreimal geleistet“, belehrte Robert ihn mit hochgezogenen Brauen. „Ein viertes Mal die Ragman Roll zu unterschreiben finde ich reichlich übertrieben.“

„Ihr habt den Schwur dreimal gebrochen. Das finde ich reichlich übertrieben. Eigentlich müsste ich Euch in den Tower werfen lassen.“ Edward klopfte mit dem Zeigefinger einige Male auf das Dokument. „Ein viertes Mal werde ich nicht dulden. Hütet Euch also, erneut die Seiten zu wechseln und Schottlands Aufstände zu unterstützen.“

Elizabeth unterdrückte ein Gähnen.

„Würdet Ihr nicht dasselbe für Euer Vaterland tun?“

„Natürlich.“ Edward schob das Tintenfass näher zu Robert und sah ihm dabei eindringlich in die Augen. „Ich würde es tun. Ihr hingegen hüpft von einer Seite zur anderen. Je nachdem, welcher Ihr die größere Chance auf den Sieg einräumt. In England nennt man das Feigheit.“

 

„Ein Wort, das wir Schotten nicht einmal buchstabieren können.“ Robert grinste.

„Weil die meisten ungebildet sind - oder vergessen, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Auch Ihr schmückt Euch gern mit Attributen, die bei genauem Hinsehen verdunsten. Noch habe ich allerdings die Geduld, Euch für meine Sache gewinnen zu wollen. Aber treibt es nicht zu weit!“

„Dann sagt mir, worum es wirklich geht.“ Roberts Belustigung verschwand. „Balliol zeigt zum ersten Mal Widerstand gegen England und versammelt Mitstreiter um sich. Früher oder später braucht Ihr einen neuen König. Comyn wird es nicht sein, soviel steht fest. Also bleibe nur ich.“

„Die Schotten hassen Euch so sehr, dass sie sogar den Krönungsstein zerhacken würden, ehe man Euch dort zum König ernennt. Dabei ist der ´Stone of Sconeˋ das Heiligtum jedes Schotten.“

„Die Abneigung gegen mich habe ich zum größten Teil Euch zu verdanken.“

„Um keine Ausrede verlegen, was? Aber ich habe Euch nie zur Unterschrift gezwungen. Auch jetzt könnt Ihr frei entscheiden, ob Ihr mir die Treue schwört.“

„Sicher.“ Robert lachte zynisch auf. „Wie viele Soldaten stehen vor den Toren des Palace of Westminster mit dem Befehl mich festzuhalten, sollte ich nicht unterschreiben? Zwanzig? Fünfzig?“

Edwards Gesicht glättete sich. „Ein Mann reicht vollkommen aus. Bei einem talentlosen Kämpfer wie Ihr einer seid, wollte ich es nicht übertreiben.“

„Eine Unterhaltung mit Euch ist immer wieder erfrischend, Sire. Doch wir wissen beide, dass ich auf dem Kampffeld nicht der Schlechteste bin.“

„Mag sein“, räumte Edward zähneknirschend ein, bevor er sich zu einem Lächeln durchrang. „Ich danke Euch übrigens für die Information über Balliol. Ich hatte keine Ahnung, dass er einen Aufstand anzetteln will. Nun kann ich mich darauf vorbereiten und werde natürlich im Bedarfsfall durchsickern lassen, wer mir den entscheidenden Hinweis gegeben hat. Und jetzt unterschreibt, damit ich mich wichtigeren Dingen widmen kann. Außerdem möchte ich Euch und Elizabeth etwas Zeit gönnen.“

„Wozu?“, wollte Robert mit säuerlicher Miene wissen.

„Man kommt sich schnell näher in diesem intimen Raum.“

„Ich bin verlobt und ein Ehrenmann, obwohl ich Euer Bemühen zu schätzen weiß, Sire.“

„Als ob Eure Verlobung ein Hindernis wäre“, belustigte sich Edward. „Ihr seid Lady Isabella genauso wenig treu wie Euren sonstigen Versprechen.“

Robert griff zur Feder und tauchte sie ins Tintenfass. Zügig setzte er seine Unterschrift unter die Roll, legte die Feder ab und verbeugte sich vor Elizabeth. „Wisst Ihr, was mich am wenigsten reizt?“, fragte er dann an den König gewandt.

„Ihr werdet es mir sicher gleich sagen.“

„Wenn man mir etwas anpreist wie billige Ware. Egal in welcher Hinsicht. Und nun entschuldigt mich. Die Dämmerung bricht bereits herein und ich habe eine weite Heimreise vor mir.“ Kaum ausgesprochen, war Elizabeth mit dem König allein.

„Meinen Glückwunsch! Ihr versteht es, Robert für mich zu begeistern“, fuhr sie auf.

In aller Seelenruhe nahm Edward die Papiere an sich. „Erstens solltet Ihr Euch nicht im Ton vergreifen und zweitens: Fragt Euch selbst, weshalb er Euch verschmäht. Bruce ist bekannt dafür, dass er jede Frau begattet, die ihm in den Schoß fällt. Die Sache mit der billigen Ware ist ein Seitenhieb in Eure Richtung gewesen. Fakt ist, dass Ihr scheinbar keine Beute seid, die er jagen will. Vielleicht, weil er Euch nicht jagen muss. Darum rate ich Euch dringend, Eure Zuneigung nicht so offen zur Schau zu tragen - und in Zukunft solltet Ihr nüchtern sein.“

„Ich bin nüchtern, Sire.“

„Sicher.“ Sein Blick konnte alles und nichts bedeuten. „Traut Euch nie wieder, mir in diesem Zustand gegenüberzutreten! Bruce habt Ihr damit vermutlich erst recht vergrault.“

„Mit mir hat sein Aufbruch wenig zu tun“, gab sich Elizabeth selbstsicherer als sie war. „Ihr wolltet ein Stelldichein arrangieren und das auf so offenkundige Weise, dass sich jeder überrumpelt gefühlt hätte.

Edwards Zornesfalte vertiefte sich. „Dass ich mich Eurem Vater freundschaftlich verbunden fühle, mag Euch Narrenfreiheit geben. Aber sie hat Grenzen. Also mäßigt Euch gefälligst und zwar in jeder Beziehung, sonst sind Eure Tage an meinem Hof gezählt. Denn ich brauche Euch nicht. Es werden sich genügend andere Frauen finden, die meine Pläne unterstützen. Und ich bin mir sicher, der einen oder anderen wird es eher gelingen, Robert für sich zu begeistern.“

Seine Worte waren verletzend und am liebsten wäre sie ihm ins Gesicht gesprungen. Doch das wäre fatal gewesen. Den König gegen sich zu haben war gleichbedeutend mit dem Ende ihrer Zukunftsvisionen. „Verzeiht meinen Ton und meinen Zustand, Sire. Ich war so aufgeregt und habe mir einen halben Becher Wein gegönnt. Leider vertrage ich nicht viel und merke jetzt selbst, dass ich tatsächlich nicht ganz bei mir bin. Aber erlaubt mir eine Feststellung: Um einen Mann zu erobern, braucht es Gelegenheiten. Wie soll ich Robert für mich gewinnen, wenn er nie da ist? Davon abgesehen habt Ihr mir nicht einmal gesagt, dass er heute kommt.“

„Nun“, die Zornesfalte glättete sich, „in dieser Hinsicht gebe ich Euch sogar recht. Deswegen werdet Ihr in nächster Zeit unter einem Vorwand nach Glamis geschickt. Dort habt Ihr reichlich Zeit, Robert von Euch zu überzeugen. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass er angeblich Ende des nächsten Jahres heiraten will. Insofern erwarte ich vollen Einsatz von Euch, wenn Ihr versteht, was ich meine.“

„Natürlich, Sire“, antwortete Elizabeth lächelnd. „Wann soll ich abreisen?“

„Bald.“

Elizabeth stöhnte innerlich auf. „Warum nicht sofort?“

„Weil sich Euer Vater angekündigt hat. Er bat mich um eine Unterredung, bei der Ihr dabei sein sollt. Sobald das getan ist, könnt Ihr nach Glamis reisen.“

„Und das ist wichtiger als der schottische Thron?“ Wie sehr sie ihren Vater hasste, weil er immer wieder in ihr Leben pfuschte.

„Akzeptiert Ihr meinen Wunsch etwa nicht?“ Da war sie wieder, die Zornesfalte.

„Selbstverständlich ist mir Euer Wunsch Befehl“, beeilte sie sich zu versichern. Wie sie dieses Kuschen hasste, und Däumchen drehen bis zu ihrer Abreise überstieg schon jetzt ihre Geduld. Jemand musste sie zwischenzeitlich über Roberts Leben auf dem Laufenden halten und ihr fiel auch schon der geeignete Komplize dafür ein …