Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis

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Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis
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Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis

Sammelband - zwei Teile in einem Buch

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

1. Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Epilog

2. Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Epilog

Anmerkungen der Autorin

Impressum neobooks

Vorwort

© Bettina Reiter

Lektorat: Edwin Sametz

Titelbilder: Fotolia:

© Andrey Kiselev/Fotolia.com, © kharchenkoirina/Fotolia.com

Titelbildgestaltung: © Bettina Reiter

Innenseiten Grafikbilder: Pixabay: susannp4, rebeccaread

Website der Autorin: www.bettinareiter.at

Alle Rechte liegen bei der Autorin.

Sämtliche Texte sowie das Cover sind urheberrechtlich geschützt.

Eine Nutzung in jeglicher Form (Fotokopie, Mikrofilm, Verbreitung, Textauszug, Vervielfältigung oder anderes)

ist ohne die schriftliche Genehmigung des Rechteinhabers/Urhebers nicht zulässig und daher strafbar!

1. Teil

Denn ich darf dich nicht lieben


Le cœur ne choisit pas celui, qu’il aime

Das Herz sucht sich nicht aus, wen es liebt.

Worte sind wild, frei, unverantwortlich

und nicht zu lehren. Natürlich kann man sie einfangen, einsortieren und

sie in alphabetischer Reihenfolge in Wörterbücher stecken.

Aber dort leben sie nicht.

Virginia Woolf

1. Kapitel


Paris, 1739

Der Schnee knirschte unter Henriettes Schuhen, als sie durch das Labyrinth schlenderte. Von ihren Brüdern war weit und breit nichts zu sehen, die sie herbegleitet hatten. Eigentlich hatte ihnen Großtante Françoise verboten, im königlichen Park herumzustreunen. Früher setzte es dafür sogar eine Tracht Prügel, doch das war zumindest Luc und ihr den Spaß wert gewesen, denn die Ohrfeigen hatten längst nicht so wehgetan wie das ständige Stillsitzen. Nicht einmal laut reden durften sie, geschweige denn lachen. Henriette seufzte. Sie war froh über den Umzug ins ´Palais Bourbonˋ, das voraussichtlich Mitte des nächsten Jahres fertig sein würde. Ihre Großmutter Lotti ließ es erbauen. Dort würde das Leben hoffentlich nicht mehr so vielen Regeln unterliegen wie hier auf Versailles.

Hinter einem Busch bewegte sich etwas. Im selben Augenblick rutschte Schnee von den Ästen. „Seid ihr das, Luc und Louis?“, fragte Henriette.

„Da bist du ja“, hörte sie ihren älteren Bruder Luc. Sekunden später standen beide vor ihr. „Wir haben dich schon überall gesucht. Es wird bald dunkel und wir sollten schleunigst zusehen, dass wir ins Schloss kommen, bevor man uns vermisst.“

„Was sicher längst geschehen ist“, murrte Louis, der korpulenter war als Luc. Sein Kopf war einbandagiert, wodurch von den schwarzen Haaren kaum etwas zu sehen war. Vor einigen Tagen war er vom Pferd gefallen. Dabei hatte er sich nicht nur am Kopf verletzt, sondern auch einen Teil seines Eckzahnes verloren. „Ich habe dir gleich gesagt, dass es Stunden dauern wird, bis wir Henriette finden.“

„Nun übertreib mal nicht“, verteidigte Luc seine Schwester und fuhr sich durch das braune schulterlange Haar. „Oder hätten wir sie ihrem Schicksal überlassen sollen?“

„Du tust gerade so, als wüsste sich die Kleine nicht zu helfen.“ Louis zog sich die dunkle Jacke enger um die Brust. Seine Wangen waren gerötet. „Euretwegen riskiere ich wieder Großmutter Lottis Unmut. Von Françoise ganz zu schweigen.“

„Wovor hast du Angst?“, erkundigte sich Luc mit leisem Spott, der seinen Bruder um einen Kopf überragte. Er war zwanzig Jahre alt und seine ehemals schmächtige Statur war um einiges männlicher geworden, seitdem er Unterricht im Schwertkampf bekam. „Man muss sich nicht alles gefallen lassen, Louis.“

„Wenn man etwas erreichen möchte, sollte man aber im richtigen Moment die Klappe halten. Vielleicht beherzigst du das in Zukunft.“ Louis stapfte los. Henriette und Luc folgten ihm. „Unser Großonkel war Regent von Frankreich. Davon profitieren auch wir. Außerdem kennt ihr Mutters Pläne. Ich soll Diana heiraten, aber Großtante Françoise hat mehr als einmal damit gedroht, dass ich das vergessen kann, wenn ich weiterhin bei ihr in Ungnade falle. Dabei wäre das Einheiraten in das mächtige Haus Orléans ein Segen für unsere Familie.“

„Du hast wohl nur deine Karriere im Kopf“, schimpfte Luc mit seinem achtzehnjährigen Bruder. „Davon abgesehen hat dich keiner von uns dazu gezwungen, mitzukommen.“

„Auch ich brauche dann und wann frische Luft.“

Henriette und Luc schauten sich grinsend an. Louis und seine Wut. Das kam häufig vor und meistens bekamen sie alles ab. Vor allem Luc. Es verging kein Tag, an dem sich die beiden nicht stritten. Doch das war kein Wunder. Henriettes Brüder waren so verschieden wie Tag und Nacht.

„Wieso sind dir Macht und Ansehen eigentlich so wichtig?“, ergründete Luc.

„Weil ich es im Leben weiter bringen will als du.“

„Aha.“

„Aha“, äffte Louis ihn nach. „Von euch lasse ich mir nichts kaputt machen. Deswegen war es heute das letzte Mal, dass ich mit euch gegangen bin. Fragt mich nie wieder, verstanden?“ Er sprach in einem Ton mit ihnen, als hätten sie ihn tatsächlich gegen seinen Willen zum Labyrinth mitgeschliffen.

„Langsam regst du mich auf, Louis. Du musst endlich lernen, zu den Dingen zu stehen, die du machst. Anderen dafür die Schuld zu geben ist unfair. Ansonsten lass lieber die Finger davon.“

„Luc hat recht“, sagte Henriette und schloss die obersten Knöpfe ihres Mantels. Erst jetzt spürte sie die Kälte. Ihre Hände und Füße fühlten sich taub an. Über ihnen verdunkelte sich der Himmel. Vereinzelt wirbelten Schneeflocken auf sie herab.

„Das musste ja jetzt kommen.“ Louis beschleunigte seine Schritte. „Ihr beide seid sowieso immer einer Meinung.“

„Was dir zu denken geben sollte“, konterte Luc. „Jedenfalls müssen wir nicht zu Intrigen greifen, um uns vor anderen zu profilieren.“

„Jeder muss sehen, wo er bleibt. Meine Zukunft ist mir eben wichtig.“

„Du bist jünger als ich“, wurde Luc ungehalten. „Also mäßige deinen Ton!“

„Vor dir habe ich keinen Respekt“, zeigte sich Louis ungerührt.

Henriette konnte mit ihrem jüngeren Bruder kaum Schritt halten, was Luc sicher leichter fiel. Doch er blieb wie üblich an ihrer Seite. Was war sie froh, wenigstens einen Bruder zu haben, auf den Verlass war. Der sie nicht auslachte, wenn sie sich wehtat. Oder verriet, wenn es zum eigenen Nutzen war. Natürlich, sie mochte Louis, aber er war kalt, engstirnig und ziemlich schroff. Luc hingegen war voller Wärme und wann immer sie ein Problem hatte, konnte sie damit zu ihm kommen. Er hörte ihr geduldig zu, tröstete sie oder nahm sie einfach in die Arme. Deshalb war er nicht nur ihr Bruder, sondern auch ihr allerbester Freund.

 

„Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?“ Wie aus dem Nichts stand plötzlich Großmutter Lotti vor ihnen, stemmte die Hände in die Hüften und zog die rechte Augenbraue hoch. Eine Geste, die niemand besser beherrschte.

Alle drei waren abrupt stehengeblieben. Louis mit gesenktem Kopf.

„Tut mir leid, Großmutter“, erwiderte er mit weinerlichem Ton und zeigte mit dem Daumen hinter sich. „Die zwei sind schuld. Sie haben auf mich eingeredet, bis ich mit ihnen hergekommen bin. Du kennst ja Luc. Außerdem hat er mir Schläge angedroht.“

„Hör auf zu lügen, Louis!“, ergriff Henriette Partei für Luc.

„Lüge hin oder her, ihr dürftet gar nicht hier sein!“ Lottis strafender Blick wechselte zwischen Henriette und Luc hin und her. Gleichzeitig zog sie Louis zu sich. Ihr erklärter Liebling, der auch noch schadenfroh grinste! Aber wie üblich entging der Großmutter diese Gehässigkeit oder sie übersah sie geflissentlich. „Ihr beiden macht mich langsam wahnsinnig“, polterte sie los und war so laut, dass man sie bestimmt bis zum Schloss hören konnte. „Meine Schwester hat genaue Anweisungen gegeben und ich finde es äußerst undankbar von euch, dass ihr dem nicht Folge leistet. Immerhin dürfen wir auf Versailles wohnen.“

„Das ist nicht Françoises Verdienst“, entgegnete Luc gleichbleibend freundlich. „Auch du bist eine legitimierte Tochter des verstorbenen Königs und hast genauso viele Rechte wie sie, hier zu sein, was uns miteinschließt. Bloß, weil dein Schwager ein paar Jahre Frankreich regiert hat, lasse ich mir von Françoise noch lange nichts sagen. Sie ist weder Königin noch bekleidet sie sonst ein hohes Amt. Deshalb gibt es nur einen, der mir etwas verbieten oder erlauben kann und das ist mein Cousin Ludwig.“

„Mit König Ludwig hast du so wenig zu tun wie …“ Lotti unterbrach sich. „Außerdem: Wie sprichst du eigentlich mit mir?“

„Ja, wie sprichst du mit unserer Großmutter?“, mischte sich Louis ein und erntete dafür Lottis wohlwollendes Lächeln. Manchmal war er an Falschheit nicht zu überbieten!

„Luc hat nur die Wahrheit gesagt.“ Henriette ergriff Lucs Hand. Lottis Gesicht verfinsterte sich. „Im Übrigen magst du deine Schwester Françoise genauso wenig wie wir, Großmutter.“ Eigentlich war das harmlos ausgedrückt. Zwischen den beiden Töchtern des Sonnenkönigs und seiner Mätresse Madame de Montespan herrschte regelrecht Krieg. „Das hast du oft genug betont. Wieso stellst du dich plötzlich vor sie?“

„Weil ich mich Louis zuliebe zusammenreiße und wenn das heißt, dass ich mich nach ihren Wünschen richten muss, beiße ich eben in den sauren Apfel. Soll Françoise meinetwegen glauben, die Oberhand zu haben. Immerhin ist die Hochzeit mit Diana eine große Chance für deinen Bruder und spült ordentlich Geld in die Familienkasse. Bis alles über die Bühne ist, werde ich also gute Miene zum bösen Spiel machen. Dasselbe erwarte ich von euch.“ Die Großmutter trat vor Luc und Henriette. Mit einer groben Bewegung trennte sie ihre Hände. „Müsst ihr euch eigentlich bei jeder Gelegenheit an den Händen halten? Ihr seid doch keine kleinen Kinder mehr. Vor allem du nicht, Luc.“

Seine Augen funkelten zornig. „Henriette ist meine Schwester und ich …“

„Schweig!“ Sie runzelte die Stirn. „Du wirst immer rebellischer und das gefällt mir gar nicht, denn es hat Einfluss auf deine … auf Henriette und Louis. Ich will nicht, dass du die beiden verdirbst.“

Verletzt schaute Luc zu ihr auf. „Verderben? Was mache ich denn?“

„Das ist mir zu blöd. Ich gehe ins Schloss“, ließ Louis verlauten und eilte los.

„Louis hat recht. Lasst uns ins Schloss gehen, mir ist ohnehin kalt.“ Die Großmutter zog sich das Tuch enger um die schmalen Schultern.

„Warum tust du das?“, fragte Luc leise.

„Was denn?“ Die Großmutter wandte sich zum Gehen.

„Mich behandeln, als würde ich nicht zur Familie gehören. Schon Vater hat mich kaum eines Blickes gewürdigt. Mutter scheint die Einzige zu sein, die mich aufrichtig liebt.“

„Nun, das nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit. Sie kümmert sich mehr um dich und ich mache dasselbe mit Henriette und Louis.“

„Du weißt genau, dass Mutter keinen von uns bevorzugt. Das hat sie nie getan. Im Gegensatz zu dir und Vater. Hat das einen Grund, Großmutter? Oder magst du mich einfach nicht?“

Ihre Stirnfalten glätteten sich. Für einen kurzen Moment wirkte sie, als hätte sie Mitleid. Doch dann straffte sie die Schultern und schob Henriette an, als wäre sie eine Kuh, die man gewaltsam auf die Weide treiben müsste. „Es ist Zeit für das Abendessen und du, junger Mann, hörst auf so daherzureden. Dir geht es gut. Sehr gut sogar. Glaub mir, du hättest es tausendmal schlechter erwischen können.“

Als Henriette Stunden später im Bett lag, musste sie immer wieder an die harten Worte der Großmutter denken. Ihr Umgang mit Luc war alles andere als nett. Ständig nörgelte sie an ihm herum, von ihrer Kälte ganz zu schweigen. Umso mehr litt Henriette mit Luc. Zwar wirkte er nach außen hin gelassen, aber sie wusste, dass ihm die Situation zusetzte.

Einem inneren Impuls folgend verließ sie ihr Bett und tapste in den Gang hinaus, der im Dunkeln lag. Lucs Zimmer befand sich direkt neben ihrem. Leise drückte sie die Klinke herunter und schlich sich in sein Zimmer, in dem das übliche Chaos herrschte. Überall lagen seine Sachen herum, sogar auf dem Boden. Eine Kerze brannte auf dem Nachttisch.

„Henriette, was tust du denn hier?“ Luc richtete sich auf, während sie ans Bett trat. Wie es aussah, hatte auch er kein Auge zugetan. „Es muss weit nach Mitternacht sein.“

„Keine Ahnung, wie spät es ist. Ich wollte nach dir sehen, weil ich mir Sorgen mache.“

Er rückte zur Seite. „Das ist unnötig. Ich bin Großmutters Schikanen längst gewöhnt.“

Henriette setzte sich auf die Bettkante. „Dass du sofort darauf zu sprechen kommst, zeigt mir, dass es dich sehr wohl beschäftigt.“

Luc grinste. „Du kennst mich gut, Schwesterherz. Manchmal ist das beinahe unheimlich.“

Sie lachte leise. „Wir sind eben Geschwister“, erwiderte sie und wurde ernst. „Ich fühle, wenn es dir nicht gutgeht. Darf ich mich zu dir legen?“

„Natürlich.“

Wenige Augenblicke später streckte sie sich neben ihm aus und seufzte, weil er den Arm um sie legte und an sich zog. In seiner Nähe fühlte sie sich unendlich geborgen. Schon als kleines Mädchen war sie oft in sein Zimmer gekommen. Vor allem wenn sie von Albträumen geplagt wurde. Niemandem gelang es besser, sie zu trösten. „Manchmal vermisse ich unseren Vater. Aber wenigstens habe ich dich, Luc.“

„Nun ja, als Vater fühle ich mich zu jung.“

„Du weißt, wie ich das meine. Wie war Vater denn so?“

„Habe ich dir das nicht schon oft genug erzählt?“, reagierte er beinahe vorwurfsvoll.

„Wenn du über ihn sprichst, habe ich wenigstens das Gefühl, dass er existent war. Im Gegensatz zu dir durfte ich ihn nie kennenlernen und mir ein eigenes Bild über ihn machen.“

„Du hast nicht viel versäumt.“ Wie hart er klang! Zutiefst verletzt.

„Aber alles kann doch nicht schlecht gewesen sein.“

„Für mich schon“, fuhr Luc fort.

„Und wie war er Mutter gegenüber? Glaubst du, dass sie sich geliebt haben?“ Schon einige Male hatte sie die Mutter danach gefragt, doch sie war ihr immer ausgewichen. Als würde auch sie die Zeit am liebsten totschweigen.

Luc lächelte. „Sieh an, du interessierst dich für die Liebe und das in deinem Alter.“

„Ich bin schon sechzehn“, verteidigte sich Henriette und gähnte. „Aber weißt du, was mich wirklich froh macht?“ Sie wandte ihm den Kopf zu.

„Nein.“

„Dass ich dich habe.“

Luc küsste sie liebevoll auf die Stirn. „Ich bin auch froh, dass du meine Schwester bist. Was würde ich bloß ohne dich tun, du kleine Nervensäge?“

Sie lächelte. „Tja, irgendwann werden sich unsere Wege trennen.“ Ein bitterer Geschmack lag auf ihrer Zunge, als sie weitersprach: „Spätestens dann, wenn ich heiraten muss.“

„Hat Mutter dahingehend bereits etwas angedeutet?“ Er klang genauso wenig begeistert wie sie sich fühlte.

„Sie erwähnte kürzlich den Herzog von Penthiévre.“ Der Gedanke an diesen Mann behagte ihr ganz und gar nicht. „Aber ich kenne ihn überhaupt nicht.“

Luc drückte sie enger an sich. „Da ist das letzte Wort sicher nicht gesprochen. Ich hoffe jedenfalls, dass dir Mutter einen Mann sucht, der dich glücklich macht. Bisher hat sie immer auf unser Wohl geschaut. Das wird sich bestimmt nicht ändern. Also Kopf hoch, das wird schon.“

„Wieso gibt es dich nicht als Bruder und als Mann?“, scherzte Henriette, doch plötzlich hatte sie Tränen in den Augen und konnte nichts dagegen tun. „Du weißt so gut wie ich, dass Ehen in dieser Familie wie Geschäfte geschlossen werden, die möglichst gewinnbringend sein müssen. Louis und Diana sind das beste Beispiel dafür. Mir wird es nicht anders ergehen.“

„Du solltest Mutter in dieser Sache vertrauen“, beruhigte Luc sie. „Und mir. Ich schwöre dir hiermit, dass ich deinen Zukünftigen auf Herz und Nieren prüfen werde.“

„Gefallen sollte er mir aber auch und er muss nett sein. Zuvorkommend, aufrichtig, vor allem treu. Unternehmungslustig, fröhlich, humorvoll …“

Luc lächelte, was jedoch aufgesetzt wirkte. „Wunderbar! Da habe ich wohl den Mund zu voll genommen. So ein Mann muss erst gebacken werden … oder du musst ihn dir schöntrinken. Vielleicht mit Whiskey?“

Sie lachte leise. „Du erinnerst dich noch daran?“ Mit elf Jahren hatte sie davon gekostet und sich nur langsam von dem Hustenanfall erholt, was Luc damals amüsiert zur Kenntnis genommen hatte.

„Natürlich, diesen Anblick werde ich nie vergessen.“ Endlich sah er etwas gelöster aus. „Du hast förmlich mit dem Tod gerungen.“ Ihr gemeinsames Lachen verklang im Raum, dann kuschelte sich Henriette an ihren Bruder und schlief ein.

Luc saß nahe beim Fenster auf der Chaiselongue und beobachtete die Mutter, wie sie mit Henriette und ihrer Bediensteten Benedikta die Kuchentafel deckte. Die fünfunddreißigjährige Dienstbotin hatte moosgrüne Augen, war ziemlich dürr, wirkte stets eingeschüchtert und hatte ihr brünettes Haar wie üblich unter einer weißen Haube versteckt. Benedikta fiel jedoch nicht nur durch Fleiß auf, sondern hatte eine Schwäche für schöne Kleider, was sich auch jetzt bemerkbar machte. Ständig schielte sie auf die Robe seiner Schwester. Von Henriette wusste er, dass Benedikta regelrecht für den Schneider Laffay schwärmte. Er war der beste in ganz Paris.

„Ist dieser Tag nicht großartig?“, freute sich Lucs Mutter.

Heute war der siebzehnte Dezember – sein Geburtstag. Wie üblich machte sie ein Aufheben darum, obwohl er am liebsten seine Ruhe gehabt hätte, denn an Geburtstagen lag ihm nicht viel. Andererseits hätte es die Mutter verletzt, wenn er nicht wenigstens so getan hätte als ob. Die Jubelfeste ihrer Kinder waren für sie seit jeher immer wichtig gewesen und insgeheim musste er zugeben, dass es gut tat, sich im selben Maße geliebt zu fühlen wie die anderen. Insofern war die Mutter neben Henriette der wichtigste Mensch in seinem Leben.

„Ich freue mich schon auf den Apfelkuchen“, ließ Henriette verlauten und legte die Gabeln neben die Teller. Luc grinste, weil sie aussah, als würde sie sich am liebsten sofort auf den Kuchen stürzen. Henriette hatte eine große Schwäche für Süßes, besonders wenn sie aufgeregt war.

Als hätte sie seinen Blick gespürt, blickte sie hoch und lächelte. In ihrem blauen Damast–Kleid sah sie hinreißend aus. Ihr langes schwarzes Lockenhaar hatte sie heute gezopft und mit Silberspangen kreisförmig am Hinterkopf befestigt. Sie war der Mutter sehr ähnlich, die früher eine Schönheit gewesen war, bis sie die Pocken bekommen hatte. Seitdem war sie durch Narben entstellt. Im Gesicht wie am Körper. Auf einem Auge war die Mutter sogar blind, weswegen sie auch nicht mehr stickte, obwohl sie das immer gerne getan hatte. Doch das war längst nicht alles, worauf sie verzichtete. Sie, die einst auf keinem Ball fehlte, hatte sich ganz und gar von der höfischen Bühne zurückgezogen. Nur am Maskenball in Versailles nahm sie teil und notgedrungen am jährlichen Sommerball auf Schloss Ussé, den die Großmutter zu geben pflegte.

 

„Wieso starrst du deine Schwester so an, Luc?“, erkundigte sich Großmutter Lotti spitz, die sich an den Tisch setzte. Luc fühlte sich ertappt.

„Lass ihn doch.“ Seine Mutter schnitt den Kuchen in kleine Stücke.

„Deine Gelassenheit möchte ich haben“, erwiderte die Großmutter mit gerümpfter Nase.

Ein mahnender Blick der Mutter traf sie, doch Lotti zuckte mit den Schultern und schob den Teller zurück, als wäre ihr der Hunger vergangen.

Es machte Luc traurig, dass die Großmutter so kalt zu ihm war. Jahrelang hatte er versucht, das zu ändern und ihr näherzukommen. Erfolglos. Als wäre er das ungeliebte schwarze Schaf der Familie. Für Lotti war er das vermutlich auch.

„Glaubt ihr, dass Ludwig kommt?“, fragte Henriette und setzte sich neben die Großmutter.

„Er ist ein guter Freund von Luc und hat in den letzten Jahren keinen seiner Geburtstage versäumt“, ließ die Mutter verlauten. „Diesmal wird es nicht anders sein.“

„Schön, dass sich die beiden so gut verstehen“, kam es sauertöpfisch von Louis, der mit verschränkten Armen vor den großen Rundbogenfenstern stand und in die Winterlandschaft hinausstarrte. Tauwetter hatte eingesetzt. „Mir hat unser Cousin noch nie gratuliert.“

„Mach dir nichts daraus“, tröstete die Großmutter ihn. „Ludwig wird schon noch merken, was er an dir hat. Immerhin engagierst du dich bereits jetzt politisch. Etwas, das Luc ja nicht im Geringsten interessiert. Er kämpft lieber mit dem Schwert.“

„Der eine glänzt in Diplomatie, der andere auf dem Schlachtfeld.“ Luc setzte sich gerade hin. „Jedem das Seine.“

„Nun ja, du hattest schon immer ein Faible für grobe Dinge.“ Der Blick seiner Großmutter war nicht zu deuten. „Louis hingegen ist feinfühlig und sprachgewandt, pflegt Freundschaften zu vielen Künstlern unseres Landes und ist unter den Prinzen bereits jetzt äußerst angesehen. Es ist erstaunlich, wie viel er von seinem Vater hat.“

„Was auch für Luc gilt, und ein wenig haben meine Söhne auch von mir“, warf die Mutter ein und zog mit gespanntem Lächeln ein kleines Holzkästchen aus der Seitentasche ihres Kleides. Der grimmige Blick der Großmutter folgte ihr, als sie auf Luc zuging, der sich erhob. „Das ist für dich, mein Junge.“

„Was ist das?“

„Öffne es, dann wirst du es sehen.“

Er nahm die Schatulle und hob den Deckel an. Henriette trat an seine Seite und stieg nervös von einem Fuß auf den anderen. „Das ist“, stammelte er dann, „Vaters Siegelring.“ Ehrfürchtig nahm er ihn heraus und drehte ihn nach allen Seiten. Das Gold glänzte und der dunkelblaue Stein mit dem Familienwappen schimmerte regelrecht. Stolz erfüllte ihn, obwohl er ahnte, dass der Vater ihm den Ring vermutlich nur zähneknirschend überreicht hätte. Doch unzählige Ahnen hatten ihn getragen. Dieses Wissen war es, das ihm sehr nahe ging.

„Ich habe ihn auf Hochglanz poliert“, teilte Henriette lächelnd mit. „Steck ihn an.“

Die Mutter strich seiner Schwester liebevoll über die Wange. „Wie du dir sicher vorstellen kannst, hätte dir das kleine Plappermäulchen am liebsten schon vor Wochen vom Ring erzählt.“

„Schön, dass sogar unser Nesthäkchen in alles eingeweiht war“, echauffierte sich Louis, der sich keinen Schritt bewegt hatte.

„Willst du dir den Ring nicht ansehen?“, fragte Henriette.

„Wozu?“, fauchte Louis. „Ich weiß, wie er aussieht.“

Luc fing den Blick seiner Großmutter auf, die mühsam beherrscht wirkte, als er den Erbring über seinen Ringfinger streifte.

„Seit zweihundert Jahren ist er in Familienbesitz“, erklärte die Mutter. „Es ist eine uralte Tradition, dass er am einundzwanzigsten Geburtstag an den Ältesten weitergegeben wird, der ihn wiederum seinem Erstgeborenen überreicht. Hüte ihn wie deinen Augapfel.“ Sie zog Luc in ihre Arme. „Ich bin unsagbar stolz auf dich.“

„Danke, Mutter.“ Er löste sich von ihr. „Damit hast du mir eine große Freude gemacht.“

„Amen.“ Die Großmutter hievte ein Stück Kuchen auf ihren Teller. „Können wir jetzt endlich anfangen? Mir ist das zu viel Gefühlsduselei.“

Kurz danach saßen alle am Tisch. Wenig später gesellte sich auch Ludwig dazu. Luc und er hatten sich schon immer gut verstanden, was sich mit dem Älterwerden vertiefte. Der König vertraute ihm viel an, dessen Kindheit nicht einfach gewesen war. Seine Eltern und der Bruder verstarben kurz hintereinander an Masern. Da war Ludwig erst fünf Jahre alt gewesen. Zu seiner Trauer kam die Bürde der Thronfolge hinzu, die durch den Tod seiner Familie an ihn übergegangen war. Eine Situation, die seinen Cousin völlig überforderte, da er bis dahin eine liberale Erziehung genossen hatte. Zwar kümmerten sich anfangs noch die Gouvernante Madame de Ventadour und Lucs Mutter um ihn, doch mit sieben nahm ihn der Herzog von Villeroy unter seine Fittiche, um ihn auf sein Amt vorzubereiten. Ein Mann, den Ludwig regelrecht gehasst hatte. Jahre später schickte er ihn deshalb ins Exil und der damalige Bischof Fleury übernahm die Aufgaben des Herzogs. Er wurde Ludwigs engster Vertrauter und hatte enormen Einfluss auf ihn, was nicht immer gut war. Obwohl man Fleury nicht absprechen konnte, dass er für Frankreich viel Gutes getan hatte, versuchte er auch für sich selbst einen großen Nutzen aus seiner Stellung bei Hofe zu ziehen. Das hatte Luc seinem Cousin gegenüber oft kritisiert, doch für Ludwig war Fleury immer mehr zur Vaterfigur geworden. Deswegen wischte er sämtliche Bedenken beiseite. Luc musste seinem Cousin allerdings zugutehalten, dass er ihm zu keiner Zeit die offenen Worte nachgetragen hatte. Mehr noch, nach Fleurys Tod gab er zum ersten Mal zu, dass er sich tatsächlich von ihm hatte leiten lassen. Auch wegen der eigenen Unsicherheit.

„Wie geht es Karolina?“, erkundigte sich Luc, als er mit Ludwig am Abend vor dem Kamin saß. Einige Scheite knackten. Draußen war es bereits stockdunkel. Umso gemütlicher war es im Salon des großzügigen Appartements, das sie bewohnten. Es gehörte der Großmutter, die es von ihrem Vater als Geschenk erhalten hatte.

„Die Königin ist wieder schwanger.“ Ludwig sah aus, als würde er vor Stolz gleich platzen. Mit fünfzehn hatte er die um acht Jahre ältere polnische Prinzessin Maria Karolina Zofia Felicja Leszczyńska geheiratet. Jetzt als Fünfundzwanzigjähriger war er bereits achtfacher Vater, der abgöttisch an seinen Kindern hing. Besonders an den Zwillingen Anna und Marie, seinen zwei Erstgeborenen. „Allerdings ist das Verhältnis zu Karolina noch immer sehr unterkühlt.“

„Tja, auch in dieser Hinsicht hat Fleury ziemliche Macht auf dich ausgeübt.“ Luc trank einen Schluck vom Likör, den Ludwig mitgebracht hatte, und stellte das Glas auf den Tisch mit den Goldschnörkeln. Der Salon war mit edlen Walnuss–Möbeln eingerichtet, Tapeten, Teppiche und Vorhänge in einem schillernden Blau gehalten. An den Wänden hingen viele Familienportraits.

„Mag sein, aber meine Frau hätte sich nicht in die Politik einmischen sollen.“ Sein Cousin saß mit dem Rücken zum aufwändig bemalten Kamin und überkreuzte die Beine. „Das hat viel kaputt gemacht. Vor allem meine Liebe zu ihr. Vermutlich ist es umgekehrt genauso, denn sie hat sich völlig zurückgezogen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass nur ihre Hülle anwesend ist. Geistig ist sie jedenfalls weit weg. Weiter geht es gar nicht mehr.“

„Immerhin scheint ihr euch in gewissen Dingen noch zu verstehen.“ Luc zwinkerte ihm zu.

„Reine Pflichterfüllung“, wiegelte Ludwig ab und runzelte die Stirn. Er hatte ein markantes Gesicht, dunkles gewelltes Haar und dunkle Augen. „Wir haben bisher nur einen Thronfolger gezeugt. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ist das zu wenig. Ein, zwei Söhne wären deshalb wünschenswert.“

„Man kann nichts erzwingen.“

„Das ist mir klar.“ Abwesend starrte Ludwig auf das halbvolle Glas, das er in seiner Hand hielt. „Nun ja“, er blickte hoch, „ich will mich nicht beklagen. Immerhin habe ich eine Mätresse an meiner Seite, die alles tut, um mich glücklich zu machen.“

„Zwei Mätressen, um genau zu sein“, stellte Luc richtig. „Noch dazu sind sie Schwestern. Das könnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Entweder liebe ich die eine oder keine.“ Ohne sein Zutun hatte Luc plötzlich Henriettes Gesicht vor seinem geistigen Auge. Wie so oft in letzter Zeit. Vermutlich, weil sie immer häufiger über die Liebe sprach, womit sie ihn scheinbar angesteckt hatte.

„Ich hätte auch nie gedacht, dass es so kommen würde, aber es ist wie es ist.“ Ludwig trank einen Schluck und schaute zum Fenster hinaus. Blitze zuckten über den dunklen Nachthimmel. In der Ferne grollte es. Wind fuhr heulend um die Mauern.

Luc musterte seinen Cousin, der in sich gekehrt wirkte. Das Leben als König fiel ihm schwer, denn er war kein Mann für öffentliche Auftritte und hasste Menschenansammlungen. Wie anders war Ludwig jedoch, sobald es zur Jagd ging. Mutig, selbstbewusst, mit sich und der Welt im Reinen. Was ihn jedoch auszeichnete, war seine unabdingbare Treue. Wenn Ludwig jemanden mochte, konnte man sich hundertprozentig auf seine Loyalität verlassen. Das galt anscheinend auch für seine Mätressen. Louise Julie de Mailly–Nesle, Comtesse de Mailly, war seine erste Mätresse gewesen. Ein unscheinbares und zurückhaltendes Mädchen, das aus einer verarmten Adelsfamilie stammte und verheiratet war. Allerdings hatte ihr Ehegatte mittlerweile zugestimmt, dass sie Ludwigs Mätresse sein durfte. Vor einigen Monaten hatte sie jedoch ihre jüngere Schwester Pauline–Félicité nach Versailles eingeladen, die Ludwigs Herz im Sturm erobert hatte. „Die jüngere der Mailly Schwestern soll ziemlich ehrgeizig sein“, riss Luc seinen Cousin aus den Gedanken, der sich ihm zuwandte. „Pass bloß auf, dass du dir nicht die Finger verbrennst.“

„Es stimmt, dass sie völlig anders ist als Julie, aber ich habe mich Hals über Kopf in sie verliebt“, gab Ludwig mit verlegenem Grinsen zu und warf einen kurzen Blick auf die Wanduhr, deren Ticken einige Momente den Raum beherrschte. „Vor einigen Wochen habe ich ihr das Schloss Choisy gekauft und freue mich darauf, mit den Schwestern und einigen Freunden dort Zeit zu verbringen.“

„Hast du nicht gerade eine Lustreise hinter dir?“, wunderte sich Luc.

„In dieser Hinsicht bin ich unverbesserlich.“ Jetzt grinste Ludwig. „Frauen sind mein Leben.“