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Buch lesen: «Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas», Seite 19

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Dreizehntes Kapitel

Der Mohave-Cahon — Fahrt durch denselben — Erzählung aus meinem Jagdleben in Illinois — Ende des Mohave-Canons — Das Mohave-Tal — Die Mohave-Indianer — Erstes Lager im Mohave-Tal — Tauschhandel mit den Eingeborenen — Die Eingeborenen als Naturaliensammler — Handel mit Naturalien

Den Landweg durch die Nadelfelsen hatte ich schon früher kennengelernt, und ich habe diesen auch in meinem ersten Reisewerk»Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 389. ausführlich beschrieben. Ich war schon damals hingerissen von den prachtvollen Formationen, die ich zeitweise tief unter mir erblickte; doch der Umstand, daß ich mich auf den Höhen befand, der Strom selbst größtenteils meinen Blicken verborgen blieb und daß ich vorsichtig auf jeden meiner Schritte achten mußte, um nicht von dem gefährlichen Pfad hinab in die Tiefe zu stürzen, schwächte den Eindruck, den eine erhabene Naturumgebung auf den beobachtenden Reisenden zurücklassen muß. Jetzt aber, an Bord des Dampfers, wo ich meine ungeteilte Aufmerksamkeit der so überaus schönen Szenerie ungestört zuwenden konnte, war es anders; und laut bedauerte ich es, daß wir gerade hier von gutem Fahrwasser begünstigt wurden und nicht einige Hindernisse uns längere Zeit aufhielten.

Als wir in das Felsentor einbogen, verschwanden plötzlich die sandigen Uferstreifen mit ihrer spärlichen Vegetation, und unmittelbar aus dem heftig strömenden Wasser erhoben sich die schwarzen Massen der lavaartigen Basaltfelsen. Anfangs erschienen diese in Bergform, um die der Fluß sich in kurzen Windungen seinen Weg herumsuchte, doch bald rückten sie näher zusammen, und als klippenreiche Wände bildeten sie hohe, senkrechte Ufer. Hinter diesen nun lugten kastellähnliche Kuppen entfernter Berge hervor, die ihre phantastischen Außenlinien in dem Maße, in dem unser Standpunkt durch den eilenden Dampfer verändert wurde, auf wunderliche Weise verwandelten. Bogenfenster öffneten sich und ließen den sonnigen Abendhimmel durchblicken; Brücken wurden entstellt durch die hinter diese rückenden Mauern; scheinbare Tore rissen auseinander und zeigten sich als zwei abgesonderte Pfeiler, die sich weit überneigten oder, sich in entgegengesetzter Richtung aneinander vorschiebend, auf kurze Zeit die Form eines Kreuzes bildeten.

Endlich erreichten die kurzen Windungen des Stroms ihr Ende, und vor uns lag, wie ein Gang von riesenhaftestem Umfang, der Mittelpunkt des Cañons in seiner ganzen Erhabenheit, in seiner ganzen Pracht. Über eine Meile dehnte sich der breite Spiegel des Stroms in gerader Richtung vor uns aus; senkrecht erhoben sich mächtige, übereinanderliegende rote Sandsteinlagen bis zu einer Höhe von 500 Fuß, und dadurch, daß sich diese langen, zusammenhängenden Mauern gegen Norden senkten und näher zusammenrückten, war man geneigt, die Schlucht für doppelt so lang zu halten, als sie eigentlich war. Überhaupt schienen alle Dimensionen zu wachsen, denn die Spiegelbilder in dem ruhigen Wasser glichen vollständig einer Fortsetzung des überhängenden Gesteins, und da der wolkenlose Himmel die Mitte des Stroms mit einem transparenten Lichtblau überzog, glaubte man über einem unendlichen Abgrund zu schweben.

Wir glitten in die Schlucht hinein; die Sonne hatte sich schon tief gesenkt, in duftigem, nebelgleichem Schatten lag vor uns der Colorado, und während die Sonne noch einzelne Blicke zwischen den Felszacken hindurch auf die westliche Uferwand sandte und die grellfarbigen Kuppen und Gipfel der Höhen mit rotem Licht übergoß, fühlten wir unten schon die nächtliche Kühle, als wenn wir in ein dem Licht verschlossenes Gewölbe hineingefahren wären.

Unvergeßlich ist mir dieser Abend geblieben. Laut und regelmäßig stöhnte die schwer arbeitende Maschine, lauter noch und hundertfach antwortete in derselben Weise das Echo in den Klüften und Nebenschluchten, und doch wie klein und winzig erschien die »Explorer« mit ihrer ganzen Kraft und ihrer ganzen Bemannung gegenüber einer so majestätischen Naturumgebung!

Weiße Reiher, die in großer Anzahl auf den unzugänglichen Felsen horsteten, die als abgesonderte Pfeiler aus den Fluten hoch emporragten, verließen bei dem ungewöhnlichen Geräusch in allen Richtungen ihre Ruheorte; ängstlich schwebten sie wie schutzsuchend von der einen Seite nach der anderen hinüber; und doch waren sie vor uns bevorzugt, denn eine einzige verborgene Klippe konnte den Untergang von uns allen herbeiführen, und Schwingen wären nötig gewesen, um in einem solchen Fall einem Ort zu entrinnen, wo das Wasser tiefe Abgründe deckte und die starren Felsen keinen Haltepunkt für die Hand und keine Rast für den Fuß boten.

Wir fuhren vorbei an dunklen Höhlen und unzugänglichen Nebenschluchten, an turmähnlichen Klippen und schön geäderten Felswänden; der Fluß sah so ruhig und friedlich aus, doch weiße Schaumstreifen an den Vorsprüngen des Gesteins verrieten den heftigen Andrang der Strömung, und spielende Wirbel auf der Oberfläche des Wassers warnten das kundige Auge des Steuermanns vor verstecktem Unheil. Gegen Norden wurde die oben beschriebene Schlucht wieder durch vulkanische Berge abgeschlossen, und es erschien für längere Zeit, als ob das Wasser den Felsen entfließe. Selbst als wir uns schon in der Nähe dieses Punktes befanden, vermochten wir nicht genau zu unterscheiden, nach welcher Seite unsere Straße uns hinführen würde. Endlich schossen wir an einem Felsvorsprung vorbei und befanden uns gleich darauf dicht am rechten Ufer des Stroms, der dort in einem scharfen Winkel gegen Osten abbog. Auch die »Explorer« änderte sogleich ihre Richtung unter der lenkenden Hand des Kapitäns, die Schlucht hinter uns schloß sich, eine andere, weniger bedeutende, öffnete sich vor uns, und als wir das östliche Ende derselben erreichten, gewannen wir bei einer kurzen Biegung gegen Norden einen Blick auf offenes, niederes Land. Die Aussicht dauerte nur lange genug, um das Ende der Felskette zu erkennen, und nackte Gebirgsmassen umgaben uns dann wieder von allen Seiten.

Ein schmaler Streifen sandiges Uferland, der sich am Rand des Wassers hinzog und wo wir einige versengte Bäume und Buschwerk entdeckten, wurde alsbald zur Lagerstelle bestimmt; das Dampfboot legte bei, und einer nach dem andern sprang ans Ufer.

»Was sagen Sie zu dem Cañon?« fragte ich Kapitän Robinson, als ich mein Gewehr zu einem Spaziergang zu dem nahen Berg ergriff.

»Der Cañon?« fragte er zurück. »Ich sah nur Wasser und gefahrdrohende Wirbel und schätze mich glücklich, den Weg bis hierher gefunden zu haben, ohne daß die »Explorer« sich dabei die Nase an irgendeinem unsichtbaren Felsblock gestoßen hat.«

Dreizehn Meilen hatten wir an diesem Tag auf dem Colorado durchlaufen und uns während der letzten fünf Meilen unausgesetzt in der Felsenwildnis befunden. Ungefähr zwei Meilen weiter erstreckte sich die Schlucht noch, welcher der Name »Mohave-Cañon« beigelegt wurde, und wir rechneten auf diese Weise die ganze Länge des Cañons — oder vielmehr die Breite der Needles auf dem Wasserweg — sechs bis sieben Meilen.

Ich erstieg noch vor Einbruch der Nacht die nächsten Höhen, von wo aus ich einen Teil des Mohave-Tals zu übersehen vermochte, das sich scheinbar endlos gegen Norden erstreckte. Nach allen übrigen Richtungen hin haftete der Blick auf den schlanken Berggipfeln, nach denen die Nadelfelsen benannt waren und die in ihrer Höhe zwischen dreihundert und tausend Fuß wechselten. An der Stelle, wo ich die steilen Abhänge hinaufkletterte, nahm ich ungeordnete Schichten von basaltischen Mandelsteinen (Amygdaloid) wahr, auf denen Lagen von Konglomerat ruhten; auch erblickte ich wieder den roten Sandstein, den ich bei der Beschreibung des Cañons erwähnte, sowie kalkartigen Lehm, roten Porphyr, Trapp, Gneis und Granit.

Wie bei einer früheren Gelegenheit fand ich die Sprünge und Borsten in dem harten Gestein ebenfalls von zahlreichen Ratten und Mäusen bewohnt. Ich versuchte einige derselben aus ihrem Versteck zu treiben, indem ich Feuer an die trockenen Reiser legte, die vor den Öffnungen angehäuft waren, und erzeugte darauf durch das Verbrennen von grünen Artemisien und Talgholzzweigen übelriechenden Qualm, der wie in einem Windofen polternd von den hellen Flammen in die Röhren hineingetrieben wurde. Soviel Rauch in die unterirdischen Gänge auch eindrang und so aufmerksam ich die nächsten Öffnungen beobachtete, so bemerkte ich doch nicht, daß ein lebendes Wesen denselben entschlüpfte; und was mich am meisten überraschte, war, daß selbst der Rauch seinen Weg nicht wieder hinauszufinden schien. Ich gab daher diese Art von Jagd auf, und als ich um den Hügel herumkletterte, erblickte ich plötzlich den gegenüberliegenden Abhang desselben in Rauch gehüllt; leicht erkannte ich dann, daß die Gänge und Röhren in dem lavaartigen Gestein über die ganze Breite des Hügels reichten und daß, während ich auf der einen Seite den Brand schürte, die Tiere ihre Wohnungen ungestört auf der anderen Seite verlassen hatten.

Wie gewöhnlich fand uns der Abend um unser Lagerfeuer versammelt, der schöne Cañon, in dessen nördlicher Mündung wir uns befanden, war hauptsächlich ein Gegenstand unserer Unterhaltung, doch schweiften wir auch ab nach dem felsumsäumten Tal des majestätischen Hudson und den rebenbekränzten Bergen des alten Vater Rhein; wir sprachen von den weißen Häuserreihen, die sich in Amerikas Flüssen spiegeln, von den grauen Burgen des alten Kontinents, die von den eilenden Wolken begrüßt werden, und von den steinernen Schlössern am Colorado; wir gedachten auch der stillen Blockhäuser und ihrer Bewohner, und fast unwillkürlich begann ich meinen Erinnerungen, die durch letztere angeregt waren, Worte zu geben:

»Ehe ich den Herzog Paul von Württemberg auf seiner kühnen Forschungsreise nach den Rocky Mountains begleitete und ehe ich dann das gefährliche Handwerk eines Pelzjägers ergriff, lebte ich als Wildschütz in Illinois, in dem paradiesischen Landstrich, der sich östlich von St. Louis über Belleville, Massacontah und weit über den Kaskaskia-Fluß hinaus erstreckt. Es waren nur Monate, die ich auf diese Weise verbrachte, doch knüpfen sich so reiche Erinnerungen an diese Zeit, daß ich mich oft gern in diese versenke, über einzelne Erlebnisse lächle, in anderen dagegen eine ernste und weise Fügung erkenne. Wenn ich jetzt hier, wo wir von undurchdringlichen Wüsten umgeben sind, mir in Gedanken die lieblichen Prärien ausmale, die, mit hohen Baumgruppen anmutig geschmückt und von klaren Flüßchen und Bächen vielfach durchschnitten, dem Menschen alles bieten, was in den Grenzen eines zufriedenen Gemüts liegt, dann erscheinen mir dieselben doppelt schön, und es regt sich auch wohl der Wunsch, diese Wildnis noch einmal mit solchen Gegenden vertauschen zu können.

In der Nähe des Kaskaskia-Flusses, dessen Name das letzte ist, was von einem einst mächtigen Indianerstamm übrigblieb, dehnte ich also meine Jagdzüge nach allen Richtungen hin aus. Wild war reichlich vorhanden, es wurde mir daher nicht schwer, selbst bei geringer Mühe mehr zu erwerben, als zu meinem Unterhalt notwendig war, und da ich allein und unabhängig dastand, also auch niemandem über mein Tun und Lassen Rechenschaft abzulegen brauchte, so entsprach diese Lebensweise vollkommen meinen Neigungen und meiner Lage. Auch wenn ich auf der Jagd nicht glücklich war, fand ich doch stets reichen Genuß auf meinen Streifereien, einen Genuß, den mir die gleichsam im Festkleid prangende Natur gewährte und der mich nie fühlen ließ, daß sich niemand um mich gekümmert haben würde, wenn ich irgendwo mein Ende gefunden hätte; denn ich nannte ja außer meiner Büchse nur sehr wenig mein Eigentum.

Es war im Spätsommer und ein Tag so schön und sonnig, wie sie nur in jenen Breiten während dieser Jahreszeit vorkommen. Meine Jagd hatte ich beendet, einige Präriehühner beschwerten meine Tasche, und mein Stückchen Brot und geröstetes Fleisch während des Gehens verzehrend, schritt ich langsam am Kaskaskia hinauf. Oft wurde mein Pfad durch umgefallene, morsche Baumstämme unterbrochen, doch kleine Umwege beschreibend, gelangte ich immer wieder an den Fluß, dessen glatter Spiegel mich erfreute, dessen malerische Einfassung und zahlreiche Holzklippen ich immer mit neuem Wohlgefallen betrachtete und zuweilen auch in meinem Taschenbuch — meinem beständigen Gefährten — skizzierte. Unmerklich hatte sich der Abend eingestellt; in der Hoffnung, auf eine Farm zu stoßen, verfolgte ich so lange die eingeschlagene Richtung, bis die dichter werdende Dunkelheit mich zwang, den Schatten des unwegsamen Waldes zu verlassen und mich der Prärie zuzuwenden, die sich in geringer Entfernung vom Fluß hinzog.

Sie alle wissen aus Erfahrung, wie auf den müden Wanderer, der ein Obdach sucht, das Gebell eines wachsamen Hundes aufmunternd wirkt. Ich fühlte dies so recht an jenem Abend, als ich fast die Hoffnung schon aufgegeben hatte, irgendwoanders als unter einem grünen Laubdach übernachten zu können, denn kaum vernahm ich in weiter Ferne die gedämpften Laute, welche mir die Nähe eines Gehöfts verrieten, als ich den lieblichen Gesang eines Spottvogels, dessen sanften Melodien ich aufmerksam gelauscht hatte, nicht mehr beachtete, schleunigst meine Richtung änderte und rüstig dahineilte, wo ich ohne Zweifel mit Menschen zusammentreffen mußte.

Nach einem kurzen Marsch über grasreiche Wiesen versperrte eine rohe Einfriedung mir endlich den Weg; ich kletterte hinüber, und auf der anderen Seite auf einem abgeernteten Stoppelfeld hinschreitend, erreichte ich eine zweite Einfriedung, die einen Garten abschloß. Am entgegengesetzten Ende desselben erblickte ich, halb versteckt von dunklen Laubmassen, ein Blockhaus, durch dessen geöffnete Tür mir auf das einladendste Licht entgegenschimmerte.

Ich war im Begriff, über den Gartenzaun hinwegzusetzen, als einige Hunde sich mir mit wütendem Gebell entgegenstellten und mir standhaft den Eintritt verweigerten. Zugleich verdunkelte aber auch die Gestalt eines Mannes die erleuchtete Türöffnung, und ich vernahm die barsche Frage: »Wer ist da?«

»Ein Fremder, der Obdach sucht!« gab ich zur Antwort, und im nächsten Augenblick wurden die Hunde zurückgerufen. Ohne Zögern sprang ich in den Garten, und wenige Augenblicke darauf stand ich in der Tür, wo ich von einem alten Mann willkommen geheißen, von zwei jungen Burschen mittels brennender Holzscheite von oben bis unten beleuchtet und von einem allerliebsten jungen Mädchen neugierig betrachtet wurde. Mit wenigen Worten berichtete ich, was mich eigentlich dorthin geführt hatte und knüpfte dann die Bitte um ein Nachtlager.

»Ein Nachtlager sollt Ihr haben, Fremder«, antwortete mir der Ansiedler, »doch nicht eher, als bis Ihr gehörig gespeist und danach etwas von dem erzählt habt, was da draußen in der Welt vorgeht.«

Glückliche Menschen, die eine zehn Meilen entfernte Stadt schon »draußen in der Welt« nennen! dachte ich und trat in das von einem schwachen Kaminfeuer erhellte Gemach.

Außer den eben genannten Personen erblickte ich in diesem auch noch eine ältliche Frau; sie war die Gattin des alten Farmers und zugleich die Mutter des jungen Mädchens und des einen jungen Burschen, während der andere als gemieteter Arbeiter dort in Dienst stand. Mit einer wahren Herzlichkeit wurde ich von allen Seiten wie ein alter Bekannter begrüßt, man drückte mir die Hand, man nötigte mich zum Sitzen, doch nach meinem Namen fragte niemand. Aber auch ich erkundigte mich nicht, von wem mir so freundliche Aufnahme zuteil wurde; ich nahm alles an, wie es gegeben wurde, und nur, als die Mutter bald darauf dem jungen Mädchen einige Anweisungen hinsichtlich eines schnell zu bereitenden Mahls erteilte, erfuhr ich, daß dieses Susanna hieß.

Die übrigen Namen lernte ich auch noch im Laufe des Abends kennen, doch habe ich sie längst wieder vergessen. Ich warf also meine Präriehühner in die Ecke neben dem Kamin, der zugleich als Küche diente, setzte mich zu den beiden Alten und befand mich bald mit ihnen in der lebhaftesten Unterhaltung, die ich durch unschuldige Scherze so würzte, daß der Hausmutter vor Lachen die Tränen über die Wangen rollten, der Vater wohlgefällig mit dem Kopf nickte, die jungen Burschen näher rückten und die fröhliche Tochter mehrmals den bratenden Speck in Flammen geraten ließ.

Bei Ansiedlern, die so abgesondert leben, daß ihnen der gesellige Verkehr mit anderen Menschen fast gänzlich abgeschnitten ist, sind Reisende und Fremde immer gern gesehen; gelingt es aber einem solchen, einen guten Eindruck auf seine Gastfreunde zu machen, dann wissen diese nicht, was sie ihrem Besuch Gutes und Liebes erweisen sollen. So erging es auch mir in jenem Blockhaus, denn noch keine Viertelstunde hatte ich mich dort befunden, als die Frau aufstand, ein kleines Schränkchen öffnete und aus demselben der schönen Susanna sechs Eier mit der Weisung überreichte, diese für den Fremden sorgfältig zu backen. Der Farmer blieb übrigens nicht hinter seiner Frau zurück, denn er nahm von einem Brett die bekannte große Korbflasche herunter und goß erst für sich und dann für mich ein Gläschen Branntwein ein, während von den jungen Leuten der eine mir die gefüllte Tonpfeife und der andere den brennenden Span hinhielt.

Wie glücklich und zufrieden leben doch diese einfachen Leute, dachte ich, als ich beides annahm und zugleich nach der schönen Susanna hinüberblickte, die mit ihrem von der Glut geröteten Gesicht ein überaus liebliches Bild zeigte. Ihre großen blauen Augen hatten einen so fröhlichen und doch so milden Ausdruck, ihr Mund und ihre Nase waren so edel geformt, ihre Haut so weiß, ihre Wangen so frisch, und wie ein dicker Turban legte sich das starke braune Haar um ihre blaugeäderten Schläfen; die kleinen Hände und Füße, die schlanke Gestalt, kurz alles schien hier vereinigt zu einem schönen Ganzen.«

»Sie beschreiben ja das junge Mädchen merkwürdig genau«, unterbrach brach mich hier Mr. Carrol.

»Warum sollte ich auch nicht?« fragte ich zurück. »In der Erinnerung erscheint mir alles, was ich hier erzähle, wie ein schönes Bild, in dem Susanna den Mittelpunkt bildete und das mich damals um so mehr ansprach, als ich mich erst seit kaum einem Jahr gewissermaßen als heimatloser Fremdling auf eurem Kontinent befand. Ja, ich wiederhole es noch einmal: Susanna war sehr schön, und mit doppeltem Appetit setzte ich mich an den gedeckten Tisch, als das junge Mädchen mich freundlich zum Essen nötigte. Es gab, wie gewöhnlich auf den Ansiedlungen, Kaffee und Maisbrot, gebratenen Speck, Sirup und dann noch zum Schluß die Eier, die ich für ganz besonders meisterhaft zubereitet erklärte; und zur größten Genugtuung meiner Gastfreunde aß ich wie ein hungriger Jäger.

Nachdem ich meine Abendmahlzeit beendet hatte, wurde die Unterhaltung wieder aufgenommen, und da die guten Leute unerschöpflich im Fragen und unersättlich im Zuhören waren, so erzählte ich bis tief in die Nacht hinein und sprach besonders viel über mein schönes Heimatland und über meine Reisen, die in den Augen der gutmütigen Menschen ans Wunderbare grenzten. Kurz vor Aufbruch der Gesellschaft wandte ich mich noch mit der Frage an den alten Mann, in welcher Richtung er mir am folgenden Tag meine Jagd fortzusetzen rate.

»Wenn Ihr Enten schießen wollt«, antwortete er mir, »so braucht Ihr gar nicht so sehr weit zu gehen; es befindet sich nämlich in der Entfernung von zwei bis drei Meilen von hier ein See, der stets mit Vogelwild bedeckt ist ...« »... von dem Ihr aber nichts erbeuten werdet«, schaltete sich Susanna hier ein. »Mein Bruder und noch mehrere andere Jäger haben dort oft genug gejagt, sind aber stets ohne Wild zurückgekehrt.«

»Schießen mögt Ihr wohl etwas«, bemerkte der erwähnte junge Mann, »doch die sumpfigen Ufer und das tiefe Wasser des Sees gestatten Euch nicht, Eure Beute zu holen.«

»Und dann«, fiel der Alte wieder ein, »scheint es mir, als ob Euer kurzes Gewehr, das halb Büchse, halb Vogelflinte ist und eigentlich keines von beiden sein kann, nicht dazu geschaffen wäre, das Blei bis nach der Mitte des Sees hinzutragen.«

»Wenn nur Enten dort sind, bringe ich auch welche trotz des Sumpfes und trotz des kurzen Gewehrs«, erwiderte ich, etwas verletzt durch den Zweifel an meiner Flinte.

»Ich wette nein!« rief mir Susanna lachend zu.

»Ich wette ja!« antwortete ich.

»Was gilt die Wette?« fragte das fröhliche Mädchen.

»Ich werde es morgen bestimmen!«

»Nein jetzt!« rief sie wiederum, indem sie mir herausfordernd ihre kleine Hand entgegenhielt.

Natürlich gab ich nach, indem ich meine Hand in die ihrige legte und scherzend die Hälfte der Wette sogleich und die andere Hälfte am folgenden Tag festzustellen versprach.

Alle erklärten sich damit einverstanden, und ich begann: »Erbeute ich eine oder mehrere Enten, so kehre ich morgen abend wieder hierher zurück und genieße noch auf einen Tag Eure Gastfreundschaft, gehe ich aber leer aus, so lasse ich mich nicht mehr blicken, und in Eurem Andenken mag ich dann als ein schlechter Jäger fortleben, was für mich gewiß keine geringe Strafe ist.«

»Angenommen!« hieß es von allen Seiten.

Wir wünschten uns gegenseitig gute Nacht, ich drückte allen die Hand, der schönen Susanna aber, wohl aus Versehen, zweimal, und folgte dann den beiden Burschen auf der Leiter nach, die uns auf den Hausboden führte.

Ein hartes, aber sonst bequemes Bett nahm meine müden Glieder auf, doch lange noch, als die jungen Leute schon laut schnarchten, lag ich schlaflos; ich grübelte und dachte hin und her; der Gedanke, mir eine Heimat zu gründen, wollte mich gar nicht wieder verlassen, und immer beneidenswerter erschien mir das Los eines Ansiedlers. Dazwischen tauchte dann vor mir das freundliche Bild der offenen, ehrlichen Tochter des Hauses, in dem ich mich als Gast befand, auf. Mit dem Gedanken an diese schlief ich ein; ich träumte auch von ihr ...«

»Mit einem Wort, Sie waren verliebt«, unterbrach mich abermals Mr. Carrol. »Das gerade nicht«, antwortete ich, »denn meine Träume waren nur die Fortsetzung der wirren Bilder einer aufgeregten Phantasie, die mich schon vor dem Einschlafen beschäftigt hatten.

Als ich mich am folgenden Morgen von meinem Lager erhob, hatten die männlichen Bewohner des Hauses sich schon in den Wald an ihre Arbeit begeben, wo sie Bäume fällten und zu ihren Einfriedungen zurichteten. Ich stieg hinab und wurde alsbald von Mutter und Tochter auf eine unbeschreiblich einfache und dabei herzliche Weise begrüßt und zum Frühstück eingeladen. Ich saß zwischen beiden und teilte meine Zeit zwischen Essen und Plaudern, und lange würde ich noch dagesessen haben, wenn die Wette nicht gewesen wäre. Als ich im Begriff stand, das Haus zu verlassen, schob mir die Mutter noch Lebensmittel in die Tasche, worauf ich Susanna bat, mir den Weg nach dem See zu beschreiben, und nach einigen freundlichen Abschiedsworten, die ich an die alte Frau richtete, schritt ich in Gesellschaft des jungen Mädchens der Gartenpforte zu, von wo aus sie mir die Richtung nach dem See anzugeben beabsichtigte.

»Und nun zum zweiten Teil unseres Wettpreises«, wandte ich mich zu Susanna, als wir an der Pforte angekommen waren.

»Das hätte ich beinahe vergessen«, antwortete das Mädchen, indem es mich fragend mit ihren schönen Augen anschaute; »nun, was ist es?«

»Wenn ich keine Ente schieße«, hob ich an, »dann seht Ihr mich nicht wieder; gelingt es mir aber, einige hierherzubringen, dann bitte ich, als Strafe für Euer Zweifeln an meiner Erfahrenheit als Jäger, für jede Ente um einen Kuß von Euren schönen Lippen.««

»Dacht’ ich’s doch«, unterbrach mich abermals der unverbesserliche Carrol.

»Kann wohl ein junger, sorgloser Mann, der kaum vierundzwanzig Jahre alt ist, ein junges Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren, das obendrein noch schön ist, um etwas Geeigneteres bitten?« fragte ich.

»Nein, gewiß nicht«, antwortete mit Enthusiasmus Carrol, der selbst ungefähr vierundzwanzig Winter zählen mochte; »doch was sagte Susanna zu Ihrem Vorschlag?«

»Nun, sie benahm sich auf eine Weise, die mancher vornehmen, empfindsamen Lady Ehre gemacht haben würde. Weit davon entfernt, Entrüstung zu zeigen oder zu heucheln, brach sie zuerst in ein herzliches Gelächter aus, besann sich dann einen Augenblick und reichte mir demnächst zum Zeichen des Einverständnisses ihre Hand, indem sie neckend sagte: »Ja, das gehe ich ruhig ein, denn Enten bekommt Ihr doch nicht.«

Sie bezeichnete mir darauf die Richtung, die ich einzuschlagen hatte, ich bat um die Vorauszahlung für eine Ente, was mir aber abgeschlagen wurde, wir drückten uns zum Abschied die Hand, und ich wandte mich um, um zu gehen. »Werden Taucher mit zu den Enten gerechnet?« rief ich zurück.

»Gewiß soll das geschehen, wenn Ihr versprecht, auch ohne Wild heute abend wieder bei uns einzukehren« antwortete Susanna, als sie fröhlich dem Blockhaus zueilte.

Was ich alles dachte, als ich dem Waldsaum zuschritt, wo sich der See befand, weiß ich jetzt nicht mehr, ich glaube, es waren Gedanken, welche die schöne Susanna ebensoviel betrafen wie mich — Gedanken, die meinem Alter und meiner Lage ganz angemessen waren; jedenfalls mußten sie sehr interessant sein, denn ehe ich es noch gewahrte, befand ich mich am See und sah auf den ersten Blick, daß der junge Mann in seiner Beschreibung vollkommen recht gehabt hatte, daß es keine geringe Mühe kosten würde, über den moorigen Boden bis ans Wasser zu gelangen, und daß es alsdann, nach Erlegung einiger Enten, meiner ganzen Fertigkeit als Schwimmer bedurfte, um meine Beute von dem mit rankigen Wasserpflanzen reich bedeckten Spiegel des Sees herunterzuholen.

Sinnend schritt ich mehrmals um die trübe Pfütze, verlangend schaute ich nach den zahlreichen Enten hinüber, die, sich vollständig sicher wähnend, ihre harmlosen Spiele trieben, ausgelassen untertauchten, das Wasser mit ihren Schwingen peitschten oder kleine Strecken dicht über der glatten Fläche hinflatterten. Auch nach der Richtung, wo sich die schöne Susanna befand, blickte ich gelegentlich, und so verging denn wohl eine Stunde, ohne daß ich den Enten um einen Schritt näher gerückt wäre. Endlich kam ich zum Entschluß, ich legte das Gewehr zur Seite und begann mit meinem Jagdmesser Zweige von den nächsten Bäumen zu hauen, worauf ich diese nach einer Stelle hintrug, wo hohe Binsen und dichtes Schilf mich den scharfen Augen der Enten verbargen. Dort nun baute ich von den laubreichen Ästen über den moorigen Boden hinweg, nach der Mitte des Sees zu, eine Art Brücke, die stark genug war, daß ich bei einiger Vorsicht, ohne Gefahr, durchzubrechen, auf dieser hinschreiten konnte. Es war eine mühsame und langwierige Arbeit, doch nach Verlauf von einer bis zwei Stunden, und nachdem ich einige Male bis über die Hüften im Sumpf gesteckt hatte, war sie so weit gediehen, daß ich zwischen den Binsen hindurch den Wasserspiegel nach allen Richtungen hin zu übersehen vermochte. Dort errichtete ich, ebenfalls aus Zweigen, ein floßähnliches Gerüst, auf dem ich mich, ohne mit dem Wasser in Berührung zu kommen, hinstrecken konnte. Meine Arbeit war jetzt beendet, doch glaube ich kaum, daß ich bei derselben so standhaft geblieben wäre, wenn mir das Bild des jungen Mädchens nicht vorgeschwebt hätte.

Es mochte um die Mittagszeit sein, als ich mich auf meinen Posten begab. Zu meinem größten Leidwesen nahm ich aber wahr, daß alles Wild, mit Ausnahme einiger Taucher, wahrscheinlich infolge der Bewegung, die ich während meiner Arbeit im Schilf erzeugte, sich nach dem jenseitigen Ufer hinübergezogen hatte; es blieb mir also nur noch übrig, ruhig auf meinem Posten auszuharren und auf eine günstigere Wendung der Dinge zu hoffen. Zum Glück war es sehr warm, meine Kleider, die ich mir dem Bau der Brücke durchnäßt hatte, trockneten allmählich wieder, und durchaus nicht unzufrieden mit meiner Lage, beobachtete ich die Enten, welche keine Lust zu hegen schienen, sich den Binsen zu nähern, in denen ich verborgen war.

Stunde auf Stunde verstrich, es wurde vier Uhr, und noch hatte ich keinen Schuß getan; mißmutig gedachte ich des kommenden Abends und beabsichtigte schon, einen Taucher, der harmlos in meiner Nähe herumschwamm, zum Ziel für meine Büchse zu machen, als ich den eigentümlich pfeifenden Flügelschlag in der Luft vernahm und gleich darauf zwei kleine, blau geflügelte Enten sich in geringer Entfernung vor mir auf dem See niederließen. Meine Freude war unbeschreiblich; da ich indessen nur das eine Rohr meines Gewehrs mit Schrot geladen hatte, so übereilte ich mich nicht, sondern regungslos im Anschlag liegenbleibend, harrte ich wachsam auf den Zeitpunkt, zu dem ich beide auf einen Schuß würde erlegen können.

Zufällig blinzelte ich nach dem jenseitigen Ufer hinüber und glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als ich die ganze geflügelte Gesellschaft, aus mehr als hundert Mitgliedern der verschiedensten Arten bestehend, in gerader Linie auf mich zuschwimmen sah. Es war ein Schauspiel, wie ich es in jener Zeit zu häufig sah, als daß es mich hätte besonders aufregen können; daß hier aber mehr als Enten auf dem Spiel stand, das merkte ich an dem ungestümen Kreisen des Blutes in meinen Adern. Atemlos wartete ich auf den Augenblick, in dem sich die vordersten der Schar, die ein stattlicher Erpel anführte, in meinem Bereich befinden würden, und schaute zugleich nach den beiden ersten Ankömmlingen hinüber, die verlegen ihre Hälse ausreckten und verkürzten, gleichsam unentschlossen, ob sie die Ankunft des zahlreichen Besuchs abwarten oder davoneilen sollten. Endlich schwammen die eiligsten Enten schon in Schußweite, und immer neue Scharen rückten heran, als die beiden Blauflügel sich plötzlich aus dem Wasser hoben und davonflogen.

Diesen Augenblick hatte ich zu meinem Angriff gewählt; ich richtete mich auf, schoß meine Büchse ab und veranlaßte dadurch ein gleichzeitiges Heben der erschreckten Vögel, und als sich der dicht flatternde Haufen ungefähr zwei Fuß über der Wasserfläche befand, schickte ich die tödliche Ladung des Flintenrohrs in denselben. Sonst gewiß kein Freund von dem Anblick der Todeszuckungen selbst der kleinsten Tiere, beobachtete ich doch mit innigem Behagen die mörderische Wirkung meines Schusses, denn wie ein Regen prasselte es aufs Wasser nieder, und nachdem sich die leicht Verwundeten und Flügellahmen entfernt hatten, erblickte ich noch acht Enten, die regungslos dalagen.

Altersbeschränkung:
12+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
30 August 2016
Umfang:
1050 S. 1 Illustration
Rechteinhaber:
Public Domain