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III. Maßnahmen der EU zur Verwirklichung des Binnenmarktes

432

Gem. Art. 26 Abs. 1 AEUV erlässt die EU die erforderlichen Maßnahmen, um nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verträge den Binnenmarkt zu verwirklichen bzw. dessen Funktionieren zu gewährleisten. Diese Maßnahmen lassen sich unterteilen in solche der negativen und der positiven Integration.

1. Negative Integration

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Unter den Begriff der negativen Integration fällt die Beseitigung nationaler, die Verwirklichung des Binnenmarktes hindernder Regelungen aufgrund der unmittelbaren Geltung des Unionsrechts. Besonders die Grundfreiheiten wirken in diesem Sinne negativ integrierend. Denn sie binden die Mitgliedstaaten nicht nur abstrakt, sondern vermitteln dem Einzelnen subjektive, gerichtlich durchsetzbare Rechte. Die negative Integration erfolgt deshalb in der Regel auf judikativem Wege, nämlich konkret dadurch, dass der EuGH anlässlich der Prüfung eines Einzelfalls die streitgegenständlichen nationalen Regelungen für unvereinbar mit dem EU-Recht erklärt. Diese Regelungen dürfen dann bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht mehr von den nationalen Behörden angewendet werden. Durch den – den grundfreiheitlichen Schutz zusätzlich verstärkenden, in Rn. 424 bereits angesprochenen – Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung kommt der negativen Integration mithin eine große Bedeutung bei der Verwirklichung und Verwaltung des Binnenmarktes zu.

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Ihr besonderer Vorteil liegt darin, dass es zur Beseitigung bestehender Hemmnisse für die freie grenzüberschreitende Zirkulation von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital keines ggf. langwierigen → Rechtsetzungsverfahrens der Union bedarf.

435

Auf der anderen Seite ist bei negativ integrierenden Maßnahmen immer auch eine gewisse Gefahr von Rechtsunsicherheit gegeben, weil bei Einzelfallentscheidungen eines Gerichts naturgemäß Unklarheiten darüber entstehen können, in welchem konkreten Umfang eine Unvereinbarkeit nationaler Regelungen mit dem Binnenmarktgedanken besteht. Zudem kann es durch die Erklärung der Unanwendbarkeit nationaler Regelungen im grenzüberschreitenden Verkehr kurzfristig zu Regelungslücken im innerstaatlichen Recht bzw. zu dem Problem der sog. → Inländerdiskriminierung kommen. In diesem Kontext ist auch auf das Risiko hinzuweisen, dass der eng in Zusammenhang mit den Grundfreiheiten stehende Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in jedem betroffenen Regelungsbereich zu einer Harmonisierung auf dem niedrigsten in einem Mitgliedstaat bestehenden rechtlichen Standard führt (sog. Race-to-the-bottom-Problematik). Denn zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für die heimische Wirtschaft wird jeder Mitgliedstaat – wenn er aufgrund des EU-Rechts zur Akzeptanz etwa niedrigerer Produktions- oder Sicherheitsstandards aus anderen Mitgliedstaaten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten verpflichtet ist – geneigt sein, seine Standards entsprechend nach unten zu nivellieren. Auch aus diesem Grunde bedarf es für einen funktionierenden und wettbewerbsfähigen Binnenmarkt neben negativ auch positiv integrierender Maßnahmen.

2. Positive Integration

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Unter Maßnahmen der positiven Integration fällt der Erlass von sekundärrechtlichen (→ Sekundärrecht), rechtsangleichenden (→ Rechtsangleichung [Harmonisierung]) Regelungen (→ Verordnungen, → Richtlinien, → Beschlüsse), die auf die Beseitigung von Hindernissen bei der Verwirklichung und Verwaltung des Binnenmarktes abzielen.

437

Der Erlass solcher Regelungen bewirkt im Vergleich zur negativen Integration zunächst eine höhere Rechtssicherheit. Der Gesetzgebungsprozess ermöglicht zudem ein genaueres Austarieren ggf. widerstreitender Interessen und erhöht gleichzeitig die demokratische Legitimation der entsprechenden Maßnahmen.

438

Die Rechtsgrundlage für den Erlass positiv integrierender Maßnahmen ist nicht Art. 26 Abs. 1 AEUV selbst, denn dieser beinhaltet lediglich einen Handlungsauftrag an die zuständigen EU-Organe. Die entsprechenden Befugnisse finden sich vielmehr in speziellen, der Verwirklichung des Binnenmarktes dienenden Regelungen. Hierzu zählen z.B. Art. 46 AEUV bezüglich Maßnahmen zur Herstellung der → Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 56 AEUV für den Bereich der → Dienstleistungsfreiheit oder Art. 113 AEUV bei der Harmonisierung der indirekten Steuern.

439

Bei der sachlichen Zuständigkeit für den Erlass entsprechender Legislativakte bedürfen die Art. 3, 4 AEUV besonderer Beachtung. In den speziellen Bereichen des Art. 3 AEUV – so z.B. bei der Zollunion (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) AEUV) oder der Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlichen Wettbewerbsregeln (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) AEUV) – besteht eine ausschließliche Zuständigkeit der EU-Organe, während Art. 4 Abs. 2 Buchst. a) AEUV für allgemeine den Binnenmarkt betreffende Fragen eine geteilte Zuständigkeit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten vorsieht.

440

Besondere Bedeutung i.R.d. positiven Integration kommt Art. 114 AEUV zu, der generalklauselartig den Erlass von Maßnahmen zur Verwirklichung und Verwaltung des Binnenmarktes mittels Rechtsangleichung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zulässt. Dogmatisch ist die Norm dem Bereich der geteilten Kompetenz nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a) AEUV zuzuordnen. In sachlicher Hinsicht erfasst die Vorschrift nach dem Wortlaut des Art. 114 Abs. 1 S. 1 AEUV querschnittartig alle Bereiche, die der geteilten Zuständigkeit nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a) AEUV unterfallen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Speziellere Vorschriften, wie etwa Art. 43 AEUV (gemeinsame Agrarpolitik), genießen mithin gegenüber Art. 114 Abs. 1 S. 1 AEUV Vorrang. Darüber hinaus nimmt Art. 114 Abs. 2 AEUV die Bereiche Steuern, Freizügigkeit und Arbeitnehmerrechte aus dem Anwendungsbereich der Norm aus.

441

Abzugrenzen ist Art. 114 AEUV des Weiteren von Art. 115 AEUV, der ebenfalls rechtsangleichende Maßnahmen der EU für die Verwirklichung und das Funktionieren des Binnenmarktes zulässt. Die formalen Voraussetzungen für den Erlass entsprechender Maßnahmen liegen bei Art. 115 AEUV jedoch höher, denn die Entscheidung muss hier in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig vom Rat getroffen werden. Dafür können i.R.d. Art. 115 AEUV auch solche Maßnahmen erlassen werden, die vom Anwendungsbereich des Art. 114 AEUV nach dessen Abs. 2 ausgeschlossen sind. Bereits aus der Zuordnung der Vorschrift zum Bereich der geteilten Zuständigkeit ergibt sich, dass die EU-Organe nicht bereits dann tätig werden können, wenn in einem bestimmten normativen Bereich divergierende nationale Vorschriften existieren. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 9.10.2001, Rs. C-377/98 – Niederlande/EP und Rat –, Rn 15) bedarf es beim Erlass einer entsprechenden Maßnahme vielmehr zumindest einer Wahrscheinlichkeit, dass der Binnenmarkt durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Regelungen anderfalls eine negative Beeinträchtigung erfährt. Die beabsichtige Maßnahme muss zudem tatsächlich geeignet sein, die Beeinträchtigung zu beseitigen. Diese vom EuGH vorgenommene Eingrenzung der sich aus Art. 114 Abs. 1 S. 1 AEUV ergebenden Befugnisse lässt sich u.a. mit dem → Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 EUV erklären.

442

Zu beachten ist weiterhin, dass Art. 114 AEUV seinem Wortlaut nach nur rechtsangleichende und keine rechtsvereinheitlichenden Maßnahmen zulässt. Ein auf eine Rechtsvereinheitlichung abzielendes Tätigwerden der EU stünde in offenem Widerspruch zu dem in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 EUV statuierten → Grundsatz der Subsidiarität und dem in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 EUV verankerten → Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Normtechnisch stellt damit im Prinzip die Richtlinie das adäquate Mittel zur Rechtsangleichung i.R.d. Art. 114 AEUV dar. Dies ist insoweit konsistent mit der bereits 1985 von der Europäischen Kommission im (in Rn. 425 angesprochenen) Weißbuch ausgearbeiteten Strategie, sich beim Erlass rechtsangleichender Maßnahmen weitestgehend auf die Verankerung der wesentlichen Leitlinien zu beschränken und den Mitgliedstaaten die Ausfüllung der Details zu überlassen. Freilich kann im Einzelfall die Unterscheidung zwischen rechtsangleichenden und rechtsvereinheitlichenden Maßnahmen gerade bei detailreichen Regelungen schwerfallen. Insoweit gesteht der EuGH den zuständigen EU-Organen i.R.d. Art. 114 AEUV sowohl bei der Frage des Ob als auch des Wie eines Tätigwerdens einen gewissen Beurteilungsspielraum zu.

443

Eine weitere Beschränkung in Zusammenhang mit dem Erlass von Maßnahmen nach Art. 114 AEUV findet sich in dessen Abs. 3. Hiernach haben die zuständigen EU-Gesetzgebungsorgane beim Erlass rechtsangleichender Normen von einem hohen Schutzniveau in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz auszugehen. Daraus folgt die Verpflichtung, die genannten Schutzgüter bei der inhaltlichen Gestaltung rechtsangleichender Regeln angemessen zu berücksichtigen. Die Vorschrift will verhindern, dass im Zuge der Rechtsangleichung ein in manchen Staaten existierendes höheres Schutzniveau auf den kleinsten gemeinsamen Nenner eingeebnet wird. Eine Verpflichtung zum höchstmöglichen Standard besteht allerdings nicht, ein über dem EU-Mittel liegender Standard reicht aus. Den Mitgliedstaaten bleibt, sofern die jeweilige EU-rechtliche Regelung keine entsprechende Öffnungsklausel enthält oder von vornherein über eine Teilharmonisierung nicht hinausgeht, nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 114 Abs. 4–6 AEUV – z.B. aufgrund wichtiger Erfordernisse i.S.d. Art. 36 AEUV, so Art. 114 Abs. 4 AEUV – die Möglichkeit zum Erlass strengerer nationaler Vorschriften. Weil Art. 114 Abs. 3 AEUV beim Erlass von rechtsangleichenden Maßnahmen eine Orientierung an den dort genannten Schutzgütern vorgibt, mithin die entsprechenden Maßnahmen auch auf die Verwirklichung dieser Schutzgüter abzielen können, sind Abgrenzungsprobleme zu den für diese Bereiche bestehenden besonderen Befugnissen (Art. 192 AEUV für die Umweltpolitik, Art. 168 AEUV für das Gesundheitswesen und Art. 169 AEUV für den Verbraucherschutz) möglich. Im Streitfall ist das entscheidende Abgrenzungskriterium der Schwerpunkt der Maßnahme. Sofern die Verwirklichung und Verwaltung des Binnenmarktes nur als nachrangiges Ziel erscheint, scheidet hier eine Anwendung des Art. 114 Abs. 1 AEUV aus.

B › Bürgerinitiative (Heinz-Joachim Pabst)

Bürgerinitiative (Heinz-Joachim Pabst)

I.Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen444 – 447

II.Gegenstand, Voraussetzungen und Ablauf448 – 464

1.Gegenstand der Bürgerinitiative448, 449

2.Voraussetzungen der Bürgerinitiative450 – 464

a)Organisatoren451

b)Registrierung452 – 456

c)Umfang der Kontrolle und Ablehnungsgründe bezüglich der Registrierung457, 458

d)Sammlung von Unterstützungsbekundungen459, 460

e)Erforderliche Mindestzahl an Unterstützungsbekundungen461, 462

f)Überprüfung der Unterstützungsbekundungen463, 464

III.Weiterer Verfahrensgang und Wirkung465 – 469

1.Vorlage der erfolgreichen Bürgerinitiative bei der Europäischen Kommission465, 466

2.Reaktionsmöglichkeiten der Kommission auf eine erfolgreiche Bürgerinitiative467 – 469

IV.Rechtsschutz470, 471

V.Bürgerinitiative in der Praxis472 – 474

VI.Würdigung der Bürgerinitiative475 – 477

Lit.:

F. Castenholz, Die EU-Bürgerinitiative – Entwicklung und Konturen eines Europäischen Bürgerrechts, FS für D. H. Scheuing, 2011, 39; S. Cilo, Europäische Bürgerinitiative und demokratische Legitimität der EU, 2014; A. Guckelberger, Die Europäische Bürgerinitiative, DÖV 63 (2010), 745; R. Hrbek, Die Europäische Bürgerinitiative: Möglichkeiten und Grenzen eines neuen Elements im EU-Entscheidungssystem, Integration 35 (2012), 35; E. Petropoulos, Die Europäische Bürgerinitiative im paneuropäischen Kontext: Wo steht die direkte Demokratie in der EU im Vergleich zu ihren Mitgliedstaaten, Saar Blueprints 11/2016.

B › Bürgerinitiative (Heinz-Joachim Pabst) › I. Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen

I. Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen

444

Mit dem Vertrag von Lissabon ist im → Primärrecht die Möglichkeit der Bürgerbeteiligung an Entscheidungsprozessen in der Europäischen Union als Ausprägung des → Demokratieprinzips gestärkt worden. Bis zum Vertrag von Lissabon waren diese Beteiligungsrechte im Wesentlichen in Art. 21 EGV niedergelegt; sie beschränkten sich auf das Petitionsrecht zum → Europäischen Parlament und das Recht, sich an den Bürgerbeauftragten nach Art. 195 EGV oder mit Fragen an → Organe und Einrichtungen zu wenden.

445

Art. 11 Abs. 4 EUV sieht nunmehr erstmals vor, dass Unionsbürgerinnen und -bürger (→ Unionsbürgerschaft) im Wege der Bürgerinitiative unter bestimmten Voraussetzungen die → Europäische Kommission zur Vorlage von Vorschlägen für → Rechtsakte zur Umsetzung der Verträge auffordern können. Die jetzige Bürgerinitiative bleibt aber hinter den Plänen einzelner Vertreter im Verfassungskonvent, die eine umfassendere Form der Bürgerbeteiligung bis hin zu einem Initiativrecht zur Vertragsänderung vorsahen, zurück.

446

Verfahrensrechtliche Regelungen zu dieser Bürgerinitiative finden sich in Art. 24 UAbs. 1 AEUV, wo zugleich eine Ermächtigung für den Erlass von → Verordnungen im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (→ Rechtsetzungsverfahren) normiert ist. Auf Grundlage des Art. 24 UAbs. 1 AEUV ist die EU-Bürgerinitiative-Verordnung (VO [EU] 211/2011) erlassen worden.

447

Auf nationaler Ebene ist die Durchführung in Deutschland auf Grundlage des Gesetzes zur Europäischen Bürgerinitiative (EBIG) geregelt. Das Gesetz bennennt entsprechend Art. 15 EU-Bürgerinitiative-Verordnung die zuständigen Stellen für die Überprüfung der Online-Sammelsysteme für Unterstützungsbekundungen, organisatorische Rahmenbedingungen, Grundlagen für den Abgleich von Unterstützerdaten mit den Meldedateien. Daneben führt es noch einmal die Gründe für die Ungültigkeit von Unterstützungsbekundungen auf.

B › Bürgerinitiative (Heinz-Joachim Pabst) › II. Gegenstand, Voraussetzungen und Ablauf

II. Gegenstand, Voraussetzungen und Ablauf

1. Gegenstand der Bürgerinitiative

448

Gerichtet ist die Bürgerinitiative vorrangig darauf, die Europäische Kommission zur Vorlage eines Entwurfs für einen Rechtsetzungsakt zu veranlassen. Die Bürgerinitiative stellt damit, wie auch der erste Erwägungsgrund der EU-Bürgerinitiative-Verordnung besagt, eine Parallele zum Aufforderungsrecht des Europäischen Parlaments nach Art. 225 AEUV und des Art. 241 AEUV dar.

449

Gegenstand der Bürgerinitiative dürfen gem. Art. 11 Abs. 4 UABs. 1 EUV nur solche Angelegenheiten sein, für welche die Verträge eine Kompetenz der Europäischen Union vorsehen. Betroffen sind zunächst solche Angelegenheiten, bezüglich derer die Europäische Kommission befugt ist, Rechtsakte zu initiieren, „um die Verträge umzusetzen“. Damit wird zugleich deutlich, dass die Änderung des Primärrechts nicht Gegenstand einer Bürgerinitiative sein darf. Auch wird damit klargestellt, dass eine Bürgerinitiative grds. nicht auf ein Handeln der Europäischen Kommission zielen darf, das außerhalb der Rechtsetzungsformen i.S.d. Art. 288 AEUV liegt; bspw. dürfte eine Bürgerinitiative nicht auf das Anstoßen eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Europäische Kommission gerichtet sein. Allerdings hat der → Europäische Gerichtshof (EuGH) neuerdings klargestellt, dass auch das Einwirken auf Vertragsverhandlungen seitens der Europäischen Kommission Gegenstand einer Bürgerinitiative sein darf, dies am Beispiel der Verhandlungen der Europäischen Kommission bezüglich des TTIP-Abkommens mit den USA (EuG-Urteil v. 10.5.2017, T-754/12, – Effler u.a./Komission –).

2. Voraussetzungen der Bürgerinitiative

450

Die Voraussetzungen für die Durchführung einer Bürgerinitiative ergeben sich nebeneinander aus den Verträgen sowie aus der EU-Bürgerinitiative-Verordnung.

a) Organisatoren

451

Organisatoren der Bürgerinitiative müssen zunächst Unionsbürger sein, die das Wahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament erreicht haben müssen (→ Europäisches Parlament: Wahlrecht). Die Organisatoren bilden einen sog. Bürgerausschuss, der gem. Art. 3 Abs. 2 S. 1 EU-Bürgerinitiative-Verordnung aus mindestens sieben Personen bestehen muss, die aus mindestens sieben verschiedenen Mitgliedstaaten stammen. Zugleich müssen eine Kontaktperson und ein Stellvertreter der Kontaktperson benannt werden.

b) Registrierung

452

Vor Beginn der eigentlichen Sammlung von Unterstützungsbekundungen muss die Initiative bei der Europäischen Kommission registriert werden. Die Europäische Kommission führt hierzu ein Online-Register. Die Anmeldung muss in einer der Amtssprachen der Europäischen Union erfolgen (→ Sprachenregime der EU). Die Angaben, die für die Registrierung verlangt werden, ergeben sich aus Anhang II der EU-Bürgerinitiative-Verordnung. Anzugeben sind

eine Bezeichnung der Bürgerinitiative mit höchstens 100 Zeichen,

eine Wiedergabe des Gegenstandes mit höchstens 200 Zeichen,

eine Beschreibung der Ziele der geplanten Bürgerinitiative mit höchstens 500 Zeichen,

die Angabe der relevanten Vorschriften aus den Verträgen und

die vollständigen Namen, Geburtsdaten und Staatsangehörigkeiten der Organisatoren, die Bezeichnung der Kontaktperson und ihres Stellvertreters sowie die Mailadressen der Letztgenannten.

453

Neben diesen pflichtigen Angaben steht es den Organisatoren frei, nähere Angaben zu den Zielen der Bürgerinitiative sowie einen Entwurf für den begehrten Rechtsakt in einer Anlage vorzulegen.

454

Im Zuge des Registrierungsverfahrens überprüft die Europäische Kommission binnen zweier Monate, ob der Bürgerausschuss ordnungsgemäß eingesetzt und die Kontaktpersonen benannt sind, ob das Begehren der Organisatoren i.R.d. Initiativbefugnisse der Europäischen Kommission liegt und ob die Initiative nicht offensichtlich missbräuchlich, unseriös und schikanös ist, bzw. gegen die Werte der Europäischen Union i.S.d. Art. 2 EUV verstößt. Sind die vorgenannten Bedingungen eingehalten, bestätigt die Europäische Kommission die Registrierung gegenüber den Organisatoren.

455

Verweigert die Europäische Kommission die Registrierung, ergeht ein entsprechender → Beschluss. Hierin werden die Organisatoren zugleich von den hierfür erheblichen Gründen in Kenntnis gesetzt. Die Begründung muss nach der Rechtsprechung des → Gerichts der EU (EuG) den Anforderungen des Art. 296 AEUV entsprechen und dem Betroffenen ausreichende Angaben an die Hand geben, um festzustellen, ob der Beschluss stichhaltig begründet ist oder ob er möglicherweise an einem Mangel leidet, der ihn anfechtbar macht; außerdem muss die Begründung einem Unionsrichter ermöglichen, seine Kontrolle über die Rechtmäßigkeit des geprüften Beschlusses auszuüben (EuG, Urt. v. 30.9.2015, T-450/12, Rn. 22). Auch werden die Organisatoren gem. Art. 4 Abs. 3 S. 2 EU-Bürgerinitiative-Verordnung über „alle möglichen gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsbehelfe, die ihnen zur Verfügung stehen“, in Kenntnis gesetzt.

456

Nach der Registrierung steht es den Organisatoren frei, die Bürgerinitiative in weiteren Amtssprachen in das Register einzustellen, wobei sie selbst für die notwendigen Übersetzungen verantwortlich sind.

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Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
2130 S. 1 Illustration
ISBN:
9783811475106
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