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Buch lesen: «Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas», Seite 21

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Vierzehntes Kapitel

Weiterreise im Tal der Mohaves — Häuptling José — Die Mohaves sind beunruhigt durch Kriegsgerüchte — Verhandlung mit dem Häuptling — Über die allgemeine Behandlung der Eingeborenen von seiten der Vereinigten Staaten — Der indianische Dieb — Beschenken des Häuptlings — Verschiedenheit der Eingeborenen in den Gebirgen von denen im Tal des Colorado — Charakter des Stroms — Lager auf der Sandbank — Aufreihen von Perlen — Seichtes Wasser — Ausladen des Gepäcks — Spaziergang am Ufer — Weiterreise gegen Abend — Sonntagsruhe — Zusammentreffen mit Kairook und Iretéba — Gutes Benehmen der Eingeborenen

In den nächsten Tagen verloren wir die Eingeborenen fast nie aus den Augen, denn nicht allein die in der Nähe wohnenden strömten dem Fluß zu, sobald das Dampfboot sichtbar wurde, sondern auch ganze Banden von Männern und jungen Leuten folgten uns am Ufer nach und durchreisten auf diese Weise zugleich mit uns das ganze Gebiet der Mohaves von Süden nach Norden. Da nun diese letzteren bei unserem jedesmaligen Landen sich schon unter die dort versammelten Bewohner gemischt hatten, so machte es natürlich den Eindruck, als ob die Zahl der Männer im Vergleich mit dem weiblichen Teil der Bevölkerung bedeutend überwiegend sei. Auch würde uns die Kopfzahl überhaupt stärker geschienen haben, wenn wir nicht einzelne Gesichter und Gestalten, die wir schon früher gesehen hatten, wiedererkannt hätten.

So war uns unter anderen ein junger Mohave-Indianer von etwa sechzehn Jahren schon von den letzten Yuma-Dörfern aus gefolgt; dieser verließ uns nicht, solange wir uns im Tal der Mohaves befanden; und wenn wir ihn auch auf einige Tage aus dem Gesicht verloren, so konnten wir doch mit Gewißheit darauf rechnen, ihn an irgendeiner Stelle, wo wir landeten, wiederzufinden. Zu verkennen war der junge Mensch nicht, denn außer daß uns seine offenen Gesichtszüge schon vertraut geworden waren, trug er auch in seinem Äußeren ein untrügliches Kennzeichen: er war nämlich in den Besitz einer beschnürten, kurzen Dragonerjacke gekommen, die seine einzige Kleidung bildete und die er ihrer besonderen Kostbarkeit wegen nie ablegte. Weithin zeichnete sich die bunte Jacke aus, und wer von uns diese am Ufer erblickte, machte gewiß darauf aufmerksam und sagte: »Da geht unser junger Mohave-Freund.«

Dem Umstand nun, daß sich die dortigen Eingeborenen von nah und fern um Reisende scharen und diese gewissermaßen durch ihre Territorien begleiten, kann es wohl zugeschrieben werden, daß die Zahl der Indianer im Coloradotal gewöhnlich überschätzt und bei etwaigen oberflächlichen Zählungen ein Drittel derselben zwei- und dreimal mit hinzugerechnet wird.

Eine kurze Strecke befanden wir uns erst oberhalb des letzten Lagers, als unsere Aufmerksamkeit durch einen großen Haufen Eingeborener auf dem linken Ufer erregt wurde. Durch »Captain Jack« erfuhren wir, daß sich dort José, einer der ersten Häuptlinge des Stammes, mit seinen Untertanen befand und uns zu sprechen wünschte. Lieutenant Ives, dessen Augenmerk darauf gerichtet sein mußte, mit den Eingeborenen — zumal mit einem so mächtigen Stamm, der schon durch die Nachrichten von dem Mormonenkrieg beunruhigt war — in gutem Einverständnis zu bleiben, ließ daher landen und den Häuptling an Bord nehmen, während die übrigen Indianer die Weisung erhielten, uns gegen Abend mit ihren Tauschartikeln im Lager aufzusuchen. Wir reisten nur drei Meilen, es war also keine schwere Arbeit für sie, uns zu folgen; sie behielten uns übrigens auch fortwährend im Auge, und in dichten Haufen lagerten sie auf dem sandigen Ufer und schauten zu, wenn wir uns abmühten, die »Explorer« über eine Sandbank zu winden.

Obgleich »Captain Jack« auch mit zur Verständigung zwischen uns und Häuptling José beitragen mußte, so gingen die wichtigeren Gespräche doch immer durch den Mund Mariandos, denn außer daß »Captain Jack« ein sehr wenig Zutrauen erweckendes Benehmen zeigte, wurden wir auch durch unseren ehrlichen Diegeno noch besonders vor demselben gewarnt.

José eröffnete also bei seiner ersten Unterredung mit Lieutenant Ives, daß er über den Zweck unserer Expedition einigen Aufschluß zu erhalten wünsche. Der ganze Stamm der Mohave-Indianer befinde sich in Unruhe über die Gerüchte, welche ihnen von den Mormonen zugekommen seien, gemäß derer die Amerikaner die Mohaves zu verdrängen und sich ihr Land anzueignen beabsichtigten. Ferner sagte er, daß die Mohave-Indianer mit den Mormonen in Freundschaft zu leben wünschten, daß sie aber auch die Brüder der Amerikaner bleiben wollten und deshalb das Verlangen trügen, daß die Mormonen in ihrem eigenen Land bekämpft würden und der Krieg ihrem friedlichen Tal fernbleibe. Sie wären von den Mormonen aufgefordert worden, den Amerikanern den Zutritt in ihr Tal mit Gewalt zu verweigern, doch sei es ihr Wille, die Amerikaner als Brüder aufzunehmen und von ihnen dafür wie Brüder behandelt zu werden.

Dies war ungefähr der Inhalt von Josés Rede. Die Mormonen hatten also schon ihre indianischen Emissäre (vom Stamm der Utahs) so weit hinuntergesandt und das Mißtrauen dieser armen Wilden aufgestachelt. Natürlich war es geschehen, um diesen kräftigen Stamm durch einen Bruch mit den Amerikanern als Verbündeten zu gewinnen und den Colorado als Heerstraße nach dem Staat Sonora offenzuhalten. Jedenfalls aber entsprang der Plan aus einer unverantwortlichen Politik, indem die Mormonen unmöglich blind dafür sein konnten, daß Indianerstämme, die einmal in Krieg mit den Amerikanern verwickelt werden, immer dem Untergang geweiht sind, gleichviel, ob die ersten Feindseligkeiten durch wirklich bösen Willen oder durch unglückliche, aber zu entschuldigende Zufälligkeiten hervorgerufen wurden.

Die Mohave-Indianer beachteten — wie aus Josés Rede deutlich hervorging — das beste und klügste Benehmen, das heißt, sie wollten es mit keinem verderben und den ausbrechenden Krieg anderer Nationen nur fern von ihrem geliebten Tal wissen. Des Häuptlings Befürchtungen wurden daher ganz niedergeschlagen, denn außer daß Lieutenant Ives ihn durch die Dolmetscher von den besten Absichten der Amerikaner in Kenntnis setzen ließ, dienten auch Mariandos eigene Versicherungen nicht wenig, und vielleicht noch am meisten, zur Beruhigung Josés. Der verständige Diegeno hatte nämlich während seines langjährigen Verkehrs mit den Weißen einen ziemlich klaren Begriff von manchen Verhältnissen gewonnen, und gerade in diesem Fall war er fähig, aus eigener, freilich nicht ganz richtiger Überzeugung den Mohaves das Törichte ihrer Befürchtungen zu beweisen. Die Mitteilungen eines Vertreters der eigenen Rasse wurden selbstverständlich mit größerem Vertrauen entgegengenommen, und so weit war unser guter Mariando noch nicht gelangt, daß er die Indianer vor einem allzu innigen Verkehr mit den Weißen hätte warnen können; er selbst hatte ja nur Augen für die Vorteile der Zivilisation und vermochte noch nicht zu unterscheiden, daß gänzliche Demoralisation der Eingeborenen die gewöhnliche Folge ihres Umgangs mit den neuen Herren des Landes ist.

Besonders günstig wurde es von José und auch von den anderen Häuptlingen gedeutet, daß jeder einzelne von uns ihnen riet, den Mormonen ebensowenig wie den Amerikanern feindlich zu begegnen. Sie hatten nämlich nichts anderes erwartet, als daß wir, ähnlich den Mormonen, sie zu Bundesgenossen zu gewinnen wünschten, und so konnte unser Warnen vor Verwickelungen ernsterer Art nur den günstigsten Eindruck auf diese einfachen Naturkinder erzeugen. Sie begriffen daher auch leicht, daß unsere Expedition durchaus nicht zu kriegerischen Zwecken bestimmt war, und bezeugten infolgedessen, wo sie nur immer konnten, besonders aber durch allgemeines Achten unseres Eigentums und Befolgen unserer Anordnungen, wie sehr zufrieden sie mit unserer Anwesenheit waren und wie sehr sie unser Benehmen erfreute.

Ich kann mich hier nur in anerkennender Weise darüber aussprechen, wie Lieutenant Ives sich den Indianern gegenüber stellte. Er folgte nämlich genau den Ansichten und dem Beispiel meines geehrten Freundes, des menschenfreundlichen Captain Whipple, der dafür bekannt ist, überall, wo er nur mit den Eingeborenen in Berührung gekommen ist, Freunde unter denselben zurückgelassen zu haben. Weit entfernt davon, die Wilden durch Geschenke für sich zu gewinnen, die als eine freiwillige Tributzahlung hätten angesehen werden können, die späteren Reisenden vielleicht mit Gewalt abgefordert worden wäre, gab Captain Whipple solche nur im Weg des Handels. Er verfolgte dabei einen doppelten Zweck: nämlich einerseits die Eingeborenen auf eine menschliche Weise ihre Abhängigkeit von dem Gouvernement der Vereinigten Staaten fühlen zu lassen, andererseits den Erzeugnissen der Wilden in ihren eigenen Augen einen höheren Wert zu verleihen und sie dadurch zur Arbeit und zu größeren Anstrengungen aufzumuntern. Er suchte, um mich Captain Whipples eigener Worte zu bedienen, die Indianer mit sich selbst, aber auch mit den Amerikanern zufriedenzustellen. Nur den Häuptlingen machte er Geschenke, und dies geschah in einer Weise, daß der ganze Stamm sich immer geschmeichelt fühlte, auch von den Weißen seine staatlichen Einrichtungen anerkannt zu sehen.

Es ist zu bedauern, daß die Verwaltung der indianischen Angelegenheiten in den Vereinigten Staaten nicht ausschließlich Männern wie Captain A.W. Whipple übergeben wird, das heißt Männern, die den indianischen Charakter jahrelang auf praktischem Weg studiert haben und die, mit einer genaueren Kenntnis der beiderseitigen Fehler und Mängel, auch noch die Achtung vor der indianischen Rasse, welche diese als ein Teil der menschlichen Gesellschaft verdient, verbinden. Entstellungen der Verhältnisse,Besonders stark im »Entstellen von Verhältnissen« hat sich William A. Emory (Major in der Kavallerie der Vereinigten Staaten) in seinem »Report on the United States and Mexican boundary survey«, Bd. I., gezeigt, wo er unter anderem auf S. 64 die indianische Rasse zum Gegenstand seiner unverständigen Folgerungen macht, wie er im selben Werk auf S. 44 zu seinem eigenen Nachteil es sogar wagt, auf ungeziemende Weise den Namen Alexander von Humboldt zu mißbrauchen und dessen unsterbliche Arbeiten zu kritisieren! wie sie jetzt so häufig vorkommen und die nur dazu dienen, die Gefühle gegen die arme verfolgte Rasse einzunehmen, und die von den selbst mit dem besten Willen ausgerüsteten, aber zum größten Teil vollständig unerfahrenen und falsch geleiteten Beamten nicht durchschaut werden können, würden dann seltener werden, und die Grundidee des liberalen Gouvernements der Vereinigten Staaten, »segensreich auch unter den hinschwindenden Urbewohnern des Landes zu wirken«, langsam, aber sicher zur Ausführung kommen.

Lieutenant Ives behandelte also in den meisten Fällen die Indianer im Sinne des Captain Whipple, und diesem Umstand kann es wohl mit zugeschrieben werden, daß die feindseligen Bemühungen der Mormonen, die nichts Geringeres als unseren Untergang bezweckten, sich als erfolglos erwiesen. Leider wird nur zu schnell der gute Eindruck, den eine Expedition bei ihrer Zusammenkunft mit den wilden Völkerstämmen zurückläßt, durch andere nachfolgende, besonders aber durch ungeordnete Privatexpeditionen, verwischt.

Abermals schlugen wir auf dem linken Ufer unser Lager auf und befanden uns dort in einer ähnlichen Umgebung wie am vorhergehenden Abend. Da waren dieselbe hohe sandige Uferwand, derselbe lehmige Boden, dasselbe Gestrüpp und dieselben schönen Cotton-wood-Bäume. Auch Eingeborene waren anwesend und in weit größerer Anzahl; teils brachten sie von ihren Kornvorräten, teils kamen sie nur als müßige Zuschauer; und weil die Gesellschaft fortwährend im Zunehmen blieb, glaubten wir gegen Diebe auf unserer Hut sein zu müssen, denn es war kaum anzunehmen, daß unter einem Haufen von mehreren hundert Wilden sich nicht auch einige befinden sollten, die die Gelegenheit benutzen würden, einzelne von den umherliegenden Gegenständen verschwinden zu lassen. Es war dies übrigens der einzige Abend, an dem Versuche dieser Art gemacht und ein Diebstahl wirklich ausgeführt wurde. Als ich nämlich auf meinem zusammengerollten Bett vor dem Zelt saß und noch das letzte Tageslicht benutzte, um einige Bemerkungen in mein Taschenbuch niederzuschreiben, bemerkte ich, daß ein großer junger Indianer, dessen Oberkörper in einen von Mäusefellen geflochtenen Mantel eingehüllt war, sich in meiner Nähe niederkauerte. Die Aufmerksamkeit von fast allen Anwesenden war dem Dampfboot zugewandt, wo der Tauschhandel aufs eifrigste betrieben wurde, und so glaubte denn der junge Mann, von allen Seiten unbeachtet zu sein. Der Gegenstand seiner Wünsche war eine Axt, die mir zu Füßen lag. Die Absicht des Indianers erratend, schrieb ich dennoch ungestört weiter, ohne ihn indessen außer acht zu lassen.

Plötzlich gewahrte ich, wie sich eine braune Hand leise unter dem Mantel des scheinbar gleichgültig dasitzenden Burschen hervorschob, ebenso leise den Griff der Axt faßte und diese mittels unmerklicher Bewegungen unter seinen Mantel zu ziehen begann. Ohne den Blick vom Papier zu heben, zog ich meinen Revolver aus dem Gürtel, spannte den Hahn desselben, legte ihn auf meine Knie und schrieb ruhig weiter, wobei ich aber den Indianer fortwährend mit versteckten Blicken beobachtete. Ich konnte mich kaum eines Lachens erwehren, als ich in den Zügen des Diebes das grenzenloseste Erstaunen wahrnahm. Ohne Zweifel lebte er in der Meinung, daß ich seine Absicht aus dem Buch herausgelesen und -geschrieben habe, denn mich furchtsam von der Seite betrachtend, stand er auf und schlich leise von dannen. Der arme Mensch, er glaubte sich in Gefahr und ahnte nicht, daß ich von meiner Waffe keinen Gebrauch gemacht haben würde, selbst wenn er mit der Axt davongesprungen wäre.

Von mir begab er sich nach einer der Küchen, auch dort gelang es ihm nicht, seine Absicht auszuführen, denn der Koch ertappte ihn, als er vor dem Feuer, ohne seine Stellung zu verändern, mit eigentümlicher Gewandtheit ein daliegendes Messer mit den Zehen ergriff und, den Fuß dann rückwärts emporhebend, dasselbe in die unter dem Mantel verborgene Hand schieben wollte. Ein drohend geschwungenes Beil trieb ihn von dannen, doch sah ich ihn kurze Zeit darauf eilig im Gebüsch verschwinden, ein sicheres Zeichen, daß es ihm dennoch geglückt war, etwas zu erbeuten. Es stellte sich auch sogleich heraus, daß er mit einem alten Rock davongegangen war; der Gegenstand an sich war gering, doch mußte der Diebstahl gerügt werden, um der Wiederholung solcher Übergriffe vorzubeugen.

José sowie Maruatscha hielten deshalb Reden an die ganze Versammlung, und besonders letzterer zeichnete sich hinsichtlich seiner Beredsamkeit aus. Mit lauter Stimme ermahnte er die Mohaves, nichts von dem Eigentum der Amerikaner zu entwenden, und wenn sie stehlen wollten, so möchten sie vorher sein—Maruatschas—Leben nehmen. Mariando übersetzte die glänzenden Phrasen und gab durch sein heimliches Lachen zu verstehen, daß er die Bereitwilligkeit bezweifle, mit der Maruatscha, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, sein Leben hingeben würde.

Ohne Wirkung war die Rede freilich nicht, denn die Indianer, die so lange aufmerksam zugehört hatten, äußerten am Schluß, daß ihnen solche Worte wohl gefielen, und sie erklärten sich als nicht einverstanden mit dem Benehmen des Diebes.

Der Einbruch der Nacht machte dem Tauschhandel ein Ende; diejenigen, die ihre Waren noch nicht abgesetzt hatten, wurden auf den folgenden Morgen vertröstet, das Hornsignal ertönte, und friedlich verließ uns die ganze Masse des indianischen Besuchs. Undurchdringliches Dunkel ruhte auf den Fluten des Colorado und seiner Umgebung, ein schwarzer Wolkenschleier verbarg die Gestirne; durch die transparente Leinwand der Zelte aber schimmerte noch bis tief in die Nacht hinein schwaches Licht. Dort saßen noch einige von unserer Gesellschaft mit Schreiben beschäftigt; sie schrieben Briefe nach der Heimat, denn Häuptling José hatte versprochen, einen Boten nach Fort Yuma zu senden, und am folgenden Tag schon sollte dieser aufbrechen.

Der 12. Februar. Wer an diesem Morgen die »Explorer« und ihre Umgebung unvermutet und als unbeteiligter Zuschauer aus der Ferne hätte beobachten können, der wäre gewiß lebhaft an ein Volksfest erinnert worden, in so dichten Haufen und mit so ausgelassenem Lärm drängten sich die Eingeborenen am Ufer zusammen. Nach dem Boot zu und auf diesem selbst standen die schlanken Gestalten der Männer sowie die üppigen Figuren der kleinen, aber schön gewachsenen Frauen und harrten darauf, daß auch an sie die Reihe kommen würde, mit dem »Capitano« zu handeln, während auf dem Ufer beide Geschlechter in sehr malerischen Gruppen durcheinanderlagen und die eingetauschten Perlen zum wohlkleidenden Schmuck auf lange Fäden reihten. Hin und wieder trennten sich auch wohl ein paar junge Leute von dem regsamen Haufen, um sich an einer ebenen Stelle in dem beliebten Ring- und Stangenspiel die eben erhaltenen Schätze gegenseitig abzugewinnen. Freude und Lust glänzte aus allen Augen, Jubelgeschrei erschütterte die Luft, so daß die auf dem jenseitigen Ufer Versammelten nicht zu widerstehen vermochten und in den kalten Strom hinabstiegen, um mit ihren auf dem Kopf befestigten Bündeln schwimmend zu uns zu eilen. Doppelt willkommen hießen wir diese letzteren, denn sie brachten uns Fische, große, schöne Fische, und in solcher Anzahl, daß unserer ganzen Expedition soviel, wie zu zwei Mahlzeiten nötig war, verabreicht werden konnte. Da wir schon seit einigen Tagen nur halbe Mehlrationen und noch kleinere Schweinefleischrationen bezogen hatten, so ist es wohl verzeihlich, daß wir uns herzlich darüber freuten, die Bohnen, die jetzt unsere Hauptnahrung bildeten, endlich einmal mit Fischen vertauschen zu können. Die Tauschgeschäfte waren beendet, Carrol rüstete die »Explorer« zum Aufbruch, und Häuptling Jose war im Begriff, mit dem Boten, der schon Briefe, Instruktionen und einen Teil seines Lohns erhalten hatte, Abschied zu nehmen, als Lieutenant Ives im Auftrag des »Großen Großvaters aller Indianer« (des Präsidenten der Vereinigten Staaten) dem Häuptling für sein gutes Benehmen einige Geschenke übergab, die aus blauen und roten wollenen Decken, baumwollenem Zeug und einer großen Menge von Perlen bestanden. Ohne zu danken, jedoch mit Zeichen der Befriedigung, nahm Jose die dargereichten Gegenstände, stellte sich auf den Rand des Dampfbootes, zerriß die Decken in lauter drei Zoll breite Streifen und warf diese dann nach allen Richtungen unter die am Ufer versammelte Volksmenge, welche jedes einzelne Stück mit unermeßlichem Jubel begrüßte. Den Decken folgten die übrigen Gegenstände in ähnlicher Weise nach, so daß der Häuptling gar nichts für sich behielt, und nur durch vieles Zureden brachte ihn Lieutenant Ives dazu, einen noch hinzugefügten buntfarbigen Schal als Kopfputz auf seinem Haupt zu befestigen. Auffallend erschien es mir, daß unter den vielen Leuten, die sich die kleinen Gaben zu teilen hatten, nie Zank ausbrach und daß diejenigen, welche leer ausgingen, ebenso fröhlich und zufrieden waren wie die, welche das Glück mehr begünstigt hatte; doch wen der Wurf des Häuptlings zufällig traf, der war und blieb immer der anerkannte und rechtmäßige Eigentümer des aufgefangenen Gegenstandes. Ich muß gestehen, daß Jose, den in seinem Äußeren nichts von den Mitgliedern seines Stammes auszeichnete, sich mit einer Würde und einem Ernst benahm, wie man sie kaum in dieser Wildnis zu finden erwartete, denen aber der große Einfluß, den er auf seinen Stamm ausübte, zugeschrieben werden konnte. Herzlich drückten wir daher dem Häuptling zum Abschied die Hand, er sprang ans Ufer, die Laufplanke wurde eingezogen, und stromaufwärts arbeitete das Dampfboot, begleitet von wildem Jubelgeheul der Eingeborenen.

Unsere Reise ging gut vonstatten, und gegen Mittag erreichten wir den Punkt, wo im Jahre 1854 Captain Whipple mit seiner Expedition über den Strom setzte. Ich erkannte die Stelle an einem Sumpf wieder, der etwas weiter oberhalb fast an den Fluß stieß; sonst entdeckte ich nichts, was mich an die damaligen Zeiten hätte erinnern können, denn nach der Sandinsel mitten im Fluß, die wir einst als Übergangspunkt»Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 400. gewählt hatten, schaute ich vergeblich aus, dagegen waren neue Sandbänke zutage getreten, so daß, wenn die Gebirge und der Sumpf nicht gewesen wären, nach denen ich mich leicht orientierte, ich schwerlich »Whipple’s Crossing« wiedererkannt haben würde. Dort nun befanden wir uns, nach Whipples Beobachtungen unter 34° 52’ 15’’ 60 nördlicher Breite und 114° 31’ 43’’ 20 westlicher Länge von Greenwich, 430 Fuß über dem Meeresspiegel.

Eine kurze Strecke oberhalb dieses Punktes bog unsere Straße stark gegen Osten und behielt diese Richtung bei, bis sie die ganze Breite des Tales durchschnitten hatte und den Fuß der Kiesebene berührte, worauf sie sich wieder in weitem Bogen gegen Westen zog. Von dort aus vermochten wir deutlicher die östliche Gebirgskette zu überblicken, auf der während der Nacht Schnee gefallen war, der wie mit einer weißen Decke die Kuppen der Berge verhüllte und in grellem Widerspruch mit der sonnigen, warmen Atmosphäre des Tals stand. Wir landeten kurz vor jenem Winkel, um Holz einzunehmen, und trafen auch dort wieder mit einem starken Trupp Mohaves zusammen, in deren Gesellschaft wir einige Gebirgsindianer vom Stamm der Wallpays erblickten. Ein auffallenderer Kontrast ist wohl kaum denkbar, als der, den uns die Bewohner der verschiedenen und doch benachbarten Regionen hier boten. Auf der einen Seite die unbekleideten, riesenhaften und wohlgebildeten Gestalten der Mohaves, mit ihren vollen, abgerundeten Gliedern, sorgfältig geordneten Haaren und dem offenen, freien Blick; auf der anderen Seite dagegen die im Vergleich dazu zwergähnlichen, hageren, in zerfetzte Lederkleidung gehüllten Figuren der Wallpays mit ihren verwirrten, struppigen Haaren, den kleinen, geschlitzten Augen und dem falschen, gehässigen Ausdruck in ihren Zügen. Regungslos wie lauernde Wölfe beobachteten uns die auf Jagd und Diebstahl angewiesenen Wüstenbewohner, während die Repräsentanten des Ackerbau treibenden Stammes frei von jedem Mißtrauen sich scherzend herandrängten und sich mit knabenhafter Ausgelassenheit unter unsere Leute mischten. Aufmerksam verglich ich beide Stämme miteinander; ich entdeckte nur Ähnlichkeit in ihrer Hautfarbe, und es erschien mir kaum glaublich, daß ich hier Menschen von einer und derselben Rasse vor mir hatte, so sehr hatte die verschiedene Lebensweise in einer Reihe von Generationen auf die physische Beschaffenheit, zugleich aber auch auf die geistigen Anlagen und Neigungen von Menschen gewirkt, denen derselbe Ursprung zugeschrieben wird.

Bald darauf gelangten wir in den Winkel, wo wir uns wieder nördlich wenden mußten, und hatten hier abermals das interessante Bild eines festlich geschmückten Indianerstammes vor uns, der aus Hunderten von Mitgliedern bestand und mit Sehnsucht unserer Landung entgegensah. Der Häuptling rief uns zu, daß er sich vorstellen wolle und daß seine Leute Lebensmittel zu verkaufen wünschten; da aber das Fahrwasser günstig war und Lieutenant Ives befürchtete, Zeit zu verlieren, so wurden, zu Dr. Newberrys und meinem größten Leidwesen, die auf uns Harrenden unberücksichtigt gelassen; wir fuhren vorbei und konnten uns sagen, daß wir bei Hunderten von Menschen Gefühle einer gewissen Zurücksetzung angeregt hatten. Solange wir die nördliche Richtung beibehielten, befand sich zu unserer linken Seite eine bedeutende Sandfläche, die sich augenscheinlich erst in den letzten Jahren durch den Strom dort gebildet hatte. Man konnte gleichsam die Jahrgänge des angeschwemmten Bodens an den Weidenschößlingen erkennen, indem dieselben in der Nähe des Flusses ganz fehlten, weiter zurück binsenähnlich und spärlich aus dem Sand hervorragten und in dem Maß an Höhe und Stärke zunahmen, als die Entfernung zwischen ihnen und dem Strom sich vergrößerte. Zu unserer Rechten erblickten wir das Uferland, das in geringer Entfernung vom Fluß an die Kiesebene stieß, dicht mit kräftigen Weiden und einzelnen Cottonwood-Bäumen bewachsen. Das Wasser spülte mit heftigem Andrang an dem nachgiebigen Erdreich hin, und da die Vegetation gleichmäßig und ununterbrochen bis an den äußersten Rand des Ufers reichte und umgefallene Bäume ihre Kronen in die Fluten tauchten, während die noch mit Erde beschwerten Wurzelenden am hohen Ufer hafteten oder frei emporragten, erkannten wir leicht, daß der unruhige Strom ebenso schnell das linke Uferland mit sich fortriß, als er an dem rechten durch Absatz von festen Bestandteilen weiterbaute.

Als wir den Punkt erreichten, wo unsere breite, schimmernde Straße fast im rechten Winkel gegen Westen bog und diese Richtung quer durch das Tal bis an die westliche Kiesebene beibehielt, nahm ich deutlich wahr, daß der Strom sich um einen ähnlichen angeschwemmten Landstrich des linken Ufers herumwand wie kurz vorher auf der entgegengesetzten Seite — nur mit dem Unterschied, daß noch ein schmaler, seichter Kanal die niedrige Ebene vom Festland trennte und also eine Insel bildete. Die Insel war reich mit hohen Weiden bewachsen, an denen das Alter des Bodens annähernd berechnet werden konnte. Der Strom selbst, dessen Wasser hier ungewöhnlich breite Flächen bedeckte (bis zu 1000 Fuß breit), war infolgedessen nur sehr flach; die letzten Stunden des Tages verbrachten wir daher mit erfolglosem Winden und landeten endlich auf dem rechten Ufer, wo wir auf der oben beschriebenen Sandfläche ausgetrocknetes Treibholz in hinlänglicher Masse zu unserem eigenen Gebrauch sowie auch für die Maschine vorfanden. Auch auf der unwirtlichen Sandbank, wo der kalte Wind ungehindert über den dürren Boden hinwehte, suchten uns die Eingeborenen auf. Sie kamen mit Waren aus ihren abgelegenen Wigwams; sie scheuten weder das kalte Wasser des Stroms noch den rauhen Wind, und fröhlich traten sie ihren Heimweg an, wenn es ihnen gelungen war, einige Schnüre der beliebten Porzellanperlen einzuhandeln. Lieutenant Ives hatte mehrfach versucht, zerrissene Schnüre und auch lose Perlen im Handel mit anzubringen, doch glaubten die Wilden merkwürdigerweise, daß ein Betrug dahinterstecke, und weigerten sich standhaft, diese anzunehmen; selbst auch dann, wenn sie ihnen in doppelter Masse geboten wurden. Er beschloß daher, sich für kommende Zeiten vorzubereiten und diesen gangbaren Artikel so einzuteilen und zu ordnen, daß die eigensinnigen Menschen nichts mehr daran auszusetzen haben sollten. Eine Einladung erging infolgedessen an uns, ihm bei dieser Arbeit behilflich zu sein. Wir sagten alle zu, und als die Abendmahlzeit beendet war, versammelten wir uns in der kleinen Kajüte, wo wir nach vielem Hin- und Herrücken um den Tisch Platz fanden, auf dem Massen von Perlen aufgehäuft lagen. Auch ein Glas stand vor jedem, und bedeutungsvoll winkte eine große Korbflasche, welche den Ehrenplatz oben an der Tafel einnahm. Da saßen denn sieben bärtige, wettergebräunte Gesellen, die zu ernsten und schwierigen Aufgaben bestimmt waren, wie junge Mädchen in einer Spinnstube beisammen und reihten friedlich Perlen auf. Es war für uns alle eine ungewohnte Arbeit, doch kamen wir mit ihr zu Rande; und wenn die Unterhaltung ins Stocken geriet oder die Fäden sich als zu schwach auswiesen, dann wurde ein voller Becher zu Hilfe genommen, und unverdrossen wühlten aufs neue die unkundigen Finger zwischen den schimmernden Glasperlen.

So unbedeutend diese Beschäftigung an sich auch war, so unterschied sich der Abend eben durch diese von allen übrigen, die wir schon auf der Reise zugebracht hatten. Es war wieder etwas Neues, und wir kamen uns selbst so überaus komisch vor, daß wir dabei vergaßen, daß wir uns an Bord der »Explorer« befanden, und manchmal bebte die ganze Kajüte von dem herzlichen Gelächter, das durch irgendein »Stückchen Garn«, das Mr. Carrol abspann, hervorgerufen wurde.

Und so glaubte ich denn, daß jeder, der an jenem Abend Perlenschnüre ordnete, dabei trank, scherzte und lachte, zuweilen an jene Zeit zurückdenkt; denn die geringfügigsten Umstände wachsen, sobald sich besondere Rückerinnerungen an diese knüpfen; sie wachsen manchmal so sehr, daß man sie für wichtig genug hält, sie in Beschreibungen und Erzählungen mit hineinverflechten zu dürfen. Nur zu leicht vergißt man aber dabei, daß allein die wirklichen Teilnehmer imstande sind, sich froh verlebte Stunden in Gedanken zu vergegenwärtigen und gleichsam noch einmal zu durchleben, während der Leser wie der Zuhörer die Mitteilung von unbedeutenden nackten Tatsachen vielleicht mit Recht tadelt.

Es war um die Mitternachtsstunde, als wir uns ans Ufer begaben; alles im Lager schlief, nur die Schildwachen schritten auf dem weichen Sand geräuschlos auf und ab; auch der Wind war eingeschlummert, doch der stark fallende Tau ließ die Luft kühl erscheinen; wir schürten daher ein niedergebranntes Feuer, daß die Flammen hoch aufloderten, erwärmten uns zuerst das Gesicht, dann den Rücken, machten noch einige Bemerkungen über das unheimliche Rauschen des wilden Stroms, über das sternenbesäte Himmelsgewölbe und krochen dann, höchst zufrieden mit unserer Lage, zwischen die Decken. In der Frühe des 13. Februar steckte unser irischer Aufwärter seinen gelbbehaarten Kopf zwischen die Falten des Zeltes hindurch und rief mit Anwendung aller Kräfte seiner gesunden Lungen: »Frühstück ist fertig!« Wir drehten uns um und — schliefen weiter; bald darauf donnerte dieselbe Stimme durch die Türfalte: »Frühstück steht auf dem Tisch!«

Die Nachricht, daß wir überhaupt Frühstück, und zwar trockene Bohnen, erhalten sollten, hatte uns noch ziemlich gleichgültig gelassen; die Aussicht aber, die Bohnen kalt essen zu müssen, erschreckte uns in dem Maße, daß wir nach Verlauf von kaum zwei Minuten um unseren Feldtisch saßen und bei der Musik des singenden Dampfkessels unser mehr als kärgliches Mahl in Angriff nahmen, wobei wir laut des Wechsels der Zeiten gedachten.

Altersbeschränkung:
12+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
30 August 2016
Umfang:
1050 S. 1 Illustration
Rechteinhaber:
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