Ein Hauch von Vorsehung

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Ein Hauch von Vorsehung
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Ein Hauch von Vorsehung

1  Ein Hauch von Vorsehung

2  Kapitel 1

3  Kapitel 2

4  Kapitel 3

5  Kapitel 4

6  Kapitel 5

7  Kapitel 6

8  Kapitel 7

9  Kapitel 8

10  Kapitel 9

11  Kapitel 10

12  Kapitel 11

13  Kapitel 12

14  Kapitel 13

15  Kapitel 14

16  Kapitel 15

17  Kapitel 16

Ein Hauch von Vorsehung
Ava Patell & Kim Pearse

Gay Romance

Ava Patell & Kim Pearse

c/o

Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

Texte: © Copyright by Ava Patell & Kim Pearse

Umschlaggestaltung: © Copyright by Carina Neppe

Besucht uns unter:

https://www.facebook.com/avpatell/

https://www.facebook.com/kipearse/

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen

und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten

mit lebenden oder verstorbenen Personen wären

zufällig und nicht beabsichtigt.

Das MORC (Main Olfactoric Research Center)

ist geistiges Eigentum von

Ava Patell und Kim Pearse.

Ein besonderer Dank geht an unsere fleißigen Testleser-Bienchen.

Nichts in der Geschichte des Lebens ist beständiger als der Wandel.

Charles Darwin

Kapitel 1

»Guten Morgen, Ladies und Gentlemen.«

Augenblicklich richtete sich Kaden gerade auf, als die harte Stimme von Mrs. Fowler, der Personalmanagerin, sie begrüßte. Sie stand vor der Gruppe an Mitarbeitern, die am heutigen Tage zum Dienst im Hotel erschienen waren.

»Keine besonderen Vorkommnisse in der letzten Nacht. Keine Beschwerden. Das sind Dinge, die ich gerne höre. Beziehungsweise nicht höre.« Sie lächelte schmal.

»War das ein Witz?«, fragte Irma leise. Sie war klein, hatte ein wenig zu viel auf den Rippen, eine Stupsnase und schöne, dunkle Augen. Und sie war Kadens liebste Kollegin. Er gluckste unterdrückt.

»Ich vermute fast, ja«, flüsterte er zurück, um den Morgenappell nicht zu unterbrechen.

»Gut. Kommen wir nun zur Aufteilung«, fuhr Mrs. Fowler fort und begann jetzt, die Namen zu nennen und die dazugehörigen Etagen, die gereinigt werden mussten. So spielte sich das jeden Morgen ab im Biltmore in Richfield Park. Es war ein altes, teures und schönes Hotel. Es wurde hier viel Wert auf … alles gelegt. Sauberkeit in den Zimmern, exquisite Einrichtung. Teures und gutes Essen. Es war Kaden bis heute ein Rätsel, wie er es geschafft hatte, hier einen Job zu bekommen. Auch wenn die Arbeit hart war, mehr als hart, sie war anspruchsvoll und das war etwas, das er sehr mochte. Ja, etwas, das er sogar brauchte. Und vielleicht war das einer der Gründe, warum er den Job hier bekommen hatte.

»Miss Jenkins. Sie haben heute die Etagen 9 und 10. Vier Abreisen, drei Anreisen. Der Rest voll belegt.«

Irma seufzte leise, als sie ihre Aufgabe für den Tag erfuhr. »Das wird ein langer Tag.«

Kaden nickte nur und hörte dann seinen eigenen Namen.

»Mr. Williams.«

Er sah Mrs. Fowler an und nickte.

»Mrs. Burlington hat sich heute früh krank gemeldet und kann demnach die Suiten nicht übernehmen. Denken Sie, Sie sind dem gewachsen?«

Mit einem Mal schlug ihm das Herz bis zum Hals. Irma sah ihn perplex an. »Ja. Ja, Ma’am. Ich denke schon. Ja.«

Oh Gott. Sollte das wirklich gerade passieren? Würde er die Suiten von Stella übernehmen? Normalerweise waren die Suiten nur den besten Mitarbeitern vorbehalten. Es war schwere Arbeit, viel mehr sauber zu machen als in einem normalen Zimmer. Und vor allem noch strengere Kontrolle und noch weniger Toleranz für Fehler. Kein einziger Wasserfleck auf einem Spiegel würde durchgehen, keine Schliere auf einem Kristallglas. Kein Staubkorn auf einem der dunklen Schränke. Keine nicht sorgfältig gebürstete Teppichfranse. Nichts davon würde ihm heute passieren dürfen. Sein Gehirn lief auf Hochtouren, arbeitete in drei bis vier verschiedene Richtungen zeitgleich.

»Gut, Mr. Williams. Dann versuchen wir das doch. Funken Sie mich an, wenn Sie mit der ersten Suite durch sind. Dann kann ich mir Ihre Arbeit ansehen.«

Kaden nickte wie benommen und sie verteilte die restlichen Etagen auf die übrigen Mitarbeiter, während er mit Irma zu den Rollwagen ging, um sich einen zu nehmen und mit frischen Handtüchern, Seifen und allem, was sonst noch fehlte, zu beladen.

»Das ist großartig, Kaden!«, jubelte Irma leise und fasste ihn bei den Armen. »Wow. Ich bin neidisch. Na ja, und dann auch wieder nicht. Das ist eine scheiß Arbeit. Aber verdammt, das ist auch eine großartige Chance für dich!«

Kaden nickte und steckte ein paar Seifenstücke in die Box auf seinem Trolley. »Ich weiß. Aber damit hätte ich nie gerechnet.«

Sie kicherte und boxte ihm leicht gegen die Schulter. »Du machst echt gute Arbeit, Kaden. Kein Wunder also, über kurz oder lang wäre das sowieso passiert. Und jetzt lass uns hoch fahren. Wir haben viel zu tun.«

Irma verließ den Personalaufzug vor ihm und Kaden selbst fuhr weiter in die vorletzte Etage. Hier befanden sich die Junior-Suiten und die würde er nun sauber machen. Die General-Schlüsselkarte hing an einem Flip-Bändchen an seinem Hosenbund, daneben steckte das Walkie-Talkie, über das die Hotelangestellten kommunizierten.

Er trug eine dunkelblaue Stoffhose, dazu ein weißes Hemd. Makellos weiß. Flecken wurden nicht geduldet und sowohl die Männer als auch die Frauen mussten stets Wechselkleidung im Hotel haben, um immer ordentlich auszusehen. Ein Namensschild wies ihn als Hotelangestellten aus. Die Frauen trugen anstatt eines Hemdes eine weiße Bluse, ansonsten unterschied sich das Outfit nicht. Und immerhin hatten sie das Zugeständnis bekommen, Turnschuhe tragen zu dürfen. Denn nach mehreren Stunden auf den Beinen, mit zum Teil sehr anstrengender körperlicher Arbeit, konnte man in eleganten Lederschuhen einfach nicht mehr laufen. Das hatte irgendwann auch der Hotelmanager eingesehen. Trotzdem taten einem am Ende des Tages die Füße weh ohne Ende. Aber das gehörte nun mal zum Job.

Kaden schob seinen Trolley an die Seite, damit der Weg nicht komplett versperrt war, griff nach dem Klemmbrett, welches oben auf lag und sah auf die Liste mit den Zimmernummern und den Kürzeln dahinter. Sieben Junior Suiten. Alle vermietet. Vier davon in der Club-Ausführung mit dunklen Möbeln. Es waren eher maskuline Zimmer. Drei der Suiten in normaler Ausführung, helle Möbel, insgesamt helles Design. Kaden mochte die Club Suiten lieber. Dann gab es noch die One Bedroom Suiten und die Club One Bedroom Suiten. Gleiches System, was das Design anging. Aber diese Suiten machte nicht Stella. Die machte ein anderer Angestellter. Und Kaden war ehrlich gesagt froh, dass der nicht krank war. Denn diese Suiten waren noch eine Nummer größer. Und die zwei teuersten Suiten würde wohl überhaupt niemals jemand anderes außer Mrs. Fowler selbst sauber machen. Die King Suite und die Presidential Suite, die sich im obersten Stockwerk des Hotels befanden.

Kaden begann mit den Zimmern, die auf seinem Zettel als Abreise gekennzeichnet waren. Suite 03 war bereits als abgereist gekennzeichnet und er trat an die Tür. Laut und vernehmlich klopfte er an.

»Zimmerservice«, sagte er und wartete die vorgeschriebenen 10 Sekunden, bevor er den Ruf wiederholte und schließlich eintrat. Niemand hatte geantwortet. Kaden verzog das Gesicht. Wenigstens das Fenster hätten die feinen Herrschaften öffnen können. Es roch hier drinnen nach Sex und Schweiß und Matsch. Es war nicht anders zu beschreiben. Er trat zurück zum Wagen, griff nach dem Geruchs-Neutralisierer. Wie eine Waffe hielt er ihn vor sich, sprühte eine große Ladung in die Suite, während er zu den Fenstern vordrang und sie weit öffnete.

Viele Wissenschaftler beschäftigten sich mit dem Thema. Wann es angefangen hatte, wieso es angefangen hatte. Ob es ein fehlgeleitetes Experiment war, die Erprobung eines Kampfstoffes oder einfach nur eine Laune der Natur. Bisher gab es kaum Ergebnisse dazu, aber vor etlichen Jahrzehnten hatte die Welt begonnen, sich zu wandeln. Nicht die Welt selbst, sondern die Menschen, die darin lebten. Kaden kannte es nicht anders, er war bereits in diese Welt hineingeboren worden, hatte es nie anders erlebt. Doch es sollte eine Zeit gegeben haben, in der die Menschen keinen so ausgeprägten Geruchssinn hatten, wie es jetzt der Fall war.

 

Etwas im Laufe der Jahre hatte sich verändert und jetzt waren die Menschen in der Lage, ähnlich gut zu riechen wie Hunde. Nun ja, an einen Hund würde wohl kein Mensch jemals herankommen, egal wie gut er seine Sinne trainierte. Dennoch, die Menschen waren nun in der Lage, andere Menschen zu riechen . Nicht nur Schweiß, sondern feine Veränderungen in ihrem Hormonhaushalt. Die einen waren besser darin, die anderen schlechter, aber die grundlegenden Gerüche war wohl jeder in der Lage, wahrzunehmen.

Früher, vor dieser Veränderung, so hieß es, war es eher eine Ahnung, wenn man einem wütenden Menschen gegenüber stand und ahnte , dass er gleich die Beherrschung verlieren würde. Heutzutage konnte man solche Emotionen deutlicher wahrnehmen. In der Veränderung des Geruchs eines Menschen. Nervosität ließ sich ebenso deutlich wahrnehmen wie Desinteresse.

Das Schlimmste an diesem Umstand waren wohl die Eigengerüche der Menschen. Keiner roch gleich, jeder trug sein ganz eigenes Aroma mit sich und der Spruch › jemanden nicht riechen können‹ bekam eine ganz eigene Bedeutung. Es gab tatsächlich Menschen, mit denen man es kaum ein paar Minuten im selben Raum aushielt, weil sie penetrant nach Veilchen rochen. Oder feuchtem Tier. Oder Vanille. So stark, dass einem schwindelig wurde und man kaum noch Sauerstoff zum Atmen fand. Für einen anderen Menschen konnte das natürlich sehr attraktiv sein. Für einige jedoch nicht und es hatte nicht lange gedauert, bis die Industrie und die Wissenschaft sich auf diesen Umstand gestürzt hatten.

Es gab inzwischen alles, vom Geruchs-Neutralisierer als Raumspray, das sie hier in rauen Mengen benutzen, damit die Zimmer für die nachfolgenden Gäste benutzbar und rein waren, über Haarshampoos, die den eigenen Geruch beseitigten, zumindest für 24 Stunden. Deos gab es natürlich, aber auch Geruchs-Verstärker oder, etwas das Kaden absolut ablehnte, spezielle Parfums. Diese überdeckten nicht nur den eigenen Geruch, sie gaukelten einen ganz anderen Duft vor und boten so die Möglichkeit, auch die Menschen auf einen aufmerksam zu machen, die sonst einen weiten Bogen um einen gemacht hätten.

Es gab verschiedene Ansichtspunkte über die Ursache in dieser Entwicklung. Viele hielten es für eine Laune der Natur, einen Unfall. Kaden schlug sich da eher auf die romantische Sichtweise des Ganzen. Es hatte einen Grund, dass man sein Gegenüber auf diese Art und Weise wahrnehmen konnte. Der Geruch eines Menschen machte ihn aus. Er kam immerhin aus seiner Genetik.

Er zeichnete ihn aus und wenn man jemanden nicht riechen konnte, so wie in diesem Zimmer - er schickte eine weitere Ladung des Sprays hinterher, um diesen Geruch zu vertreiben - dann ging man keine tiefere Beziehung mit diesem Menschen ein und vermied so eine Menge Kummer und Leid. Man ging falschen und zum Scheitern verurteilten Beziehungen aus dem Weg. Aber dank der Geruchs-Stabilisierer, wie sich diese Parfums nannten, die den eigenen Duft veränderten, kam es immer wieder zu Ehen, die nicht hielten. Ja, sogar zu schlimmen Verbrechen, da sie vertuschten, was die Menschen bewegte, was sie fühlten.

Ein von Grund auf schlechter Mensch, ein krimineller, wirklich gefährlicher Mensch würde jedem Menschen in der Nase kitzeln, dem er begegnete. Ein von der Natur eingerichtetes Warnsystem. Doch durch die Stabilisierer waren diese Menschen in der Lage, ihr Innerstes zu kaschieren. Die Gefahr zu überdecken und sogar umzukehren. Wirklich geübte Nasen, so sagte man, waren in der Lage, durch diesen Schleier zu sehen. Diese Pheromon- und Lockstoffe, die künstlich hergestellt worden waren, zu erkennen, aber dazu gehörten wohl die wenigsten. Die Wissenschaft hatte ganze Arbeit geleistet und verdiente eine Menge Geld damit.

Ein Journalist hatte es mit Süßstoff und Zucker verglichen. Auch da war nicht jeder in der Lage, den Unterschied in Speisen festzustellen. Aber ab einer gewissen Konzentration an Süßstoff würde es vermutlich irgendwann jeder schmecken. Das war bei den Stabilisierern leider nicht der Fall. Sie waren so effizient hergestellt worden, dass es nur den Geübtesten gelingen würde, die Scharade zu durchschauen. Es war schwierig und stellte die Polizei und auch das Rechtssystem vor neue Herausforderungen. Zur Zeit berieten erneut die Obersten des Landes, ob Stabilisierer nicht verboten werden sollten oder zumindest eine Konzentrationsbeschränkung eingeführt werden müsse.

Kaden schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken, während er sich daran machte, das Bett abzuziehen, wobei er die Luft anhielt. Der Geruch hier war enorm. Nichts gegen Sex, doch wenn es danach roch wie in einem Pumakäfig, dann konnte doch etwas nicht stimmen. Auch die Matratzenschoner zog er ab und schmiss alles auf einen Haufen. Dann besprühte er das Bett mit einem eigens dafür hergestellten Spray, das die Duftstoffe aus den Fasern saugte und einen leichten Hauch von Baumwolle und Leinen zurückließ. Sprays dieser Art waren vornehmlich für den öffentlichen Bereich bestimmt und dementsprechend kostspielig. Für Privatpersonen waren solche Hilfsmittel eher Luxusartikel und teuer.

Kaden drehte die Musik seines MP3-Players etwas lauter. Das war etwas, was erlaubt war, solange die Musik nicht so laut lief, dass die Angestellten den Funk oder die Gäste des Hotels nicht mehr hören konnten.

Er brauchte fast eine Stunde für die Suite, was eine Schande war, aber Kaden war nicht geübt in diesen Zimmern. Als er Mrs. Fowler anfunkte, musste er nur noch neue kleine Fläschchen im Bad platzieren. Noch einmal kontrollierte er, ob auch ja kein Streifen auf der Glasabtrennung der großen Dusche zu sehen war. Aber er konnte nichts entdecken. Fünf Minuten später betrat Mrs. Fowler das Zimmer.

»Ah. Mr. Williams.« Sie nickte ihm zu, während er sich die Stöpsel aus den Ohren zog. »Etwas langsam, aber das nehme ich Ihnen nicht übel. Sie werden schneller werden, das weiß ich.« Sie lächelte wie so oft ihr schmales Lächeln. Mrs. Fowler gehörte zu den wenigen Menschen, die er kannte, die dazu in der Lage waren, ihren Duft unter Kontrolle zu halten. Wohl zusammen mit ihren Emotionen. Durch und durch faszinierend. Alles, was er wahrnehmen konnte, war ein Hauch von Sonne, Leder und Sand. Kein Hinweis darauf, wie sie die Arbeit bewertete. Sie lief durch die Suite, sah in die Schränke, hob die Bettdecken an, um zu sehen, ob die Laken darunter glatt waren. Keine Bügelfalten waren zu sehen. Danach zog sie die Bettdecken wieder glatt. Sie sah in die Minibar, betrachtete die Kristallgläser, hielt sie gegen das Licht. Fasste in die Lampenschirme und auf die weißen Querstreben der Fenster. Dann ging sie ins Bad.

Kaden war nervös. Er wusste genau, dass sie das würde riechen können. Denn während sein Gehirn auf Hochtouren lief und alle Szenarien gleichzeitig durchspielte, war kein Platz mehr dafür, seine Emotionen irgendwie unter Kontrolle zu halten. So knetete er nervös seine Finger und biss sich auf die Unterlippe. Als sie aus dem Bad trat, sah sie ihn einen Augenblick lang an. Er konnte es nicht verhindern, tief einzuatmen. Nichts. Sand, Sonne, Leder. Sonst nichts.

Dann nickte sie schließlich. »Ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht, Mr. Williams. Nur den Spiegel sollten Sie noch einmal nachpolieren. Wenn sie links versetzt davor stehen, dann sehen Sie schon, was ich meine.« Sie trat an Kaden vorbei. »Funken Sie mich an, wenn Sie im letzten Zimmer sind. Ich komme dann vorbei, um die anderen Suiten zu kontrollieren. Ach und Mr. Williams.«

Er drehte sich zu ihr um. Sein Herz hämmerte noch immer und sie lächelte wieder dieses schmale Lächeln.

»Eine letzte Dosis des Raumsprays kann nicht schaden, bevor Sie gehen«, meinte sie und Kaden glaubte fast, eine Spur Amüsement in ihrer Stimme wahrzunehmen. Knallrot lief er an, weil er genau wusste, was sie meinte. Da versagte jedes Deo und jemand wie sie war in der Lage, seine Aufregung 100 Meter gegen den Wind aufzuschnappen. Es war peinlich.

»Ja, Ma’am«, sagte er daher nur und sie verschwand. Er lief zurück ins Bad und beseitigte die Schlieren, versprühte noch eine Dosis Spray und ging dann zur nächsten Suite. Ebenfalls Abreise und eine Nachfrage an der Rezeption bestätigte, dass auch diese Gäste inzwischen ausgezogen waren. Hier waren die Fenster angeklappt, es hing noch ein leichter Duft von Rosen und Apfel in der Luft. Verrückt. Aber er wusste, selbst wenn hier nicht schon gelüftet gewesen wäre, wäre dieser Duft nicht so aufdringlich gewesen wie im Zimmer davor.

Er machte sich auch hier an die Arbeit, steckte sich die Ohrstöpsel wieder ein und zog das Bett ab. Dieses Mal war er schon sicherer in dem, was er tat, und schaffte es fast in 45 Minuten, was deutlich besser war. Die nächsten zwei Suiten, die Kaden sich vornahm, weil die Bewohner gerade nicht da waren, waren Bleiber . Hier war weniger zu tun. Handtücher auswechseln. Das Bad putzen, aber eben nicht so tiefgreifend, als wenn sie ausgezogen wären. Das Bett wurde in der Regel nur zurecht gemacht, nicht neu bezogen, je nachdem in welchem Zustand man es vorfand. Und Kaden hatte bereits einige Zustände mit ansehen müssen.

Minibar auffüllen, die gut erreichbaren Oberflächen reinigen und natürlich nichts anfassen, was den Gästen gehörte. Abgesehen von Kleidungsstücken, die auf dem Boden lagen. Diese durfte man aufheben und ordentlich auf einen Bügel oder über einen Stuhl hängen, um die Zimmer saugen zu können. Als er mit diesen beiden Suiten durch war, war es Zeit für eine kurze Mittagspause. Der Wäscheberg landete im Wäscheschacht und er aß zusammen mit Irma, bevor sie zurück an die Arbeit gingen.

Als Kaden die nächste Suite öffnete, eine der Club Suiten, stutzte er. Und schnupperte. Es war kaum ein Geruch auszumachen. Und das irritierte ihn. Neutralisierer? Nein, dann würde gar nichts zu riechen sein. Es war eher so, dass er diesen Duft nicht greifen konnte, weil er absolut anders war. Er schüttelte den Kopf, ermahnte sich dazu, seine Arbeit zu machen. Als er jedoch auf die Sitzecke schaute und den dortigen Stapel an Papieren und Ordner entdeckte, stutzte er erneut. Kein Urlaubsbesuch. Geschäftsmann? Es gehörte sich nicht, dennoch warf Kaden einen Blick in den Kleiderschrank im Schlafbereich. Da hing ein Anzug und wenn ihn nicht alles täuschte sogar ein recht teurer. Seine Finger strichen nur kurz über den Stoff, der sich leicht kühl anfühlte, jedoch schnell seine Körperwärme aufnahm. Schnell schloss er den Schrank wieder.

Und noch etwas war anders. Das Bett war ordentlich zurück geschlagen, das Kissen aufgeschüttelt. Nicht wie in den anderen Zimmern, wo alles noch zerknüllt herumgelegen hatte. Und selbst hier, als er das Bett machte, war der Geruch des Mannes kaum zu greifen. Ein Hauch von Wald? Moschus? Meer? Zitronen? Was war das? Er zuckte zurück, als er sich dabei ertappte, wie er an dem Kopfkissen schnupperte.

»Guter Gott«, murmelte er und machte schnell, aber ordentlich das Bett fertig. Das nächste, was ihm ins Auge fiel, war ein Glas auf dem Stubentisch, ein weiteres auf dem Schreibtisch. Als Kaden das Glas vom Schreibtisch nahm, stutzte er. So viele Unterlagen, Zettel und Aufzeichnungen! Eine klare, aber schiefe Handschrift. Mit einem Lappen wischte er den Wasserrand vom lackierten Holz, den das Glas hinterlassen hatte.

Seine Augen scannten die Unterlagen, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Was wohl auch an dem merkwürdigen Design des Schriftstückes lag, das hier in mehrfacher Ausfertigung durcheinander geschoben aufzufinden war. Ein Teil davon sorgfältig gestapelt, der andere wild durcheinander und ein paar der Zettel mit unterschiedlichen Handschriften versehen.

Sie erhalten den Auftrag, einen Musiker Ihrer Wahl für einen Aufenthalt und für die Produktion eines Albums in einem Hotel unterzubringen. Erstellen Sie eine Kalkulation .

Kaden blinzelte und las die kurze Instruktion erneut. Das war vage. Mehr als vage. Was für einen Musiker? Jazz? Rock? Pop? Danach richtete sich doch der ganze Rest. Aber es war der Musiker einer freien Wahl. Er schüttelte den Kopf. Verdammt noch mal! Zurück an die Arbeit! Es gehörte sich nicht, in fremden Zimmern zu schnüffeln. Das sagte er sich auf dem Weg zum Trolley, von dem er zwei neue Gläser holte und die Minibar füllte. Auf dem Stubentisch stand ein Kühler mit einer leeren Flasche Wasser, den er ebenfalls aus dem Zimmer räumte.

Swing? Country? Die Aufgabe war knifflig. Eine Kalkulation zu erstellen war an sich ja schon keine leichte Aufgabe, weil immer dazu gehörte, sämtliche Eventualitäten mit einzuberechnen. Alles was möglich war, konnte passieren. So musste man kalkulieren. Kostete es am Ende weniger, dann war es nur umso besser. Kostete es aber mehr als das, was man berechnet hatte ... Das konnte böse enden.

 

Das hatten sie sogar hier im Hotel schon erlebt. Nur kannte sich Kaden im Musik-Geschäft wirklich nicht sehr gut aus. Aber um ein Album aufzunehmen, dazu gehörte sicherlich ebenfalls eine ganze Menge. Tonstudio, Personal, Instrumente, Copyright-Verhandlungen. Verträge, also auch Anwaltshonorare. Die Treffen, die anstanden, um so etwas zu verhandeln. Er ertappte sich selbst, wie er dämlich vor sich hin starrend mit dem Putzlappen im Bad stand, weil sein Kopf mal wieder seine eigenen Wege ging. Verflucht!

Aber selbst bei so einem Treffen wurde Wasser benötigt, Gebäck oder Cracker. Was noch? Was bot man denn im Musik-Business bei Vertragsverhandlungen an? Oder … Moment, ging man da nicht essen? Ein Restaurant. Je nach Musiker natürlich. Vielleicht nach den Vorlieben. Vielleicht hatte er eine Vergangenheit hier in La Junta Gardens, ein Lieblingsrestaurant oder derjenige aß einfach sehr gerne Hummer.

Aber nicht den zweiten vor dem ersten Schritt! Als erstes musste ein Musiker her. Kaden schlug sich gegen die Stirn. Verflucht noch mal! Er sah auf seine Uhr. Diese Aufgabe reizte ihn, weil sie ihn forderte und darum ließ sie ihn nicht mehr los. Er trat zu dem Schreibtisch, zog aus der Schublade das Hotelbriefpapier, und den Stift aus seiner Hemdtasche. Dann griff er nach seinem MP3-Player und stellte auf Shuffle . Der erste Song, der erklang, war von Ray Charles.

Natürlich. Einen toten Star unterzubringen wäre nicht sehr praktisch. Er klickte einen Song weiter. Christina Aguilera. Hui. Verdammt schwer. Kaden wusste zu wenig über diese Frau. Er klickte noch drei weitere Songs und dann sang ihm die ruhige und rauchige Stimme von Trevor Orbinson ins Ohr. Er liebte diesen Countrysänger. Ja. Das würde gehen. Von dem wusste er sogar etwas. Kaden schrieb den Namen oben auf das Briefpapier. Und dann kritzelte er schnell ein paar Positionen darunter. Orbinson lebte in Texas. Also wäre das erste auf der Positionsliste wohl der Flug von Texas nach La Junta Gardens. So weit, so gut. Was brauchte man noch? Transfer. Vom Flughafen ins Hotel. Was für ein Hotel? Vermutlich nicht dieses hier. Zu wenig Sicherheitsvorkehrungen. Zu öffentlich. Wohl eher das Four Seasons, die hatten eine Tiefgarage. Suite. Die waren teuer, aber groß und schön. Was noch? Tonstudio. Ganz klar. Dahinter musste er ein Fragezeichen setzen. Er hatte keine Ahnung, was so etwas kostete. Sicherlich eine heiden Kohle. Er kritzelte schnell noch ein paar weitere Positionen dazu, die ihm sofort einfielen und machte dann weiter mit seiner Arbeit. Endlich hatte er den Knoten so weit gelöst, dass er im Badezimmer seine Arbeit beenden konnte. Doch als er die Tür hinter sich zuzog, hatte Kaden erneut den Kopf voll von Positionen, die er aufschreiben musste, weil sie dazu gehörten. Schließlich riss er das Blatt vom Block, weil es voll war und drehte es um. Schrieb weiter. Saugte das Zimmer, schrieb erneut ein paar Kosten auf. Die Musik in seinen Ohren dämpfte seine Schritte, ebenso wie die dicken Teppiche hier im Hotel und so hörte er nicht, wie jemand das Zimmer betrat.

Kaden schrieb gerade

›Obstkorb im Hotelzimmer mit frischen Passionsfrüchten‹

auf seine Kalkulation, als er hinter sich ein Räuspern vernahm. Zu Tode erschrocken fuhr er herum und konnte nicht fassen, dass das gerade passierte. Fuck! Und das an seinem ersten Tag auf dieser Etage! Das wäre mehr als nur ein Kündigungsgrund!

»Was machen Sie denn da?«, fragte die Frau vor Kaden streng. Eine Hand in die Hüfte gestemmt, in der anderen Unterlagen, sah sie auf ihn herab. Sie betonte das Wort ›machen‹ scharf, ganz so als wollte sie andeuten, dass das Gegenüber eigentlich doch etwas ganz anderes zu tun hatte - was in diesem Fall ja sogar stimmte.

Da stand Kaden nun. Seinen Kugelschreiber noch immer in der Hand und sah sich ihr gegenüber, einer Frau, wie er sie wohl noch nie in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Ihre schlanken Füße steckten in hohen Schuhen, deren Pfennigabsätze sich in den Teppichboden gruben. Dennoch stand sie so sicher wie auf Turnschuhen. Auf Höhe ihrer Knie begann ein dunkelblaues, elegantes Kleid, welches ihre Figur sanft umschmeichelte. Ein schiefer V-Ausschnitt enthüllte ein makelloses Dekolletee, welches in einen schmalen Hals überging und schließlich in einem wunderschönen Gesicht endete, in dem die feurigsten Augen lagen, die er je gesehen hatte. Die Lippen waren missmutig verzogen. Sie trug nur ein dezentes Make-Up, welches ihre natürliche Schönheit unterstrich. Aber das wohl Auffälligste waren ihre Haare. Kohlrabenschwarz. Lang. In sanften Wellen fiel es ihr über die rechte Schulter. Diese Frau war wahrlich eine Erscheinung. Dazu kam der Duft, der sie umgab. Das erste, was Kaden auffiel war ein Hauch von Zimt. Das nächste waren Orangen oder etwas ähnlich fruchtiges. Und darunter mischte sich eine leicht herbe Note, die er nicht fassen konnte.

Kaden bekam keinen Ton heraus. Diese Frau machte ihm Angst. Und jetzt kam sie mit langen Schritten auf ihn zu, griff nach dem Blatt Papier unter seiner Hand.

»Geben Sie das her.« Sie warf einen Blick auf das Papier, nachdem sie es an sich gerissen hatte und stutzte dann. Ihr Blick huschte wieder zu Kaden, während sie das Blatt wendete und die Positionen auf der Rückseite überflog.

»Sie sind vom Zimmerservice?«

Kaden nickte. »Es ... Es tut mir so leid, Ma’am. Ich hätte das nicht tun dürfen.«

»Nein. Das hätten Sie nicht«, stimmte die Frau kühl zu. »Wie heißen Sie?«

»Kaden Williams, Ma’am. Aber ich schwöre, ich hab das nur für mich gemacht. Ich habe nicht spioniert oder so etwas.« Er knetete seinen Kugelschreiber zwischen den Fingern. Das Plastikteil knarzte leise protestierend unter dieser Behandlung.

»Zunächst ... Nennen Sie mich nie wieder Ma’am. Zweimal genügt. Ich bin Darea. Darea Harrison.« Ihre schmalen Finger mit den perfekt manikürten Fingernägeln deuteten auf den Stift. »Lassen Sie das.«

Jetzt, wo diese Frau so dicht bei ihm stand, konnte Kaden ihren Duft noch intensiver wahrnehmen. Irgendwie war er wie Weihnachten. So unendlich angenehm. Das absolute Gegenteil zu den Gefühlen, die sie in ihm auslöste. Auf ihren Befehl hin legte er sofort den Stift nieder.

»Entschuldigung.«

Darea griff nach den Papieren auf dem Tisch, legte sie auf die anderen Unterlagen auf ihrem Arm und Kadens begonnene Lösung obenauf.

»Sie sollten wieder an Ihre Arbeit gehen, Mr. Williams«, sagte sie und ging bis zur Tür, in der sie sich noch einmal umdrehte. »Oh, bevor ich es vergesse. Sollte ich später auch nur einen Hinweis darauf finden, dass Sie noch einmal an Mr. Sorokins Sachen waren, werde ich Ihnen das Leben zur Hölle machen«, sagte sie zuckersüß, doch Kaden war sofort klar, dass sie es ernst meinte. Darea drehte sich um und schritt aus dem Zimmer, den Flur entlang bis zum Fahrstuhl, der bereits auf sie wartete, als hätte sie es ihm angeordnet.

Und Kaden starrte ihr nach. Unbeweglich. Verängstigt. So stand er gute fünf Minuten da. Dann schauderte er, bekam Gänsehaut am ganzen Körper. Er war so was von erledigt! Wie auf rohen Eiern ging Kaden zurück zu seinem Trolley. Verdammt! Wieso nur hatte er das getan? War er denn übergeschnappt? Seine Finger schlossen sich um den Rahmen des Wagens und er atmete ein paar Mal tief durch. Ganz ruhig, sagte er sich. Noch arbeitete er hier. Noch musste er seine Arbeit machen. Gewissenhaft und so gut er konnte.

Genau das tat Kaden auch. Er berührte nichts mehr in dem Zimmer, das nicht dem Hotel gehörte. Zog zum Schluss noch einmal das Bettzeug glatt und schloss dann die Tür, bevor er sich an die letzte Suite machte. Mrs. Fowler kontrollierte nach einem Funkspruch seinerseits bereits die anderen Suiten. Er war unglaublich nervös. Aber jetzt nicht mehr wegen der Arbeit auf dieser Etage, sondern weil er Angst hatte, seinen Job zu verlieren. Wegen diesem verfluchten Gehirn in seinem Kopf!

Er hatte Angst vor der Standpauke von Mrs. Fowler, sollte sie davon erfahren. Und vor dieser Frau mit den schwarzen Haaren! Bisher hatte Kaden gedacht, solche Menschen gäbe es nur in Büchern oder Serien. Im Fernsehen. Aber nicht in der Realität! Sie war unheimlich schön gewesen. Elegant. Zielstrebig, da ging er jede Wette ein. Und sie würde sicherlich immer das bekommen, was sie wollte. Weil sie es sich im Zweifel einfach nahm. Solche Frauen gab es doch gar nicht!

***

Als Darea den kleinen Veranstaltungsraum, den sie für die Vorstellungsgespräche im Hotel gebucht hatte, betrat, gab sie ein Geräusch von sich, das wie ›Buah!‹ klang. Im Gegensatz zu ihr behielt sich Nikolaj Sorokin wie immer unter Kontrolle. Aufmerksam schien er dem blonden Bewerber zuzuhören, der irgendetwas vor sich hin stammelte, das keinen Sinn ergab. Er roch nach gefrorenem Fisch und als Darea näher trat, sah sie, dass er einen hochroten Kopf hatte. Neben Nikolaj blieb sie stehen und unterbrach den Bewerber mit nur einer Handbewegung. Der sah sie fragend an, den Mund offen wie ein Kugelfisch.