Liebe schmeckt wie Schokolade

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Liebe schmeckt wie Schokolade
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Liebe schmeckt wie Schokolade

1  Titel Seite

2  Kapitel 1

3  Kapitel 2

4  Kapitel 3

5  Kapitel 4

6  Kapitel 5

7  Kapitel 6

8  Kapitel 7

9  Kapitel 8

10  Kapitel 9

11  Kapitel 10

12  Kapitel 11

13  Kapitel 12

14  Kapitel 13

15  Epilog

Liebe schmeckt wie Schokolade

Ava Patell & Kim Pearse

Gay Romance

Ava Patell & Kim Pearse

c/o

Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

Texte: © Copyright by Ava Patell & Kim Pearse

Umschlaggestaltung: © Copyright by Carina Neppe

Besucht uns unter:

https://www.facebook.com/avpatell/

https://www.facebook.com/kipearse/

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen

und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten

mit lebenden oder verstorbenen Personen wären

zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1

»Schatz?« Die Dielen knarzten unter Evelyns Füßen, als sie die Eingangstür langsam öffnete und in den Flur trat. »Schatz, bist du da?«

Leise schloss sie die Tür hinter sich. Im Flur hatte sich nicht viel verändert. Kisten standen herum, eine Sitzbank war unter einer Plastikplane verborgen, eine nackte Glühbirne baumelte lustlos von der Decke herunter und auch das grauenerregende Grün an der Wand war noch keiner anderen Farbe gewichen. Sie schauderte, als sie länger auf den grünen Farbton starrte. Dann schüttelte sie den Kopf, denn irgendetwas war anders. Auch wenn sie im Moment noch nicht greifen konnte, was genau es war.

Sie trat durch den Flur in die Küche, doch auch hier hatte sich nichts verändert. Staub, ein Eimer mit Wasser und einem Putzlappen darin. In der alten Spüle stand eine Kaffeetasse. Die Kücheninsel war ebenfalls mit einer Plastikplane zugedeckt. Die ganze Küche brauchte eine Überholung, falls überhaupt noch etwas zu retten wäre. Nur die marmorne Arbeitsplatte schien jeglichem Verschleiß getrotzt zu haben. Das helle Weiß mit den grauen Einschlüssen glänzte zwar dumpf, würde jedoch nach der Bekanntschaft mit Putzmittel wieder in altem Glanz erstrahlen. Evelyn stemmte die Hände in die schmalen Hüften, grübelte. Dann hörte sie ein Knarren. Es kam von oben. Sie trat zurück in den Flur und auf die ersten Stufen der Treppe.

»Schatz?«, rief sie erneut und stieg die geschwungene Treppe nach oben. Jetzt bemerkte sie auch, was anders war. Leise Musik drang ihr an die Ohren. Die schwere Stille im Haus war verschwunden.

»Im Schlafzimmer!«, kam jetzt endlich eine Antwort und sie lächelte beim Klang der dunklen Stimme ihres Sohnes. Als sie das Schlafzimmer im ersten Stock betrat, breitete sich das Lächeln weiter aus. Leo stand mit einer Farbrolle bewaffnet vor einer Wand und übermalte das hier vorherrschende Rostrot mit einem hellen Cremeton.

»Eine sehr gute Wahl«, stellte sie jetzt fest und er sah über die Schulter zu ihr, lächelte. Tagelang hatte sie dieses Lächeln nicht mehr gesehen und es jetzt zu sehen, die Wärme zu spüren, die davon ausging, ließ ihr Herz stolpern. »Als nächstes musst du dringend den Flur in Angriff nehmen. Dieses Grün da unten verursacht Übelkeit.«

Leo lachte leise, was immer ein wenig kratzig klang. Dabei rauchte er schon viele Jahre nicht mehr. Jetzt trat Evelyn auf ihn zu und reckte sich, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Ihr Sohn war ein groß gewachsener Mann und er kam ihr entgegen, um es ihr leichter zu machen.

»Hey, Mum.«

»Hey, mein Großer.« Sie strich ihm über die Wange. Der Bart, den er noch vor zwei Tagen getragen hatte, war verschwunden. Noch ein gutes Zeichen. Er schien sich wieder zu erinnern, wie man einen Rasierer verwendete. »Wie geht es dir?«, fragte Evelyn jetzt und beobachtete, wie Leo die Farbrolle weglegte und sich die Finger an einem Tuch sauber wischte. Die Matratze, auf der er in den letzten Tagen geschlafen hatte, stand nun aufrecht gegen den Einbauschrank gelehnt und machte so Platz für die Malerarbeiten.

»Es geht.« Sie sah ihn tief einatmen und sein Blick ging aus dem Fenster, vor dem ein großer Baum stand. »Ich glaube, ich kann wieder atmen.«

Schief lächelte Evelyn und strich ihm über den Arm. »Es wird besser werden, Schatz. Versprochen. Das ist nicht das Ende der Welt.«

Der Blick, den er ihr zuwarf, sagte mehr als tausend Worte und sie lachte.

»Hey, schau mich nicht so an. Ich bin deine Mutter und damit verpflichtet, so etwas zu sagen.«

Wieder dieses Lächeln, das Eis zum Schmelzen bringen konnte. Und dieser Meinung war sie nicht nur, weil sie Leos Mutter war, sondern weil es einer Tatsache entsprach und er damit in seiner Jugend nicht nur ein Herz gebrochen hatte. Wie viele Mädchen hatten damals versucht, bei ihm zu landen? Sie hatte irgendwann aufgehört zu zählen. Und dann war die Zeit gekommen, in der er gemerkt hatte, dass er im Grunde gar nichts für Mädchen übrig hatte. Das war lange, nachdem sie selbst diese Vermutung gehabt hatte. Und ihn so sehen zu müssen, wie es ihm in den letzten Tagen ergangen war, das war hart für sie gewesen. Doch jetzt schien es, als würde er versuchen, die grauen Wolken davon zu schieben.

»Ich denke, ich möchte jetzt darüber reden«, sagte Leo und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sofort war sie hellhörig.

»Oh. Gern, Schatz.« Sie entdeckte einen Pinsel, der auf dem umgedrehten Deckel der Wandfarbe lag, und griff danach. Sie kannte ihren ältesten Sohn gut und wusste auch, dass er nicht der Typ war, der bei einer Tasse Tee gut reden konnte. Er musste in Bewegung sein. Die Gefühle immer ein Stück auf Abstand. Ein Hauch von Beiläufigkeit war wichtig für ihn. Und so begann sie jetzt, die Ecken und Kanten des Zimmers mit Wandfarbe zu bestreichen. Leise seufzte Leo hinter ihr.

»Caleb hat mich seit einem halben Jahr betrogen.«

Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte den Pinsel fallen lassen, was einen unschönen Fleck auf dem Parkett hinterlassen hätte. Überrascht drehte sie sich zu Leo um, der mit der Rolle wieder Farbe an die Wand brachte.

»Das ist nicht dein Ernst«, würgte sie hervor und sah ihren Sohn dann nicken.

»Ich wäre zu berechenbar geworden. Hätte keine großen Ziele im Leben.«

Evelyn sah deutlich, wie fest er die Rolle umschlossen hielt. »Schatz, das ist doch ausgemachte Scheiße!«, brach es aus ihr hervor. Sein überraschter Blick traf sie. »Du hast keine Ziele im Leben? Ich bitte dich! Du wirst das Geschäft übernehmen, es gehört dir ja schon jetzt fast. Du bist dabei, unseren Umsatz deutlich zu steigern. Du bist tüchtig und was bitte soll das bedeuten? Berechenbar? Sollst du etwa losziehen und eine Tankstelle überfallen oder was?« Sie wedelte mit dem Pinsel herum und spritzte Farbe gegen die Fensterscheibe. »Bullshit! Du bist genau richtig, so wie du bist! Du bist bodenständig, du bist zielstrebig und zuverlässig!«

Sie wurde dadurch unterbrochen, dass ihr großer Sohn mit zwei Schritten bei ihr war und sie fest umarmte. Sie verschwand beinahe in seinen Armen. Leo kam eindeutig nach seinem Vater, was die Statur anbelangte. Charakterlich jedoch war er schon immer eher nach ihr geschlagen. Sie legte die Arme um ihn.

»Ach Schatz. Ich kann nur erahnen, wie sehr dir das weh tut. Wie weh er dir getan hat. Der dämliche Vollidiot.« Sie fühlte sein leises Lachen, fühlte aber auch die tiefe Traurigkeit, die ihn durchdrang. »Wir schaffen das. Zusammen. Das haben wir schon immer so gemacht, hm? Wir halten als Familie zusammen und wir holen auch dieses Schiff aus den Untiefen heraus. Versprochen.« Vorsichtig schob sie ihn von sich und sah ihm in die hellen, braunen Augen. Tränen standen darin. Tränen, die er vermutlich nicht mehr bereit war, zu vergießen. Er war dabei, einen Schlussstrich zu ziehen. Ein Umstand, der sie stolz machte. Sanft fuhr sie ihm durch das immer etwas störrische Haar.

»Tu mir nur einen Gefallen, hm? Falls Caleb auf die Idee kommen sollte, dich zurückhaben zu wollen, tu es nicht.« Eindringlich sah sie ihn an. »Du weißt, was dein Vater immer sagt?«

Schief lächelte Leo. »Wenn der Bär einmal aus dem verbotenen Honigtopf genascht hat, dann tut er es immer wieder.«

Evelyn nickte. »Ganz genau. Und das hast du nicht verdient, mein Schatz. Keines meiner Kinder hat so etwas verdient und ich schwöre dir, wenn Caleb mir noch mal unter die Augen tritt, kastriere ich ihn.«

 

Diesmal lachte Leo nicht. »Mum …«

»Das ist mein Ernst.«

»Ich weiß. Und das ist es, was mir Angst macht.«

Evelyn lachte leise. »Ich würde es wie einen Unfall aussehen lassen. Vertrau mir.«

Tief atmete Leo durch. Sie legte leicht den Kopf schief. »Morgen kommst du wieder zur Arbeit. Zeit, den Kopf aus dem Sand zu ziehen und sich dem Leben zu stellen.«

»Ja, Mum.«

»Und glaube mir. Dann war Caleb nicht der Richtige für dich. Irgendwo dort draußen aber gibt es ihn.« Sie drehte sich wieder zur Wand um und setzte den Pinsel an. »Du wirst ihn finden. Oder er dich.«

Auch Leo setzte die Rolle wieder an die Wand. »Im Moment habe ich die Nase voll von der Liebe.«

Evelyn lachte. »Ach, das hat deine Tante Samantha auch gesagt. Ein halbes Jahr später war sie verlobt und ein weiteres halbes Jahr später hat sie ihr erstes Kind bekommen. Ich wäre also vorsichtig mit solchen Äußerungen.«

Leo lachte. »Wieso? Hast du Angst, dass ich schwanger werde?«

»Nun, schwanger vielleicht nicht gerade«, sagte sie mit einem Grinsen, »aber ich habe schon irgendwie damit gerechnet, dass du eines Tages vor unserer Tür stehst, einen Mann an deiner Seite, den du in Vegas geheiratet hast. Über Nacht. Einfach so. Mit 18.«

»Du dachtest, ich würde so einen Mist machen?«

»Ach Leo, ich bitte dich! Dir sind die Mädels nur so hinterhergerannt. Dein Dad hatte Angst, schon sehr früh Großvater zu werden. Was denkst du, von wem all die Kondome in deinem Nachttisch kamen?«

»Das war Dad?!«

»Na, ich war es nicht! So viel Verstand habe ich dir immer zugetraut. Und so habe ich dich ja auch nicht erzogen.«

Fassungslos starrte Leo sie an. »Also, mein Vater hat mir Kondome in den Nachtschrank getan und du hast gedacht, ich würde mit 18 heiraten?«

Betont langsam zog sie den Pinsel am Fensterrahmen entlang. Jahrelange Fingerfertigkeit machte ein Abkleben unnötig. »Du warst nun einmal sehr heißblütig und impulsiv, mein Schatz. Aber dann hast du ja zum Glück herausgefunden, dass du auf Männer stehst.«

»Was heißt denn hier zum Glück?«

Sie lächelte. »Ach Schatz. Du wärst doch nie glücklich geworden mit einem Mädchen. Ich hab das schon früh geahnt. Irgendwie.« Jetzt drehte sie sich wieder zu ihrem Sohn, der langsam die rote Farbe aus dem Zimmer verdrängte. »Du wirst ihn finden. Den Mann, der alles für dich bedeuten wird. Und du für ihn. Glaub mir. Ich weiß es.«

Er schwieg einen Moment. »Ach, und woher?« Es klang bitterer als er beabsichtigt hatte.

»Mütterlicher Instinkt», lächelte sie. »Hör auf meine Worte. Wenn du nicht damit rechnest, wird er auftauchen. Und alles auf den Kopf stellen.« Zuversichtlich tauchte sie den Pinsel in die Farbe und anders als ihr Sohn im Moment hatte sie absolut keinen Zweifel daran, dass es passieren würde.

Kapitel 2

»Ich schwöre es dir, die haben die besten Pekannuss-Karamell-Brocken, die ich je gegessen habe.« Lucys volle Stimme klang so sehnsüchtig als würde sie sich an einen Urlaub am Meer erinnern.

»Ich mag Nüsse in Schokolade nicht so sehr«, antwortete Calvin. Er sprach deutlich leiser als seine Freundin, immerhin saßen sie im Kino und der Film hatte längst begonnen. Doch wie immer kümmerte das Lucy wenig. Um nicht zu sagen überhaupt nicht. Jetzt sah sie ihn mit ihren großen, grauen Augen an, die ein wenig zu weit hervorstanden. Im Moment ähnelte sie einem Frosch, die Wangen mit Popcorn vollgestopft.

»Wirklich? Das wusste ich noch nicht«, rief sie aus, nachdem sie hinuntergeschluckt hatte. »Wieso nicht?«

Darauf wusste Calvin keine Antwort, also zuckte er nur mit den Schultern.

»Ich liebe Schokolade mit Nüssen«, erklärte sie.

Grinsend schob sich Calvin einen Tortillachip mit Salsa-Dip in den Mund. »Ja, ich weiß.«

Hinter ihnen räusperte sich eine männliche Stimme. Lucy mochte ihr eigenes Verhalten nicht stören, doch alle anderen Kinobesucher dafür umso mehr. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Stimme zu senken - im Gegensatz zu Calvin. Doch Lu sagte immer, einen Film zusammen zu schauen, egal wo, sei nicht unterhaltsam genug, wenn man nur stumm nebeneinander saß.

»Leider komme ich nicht so oft da raus, aber wenn ich könnte, würde ich mir einen ganzen Jahresvorrat holen, glaub mir«, schwärmte Lucy weiter und schloss dabei genießerisch ihre Augen. »Das ist so unglaublich lecker da! Nicht zu süß, trotz des Karamells und der Schokolade und die Nüsse schmecken überhaupt nicht alt oder ranzig wie so oft bei Nussschokolade. Du weißt, ich hasse das.« Lucy seufzte tief und schüttelte den Kopf.

»Schatz, ich habe Lust auf Schokolade», hörte Calvin eine Frauenstimme in der Sitzreihe hinter ihnen flüstern, »holst du mir welche?« Glucksend wandte sich Calvin an seine Freundin.

»Lu, vielleicht sollten wir ... Autsch!« Der Kerl, der zu der Frauenstimme gehörte, war beim Aufstehen versehentlich gegen Calvins Sitz getreten.

»'Tschuldigung«, murmelte er. Calvin winkte gerade ab, als sich Lucys Fingernägel in seinen Arm gruben.

»Oh, pass auf, Cal, gleich passiert etwas!«, zischte sie mit ihrer Vorahnung für spannende Filmmomente und deutete mit Popcorn in der freien Hand auf die Leinwand. »Da!« Calvin war noch damit beschäftigt, die schlanken Finger aus seinem Arm zu lösen, als ein lauter Knall dazu führte, dass er sich beinahe den Salsa-Dip über die Jeans gekippt hätte. Vier Tortilla-Chips und etliche Popcorn-Häufchen flogen auf und vor ihre Sitze. »Ha«, machte Lucy zufrieden, »wusste ich es doch. Das musste so kommen.«

Calvin unterdrückte ein Lachen und griff nach einem Popcorn-Brocken, der auf seiner Hose gelandet war, um es Lucy zurückzureichen. »Hast du eigentlich an den Drehbüchern mitgeschrieben oder woher weißt du das immer?«

Lu griff breit grinsend nach dem Popcorn, schob es sich zwischen die ungeschminkten Lippen. »Ich hab glaube ich schon zu viele Horrorfilme gesehen.«

»Ich kann meine an der Hand abzählen.«

»An einer?«, fragte Lucy glucksend und Calvin blieb nichts anderes übrig als zu nicken, doch bevor er antworten konnte, unterbrach sie eine mittlerweile bekannte männliche Stimme.

»Ruhe jetzt! Und wenn ich euretwegen noch mal los muss, weil ihr von irgendwelchem Süßkram schwärmt, setzt es was.«

Calvin sah zu Lu, die ihn überrascht ansah. Unterdrückt lachend legte sich Calvin den Zeigefinger auf die Lippen. Lucy nickte so heftig, dass beinahe wieder Popcorn aus ihrer großen Tüte gesprungen wäre. Sie richteten ihre Blicke auf die Leinwand, die sich in diesem Moment aufgrund eines Szenenwechsels verdunkelte.

»Die machen einfach die weltbesten Schokoladen-Brocken«, flüsterte Lucy und Cal schlug ihr leicht auf den Arm, um ihr zu bedeuten, dass es jetzt genug Getuschel war.

Und nun stand er hier, ein halbes Jahr später, wohl wissend, dass Lu seitdem nicht einmal hier gewesen war. Geschwärmt hatte sie aber noch bei weiteren Gelegenheiten von den Süßigkeiten, die hier hergestellt wurden.

Es war ein beinahe unscheinbares, in einem Cremeton getünchtes Vorstadthaus mit zwei Etagen. Die Holzfassade hätte gut mal wieder einen neuen Anstrich vertragen können, dafür sah das dunkle Dach aus wie mit neuen Schindeln bedeckt. Ein Fenster im oberen Stockwerk war hoch geschoben worden, sodass die frühlingshafte Luft in den Raum dahinter strömen konnte. Aus dem Schornstein drang ein dünner Rauchfaden. Eine schmale Holztreppe mit vier Stufen führte zu einer kleinen Veranda hinauf, deren Tür offen stand.

Langsam legte Cal den Kopf schief, seine Finger ruhig auf dem Gurt der Umhängetasche, die er über der Schulter trug.

Er stand vor diesem Haus, das er niemals für ein Geschäft gehalten hätte und das doch - sein Blick fiel auf die Dekoration aus rot-weiß geringelten Zuckerstangen auf dem Rasen links vor dem Haus und das Klappschild neben dem Gehweg, auf dem unter dem Firmenschriftzug groß und breit in einer geschwungenen Schrift ›We're open‹ stand - ganz offensichtlich ein Geschäft war. Die Zuckerstangen waren sicher noch Weihnachtsdekoration, die übrig geblieben war. Er hatte mit dem Bus knapp eine Stunde gebraucht, war zweimal umgestiegen. Mit den Fingern trommelte Calvin auf den Gurt der Tasche, unsicher, ob er sich an der richtigen Adresse befand, obwohl die Fakten ganz eindeutig dafür sprachen. In einem Fenster der Veranda leuchtete ein Neonschild ein grelles ›Open‹ .

Die Sonne stahl sich für einen Moment durch die Wolken. Unter der Steppweste, die er über dem dünnen Pullover trug, wurde Cal prompt warm. Schnell öffnete er den Reißverschluss und atmete auf. Das war besser.

Auf dem Rasen rechts neben der Treppe war keinerlei Dekoration zu sehen. Lediglich gelbe Winterlinge und violette Krokusse kündeten vom Frühling. In einer Ligusterhecke, die als Grundstücksbegrenzung diente, schwatzten Sperlinge vor sich hin, während Calvin nun langsam die Treppenstufen nach oben stieg. Das Holz knarrte selbst unter dieser geringen Belastung und auch die Tür quietschte leise, als er sie öffnete.

Eine altmodische Türglocke kündigte sein Eintreten an. Er stand völlig unerwartet in einem kleinen Wunderreich, von dem Lucy ihm nichts erzählt hatte. In hohen Regalen befanden sich Schälchen mit folienverpacktem Inhalt und liebevoll verpackte Schokoladen- und Bonbonkreationen in kleinen Tütchen, manche davon aus Plastikfolie, andere aus Papier. An einer Vorrichtung hingen die verschiedensten Schokoladen-Hohlfiguren aus Vollmilch-, Zartbitter- und weißer Schokolade. Autos, Häuser, Motorräder, Hasen, ein Einhorn.

Calvin machte einen Schritt vorwärts und erneut knarrte der Boden unter seinen Füßen. All die Eindrücke, die auf ihn einstürzten, konnte er kaum verarbeiten. Der Duft nach Schokolade und Zucker, von Hand geschriebene Schilder, wie er sie in der Stadt vergeblich in einem Geschäft suchte, eine alte Registrierkasse, die in diesem Moment ein Pling von sich gab und aufsprang, kleine, verzierte Einkaufskörbchen, zwei junge Mädchen, die mit ebenso staunenden Augen an den Händen ihrer Eltern zerrten.

Dass Lucy dieses Geschäft gefiel, glaubte er sofort. Sie kannten sich zwar erst seit zwei Jahren und doch schien dieses kleine Familienunternehmen genau das Richtige zu sein für die auf Flohmarktmöbel stehende, Klarinette spielende Lucy. Sie war der Typ Mensch, der sich in einem Second-Hand-Shop ein altes, heruntergekommenes Beistelltischchen kaufte, es abschliff, polierte, neu strich und so zu einem Schmuckstück machte. Nichts anderes schien hier mit Nüssen, Kakaobutter, Karamell, Erdnussbutter, Zucker und all den anderen Zutaten zu passieren. Nur, dass die nicht aus einem Second-Hand-Laden stammten, dachte Calvin. Sein Kopf war anscheinend verwirrt von der Wirkung, die das Geschäft auf ihn hatte.

Es war eine kleine, schmale Frau, die Calvin auf Ende 50 schätzte, die jetzt hinter dem Tresen hervortrat, auf dem die alte Registrierkasse stand. Sowohl der Tresen als auch die Regale waren aus dunklem Holz und schienen schon sehr lange hier zu stehen. »Hallo. Kann ich Ihnen helfen?«

Calvin öffnete den Mund, doch statt etwas zu sagen, schüttelte er nur den Kopf, sah sich noch immer mit großen Augen um. Unter der Registrierkasse, in einer dafür vorgesehenen Theke, saßen kleine Pralinen auf silbernen Tabletts und warteten darauf, dass sie ein Kunde mit nach Hause nahm. Nur langsam konnte sich Calvin auf das konzentrieren, was direkt vor seiner Nase geschah. Die kleine Frau vor ihm lächelte ihn aus graubraunen Augen an.

»Hallo. Ich ... Ich glaube schon, ich suche Pekannuss-Karamell-Brocken.«

»Gern. Die haben wir hier drüben.« Sie führte Calvin zu einem Regal und deutete auf liebevoll gestaltete Tüten aus braunem Papier mit einem Sichtfenster darin. »Wir haben zwei Größen im Angebot.«

»Das ... Ich«, begann Calvin, aber der Rest seiner Worte ging in einem Lachen unter. Er strich sich durchs Haar. »Entschuldigen Sie, ich bin gerade überwältigt. Eine Freundin hat mir von diesem Geschäft erzählt, aber das habe ich nicht erwartet.« Lächelnd sah er in die warmen Augen der fremden Frau vor sich.

Ihr fröhliches Lächeln wirkte ansteckend. »Und was haben Sie erwartet, wenn ich fragen darf?«

»Ich bin nicht sicher. Vermutlich gar nichts und ich bin genau deshalb so überrascht. Das ist als wäre ich durch die Eingangstür in eine andere Welt getreten.« Ohne hinzusehen deutete Calvin auf die Tür mit der altmodischen Klingel. Oder zumindest dachte er das, denn in Wirklichkeit zeigte sein Finger auf eines der Regale weit daneben. »Gehört Ihnen der Laden?«

 

»Oh, ja. Und das schon sehr lange. Wir haben eine lange Tradition.« Sie verschränkte die Hände vor der Schürze, die sie trug. Darauf waren lauter kleine Schokoladentafeln abgedruckt. Auf dem Kopf trug sie ein Basecap und darunter lugten braune, kurze Locken hervor.

»Ein richtiges Familienunternehmen, hm?« Ein Lachen hinter ihm ließ Calvin den Kopf drehen. Die beiden Mädchen deuteten auf kleine Schokoladenfiguren. Beim genaueren Hinsehen erkannte Cal Frösche und Enten.

»Inzwischen in der dritten Generation, ja. Und bald in der vierten.« Ein stolzer Ausdruck trat auf ihr Gesicht.

»Wow. Das ist toll. Wirklich«, nickte Calvin an die Frau gewandt, von der er nur den Nachnamen kannte: Larkin. Larkin Candys and Sweets hatte auf dem Schild draußen gestanden. »Also, meine Freundin sagt, Sie würden die besten Pekannuss-Karamell-Brocken herstellen und da sie nicht oft hierherkommt, wollte ich sie ihr zum Geburtstag schenken.«

»Ein schönes Geschenk. Und so etwas zu hören, freut mich immer sehr. Möchten Sie sich noch umsehen?«

»Unbedingt. Es gibt so viel zu sehen. Sie stellen alles selbst her?«

»Beinahe, ja. Die Schokolade kaufen wir ein. Und auch unser Karamell machen wir nicht selbst.« Sie grinste. »Und die Gummibären, die sich unter ihren Schokoladenmänteln verbergen, sind ebenfalls nicht selbst gemacht. Doch sonst, ja. Alles hier entsteht in Handarbeit.«

»Wow. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ... wow. Das muss ein Haufen Arbeit sein.« Der Vater der beiden Mädchen trat vor den Tresen und sah sich nach einer Bedienung um. Die Frau vor Calvin bemerkte das sofort - genau wie Calvin selbst. »Oh, bitte, gehen Sie nur, ich versuche derweil, wieder zu mir selbst zu finden und sehe mich etwas um.«

Sie lachte. »Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen.« Damit lief sie mit federnden Schritten zum Tresen.

Zeit brauchte Calvin tatsächlich mehr, als er gedacht hatte. Er lief an den Regalen auf und ab, besah sich Pralinen, Bruchschokolade, Karamell-Toffee, lächelte auf die kleinen Frösche und Enten und fragte sich, was er selbst am liebsten kosten würde. Irgendetwas mit flüssigem Karamellkern vermutlich. Das hatte er schon immer geliebt. Schließlich nahm er die größere Packung der Pekannuss-Karamell-Brocken und suchte erneut den Kontakt zu der netten Frau. »Darf ich Sie noch einmal stören?«

»Stören Sie, dafür bin ich doch da.«

Calvin musste grinsen, kam ihm diese Antwort doch so bekannt vor. »Ja, das sage ich auch immer. Sagen Sie, haben Sie auch etwas mit flüssigem Karamellkern im Angebot?«

Sie nickte. »Natürlich. Wir haben einmal unsere Karamell-Hütchen.« Sie deutete auf eine kleine durchsichtige Box, in der sich in Folie gewickelte runde Förmchen befanden, die aussahen wie ein Muffin, der nicht aufgegangen war. Nur in klein. »Da haben Sie wirklich nur Karamell und Schokolade. Oder Sie nehmen unsere Karamell-Schaum-Pralinen.« Sie deutete auf eine Reihe an Pralinen, die sich in der Auslage befand, die hinter Glas geschützt war. Auf den kugelförmigen Pralinen befand sich ein karamellfarbener Schokoladenkringel. »Zartbitterschokolade. Darin ein Boden aus Schokoladenschaum und darauf Karamell.«

»Schokoladenschaum«, murmelte Calvin. Allein das Wort ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. »Das klingt himmlisch.«

»Man sagt ja, Eigenlob würde stinken, aber ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass es das auch ist.«

»Dann steht die Entscheidung fest.« Calvin deutete auf die Theke. »Ich nehme davon zwei mit. Ach was, packen Sie mir drei ein.«

Die Frau lachte, was kleine Fältchen neben ihren Augen aufkommen ließ. »Gern.«

»Machen Sie das alles allein oder hilft Ihnen Ihr Mann?«, fragte Calvin und beobachtete, wie seine Pralinen verpackt wurden.

»Oh nein. Alleine ginge es nicht mehr. So hat der Großvater meines Mannes angefangen. Damals war das alles hier noch viel kleiner. Geboren aus einer Laune heraus. Und aus der Not.« Sie lächelte, während sie die Pralinen sorgsam verpackte und schließlich sogar ein Schleifenband um die Schachtel band und daran ein Schild befestigte, auf dem der Name des Geschäfts geschrieben stand. »Heute führen mein Mann und ich den Laden. Mein ältester Sohn wird ihn von uns übernehmen, wenn er soweit ist. Und seine Schwester wird ihm dabei helfen. Und wir beschäftigen Teilzeitkräfte, die uns helfen, alles hier zu verpacken und zu verschicken.« Sie stutzte einen Moment. »Unfassbar, was das Internet alles möglich macht. Wir standen kurz vor dem Ruin. Und dann kam Leo auf die Idee mit dem Internet. Leo, das ist mein Sohn. Dank ihm läuft der Laden so gut wie noch nie.« Sie schob die Packung mit den Pralinen und die Tüte mit dem Geschenk, das Calvin ausgewählt hatte, in eine Papiertüte. »Entschuldigen Sie. Ich texte Sie hier zu.«

»Oh, nein, das stört mich nicht, ganz und gar nicht. Es ist interessant. In unserer Zeit sollte man doch meinen, dass so ein kleiner Laden sich nicht gegen die Großen durchsetzen kann, aber wie Sie schon sagten: Das Internet macht es ...« Calvin stutzte. »Moment, Sie verschicken auch über das Internet?«

Sie nickte. »Inzwischen schon gut ein halbes Jahr. Ich hätte auch nie gedacht, dass es funktioniert. Die Preise für den Versand sind doch recht hoch. Wir müssen ja alles sehr gut verpacken, damit die Sachen heile ankommen. Und doch, die Leute kaufen es. Meine Tochter sagt, das liegt an den Postings. Heißt das so? Ich lerne das alles gerade noch. Das ist Neuland für mich.«

»Postings in sozialen Netzwerken, ja. Oder auf einem Blog.« Ungläubig schüttelte Calvin den Kopf. »Na toll, davon hat mir meine Freundin natürlich nichts erzählt. Da hätte ich ja auch bestellen können. Andererseits«, sein Blick flog einmal durch den Laden, »hätte ich da das alles hier verpasst, hm?«

»Wo kommen Sie denn her?«

»Nur aus der Innenstadt, aber ich habe doch eine Stunde hierher gebraucht. Der eine Bus hatte Verspätung und ...« Calvin winkte ab. »Nicht so wichtig. Es hat sich gelohnt.«

»Das freut mich. Unsere weiteste Besucherin kam bisher aus England. Das war eine Überraschung.« Sie tippte etwas in die Kasse. »Das macht dann 19,40 $.«

»Ja, das glaube ich sofort.« Calvin reichte einen 20-Dollar-Schein über den Tresen. »Werfen Sie das Wechselgeld in die Kaffeekasse, falls Sie so etwas haben.«

»Haben wir. Wir unterstützen damit das hiesige Kinderheim.« Sie nahm das Wechselgeld aus der Kasse und warf es in eine Spardose, die auf einem Regal hinter der Kasse stand. Eine gemütlich schlummernde Katze.

Calvin legte leicht den Kopf schief. »Prompt komme ich mir schlecht vor, nicht noch mehr gegeben zu haben.«

Sie lachte. »Das ist Unsinn. Jeder Cent zählt. Wenn jeder nur ein bisschen gibt, dann haben wir am Ende eine Menge.«

»Das ist gut.« Cal schob sein Portemonnaie zurück in die Umhängetasche und griff nach der Papiertüte, in der seine neu erworbenen Schätze lagen. »Danke für den Einblick in die Geschichte und die Leckereien. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

»Für Sie auch. Und empfehlen Sie uns weiter», meinte die Frau mit einem Augenzwinkern.

»Das werde ich, da bin ich sicher.« Bevor er den Verkaufsraum verließ, sah sich Calvin noch einmal um. Es war ein merkwürdiges Gefühl, durch die Tür nach draußen zu treten. »Zurück in der Wirklichkeit«, murmelte er und stieg lächelnd die Treppenstufen hinab.