Detektiv Dagobert

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Balduin Groller

Detektiv Dagobert

Kriminalgeschichten

Balduin Groller

Detektiv Dagobert

Kriminalgeschichten

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021

EV: Philipp Reclam jun., Leipzig, 1910–12

1. Auflage, ISBN 978-3-962818-81-4

null-papier.de/722


null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­ter Band

Die fei­nen Zi­gar­ren.

Der Falsch­spie­ler

Der große Un­ter­schleif.

An­ony­me Brie­fe.

Zwei­ter Band

Da­go­berts un­frei­wil­li­ge Rei­se.

Der große Ru­bin.

Der große Schmuck­dieb­stahl.

Drit­ter Band

Der Kas­sen­ein­bruch.

Der schreck­li­che Brief.

Eine teu­re De­pe­sche.

Vier­ter Band

Ein son­der­ba­rer Fall.

Da­go­berts Fe­ri­en­ar­beit.

Fünf­ter Band

Die selt­sa­me Fähr­te.

Eine Ver­haf­tung.

Das Hals­band der Ge­sand­tin.

Sechs­ter Band

Empfang beim Mi­nis­ter­prä­si­den­ten.

Das ge­heim­nis­vol­le Käst­chen.

Dan­ke

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Erster Band
Die feinen Zigarren.

1.

Nach dem Abendes­sen be­gab man sich in das Rauch­zim­mer. Das war ei­ser­nes Ge­setz und durf­te durch­aus nicht an­ders sein. Die bei­den Her­ren wä­ren viel­leicht lie­ber noch bei Ti­sche sit­zen­ge­blie­ben, um im Nach­ge­nus­se der ku­li­na­ri­schen Meis­ter­leis­tun­gen in al­ler Be­hag­lich­keit ihre Zi­gar­re zu rau­chen, aber das ging nicht, ging ab­so­lut nicht. Das wuss­ten sie so schon lan­ge, und nun schi­en ih­nen der Auf­bruch und die Aus­wan­de­rung nur das Selbst­ver­ständ­li­che. Die schö­ne Haus­frau hat­te das so ein­ge­führt. In ih­rem Hau­se durf­te nur im Rauch­zim­mer ge­raucht wer­den. Dort hielt sie so­gar ge­le­gent­lich mit und rauch­te selbst in Ge­sell­schaft eine Zi­ga­ret­te, aber für alle an­de­ren Ge­mä­cher be­stand – das setz­te sie durch – strengs­tes Rauch­ver­bot.

Frau Vio­let Grum­bach hielt wie auf sich selbst, so auch auf den Rah­men für ihre Per­sön­lich­keit, auf ihre Woh­nung. Wie ihre äu­ße­re Er­schei­nung mit al­ler nur er­denk­ba­ren Sorg­falt, mit Ge­schmack und gu­ter Be­rech­nung in Sze­ne ge­setzt war, so auch die Woh­nung. Die Ein­rich­tung war mo­dern, war kost­bar, al­les war blitz­blank und fun­kel­te förm­lich vor Sau­ber­keit. Und da sagt man noch manch­mal, dass ge­we­se­ne Künst­le­rin­nen im All­ge­mei­nen kei­ne gu­ten Haus­frau­en ab­gä­ben!

Frau Vio­let war Schau­spie­le­rin ge­we­sen. Nicht eine von den al­ler­ers­ten, aber si­cher­lich eine der al­ler­hüb­sche­s­ten. Auch jetzt noch – al­les, was wahr ist! – war sie eine un­ge­mein an­zie­hen­de Frau. Et­was un­ter Mit­tel­grö­ße, die For­men von an­ge­nehm ent­wi­ckel­ter rund­li­cher Fül­le, jetzt doch schon be­trächt­lich mehr ent­wi­ckelt als zu­zei­ten ih­rer ak­ti­ven Künst­ler­schaft; licht­blon­des, im­mer kunst­reich ge­ord­ne­tes Haar, leb­haft blit­zen­de graue Au­gen, fein­ge­zeich­ne­te zar­te, rote Lip­pen und ein pi­kan­tes, keckes Stumpf­näs­chen, das dem run­den Ge­sicht­chen auch jetzt noch eine Art kind­li­chen Aus­druckes lieh, – al­les in al­lem ein sehr an­ge­neh­mes En­sem­ble.

Zu den Mahl­zei­ten lieb­te sie es, im­mer in be­son­ders ge­wähl­ter Toi­let­te zu er­schei­nen. Kin­der wa­ren nicht im Hau­se, so hat­te sie Zeit dazu, über­haupt be­saß sie eine ganz gute Art, sich das Le­ben zu ver­schö­nen; sie schmück­te sich und ihre Um­ge­bung. Da be­greift es sich denn, dass sie ihre Vor­hän­ge, ihre Spit­zen und Deck­chen, ihre Pla­fonds und Sei­den­ta­pe­ten nicht der bö­sen Wir­kung des Ta­baks­qualms aus­set­zen woll­te.

Heu­te war nur ein Gast an­we­send, der alte Haus­freund Da­go­bert Trost­ler, und der war im Hau­se Grum­bach so zu Hau­se, dass man sei­net­we­gen kei­ner­lei Um­stän­de mehr mach­te; wenn Frau Vio­let doch wie­der große Toi­let­te an­ge­legt hat­te, so galt das nicht ein­mal ei­gent­lich ihm. Es war ein­mal Ge­pflo­gen­heit, die ein­ge­hal­ten ward, auch wenn sie mit ih­rem Mann al­lein zu Ti­sche ging. Höchs­tens dass ei­ni­ge Nuan­cen auf Rech­nung des Gas­tes ka­men, so der herz­för­mi­ge Aus­schnitt der wei­ßen Spit­zen­blu­se, der dem Beo­b­ach­ter ei­ni­ge Aus- und Ein­bli­cke ge­stal­te­te, und die halb­lan­gen Spit­zen­är­mel, die den rund­li­chen Un­ter­ar­men, die sich zu den sei­nen Hand­ge­len­ken und den hüb­schen klei­nen Hän­den zart ver­jüng­ten, den wün­schens­wer­ten Spiel­raum ge­währ­ten.

An­dre­as Grum­bach, Be­sit­zer ei­ner großen und sehr ein­träg­li­chen Ju­te­spin­ne­rei, Prä­si­dent der All­ge­mei­nen Bau­un­ter­neh­mungs­bank und au­ßer­dem Trä­ger zahl­rei­cher Ti­tel und Wür­den, war ganz er­heb­lich äl­ter als sei­ne Gat­tin; so an zwan­zig Jah­re, und wenn es ver­wehrt ist, das Al­ter der Da­men mit all­zu bru­ta­ler Ge­nau­ig­keit nach­zu­rech­nen, so darf es bei ihm schon ver­ra­ten wer­den. Er moch­te doch so sei­ne drei- oder vierund­fünf­zig Len­ze ge­se­hen ha­ben, aber er sah so­gar noch et­was äl­ter aus, als er war. Sein schö­nes dun­kel­brau­nes, glatt­ge­bürs­te­tes Haar be­wies nichts. Er hät­te auch au­ßer Haus fri­sie­ren las­sen kön­nen. Der Ba­cken­bart zu bei­den Sei­ten schim­mer­te schon sehr stark ins Sil­b­ri­ge, und da­bei trug er doch das Kinn aus­ra­siert in dem Be­stre­ben, doch et­was jün­ger aus­zu­se­hen und den Sil­ber­se­gen nicht all­zu sehr an­wach­sen zu las­sen.

Da­go­bert Trost­ler, sein al­ter Freund, war durch­aus nicht da­mit ein­ver­stan­den ge­we­sen, als Grum­bach, ei­nem hol­den Jo­han­nis­trie­be nach­ge­hend, vor etwa sechs Jah­ren die Schau­spie­le­rin Vio­let Moor­lank als sein ehe­lich Ge­mahl in sein Haus führ­te. Es war aber nichts da­ge­gen zu ma­chen, und schließ­lich hat­te Da­go­bert auf der gan­zen Li­nie un­recht be­hal­ten. Es ward eine ganz ak­zep­ta­ble und re­spek­ta­ble Me­na­ge dar­aus, die Ehe ge­stal­te­te sich zu ei­ner durch­aus glück­li­chen.

Da­go­bert selbst war Jung­ge­sel­le ge­blie­ben. Er war ein aus­ge­dien­ter Le­be­mann mit stark ge­lich­te­tem Schei­tel und ei­nem Pe­trus-Schöpf­chen. Sein so­kra­ti­sches Ge­sicht wur­de be­lebt durch zwei dunkle aus­drucks­vol­le Au­gen. Jetzt hat­te er nur noch zwei große Pas­sio­nen, die Mu­sik und die Kri­mi­na­lis­tik. Sein großes Ver­mö­gen ge­stat­te­te ihm, sich die­sen sei­nen bei­den so di­ver­gie­ren­den Lieb­ha­be­rei­en ohne jeg­li­che an­de­re Sor­ge zu wid­men. Zur Mu­sik hat­te er ein ge­nie­ßen­des und ein schaf­fen­des Ver­hält­nis. Sei­ne Freun­de be­haup­te­ten, dass er stär­ker war im ers­te­ren. Auch er hat­te Vio­let schon ge­kannt, als sie noch dem Thea­ter an­ge­hör­te, und wenn es da­mals ir­gend­ei­ne ih­rer Rol­len mit sich brach­te, dass sie ei­ni­ge Lie­der zu sin­gen hat­te, so war er es, der sie ihr ein­stu­dier­te. Na­tür­lich als Ama­teur. Auf al­len Tä­tig­keits­ge­bie­ten, aus de­nen er sich um­tat, blieb er Ama­teur, pas­sio­nier­ter Di­let­tant, gent­le­man-ri­der. Sei­nen Pro­fit hat­te er aber bei je­nen mu­si­ka­li­schen Ein­pau­kun­gen doch. Es ge­lang ihm näm­lich manch­mal, auf die­sem Wege die eine oder die an­de­re sei­ner ei­ge­nen Kom­po­si­tio­nen als Ein­la­gen in die Öf­fent­lich­keit zu schmug­geln.

Was sei­ne kri­mi­na­lis­ti­schen Nei­gun­gen be­traf, so äu­ßer­ten die sich zu­nächst dar­in, dass er am liebs­ten von be­deu­ten­den Raub­mor­den und halb­wegs an­stän­di­gen Un­ter­schla­gun­gen sprach. Er war über­zeugt, dass an ihm ein Kri­mi­nal­kom­mis­sär von Klas­se ver­lo­ren ge­gan­gen wäre, und be­haup­te­te steif und fest, dass, wenn alle Stri­cke ris­sen, er sehr wohl in der Lage sei, sich als De­tek­tiv sein Brot zu ver­die­nen. Sei­ne Freun­de mach­ten sich auch oft ge­nug lus­tig über ihn. Nicht etwa, dass sie an sei­nem ein­schlä­gi­gen Ta­lent ge­zwei­felt hät­ten. Von dem hat­te er ja oft ge­nug über­zeu­gen­de Pro­ben ge­lie­fert. Sie fan­den nur die Pas­si­on son­der­bar, sich selbst eine Rute auf den Rücken zu bin­den. Denn sei­ne Lieb­ha­be­rei brach­te ihm nicht nur man­cher­lei Unan­nehm­lich­kei­ten ein, son­dern sie ver­strick­te ihn ge­le­gent­lich wohl auch in recht ge­fähr­li­che Si­tua­tio­nen. Wenn es ir­gend­wo eine An­samm­lung von Men­schen gab, war er si­cher mit da­bei, aber nicht mit dem all­ge­mei­nen In­ter­es­se an dem ak­tu­el­len Vor­gan­ge, wel­cher Art er auch sein moch­te, – er pass­te auf Ta­schen­die­be und trach­te­te, sie bei der Ar­beit zu be­ob­ach­ten und auf fri­scher Tat zu er­tap­pen. Er ge­riet da nicht sel­ten in be­denk­li­che Ver­wick­lun­gen, aber es ge­lang ihm doch, man­chen Lang­fin­ger der Po­li­zei in die Hän­de zu lie­fern. So lieb­te er es auch, bei dunklen Kri­mi­nal­fäl­len auf ei­ge­ne Faust Nach­for­schun­gen an­zu­stel­len, und da­her kam es, dass er sich alle mög­li­chen Sche­re­rei­en auf den Hals lud, alle Au­gen­bli­cke bei Ge­richt zu tun hat­te oder auf die Po­li­zei zi­tiert wur­de, der sei­ne pri­va­ten Be­mü­hun­gen manch­mal schon un­be­quem ge­wor­den wa­ren, – aber das al­les mach­te ihm Ver­gnü­gen. Er war eben Ama­teur. –

 

Man be­gab sich also ins Rauch­zim­mer.

Die bei­den Her­ren setz­ten sich an das Rauch­tisch­chen, das in der Nähe des Fens­ters stand, Frau Vio­let nahm auf ei­ner klei­nen ge­pols­ter­ten Bank Platz, die – ein ganz rei­zen­des Mö­bel­stück – sich von dem ho­hen und fein­ge­glie­der­ten Ka­min bis zur Tür hin­zog und dort den Raum sehr schick­lich aus­füll­te. Der Ka­min stand in ei­ner Ecke, und so war dort ein sehr trau­li­ches Plätz­chen ge­schaf­fen.

Grum­bach nahm vom Rauch­ti­sche ein Zi­gar­ren­kist­chen; nicht auf gut Glück. Es wa­ren de­ren meh­re­re da, und er hat­te erst be­dacht­sam ge­wählt. Er öff­ne­te es und woll­te die Zi­gar­ren eben Da­go­bert rei­chen, als er stutz­te.

»Ich weiß nicht«, sag­te er nach­denk­lich, »es muss in mei­nem Hau­se doch noch einen Lieb­ha­ber ge­ben – ge­ra­de für die­se Sor­te. Es wäre kein schlech­ter Ge­schmack. Das Stück kos­tet einen Gul­den!«

»Be­merkst du Ab­gän­ge?« frag­te Da­go­bert.

»Ich glau­be sie zu be­mer­ken«, er­wi­der­te Grum­bach.

»In un­se­rem Hau­se wird nichts ge­stoh­len!« warf Frau Vio­let ein in Ver­tei­di­gung ih­rer Haus­frau­en­eh­re.

»Gott sei Dank – nicht!« gab Grum­bach zu­rück. »Und doch – ganz be­stimmt kann ich es na­tür­lich nicht be­haup­ten – aber mir ist, als hät­ten aus der obe­ren Lage ges­tern nur zwei Zi­gar­ren ge­fehlt, und heu­te feh­len da acht oder neun Stück.«

»Ei­ge­ne Schuld«, be­merk­te Da­go­bert. »Müss­test sie eben un­ter Ver­schluss hal­ten!«

»Man soll in sei­nem Hau­se auch et­was frei her­um­lie­gen las­sen kön­nen!«

»Vi­el­leicht irrst du dich doch?« gab Frau Vio­let zu be­den­ken.

»Es wäre nicht un­mög­lich, aber ich glaub’s nicht. Nun, ein Un­glück ist’s ge­ra­de nicht, aber es be­un­ru­higt.«

»Das müss­te doch nicht schwer sein, der Sa­che auf den Grund zu kom­men«, äu­ßer­te Da­go­bert, in dem sich die De­tek­tiv­lei­den­schaft zu re­gen be­gann.

»Das Ein­fachs­te wird sein, dei­nen Rat zu be­fol­gen, Da­go­bert. Ver­schlie­ßen – das ist der bes­te Schutz!«

»Das wäre mir nicht in­ter­essant ge­nug«, lau­te­te die Ant­wort. »Man muss den Mar­der er­wi­schen!«

»Soll ich mich viel­leicht auf die Lau­er le­gen und ta­ge­lang auf­pas­sen? Da kom­me ich noch bil­li­ger weg, wenn ich’s mich ein paar Zi­gar­ren kos­ten las­se.«

»Du musst doch wis­sen, wer Zu­tritt in das Zim­mer hat!«

»Für mei­nen Die­ner ste­he ich. Der nimmt nichts!«

»Und ich für mein Stu­ben­mäd­chen«, be­eil­te sich Frau Vio­let hin­zu­zu­fü­gen. »Sie ist seit mei­ner Kind­heit bei mir, und es ist noch nicht eine Steck­na­del weg­ge­kom­men!«

»De­sto bes­ser!« fuhr Da­go­bert fort. »Glaubst du, dass täg­lich Ab­gän­ge vor­kom­men?«

»I be­wah­re! Das fehl­te ge­ra­de noch! Vo­ri­ge Wo­che glaub­te ich’s ein­mal schon be­merkt zu ha­ben und dann ein­mal viel­leicht auch in der vor­vo­ri­gen Wo­che.«

Dann ließ man das The­ma fal­len. Man sprach noch eine Wei­le von den Ta­ge­s­er­eig­nis­sen, die ge­ra­de die öf­fent­li­che Mei­nung be­schäf­tig­ten: dar­auf er­ho­ben sich Haus­frau und Haus­herr, um sich noch ein we­nig her­zu­rich­ten für die Oper. Es war ge­ra­de ihr Lo­gen­tag, Mitt­woch, und Da­go­bert soll­te wie ge­wöhn­lich mit von der Par­tie sein. Ei­nen so al­ten Be­kann­ten und ver­trau­ten Haus­freund durf­te man schon ein Vier­tel­stünd­chen al­lein las­sen, ohne sich erst groß zu ent­schul­di­gen.

Frau Vio­let mein­te im spöt­ti­schen Scherz, es müs­se ihr so­gar sehr er­wünscht sein, eine Wei­le al­lein blei­ben zu dür­fen, da er nun umso un­ge­stör­ter dem düs­te­ren Pro­blem nach­sin­nen kön­ne, wo­hin die ver­schwun­de­nen Zi­gar­ren wohl ge­ra­ten sein mö­gen. Er als Meis­ter­de­tek­tiv wer­de das doch ge­wiss her­aus­brin­gen!

Es hät­te nicht erst die­ses spöt­ti­schen Ap­pells be­durft, um ihn an sei­ne Lieb­ha­be­rei zu er­in­nern. Er hat­te im Stil­len oh­ne­dies schon bei sich be­schlos­sen, den Tä­ter zu ent­de­cken, und so war es ihm nun ganz be­son­ders will­kom­men, sich un­ge­stört auf dem Schau­platz der Tat ge­nau um­se­hen zu kön­nen. Der Fall war ja herz­lich un­be­deu­tend und ge­ring­fü­gig, aber was tut ein Ama­teur nicht, um im Trai­ning zu blei­ben? Man nimmt ein­mal auch so et­was mit.

Er setz­te sich, als er al­lein war, in sei­nem Fau­teuil1 zu­recht und be­gann nach­zu­den­ken. Gar so ein­fach war die Ge­schich­te denn doch nicht. Die letz­te Un­tat war am Tage vor­her be­gan­gen wor­den. Er be­sah sich das Zi­gar­ren­kist­chen, den Rauch­tisch – da war nichts zu ent­de­cken. Es war ein­fach ekel­haft, was in dem Hau­se für Rein­lich­keit herrsch­te! Wie da täg­lich auf­ge­räumt und auf­ge­wischt wird! Da soll dann ein Mensch etwa noch einen Fin­ger­ab­druck auf dem Holz­rah­men des Rauch­ti­sches ent­de­cken, der die rote Tuch­fül­lung der Plat­te um­grenzt! Der Rah­men war wahr­schein­lich auch ges­tern nicht stau­big, und seit­her ist ja wie­der un­sin­nig ge­wischt und ge­bürs­tet wor­den, – und da soll ein Mensch dak­ty­lo­sko­pi­sche Stu­di­en ma­chen!

Da­mit war es also nichts.

Im Zim­mer leuch­te­ten jetzt vier elek­tri­sche Lam­pen. Er dreh­te mit ei­nem Griff auch noch die üb­ri­gen acht auf. Strah­len­de Hel­le er­füll­te nun den Raum, und jetzt un­ter­such­te er wei­ter. Er schritt das Ge­mach nach al­len Rich­tun­gen ab, und über­all hin sand­te er den for­schen­den Blick, ohne ir­gend­ei­nen An­halts­punkt fin­den zu kön­nen.

Dann setz­te er sich wie­der an den Rauch­tisch. Es war klar, dass die­ser das Zen­trum für die Nach­for­schun­gen bil­den müs­se. Wie er aber auch späh­te, hier ließ sich kei­ne Spur und kein cor­pus de­lic­ti ent­de­cken, – doch – eben als er wie­der sei­ne Wan­de­run­gen auf­neh­men woll­te, be­merk­te er et­was. Ein­ge­bet­tet in der schma­len Spal­te zwi­schen Tuch und Holz­rah­men des Rauch­ti­sches und über sie her­aus­ra­gend ein Haar, dun­kel und glän­zend, nicht lang – ge­ra­de ge­zo­gen viel­leicht fünf Zen­ti­me­ter, aber es hat­te die Ten­denz, sich zu ei­nem Krei­se zu schlie­ßen.

Da­go­bert fuhr mit der Hand über Tuch, Rah­men und Spal­te, wo das Haar steck­te. Die­ses bog sich und blieb ste­cken. Es hat also auch Bürs­te und Staub­tuch stand­hal­ten kön­nen. An­der­seits – bei der Art, wie hier rein ge­macht wur­de, wie be­reits er­wähnt – ge­ra­de­zu ekel­haft! – war es wohl an­zu­neh­men, dass der Wi­der­stand kaum von Dau­er sein wür­de. Mehr­fa­che An­grif­fe wür­den das Haar doch wohl weg­fe­gen. Es war also ganz gut mög­lich, ja wahr­schein­lich, dass es erst ges­tern hin­ge­langt ist.

Er dach­te einen Au­gen­blick dar­an, sich den Die­ner her­ein­zu­läu­ten, um sich zu ver­ge­wis­sern, ob nicht heu­te schon ir­gend­je­mand, der nicht zum Hau­se ge­hör­te, das Zim­mer be­tre­ten hät­te, viel­leicht ihn auch dar­über aus­zu­ho­len, wer ges­tern da­ge­we­sen sei, aber er ver­warf den Ge­dan­ken so­fort wie­der. Na­tür­lich woll­te er, muss­te er spio­nie­ren, aber nicht bei der Die­ner­schaft! Das konn­te zu al­ber­nem Ge­re­de füh­ren, und eine ge­wis­se Rück­sicht war er doch dem Hau­se sei­nes bes­ten Freun­des schul­dig.

Er hob also das Haar mit den Fin­ger­spit­zen her­aus und barg es mit al­ler Sorg­falt in sei­nem Ta­schen­bu­che. Dann setz­te er sei­ne Nach­for­schun­gen fort. Er sah sich in dem gan­zen Zim­mer noch ein­mal gut um; es war wohl kaum noch et­was zu ho­len. Die Be­leuch­tung war so hell, dass ihm nicht leicht et­was ent­ge­hen konn­te. Oben auf der glatt po­lier­ten Flä­che des schwarz­mar­mor­nen Ka­min­ge­sim­ses be­merk­te er ein dunkles Klümp­chen, das den schar­fen ge­ra­den Zug der Li­nie un­ter­brach. Ob es wohl ver­lohn­te? Für einen De­tek­tiv ver­lohnt sich al­les, kann sich al­les ver­loh­nen.

Er rück­te sich einen Le­der­ses­sel hin und stieg auf ihn. Ein Zi­gar­ren­stum­mel, etwa vier Zen­ti­me­ter lang. Eine ganz leich­te Staub­de­cke auf der po­lier­ten Plat­te. Wenn die Haus­frau das wüss­te! Da ist heu­te nicht ab­ge­wischt wor­den. Der Herr Be­dien­te hat sich’s be­quem ge­macht. Wahr­schein­lich wischt er da nur je­den zwei­ten oder drit­ten Tag ab. Äl­ter war die dün­ne Staub­schicht nicht. Auch der Stum­mel war nicht äl­ter. Das konn­te ein Rau­cher schon be­ur­tei­len. Und noch eins. Auf der Staub­flä­che zeig­te sich kei­ne Spur ei­ner Hand oder ei­nes Fin­gers. Die Plat­te war also nicht schon stau­big, als der Zi­gar­ren­rest da hin­ge­legt wur­de. Er dürf­te also – er ist also ges­tern hin­ge­legt wor­den.

Da­go­bert un­ter­such­te den Rest. Er stamm­te von der in­kri­mi­nier­ten Sor­te.

Nun stieg Da­go­bert vom Ses­sel, steck­te den be­dacht­sam ver­pack­ten Stumpf in die Ta­sche, lösch­te die über­zäh­li­gen Lam­pen wie­der aus und fuhr dann, als die Zeit ge­kom­men war, mit in die Oper.

1 Lehn­stuhl, Lehn­ses­sel oder Arm­ses­sel <<<

2.

Grum­bach hat­te die gan­ze Zi­gar­ren­af­fä­re am nächs­ten Tage schon wie­der ver­ges­sen. Der viel­be­schäf­tig­te Fa­brik­herr und Groß­kauf­mann hat­te wahr­haf­tig an an­de­res zu den­ken. Er kam auch spä­ter nicht wie­der auf sie zu­rück, weil sich kein An­lass dazu er­gab. Ganz zu Ende war sie aber doch noch nicht.

Da­go­bert hat­te fast eine gan­ze Wo­che ver­strei­chen las­sen, be­vor er sich wie­der in dem Grum­bach­schen Hau­se se­hen ließ. Das letz­te Mal war er am Mitt­woch dort ge­we­sen, und erst am dar­auf­fol­gen­den Diens­tag­abend zeig­te er sich wie­der. Frau Vio­let emp­fing ihn im Rauch­zim­mer. Das Di­ner war vor­bei, und zum Kaf­fee, den er mit ihr neh­men soll­te, rauch­te sie sel­ber ganz gern eine Zi­ga­ret­te.

»Ich kom­me Ih­nen un­ge­le­gen, gnä­di­ge Frau?« be­gann er die Un­ter­hal­tung.

»Sie sind mir im­mer will­kom­men, Herr Da­go­bert«, er­wi­der­te sie lie­bens­wür­dig, aber et­was be­tre­ten schi­en sie doch, als sie sich auf der Ka­min­bank zu­recht­setz­te.

»Ich mein­te nur«, fuhr er harm­los fort, »weil ich ja an­neh­men konn­te, den Herrn Ge­mahl nicht zu Hau­se zu tref­fen.«

»Al­ler­dings – Diens­tag ist sein Klub­tag; da ist er nie zu Hau­se. De­sto an­ge­neh­mer für mich, Ge­sell­schaft zu ha­ben.«

»Es wäre aber doch auch mög­lich ge­we­sen, dass Gnä­di­ge sich be­reits mit an­der­wei­ti­ger Ge­sell­schaft ver­sorgt hät­ten, und ich viel­leicht nur stö­rend ge­we­sen sein wür­de.«

»Sie stö­ren nie­mals, Herr Da­go­bert«, ver­si­cher­te sie eif­rig und lenk­te dann ab, in­dem sie ihn, um dem Ge­sprä­che eine an­de­re Wen­dung zu ge­ben, bei sei­ner schwa­chen Sei­te pack­te und ihn mit sei­ner De­tek­tiv­lei­den­schaft zu ne­cken be­gann.

»Nun? Ha­ben Sie den ruch­lo­sen Zi­gar­ren­mar­der noch im­mer nicht ent­deckt?« frag­te sie mit fröh­li­chem Spott.

»Spot­ten Sie nicht zu früh, Gnä­di­ge!«

»Mein Gott, ein paar Zi­gar­ren kön­nen leicht weg­kom­men, ohne dass man er­fährt, wo­hin sie ge­ra­ten sind. Man soll­te gar nicht for­schen. Am nächs­ten liegt es, den Die­ner zu be­arg­wöh­nen. Er ist si­cher­lich un­schul­dig, aber wenn ein­mal der Ver­dacht ge­weckt ist, – mein Mann ist sehr ge­nau! – da kann der arme Teu­fel leicht um sein Brot kom­men.«

 

»Wir wer­den uns ja gleich über­zeu­gen«, ent­geg­ne­te Da­go­bert und drück­te auf den elek­tri­schen Tas­ter.

Frau Vio­let er­schrak über sei­ne Vo­rei­lig­keit und mach­te eine Be­we­gung, ihn zu­rück­zu­hal­ten, aber es war schon zu spät. Im nächs­ten Au­gen­blick stand der Die­ner im Zim­mer der Be­feh­le ge­wär­tig.

»Sie, lie­ber Franz«, be­gann Da­go­bert, »Sie wer­den so gut sein, mir einen Fia­ker zu ho­len, so etwa in ei­ner Stun­de.«

»Sehr wohl, gnä­di­ger Herr!«

»Hier, lie­ber Freund, für Ihre Mühe eine fei­ne Zi­gar­re!« Da­go­bert griff da­bei nach dem Kist­chen.

»Ich bit­te um Ver­zei­hung, gnä­di­ger Herr, ich rau­che nicht.«

»Ach, Un­sinn, Franz!« sag­te Da­go­bert. »Jetzt tun Sie nur Ihre Zi­gar­ren­ta­sche her­aus; wir wol­len sie ein­mal or­dent­lich an­fül­len.« Und er griff jetzt mit der gan­zen Hand in das Kist­chen.

Franz lach­te mit dem gan­zen Ge­sicht über den her­ab­las­sen­den Scherz und ver­si­cher­te noch ein­mal, dass er kein Rau­cher sei.

»Na, dann ist’s ja gut«, be­merk­te Da­go­bert leut­se­lig, »dann wer­den wir uns schon noch mit­ein­an­der ver­rech­nen. Sie sol­len des­halb nicht zu kurz kom­men.«

Der Die­ner ver­beug­te sich und ver­ließ ge­räusch­los das Zim­mer.

»Sie se­hen. Gnä­di­ge«, nahm dar­auf Da­go­bert wie­der das Wort. »Er ist es nicht ge­we­sen.«

Nun war es an Frau Vio­let, hell auf­zu­la­chen.

»Wenn das Ihre gan­ze Kunst ist, Da­go­bert, dann las­sen Sie sich nur ru­hig wie­der das Lehr­geld zu­rück­ge­ben! Ich sage ja nicht, dass er’s ge­we­sen ist – er ist es be­stimmt nicht ge­we­sen –, aber selbst, wenn er sich schul­dig ge­fühlt hät­te, glau­ben Sie wirk­lich, dass er Ih­nen in die­se plum­pe Fal­le ge­gan­gen wäre?«

»Wer sagt Ih­nen denn, Frau Vio­let, dass das mei­ne gan­ze Kunst ist? Ich woll­te Ih­nen nur vor­de­mons­trie­ren, dass er der Schul­di­ge nicht sein kann.«

»Weil Sie ihm so­fort al­les glau­ben! Sie sind naiv, Da­go­bert.«

»Für mich war es ganz zweck­los, ihn vor­zu­la­den. Ich woll­te nur vor Ih­nen sei­ne Ehren­ret­tung be­werk­stel­li­gen. Ei­gent­lich recht über­flüs­si­ger Wei­se. Denn auch Sie sind von sei­ner Un­schuld über­zeugt, und da­mit könn­ten wir ja die Sa­che als ab­ge­schlos­sen be­trach­ten.«

»Da­go­bert, Sie wis­sen mehr, als Sie sa­gen wol­len.«

»Ich will al­les sa­gen, wenn es Sie in­ter­es­siert, mei­ne Gnä­di­ge.«

»Es in­ter­es­siert mich sehr.«

»Wäre es nicht bes­ser, über­haupt nichts mehr da­von zu re­den?«

»Ja, warum soll­te das nun bes­ser sein, Da­go­bert?«

»Ich dach­te nur – ich weiß näm­lich al­les.«

»Umso bes­ser! Las­sen Sie hö­ren, was Sie her­aus­ge­bracht ha­ben.«

»Es ist ja mög­lich, dass ich im ein­zel­nen irre, dann wer­den Sie in der Lage sein, mich zu kor­ri­gie­ren.«

»Ich?!« Sie sah ihn groß an.

»Sie, mei­ne Gnä­di­ge. Es ist ja auch mög­lich, dass ich mich schwer bla­mie­re – ich glau­be es nicht, aber mög­lich wäre es im­mer­hin. Sie müs­sen be­rück­sich­ti­gen, dass ich aus­schließ­lich auf mei­ne Kom­bi­na­ti­on an­ge­wie­sen war und es ganz selbst­ver­ständ­lich ver­schmäht habe, Ihre Die­ner­schaft aus­zu­hor­chen.«

»Kei­ne so lan­ge Ein­lei­tung, Da­go­bert; zur Sa­che, wenn ich bit­ten darf.«

»Gut, ich de­cke mei­ne Kar­ten auf. Sie er­in­nern sich, mei­ne Gnä­digs­te, dass ich am letz­ten Mitt­woch zum ers­ten Mal von den Ab­gän­gen er­fuhr. Fünf Mi­nu­ten spä­ter hat­te ich die ge­naue Per­so­nen­be­schrei­bung –«

»Wie ha­ben Sie denn das an­ge­fan­gen?«

»Die ge­naue Per­so­nen­be­schrei­bung des – des Rau­chers. Ich den­ke, wir blei­ben bei die­ser Be­zeich­nung und ver­mei­den den odio­sen Aus­druck Dieb oder auch nur Zi­gar­ren­dieb. Die Zi­gar­ren sind ja tat­säch­lich nicht ge­stoh­len, son­dern nur ge­raucht wor­den, ohne dass der Haus­herr da­von wuss­te. Der Rau­cher ist also ein hoch­ge­wach­se­ner jun­ger Mann, einen gu­ten Kopf grö­ßer als ich, mit ei­nem wohl­ge­pfleg­ten schwar­zen Bart und pracht­vol­len Zäh­nen.«

»Wo­her wis­sen Sie das?«

»Ich wer­de Ih­nen al­les sa­gen, Gnä­digs­te. Üb­ri­gens hof­fe ich, die Rich­tig­keit der von mir ge­lie­fer­ten Per­so­nen­be­schrei­bung heu­te noch ekla­tant be­stä­tigt zu se­hen. Ich rech­ne näm­lich dar­auf, dass der vor­treff­li­che jun­ge Mann bin­nen kur­z­em uns die Ehre sei­ner Ge­sell­schaft ge­wäh­ren wird. Ich habe auch schon das Kist­chen mit sei­ner Lieb­lings­sor­te zu­recht­ge­rückt.«

Da tat sich die Tür auf, und der Die­ner trat mit der Mel­dung ein, dass der Wa­gen für den gnä­di­gen Herrn be­stellt sei und pünkt­lich zur fest­ge­setz­ten Zeit vor­fah­ren wer­de. Dann rich­te­te er an die Haus­frau die Fra­ge, ob es ihm nun er­laubt sei, zu »ge­hen«. Die Er­laub­nis wur­de er­teilt, und er zog sich dann mit ei­ner de­vo­ten Ver­beu­gung und ei­nem dan­ken­den »Küß d’ Hand!« wie­der zu­rück.

»Franz ist näm­lich ein Thea­ter­narr«, er­läu­ter­te Frau Vio­let. »Ein­mal in der Wo­che muss er ins Thea­ter ge­hen, und da gebe ich ihm am liebs­ten den Diens­tag­abend frei, wo mein Mann oh­ne­dies nicht zu Hau­se ist, er also am leich­tes­ten ent­behrt wer­den kann.«

»Ach sooo!« er­wi­der­te Da­go­bert nach­denk­lich. »Nun, das ist ja ganz in der Ord­nung.«

»Las­sen Sie sich aber da­durch nur nicht ab­len­ken, lie­ber Da­go­bert«, fuhr Frau Vio­let fort. »Sie sind mir die Auf­klä­rung schul­dig, wie Sie zu je­ner Per­so­nen­be­schrei­bung ge­langt sind.«

»Ich hat­te am Mitt­woch, als Sie und Ihr Herr Ge­mahl sich zu­rück­zo­gen, um sich fürs Thea­ter fer­tig zu ma­chen, ei­ni­ge Mi­nu­ten Zeit zur Un­ter­su­chung. Die Sa­che wäre viel­leicht schwie­rig ge­wor­den, wenn ich am Schau­platz der Tat kei­ne Spu­ren ge­fun­den hät­te.«

»Und Sie ha­ben wel­che ge­fun­den?«

»Ja. In der Spal­te des Rauch­ti­sches ein Haar und hier oben am Ka­min einen Zi­gar­ren­rest.«

»Die konn­ten aber schon lan­ge hier und dort lie­gen!«

»Ich hat­te mei­ne gu­ten Grün­de, an­zu­neh­men, dass es wirk­lich cor­po­ra de­lic­ti und erst am Tage vor­her dort­hin ge­langt sei­en. Ich habe dann bei mir zu Hau­se die bei­den Ge­gen­stän­de ge­nau, das Haar so­gar mi­kro­sko­pisch un­ter­sucht.«

»Und das Re­sul­tat?«

»Ein voll­kom­men be­frie­di­gen­des. Das Haar wies auf einen Tä­ter mit schö­nem schwar­zen Bart. Na­tu­rech­tes Schwarz, kei­ne Spur von künst­li­chem Farb­stoff – also ein al­ter Mann ist un­ser Rau­cher nicht. Ich kann so­gar sa­gen, dass es ein jun­ger Mann ist. Denn das Haar war weich, bieg- und schmieg­sam. Nicht ge­ra­de ers­ter Flaum, aber doch noch im­mer zart. Es hät­te der­ber, bors­ti­ger sein müs­sen, wenn da vor­her schon jah­re­lang ein Ra­sier­mes­ser ge­wal­tet hät­te. Der jun­ge Mann hält auch et­was auf sei­nen Bart, denn un­ter dem Mi­kro­skop wies das Haar eine Spur von Bril­lan­ti­ne auf. Das ist ein ganz harm­lo­ses, kos­me­ti­sches Mit­tel, aber ein we­nig ei­tel muss man doch sein, um es an­zu­wen­den. Da Sie den Tä­ter ken­nen, Gnä­digs­te, wer­den Sie ja be­ur­tei­len kön­nen, ob mei­ne An­nah­me eine rich­ti­ge oder ir­ri­ge ist.«

»Ich glau­be, dass Sie sich da in eine fixe Idee ver­rannt ha­ben.«

»Mög­lich; aber das ist ja nicht von Be­lang. Ge­hen wir wei­ter. Hier oben am Ka­min­sims lag der Zi­gar­ren­rest.«

»Zu wel­chen Schlüs­sen führ­te Sie der?«

»Es war mir zu­nächst an­ge­nehm, fest­stel­len zu kön­nen, dass die Sor­te stimm­te. Die wei­te­ren Schlüs­se er­ga­ben sich von selbst. Er­lau­ben Sie jetzt, dass ich noch ein­mal auf Ihren Die­ner zu­rück­kom­me. Ich er­wäh­ne da et­was bei­na­he zum Schluss, wo­von ich aus­ge­gan­gen bin und wo­mit ich ei­gent­lich an­ge­fan­gen habe. Nicht ohne Grund hat­te ich ihn jetzt her­ein­zi­tiert. Sie soll­ten sich ihn noch ein­mal an­se­hen. Also der Mensch ist blond, und sein Ge­sicht ist, wie sich das für einen or­dent­li­chen Die­ner ge­hört, der auch bei Tisch ser­viert, glatt ra­siert. Er hat fer­ner, wie es sich ei­gent­lich für einen or­dent­li­chen Die­ner nicht ge­hört und wie Sie sich über­zeu­gen konn­ten, als er uns so freund­lich an­grins­te, recht schad­haf­te Zäh­ne. End­lich konn­ten Sie se­hen, dass sei­ne Sta­tur eine ziem­lich klei­ne ist. Er ist noch et­was klei­ner als ich, und wir ha­ben doch fest­ge­stellt, dass der un­be­kann­te Tä­ter einen schwar­zen Bart trägt, sehr gute Zäh­ne hat und einen Kopf grö­ßer ist als ich.«

»Das ha­ben wir durch­aus noch nicht fest­ge­stellt!«

»Dann wol­len wir es gleich be­sor­gen. Die Spit­ze der Zi­gar­re war nicht mit ei­nem Mes­ser ab­ge­schnit­ten, son­dern prompt und glatt ab­ge­bis­sen wor­den. Dazu ge­hö­ren gute Zäh­ne. Dar­über wä­ren wir also im Kla­ren. Nun muss noch sei­ne un­ge­wöhn­li­che Kör­per­län­ge be­wie­sen wer­den. Nichts ein­fa­cher als das. Re­pro­du­zie­ren wir ein­mal die Si­tua­ti­on, mei­ne Gnä­di­ge –, ei­gent­lich gar nicht nö­tig. Denn sie ist schon her­ge­stellt. Sie auf Ihrem be­vor­zug­ten Plat­ze –, ich in re­spekt­vol­ler Ent­fer­nung, aber doch ge­ra­de noch nahe ge­nug für un­se­re Kon­ver­sa­ti­on, Ih­nen ge­gen­über­ste­hend, an den Ka­min ge­lehnt. Die Aus­sicht, die ich da bei­na­he aus der Vo­gel­per­spek­ti­ve ge­nie­ße, ist eine ent­zücken­de. Sie brau­chen nicht zu dro­hen, Frau Vio­let –, eine ent­zücken­de. Auch ich wür­de ohne be­son­de­ren Grund mei­nen glück­li­chen Beo­b­ach­ter­pos­ten nicht ver­las­sen. Wenn ich aber eine Zi­gar­re weg­zu­le­gen hät­te, so müss­te ich mich zum Rauch­ti­sche be­ge­ben, auf dem die Aschen­be­cher ste­hen. Denn ich könn­te nicht auf den Sims hin­auf­lan­gen, mir wäre er zu hoch! Da hät­te ich nun die Per­so­nen­be­schrei­bung be­grün­det. Stimmt sie, mei­ne Gnä­digs­te?«